römisches recht
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Markus Ertl RÖMISCHES RECHT Einführung, Grundzüge des Personen-, Familien- und Erbrechts Sachenrecht Obligationenrecht – Allgemeiner Teil Obligationenrecht – Besonderer Teil Römisches Recht Seite 2 von 119 Markus Ertl INDEX AG 01 ....................................................................................................................................................................................................................... 3 EINFÜHRUNG, GRUNDZÜGE DES PERSONEN-, FAMILIEN- UND ERBRECHTS .................................................................................................................. 3 Das Römische Recht: Quellen und Einteilung............................................................................................................................................... 3 Organisation des Rechtsschutzes ................................................................................................................................................................. 5 SACHENRECHT ...................................................................................................................................................................................................... 7 Organisation des Rechtsschutzes ................................................................................................................................................................. 7 OBLIGATIONENRECHT – BESONDERER TEIL ............................................................................................................................................................ 10 Einleitung und Übersicht ............................................................................................................................................................................. 10 Kaufvertrag: Abschluss, Gegenstände, Kauf und Eigentumsübertragung ................................................................................................... 14 AG 02 ..................................................................................................................................................................................................................... 19 SACHENRECHT .................................................................................................................................................................................................... 19 Grundbegriffe des Sachenrechts................................................................................................................................................................. 19 Besitz .......................................................................................................................................................................................................... 21 Eigentum: Wesen und Arten ....................................................................................................................................................................... 24 Eigentumsschutz und Besitzschutz............................................................................................................................................................. 25 OBLIGATIONENRECHT – BESONDERER TEIL ............................................................................................................................................................ 28 Mandatum und negotiorum gestio ............................................................................................................................................................... 28 Ungerechtfertigte Bereicherung .................................................................................................................................................................. 29 Delikte I A ................................................................................................................................................................................................... 31 EINFÜHRUNG, GRUNDZÜGE DES PERSONEN-, FAMILIEN- UND ERBRECHTS ................................................................................................................ 33 Familienrecht .............................................................................................................................................................................................. 33 AG 03 ..................................................................................................................................................................................................................... 35 SACHENRECHT .................................................................................................................................................................................................... 35 Ersitzung..................................................................................................................................................................................................... 35 Die natürlichen Erwerbsarten – Fruchterwerb ............................................................................................................................................. 37 AG 04 ..................................................................................................................................................................................................................... 39 OBLIGATIONENRECHT – BESONDERER TEIL ............................................................................................................................................................ 39 Kaufvertrag: Abwicklungsstörungen, Rechtsmängel, Sachmängel.............................................................................................................. 39 OBLIGATIONENRECHT – ALLGEMEINER TEIL ............................................................................................................................................................ 42 Mängel an der Wurzel und Leistungsstörungen I ........................................................................................................................................ 42 SACHENRECHT .................................................................................................................................................................................................... 46 Dingliche Nutzungsrechte – Servituten ....................................................................................................................................................... 46 AG 05 ..................................................................................................................................................................................................................... 49 OBLIGATIONENRECHT – BESONDERER TEIL ............................................................................................................................................................ 49 Stipulation ................................................................................................................................................................................................... 49 OBLIGATIONENRECHT – ALLGEMEINER TEIL ............................................................................................................................................................ 51 Inhalt der Obligationen ................................................................................................................................................................................ 51 Haftung und Gefahrtragung......................................................................................................................................................................... 56 Mängel an der Wurzel und Leistungsstörungen II ....................................................................................................................................... 60 AG 06 ..................................................................................................................................................................................................................... 65 OBLIGATIONENRECHT – BESONDERER TEIL ............................................................................................................................................................ 65 Realkontrakte I............................................................................................................................................................................................ 65 Locatio conductio ........................................................................................................................................................................................ 69 Innominatrealkontrakte und pacta ............................................................................................................................................................... 74 OBLIGATIONENRECHT – ALLGEMEINER TEIL ............................................................................................................................................................ 75 Stellvertretung............................................................................................................................................................................................. 75 AG 07 ..................................................................................................................................................................................................................... 77 OBLIGATIONENRECHT – BESONDERER TEIL ............................................................................................................................................................ 77 Delikte I B ................................................................................................................................................................................................... 77 Delikte II...................................................................................................................................................................................................... 82 AG 08 ..................................................................................................................................................................................................................... 87 SACHENRECHT .................................................................................................................................................................................................... 87 Pfandrecht I: Arten, Entstehen und Erlöschen............................................................................................................................................. 87 Pfandrecht II: Inhalt, Gegenstände, Rechtsschutz....................................................................................................................................... 92 OBLIGATIONENRECHT – BESONDERER TEIL ............................................................................................................................................................ 96 Realkontrakte II........................................................................................................................................................................................... 96 AG 09 ..................................................................................................................................................................................................................... 99 OBLIGATIONENRECHT – ALLGEMEINER TEIL ............................................................................................................................................................ 99 Bürgschaft................................................................................................................................................................................................... 99 AG 10 ................................................................................................................................................................................................................... 103 OBLIGATIONENRECHT – ALLGEMEINER TEIL .......................................................................................................................................................... 103 Allgemeines zum Erbrecht, gesetzliche Erbfolge ...................................................................................................................................... 103 Testament und testamentarische Erbfolge, Noterbrecht ........................................................................................................................... 108 Erbgang .................................................................................................................................................................................................... 112 Legate und Fideikommisse, Rechtsschutz im Erbrecht ............................................................................................................................. 116 Römisches Recht Seite 3 von 119 Markus Ertl AG 01 Einführung, Grundzüge des Personen-, Familien- und Erbrechts Das Römische Recht: Quellen und Einteilung Die Verfassungsentwicklung 1. Königszeit 2. Republik (patrizischer Adelsstaat bis 367 v. Chr. Ständekampf entwickelte Republik bis 27 v. Chr.) 3. Prinzipat (von Kaiser Augustus bis 284 n. Chr.) 4. Dominat (beginnend mit Kaiser Diokletian) 4. Jahrhundert: Teilung in Weströmisches Reich (bis 476 n. Chr.) und Oströmisches (Byzantinisches) Reich bis 1453 n. Chr. Antike Rechtsentwicklungsperioden 1. Altrömische Periode XII-Tafeln (teils Gewohnheitsrecht, teils neue Regelungen) 2. Vorklassische Periode (Vorklassiker = veteres) Rechtsweiterbildung erfolgte primär durch Prätoren und Juristen, deren Tätigkeiten das Agere (Verfassen von Klagsformeln), das Cavere (Errichten von Geschäftsurkunden) und das Respondere (Erteilen von Gutachten auf Anfragen) waren. 3. Klassische Periode (von Kaiser Augustus bis 235 n. Chr.) Juristen schreiben v. a. Kommentare zum Zivilrecht und zum Edikt des Prätors. Früh-, Hoch- und Spätklassik 4. Nachklassische Periode (bis Kaiser Justinian) Verflachung der Rechtskultur 5. Justinianische Zeit Entstehung des CORPUS IURIS ZIVILIS (s. u.) Nachwirkungen des Römischen Rechts 11. und 12. Jhdt.: Glossatoren mit Marginal- und Interlinearglossen 13. und 14. Jhdt.: Kommentatoren oder Konsiliatoren die hauptsächlich für die Praxis schreiben Rezeption = Übernahme des Römischen Rechts als unmittelbar anzuwendendes Recht in den meisten Staaten Europas (Ausnahme: England) 17. und 18. Jhdt.: „ius commune“ – im „Gemeinen Recht“ werden die römischen Quellen den aktuellen Bedürfnissen angepasst (usus modernus pandectarum) 18. Jhdt.: Zeitalter des Naturrechts: Aufzeichnung des Rechts in Gesetzesbüchern, ALR (Allgemeines Landrecht) in Preußen, Code Civil (1804) in Frankreich, ABGB (1811) in Österreich 19. Jhdt.: Pandektistik – deutsches BGB (1900) Römisches Recht Seite 4 von 119 Markus Ertl Überlieferung des Römischen Rechts Die Institutionen des Gaius (Gai. Inst.) sind ein Einführungslehrbuch. Die wichtigste Quelle ist der von Kaiser Justinian erlassene Corpus Iuris Civilis, welcher aus vier Teilen besteht: • Institutionen (Einführungslehrbuch mit der Gliederung des Stoffes in personae, res und actiones) • Digesten oder Pandekten (abgekürzt: D. – Sammlung von Fragmenten klassischer Juristen) • Codex Iustinianus (abgekürzt: C. – Sammlung des Kaiserrechts, der von verschiedenen Kaisern erlassenen Konstitutionen, also der constitutiones principum) • Die Novellen (nach Abschluss des Codex) Kaiserrechtliche Sammlungen gab es schon vorher, erhalten ist der Codex Theodosianus. Einteilung der römischen Rechtsordnung 1. ius publicum = öffentliches Recht 2. ius privatum = Privatrecht (ausschließlich in der weiteren Folge) Unterscheidung nach der Geltungsgrundlage IUS HONORARUM (IUS PRAETORIUM) Amtsrecht, Honorarrecht, prätorisches Recht IUS CIVILE Recht, das auf Gesetzen oder gesetzesgleichen Grundlagen beruht • • • • • • mos maiorum („Sitte der Vorfahren“ – Gewohnheitsrecht) leges (Gesetze) plebiscita (Volksbeschlüsse) senatus consulta (Senatsbeschlüsse) auctoritas prudentium (Juristenrecht) constitutiones prudentium (Kaiserrecht, geteilt in edicta = allgemeine Anordnungen; rescripta = Rechtsauskünfte auf Anfrage; mandata = Dienstanweisung an Beamte; decreta = Gerichtsentscheidung des Kaisers • edicta magistratum (zB Edikt des Prätors) Dieselbe Materie kann von ius civile und ius praetorium geregelt sein, der Prätor kann: • das Zivilrecht unterstützen (iuris civilis adiuvandi causa) • das Zivilrecht ergänzen (iuris civilis supplendi causa) • das Zivilrecht verbessern (iuris civilis corrigendi causa) Eine weitere Unterscheidung ergibt sich durch das ius civile (nur für römische Bürger) und das ius gentium (für Peregrinen, also Ausländer). Die Gliederung des Privatrechts Das Institutionensystem teilt die Gaius- und die Justinianischen Institutionen in drei Teile, nämlich personae (Personen- und Familienrecht), res (Sachen-, Erb- und Schuldrecht) und actiones (Klagen). Auch das ABGB verwendet diese Dreigliederung für sich selbst, mit der Ausnahme, dass die actiones in Form von Ansprüchen in zivilrechtlichen Eigengesetzen geregelt sind. Das Pandektensystem wurde erst im 19. Jhdt. von der Pandektistik entwickelt und teilt den Rechtsstoff in fünf Teile: 1. 2. 3. 4. 5. Allgemeiner Teil Schuldrecht Sachenrecht Familienrecht Erbrecht Römisches Recht Seite 5 von 119 Markus Ertl Organisation des Rechtsschutzes 1. Definitionen Recht im objektiven Sinn = Rechtsordnung als Summe von Normen Recht im subjektiven Sinn = Die dem einzelnen Rechtssubjekt zustehende Berechtigung ACTIO 1. prozessualer Aspekt: Klage 2. materieller Aspekt: Klagerecht Das Römische Recht ist vom aktionenrechtlichen Denken geprägt, nicht wie das moderne Recht, welches in Ansprüchen denkt. Absolute Rechte Relative Rechte richten sich gegenüber jedermann betreffen vor allem die dinglichen Rechte • • Eigentum • beschränkte dingliche Rechte (Servituten etc.) richten sich nur gegen eine Verpflichteten betreffen vor allem die Forderungsrechte • • aus einem Vertrag • aus einem Delikt • aus sonstigen Gründen sie werden durchgesetzt mit ACTIONES IN REM sie werden durchgesetzt mit ACTIONES IN PERSONAM 2. Die Organisation des Rechtsschutzes Magistrat sind • der praetor urbanus (Stadtprätor) für Prozesse zwischen Römern oder • der praetor peregrinus (Fremdprätor) für Prozesse mit oder unter Peregrinen Funktionen des Prätors: 1. Erlassung eines Edikts zu Beginn des Amtsjahres 2. Leitung des ersten Verfahrensabschnittes (Verfahren in iure) bei jedem Prozess und Entscheidung darüber, ob die Klage gewährt wird oder nicht Aufgabe des Richters (Privatperson) ist es, im zweiten Verfahrensabschnitt (Verfahren apud iudicem) zu einem Urteil zu kommen. Zumeist entscheidet ein Einzelrichter (iudex unus). Bestandteile der Klagsformel: 1. Demonstratio 2. Intentio 3. Condemnatio Die Formel ist zumeist logisch als Alternative gefasst: Sie nennt zunächst die Voraussetzungen, die zu einer Verurteilung führen, und schließt stets mit den Worten si non paret absolvito (wenn es sich nicht erweist, soll er freisprechen). 3. Der Prozessablauf Das Verfahren gliedert sich in zwei Abschnitte: Römisches Recht Seite 6 von 119 Markus Ertl 1. Verfahren in iure Der Prätor prüft die formalen Prozessvoraussetzungen und entscheidet, ob die actio gewährt wird oder nicht. Er prüft nicht, ob der vom Kläger vorgebrachte Sachverhalt tatsächlich zutrifft. Lässt sich der Beklagte auf den Prozess ein, wird er dies regelmäßig durch Bestreitung tun, und/oder einen Umstand vorbringen, der einer Verurteilung entgegensteht, eine sog. exceptio. In der Folge wird ein Richter ermittelt, bei Nichteinigung der Parteien durch Los. Der Prätor setzt den Prozess ein und die Parteien unterwerfen sich der litis contestatio (Streitschrift). Inhalt dieser litis contestatio: „SI PARET (oder: QUOD) [Wenn es sich ergibt] ... [nähere Umschreibung] ... IUDEX CONDEMNATO [soll verurteilt werden]; SI NON PARET [wenn es sich nicht ergibt] ... IUDEX ABSOLVITO [soll die Klage abgewiesen werden]“. 2. Verfahren apud iudicem Der Richter stellt den Sachverhalt durch ein öffentliches Beweisverfahren mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung fest. Nach Sachverhaltsfeststellung spricht der Richter das Urteil über condemnatio (Verurteilung) oder absolutio (Freispruch). Die Besonderheit ist das Prinzip der condemnatio pecuniaria, welches besagt, dass der Richter in allen Fällen (!) nur auf Geld verurteilen kann. Eine umfassende Bedeutung hat die exceptio doli (Einrede der Arglist). Sie teilt sich in: 1. Exceptio dolis specialis (praeteriti): Diese bezieht sich auf einen vorprozessualen Dolus (in der Vergangenheit); „... und wenn in dieser Angelegenheit nichts durch Arglist des A.A. geschehen ist oder geschieht, ...“. 2. Exceptio dolis generalis (praesentis): Diese bezieht sich darauf, dass der dolus durch die Klageeinbringung selbst verwirklicht wird; „... und wenn in dieser Angelegenheit nichts durch die Arglist des A.A. geschehen ist oder geschieht, ...“. 4. Das Edikt Am Beginn des Amtsjahres proponiert der Prätor sein Edikt. Es enthält vor allem die Formeln für die Klagen und die sonstigen Rechtsbehelfe. • Bei prätorischen Klagen steht die Formel mit den typischen Worten „... iudicum dabo“ (Ich werde eine Klage gewähren). • Bei Klagen, die auf dem ius civile beruhen, proponiert der Prätor nur die Formel. Das Edikt hatte im Lauf der Entwicklung einen gewissen festen Grundstock (sog. edictum tralaticium) und wurde durch die Prätoren ergänzt und den neuen Entwicklungen angepasst. Unter Kaiser Hadrian wurde das Edikt in eine feste Fassung gebracht (sog. edictum perpetuum). Neben den Prätoren wird ein Edikt auch von den kurulischen Ädilen proponiert, welche zuständig für die Sklaven- und Viehmärkte und die damit verbundenen Streitigkeiten waren. In den Provinzen proponierte der Statthalter ein edictum provinciale. 5. Gestaltungsmöglichkeiten durch den Prätor Zugunsten des Klägers konnte der Prätor • durch Aufnahme einer Fiktion eine fehlende Voraussetzung ersetzen (Die Klage des Diebstahls ist zB nur unter römischen Bürgern möglich. Ist der Täter oder Kläger ein Peregrine, gewährt der Prätor die Klage mit der Fiktion „si civit esse“ (wie wenn er ein Bürger wäre); Römisches Recht Seite 7 von 119 Markus Ertl • • die zivile Klagsformel im Wortlaut etwas abwandeln und dadurch brauchbar machen (actio utilis); von sich aus eine actio in factum schaffen (auf den konkreten Sachverhalt zugeschnitten). Zugunsten des Beklagten konnte der Prätor eine exceptio gewähren, die dann zur Abweisung durch den Richter führt. Sachenrecht Organisation des Rechtsschutzes 1. Eigentumserwerb Unterscheidungsart 1 Derivativer Erwerb leitet sich von Eigentum des Vormannes ab (Nemo plus iuris ad alium transferre potest quam ipse haberet. – Niemand kann mehr an Recht an einen anderen übertragen, als er selbst hat.) Originärer Erwerb das Recht entsteht beim Erwerber neu (da kein Vormann vorhanden oder auch gegen das Recht eines Vormannes – zB Ersitzung) mancipatio (förmliche Eigentumsübertragung) in iure cessio (Abtretung vor Gericht) traditio (Übertragung) Vindikationslegat (Vermächtnis) occupatio (Aneignung): Schatzfund, Verbindung, Vermengung, Vermischung, Verarbeitung usucapio (Ersitzung) Unterscheidungsart 2 acquisitiones civiles zivile Erwerbsarten, nur römischen Bürgern zugänglich acquisitiones naturales Einrichtungen des ius gentium, römischen Bürgern und Peregrinen zugänglich mancipatio in iure cessio Vindikationslegat usucapio traditio occupatio: Schatzfund, Verbindung, Vermengung, Vermischung, Verarbeitung Fruchterwerb 2. Der derivative Erwerb Derivative Erwerbsarten: • die mancipatio – für res mancipi (Libralakt [von libra = Waage] vor fünf Zeugen, der Erwerber stellt die Eigentumsbehauptung auf und übergibt dem Veräußerer einen symbolischen Kaufpreis [mancipatio nummo uno]. Nicht nur Eigentum, auch Herrschaftsrechte können übertragen werden) • die in iure cessio – für res mancipi und res nec mancipi (Scheinprozess, welcher der legis actio sacramento = Eigentumsprozess nachgebildet ist) • die traditio für res nec mancipi (formlose Übergabe durch Kasuistik beim Besitzerwerb oder auf Grund von Traditionsritualen) Das Römische Recht kennt keinen (sofortigen) gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten (die Ersitzung ist jedoch schon nach zwei Jahren gegeben). Römisches Recht Seite 8 von 119 Markus Ertl Die Traditio überträgt: • • • • ziviles Eigentum – wenn der Tradent Eigentümer oder verfügungsberechtigt ist, eine iusta causa vorliegt und eine res nec mancipi übergeben wird; prätorisches Eigentum – wenn der Tradent Eigentümer oder verfügungsberechtigt ist, eine iusta causa vorliegt und eine res mancipi übergeben wird; Besitz – wenn zB ein Nichteigentümer eine traditio ex iusta causa (Eigentumsübertragung auf Grund eines anerkannten Rechtsgrundes – zB Pfand) vornimmt; Detention – wenn eine Sache zur Miete, Leihe oder Verwahrung hingegeben wird; A B Eigentümer, Besitzer ---------- ---------Eigentümer, Besitzer Eigentümer, mittelbarer Besitzer Detentor Traditio A ist Eigentümer eines Gerätes und besitzt es. A verkauft das Gerät und übergibt es an B. Traditio brevi manu (Übergabe kurzerhand) A hat an B ein Gerät verliehen Sie schließen einen Kaufvertrag, das Gerät soll bei B bleiben. Constitutum possesorium (Besitzkonstitut) A ist Eigentümer eines Fahrzeuges. B ist schon lange daran interessiert A verkauft am 01.03 das Fahrzeug, möchte es aber noch bis 10.03. benützen. Sie einigen sich, dass es leihweise noch bis 10.03. bei A verbleibt ---------- Eigentümer, mittelbarer Besitzer Eigentümer, Besitzer ---------- Detentor Eigentümer, mittelbarer Besitzer 3. Die Wirkungen der mancipatio • • Sachenrechtliche Wirkung – Eigentumsübertragung - war A ziviler Besitzer, erwirbt B das zivile Eigentum (unabhängig von der iusta causa, da die mancipatio abstrakt ist) - war A nicht Eigentümer, erlangt auch B kein Eigentum (nemo plus iuris ...) Gewährleistungspflicht – Auktoritätshaftung Gewährleistung für Rechtsmängel: Behauptet C Besitzer zu sein, wird B den A als Gewährsmann (auctor) namhaft machen und ihn vom Prozess verständigen (litis denuntiatio = Streitverkündung); A ist verpflichtet, B Beistand zu leisten. Kommt er dem nach und die Klage wird abgewehrt, ist B zufrieden gestellt. Verweigert A den Beistand oder geht die Klage für B trotzdem verloren, hat B die Möglichkeit gegen A die actio auctoritatis auf das duplum des gezahlten Preises einzubringen. 4. Kausaler und abstrakter Erwerb Eine Eigentumsübertragung ist kausal abstrakt wenn sie vom Vorliegen einer iusta causa abhängig ist. unabhängig ist. Das ABGB folgt dem Kausalitätsprinzip, das deutsche BGB dem Abstraktionsprinzip. Fehlt es an einem Rechtsgrund (A und B glauben, dass ein Kaufvertrag über eine Sache vorliegt, was aber nicht der Fall ist) und A überträgt in Übereignungsabsicht die Sache an B, • so bleibt A Eigentümer • so erlangt B dennoch das Eigentum, jedoch • und B erlangt kein Eigentum. • es liegt ungerechtfertigte Bereicherung vor. Die traditio ist in überwiegender Zahl kausal (Ausnahme: Julian berichtet über abstrakte Tradition – Grundlage für Ableitung des Abstraktionsprinzips) Die mancipatio und die in iure cessio sind abstrakt. Markus Ertl Als • • • • • • • Römisches Recht Seite 9 von 119 iusta causa für den Eigentumserwerb durch traditio eignen sich: causa emptionis – Kauf permutatio – Tausch causa donationis – Schenkung causa credendi – Darlehensgewährung causa dotis – Mitgiftbestellung datio ob rem – Zweckzuwendung causa solvendi, causa solutionis – Zahlung, Leistung zur Schulerfüllung Die causa solvendi greift ein, • wenn etwas zwecks Schulderfüllung (zB aus Stipulation) geleistet wird, • vor allem, wenn es zu Geldzahlungen zwecks Schulderfüllung kommt. S schuldet dem G aus einer Stipulation 10.000 HS und übergibt sie dem G. Als causa des Eigentumserwerbes des G sehen die Römer nicht die Stipulation, sondern das Erfüllungsgeschäft, die solutio. Die Selbstständigkeit dieser Anspruchsleistung bringt mit sich, dass der Empfänger auch dann Eigentum aus der causa solutionis erlangt, wenn in Wahrheit nichts geschuldet war (wobei jedoch der Tatbestand der ungerechtfertigten Bereicherung vorliegt). Der Eigentumserwerb des Käufers durch traditio des Kaufpreises beruht auf der causa emptionis, der Eigentumserwerb des Verkäufers am Kaufgeld durch traditio der nummi (=Zahlung) beruht auf der causa solvendi. 5. Die Lehre von Titulus und Modus Das Römische Recht kennt das Prinzip der traditio ex iusta causa – ein Vertrag allein ohne Übergabe der Sache lässt noch kein Eigentum übergehen. In der Neuzeit wurde die Lehre entwickelt, dass zwei Voraussetzungen für eine Eigentumsübergabe notwendig sein müssen: • titulus acquirendi – zB Kaufvertrag • modus acquirendi – zB Übergabe Auch das ABGB hält sich daran, naturrechtlich auch auf den originären Erwerb (durch die „angeborene Freiheit“) ausgedehnt. Im deutschen BGB geht das Eigentum an beweglichen Sachen durch Einigung und Übergabe über; eine Abhängigkeit vom Titel ist nicht gegeben. Der Code civil lässt bei Obligationen auf Lieferung einer species-Sache das Eigentum bereits mit dem obligatorischen Vertrag selbst übergehen. 6. Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft V und K schließen am 01.10. einen Kaufvertrag über ein Gerät. Dieses wird sofort übergeben. Der KAUFVERTRAG ist das Verpflichtungsgeschäft, die EIGENTUMSÜBERTRAGUNG das Verfügungsgeschäft. Bei fremden Sachen ist das Verpflichtungsgeschäft (Kaufvertrag) wirksam, das Verfügungsgeschäft (Übertragung) jedoch unwirksam. V und K schließen am 01.10. einen Kaufvertrag über ein Gerät. Die Übergabe soll am 15.10. erfolgen. Der KAUFVERTRAG wurde als Verpflichtungsgeschäft geschlossen und begründet damit die iusta causa. In schuldrechtlicher Hinsicht entsteht eine Forderung, in sachenrechtlicher Hinsicht wird ein Titel (eine causa) geschaffen. Am 15.10. übergibt V in Übereignungsabsicht das Gerät an K. Nun entsteht der modus, die EIGENTUMSÜBERTRAGUNG als Verfügungsgeschäft. Der schuldrechtliche Aspekt ist der, dass die Forderung des K (auf Grund der Preisbezahlung auch die Forderung des V) erlischt. In sachenrechtlicher Hinsicht wird ein Modus des Titels geschaffen (die Übergabe). 7. Verfügungsermächtigung/Erwerb durch andere Personen Dadurch erhält jemand die Befugnis, in eigenem Namen über ein fremdes Recht zu verfügen. Er hat eine potestas alienandi (Veräußerungsbefugnis), zB der Pfandgläubiger beim Pfandverkauf. Römisches Recht Seite 10 von 119 Markus Ertl Hinsichtlich des Erwerbs durch andere Personen unterscheidet man: • Direkte Stellvertretung: Rechtsgeschäftliches Handeln auf fremde Rechnung und in fremden Namen (Rechtsfolgen treten direkt beim Vertretenen ein). • Indirekte Stellvertretung: Rechtsgeschäftliches Handeln auf fremde Rechnung aber in eigenem Namen (Rechtsfolgen treten vorerst beim Stellvertreter ein, es bedarf eines weiteren Aktes zwischen dem Stellvertreter und dem Vertretenen). Das Römische Recht kennt nur die indirekte Stellvertretung, in Ausnahmefällen (zB Vormundschaft) auch die direkte Stellvertretung. 8. Traditio einer res mancipi Res mancipi: • italische Grundstücke • Sklaven • Großvieh • die vier alten Feldservituten Res nec mancipi: • alle übrigen Sachen durch mancipatio durch traditio Bsp.: E ist Eigentümer des Grundstückes. 15.01.161: E verkauft und übergibt das Grundstück an K. E K Eigentümer ---------- ziviler Eigentümer 1 Besitzer prätorischer Eigentümer 15.06.161: Das Grundstück befindet sich noch immer bei K. ziviler Eigentümer Besitzer prätorischer Eigentümer 16.01.163: Das Grundstück befindet sich noch immer bei K. ---------- pleno iure dominus 2 (Eigentümer zu vollem Recht) Obligationenrecht – Besonderer Teil Einleitung und Übersicht Mutuum = Darlehensvertrag Stipulatio = mündlich abgeschlossener Vertrag Locatio conducto rei = Mietvertrag OBLIGATIO = Rechtsverhältnis zwischen zwei (oder mehreren) Personen, auf Grund dessen eine Person der anderen zu einer Leistung verpflichtet ist. 1 E bleibt Eigentümer, da das Grundstück eine res mancipi ist und nur durch mancipatio, nicht durch traditio übergeben werden kann. 2 Durch die usucapio hat K das Grundstück nach drei Jahren ersessen. Römisches Recht Seite 11 von 119 Markus Ertl Obligatio iwS: Beziehung der Rechtssubjekte in ihrer Gesamtheit (zB Mietverhältnis zwischen M und V) Obligatio ieS: die aus der Beziehung entspringende einzelne Berechtigung (Mietzinsforderung des V, Wohnrecht des M) bzw. Verpflichtung (Mietzinsschuld des M, Wohnungsüberlassung des V) Creditor = Gläubiger Debitor = Schuldner nicht ausschließlich auf Geldleistungen bezogen Forderungsrechte sind relative Rechte, sie richten sich nie gegen Dritte; Sachenrechte sind absolute Rechte, richten sich gegen jedermann; daher: Actiones in personam – persönliche Klagen Actiones in rem – dingliche Rechte 1. G gibt dem S am 01.03. 10.000 HS als Darlehen. Als Rückzahlung wird der 01.04. vereinbart. Mutuum = Darlehensvertrag G S Forderungsrecht 2. G fragt am 01.03. den S: „Centum mihi Kal. Apr. dari spondesne?“ (Versprichst du mir die Zahlung von 100 am 01.04). S antwortet: „Spondeo.“ (Ich verspreche es). Stipulatio = förmliches mündliches Leistungsversprechen G S Forderungsrecht 1. und 2. sind sog. einseitig verbindliche Verträge. 3. A übergibt dem B am 01.03. sein Fahrzeug zum unentgeltlichen Gebrauch bis 10.03. Commodatum = Leihvertrag A besitzt gegenüber B das Recht auf Rückgabe. B besitzt evtl. gegenüber A das Recht auf Ersatz der außerordentlichen Aufwendungen. 4. A übergibt am 01.03. dem B eine Sache: B soll sie vereinbarungsgemäß bis 01.04. unentgeltlich verwahren. Depositum = Verwahrungsvertrag A besitzt gegenüber B das Recht auf Rückgabe. B besitzt evtl. gegenüber A das Recht auf Ersatz der außerordentlichen Aufwendungen. 3. und 4. sind sog. unvollkommene („evtl.“) zweiseitige Verträge. 5. A sagt dem B am 01.03. zu, dass er ihm sein Fahrzeug vom 04.03. bis 10.03. zum unentgeltlichen Gebrauch überlassen werde. Pacta nudam = Leihzusage (kein Forderungsrecht) 6. Am 01.03. schließen V und K einen Kaufvertrag über ein Fahrzeug. Übergabe und Preiszahlung sollen am 10.03. erfolgen. Emptio venditio = Kaufvertrag (Konsensualvertrag) V besitzt gegenüber K das Recht auf Preiszahlung. K besitzt gegenüber V das Recht auf Erhalt des Kaufobjektes. 7. C mietet am 01.03. von L eine Wohnung um 150 HS monatlich. Römisches Recht Seite 12 von 119 Markus Ertl Locatio conductio = Mietvertrag C besitzt gegenüber L das Recht auf Gebrauchsüberlassung. L besitzt gegenüber C das Recht auf Mietzinszahlung. 8. L gibt am 01.03. dem C seine Toga zur Reinigung zum Preis von 10 HS. Locatio conductio aperis = Werkvertrag L besitzt gegenüber C das Recht auf Reinigung. C besitzt gegenüber L das Recht auf Preiszahlung. 9. L wird von C als Arbeiter zu einem Monatslohn von 800 HS angestellt. Locatio conductio operarum = Arbeitsvertrag L besitzt gegenüber C das Recht auf Bezahlung. C besitzt gegenüber L das Recht auf Leistung der Arbeit. 6., 7., 8. und 9. sind sog. zweiseitig verpflichtende Verträge (Synallogmatische Verträge) 10. A verreist vom 20.03. – 20.04. Er bittet B, während der Abwesenheit auf das Haus zu schauen und den Mietzins einzuheben. Mandatum = Auftrag A besitzt gegenüber B das Recht auf Durchführung und Abrechnung. B besitzt evtl. gegenüber A das Recht auf Aufwandsentschädigungen. 11. A und B vereinbaren, gemeinsam eine Weinhandlung zu betreiben. Societas = Gesellschaftsvertrag A besitzt gegenüber B das Recht auf Mitwirkung und gemeinsame Abrechnung. Dasselbe Recht besitzt auch B gegenüber A. 12. S stiehlt die Münzensammlung des G. Delikt G besitzt gegenüber S die Pflicht zur Rückgabe und zur Buße. 13. S verletzt bei einer Wirtshausrauferei den Stichus, einen Sklaven des G, tödlich. Delikt G besitzt gegenüber S das Recht auf Schadenersatz. 14. S setzt durch grobe Unvorsichtigkeit die Scheune des G in Brand. Delikt G besitzt gegenüber S das Recht auf Schadenersatz. 13. und 14. betreffen das sog. „lex Aquilia“ (Schadenersatzrecht). Sie sind Fälle der damnum iniuria datum (groben Sachbeschädigung). 15. GH will nur kurz verreisen, wird aber länger aufgehalten. Sein Freund GF kümmert sich aus eigenem Antrieb um das Haus des GH, hebt am 01.04. die fälligen Mietzinse ein und lässt am 03.04. einen Wasserrohrbruch beheben. Negotiorum pestio = Geschäftsführung ohne Auftrag = kein Vertrag oder Delikt = „QuasiKontrakt“ GH besitzt gegenüber GF das Recht zur Abrechnung. Römisches Recht Seite 13 von 119 Markus Ertl GF besitzt evtl. gegenüber GH das Recht auf Aufwandsersatz (nicht Entgelt!) 16. A und B stehen schon seit langem in Geschäftsverbindung. Beide sind der Meinung, dass A dem B noch 10.000 HS schuldig ist; A zahlt diese an B. Später stellt sich heraus, dass die 10.000 HS nicht geschuldet waren. Ungerechtfertigte Bereicherung A besitzt gegenüber B das Recht auf Rückgewähr. 17. In der Wohnung des S wird eine Party gefeiert. In der fröhlichen Stimmung wird ein Sektglas aus dem Fenster geworfen, welches den Passanten G verletzt. Es lässt sich nicht mehr feststellen, wer das Glas geworfen hat. Deiectum vel effusum („Quasi-Delikt“) G besitzt gegenüber S das Recht auf Schadenersatz. Entstehungsgründe der Obligationen Gai.Inst. 3,88: „[...] Einteilung erfolgt in zwei Kategorien: Denn jede obligatio entsteht entweder aus einem Vertrag oder einem Delikt.“ obligationes EX CONTRACTU Willensübereinstimmung obligationes EX DELICTO Unerlaubte Handlung Später wird dies um eine Kategorie erweitert: obligationes EX CONTRACTU obligationes EX DELICTO Willensübereinstimmung Unerlaubte Handlung VARIAE CAUSARUM FIGURAE Verschiedene Verpflichtungsgründe Die Justinianischen Institutionen führen zudem eine weitere Einteilung der variae causarum figurae in obligationes QUASI EX CONTRACTU (Quasikontrakte) und in obligationes QUASI EX DELICTU (Quasidelikte) ein. Quasikontrakte sind vertragsähnliche Tatbestände (es fehlt an der Willenserklärung). Bei Quasidelikten trifft die Haftung Unschuldige (zB Haftung des Wohnungsinhabers für Sachen, die aus der Wohnung hinausgeworfen werden). Das ABGB verwendet eine Dreiteilung der Entstehungsgründe. § 859 ABGB: „Die persönlichen Sachenrechte [Forderungsrechte, Anm.], vermöge welcher eine Person einer anderen zu einer Leistung gebunden ist, gründen sich unmittelbar auf ein Gesetz; oder auf ein Rechtsgeschäft, oder auf eine erlittene Beschädigung.“ Arten der Kontrakte Nach der Art, wie ein Vertrag zustande kommt, unterscheidet Gaius: Realkontrakte Verbalkontrakte Litteralkontrakte Hingabe einer SaEinhaltung des Schriftlicher Akt che Wortrituals Bloße Willensübereinstimmung ist hier nicht ausreichend • • MUTUUM (Darlehen) DEPOSITUM STIPULATION (mündliches Leistungsversprechen): EXPENSILATIO (Lastschrift im Hausbuch des Gläubigers, wodurch Konsensualkontrakte Bloße Willensübereinstimmung, egal in welcher Form (consensus) • • EMPTIO VENDITIO (Kaufvertrag) LOCATIO CON- Römisches Recht Seite 14 von 119 • • • (unentgeltliche Verwahrung) COMMODATUM (Leihvertrag, unentgeltlich) PIGNUS (Hingabe einer Sache zum Pfand) FIDUCIA (TreuhandÜbereignung) Markus Ertl „Spondesne mihi centum dari?“ (Versprichst du mir die Leistung von 100?) – „ Spondeo.“ (Ich verspreche es). eine fiktive Darlehenszahlung an den Schuldner verbucht wird). Jede mögliche Leistung kann zum Gegenstand eines Vertrages gemacht werden. • • DUCTIO (Pacht-, Miet-, Werk-, Dienstvertrag) MANDATUM (Auftrag) SOCIETAS (Gesellschaftsvertrag) Der Typenzwang im römischen Vertragsrecht Typische Verträge sind im Gesetzt selbst geregelte Verträge. Im Römischen Recht gab es nach ius civile nur eine beschränkte Anzahl von typischen Verträgen. Atypische Verträge sind solche, die nicht einem im Gesetz geregelten Vertragstypus entsprechen. Gemischte Verträge sind solche, welche aus wesentlichen Elementen mehrerer anerkannter Verträge zusammengesetzt sind. Typenzwang herrscht im Römischen Recht vor. Nur die typischen Verträge sind verpflichtend und rechtlich durchsetzbar. Im Modernen Recht herrscht Typenfreiheit. Als CONTRACTUS werden nur solche Vereinbarungen bezeichnet, die einem vom ius civile anerkannten Vertragstypus entsprechen und zu deren Durchsetzung eine Klage nach ius civile zur Verfügung steht. Dazu zählen ausschließlich obgenannte Verträge. Vereinbarungen, die keinem anerkannten Vertragstypus entsprechen, werden als pacta nuda bezeichnet. Die Anzahl der klagbaren Verträge unterliegt somit einem numerus clausus (der Typenzwang ist jedoch durch die Möglichkeit der Stipulation stark entschärft). Der Typenzwang wurde weiters gelockert durch die • Innominatrealkontrakte (außerhalb des Kontrakteschemas stehende Austauschverträge, bei denen eine Partei ihre Leistung als Vorleistung erbringt). Der Prätor gewährte actiones in factum (Erbringung einer Gegenleistung, zB Tausch). • Pacta praetoria und pacta legitima (formfreie Verträge, die nach prätorischem Recht bzw. nach Kaiserreicht klagbar sind). Der Typenzwang setzt sich nur langsam ab. Im Mittelalter waren die Glossatoren und Kommentatoren (Ausbau der Lehre von den pacta) und die Kanonistik (Kirchenrecht) darum bemüht. Endgültig verwirklicht wurde die Typenfreiheit unter dem Einfluss des Naturrechtes (pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten). Kaufvertrag: Abschluss, Gegenstände, Kauf und Eigentumsübertragung 1. Abwicklung von Kaufverträgen Barkauf des täglichen Lebens V und K schließen am 01.10. einen Kaufvertrag über ein Gerät. V übergibt sofort das Gerät an K, K zahlt sofort den Preis. Kaufvertrag mit gestreckter Abwicklung V und K schließen am 01.10. einen Kaufvertrag über ein Gerät. Preiszahlung und Übergabe sollen am 15.10. erfolgen. Römisches Recht Seite 15 von 119 Markus Ertl In beiden Fällen erfolgt die Abwicklung „Zug um Zug“ („funktionelles Synallagma“). Durch Parteienvereinbarung kann davon abgewichen werden, sodass eine Partei vorleistungspflichtig wird: Pränumerationskauf Hier leistet der Käufer durch die Übergabe des Kaufobjektes vor. Kreditkauf Hier leistet der Verkäufer durch die Preiszahlung vor. 2. Emptio venditio Diese (Kaufvertrag) ist ein vollkommen zweiseitiger (synallagmatischer) Konsensualvertrag. Sie zählt zu den bona-fides-Verhältnissen („was auch immer der Beklagte dem Kläger nach Treu und Glauben zu leisten verpflichtet ist“). Als Klage zur Durchsetzung der Forderungen steht dem Verkäufer die actio venditi (Kaufpreisforderung), dem Käufer die actio empti (Forderung auf Leistung des Kaufobjektes) zur Verfügung. Der Kaufvertrag kommt durch bloße Willensübereinstimmung über Ware und Preis (die essentiala negotii) zustande. Meist werden weitere Punkte (accidentalia negotii) vereinbart. Werden weitere Punkte von den Parteien nicht geregelt, greift dafür der Maßstab der bona fides ein. Jedes Vermögensobjekt kann zum Gegenstand eines Kaufvertrages gemacht werden: Kauf von körperlichen Sachen zB Sklavenkauf, Grundstückskauf etc. Kauf von unkörperlichen Sachen (Rechten) zB Kauf einer Forderung (G1 verkauft eine ihm gegen S zustehende Forderung an G2. Durch den Kauf (Kausalgeschäft) wird G2 nicht Gläubiger. Dazu bedarf es einer Novation oder eines Abtretungsgeschäftes (Zession). Hinsichtlich des Leistungsobjektes wird unterschieden: • • • • species-Kauf (Stückkauf): Das Kaufobjekt ist individuell bestimmt (zB der Sklave S). genus-Kauf (Gattungskauf): Das Kaufobjekt wird nach Gattungsmerkmalen bestimmt (zB 100 Scheffel Weizen). beschränkter Gattungskauf (Vorratskauf – zB 100 Flaschen Wein aus dem Keller des Longus): Hier bedarf es einer Individualisierung, aus der Gattung müssen die Stücke für die Leistung bestimmt werden (Umwandlung in species-Schuld). Wichtig für den Gefahrenübergang! Kauf als obligatio alternativa: Hier hat idR der Verkäufer ein Wahlrecht (zB Kauf des Sklaven S oder V) Ist die Existenz des Kaufobjektes noch ungewiss, wird unterschieden: emptio rei speratae (Kauf einer erhofften Sache) zB Kauf des ungeborenen Sklavenkindes Der Kauf ist bedingt abgeschlossen, die Wirksamkeit hängt von der Existenz des Kaufobjektes ab (Entsteht das Objekt, ist der Vertrag ex tunc – ab Vertragsabschluss – wirksam, entsteht es nicht, liegt kein Vertrag vor). emptio spei (Hoffnungskauf) zB Kauf des Ertrages eines Fischzuges Der Kauf ist unbedingt abgeschlossen, Kaufobjekt ist hier die Chance. Der Preis ist in jedem Fall zu bezahlen (Aleatorischer Vertrag = Glücksvertrag) Römisches Recht Seite 16 von 119 Markus Ertl 3. Der Kaufpreis Der Kaufpreis (pretium) muss in Geld bestehen und soll sein: 1. Ein pretium verum, dh eine wirkliche Gegenleistung, nicht bloß ein Scheinpreis. 2. Ein pretium certum, dh er muss bestimmt oder bestimmbar sein Die Lehre vom pretium iustum („gerechter Preis“) ist in der Klassik noch nicht verwirklicht! Das klassische Recht überlässt die Preisbildung dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage. Erst die Nachklassik bringt Eingriffe zugunsten der wirtschaftlich schwächeren Partei: 1. Höchstpreisedikt von Diokletian (eher wirkungslos) 2. Von Diokletian eingeführte LAESIO ENORMIS (Verkürzung über die Hälfte), damals nur zugunsten des Verkäufers. Dieser kann vom Vertrag zurücktreten, wenn der vereinbarte Kaufpreis weniger als die Hälfte des wahren Wertes ausmacht. Durch Differenzzahlung kann dies der Käufer abwehren (zB: Hat V an K eine Sache im Wert von 1.000 um 499 verkauft, besteht ein Rücktrittsrecht des V, eine laesio enormis liegt vor. K kann dies verhindern, indem er 501 nachzahlt. Verkauft er die Sache um 500, liegt keine laesio enormis vor). Vgl. § 934 ABGB: „Hat bei zweiseitig verbindlichen Geschäften ein Teil nicht einmal die Hälfte dessen, was er dem anderen gegeben hat, von diesem an dem gemeinen Werte erhalten; so räumt das Gesetz dem verletzten Teil das Recht ein, die Aufhebung und Herstellung in den vorigen Stand zu fordern. Dem anderen Teile steht aber bevor, das Geschäft dadurch aufrecht zu erhalten, dass er den Abgang bis zum gemeinten Werte zu ersetzen bereit ist. Das Missverhältnis des Wertes wird nach dem Zeitpunkte des geschlossenen Geschäftes bestimmt.“ 4. Pflichten aus dem Kaufvertrag Der Käufer ist zur Preiszahlung verpflichtet. Er muss dem Verkäufer das Eigentum am Kaufgeld verschaffen. Der bona fides Maßstab besagt, dass ab der Übergabe Zinsen zu zahlen sind. Zur Durchsetzung steht dem Verkäufer die actio venditi zu Gebote. Der Verkäufer hat mehrere Pflichten: 1. Übergabe der Sache: Im Römischen Recht schuldet der Verkäufer allerdings nicht (!!!) die Verschaffung des Eigentums, sondern nur die Verschaffung des ungestörten Besitzes. Hier steht das Eigentumsverschaffungsprinzip des modernen Rechts dem Eviktionsprinzip des Römischen Rechts entgegen. Zur Durchsetzung der Leistungspflicht steht dem Käufer die actio empti zu Gebote. 2. Gewährleistungspflicht = Einstehen für Sachmängel (bedungene oder vorausgesetzte Eigenschaften werden nicht aufgewiesen) und Rechtsmängel (Sache steht im Eigentum eines Dritten oder ist mit einem Recht dessen – zB usus fructus – belastet). Die Gewährleistung ist von Verschulden unabhängig, der Verkäufer hat auch dann für die Mängel einzustehen, wenn er davon nichts wusste. Diese Pflicht war ursprünglich nicht aus dem Kaufvertrag selbst abgeleitet, sonder stützte sich auf Rechtsinstitute Römisches Recht Seite 17 von 119 Markus Ertl daneben (mancipatio, Garantiestipulation). Später erfolgte der Einbau in die actio empti. 3. Nebenpflichten können sich aus dem Kaufvertrag oder aus dem Maßstab der bona fides ergeben. Der Käufer hat die Möglichkeit der actio empti. 4. Haftung für die custodia bis zur Übergabe (insb. auf Diebstahl Schadenersatz) Beispiele: 1. V und K schließen am 01.10. einen Kaufvertrag über ein Gerät. Dieses wird sofort übergeben, der Preis sofort bezahlt. Es entstehen ein Verpflichtungsgeschäft (Kaufvertrag) und ein Verfügungsgeschäft (Eigentumsübertragung). 2. V und K schließen am 01.10. einen Kaufvertrag über ein Gerät. Die Übergabe des Gerätes und die Preiszahlung sollen am 15.10. erfolgen. Es entsteht ein Verpflichtungsgeschäft. K hat ein Forderungsrecht gegenüber V. Der schuldrechtliche Aspekt ist die Forderung des K, der sachenrechtliche Aspekt ist die Schaffung eines Titels (einer causa) des Eigentumserwerbes. Am 15.10. übergibt V das Gerät an K und dieser bezahlt den Preis. Es entsteht ein Verfügungsgeschäft, die Eigentumsübertragung. Der schuldrechtliche Aspekt ist die Erfüllung und damit das Erlöschen der Forderung, der sachenrechtliche Aspekt ist die Schaffung des Eigentumserwerbes (des modus). 5. Kauf und Eigentumsübertragung Der Verkäufer ist verpflichtet dem Käufer ungestörten Besitz am Kaufobjekt zu verschaffen. Es besteht jedoch keine Pflicht zur Eigentumsverschaffung! 1. V kann das Eigentum nur an K übertragen, wenn er selbst Eigentümer ist – „nemo plus iuris ad alium transferre potest quam ipse haberet“ (niemand kann mehr an Recht übertragen, als er selbst hat). 2. Der Kaufvertrag ist nur ein Verpflichtungsgeschäft, dadurch wird eine causa geschaffen, die aber noch nicht den Eigentumsübergang herbeiführt. Zur Übertragung des Eigentums bedarf es noch eines weiteren sachenrechtlichen Verfügungsgeschäftes: • • bei res nec mancipi: TRADITIO (Übergabe) oder IN IURE CESSIO (Abtretung vor Gericht) • • bei res mancipi: MANCIPTATIO (Übereignung) oder IN IURE CESSIO (werden res mancipi bloß tradiert, wird K nicht ziviler, sondern prätorischer Eigentümer 3. Abhängigkeit oder Unabhängigkeit des Eigentumsüberganges von der Bezahlung des Kaufpreises: Dies ist von praktischer Bedeutung, wenn zum Zeitpunkt der traditio der Preis noch nicht (vollständig) entrichtet ist. Im Römischen Recht herrschte folgende Entwicklung: • • XII-Tafeln: Der Eigentumsübergang war von der Preiszahlung abhängig, doch stand der Zahlung eine Sicherstellung (Bürge oder Pfand) gleich. Klassik: Gaius erwähnt die Zahlung nicht als Erfordernis, andere Juristen erwähnen sie, stellen ihr aber die Kreditierung des Kaufpreises gleich, also geht auch Römisches Recht Seite 18 von 119 • Markus Ertl beim sog. Kreditkauf das Eigentum sofort über (vgl. § 1063 ABGB – heute wird in der Praxis zumeist ein Eigentumsvorbehalt durchgeführt). Justinian: Dieser betont die Abhängigkeit von der Preiszahlung, lässt jedoch auch beim Kreditkauf das Eigentum sofort übergehen. Der Eigentumsvorbehalt (pactum reservati dominii) des modernen Rechts V und K schließen einen Kaufvertrag über ein Gerät. Vom vereinbarten Preis von 12.000 HS zahlt K sofort 2.000 HS; der Rest soll bis längstens 01.05. bezahlt werden, das Gerät wird sofort übergeben: kein Eigentumsvorbehalt Variante Eigentumsvorbehalt Fall 1: K zahlt am 30.04. den Restpreis von 10.000 HS ------------------------------------------------ K erlangt das Eigentum Fall 2: K zahlt bis zum 01.05. und auch in der Folge nicht den Restpreis V kann eine actio venditi einleiten und auf Zahlung bestehen 1. V kann entweder eine actio venditi einleiten oder 2. eine Rückabwicklung durchführen (mittels einer rei vindicatio = Eigentumsklage) Fall 3: K ist am 20.04. in Konkurs gegangen. Die Konkursquote beträgt 20 % V erhält – wie alle übrigen Gläubiger – 20 %, daher 2.000 HS Durch Aussonderung aus der Konkursmasse erhält V das Objekt zurück Römisches Recht Seite 19 von 119 AG 02 Sachenrecht Grundbegriffe des Sachenrechts 1. Überblick Im • • • • römischen Sachenrecht werden behandelt: Die Arten und Einteilungen der Sachen Der Besitz (faktische Sachherrschaft, verbunden mit Herrschaftswillen) Das Eigentum (umfassendes Herrschaftsrecht an einer Sache) Die sog. beschränkten dinglichen Rechte, nämlich Servituten (Dienstbarkeiten, zB Wegerecht) Erbpacht Baurecht iura in re aliena Pfandrecht (Rechte an fremder Sache) • Das Miteigentum Die dinglichen Rechte gewähren eine volle oder beschränkte Sachherrschaft und wirken gegenüber jedermann (erga omnes), sind also absolute Rechte. Dem Schutz der dinglichen Rechte dienen actiones in rem. Im römischen Sachenrecht herrscht Typenzwang, dh es gibt nur eine beschränkte Anzahl an dinglichen Rechten. 2. Arten und Einteilung der Sachen res corporales körperliche Sachen res incorporales unkörperliche Sachen, zB Rechte res in commercio verkehrsfähige Sachen res extra commercium nicht verkehrsfähige Sachen Sachen, die dem privaten Rechtsverkehr zugänglich sind Sachen, die dem privaten Rechtsverkehr entzogen sind (zB Luft) res humani iuris Sachen menschlichen Rechts res privatae res publicae in publico usu in pecunia populi Finanzvermögen, Sachen im Gekein Gemeinmeingebrauch gebrauch res mancipi wichtige Wirtschaftsgüter: italische Grundstücke Sklaven Großvieh die vier alten Feldservituten werden nach ius civile nur in Form der mancipatio oder der in iure cessio übereignet res divini iuris Sachen göttlichen Rechts res sacrae res religiosae res sanctae Tempel belegte Gräber Stadtmauern res nec mancipi alle übrigen Sachen werden durch bloße traditio (formlose Übergabe) übereignet. Römisches Recht Seite 20 von 119 Markus Ertl Bewegliche Sachen Unbewegliche Sachen Diese Einteilung spielt eine Rolle: bei der Ersitzung: Die Frist für die usucapio beträgt bei beweglichen Sachen ein Jahr, bei unbeweglichen Sachen zwei Jahre beim Besitzschutz: Es gibt verschiedene Interdikte für bewegliche und unbewegliche Sachen. Unverbrauchbare Sachen Verbrauchbare Sachen alle übrigen Sachen Sachen, deren bestimmungsgemäßer Gebrauch im Verbrauch oder in der Veräußerung besteht Unvertretbare Sachen Vertretbare Sachen Sachen, bei denen es im Rechtsverkehr nur auf die Sachen, bei denen es im Rechtsverkehr auf das indiGattungszugehörigkeit (genus) ankommt und die viduell bestimmt Stück (species) ankommt (zB der häufig nach Maß, Zahl und Gewicht bestimmt werden Sklave Titius) Werden vertretbare Sachen zum Gegenstand eines Rückgaberechtes (Verwahrung, Verpfändung etc.) gemacht, erwirbt der Empfänger Eigentum an diesen Sachen; es tritt ihn die Verpflichtung, Sachen gleicher Menge und Qualität (tantundem eiusdem generis et qualitatis) zurückzugeben. 3. Eigentum und Besitz Eigentum (dominum, proprietas, meum esse [= nach ius civile mir gehören]) ist das umfassendste Herrschaftsrecht an einer Sache, während unter Besitz (possesio) die faktische Sachherrschaft verstanden wird. „Nemo plus iuris ad alium transferre potest, quam ipse haberet.“ – „Niemand kann mehr an Recht auf einen anderen übertragen als er selbst hat.“ Eigentümer (dominus) ist also derjenige, dem die Sache gehört (dh dem sich rechtlich zur vollen Herrschaft zugewiesen ist); Besitzer (possessor) ist derjenige, der die Sachherrschaft faktisch ausübt, und zwar mit dem Willen, die Sache als die seinige zu behalten, was auf zwei Elementen, nämlich corpus (körperliches Naheverhältnis zur Sache) und animus (Besitzwille, Herrschaftswille, animus possidendi) beruht. 4. Besitz und Innehabung (Detention) Als Besitzer (possessor) wird jemand bezeichnet, der neben der Sachherrschaft (corpus) auch den sog. Besitzwillen hat und die Sachherrschaft für sich ausübt (animus possidendi). Ein solcher Wille fehlt zB den Entlehnenden, den Verwahrern, den Mietern oder Pächtern. Sie haben zwar die Sache bei sich und somit das corpus, es fehlt ihnen aber der animus rem sibi habendi (Eigenbesitzwille). Sie sind nur Inhaber (Detentoren). § 309 ABGB: „Wer eine Sache in seiner Macht oder Gewahrsame hat [corpus], heißt ihr Inhaber. Hat der Inhaber einer Sachen den Willen, sie als die seinige zu behalten [animus], so ist er ihr Besitzer.“ Unmittelbarer und mittelbarer Besitz Übt jemand den Beisitz selbst aus, sprechen wir von unmittelbarem Besitz. Der Besitz kann auch durch einen „Besitzmittler“ ausgeübt werden: Auf Grund eines bestehenden Rechtsverhältnisses (zB Verwahrung, Leihe, Pacht etc.) ergibt sich, dass diese Personen die Oberherrschaft des Partner anerkennen und ihm dadurch den Besitz vermitteln. In diesem Fall sprechen wir von mittelbaren Besitz. Römisches Recht Seite 21 von 119 Markus Ertl 5. Possessorium und Petitorium Possessorische Verfahren dienen dem Schutz des Besitzes gegen Störung und Entziehung; im Römischen Recht ist dafür eine besondere Verfahrensart, das sog. Interdiktenverfahren entwickelt worden. In einem possessorischen Verfahren geht es um eine Regelung des Besitzes. Wer eine Sache fehlerfrei besitzt, ist im Interesse des Rechtsfriedens gegen Beeinträchtigungen seiner possessio geschützt. Das Recht an der Sache (Recht am Besitz) wird in einem solchen Verfahren nicht erörtert. Es kann also dazu kommen, dass im possessorischen Verfahren der wahre Eigentümer der Sache gegenüber dem Besitzer unterliegt; dies ist zB der Fall, wenn der Eigentümer dem fehlerfreien Besitzer die Sache heimlich oder gewaltsam entzogen, also unerlaubte Eigenmacht ausgeübt hat. Will er die Sache erlangen, muss er im Anschluss an das posessorische Verfahren ein petitorisches Verfahren anstrengen. Die Besitzschutzinterdikte haben zwei Funktionen: Schutz des ruhigen Besitzes im Interesse der Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens. Vorbereitung des Eigentumsstreites durch eine adäquate Verteilung der Parteirollen. In den petitorischen Verfahren geht es nicht um den Besitz als solchen, sondern um das Recht zum Besitz. Besitz 1. Die Funktionen des Besitzes Ein Eigentümer kann mit der Eigentumsklage (rei vindicatio) seine Sache herausverlangen; mit der Eigentumsfreiheitsklage (actio negatoria) sich gegen Beeinträchtigungen zur Wehr setzen. Dem Besitz kommen auch Funktionen zu: Schutzfunktion (possessio ad interdicta) Erwerbsfunktion (possessio civilis) possessio naturalis (wo die anderen beiden nicht greifen) Schutzfunktion Der Besitz wird im possessorischen Verfahren geschützt. Wer eine Sache fehlerfrei besitzt, ist gegen Beeinträchtigungen (Störung, Entziehung) seiner possessio geschützt. Dieser Schutz kommt auch dem Unberechtigten zugute. Der Zweck des Besitzschutzes ist die Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens und die Bekämpfung unerlaubter Eigenmacht. Der Besitz ist auch für die Verteilung der Parteirollen im Eigentumsverfahren (petitorisches Verfahren) von Bedeutung: Der Kläger (Eigentümer) behauptet Eigentümer zu sein, besitzt die Sache aber nicht und geht mit der rei vindicatio (Eigentumsklage) gegen den Besitzer vor. Ungünstig ist hier die Rolle des Klägers, da er sein Recht nachweisen muss. Der durch prätorische Interdikte geschützte Besitz heißt possessio ad interdicta. Zu den geschützten Interdiktenbesitzern zählen: alle Eigentümer (animus rem s i b i habendi) Eigentümer, der selbst in Besitz der Sache ist besitzende Nichteigentümer bonae fidei possessor malae fidei possessor die vier sog. Fremdbesitzer (animus rem a l t e r i habendi) Pfandgläubiger Erbpächter Prekarist (auf Grund einer Bittleihe) Sequester (Verwahrer einer streitigen Sache für die Dauer des Prozesses Römisches Recht Seite 22 von 119 Markus Ertl Erwerbsfunktion Der auf einer iusta causa (anerkannter Erwerbsgrund, Titel) gestützte Besitz ist geeignet, einen Eigentumserwerb durch traditio (Übergabe) oder durch usucapio (Ersitzung) herbeizuführen. Ein solcher Besitz wird von Juristen als possessio ex iusta causa oder possessio civilis bezeichnet. Die traditio führt den Erwerb des Besitzes zum Erwerb des Eigentums über, wenn ihr eine iusta causa traditionis zugrunde liegt (Kauf, Tausch, Schenkung, Darlehensgewährung, Mitgiftbestellung, Zweckzuwendung oder auch als selbstständige causa die solutio, die Zahlung also die Leistung zur Schulderfüllung). Die usucapio ist Eigentumserwerb durch fortgesetzte qualifizierte Besitzausübung. Eine der Ersitzungsvoraussetzungen ist auch der Titel (Kauf etc.). Possessio naturalis Jene Position, die weder als possessio civilis gilt noch mit Besitzschutzfunktion ausgestattet ist, wird possessio naturalis bezeichnet (Detention, Innehabung). Wir unterscheiden: bonae fidei possessio gutgläubiger (ABGB: redlicher) Besitzer wer sich aus entschuldbarem Irrtum für den Eigentümer hält malae fidei possessio schlechtgläubiger (ABGB: unredlicher) Besitzer wer weiß, dass die Sache einem anderen gehört Nur ein gutgläubiger Besitzer kann durch Ersitzung Eigentum erlangen; allerdings begnügt sich das Römische Recht mit Gutgläubigkeit im Erwerbszeitpunkt. Nach der Art der Besitzbegründung unterscheiden die Römer: possessio non vitiosa fehlerfreier (ABGB: echter) Besitz possessio vitiosa fehlerhafter (ABGB: unechter) Besitz wer den Besitz nicht vi, clam oder precario erworben hat wer den Besitz vi, clam oder precario erworben hat Der Ausdruck „vi“ meint „gewaltsam“, „clam“ meint „heimlich“ und „precario“ meint durch eine Bittleihe. Diese Einteilung ist wichtig im Interdiktenverfahren: Es obsiegt grundsätzlich der fehlerfreie Besitzer. Die Fehlerhaftigkeit des Besitzers wird im Besitzschutzverfahren nur im Verhältnis zum jeweiligen Gegner, also nur relativ, beurteilt. Stiehlt zB B dem A eine Sache und C stiehlt dann die Sache bei B erfolgt im Besitzstreit B gegen C nur die Ermittlung des fehlerhaften Besitzers C, daher obsiegt B. 2. Erwerb des Besitzes Der Besitzerwerb erfolgt grundsätzlich corpore et animo, dh durch die Herstellung der tatsächlichen Gewalt über die Sache und die Betätigung des Besitzwillens durch den Erwerber. Römisches Recht Seite 23 von 119 Markus Ertl Zur Kasuistik des derivativen Erwerbs: Erwerb corpore et animo Übergabe von Hand zu Hand Übergabeakt durch Vorbesitzer und Erwerber Fälle mit „verdünntem“ corpus wenn die Sache im Haus des Übernehmers abgegeben wird; wenn sich Übergeber und Übernehmer in Gegenwart der Sache einigen; wenn eine bewegliche Sache vom Übergeber vor dem Übernehmer hingelegt wird; wenn Schlüssel zu einem Speicher übergeben werden etc. Besitzerwerb „solo animo“ bloße Willensbetätigung traditio brevi manu (Übergabe kurzer Hand, su) constitutium possessorium (Besitzkonstitut, su) Bei der traditio brevi manu (Übergabe kurzer Hand) ist B zunächst Detentor. Dann kauft er von A die Sache und bildet im Einvernehmen mit A einen Eigenbesitzwillen. Er wird durch bloße Willensbetätigung vom Detentor zum Besitzer; gleichzeitig verliert A seinen bisherigen mittelbaren Besitz. Beim constitutium possessorium verkauft A die Sache an B, behält sie aber als Entlehner oder Mieter weiter bei sich. A wird vom Besitzer zum Detentor. Gleichzeitig erwirbt B den Besitz. 3. Fortdauer des Besitzes Die beiden Elemente des Besitzes, corpus und animus, müssen vor allem bei Erwerb des Besitzes in Form eines Bemächtigungsaktes zutage treten. Der Besitz bleibt grundsätzlich so lange aufrecht, bis eines der beiden Elemente oder beide wegfallen. Die Juristen sind bestrebt, die possessio möglichst lang als fortbestehend anzunehmen. So entwickelten sich Fälle, in der trotz Wegfall des körperlichen Naheverhältnisses die possessio fortbesteht (Aufrechterhaltung des Besitzes „solo animo“): An Sommerweiden bleibt die possessio auch während des Winters, an Winterweiden auch während des Sommers erhalten. Der Besitz am servus fugitivus (entlaufener Sklave) bleibt aufrecht. Trotz Tod, Wegziehen oder Geisteskrankheit von Mittelspersonen bleibt die possessio an den ursprünglich mittelbar besessenen Sachen aufrecht. Ein heimliches Eindringen in ein fremdes Grundstück beendet die possessio des bisherigen Besitzers noch nicht; erst die erfolglose oder die unterlassene Vertreibung. 4. Verlust des Besitzes Da der Besitz auf den beiden Elementen corpus und animus beruht, führt grundsätzlich der Wegfall eines der beiden Elemente bereits zum Besitzverlust. Es finden sich aber in der reichen Kasuistik Entwicklungslinien zu einem Fortbestand der possessio trotz Wegfall des corpus. Der Besitzverlust kann erfolgen corpore et animo zB Übertragung oder bewusstes Wegwerfen nur animo nur corpore kaum von Bedeutung zB Verlust oder Diebstahl freiwilliger Besitzverlust unfreiwilliger Besitzverlust Römisches Recht Seite 24 von 119 Markus Ertl Eigentum: Wesen und Arten 1. Zur historischen Entwicklung des Eigentums Vorerst herrschte ein einheitliches Herrschaftsrecht des pater familias an Personen und Sachen. Später wurde differenziert in manus, die Gewalt über die Ehegattin; potestas, die Gewalt über Kinder und Sklaven; Herrschaftsrechte an Sachen mit vollem Herrschaftsrecht, also Eigentum, und funktionalen Abspaltungen des Vollrechtes, also beschränkten dinglichen Rechten (zB usus fructus – Feldservitut) Das Eigentum kann entwicklungsgeschichtlich in zwei Konzeptionen unterschieden werden: Relatives Eigentum beruht auf dem Gedanken, dass nur eine gegenüber dem jeweiligen Prozessgegner bessere Position vorliegt. Im Prozess werden Eigentumsbehauptungen vom Kläger und Beklagten aufgestellt; es geht um die Frage, welche der Parteien die bessere Position an der Sache hat. Absolutes Eigentum beruht auf dem Gedanken, dass eine gegenüber jedermann rechtlich geschützte Herrschaftsposition vorliegt. Im Prozesse (rei vindicatio) wird nur eine Eigentumsbehauptung, und zwar nur vom Kläger aufgestellt; es geht um die Frage, ob der Kläger Eigentümer ist oder nicht. 2. Arten und Einteilungen des Eigentums Nach den Trägern bzw. erfassten Sachen lassen sich unterscheiden: römisches Eigentum nach ius civile eigentumsähnliches Nutzungsrecht am Provinzialboden Träger: römische Bürger Sachen: bewegliche Sachen, italische Grundstücke Träger: römische Bürger und Peregrinen Sachen: Provinzialgrundstücke Schutz durch rei vindicatio „Eigentum“ der Peregrinen Schutz durch nachgebildete Klagen Nach der Rechtsgrundlage lassen sich unterscheiden: Ziviles Eigentum Eigentum, das auf dem ius civile beruht Prätorisches Eigentum Bonitarisches Eigentum, das eine vom Prätor gegenüber jedermann – auch den zivilen Eigentümer – geschützte Rechtsposition an der Sache verleiht Fallen ziviles und prätorisches Eigentum zusammen, spricht man von dominium pleno iure (Eigentum zu vollem Recht). Markus Ertl Römisches Recht Seite 25 von 119 Eigentumsschutz und Besitzschutz 1. Übersicht Petitorischer Schutz Der Schutz erfolgt durch Klagen (actiones in rem). Prozessgegenstand ist das Recht an der Sache. Die rei vindicatio ist die Klage des nicht besitzenden zivilen Eigentümers auf Herausgabe seiner Sache. Die actio publiciana schützt den Ersitzungsbesitzer nach Verlust des Besitzes (wodurch seine Ersitzung unterbrochen worden ist) und enthält in ihrer Formel die Fiktion, dass die Ersitzungsfrist schon abgelaufen sei. Bedienen kann sich ihrer: Derjenige, der gutgläubig eine Sache vom Nichteigentümer erworben hat gegen jeden Dritten, nicht aber gegenüber den zivilen Eigentümer, da diesem eine exceptio iusti dominii gewährt wird. Der prätorische Eigentümer: Er dringt gegen jedermann, auch gegen den zivilen Eigentümer durch. Auch der zivile Eigentümer selbst, der befürchtet, bei einer rei vindicatio sein Eigentum nicht nachweisen zu können. Die actio negatoria ist die Eigentumsfreiheitsklage. Possessorischer Schutz Der Besitz wird vom Prätor in einem besonderen Verfahren, nämlich durch Interdikte geschützt. Interdikte sind: Das interdictum uti possidetis (für unbewegliche Sachen): Geschützt wird der letzte fehlerfreie Besitzer. das interdictum utrubi (für bewegliche Sachen): Geschützt wird derjenige, der im Jahr vor der Interdiktserlassung länger fehlerfrei besessen hat. 2. Rei vindicatio Die Verurteilung des Beklagten setzt nach dem Formelwortlaut der rei vindicatio voraus: Den Nachweis des zivilen Eigentums des Klägers. Die Nichtrestitution der Sache während des Prozesses. Grundsätzlich trägt der Kläger die Beweislast für sein Eigentum. Der Eigentumsbeweis ist aber schwer, wenn der Kläger sich auf derivativen Erwerb stützt. Zum Nachweis seines Eigentums muss er das Eigentum des Vormannes und ggf. weiterer Vormänner nachweisen. Kommt es zur Verurteilung, weil das Eigentum des Klägers nachgewiesen ist und der Beklagte nicht restituiert hat, lautet die Verurteilung auf Geld. Der unterlegene Beklagte wird durch die condemnatio zur Zahlung einer Schätzsumme verpflichtet. Mit der Zahlung erhält er an res mancipi prätorisches, an res nec mancipi ziviles Eigentum. Römisches Recht Seite 26 von 119 Markus Ertl 3. Ablauf eines Eigentumsprozesses Verfahren in iure Der A.A. behauptet, Eigentümer der im Besitz des N.N. befindlichen Sache zu sein. Der N.N. bestreitet das Eigentum des Klägers. Der Prätor gewährt dem A.A. die von diesem beantragte rei vindicatio. Es kommt zur litis contestatio. Verfahren apud iudicem Der iudex kommt zur Auffassung, dass die Eigentumsbehauptung des A.A. wahr ist sich aus den Beweisen nicht klären lässt unwahr ist Somit ist für den iudex das Eigentum des A.A. erwiesen und der iudex stellt fest: nicht erwiesen PRONUNTIATIO (das der Kläger Eigentümer ist) + IUSSUM DE RESTITUENDO (gibt dem Beklagten die Möglichkeit, die Sacher herauszugeben – kein Urteil) N.N gibt die Sacher heraus N.N. gibt die Sache nicht heraus Es kommt zur Schätzung der Sache ABSOLUTIO CONDEMNATIO ABSOLUTIO 4. Actio publiciana Die dazugehörige Klagsformel enthält die Fiktion, dass die Ersitzungszeit schon abgelaufen sei: Der Richter soll also den Kläger gegenüber dem Beklagten so behandeln, als ob er schon ziviler Eigentümer sei. Die actio publiciana dient: Dem Schutz des Ersitzungsbesitzers, der vom Nichteigentümer gutgläubig erworben hat (womit er in eine Ersitzungslage gekommen ist und gegenüber jedermann durchdringt, der eine relativ schlechtere Position hat, mit Ausnahme des Eigentümers, dem eine exceptio iusti dominii gewährt wird). Dem Schutz des prätorischen Eigentümers, der sich in einer laufenden Ersitzung befindet (dieser dringt gegenüber jedermann, auch gegen den zivilen Eigentümer durch). Dem zivilen Eigentümer, der sich ihrer bedienen kann, um die Schwierigkeiten bei der rei vindicatio zu umgehen. 5. Der Besitzschutz Der Besitzschutz wird durch prätorische Interdikte gewährleistet. Dies sind Anordnungen des Prätors, die als Gebote oder Verbote formuliert werden. Es lassen sich unterscheiden: Römisches Recht Seite 27 von 119 Markus Ertl Nach dem Wortlaut: interdicta prohibitoria Hier spricht der Prätor ein Verbot aus, zB das Verbot weiterer Gewaltanwendung. interdicta restitutoria Hier ordnet der Prätor die Herausgabe einer Sache an den Kläger an. interdicta exhibitoria Hier ordnet der Prätor die Vorweisung einer Sache an. Nach der Anordnung: interdicta simplicia Die Anordnung ist nur an den Prozessgegner des Klägers gerichtet. interdicta duplicia Die Anordnung ist an beide Parteien gerichtet, es kann dazu kommen, dass der Kläger verurteilt wird. Nach dem Besitzschutz: interdicta retinedae possesinterdicta recuperandae sionis possessionis Sie zielen auf AufrechterSie bezwecken die Wiederhaltung des gestörten Beherstellung des entzogenen sitzes ab. Besitzes. Nur diese beiden dienen dem Besitzschutz. interdicta adipiscendae possessionis Sie bezwecken die erstmalige Erlangung des Besitzes. Dem Besitzschutz dienen: interdictum uti possidetis interdictum utrubi (für Grundstücke) (für bewegliche Sachen) Das Interdikt untersagt also Gewaltanwendung gegen den längeren fehlerfreien Besitzer (bezogen auf das Jahr vor Interdiktserlassung). letzten fehlerfreien Besitzer. Dem fehlerfreien Besitzer wird auch die Besitzzeit seines Vorgängers angerechnet. oder: interdictum unde vi interdictum de vi armata Diese Interdikte finden Anwendung bei Vertreibung aus einem Grundstück durch Gewalt. durch eine bewaffnete Bande. Das precarium und das interdictum de precario precarium unverbindliche Bittleihe (kein Vertrag) Der precario dans (Bittleihgeber) kann die Sache vom precario accipiens (Prekarist) zurückverlangen (durch das interdictum de precario) Der Prekarist ist gegenüber Dritten geschützter Interdiktenbesitzer commodatum verbindlicher Vertrag Der Kommodant (Verleiher) kann erst nach Ablauf der bedungenen Leihfrist bzw. nach Beendigung des Gebrauchs die Sache zurückverlangen (durch die actio commodati directa) Der Kommodatar (Entlehner) ist bloßer Detentor und genießt keinen Besitzschutz. 6. Petitorium und Possessorium A hat am 1.3. von V ein Gerät gekauft und übergeben erhalten. Am 1.4. wird das Gerät aus dem Schuppen des A von zunächst unbekannten Tätern gestohlen. Römisches Recht Seite 28 von 119 Markus Ertl Am 1.5. wird B gestellt. Er gibt zu, das Gerät am 1.4. aus dem Schuppen des A geholt zu haben, erklärt aber, es gehöre ihm; es sei ihm selbst vor etwa 15 Monaten gestohlen worden. Als er erfahren habe, dass es sich bei A befindet, habe er es sich eben auf kurzem Weg geholt. Alternativen des A Petitorisches Vorgehen des A: rei vindicatio A muss sein Eigentum nachweisen, also das Eigentum des V und möglicherweise weiterer Vorbesitzer. Kann eines nicht fehlerfrei nachgewiesen werden, kommt es zur Abwendung. actio publiciana A muss die Ersitzungsvoraussetzungen vorweisen (welche aber „Fehlerfreiheit“ inkludieren und an „res furtiva“ somit nicht möglich sind, da B behauptet, dass ihm das Ding gestohlen wurde), wobei es auch zur Abweisung kommen kann. Possessorisches Vorgehen des A: interdictum utrubi A erreicht am 1.6. die Erlassung des Interdikts. Da A vom 1.3. bis 1.4. fehlerfreier Besitzer war, B die Sache vom 1.4. bis 1.6. zwar länger, aber fehlerhaft besessen hat, obsiegt A, da er länger fehlerfrei besessen hat. Obligationenrecht – Besonderer Teil Mandatum und negotiorum gestio 1. Mandatum Beim mandatum (Auftrag) verpflichtet sich der Beauftragte gegenüber dem Auftraggeber zur unentgeltlichen Besorgung eines Geschäftes. Dieses kann sein rechtlicher Art (zB B soll für A eine Sache kaufen oder verkaufen) oder tatsächlicher Art (zB B soll für A einen Brief transportieren). Auftraggeber (Mandant) A vs. Beauftragter (Mandatar) B actio mandati directa auf Abrechnung und Herausgabe des Erlangten sowie ggf. Schadenersatz. Beauftragter (Mandatar) B vs. Auftraggeber (Mandant) A Ersatz von Aufwendungen (nicht Entgelt). actio mandati contraria auf Das Mandat zählt zu den unvollkommenen zweiseitigen Verträgen. Es entsteht notwendigerweise ein Forderungsrecht des Mandanten gegenüber den Mandatar; ein Forderungsrecht in der Gegenrichtung entsteht zB wenn dem Mandatar Auslagen aus der Geschäftsbesorgung erwachsen. Bei Pflichtverletzungen durch den Mandatar gebührt Schadenersatz: Der Mandatar haftet dabei zunächst ursprünglich nur für dolus, später für dolus und culpa. Wesenszüge des römischen Mandats: Unentgeltlichkeit Geschäftsbesorgung im fremden Interesse Persönliches Vertrauensverhältnis Das Mandat ist ein reines Innenverhältnis ohne Außenwirkung Markus Ertl Römisches Recht Seite 29 von 119 2. Negotiorum gestio (Geschäftsführung ohne Auftrag) Wenn A ohne Auftrag des B (zB weil B abwesend ist) ein Geschäft für B besorgt, liegt eine Geschäftsführung ohne Auftrag (negotiorum gestio) vor. Hier liegt keine Willenseinigung zwischen A und B, es entsteht ein quasivertragliches Schuldverhältnis. A ist gegenüber B zur ordnungsgemäßen Führung des Geschäfts und zur Abrechnung verpflichtet. B ist gegenüber A zum Auslagenersatz verpflichtet. Beispiele: A führt für den abwesenden B einen Prozess. A treibt für den B Forderungen ein oder bezahlt für ihn Schulden. Tatbestandsmerkmale der negotiorum gestio: Fehlen eines Auftrages (eines mandatum) Besorgung von Geschäften rechtlicher oder tatsächlicher Natur Fremdheit des Geschäftes im objektiven Sinn (die Angelegenheit gehört zum Geschäftskreis des Geschäftsherrn) und in subjektiver Hinsicht (der Geschäftsführer hat den Willen, ein Geschäft als fremdes für einen anderen zu führen) Irrtum oder Unkenntnis über den Geschäftsherren schadet nicht. Ebenso wie das Mandat ist die negotiorum gestio ein bona-fides-Verhältnis und unvollkommen zweiseitig: Dominus negotii (Geschäftsherr) vs. negotiorum gestor (Geschäftsführer) actio negotiorum gestorum directa. Negotiorum gestor (Geschäftsführer) vs. dominus negotii (Geschäftsherr) orum gestorum contraria. actio negoti- Die actio directa geht auf: Herausgabe des Erlangten Schadenersatz bei Pflichtverletzungen, wobei der negotiorum gestor grundsätzlich für dolus und culpa haftet Die actio contraria geht auf: Ersatz der Aufwendungen und Auslagen (nicht auf Entgelt), wobei Voraussetzung für den Anspruch auf Aufwendungsersatz die utilitas (Nützlichkeit) ist. Es reicht, wenn das Geschäft utiliter coeptum, dh nützlich begonnen worden ist, auch wenn es in der Folge keine Erfolge gebracht hat. Ungerechtfertigte Bereicherung 1. Die römischen Kondiktionstatbestände Leistungskondiktionen kommen dann zum Tragen, wenn auf Grund einer Leistung von A dem B etwas zugekommen ist, wobei es an einer causa für das weitere Behalten des Empfangenen durch B fehlt (das Empfangene befindet sich sine causa bei B). Dazu zählen: Condictio indebiti (Rückforderung wegen irrtümlicher Zahlung einer Nichtschuld) Condictio ob causam datorum oder auch condictio causa data causa non secuta (Rückforderung wegen Nichterreichung des Zweckes) Römisches Recht Seite 30 von 119 Markus Ertl Condictio ob turpem causam (Rückforderung einer sittenwidrig erfolgten Leistung) Condictio ob iniustam causam (Rückforderung einer verbotswidrig erfolgten Leistung) Condictio sine causa (Rückforderung wegen Fehlens einer causa) – dieser Sammeltatbestand erfasst alle nicht erfassten Fälle, auch die sog. condictio causa finita, die Rückforderung wegen Wegfalls der causa. 2. Die Leistungskondiktionen im Einzelnen Allgemeiner Tatbestandsaufbau Damit A eine erbrachte Leistung von B mit einer condictio zurückfordern kann, müssen zwei Tatbestandsmerkmale vorliegen: Eine datio von A an B Darunter versteht man die Verschaffung des quiritischen Eigentums (zumeist traditio oder mancipatio aber auch Vermengung oder Ersitzung). Wesentlich ist also, dass durch eine dem A zuzurechnende Leistung Eigentum an B übergegangen ist. Ist hingegen B gar nicht Eigentümer geworden, sondern A Eigentümer geblieben, steht ihm die rei vindicatio, nicht aber die condictio zu Gebote: Eine condictio auf eine eigene Sache ist dem Römischen Recht fremd (außer condictio furtiva gegen Dieb). Das weitere Behalten des Empfangenen durch B ist ohne Grund (sine causa) Das Erhalten der Sache kann hier durchaus auf einem anerkannten Rechtsgrund beruhen, es kann aber sein, dass kein Grund zum Behalten besteht, wie zB bei der causa solvendi: Wem Geld zwecks Schuldtilgung übergeben wird, erlangt auch dann Eigentum, wenn in Wahrheit nichts geschuldet wird. Er ist dann aber ungerechtfertig bereichert und hat keine causa zum weiteren Behalten. Die einzelnen Tatbestände Condictio indebiti Sie kommt in Betracht, wenn es irrtümlich zu einer Leistung kommt, die dem Empfänger gar nicht geschuldet ist. Hier ist zu beachten: Ein Irrtum über das Bestehen der Schuld muss sowohl beim Geber als auch beim Nehmer vorliegen. Weiß der Empfänger, dass die Leistung nicht geschuldet ist, begeht er durch die Annahme ein furtivum: Daraus haftet er poenal (mit Buße) mit der actio furti und zusätzlich mit der condictio furtiva auf Rückgabe. Weiß hingegen der Geber, dass er eine nicht geschuldete Leistung erbringt, gibt’s keine condictio. Die Naturalobligation ist eine Schuld: Was auf einer Naturalobligation geleistet wurde, war geschuldet und kann daher nicht kondiziert werden. Condictio ob causam datorum oder auch condictio causa data causa non secuta Was im Hinblick auf einen bestimmten Zweck gegeben wird, kann bei Nichterreichung dieses Zweckes zurückgefordert werden. Condictio ob turpem causam Erfolgte eine Leistung von A an B aus einem sittenwidrigen Grund, steht die Rückforderung offen, wenn die Sittenwidrigkeit (turpitudo) auf der Seite des Empfängers liegt. Eine Rückforderung ist ausgeschlossen, wenn die turpitudo auf beiden Seiten vorliegt kann der Empfänger die Zuwendung behalten; Markus Ertl Römisches Recht Seite 31 von 119 wenn die turpitudo nur seitens des Gebers vorliegt kann auch der Empfänger die Zuwendung behalten (zB Entgelt an Prostituierte gilt nicht als sittenwidrig). Condictio ob iniustam causam Liegt eine rechtlich verbotene Zuwendung von A an B vor, kann A seine Leistung kondizieren. In Betracht kommt die condictio ob iniustam causam vor allem im Zusammenhang mit dem Verbot der Schenkung unter Ehegatten. Condictio sine causa Für die sonstigen Fälle wurde dieser subsidiäre Sammeltatbestand geschaffen. 3. Prätorische Bereicherungsklagen Strafklagen aus Delikten sind passiv unvererblich. Wenn den Erben aber Vorteile aus dem Delikt zugekommen sind, gewährt der Prätor gegen sie eine actio in factum auf ihre Bereicherung. Manche prätorischen Strafklagen erlöschen nach einem Jahr. Danach gewährt der Prätor ebenfalls eine Bereicherungsklage. Wird aus einem Rechtsgeschäft, welches ein Mündel ohne Mitwirkung seines Vormundes (auctoritas tutoris) schließt, das Mündel nicht verpflichtet, wohl aber berechtigt, ist das Geschäft gültig. Der Prätor gewährt jedoch dem Geschäftspartner eine actio in factum. Delikte I A 1. Furtum Der römische Begriff des furtum ist wesentlich weiter als der moderne Diebstahltatbestand. Paul. D. 47,2,1,3: „Der Diebstahl ist die betrügerische Entwendung in Bereicherungsabsicht, und zwar entweder die Entwendung der Sache selbst oder die bloß ihres Gebrauches oder auch ihres Besitzes.“ Demnach unterscheidet Paulus: furtum rei (Sachdiebstahl) furtum usus (Gebrauchsdiebstahl) furtum possessionis (Besitzdiebstahl – davon spricht man, wenn der Eigentümer selbst sich in den Besitz der Sache setzt, die einem anderen zusteht, zB wenn E seinem Gläubiger G eine Sache als Faustpfand übergeben hat und sich die Sache bei G holt, wobei es sich um Diebstahl an einer eigenen Sache handelt) Erst in der Klassik setzte sich die Auffassung durch, dass ein furtum nur an beweglichen Sachen möglich ist. Die Sanktionen auf das Furtum Im Rahmen des klageweisen Rechtsschutzes aus dem furtum stehen dem Bestohlenen gegen den Täter zu: Römisches Recht Seite 32 von 119 Markus Ertl zur Buße: 1. die actio furti, gerichtet auf Bußzahlung (poena) in Höhe des duplum oder quadruplum zum Vermögensausgleich: 2. die condictio furtiva, gerichtet auf die Sache oder den einfachen Sachwert oder auch 3. die rei vindicatio (Eigentumsklage, jedoch nur, wenn die Sache noch existiert) Wegen der verschiedenen Klagsziele kann zusätzlich zur actio furti die condictio oder die Eigentumsklage erhoben werden, sie sind also kumulativ. 4. Daneben kommt im Rahmen des Besitzschutzes vor allem noch das interdictum utrubi in Betracht. Ad. 1: Die actio furti Die actio furti ist eine Pönalklage und geht bei furtum manifestum (handhaften, offenkundigen Diebstahl, dh Ertappung auf frischer Tat) auf das quadruplum des Sachwertes; furtum nec manifestum (nicht offenkundigen Diebstahl) auf das duplum des Sachwertes. Aktivlegitimiert (Kläger) ist in erster Linie der bestohlene Eigentümer. Passivlegitimiert (Beklagter) ist der Täter selbst, aber auch der Anstifter und Beihelfer. Ad. 2: Die condictio furtiva Diese kann gegen den Dieb erhoben werden und geht auf den einfachen Sachwert (materiellrechtlich gesehen auf die Herausgabepflicht des Diebes). Die Haftung des Diebes mit der condictio furtiva bleibt auch dann aufrecht, wenn die Sache beim Dieb durch Zufall untergeht oder verschlechtert wird. Im Fall des Unterganges beim Dieb wird fingiert, die Sache habe zum Zeitpunkt der litis contestatio noch existiert. 2. Rapina (Raub) Unter Raub versteht man die gewaltsame Entziehung von Sachen. Die Klage ist die actio vi bonorum raptorum auf das quadruplum. Sie wurde in der Klassik als reine actio poenalis behandelt und konnte daher mit der sachverfolgenden condictio furtiva gehäuft werden. Sie ist mit dem vierfachen Betrag auf ein Jahr befristet, danach geht sie nur mehr auf den einfachen Betrag. 3. Lex Aquilia Diese regelt den Deliktstatbestand damnum iniuria datum (rechtswidrige und schuldhafte Schadenszufügung) und enthält drei Kapitel: Cap. I „Wenn jemand einen fremden Sklaven, eine fremde Sklavin oder ein vierfüßiges Herdentier durch iniuria getötet hat, so soll er verpflichtet sein, dem Eigentümer so viel an Geld zu geben, wie es dem Höchstwert der Sache in diesem Jahr entspricht.“ Römisches Recht Seite 33 von 119 Markus Ertl Cap. 2 „[...] Nebengläubiger die Schuldsumme in Schädigung des Hauptgläubigers erlassen hat, [...]“ Cap. 3 „Bezüglich anderer Sachen außer der Tötung von Sklaven und Vieh, wenn jemand einem anderen unrechtmäßig Schaden durch Brennen, Zerreißen oder Verstümmeln zugefügt hat, so soll er verpflichtet sein, dem Eigentümer so viel an Geld zu geben, wie viel die Angelegenheit in den nächsten 30 Tagen ausmachen wird (wie viel diese Sache in den letzten 30 Tagen wert gewesen ist?) [Anm.: Umstrittene Passage].“ Bei der Auslegung des Schadenersatzgesetzes wird „occidere“ im 1. Kapitel restriktiv ausgelegt: Erfasst werden nur Tötungen durch unmittelbare Handanlegung. das im 3. Kapitel gebrauchte „rumpere“ (wörtlich: „Verstümmeln“) im Sinn von „corrumpere“ extensiv ausgelegt, somit jedes „Beschädigen, Verderben, schlechter Machen“ erfasst. Einführung, Grundzüge des Personen-, Familien- und Erbrechts Familienrecht 1. Eheabschluss Die römischen Juristen fragen primär danach, welche Tatbestandselemente vorliegen müssen, um von einer Ehe (matrimonium) sprechen zu können. Ähnlich wie der Besitz (der ja auch kein Recht, sondern ein Faktum ist) auf einem physischen Element (corpus) und einer Willenserklärung (animus) beruht, sind für den Tatbestand „Ehe“ erforderlich: Bestätigung des übereinstimmenden Ehewillens (consensus facit nuptias) Tatsächliche Herstellung der Lebensgemeinschaft (zB durch deductio in domum) Die Ehe gilt im Römischen Recht so lange als fortbestehend, als beide Tatbestandsmerkmale vorhanden sind: im äußeren Bereich die tatsächliche Gemeinschaft; im Willensbereich das eheliche Bewusstsein beider Ehepartner. 2. Scheidung (divortium) Im Gegensatz zum modernen Recht ist die Scheidung im Römischen Recht ein rein privater Akt (ohne Mitwirkung einer Behörde oder eines Gerichts); nicht an das Vorliegen bestimmter Gründe gebunden. 3. Vermögensverhältnisse in der Ehe Gütereinheit Nur ein Ehegatte ist Träger des gesamten Vermögens. zB manus-Ehe Gütertrennung Jeder Ehegatte ist Träger des eigenen Vermögens. zB manus-freie Ehe Gütergemeinschaft Gemeinsame Trägerschaft beider Ehegatten. Römisches Recht Seite 34 von 119 Markus Ertl In der manus-freien Ehe herrscht grundsätzlich Gütertrennung. Zusätzlich besteht ein Schenkungsverbot unter Ehegatten (su). In der manus-Ehe herrscht grundsätzlich Gütereinheit. Der Mann ist alleiniger Vermögensträger, die Frau ist als Gewaltunterworfene vermögensunfähig. Hatte die Frau vor der Ehe als Gewaltfreie ein eigenes Vermögen, ging dieses im Wege der Universalsukzession auf den Mann über. 4. Schenkungsverbot Es hat keine gesetzliche Grundlage, sondern wird auf die Sittenordnung (mores) zurückgeführt. Als Motive werden erwähnt: Die Ehe soll nicht zu Vermögensverschiebungen führen. Die Zuneigung und das Festhalten an der Ehe sollen nicht „käuflich“ sein. Die verbotswidrig vorgenommene Schenkung ist nichtig. Römisches Recht Seite 35 von 119 AG 03 Sachenrecht Ersitzung 1. Eigentumsschutz und Verkehrsinteressen D. 50,17,54: „Nemo plus iuris ad alium transferre potest quam ipse haberet.“ Vgl. § 367 ABGB rei vindicatio Eigentumserwerb auch vom Nichtberechtigten. 2. Die Ersitzung und verwandte Rechtsinstitute XII-Tafeln: USUS-AUCTORITAS-Satz Klassik: Usucapio Longi temporis praescriptio Ersitzung nach ius civile nach ein bloße Verschweigungseinrede oder zwei Jahren gegen die Klage des Berechtig(italische Grundstücke) ten auf zehn oder 20 Jahre (Provinzgrundstücke). Nachklassik: Die beiden Einrichtungen verschmelzen Justinian: ordentliche Ersitzung außerordentliche Ersitzung bei beweglichen Sachen (usucapio) longissimi temporis praescriptio drei Jahre; 30 bzw. 40 Jahre bei unbeweglichen Sachen (longi temporis praescriptio) zehn oder 20 Jahre 3. Usus auctoritas XII-Tafeln 6,3: „Die Gewährschaft für den Besitz soll bei Grundstücken zwei Jahre, bei den übrigen Sachen ein Jahr dauern.“ Hat B von A eine Sache durch mancipatio erworben, haftet A dem B für Gewährschaft (auctoritas). A muss dem B in einem Prozess Beistand leisten. Nach Fristablauf muss B sein Recht nicht mehr auf das des Vormannes A stützen. Die klassische usucapio Unter Ersitzung versteht man den Eigentumserwerb durch die fortgesetzte Ausübung eines qualifizierten Besitzes (originäre Erwerbsart). Da es einen gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten im Römischen Recht nicht gibt, muss sehr häufig auf die Ersitzung zurückgegriffen werden. Römisches Recht Seite 36 von 119 Markus Ertl Auch wenn jemand bloß infolge eines formalen Fehlers beim Erwerbsakt nicht ziviler, sondern prätorischer Eigentümer wurde, kann er im Wege der Ersitzung ziviler Eigentümer werden. Wer als Kläger bei der rei vindicatio den Eigentumsbeweis zu erbringen hat, hat einen wesentlichen Vorteil, wenn er sich auf die in seiner Person schon eingetretene Ersitzung der strittigen Sache berufen kann. Die Ersitzungsvoraussetzungen: fehlerfreie possesio Ersitzungsfähigkeit der Sache Titel bona fides Ablauf der Ersitzungsfrist Rés habilís, titulús, fidés, posséssio, témpus Res habilis: Die Sache muss ersitzungsfähig sein. Nicht ersitzungsfähig sind zB res furtivae (gestohlene Sachen) oder res vi possessae (geraubte Sachen). Titulus (= iusta causa): Der Ersitzende muss die Sache aus einem anerkannten Rechtsgrund erworben haben. Die Römer bezeichnen den Ersitzungstitel mit pro ... (zB pro emptore = Kauf oder pro donato = Schenkung). Nicht als iusta causa kommen zB Leihe, Miete oder Verwahrung in Betracht, da diese nicht auf eine Eigentumsübertragung abzielen. Ein Putativtitel ist eine causa, die nur nach Meinung des Ersitzenden vorliegt, in Wahrheit aber nicht gegeben ist. Der Putativtitel war unter den Römern umstritten. Bona fides Der Ersitzende muss aus entschuldbarem Irrtum der Meinung sein, Eigentümer geworden zu sein (zB Käufer A hält den unmündigen Verkäufer B wegen seines reifen Aussehens für mündig). Die Gutgläubigkeit muss nur zu Beginn, nicht während der ganzen Ersitzungsfrist vorliegen. Possessio Der Besitz muss fehlerfrei sein und der Ersitzende muss die Sache in seinem ununterbrochenen Besitz haben. Tempus In Anlehnung an die usus auctoritas Regel beträgt die Ersitzungsfrist bei Grundstücken zwei Jahre, bei beweglichen Sachen ein Jahr. accessio temporis: Der Ersitzungsbesitzer kann sich die Besitzzeit seines Vormannes anrechnen. successio in possessionem: Der Erbe des Usukapienten kann die vom Erblasser begonnene Ersitzung fortsetzen, sofern er bona fide ist. 4. Rechtsschutz bei der Ersitzung Während der Ersitzungszeit ist der Usukapient bereits durch die actio Publiciana geschützt: Diese Klage enthält die Fiktion, die Ersitzungsfrist sei bereits abgelaufen. Sie ist nicht erfolgreich gegen den zivilen Eigentümer, außer der Usukapient ist prätorischer Eigentümer. Erreicht der Ersitzende das zivile Eigentum, steht ihm nicht nur die rei vindicatio zu; er braucht umgekehrt die rei vindicatio des bisherigen Eigentümers nicht mehr zu befürchten. Römisches Recht Seite 37 von 119 Markus Ertl Die natürlichen Erwerbsarten – Fruchterwerb fructus naturales Baum-, Feld- Gartenfrüchte Holz, Bodenschätze Tierjungen Tierprodukte fructus civiles Erträge aus Vermietung und Verpachtung Vor der Separation sind die natürlichen Früchte unselbstständige Bestandteile der Muttersache; sie teilen das rechtliche Schicksal der Muttersache. Nach der Separation werden die Früchte selbstständige Sachen. Für die Entscheidung der Frage, wer Eigentümer der Früchte werden soll, sind zwei Prinzipien denkbar: Substantialprinzip Die Früchte gehören dem Eigentümer der Muttersache. Produktionsprinzip Die Früchte sollen dem zukommen, durch dessen Arbeitsleistung sie erzielt worden sind. Für die Entscheidung der Frage, wann bzw. durch welchen Vorgang das Eigentum erworben wird, sind folgende Gestaltungen denkbar: Seperationserwerb Der Fruchterwerb des Berechtigten tritt automatisch mit der Trennung von der Muttersache ein. Perzeptionserwerb Der Fruchterwerb des Berechtigten tritt durch eine Besitzergreifungshandlung ein (zB Abernten). Im Römischen Recht erwirbt grundsätzlich der Eigentümer der Muttersache durch Separation. An Stelle des Eigentümers erwerben der gutgläubige Besitzer (ex iusta causa) der Erbpächter Hingegen erwerben der gewöhnliche Pächter der Usufruktuar (Fruchtgenussberechtigte) durch Separation. durch Perzeption. Bsp.: Schüttelt Dieb D am 20.9. am Pachtgrundstück die Nüsse und nimmt sie mit, ist es zu keinem Perzeptionserwerb des P gekommen. Eigentum hat E durch Separation am 20.9. erlangt. Er (und nicht P!) kann die Nüsse von D herausverlangen, muss sie aber auf Grund des Pachtvertrages an P herausgeben: Dieser hat dazu die actio conducti (diese ist keine actio in rem, sondern eine actio in personam). Römisches Recht Seite 38 von 119 Markus Ertl Römisches Recht Seite 39 von 119 Markus Ertl AG 04 Obligationenrecht – Besonderer Teil Kaufvertrag: Abwicklungsstörungen, Rechtsmängel, Sachmängel 1. Der Verkauf fremder Sachen Ein Kaufvertrag über fremde (nicht dem Verkäufer gehörende Sachen) ist wirksam. Unwirksam ist das Verfügungsgeschäft: K erlangt kein Eigentum. Nach Römischen Recht ist der Verkäufer nur verpflichtet, dem Käufer den ungestörten Besitz am Kaufobjekt zu verschaffen, er schuldet hingegen nicht die Verschaffung des Eigentums. Unter Eviktion versteht man das erfolgreiche Vorgehen eines Dritten im Prozesswege mit einer actio in rem (dinglichen Klage). Durch die Eviktion wird klar, dass die Sache mit einem Rechtsmangel behaftet war. In einem Eviktionsfall hat K die Möglichkeit, gegen V Eviktionsregress zu nehmen: Den V trifft eine Pflicht zur Gewährleistung für Rechtsmängel: K kann je nach Art des Kaufes gegen V: bei Manzipationskäufen die actio auctoritatis auf das Kaufpreisduplum erheben; bei sonstigen Käufen sehr häufig auf Grund einer stipulatio duplae die Erstattung des doppelten Kaufpreises verlangen; im Zuge der Entwicklung wird dem K die actio empti auf das Interesse zugestanden. 2. Die Gewährleistung für Rechtsmängel Vor der Eviktion kann K idR noch nicht gegen V vorgehen. Als Basis der Eviktionshaftung des V begegnet im Römischen Recht: die vorgenommene mancipatio (Auktoritätshaftung) eine Garantiestipulation des V (die stipulatio duplae) der Kaufvertrag selbst, dh dem K wird die actio empti gewährt. Auktoritätshaftung des Manzipanten Sie greift bei Käufen ein, die durch mancipatio vollzogen werden: Aus der mancipatio ist der Veräußerer verpflichtet, dem Erwerber in einem Prozess, den ein Dritter gegen den Erwerber wegen der Sache anstrengt, Beistand zu leisten. Wenn V seiner Beistandspflicht nachkommt und dadurch die Klage des Dritten abgewehrt werden kann, ist K zufrieden gestellt. Wenn aber V den Beistand verweigert oder zwar den Beistand leistet, aber dieser Beistand erfolglos ist und der Prozess verloren geht, so steht dem K die actio auctoritatis auf das duplum des gezahlten Kaufpreises zu. Wo keine mancipatio von den Parteien vorgenommen wurde, gab es natürlich auch keine Auktoritätshaftung. Hierfür wurde ein Garantieanspruch entwickelt, nämlich die stipulatio duplae. Hier verspricht der Verkäufer V dem Käufer K die Erstattung des doppelten Kaufpreises für den Fall, dass die Sache dem K evinziert wird. Eine Gewährleistungspflicht auf Grund Römisches Recht Seite 40 von 119 Markus Ertl der stipulatio duplae konnte natürlich nur dann zum Tragen kommen, wenn der Verkäufer zur Stipulation bereit war. Weiters gab es die stipulatio habere. Hier garantiert V dem K in Stipulationsform das „Haben-Dürfen“ der Sache. Sie umfasst nur Eingriffe des Verkäufers selbst und seiner Rechtsnachfolger, nicht aber Eingriffe von dritter Seite. Einbau der Gewährleistung in die actio empti Hier sind drei Entwicklungsstufen zu unterscheiden: a. Die actio empti wird nur bei dolus oder Nichteinhaltung ausdrücklicher Zusagen (dicta) durch den Verkäufer gewährt. Haftungsauslösend ist hier nicht die Eviktion, sondern der dolus. b. Die actio empti dient zur Erzwingung der stipulatio duplae. c. Die actio empti wird generell für die Gewährleistung geöffnet und gewährt dem K einen Anspruch auf das Interesse, auch wenn kein dolus vorliegt. 3. Die Gewährleistung für Sachmängel Ein Sachmangel liegt vor, wenn die Sache nicht die im Verkehr gewöhnlich vorausgesetzten oder die ausdrücklich bedungenen Eigenschaften aufweist. Verbindliche Zusicherungen von Eigenschaften (bzw. über das Nichtvorhandensein von Fehlern) waren im Römischen Recht die sog. dicta et promissa: Erstere sind ausdrückliche Zusagen des Verkäufers, zweitere sind Zusagen in Stipulationsform. IUS CIVILE IUS HONORARIUM (Amtsrecht der kurulischen Ädilen) allgemeiner Bereich Sonderbereich Die Gewährleistung stützt sich auf eine neben dem Kaufvertrag abgeschlossene Garantiestipulation: Promissum Als Klage kommt die Klage aus der Stipulation in Betracht. Die Gewährleistung wird allmählich in die actio empti eingebaut. Sie kam zunächst nur bei dolus oder Vorliegen eines dictum in Betracht. Marktkäufe von Sklaven und Zugtieren. Der Gewährleistungsanspruch ergibt sich aus einem Zuwiderhandeln gegen das Edikt der kurulischen Ädilen. 2 Klagen stehen zur Wahl: actio redhibitoria (Wandlungsklage) actio qanti minoris (Minderungsklage) Unter Justinian werden die ädilizischen Klagen auf alle Käufe erstreckt. Die ädilizischen Klagen Den kurulischen Ädilen oblag in Rom die Marktgerichtsbarkeit. Sie erließen ein Edikt über Sklavenverkäufe und ein Edikt über Verkäufe von Zugtieren. Beide Edikte statuieren eine Kundmachungspflicht für bestimmte Mängel. Bei Sklaven körperliche Gebrechen, Krankheiten aber auch Charakterfehler. Bei Zugtieren Krankheiten und Gebrechen. K konnte von V sich die Mangelfreiheit bzw. das Vorhandensein bestimmter Eigenschaften in Stipulationsform zusichern lassen. Üblicherweise wurde bei Sklavenverkäufen diese Stipulation mit einer stipulatio duplae gegen Eviktion verbunden. Ein Musterformular für diese kombinierte Stipulation befand sich im Edikt. Andererseits sah das Edikt beim Auf- Römisches Recht Seite 41 von 119 Markus Ertl treten von kundmachungspflichtigen (aber von V nicht kundgemachten) Mängeln sowie beim Nichtzutreffen von dicta und promissa zwei Klagen vor: die actio redhibitoria („Wandlungsklage“) auf Rückgängigmachung des Kaufes unter Erstattung des Kaufpreises und Rückgabe des Kaufobjektes, und die actio quanti minoris („Minderungsklage“) auf eine dem Mangel entsprechende Minderung des Kaufpreises. Auf das Wissen des V kommt es dabei nicht an: Die Gewährleistung ist damit eine vom Verschulden unabhängige Einstandspflicht. Die ädilizischen Klagen wurden von Justinian auf alle Käufe erstreckt. Sie sind auch ins ABGB eingegangen (vgl. § 932) und erfassen dort alle entgeltlichen Geschäfte. Die Gewährleistung für Sachmängel im allgemeinen Bereich Beispiel: V verkauf an K leere Weinfässer. K fragt V: „Versprichst du mir, dass die Fässer dicht sind?“ – V antwortet: „Ich verspreche.“ promissum (Garantiestipulation) V erklärt dem K ausdrücklich, dass die Fässer dicht sind. dictum (ausdrückliche Zusage) Über die Dichtheit der Fässer wird nicht gesprochen V weiß aber, dass die Fässer undicht sind. V weiß nicht, dass die Fässer undicht sind. dolus des V - venditor sciens venditor ignorans In der Folge stellt sich heraus, dass die Fässer undicht sind. Gewährleistung durch Stipulation Da in der Situation eine Stipulation vorliegt, kann K mit der actio ex stipulatu gegen V vorgehen und das Interesse verlangen. Einbau der Gewährleistung in die actio empti Hier können wir eine stufenweise Entwicklung beobachten: 1. Stufe: Das Verhalten des V kann als Verstoß gegen die bona fides aufgefasst werden; daher wird dem K die actio empti auf das Interesse gewährt. 2. Stufe: Der entscheidende Durchbruch ist dem Frühklassiker Labeo zu verdanken, der davon ausgeht, dass V grundsätzlich für die Mangelfreiheit einzustehen hat: K kann hier auch die actio empti erheben. Mit der actio empti erlangt der Käufer das Interesse. Die klassischen Juristen leiten daraus ab, dass der Käufer die Rückzahlung jenes Betrages verlangen kann, um den er bei Kenntnis des Mangels weniger gezahlt hätte (Minderung); die Rückzahlung des gesamten Preises gegen Rückgabe der Sache verlangen kann, wenn er in Kenntnis des Mangels überhaupt nicht gekauft hätte (Redhibition, Wandlung). Die Interessebetrachtung bei der actio empti erlaubt auch die Berücksichtigung von Mangelfolgeschäden (Begleitschäden): Römisches Recht Seite 42 von 119 Markus Ertl V verkauft an K krankes Vieh Gesundes Vieh wird angesteckt und verendet (Mangelfolgeschaden); V verkauft an K schadhafte Balken K verwendet die Balken beim Bau eines Hauses, dieses stürzt ein (Mangelfolgeschaden). Vom venditor ignorans kann K nur Minderung oder Wandlung verlangen. Vom venditor sciens kann K auch den Ersatz des Mangelfolgeschadens verlangen. Obligationenrecht – Allgemeiner Teil Mängel an der Wurzel und Leistungsstörungen I Entstehen der Forderung: S verpflichtet sich, am 30.04. das Reitpferd „Nora“ an G zu leisten. Erfüllung der Forderung: Mängel und Störungen können dabei auftreten: in der weiteren Abwicklung (Leistungsstörungen) an der Wurzel zB zB fehlende Geschäftsfähigkeit S ist geisteskrank Verzug (mora) S leistet am 30.04. trotz Mahnung nicht S bietet am 30.04. das Pferd ordnungsgemäß an; G nimmt es nicht anfängliche Unmöglichkeit am 01.04. ist das Pferd „Nora“ bereits verendet Willensmängel S ist durch Arglist oder Zwang zum Vertragsabschluss veranlasst worden Beim Vertragsabschluss wurde das Pferd Formmangel Das Pferd wird in Stipulationsform versprochen. Jedoch hat S auf die Frage: „Spondesne ...“ nicht mit „Spondeo“, sondern mit „Promitto“ geantwortet Nachträgliche Unmöglichkeit Am 26.04. schindet S bei einem Ritt das Pferd zu Tode Am 26.04. wird das Pferd auf der Weide vom Blitz getroffen und verendet Positive Vertragsverletzung Bei der Lieferung am 30.04. richtet S durch Unachtsamkeit im Stall des G einen Schaden an (Verletzung einer Schutz- oder Sorgfaltspflicht) Fälle der Gewährleistung S liefert am 30.04. das Pferd. Es ist zum Reiten völlig ungeeignet und leidet an Dämpfigkeit (Sachmangel) S leistet am 30.04. das Pferd. Es gehört jedoch dem E (Rechtsmangel) Probleme im Zusammenhang mit vertraglichen Obligationen 1. Der Vertrag ist wirksam zustande gekommen Römisches Recht Seite 43 von 119 Markus Ertl Es entsteht ein Anspruch auf Erfüllung 1.1 Erfüllung = o.k. 1.2 Leistungsstörungen 1.2.1 Verzug 1.2.2 nachträgliche Unmöglichkeit 1.2.2.1 zu vertreten 1.2.2.2 nicht zu vertreten 2. Mängel an der Wurzel 2.1 Der Vertrag ist gar nicht zustande gekommen = keine actio 2.2 Der Vertrag ist nach ius civile wirksam zustande gekommen, aber der Prätor versagt ihm die Durchsetzbarkeit durch 2.2.1 denegatio actionis 2.2.2 Gewährung einer exceptio Schuldrechtlicher Vertrag – Mängel an der Wurzel 1. Formmängel 2. fehlende Geschäftsfähigkeit 3. Willensmängel 4. inhaltliche Mängel zB Unbestimmtheit anfängliche objektive Unmöglichkeit Unerlaubtheit Bei Nichtzustandekommen oder Unwirksamkeit nach ius civile: Es entstehen keine Erfüllungsansprüche (daher auch keine Schadenersatzansprüche wegen Nichterfüllung, kein positives Interesse). Ansatzweise kennt das Römische Recht eine Schadenersatzpflicht auf das Vertrauensinteresse (negatives Interesse): Gedanke der culpa in contrahendo (zB bewusster Verkauf einer verkehrsunfähigen Sache). Wenn trotz eines nicht zustande gekommenen oder unwirksamen Vertrages bereits geleistet wurde, kommt es zur Rückabwicklung: a. Falls kein Eigentum übergegangen ist: Dingliche Rückabwicklung mit der rei vindicatio b. Falls der Empfänger Eigentum erlangt hat: Schuldrechtliche Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht mit der condictio. Konsens, Dissens, Irrtum Im unproblematischen Fall stimmen die beiden Erklärungen überein, es liegt somit Konsens vor. Heute wird zunächst geprüft, ob die Erklärungen übereinstimmen: Stimmen sie nicht überein, liegt Dissens vor und der Vertrag ist gar nicht zustande gekommen: offener Dissens: Den Parteien ist bewusst, dass sie sich nicht geeinigt haben versteckter Dissens: Den Parteien ist nicht bewusst, dass ihre Erklärungen nicht übereinstimmen Dissens = Divergenz zwischen beiden Erklärungen Weichen auf Grund einer Fehlvorstellung von der Wirklichkeit Wille und Erklärung voneinander ab, liegt ein Irrtum vor und der Irrende kann unter bestimmten Voraussetzungen den Vertrag anfechten oder anpassen Irrtum = Divergenz zwischen Wille und Erklärung auf Grund einer falschen Vorstellung von der Wirklichkeit Römisches Recht Seite 44 von 119 Markus Ertl Sichtweise der Römer: Den Römern ist die begriffliche Zerlegung in Wille und Erklärung noch fremd, daher unterscheiden sie nicht zwischen Dissens und Irrtum. Daher kennen sie keine Irrtumsanfechtung, sondern nur die Frage, ob der Vertrag wirksam zustande gekommen ist oder nicht. Entscheidend ist dabei die Wesentlichkeit des Irrtums. Wesentlich ist ein Dissens oder Irrtum über den Vertragsgegenstand (error in corpore). Vom error in corpore ist die sog. falsa demonstratio zu unterscheiden. Falsa demonstratio non nocet. (Eine falsche Bezeichnung schadet nicht.) Bei Dissens und Irrtum über das Entgelt wird differenziert: V vermietet um 10, M glaubt um 5 zu mieten: Hier fehlt die Willensübereinstimmung über das Entgelt, der Vertrag ist unwirksam. V vermietet um 5, M glaubt um 10 zu mieten: Hier lässt sich durch Auslegung der Willenserklärung des M (wer um 10 mieten will, ist sicher auch bereit, um 5 zu mieten) ein Konsens finden. Der Vertrag ist mit einem Mietentgelt von 5 wirksam. Der error in negotio betrifft den Geschäftstyp und ist wesentlich. A gibt B 10 HS. A denkt dabei an Schenkung, B an ein Darlehen. A will bloß vermieten, B will kaufen. Der error in persona (Irrtum über die Person des Geschäftspartners) ist wesentlich. Der Darlehensgeber G glaubt, der Darlehensempfänger ist der A, in Wahrheit ist es der B. Kontrovers behandelt wird der error in substantia (Irrtum über die stoffliche Beschaffenheit). Blei wird als Gold, Essig als Wein verkauft (Marcellus: wirksam, Ulpian: unwirksam) Ein reiner Eigenschaftsirrtum (error in qualitate) ist unwesentlich, es können jedoch Rechtsbehelfe der Gewährleistung verwendet werden. Arglist und Zwang Arglist (dolus) und Drohung bzw Zwang (metus) beim Vertragsabschluss führen bei bona-fides-Verträgen zur Unwirksamkeit nach ius civile. bei strengrechtlichen Verträgen zur Gewährung der exceptio doli bzw exceptio quod metus causa. Die Unmöglichkeitslehre Bezüglich der Unmöglichkeit der Leistung begegnen folgende Unterscheidungen: A verspricht dem B den Sklaven Mario. objektive Unmöglichkeit Die Leistung ist niemandem möglich. Der Sklave Mario ist gestorben. subjektive Unmöglichkeit = Unvermögen Die Leistung ist bloß dem Schuldner unmöglich (oder fällt ihm schwer). Der Sklave Mario gehört nicht dem Schuldner, sondern einem Dritten. Römisches Recht Seite 45 von 119 Markus Ertl faktische Unmöglichkeit Die Unmöglichkeit beruht auf faktischen Gegebenheiten oder Naturgesetzen. rechtliche Unmöglichkeit Die Unmöglichkeit ist in der Rechtsordnung begründet. Der Sklave Mario ist eines natürlichen Todes gestorben. Mario ist kein Sklave, sondern ein freier Mensch (ziemlich abwegig) anfängliche Unmöglichkeit Die Unmöglichkeit liegt bereits zum Zeitpunkt des Entstehens der obligatio (des Vertragsabschlusses) vor. nachträgliche Unmöglichkeit Die Unmöglichkeit tritt erst nach Entstehung der obligatio (des Vertragsabschlusses) auf. V verkauft an K den Sklaven Mario. Dieser ist bereits gestorben. Drei Tage nach dem Abschluss des Vertrages stirbt Mario. Die anfängliche Unmöglichkeit betrifft die Frage des wirksamen Zustandekommens der Verpflichtung. Die nachträgliche Unmöglichkeit betrifft die Abwicklung der bereits wirksam zustande gekommenen obligatio. (Mangel an der Wurzel) (Mangel in der Abwicklung = Leistungsstörung) Schuldner vom Schuldner zu vom vertretende Un- nicht zu vertretende Unmöglichkeit möglichkeit A hat den Mario zu Tode geschunden ☺ (HAFTUNGSFALL) Mario ist eines natürlichen Todes gestorben (GEFAHRTRAGUNGSFALL) Anfängliche Unmöglichkeit Die anfängliche objektive Unmöglichkeit macht idR den Vertrag unwirksam. ZB Verkauf eines bereits toten Sklaven Es entstehen keine Verpflichtungen auf Erfüllung. Es kann aber uU eine Schadenersatzpflicht aus dem Gedanken der culpa in contrahendo entstehen: Wer zB bei Vertragsabschluss von der Unmöglichkeit weiß und den anderen nicht aufklärt, hat diesen jenen Schaden zu ersetzen, den er durch das Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages erlitten hat (Vertrauensinteresse, negatives Interesse). positives Interesse (Erfüllungsinteresse) Der Geschädigte soll so gestellt werden, als wenn der Vertrag erfüllt worden wäre. negatives Interesse (Vertrauensinteresse) Der Geschädigte soll so gestellt werden, als wenn der Vertrag nicht geschlossen worden wäre. Hingegen hindert die anfängliche subjektive Unmöglichkeit nicht das Zustandekommen der Verpflichtung. ZB A geht trotz Geldmangels eine Verpflichtung in der Höhe von 10.000 HS ein. A verspricht an B die Leistung einer Sache, die derzeit dem C gehört. Es entsteht eine wirksame Verpflichtung: Die Leistungen werden geschuldet. Im zweiten Fall muss sich A eben bemühen, sich die Sache von C zu verschaffen; gelingt ihm dies nicht, hat er je nach Typus des Vertrages den Sachwert oder das positive Interesse zu leisten. Die Stipulation und der Kaufvertrag über Sachen, die nicht dem Schuldner, sondern einem Dritten gehören, ist wirksam! Römisches Recht Seite 46 von 119 Markus Ertl Sachenrecht Dingliche Nutzungsrechte – Servituten Die iura in re aliena Unter iura in re aliena versteht man beschränkte dingliche Rechte an fremden Sachen. Für den Eigentümer der betroffenen Sache stellen sie eine Belastung dar. Servituten (Dienstbarkeiten) Emphyteuse (Erbpacht) Superficies (Erbbaurecht) dingliche Nutzungsrechte Pfandrecht dingliches Sicherungsrecht Die Servituten Servituten sind dingliche Nutzungsrechte an einer fremden Sache zugunsten bestimmter Grundstücke bestimmter Personen REALSERVITUTEN PERSONALSERVITUTEN iura praediorum rusticorum (Feldservituten) zB via (Fahrweg) iter (Fußweg) actus (Viehtrieb) aquaeductus (Wasserleitung) iura praediorum urbanorum (Gebäudeservitut) zB servitus tigni immitendi (Einfügen eines Balkens) altius non tollendi (Untersagung des Überschreitens einer BauhöDiese vier alten Feldservituhe) ten zählen zu den res manstillicidii, cloacae, latricipi. nae, fumi immittendi (Ableiten, Abfließen) Die beteiligten Grundstücke bei den Realservituten heißen: praedium dominans: herrschendes Grundstück praedium serviens: dienendes Grundstück zB ususfructus (Fruchtgenussrecht, Fruchtnießung, Nießbrauch) usus (dingliches Gebrauchsrecht) habitatio (dingliches Wohnrecht) Wechselt das herrschende Grundstück den Eigentümer, geht auch die Servitutenberechtigung auf den neuen Eigentümer über. Wechselt das dienende Grundstück den Eigentümer, bleibt die Servitut bestehen. Begründung von Realservituten 1. Durch Rechtsgeschäft unter Lebenden a. Mancipatio oder in iure cessio bei den vier alten Feldservituten b. In iure cessio bei allen anderen Servituten Die in iure cessio bei Servituten ist ein der actio confessoria nachgebildeter Scheinprozess vor dem Prätor: Der Eigentümer des herrschenden Grundstücks behauptet Römisches Recht Seite 47 von 119 Markus Ertl vor dem Prätor das Bestehen der Servitut; der Eigentümer des dienenden Grundstücks unterlässt die Bestreitung, der Prätor gibt die addictio zur Rechtsbehauptung. Die Bestellung einer Servitut ist ein Verfügungsgeschäft und kann daher wirksam nur durch den Berechtigten vorgenommen werden: Besteht am dienenden Grundstück Miteigentum nach Quoten, so bedarf die Servitutenbestellung der Mitwirkung aller Eigentümer. c. Vorbehalt bei der Veräußerung: Veräußert E ein ihm gehöriges Grundstück, kann er bei der mancipatio sich eine Servitut (für ein anderes ihm weiterhin gehörendes Grundstück) vorbehalten. 2. Durch letztwillige Verfügung: Vindikationslegat 3. Eine Ersitzung von Servituten ist auf Grund der lex Scribonia im klassischen Recht nicht möglich; erst in der Nachklassik entwickelt sich an Provinzialgrundstücken eine longi temporis praescriptio mit 10 bzw 20 Jahren. 4. Begründung durch Richterspruch im Teilungsverfahren Erlöschen von Realservituten 1. Durch Verzicht: a. förmlicher Verzicht durch in iure cessio: Es handelt sich um einen der actio negatoria nachgebildeten Scheinprozess vor dem Prätor. Der Eigentümer des dienenden Grundstücks behauptet die Freiheit seines Eigentums; der verzichtende Eigentümer des bisher herrschenden Grundstücks überlässt die Bestreitung, der Prätor gibt die addictio zur Freiheitsbehauptung: Dadurch erlischt die Servitut nach ius civile. b. Ein formloser Verzicht wirkt nicht nach ius civile, wohl aber nach dem prätorischem Recht, dh die Servitut bleibt nach ius civile bestehen, doch wenn daraus (mit der actio confessoria) geklagt wird, erhält der Beklagte vom Prätor eine exceptio doli. 2. Durch Nichtgebrauch: aus der Sicht des herrschenden Grundstücks: Nichtgebrauch (non usus) durch zwei Jahre aus der Sicht des dienenden Grundstücks: Ersitzung der Servitutfreiheit (kein bona fides und kein Titel erforderlich!) bei städtischen Servituten: durch Bestehen eines servitutenwidrigen Zustandes durch zwei Jahre. Im klassischen Recht gibt es keine Ersitzung der Servitut, wohl aber eine Ersitzung der Servitutenfreiheit. Die nachklassische longi temporis praescriptio (mit 10 bzw 20 Jahren) funktioniert in beide Richtungen. 3. Confusio: Wenn Eigentum am herrschenden und am dienenden Grundstück in einer Person (durch Erwerb unter Lebenden oder durch Erbgang) zusammenfallen, erlischt die Servitut. Römisches Recht Seite 48 von 119 Markus Ertl Römisches Recht Seite 49 von 119 Markus Ertl AG 05 Obligationenrecht – Besonderer Teil Stipulation Die stipulatio ist ein förmliches mündliches Leistungsversprechen, wobei der Stipulator dem Promissor unter Einhaltung eines Wortrituals eine Frage stellt, die von Letzterem mit einem korrespondierenden Verbum beantwortet wird. Decem milia HS mihi Kal. Nov. dari spondesne? (Versprichst du mir die Zahlung von 10.000 HS für den 1. November?) – Spondeo. (Ich verspreche es.) Die Stipulation setzt die persönliche gleichzeitige Anwesenheit beider Vertragspartner voraus. Das Zeitwort stipulor, -ari, -atus sum heißt „sich versprechen lassen“ und drückt den Vertragsabschluss von der Gläubigerseite her aus. Da der Leistungsinhalt vom Versprechensempfänger formuliert wird, gehen auch Unklarheiten in der Formulierung zu seinen Lasten. Die Stipulation ist ein einseitiger Vertrag, sie zählt zu den strengrechtlichen Geschäften. Die Aufhebung der Stipulationsverbindlichkeit erfolgte ursprünglich durch ein eigenes Gegengeschäft, nämlich die accepilatio, der förmlichen Quittungserklärung des Gläubigers: Quod ego tibi promisi, habesne acceptum? (Hast du erhalten, was ich dir versprochen habe?) – Habeo. (Ich habe es erhalten.) In klassischer Zeit wird die accepilatio nur mehr zu Erlasszwecken verwendet: Der Gläubiger gibt die Erklärung ab, ohne tatsächlich etwas erhalten zu haben. Je nachdem, ob der versprochene Leistungsinhalt ein certum zB 10.000 HS (certa pecunia) oder der Sklave Mario (certa res) ein incertum zB Bau eines Hauses ist, steht dem Gläubiger zur Durchsetzung seines Anspruches die CONDICTIO auf die geschuldete Summe bzw auf „quanti ea res est“ (Sachwert) die ACTIO EX STIPULATU auf „quidquid Num Num Ao Ao dare facere oportet“ (was auch immer der Beklagte dem Kläger zu leisten verpflichtet ist, formula incerta) zu Gebote Die formula incerta der actio ex stipulatu gibt dem Richter die Bestimmung des Leistungsumfanges auf. Römisches Recht Seite 50 von 119 Markus Ertl Anwendungsbereich der Stipulation Es konnte im RR jede mögliche und erlaubte Leistung zum Gegenstand einer Stipulation gemacht werden. Leistungen, die ansonsten nicht klagbar wären, weil sei keinem anerkannten Kontrakttypus entsprechen, konnten durch Einkleidung in eine Stipulation klagbar gemacht werden. Stipulation auf ein dare (Übereignung): zB Übereignung eines Sklaven Stipulation auf ein facere (Tun oder Unterlassen): zB Bau einer insula (Wohnung) Stipulation auf ein praestare (Leisten, Gewährleisten, Einstehen): zB Promissum beim Kaufvertrag (Zusicherung von Eigenschaften) Im Zusammenhang mit Darlehensabwicklungen Darlehenszusage Rückzahlungsstipulation Zinsstipulation Konventionalstrafen (stipulatio poenae) echte unechte Gewährleistungsstipulationen beim Kaufvertrag stipulatio duplae promissum stipulatio Aquiliana: Zusammenfassung aller zwischen zwei Personen bestehenden Verbindlichkeiten in einer einzigen Stipulation, meist zum Zweck sofortigen vergleichsweisen Erlasses durch accepilatio. Novation: Umwandlung einer bestehenden Verbindlichkeit in eine neue ohne Personenwechsel, zB eine Kaufpreisschuld wird in eine Stipulationsschuld umgewandelt mit Personenwechsel (Gläubiger-, Schuldnerwechsel) Bürgschaftsgeschäfte: sponsio, fidepromissio, fideiussio Abstrakte bzw kausale Stipulation Wird im Wortformular der Zweck bzw der Rechtsgrund (causa) der Verpflichtung nicht erwähnt erwähnt so liegt eine abstrakte Stipulation kausale (titulierte) Stipulation vor. „Decem milia HS mihi dari promittisne?” – „Promitto.” („Versprichst du mir die Zahlung von 10.000 HS?“ – „Ich verspreche es.“ „Decem milia HS dotis causa mihi dari promittisne?“ – „Promitto.“ – „Versprichst du mir 10.000 HS als Mitgift?“ – „Ich verspreche es.“ Es lässt sich nicht entnehmen, warum die Stipulationsforderung eingegangen wird. Sie ist vom Rechtsgrund oder Grundgeschäft unabhängig. Die jeweilige Stipulationsforderung ist vom Rechtsgrund oder Grundgeschäft abhängig. Kommt die Ehe nicht zustande, wird aus der Stipulation nichts geschuldet. Der Gläubiger braucht sich bei der Klage nur auf die Stipulation stützen. Will der Schuldner sich damit verteidigen, dass aus dem Grundgeschäft nichts geschuldet ist bzw der Zweck nicht erreicht wurde, bedarf es einer EXCEPTIO DOLI. Bei einer Klage aus der Stipulation ist ein Mangel im Grundgeschäft oder eine Nichterreichung des Zweckes auch ohne exceptio doli zu berücksichtigen. Römisches Recht Seite 51 von 119 Markus Ertl Stipulation und Schriftlichkeit Stipulationen waren ursprünglich ein rein mündlicher Akt. Für das klassische RR ist neben der Willensübereinstimmung die Einhaltung der Wortform (solemnia verba) entscheidend. Allzu leicht konnte es jedoch vorkommen, dass ein Stipulationsschuldner sich nicht mehr „erinnerte“. Daher wurde schon früh üblich, den Abschluss der Stipulation zu beurkunden; die Urkunde wurde häufig cautio genannt. G und S sind sich einig, dass eine Verpflichtung des S gegenüber G im Ausmaß von 10.000 HS begründet werden soll: S verpflichtet sich in Stipulationsform zur Zahlung von 10.000 HS an G. S verpflichtet sich in Stipulationsform zur Zahlung von 10.000 HS an G. ! ! Es wird keine Urkunde errichtet Es wird eine Urkunde errichtet, in der die Verpflichtserklärung des S festgehalten wird. Die Parteien unterlassen den mündlichen Akt. Es wird eine Urkunde errichtet, in der die Verpflichtserklärung des S festgehalten wird. Es erhebt sich die Frage, worin der wesentliche verpflichtungsbegründende Akt liegt: im mündlichen Austausch von Frage und Antwort (solemnia verba) oder im schriftlichen Akt. 1. In der klassischen Zeit liegt das Schwergewicht eindeutig beim mündlichen Akt. Nach klassischem RR entstand daher in den Situationen und eine Stipulationsverpflichtung, in der Situation hingegen kam es zu keiner Stipulationsverpflichtung. 2. In der Nachklassik tritt eine Verlagerung zur Schriftlichkeit ein. Die sog PaulusSentenzen zeigen deutlich, dass der Einhaltung der Wortform keine Bedeutung zugemessen wurde (Paul. Sent. 5,7,2: ... wenn aber in einer Urkunde geschrieben ist, dass jemand etwas versprochen hat, so wird das so gehalten, als ob auf vorausgehende Befragung geantwortet worden wäre). Damit entstand auch in der Situation eine Stipulationsverpflichtung. Diesem Befund der Paulus-Sentenzen entspricht die sog Stipulationsklausel, die wir in Vertragsurkunden finden: ........ (Inhalt der Verpflichtung) ........ interrogatus spopondit. (= das wurde er gefragt und er versprach es.) 3. Auch Justinian sieht den begründeten Vertrag als wirksam an, außer es lässt sich nachweisen, dass eine der Vertragsparteien am Tage der Urkundenerrichtung nicht am Abschlussort anwesend war. Hierin zeigt sich eine Nachwirkung der klassischen Regelung, die den Abschluss einer Stipulation nur inter praesentes, nicht aber inter absentes zuließ. Obligationenrecht – Allgemeiner Teil Inhalt der Obligationen Allgemeine Anforderungen an den Inhalt einer Obligation sind: Die Leistung muss möglich sein. Der Leistungszweck muss erlaubt sein (nicht gesetz- oder sittenwidrig). Römisches Recht Seite 52 von 119 Markus Ertl Die Leistung muss bestimmt oder zumindest bestimmbar sein. Die Bestimmung des Leistungsumfanges kann auch dem Ermessen eines Dritten überlassen werden. Die Leistung muss in Geld abschätzbar sein: Dies ergibt sich aus dem Grundsatz condemnatio pecuniaria: Der Richter kann nur auf Geld verurteilen. Nicht anerkannt im RR ist der echte Vertrag zugunsten Dritter (alteri stipulari nemo potest, niemand kann sich für einen anderen etwas versprechen lassen), anerkannt ist hingegen der sog unechte Vertrag zugunsten Dritter, bei dem nicht der Dritte, sondern nur der Vertragspartner ein Forderungsrecht, gerichtet auf die Leistung an einen Dritten, erhält. Die Verpflichtung des Schuldners kann im RR nach der Art der von ihm verlangten Leistung bestehen in einem DARE „Dare“ heißt „geben“ und meint die Verschaffung quiritischen Eigentums oder eines beschränkt dinglichen Rechts. FACERE „Facere“ stellt jede Art von Handlung oder Unterlassung dar. PRAESTARE „Praestare“ meint „Leisten“ in einem weiten Sinn auch „Gewährleisten“, „Einstehen“, „Haften“. Gattungs-, Stück- und Wahlschulden Je nachdem, wie das Leistungsobjekt von den Parteien bestimmt wird, unterscheiden wir Gattungsschulden (genus-Schulden) Stückschulden (species-Schulden) Wahlschulden (obligatio alternativa); von dieser Wahlschuld ist ferner die sog Ersetzungsbefugnis (facultas alternativa) zu unterscheiden. GENUS-Schuld SPECIES-Schuld Bei der Gattungsschuld wird das Leistungsobjekt nach Gattungsmerkmalen festgelegt: Bei der Stückschuld wird das Leistungsobjekt nach individuellen Merkmalen festgelegt: 100 Scheffel Weizen 100 Scheffel afrikanischer Weizen, Güteklasse II ein Sklave mit Kochkenntnissen 10.000 HS (Geldschulden sind qualifizierte Gattungsschulden der Sklave Titius die Vase des X der Hund „Nero“ Eine beschränkte Gattungsschuld (Vorratsschuld) liegt vor, wenn das Leistungsobjekt zwar nach Gattungsmerkmalen bestimmt ist, aber aus einer bestimmten Menge stammen soll: Wein aus der Kellerei des X Konkretisierung (Individualisierung, Konzentration) der Gattungsschuld: Bei der Abwicklung der genus-Schuld müssen irgendwann einmal, spätestens jedoch bei der Erfüllung, die konkreten Stücke für die Leistung bestimmt werden. Durch diesen Vorgang geht die Gefahr vom Schuldner auf den Gläubiger über. Gattungsschulden haben idR vertretbare, Stückschulden idR unvertretbare Sachen zum Gegenstand. Doch decken sich diese Zuordnungen nicht zur Gänze. Die Abgrenzung von vertretbaren und unvertretbaren Sachen richtet sich nach der objektiven Verkehrsanschauung, während die Ausgestaltung der Gattungsschuld oder Stückschuld vom jeweiligen Parteiwillen abhängig ist. Römisches Recht Seite 53 von 119 Markus Ertl S hat sich am 01.08. gegenüber G für den 01.11. zur Leistung von 100 Scheffel afrikanischen Weizen des Sklaven Mario verpflichtet. Bei einem orkanartigen Seesturm am 01.10. sinkt das Weizenschiff des S. Mario stirbt am 01.10. eines natürlichen Todes. Hier liegt keine Unmöglichkeit vor (es gibt ja noch anderen afrikanischen Weizen). Hier liegt (nachträgliche) Unmöglichkeit vor. Da diese von S nicht zu vertreten ist, wird er frei. G erhält weder den Sklaven Mario noch Schadenersatz. Genus non perit. (Die Gattung geht nicht unter. – Nur bei der beschränkten Gattungsschuld kann es auch dazu kommen, dass der gesamte Vorrat untergeht.) Die Gefahr bei der Gattungsschuld trägt zunächst der Schuldner. Erst mit der Konkretisierung geht die Gefahr auf den Gläubiger über. Die Gefahr bei der Stückschuld trägt der Gläubiger. Weiters lassen sich die Wahlschuld und die Ersetzungsbefugnis unterscheiden: OBLIGATIO ALTERNATIVA (Wahlschuld) FACULTAS ALTERNATIVA (Ersetzungsbefugnis) Bei der Wahlschuld werden zwei (oder mehr) Leistungen in der Weise geschuldet, dass nur eine von ihnen zu bewirken ist. Bei der facultas alternativa wird nur eine Leistung geschuldet, doch der Schuldner hat die Befugnis, anstelle der geschuldeten Leistung eine andere zu erbringen. Das Wahlrecht steht mangels andersartiger Vereinbarung dem Schuldner zu, zB S verspricht in Stipulationsform die Leistung von Stichus oder Pamphilus. ZB S verspricht G in Stipulationsform die Leistung des Stichus. S kann aber anstelle des Stichus auch den Pamphilus leisten. Die Unterscheidung zeigt sich wieder in der Gefahrtragung bei zufälligem Unmöglichwerden der geschuldeten Leistung: Stirbt Stichus, ist das Wahlrecht erloschen; S muss den Pamphilus leisten (auch dieser ist geschuldet!). Stirbt Stichus, wird S frei; er muss nicht mehr den Pamphilus leisten (dieser ist nicht geschuldet!) Gefahr trägt zunächst der Schuldner S. Gefahr trägt der Gläubiger G. Stirbt dann auch Pamphilus, wird S frei. Primärleistung und Sekundärleistung Vor allem auf Verträge bezieht sich folgende Einteilung: Primärleistung Sekundärleistung entspringt zunächst jedem Schuldverhältnis (Hauptpflicht und Nebenpflicht) Wird eine primäre Leistungspflicht verletzt, tritt an deren Stelle oder neben sie eine sekundäre Leistungspflicht des Schuldners. zB: Aus dem Kaufvertrag ergibt sich die Pflicht des Verkäufers zur Leistung des Kaufobjektes. Weiters können Nebenpflichten bestehen (zB Informationspflichten). zB: Geht das Kaufobjekt durch Verschulden des Verkäufers unter, hat der Verkäufer Schadenersatz zu leisten. Römisches Recht Seite 54 von 119 Markus Ertl Im RR gilt der Grundsatz condemnatio pecuniaria, dh der Richter kann immer nur auf Geld, nicht aber zB auf Leistung oder Herausgabe einer Sache, auf Erbringung einer Dienstleistung verurteilen. Die Primärleistungen sind als solche rechtlich nur durchsetzbar, wenn sie von vornherein auf Geld lauten (zB Rückzahlung eines Darlehens; Schadenersatz nach der lex Aquilia). Ansonsten muss der Richter bei der Verurteilung den Geldwert der eingeklagten Primärleistung bestimmen, dh im Urteil wird eine Sekundärpflicht festgelegt. Die Schadenersatzpflicht Eine Schadenersatzpflicht kann entstehen als Folge der Verletzung einer aus einem Vertrag resultierenden Verhaltenspflicht gegenüber dem Vertragspartner (zB A beschädigt oder verliert die dem B geschuldete Sache). Hier entsteht als sekundäre Leistungspflicht eine Schadenersatzpflicht ex contractu (vertragliche Haftung). einer allgemeinen Verhaltenspflicht gegenüber jedermann (zB A beschädigt widerrechtlich und schuldhaft die Sache des B). Hier liegt eine unerlaubte Handlung vor, welche eine Obligation ex delicto begründet (deliktische Haftung). Der Schadenersatz ist hier nicht Sekundär- sondern Primärleistung. Das ABGB steht auf dem Boden der Verschuldenshaftung: Ein Schadenersatzanspruch setzt demnach neben dem Schadenseintritt ein Verhalten des Haftpflichtigen voraus, welches ursächlich für den Schadenseintritt (Kausalität) rechtswidrig (Rechtswidrigkeit) und schuldhaft, dh subjektiv vorwerfbar als Vorsatz (dolus) oder Fahrlässigkeit (culpa) (Verschulden) ist. Daneben begegnet im modernen Recht in Sondergesetzen eine Haftpflicht, die lediglich auf die Ausübung einer gefährlichen Tätigkeit gestützt wird, ohne dass es dabei auf ein Verschulden ankommt. Das RR kennt nur einzelne Schadenersatztatbestände. Die Entwicklung des deliktischen Schadenersatzes erfolgte vor allem im Rahmen der lex Aquilia, welche sich mit der Tötung fremder Sklaven und vierfüßiger Haustiere (1. Kap.) und mit der Beschädigung fremder Sachgüter (3. Kap.) befasst. Schaden und Schadensberechnung Schaden ist jede unfreiwillige Einbuße an Vermögen (materieller Schaden) oder sonstigen Rechtsgütern wie Ehre, Ruf oder Freiheit (immaterieller Schaden). Das RR kann wegen des Prinzips der condemnatio pecuniaria grundsätzlich nur materielle, in Geld messbare Schäden berücksichtigen. Der Gedanke der Einbeziehung immaterieller Beeinträchtigungen findet sich allerdings beim Delikt iniuria (Missachtung fremder Persönlichkeit). Römisches Recht Seite 55 von 119 Markus Ertl Nach dem Umfang des zu leistenden Ersatzes unterscheidet man beim Vermögensschaden damnum emergens (positiver Schaden – Einbuße an bereits vorhandenen Vermögensgütern) und lucrum cessans (entgangener Gewinn – Entgang jener Vorteile, die man nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwarten hat). Die Berechnung des Schadens erfolgt heute nach der sog Differenzmethode: Man betrachtet einerseits die tatsächliche Entwicklung andererseits die hypothetische Entwicklung, die sich bei Entfall des schädigenden Ereignisses ergeben hätte und bildet die Differenz zwischen den beiden Größen (= rechnerischer Schaden) Bei der Betrachtung dieser beiden Vergleichsgrößen kann man sich auf den beschädigten Vermögensgegenstand beschränken und seinen Wert für jedermann zugrunde legen (objektiv-abstrakte Schadensberechnung). Diese Berechnung führt zum Ersatz des objektiven Sachwertes („gemeiner Wert“). man auf das gesamte Vermögen des Geschädigten blicken, den Wert und die Bedeutung der Sache gerade im konkreten Vermögen des Geschädigten zugrunde legen und alle Auswirkungen des schädigenden Ereignisses im Vermögen des Geschädigten einbeziehen (subjektiv-konkrete Schadensberechnung). Diese Berechnung führt zum Ersatz des Interesses. Die Formeln auf ein certum lassen nur eine Verurteilung auf den Sachwert, den gemeinen Wert (quanti ea res est – wie viel die Sache wert ist) zu. Bei Formeln auf ein incertum kann der Richter das Interesse zusprechen. Positives und negatives Interesse Im Zusammenhang mit Verträgen begegnet die Unterscheidung zwischen Erfüllungsinteresse (positives Interesse) Vertrauensinteresse (negatives Interesse) Das Erfüllungsinteresse ist dann von Bedeutung, wenn eine bestehende vertragliche Leistungspflicht verletzt wurde (Nichterfüllungsschaden). Das Vertrauensinteresse ist zB dann von Bedeutung, wenn ein wirksamer Vertrag gar nicht zustande gekommen ist, eine Partei aber durch das Vertrauen auf die Wirksamkeit einen Schaden erlitt. ZB: V schließt mit K einen Kaufvertrag über ein Grundstück zum Preis von 10.000 HS. Das Grundstück hat einen Verkaufswert von 10.500 HS. V übergibt das Grundstück nicht an K. ZB: V hat mit K einen Kaufvertrag über ein Grundstück um 10.000 HS geschlossen. Durch wucherndes Pflanzenwerk erkannte K nicht, dass sich darauf Gräber befinden und das Grundstück daher als res religiosa eine verkehrsunfähige Sache ist (KV unwirksam). K hatte bereits Ausgaben für einen Architekten. Die Schadensberechnung erfolgt dabei so, dass der realen Entwicklung jene hypothetische Entwicklung gegenübergestellt wird, die sich ergeben hätte, wenn der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. wenn der Geschädigte rechtzeitig aufgeklärt worden wäre und daher den Vertrag nicht geschlossen hätte. Bei ordnungsgemäßer Erfüllung hätte sich das Vermögen des K um 500 HS erhöht. Bei rechtzeitiger Aufklärung hätte K keine Auslagen für den Architekten gehabt. Römisches Recht Seite 56 von 119 Markus Ertl Konventionalstrafe (Vertragsstrafe) Die Einhaltung einer vertraglichen Haupt- oder Nebenpflicht kann durch eine Konventionalstrafe (Vertragsstrafe) gesichert werden, indem für den Fall der Nichterfüllung eine im Vorhinein bestimmte Geldsumme versprochen wird. Im RR wird die Konventionalstrafe in Stipulationsform (stipulatio poenae) vereinbart. „Versprichst du mir die Übereignung des Cornelianischen Grundstückes bis zum 01. Mai?“ – „Ich verspreche es.“ Dadurch wird eine Stipulationsverpflichtung auf Übereignung eines Grundstückes geschaffen (Primärleistung). „Wenn du mir bis 01. Mai das Cornelianische Grundstück nicht übereignet hast, versprichst du mir die Leistung von 10.000 HS?“ – „Ich verspreche es.“ Konventionalstrafe als Sekundärleistung („unselbstständiges Strafversprechen“). Geschuldet ist hier primär die Übereignung des Grundstücks; die Konventionalstrafe greift ein, wenn die primäre Leistungspflicht nicht erfüllt wird (echte Konventionalstrafe). Ist ein bona fides Vertrag (zB ein Kaufvertrag) durch eine stipulatio poenae abgesichert und kann der Geschädigte nachweisen, dass sein Schaden höher ist als die Konventionalstrafe, kann er im Anschluss an die Klage aus der stipulatio poenae noch die Vertragsklage auf den übersteigenden Sachbetrag anstellen. Von einer unechten Konventionalstrafe spricht man, wenn nur ein Strafversprechen erfolgt: „Wenn du mir bis 01. Mai das Cornelianische Grundstück nicht übereignet hast, versprichst du mir die Leistung von 10.000 HS?“ – „Ich verspreche es.“ Sog „selbstständiges Strafversprechen“ Hier ist die Übereignung des Grundstücks nicht geschuldet. Es besteht nur die bedingte Leistungspflicht der Strafsumme. der Versprechende kann sich dieser Strafsumme entziehen, indem er das Grundstück übereignet. Haftung und Gefahrtragung Haftung als Verantwortlichkeit Es ist dabei die Frage zu behandeln, inwieweit jemand für den Eintritt eines von der Rechtsordnung unerwünschten Erfolges einzustehen hat, welche Umstände jemand zu vertreten hat, unter welchen Voraussetzungen jemand für den Erfolg verantwortlich gemacht werden kann. Wir unterscheiden zwischen „deliktischer Haftung“ und „vertraglicher Haftung“. Die deliktische Verantwortlichkeit Soll dem S im Zusammenhang mit einem Delikt ein Erfolg (zB Tötung, Verletzung eines Menschen, Beschädigung einer Sache) zugerechnet werden, so unterscheiden wir grundsätzlich: Römisches Recht Seite 57 von 119 Markus Ertl Erfolgshaftung Verschuldenshaftung S hat einzugestehen, wenn 1. er den Erfolg verursacht hat (objektiver Tatbestand) S hat einzugestehen, wenn 1. er den Erfolg verursacht hat (objektiver Tatbestand), 2. er rechtswidrig gehandelt hat und 3. ihm sein Verhalten vorwerfbar ist (subjektiver Tatbestand) als Auf einen Schuldvorwurf kommt es dabei nicht an („Die Tat tötet den Mann“). Verschulden (culpa iwS): dolus (Vorsatz) culpa ieS (Fahrlässigkeit): culpa lata und culpa levis Die Deliktstatbestände furtum (Diebstahl), rapina (Raub) und iniuria (Verletzung bzw Missachtung einer fremden Persönlichkeit) können nur vorsätzlich begangen werden. Der Deliktstatbestand damnum iniuria datum (rechtswidrige und schuldhafte Sachbeschädigung) kann sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden. Die vertragliche Vertretungspflicht S zerstört bewusst die Vase. Dolus S stellt die Vase beim Transport ohne Verpackung auf eine Kiste. Die Vase zerbricht beim Transport. Culpa lata Durch eine unachtsame Bewegung des S kommt die Vase zu Fall und zerbricht. Culpa levis Die Vase wird von unbekannten Tätern gestohlen. Custodia Beim Transport von S zu G wird die Vase durch das unbeeinflussbare Verhalten eines Dritten zerstört. Casus (niederer Zufall) Bei einem Erdbeben fällt die Vase um und zerbricht. Vis maior (höhere Gewalt) Verschulden des S Ereignisse außerhalb des Verschuldens des S (Zufall) Wenn jemand nur für dolus haftet, wird er nur bei ersatzpflichtig, nicht aber bei den übrigen Ereignissen. Dies auf dolus beschränkte Haftung findet sich zB beim depositum (Verwahrung) und erklärt sich aus dem Umstand, dass beim depositum der Verwahrer kein Entgelt erhält. Die Verschuldenshaftung erfasst neben dolus auch die culpa: S wird also in den Fällen und ersatzpflichtig. , Bei bestimmten Rechtsverhältnissen finden wir eine custodia-Haftung (Haftung für einen Bewachungserfolg); sie erfasst insbesondere den Diebstahl von dritter Seite. S wird hier außer in den Fällen , und auch im Fall ersatzpflichtig. Dolus-Haftung Der Ausdruck dolus ist mehrdeutig und meint im Zusammenhang mit der Haftung in der Klassik: bewusste Treuwidrigkeit, Verstoß gegen die bona fides; in der Nachklassik und bei Justinian: Vorsatz als Verschuldensgrad im Gegensatz zur culpa. Römisches Recht Seite 58 von 119 Markus Ertl Culpa-Haftung Der Schuldner hat auch für Fahrlässigkeit einzustehen: Sein Verhalten stellt sich als neglegentia, als Verstoß gegen eine Sorgfaltspflicht (diligentia) dar. culpa lata: grobe Fahrlässigkeit culpa levis: leichte Fahrlässigkeit Ist für culpa lata und culpa levis einzustehen, haftet der Schuldner für omnis culpa. Zur Beurteilung, ob eine Sorgfaltspflicht verletzt worden ist, kann entweder ein objektiver oder ein subjektiver Maßstab herangezogen werden. culpa in abstracto culpa in concreto Maßstab ist das Verhalten eines ordentlichen Durchschnittsmenschen (diligens pater familias). Maßstab ist die Sorgfalt des jeweiligen Schuldners in eigenen Angelegenheiten. Wir sprechen von einer diligentia quam in suis (jene Sorgfalt, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt). Die diligentia quam in suis wirkt haftungserleichternd, für den besonders sorgfältigen Menschen haftungsverschärfend. Custodia-Haftung Der Schuldner hat für die sorgfältige Bewachung der Sache einzugestehen. Er haftet über dolus und culpa hinaus für Umstände, die typischerweise auf eine mangelnde Bewachung zurückgehen, so insbesondere für den Diebstahl von dritter Seite. Die custodia-Haftung ist eine typisierte Verschuldenshaftung, bei der das individuelle Verschulden nicht geprüft wird. Fälle höherer Gewalt werden von der custodia-Haftung nicht erfasst. Die custodia-Haftung trifft in klassischer Zeit folgende Personen: a. den Kommodatar (Entlehner) b. bestimmte Werkunternehmer (fullo – wer fremde Kleider zur Reinigung übernimmt, sarcinator – Flickschneider) c. den Pfandgläubiger zum Besitzpfand d. den Verkäufer bis zur Übergabe der Sache e. den Sachmieter f. nautae (Schiffer), caupones (Herbergswirte) und stabularii für die eingebrachten Sachen ihrer Gäste Nicht von Vornherein auf Verschulden abgestellt ist folgende Umschreibung der Vertretungspflicht: Si per eum stetit, quo minus daret. (wenn es an ihm lag, dass er nicht leistet.) Diese Formel wird vor allem im Zusammenhang mit dem Verzug verwendet. Zufall (casus) Zufall ist ein vom Schuldner nicht verschuldeter Umstand. Dazu zählt auch das unbeeinflussbare Verhalten eines Dritten, zB ein Dritter stiehlt oder beschädigt die geschuldete Sache. Eine gesteigerte Form des Zufalls ist die vis maior (höhere Gewalt). Die Klassiker zählen dazu vor allem den natürlichen Tod und entwickeln weiters sog „Katastrophenkataloge“. Römisches Recht Seite 59 von 119 Markus Ertl Für Zufall wird idR nicht gehaftet. Doch hat die Rechtsordnung die Frage zu klären, wer den wirtschaftlichen Nachteil aus solchen von niemandem zu vertretenden Ereignissen zu tragen hat: Problem der Gefahrtragung (periculum). Allgemeines zur Reichweite der Haftung Für das klassische Recht lassen sich keine allgemeinen Prinzipien über die Haftung aus Verträgen aufstellen. Die Juristen legten je nach Vertragstypus und spezieller Interessenlage den gebotenen Haftungsmaßstab an. Zur Abgrenzung, wann eine milde und wann eine strenge Haftung eintritt, wurde das sog Utilitätsprinzip entwickelt: Wer aus einem Vertrag keinen Nutzen (utilitas) zieht und daher kein oder wenig Interesse daran hat, Wer aus einem Vertrag den Nutzen (utilitas) zieht und daher das alleinige oder überwiegende Interesse daran hat, haftet mild. haftet streng. Dies zeigt sich in klassischer Zeit vor allem beim Vergleich von Verwahrungsvertrag (depositum) Leihvertrag (commodatum) Erhält B von A eine Sache zur Verwahrung, hat Verwahrer B keinen Nutzen aus dem Vertrag (unentgeltlich) Erhält B von A eine Sache zur Leihe, hat der Entlehner B den Nutzen aus dem Vertrag. Der Verwahrer haftet daher nur für dolus. Der Entlehner haftet daher für custodia. Im Sinne der inhaltlichen Vertragsfreiheit können die Parteien die Vertretungspflicht abweichend vom gesetzlichen Maßstab festlegen. Freizeichnungsklauseln: Die Haftung wird erleichtert. Unzulässig ist jedoch das sog pactum de dolo non praestando (Freizeichnung von dolus): Die Haftung für dolus (und wohl auch für culpa lata) kann nicht ausgeschlossen werden. Garantieübernahme: Einstandspflicht. Eine Partei übernimmt eine vom Verschulden unabhängige Das Problem der Gefahrtragung Unter dem Gesichtspunkt der Gefahrtragung (periculum) ist die Frage zu behandeln, wer den wirtschaftlichen Nachteil aus einem Ereignis zu tragen hat, für das niemand einzustehen hat. Diese Frage kann sich stellen außerhalb der Abwicklung von Schuldverhältnissen allgemeine Sachgefahr Wird eine Sache beschädigt, ohne dass dafür jemand verantwortlich gemacht werden kann, kann der Eigentümer von niemandem Ersatz begehren (vgl § 1311 S1 ABGB). im Rahmen der Abwicklung eines Schuldverhältnisses Leistungsgefahr Entgeltsgefahr Wie wirkt sich der zu vertretende (zufällige) Untergang der Sache auf das Schuldverhältnis aus? Wird der Schuldner frei oder muss er einen weiteren Leistungsversuch unternehmen? Muss bei gegenseitigen Verträgen trotz Wegfall der Leistungspflicht Entgelt errichtet werden oder nicht? Dies ist im jeweiligen Schuldverhältnis zu besprechen (zB periculum est emptoris – Käufer trägt die Preisgefahr). Römisches Recht Seite 60 von 119 Markus Ertl Mängel an der Wurzel und Leistungsstörungen II Schuldrechtlicher Vertrag – Leistungsstörungen Auch bei Nichterfüllung infolge mangelnder Leistungsbereitschaft oder Verweigerung durch den Schuldner kann das Urteil im Prozess nicht auf Erbringung einer Primärleistung in natura, sondern nur auf Geld erfolgen (condemnatio pecuniaria). Nachträgliche Unmöglichkeit vom Schuldner zu vertreten: Haftungsfall – Schadenersatz je nach Formelwortlaut (Sachwert, Interesse); vom Schuldner nicht zu vertreten: Gefahrtragungsfall Verzug Schuldnerverzug (mora debitoris): Haftungsverschärfung für den Schuldner insbesondere bei bona fides Formeln Ersatz des Verspätungsschaden, Verzugszinsen Gläubigerverzug (mora creditoris): Haftungsmilderung für den Schuldner auf dolus; Möglichkeit der versiegelten Hinterlegung von Geld; Erlöschen von Pfandrechten Die Kategorie der positiven Vertragsverletzung wurde erst zu Beginn des letzten Jahrhunderts dogmatisch durchgebildet. Eine positive Vertragsverletzung (Forderungsverletzung) liegt vor, wenn der Schuldner durch Verletzung von Schutz- oder Sorgfaltspflichten dem Gläubiger einen Schaden zufügt, der von dem in der Nichterfüllung oder im Verzug liegenden Schaden verschieden ist. Fälle der Gewährleistung liegen vor, wenn die Leistung zwar erbracht wird, aber mangelhaft ist: dabei werden Sach- und Rechtsmängel unterschieden. Die Gewährleistung ist eine vom Verschulden unabhängig konzipierte Einstandspflicht des Schuldners für Rechts- und Sachmängel. Sie begegnet heute bei allen entgeltlichen Verträgen (§ 922 ABGB). Die nachträgliche Unmöglichkeit Die anfängliche Unmöglichkeit ist ein Mangel an der Wurzel und lässt eine wirksame obligatio gar nicht entstehen; die nachträgliche Unmöglichkeit zählt zu den Leistungsstörungen: Ein Vertrag und daraus entspringende Leistungspflichten sind zunächst wirksam zustande gekommen; später wird die geschuldete Leistung unmöglich. Es erhebt sich die Frage, wie sich dieser Umstand auf die Leistungspflicht auswirkt. Grundsätzlich ist bei der nachträglichen Unmöglichkeit zu unterscheiden: Vom Schuldner zu vertretende nachträgliche Unmöglichkeit Vom Schuldner nicht zu vertretende nachträgliche Unmöglichkeit ZB der von S an G geschuldete Sklave stirbt, weil S ihn zu sehr schindet. ZB der von S an G geschuldete Sklave stirbt eines natürlichen Todes. Hier wird der Schuldner nicht frei; er haftet je nach Formel auf den Sachwert oder das positive Interesse. Hier wird (zumindest bei species-Schulden) der Schuldner frei: Seine Verpflichtung erlischt. Die zu vertretende Unmöglichkeit Hat der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten, so wird er nicht frei; anstelle der unmöglich gewordenen Primärleistung hat er als Sekundärleistung Geldersatz zu leisten. Römisches Recht Seite 61 von 119 Markus Ertl Bezüglich der Ersatzpflicht des Schuldner ist im RR grundsätzlich zu unterscheiden zwischen a. der Konzeption der perpetuatio obligationis: Diese Konstruktion begegnet bei strengrechtlichen Klagen auf certa res: Die untergegangene Sache wird als bestehend fingiert, dadurch bleibt die obligatio aufrecht und der Schuldner wird in das quanti ea res est (den objektiven Sachwert) verurteilt. b. Klagen auf ein incertum: Hier kann der Schuldner auf Grund des Formelwortlautes auf quidquid Num Num dare facere oportet (was auch immer der Beklagte zu leisten schuldig ist) verurteilt werden: Dies führt idR zum Ersatz des Nichterfüllungsschaden (positives Interesse). Die nicht zu vertretende Unmöglichkeit Bei Gattungsschulden kann Unmöglichkeit nur eintreten, wenn die ganze Gattung untergeht. Dies kommt fast nie vor (genus non perit – die Gattung geht nicht unter). Ist die Unmöglichkeit vom Schuldner nicht zu vertreten, so wird er frei, das Forderungsrecht des Gläubigers erlischt. Dadurch wird auch das Problem der Gefahrtragung berührt: G hat den S den Sklaven Titius in Stipulationsform versprochen; Titius stirbt. Hier bewirkt die nachträgliche nicht zu vertretende Unmöglichkeit das Erlöschen der Forderung. Da S keinen weiteren Leistungsversuch unternehmen muss und G daher den wirtschaftlichen Nachteil des zufälligen Unmöglichwerdens zu tragen hat, sagen wir: Der Gläubiger trägt die (Leistungs-) Gefahr: species perit ei cui debetur. In einer vollkommenen zweiseitigen Verbindlichkeit (Austauschverhältnis zB Kauf – A fordert von B Leistung, B fordert von A Entgelt) bewirkt das zufällige Unmöglichwerden der Leistung des B (zB die verkaufte und noch nicht übergebene Sache wird bei einem Erdbeben zerstört) ein Erlöschen der Forderung von A gegen B. Es erhebt sich nun die Frage, ob auch die Entgeltsforderung B gegen A erlischt nicht erlischt sodass auch A von seiner Entgeltspflicht befreit wird (bzw bereits bezahltes Entgelt zurückverlangen kann). sodass A, obwohl er keine Leistung erhält, dennoch zur Zahlung des Entgelts verpflichtet bleibt (bzw bereits bezahltes Entgelt zurückverlangen kann). „Gefahr trägt der B“ „Gefahr trägt der A“ Hier liegt ein Problem der Entgeltsgefahr vor (beim Kaufvertrag: Preisgefahr; beim Mietvertrag: Zinsgefahr; beim Dienstvertrag: Lohngefahr). Der Verzug Schuldnerverzug (Leistungsverzug) Der Schuldnerverzug tritt ein, wenn der Schuldner bei Fälligkeit eine noch mögliche Leistung aus einem am Schuldner liegenden Umstand trotz Einforderung nicht oder nicht gehörig erbringt. Gläubigerverzug (Annahmeverzug) Römisches Recht Seite 62 von 119 Markus Ertl Der Schuldnerverzug setzt im RR im Allgemeinen eine Mahnung voraus. Nur für Terminschulden gilt, dass der Verzug automatisch ohne Mahnung eintritt. Automatisch im Verzug ist im RR der Dieb. Der Schuldnerverzug bewirkt idR eine Haftungsverschärfung. Insbesondere haftet der Schuldner nun für casus. Bei strengrechtlichen certum-Klagen bedienen sich die Römer dabei der perpetuatio obligationis (Fiktion, dass der Gegenstand noch existiert). Bei incertum-Klagen, insbesondere solchen mit bona fides Klauseln, kann auch der Verzugsschaden berücksichtigt werden. So begegnen bei Geldschulden als pauschalierter Verzugsschaden Verzugszinsen (zB bei der actio venditi). Der Schuldnerverzug endet durch Erfüllung durch Stundungsabrede durch Eintritt des Gläubigerverzugs Der Gläubigerverzug tritt ein, wenn es am Gläubiger gelegen ist, dass nicht geleistet werden kann, er also ein zur richtigen Zeit am richtigen Ort in der richtigen Weise erfolgtes Leistungsanbot des Schuldners nicht entgegennimmt. Trotz Terminfestsetzung kann der Schuldner auch schon vor Fälligkeit leisten und den Gläubiger bei Nichtannahme in Verzug setzen. Terminfestsetzungen dienen nämlich nur dem Interesse des Schuldners, nicht des Gläubigers. Der Annahmeverzug ist keine Pflichtverletzung, da der Gläubiger regelmäßig nicht zur Abnahme verpflichtet ist. Allerdings wird seine Lage verschlechtert, umgekehrt die des Schuldners erleichtert: Der Annahmeverzug bewirkt auf jeden Fall eine Haftungsmilderung. Der Schuldner hat nur mehr für dolus einzustehen. Sind weiterhin Aufwendungen zu machen (zB der Verkäufer eines Sklaven muss weiterhin für dessen Ernährung aufkommen), kann der Schuldner diesbezüglich Ersatz verlangen. Der Gläubigerverzug führt ferner zum Erlöschen eines allfälligen Pfandrechts. Ferner besteht die Möglichkeit der Hinterlegung an einer öffentlichen Stelle. Beim Weinverkauf ist es dem Verkäufer erlaubt, nach entsprechender Vorankündigung den geschuldeten Wein wegzuschütten. Tut er es nicht, kann er vom Käufer ein entgangenes oder entrichtetes Gebrauchsentgelt für die Fässer verlangen. Die perpetuatio obligationis Bei strengrechtlichen Obligationen auf das dare einer certa res (zB Stipulation des Sklaven Stichus), verstehen die Römer die dazugehörige Klagsformel Si paret Num Num Ao Ao servum Stichum dare oportere ... (Wenn es sich erweist, dass der Beklagte dem Kläger den Sklaven Stichus zu übereignen verpflichtet ist …) in der Weise, dass eine solche Verpflichtung nur bestehen kann, wenn der geschuldete Gegenstand zum Zeitpunkt der litis contestatio existiert, dh der Richter müsste nach diesem Formelverständnis freisprechen, wenn der geschuldete Gegenstand bereits untergegangen ist. Dieses Ergebnis wäre in den Fällen unbefriedigend, in denen der Schuldner den Untergang der Sache zu vertreten hat. Markus Ertl Römisches Recht Seite 63 von 119 Zur Abhilfe bedient sich das RR einer Fiktion: Es wird fingiert, dass die Sache zum Zeitpunkt der litis contestatio noch existiert: Dadurch kommt es zur Verewigung des Schuldverhältnisses (perpetuatio obligationis), der Richter kann das formelmäßige dare oportere bejahen und demgemäß den Sachwert als Sekundärleistung zusprechen. Wir finden die perpetuatio obligationis bei strengrechtlichen Obligationen auf eine certa res bei folgenden Tatbeständen: 1. nachträgliche, vom Schuldner zu vertretende Unmöglichkeit. 2. Unmöglichkeit nach Eintritt des Schuldnerverzuges: Da den Schuldner im Verzug eine Haftungsverschärfung trifft, kommt es auch bei zufälligem Untergang im Verzug der erwähnten perpetuatio obligationis. Römisches Recht Seite 64 von 119 Markus Ertl Römisches Recht Seite 65 von 119 Markus Ertl AG 06 Obligationenrecht – Besonderer Teil Realkontrakte I Damit ein Realkontrakt zustande kommt, ist außer der Willensübereinstimmung der Parteien (conventio) noch die Hingabe der Sache erforderlich. Zu den Realkontrakten zählen: Mutuum (Darlehen) Depositum (Verwahrung) Commodatum (Leihe) Pignus (Hingabe einer Sache zum Pfand) möglicherweise auch Fiducia (Treuhandübereignung) Das Mutuum Der Darlehensvertrag (Mutuum) kommt dadurch zustande, dass der Darlehensgeber G dem Darlehensnehmer S Geld oder andere vertretbare Sachen (zB Getreide) zum Eigentum übergibt, wobei der Empfänger S verpflichtet wird, nicht idem (bei Geld also nicht dieselben Münzen und Geldscheine), sondern tandem eiusdem generis et qualitatis (ebensoviel von derselben Art und Qualität zurückzuerstatten. Die Darlehensverpflichtung ist nach dieser Definition eine genus-Schuld; die Gefahr trägt daher der Schuldner S. Das Darlehen zählt zu den obligationes stricti iuris, es ist ein einseitig verbindlicher Vertrag. Die Klage des Darlehensgebers G zur Durchsetzung der Rückzahlungspflicht des S ist die strengrechtliche condictio. Wir die condictio als Darlehensklage verwendet, heißt sie beim Gelddarlehen: actio certae creditae pecuniae beim Getreidedarlehen: condictio triticaria (oder Darlehen in anderen vertretbaren Sachen). Voraussetzung für das Entstehen einer Darlehensverpflichtung sind eine auf Darlehensbegründung gerichtete Willenseinigung (conventio) der Parteien, eine datio von G an S, dh eine Eigentumsübertragung an der Darlehenssumme von G an S; sie erfolgt regelmäßig durch traditio (Übergabe, tatsächliche Auszahlung der Münzen – numeratio) auf Grund der causa credendi. Lockerungen des Erfordernisses der direkten datio von G an S zeigen sich in folgenden Fällen: 1. Anweisungsdarlehen A schuldet dem G 10.000 HS. G will dem S 10.000 HS als Darlehen gewähren. Statt dass nun G dem S die 10.000 HS zuzählt, weist er seinen Schuldner A an, dem S das geschuldete Geld zu geben. Durch die Geldhingabe von A an S kommt es zur Entstehung eines Darlehens zwischen G und S und zum Erlöschen der Forderung von G gegen A. Römisches Recht Seite 66 von 119 Markus Ertl 2. Vereinbarungsdarlehen S schuldet dem G aus irgendeinem Grund Geld. G und S vereinbaren nun, dass das noch nicht abgerechnete Geld von S als Darlehen behalten werden soll. 3. contractus mohatrae G möchte dem S ein Darlehen gewähren, hat aber kein Bargeld. Er übergibt daher dem S einen Gegenstand; S soll ihn verkaufen und den Erlös als Darlehen behalten. Nach klassischer Auffassung kommt das Darlehen in dem Moment zustande, in dem S vom Käufer den Erlös erhält. Darlehenszusage und Darlehen S benötigt in Kürze einen Betrag von 10.000 HS. G sagt am 01.04. diesem auf seine entsprechende Anfrage zu, dass er ihm am 01.05. diesen Betrag als Darlehen gewähren wird. Das ist noch kein Darlehensvertrag, sondern eine Zusage künftiger Darlehensgewährung. G zählt dem S am 01.05. die 10.000 HS als Darlehen zu. Erst jetzt liegt ein Darlehensvertrag (mutuum) vor. Das mutuum zählt zu den Realkontrakten und kommt daher erst durch die Sachhingabe zustande (vgl § 983 ABGB). Eine vorangegangene Darlehenszusage ist nach RR nur dann klagbar, nicht klagbar, wenn sie formlos erfolgt ist: Es liegt ein sog pactum de mutuo dando vor. wenn sie in Stipulationsform erfolgt ist. Der Umfang der entstehenden Verpflichtung unverzinsliches Darlehen verzinsliches Darlehen Der Darlehensschuldner S ist nur zur Rückerstattung der empfangenen Summe (Kapitaltilgung) verpflichtet. Der Darlehensschuldner S ist neben der Kapitaltilgung zur Entrichtung von Zinsen verpflichtet. Da S kein Entgelt für die Nutzung des Fremdkapitals zu entrichten hat, liegt kein entgeltliches Geschäft vor. Hier liegt ein entgeltliches Geschäft vor: Die Zinsen sind das Entgelt für die Nutzung des fremden Kapitals. Eine Vereinbarung von Zinsen für ein Darlehen ist unwirksam, nur wirksam, wenn sie formlos (dh nicht in Stipulationsform) erfolgt. Ab der Spätklassik schafft eine formlose Zinsvereinbarung eine obligatio naturalis (zahlbar, aber nicht klagbar). wenn sie in Stipulationsform erfolgt. Die Zinsen werden mit der Klage aus der Stipulation (idR mit der actio ex stipulatu, da es sich um ein incertum handelt) geltend gemacht. Das Geschäftsdarlehen Bei der Darlehenszusage durch G wurden die Rückzahlungspflicht und die Zinszahlungspflicht zum Gegenstand einer Stipulation gemacht. Römisches Recht Seite 67 von 119 Markus Ertl Nach klassischer Auffassung liegen bei Darlehensgewährung mit Rückzahlungsstipulation nicht zwei Obligationen (nämlich eine aus Realkontrakt und eine aus Verbalkontrakt) vor, sondern nur eine einzige aus der Stipulation. Die Klage aus der Stipulation und aus dem mutuum ist ohnedies dieselbe, nämlich die condictio: Mit ihrer abstrakten Formel deckt sie beide Verpflichtungsgrundlagen. Der Schutz des Schuldners bei Rückzahlungsstipulationen Es konnte vorkommen, dass Schuldner eine Rückzahlungsversprechen in Stipulationsform abgaben und darüber zu Beweiszwecken eine Urkunde errichteten, dann aber das Darlehen nicht oder nicht in der vollen Höhe zugezählt erhielten. Klagte nun der Gläubiger, gestützt auf die Stipulation des S, auf Rückzahlung, so gewährte man dem Schuldner in der Klassik eine exceptio doli. In der Spätklassik wurde diese Einrede zur Exceptio non numeratae pecuniae verselbstständigt. Kläger G condictio exceptio non numeratae pecuniae Beklagter S Das Depositum Der Verwahrungsvertrag (depositum) kommt dadurch zustande, dass der Hinterleger (Deponent) dem Verwahrer (Depositar) eine Sache unter der Vereinbarung übergibt, dass der Verwahrer sie unentgeltlich aufbewahrt. Das depositum ist stets unentgeltlich; wird eine entgeltliche Aufbewahrung einer Sache vereinbart, liegt kein depositum, sondern locatio conductio vor. Sachenrechtlich erlangt der Verwahrer nur die Position eines Detentors. Der Hinterleger bleibt mittelbarer Besitzer. Das depositum ist ein unvollkommen zweiseitiger Vertrag. Es entsteht auf jeden Fall ein Anspruch H gegen V (actio depositi directa), in manchen Fällen entsteht auch ein Anspruch V gegen H (actio depositi contraria). Hinterleger (Deponent) H a. depositi directa Rückgabe Schadenersatz (dolus) a. depositi contraria Aufwandersatz Schadenersatz Verwahrer (Depositar) V Pflichten des Verwahrers (Ansprüche des H): Aufbewahrung der Sache Rückgabe der Sache: Selbst wenn eine bestimmte Verwahrungsdauer vereinbart wurde, kann der H jederzeit die Rückgabe der Sache verlangen. Der Verwahrer haftet dabei nur für dolus (Utilitätsprinzip). Der Verwahrer darf die Sache nicht gebrauchen; unerlaubter Gebrauch ist furtum usus (Gebrauchsdiebstahl). Römisches Recht Seite 68 von 119 Markus Ertl Die Verwahrung von Geld gewöhnliche Verwahrung Depositum irregulare (unregelmäßiger Verwahrungsvertrag) H gibt V Geld in einem versiegelten Beutel. V ist verpflichtet (den Beutel und) genau die hingegebenen Geldstücke zurückzugeben. H gibt V Geld offen zur Verwahrung. V ist verpflichtet, nicht dieselben Geldstücke, sondern nur die gleiche Summe zurückzugeben; er kann die erhaltenen Stücke auch für sich verwenden. V wird Detentor an den erhaltenen Geldstücken; Die Gefahr trägt der H. species-Schuld V wird Eigentümer an den erhaltenen Geldstücken; er trägt daher auch die Gefahr genus-Schuld Schwieriger ist die Abgrenzung depositum irregulare mutuum Hier steht das Verwahrungsbedürfnis des Geldgebers im Vordergrund. Hier steht das Kreditbedürfnis des Geldempfängers im Vordergrund. In der Klassik wird das depositum irregulare in den Rechtsfolgen dem mutuum unterstellt; dies zeigt sich darin, dass die condictio (und nicht die actio depositi) als Rückzahlungsklage vereinbart wird; formlose Zinsvereinbarungen nicht klagbar sind. In der Nachklassik wird das depositum irregulare aus dem mutuum herausgelöst; dies zeigt sich darin, dass die actio depositi als Rückzahlungsklage gewährt wird, die mit dieser Klage verbundene bona fides auch die Durchsetzbarkeit formlos vereinbarter Zinsen oder gesetzlicher Verzugszinsen ermöglicht. Das Commodatum Der Leihvertrag (commodatum) kommt dadurch zustande, dass der Verleiher (Kommodant) V dem Entlehner (Kommodatar) E eine Sache unter der Vereinbarung übergibt, dass sie der Entlehner unentgeltlich benützen kann. Das commodatum ist eine unentgeltliche Gebrauchsüberlassung; entgeltliche Gebrauchsüberlassung ist locatio conductio rei (Miete, Pacht). Gegenstand des commodatum sind grundsätzlich nur unvertretbare unverbrauchbare Sachen; die Überlassung von verbrauchbaren Sachen (zB Wein, Getreide, Geld) mit der Abrede, dass der Empfänger die gleiche Menge zurückzuerstatten hat, ist nicht Leihe, sondern Darlehen. Die Leihe begründet eine species-Schuld. Als Realvertrag kommt das commodatum erst durch die tatsächliche Hingabe zustande. Eine formlose Vereinbarung, künftig eine Sache leihweise zu überlassen, ist nach RR nicht klagbar. Neben dem verbindlichen Leihvertrag (commodatum) kennt das RR noch die unverbindliche Bittleihe (precarium). Römisches Recht Seite 69 von 119 Markus Ertl Sachenrechtlich erlangt der Entlehner die Position eines Detentors. Der Verleiher bleibt mittelbarer Besitzer. Das commodatum ist ein unvollkommen zweiseitiger Vertrag. Es entsteht auf jeden Fall ein Anspruch V gegen E, nämlich auf Rückgabe; in bestimmten Fällen kann es zu einem Gegenanspruch E gegen V kommen. Verleiher (Kommodant) V a. commodati directa Rückgabe Schadenersatz (custodia) a. commodati contraria Ersatz ao. Aufwendungen Schadenersatz Entlehner (Kommodatar) E Ansprüche des Verleihers: Rückgabe der Sache nach Ablauf der vereinbarten Leihfrist oder nach ordnungsgemäßen Gebrauch (da das commodatum ein verbindlicher Vertrag ist, kann die Sache vom Verleiher nicht vorzeitig zurückverlangt werden; dadurch unterscheidet sich das commodatum vom unverbindlichen precarium, das jederzeit frei widerrufen werden kann). Der Entlehner haftet für custodia (Utilitätsprinzip). Tragung der Erhaltungskosten. Allfällige Gegenansprüche des Entlehners: Ersatz jener Aufwendungen, die über die vom Entlehner zu tragenden gewöhnlichen Erhaltungskosten hinausgehen (zB der entlehnte Sklave wird schwer krank und muss behandelt werden). Ersatz von Schäden, die dem Entlehner durch die Sache entstehen, allerdings nur, sofern dolus des Verleihers vorliegt (er verleiht zB wissentlich undichte Fässer, beim Entlehner rinnt Wein aus). Die allfälligen Gegenansprüche können durchgesetzt werden im Wege der Retention oder Kompensation gegen den Rückgabeanspruch des Verleihers oder durch eine selbstständige Klage (actio commodati contraria). Locatio conductio Unter der Bezeichnung locatio conductio erfassen die Römer folgende Verträge: 1. Mietvertrag und Pachtvertrag (Bestandsvertrag) = locatio conductio rei 2. Dienstvertrag = locatio conductio operarum 3. Werkvertrag = locatio conductio operis „locare“ bedeutet wörtlich „hinstellen“, „conducere“ bedeutet „mitnehmen“. ad 1: Bei der Miete stellt der Vermieter das Mietobjekt hin (locat rem), der Mieter nimmt es mit (locator = Vermieter, Verpächter; conductor = Mieter, Pächter). ad 2: Beim Dienstvertrag stellt der Dienstnehmer seine Arbeitskraft hin bzw zur Verfügung (locat operas suis), der Dienstgeber nimmt sie in Anspruch (locator = Dienstnehmer, conductor = Dienstgeber). ad 3: Beim Werkvertrag stellt der Besteller häufig eine Sache zur Bearbeitung hin; im übertragenen Sinn: er vergibt ein auszuführendes Werk (locat opus faciendum). Der Un- Römisches Recht Seite 70 von 119 Markus Ertl ternehmer nimmt die Sache zur Bearbeitung mit, er übernimmt das opus faciendum (locator = Besteller – heute „Auftraggeber“, conductor = Unternehmer). Bei 1 und 2 wird das Entgelt (merces) vom conductor, bei 3 vom locator bezahlt. 1 und 2 sind Dauerschuldverhältnisse, während 3 ein Zielschuldverhältnis ist. Die locatio conductio ist ein synallagmatischer Vertrag und zählt zu den bona-fidesVerhältnissen. Als Konsensualvertrag kommt die locatio conductio durch bloße Einigung über Leistung und Entgelt zustande. Abgrenzungsfragen bei der locatio conductio Mietvertrag Leihvertrag Bei der Miete handelt es sich um entgeltliche Gebrauchsüberlassung. Bei der Leihe handelt es sich um unentgeltliche Gebrauchsüberlassung. Weiters: Der Mietvertrag kommt im RR durch bloßen consensus zustande, der Leihvertrag kommt erst durch Sachhingabe zustande (Realkontrakt). Dienstvertrag Werkvertrag Beim Dienstvertrag wird nur die Tätigkeit selbst, die Bemühung, geschuldet. Beim Werkvertrag wird ein bestimmter Erfolg geschuldet. Die Tätigkeit erfolgt unter Weisung des Berechtigten und auf sein eigenes wirtschaftliches Risiko. Die Tätigkeit selbst erfolgt weisungsfrei; das wirtschaftliche Risiko liegt beim Verpflichteten. Dauerschuldverhältnis Zielschuldverhältnis Werkvertrag Werklieferungsvertrag Der Unternehmer hat aus dem Material des Bestellers eine Sache herzustellen. Der Unternehmer hat aus dem von ihm selbst beizustellenden Material eine Sache herzustellen. locatio conductio herrschende Auffassung in der Klassik: nur Kauf gewöhnliche Pacht (locatio conductio) schuldrechtliches Vertragsverhältnis Erbpacht (Emphyteuse) beschränktes Recht dingliches Kolonat personenrechtliches Abhängigkeitsverhältnis Miete und Pacht (l.c. rei) Miete liegt vor, wenn eine Sache gegen Entgelt (Zins) zum Gebrauch überlassen wird. Pacht liegt vor, wenn eine Sache gegen Entgelt (Zins) zur Bewirtschaftung und zur Fruchtziehung überlassen wird. Römisches Recht Seite 71 von 119 Markus Ertl locator Vermieter Verpächter actio locati Zinszahlung Rückgabe bei Beenden actio conducti Gebrauchsüberlassung conductor Mieter Pächter Pflichten des Bestandgebers Einräumung und Erhaltung der Gebrauchsmöglichkeit für den Mieter. Erhaltung der Sache in gebrauchsfähigem Zustand; insbesondere hat der Vermieter die notwendigen Aufwendungen zu tragen. Schließlich begegnet auch bei der Miete eine Gewährleistungspflicht für Sachmängel (die vermieteten Fässer sind zB undicht) oder Rechtsmängel (die vermietete Sache gehört zB nicht dem Vermieter). Pflichten des Bestandnehmers Bezahlung des vereinbarten Zinses. Vertragsmäßiger Gebrauch; bei der Pacht Kultivierungspflicht. Rückgabe des Bestandobjekts bei Beendigung des Bestandverhältnisses. Der Mieter haftet bezüglich des Mietobjektes über den Bereich des Verschuldens hinaus auch für custodia. Die Gefahrtragung Wird durch einen vom Bestandgeber nicht zu vertretenen Umstand der Gebrauch beeinträchtigt, erhebt sich die Frage, ob die Zinszahlungspflicht des Bestandnehmers aufrecht bleibt oder nicht (Problem der Zinsgefahr). Für die Fälle der vis maior gilt der Satz: Periculum es locatoris. (Die Gefahr trägt der Bestandgeber.) Dh er verliert den Zinsanspruch. Stellung des Bestandgebers 1. Der Bestandgeber ist idR der Eigentümer des Bestandsobjektes, doch muss er es nicht sein (zB Untermiete). 2. Der Bestandgeber bleibt während der Vermietung oder Verpachtung weiterhin possesor des Bestandobjektes. Er übt seine possessio mittelbar durch den Bestandnehmer aus. 3. Es besteht ein Pfandrecht des Bestandgebers zugunsten der Zinsforderung: a. Bei der städtischen Wohnungsmiete hat der Vermieter ein besitzloses Pfandrecht an den invecta et illata (eingebrachten Sachen) des Mieters. Zur Durchsetzung konnte der Vermieter die invecta et illata beschlagnahmen und den Mieter am Fortschaffen hindern (vgl § 1101 ABGB). Dem Mieter stand nach der Bezahlung des Mietzinses ein interdictum de migrando auf Freigabe zu. b. Bei der landwirtschaftlichen Pacht hat der Verpächter ein besitzloses Pfandrecht an den gezogenen Früchten. Ein Pfandrecht der invecta et illata entsteht nur bei ausdrücklicher Vereinbarung. Römisches Recht Seite 72 von 119 Markus Ertl Stellung des Bestandnehmers Im RR hatten der Wohnungsmieter (inquilinus) und der Pächter (colonus) nur eine sehr schwache Stellung. 1. Der Mieter bzw Pächter wird bloßer Detentor und genießt im RR keinen Besitzschutz. Wird der Mieter oder Pächter von einem Dritten gestört oder vertrieben, ist er dem Dritten gegenüber schutzlos. 2. Der Mietvertrag schafft nur ein obligatorisches Band zwischen Mieter und Vermieter; eine dingliche Wirkung kommt dem Mietrecht nicht zu: Veräußert der Vermieter V das Mietobjekt, so ist der Erwerber K nicht an den Mietvertrag gebunden und kann den Mieter M vertreiben. Dies wird mit dem Satz umschrieben: Kauf bricht Miete. Streng genommen müsste die Regel nicht „Kauf bricht Miete“, sondern „Eigentumsübertragung bricht Miete“ heißen. Beeinträchtigt wird die Stellung des Mieters M ja durch das sachenrechtliche Verfügungsgeschäft, welches den Käufer K zum Eigentümer macht. Natürlich wird sich ein gewissenhafter Vermieter V schon beim Verkauf an K in einer Nebenabrede (pactum adiectum) ausbedingen, dass K weiterhin dem M das Wohnen gestattet. Wer jedoch kann sich auf dieses pactum berufen und bei abredewidrigem Verhalten des K gegen diesen vorgehen? der V (Vertragspartner des K) der M (der begünstigte Dritte) Dies entspricht einem sog unechten Vertrag zugunsten Dritter. Dies entspricht einem sog echten Vertrag zugunsten Dritter. Da das RR dem echten Vertrag zugunsten Dritter grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, begegnet in den klassischen Quellen nur die linke Variante. Der Dienstvertrag (l.c. operarum) Da der Großteil der Arbeitsleistung im institutionellen Rahmen der Sklaverei erbracht wurde, kam dem Dienstvertrag nur eine geringe Bedeutung zu. locator Dienstnehmer actio locati Lohnzahlung actio conducti Erbringung der Arbeit conductor Dienstgeber Das Problem der Lohngefahr Können durch einen nicht zu vertretenden Umstand (zB unverschuldete Krankheit) die Dienste nicht erbracht werden, erhebt sich die Frage, ob auch der Lohn nicht zu zahlen ist. die Lohnzahlungspflicht aufrecht bleibt. Die Gefahr trägt der locator. Die Gefahr trägt der conductor. Dazu entwickelte der Spätklassiker Paulus folgende Formel: Der Dienstnehmer behält den Lohnanspruch, wenn es nicht an ihm gelegen ist, dass er die Dienste nicht erbringen kann. Römisches Recht Seite 73 von 119 Markus Ertl Auch andere Stellen deuten darauf hin, dass die Römer bereits die sog Sphärentheorie angewandt haben: Für die Frage der Gefahrtragung kommt es darauf an, in wessen Sphäre sich der hindernde Umstand ereignet hat; demnach geht eine Krankheit zu Lasten des Dienstnehmers, ein Arbeitsausfall durch Zerstörung des Arbeitsplatzes (zB Überschwemmung) zu Lasten des Dienstgebers. Selbstverständlich kann eine Parteienvereinbarung eine davon abweichende Risikoverteilung vorsehen. Der Werkvertrag (l.c. operis) locator Werkbesteller actio locati Ausführung des Werkes Herstellung des Erfolges actio conducti Bezahlung des Lohnes conductor Werkunternehmer Pflichten des conductors Ordnungsgemäße Ausführung des Werkes. Nebenpflichten können sich aus dem Vertrag oder den bona fides ergeben (zB Schutz- und Sorgfaltspflichten). Der conductor haftet grundsätzlich für dolus und culpa: Zur culpa zählt auch die imperitia, dh er hat einzustehen, wenn er nicht die entsprechenden Fähigkeiten besitzt. Der conductor haftet dabei nicht nur für sein eigenes Verschulden, sondern auch für das Verschulden seiner Gehilfen. Pflichten des locators Bezahlung des Werklohnes (merces). Die Gefahrtragung beim Werkvertrag Bauunternehmer B baut für A ein Haus. Nachdem ein Teil des Baues fertig gestellt ist, stürzt dieser durch ein Erdbeben ein. B befördert für A eine Säule auf einem Schiff. Sie wird mit aller erdenklichen Sorgfalt gelagert. Trotzdem zerbricht sie bei einem Orkan. B hebt für A einen Graben aus. Noch bevor es zur approbatio (Abnahme des Werkes) kommt, stürzt der Graben ein. B befördert für A Sklaven auf einem Schiff, wobei ein bestimmter Fuhrlohn pro Passagier festgesetzt ist. Während der Reise sterben zwei Sklaven. Es handelt sich um Ereignisse, die nicht zu vertreten sind. Der zu tragende Nachteil eines zufälligen Ereignisses kann verschiedener Art sein: 1. A verliert eine Sache, ohne einen Ersatzanspruch zu haben: Er trägt die Gefahr bezüglich des Materials, dh in Beispiel erhält er keinen Ersatz für die zerbrochene Säule, in Beispiel keinen Ersatz für die gestorbenen Sklaven. 2. Problem der Lohngefahr: Es geht um die Frage, ob der Entgeltanspruch des conductor B aufrecht bleibt oder nicht, wenn das Werk durch Zufall unausführbar wird oder vor der Abnahme (approbatio) durch Zufall zerstört wird. Wenn wir dabei zu dem Ergebnis kommen, dass der locator A den Lohn nicht bezahlen muss, dann gereicht dies dem conductor B zum Nachteil: Er erhält für seine Leistungen kein Entgelt (die Gefahr trägt der conductor). Römisches Recht Seite 74 von 119 Markus Ertl Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass der locator A den Lohn dennoch bezahlen muss, dann gereicht dies dem locator A zum Nachteil: Er muss bezahlen, obwohl er keine Leistung erhält bzw eine wirtschaftlich sinnlose Leistung erhält (die Gefahr trägt der locator). Die ältere, vor allem von Labeo vertretene Auffassung, weist die Gefahrtragung dem conductor zu; er erhält in Fall keinen Werklohn, in Fall für die gestorbenen Passagiere keinen Fuhrlohn. Die jüngere Auffassung entwickelte die sog „Sphärentheorie“: Umstände, die sich in der Sphäre des conductor ereignen, gereichen ihm zum Nachteil, zB vitium operis in Fall . Umstände, die sich in der Sphäre des locator ereignen, sowie vis maior gereichen diesem zum Nachteil, zB vitium soli in Fall (Materialfehler) oder in Fall oder in Fall . Innominatrealkontrakte und pacta 1a A und B vereinbaren, dass A dem B eine Kuh und B dem A dafür einen Pflug geben wird. 1b A übergibt an B eine Kuh unter der Vereinbarung, dass B dem A dafür einen Pflug geben wird. = Tausch 2a A und B vereinbaren, dass A dem B 10.000 HS geben soll und B dafür die Sklavin Titia freilassen wird. 2b A übergibt B 10.000 HS unter der Vereinbarung, dass B dafür die Sklavin Titia freilassen wird. Diese Austauschverhältnisse entsprechen keinen anerkannten Vertragstypus. Es handelt sich daher um „atypische Verträge“. Solche atypischen Vereinbarung auf künftigen Leistungsaustausch sind im RR nie als klagbar anerkannt worden. Als durchsetzbare Verträge werden solche pacta erst in der neuzeitlichen Rechtsentwicklung nach Überwindung des Typenzwangs anerkannt (pacta sunt servanda). Atypische Austauschvereinbarungen, bei denen eine Partei ihre Leistung als Vorleistung erbringt, hat das nachklassische RR nach vereinzelten klassischen Ansätzen generell anerkannt, dh es gibt eine Klage des vorleistenden A zur Durchsetzung der Gegenleistung (actio praescriptis verbis). Solche Vereinbarungen werden als Innominatrealkontrakte bezeichnet. Die Entwicklung des Rechtsschutzes bei den Innominatrealkontrakten A erbringt eine Leistung an B unter der Vereinbarung, dass B eine Gegenleistung erbringt. Bleibt die Gegenleistung des B aus, besteht der Rechtsschutz des A darin, dass dieser in der 1. Stufe seine erbrachte Leistung zurückverlangen kann. Hierzu dient die condictio ob causam datorum. In der zweiten Stufe kann A entweder seine erbrachte Leistung mit der condictio ob causam datorum rückfordern oder von B die Erbringung der Gegenleistung verlangen. Hierfür wurden eigene actiones in factum gewährt, welche später die Bezeichnung actiones in praescriptis verbis erhielten. Die nachklassische Verallgemeinerung beinhaltete die Leitsätze Do, ut des. Do, ut facias. Facio, ut des. Facio, ut facias. Römisches Recht Seite 75 von 119 Markus Ertl Diese Entwicklungsstufe findet sich im klassischen RR nur in Ansätzen, in der Nachklassik hingegen generell. Auch Justinian hält noch daran fest, dass der vorleistende A bei Ausbleiben der Gegenleistung entweder zurücktreten oder die Erbringung der Gegenleistung fordern kann. Die denkbare 3. Stufe, dass A grundsätzlich nur die Erbringung der Gegenleistung durch B verlangen kann, hat das RR nicht erreicht. Obligationenrecht – Allgemeiner Teil Stellvertretung Wenn jemand rechtsgeschäftlich handelt, treten die Folgen seines rechtsgeschäftlichen Handelns (zB der Erwerb von Rechten und Pflichten) grundsätzlich bei ihm selbst ein (Eigengeschäft: Das Geschäft wird auf eigene Rechnung und im eigenen Namen abgeschlossen). Sollen die Rechtsfolgen nicht beim Handlenden selbst, sondern unmittelbar bei einer anderen Person eintreten (Vertretergeschäft), sind dafür zwei Voraussetzungen erforderlich: 1. Bestehen von Vertretungsmacht. Diese kann beruhen auf a. einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht, b. dem Gesetz (Eltern sind gesetzliche Vertreter ihrer minderjährigen Kinder) oder c. einer Organstellung (zB Vorstand für einen Verein). 2. Handlen in fremden Namen (Offenlegungsprinzip) In diesem Fall sprechen wir von der direkten Stellvertretung. Direkte (unmittelbare) Stellvertretung ist rechtsgeschäftliches Handeln Indirekte (mittelbare) Stellvertretung ist rechtsgeschäftliches Handeln auf fremde Rechnung auf fremde Rechnung und in fremden Namen aber in eigenem Namen Die rechtlichen Folgen treten unmittelbar beim Vertretenen ein. Die rechtlichen Folgen treten zunächst beim Stellvertreter selbst ein. Das RR kennt (bis auf wenige Ausnahmen) keine direkte Stellvertretung. Wenn Stellvertreter StV für den Vertretenen A eine Sache bei Verkäufer V kauft, wird er selbst aus dem Kaufvertrag berechtigt und verpflichtet. Wird ihm die Sache vom Verkäufer V übergeben, erlangt er selbst Besitz und Eigentum. Erst wenn StV die Sache an A weiter übergibt, erlangt dieser Besitz und Eigentum. Gegenüber V ist StV selbst zur Preiszahlung verpflichtet. Hat er an V den Preis bezahlt, kann er freilich den ausgelegten Betrag auf Grund des zwischen ihm und A bestehenden Rechtsverhältnisses – zB mandatum – als Aufwandersatz verlangen. Gründe für das Fehlen der direkten Stellvertretung im RR: 1. Gedankliche Schwierigkeiten: Den Römern ist der Gedanke schwer zugänglich, dass die Wirkungen eines Rechtsgeschäfts bei einem anderen als dem eintreten sollen, der es vorgenommen hat. 2. Kein Bedarf: Im Rahmen von Gewaltverhältnissen waren die personae alieni iuris (zB Hauskinder, Sklaven) selbst vermögensunfähig. Alles, was sie erwerben, erwer- Römisches Recht Seite 76 von 119 Markus Ertl ben sie für ihre Gewalthaber. Durch die Möglichkeit der Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr über Gewaltunterworfene entstand kein Bedürfnis nach einer direkten Stellvertretung durch gewaltfreie Personen. Ansätze zur direkten Stellvertretung finden sich beim tutor (Vormund) und curator (Sachwalter), ebenso beim procurator (Vermögensverwalter): Diese erwerben Besitz und Eigentum unmittelbar für das Mündel, den Pflegling oder Vermögensträger. Von der Stellvertretung ist die Botenschaft zu unterscheiden: Stellvertreter ist, wer für einen anderen eine Willenserklärung abgibt und dabei eine bestimmte Dispositionsbefugnis hat. Bote ist, wer eine Willenserklärung bloß transportiert. Römisches Recht Seite 77 von 119 Markus Ertl AG 07 Obligationenrecht – Besonderer Teil Delikte I B Wenn bei unerlaubten Handlungen die Ingangsetzung und Geltendmachung von Sanktionen dem Staat zukommt den betroffenen Privatrechtssubjekten zukommt sprechen wir von Crimina publica Delicta privata Sie führen zur Bestrafung durch den Staat. Sie lassen einen Anspruch des Verletzten gegen den Verletzer entstehen; dabei kann dieser Anspruch gerichtet sein entweder auf Buße oder Vermögensausgleich (Schadenersatz). Die delicta privata werden nach der Rechtsgrundlage eingeteilt in zivile Delikte prätorische Delikte Dazu gehören: Furtum (Diebstahl) Damnum iniuria datum (unrechtmäßige Schadenszufügung in der lex Aquilia) Iniuria (Persönlichkeitsverletzung) Drei besonders wichtige: Rapina (Raub) Dolus (Arglist, Betrug) Metus (Zwang, Erpressung) Zu den Deliktstatbeständen furtum (Diebstahl), rapina (Raub) und den grundlegenden Regelungen der lex Aquilia siehe S 31 ff. Haftungsvoraussetzungen nach der lex Aquilia Damit ein Anspruch nach der lex Aquilia entsteht, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Kap. III Kap. I Schaden Tötung von servi und quadrupedes pecudes andere Vermögensschäden Schädigende Handlung des Haftpflichtigen a) Kausalität der Handlung b) unmittelbare Einwirkung durch positives Tun c) Typizität der Handlung „occidere“ wird restriktiv ausgelegt „urere, frangere, rumpere“; „rumpere“ wird extensiv ausgelegt iniuria Römisches Recht Seite 78 von 119 Markus Ertl Rechtswidrigkeit Die Rechtswidrigkeit schädigender Handlungen wird durch Rechtfertigungsgründe (zB Notwehr) ausgeschlossen. Verschulden (culpa iwS) Verschulden umfasst Vorsatz (dolus) und Fahrlässigkeit (culpa ieS). ad : Die Haftung nach dem I. Kapitel kam nur bei Tötung von Sklaven und vierfüßigen Herdentieren in Betracht. Bloße Verletzung derer fiel unter das dritte Kapitel. Das dritte Kapitel erfasste alle übrigen Vermögensschäden, also die Verletzung von Sklaven und vierfüßigen Herdentieren, die Tötung und Verletzung sonstiger Tiere, sowie alle Beschädigungen von leblosen Sachen. ad a): Die Kausalität einer bestimmten Handlung für einen bestimmten Erfolg kann nach der sog Äquivalenztheorie mit der Formel conditio sine qua non geprüft werden: Demnach ist eine Handlung dann kausal für den Erfolg, wenn bei Hinwegdenken der Handlung auch der Erfolg hinweggedacht werden muss. ad b): Eine Haftung nach der lex Aquilia besteht (trotz Kausalität) nicht, wenn der Schaden nicht durch positives Tun, sondern durch Unterlassen eingetreten ist (zB A lässt einen fremden Sklaven verhungern); wenn der Schädiger nicht direkt (dh corpore = mit seinem Körper) auf das beschädigte Objekt eingewirkt hat (A stellt zB ein Gift hin, welches die Sklavin B austrinkt oder A treibt fremdes Vieh in den Abgrund, ohne die Tiere zu berühren). ad c): Typische Handlung nach dem I. Kapitel ist occidere. Dieser Begriff wird restriktiv ausgelegt im Sinne von gewaltsamer Handanlegung (zB Erschlagen). Was nicht unter occidere fällt, insbesondere auch Tötung durch Unterlassen oder durch mittelbare Einwirkung, wird als mortis causam praestare („Setzen einer Todesursache“) bezeichnet. Die typischen Handlungen nach dem III. Kapitel sind: urere = Verbrennen frangere = Zerbrechen rumpere = Verstümmeln Doch haben die Juristen den Begriff rumpere im Sinne von corrumpere („Verderben“, „Beschädigen“) ausgelegt. Die durch b) und c) entstandenen Lücken im Rechtsschutz werden von den Prätoren durch Gewährung von actiones utilites und actiones in factum geschlossen. ad und : iniuria meint zunächst die Unrechtmäßigkeit, Widerrechtlichkeit. Später wird unter diesem Begriff auch die subjektive Tatseite, das Verschulden (culpa iwS) erfasst: In der Klassik wird bei der lex Aquilia eine Haftung sowohl bei Vorsatz (dolus) wie auch bei Fahrlässigkeit (culpa ieS) bejaht. Die actio legis Aquiliae Die actio legis Aquiliae ist eine actio mixta, dh sie vereinigt die Klagsziele „Vermögensausgleich“ und „Buße“ (poena) in sich. Das pönale Element liegt im Abstellen auf den Höchstwert. Dem Anspruch des Geschädigten wird dabei zugrunde gelegt: Im I. Kapitel der Höchstwert des getöteten Sklaven oder Herdentieres im Jahr vor der Tötung. Römisches Recht Seite 79 von 119 Markus Ertl Im III. Kapitel nach klassischer Auffassung ebenfalls der Höchstwert des beschädigten Objektes in letzten 30 Tagen vor der Beschädigung. Es bestehen jedoch erhebliche Meinungsverschiedenheiten darüber, wie der wirkliche Wortlaut des III. Kapitels aussah, insbesondere ob sich die 30-Tages-Frist auf die Zeit vor der Schädigung bezieht: nach der Schädigung bezieht: Dies wird aus dem pönalen Charakter der Klage geschlossen: Dies würde bedeuten, dass selbst bei geringer Beschädigung der ganze Sachwert zu ersetzen war. Nach dieser Auffassung dient die Frist dazu, um das Schadensausmaß richtig abschätzen zu können und diesen Anspruch zugrunde zu legen. Bei der actio legis Aquiliae besteht Litiskreszenz (Anwachsen des Streitwertes bei grundloser Bestreitung), dh gibt der Beklagte die Tat zu, wird er auf den einfachen Betrag verurteilt; bestreitet der Beklagte fälschlicherweise die Tat, erfolgt die Verurteilung auf das duplum. Aktivlegitimiert ist nach dem Wortlaut des Gesetzes nur der Eigentümer. Die Juristen gewähren jedoch eine actio utilis auch bestimmten Trägern eines beschränkten dinglichen Rechts, wie zB dem Ususfruktuar und dem Pfandgläubiger, darüber hinaus sogar Detentoren wie zB den Pächtern. Eine Situation der Klagenkonkurrenz kann vor allem dann entstehen, wenn der Schädiger mit dem Geschädigten in einem Vertragsverhältnis steht, aus dem ebenfalls ein Ersatzanspruch wegen Beschädigung der Sache abgeleitet werden kann. Der Schädiger ist zB Mieter, Pächter, Entlehner oder Pfandgläubiger (der vertragliche Haftungsmaßstab kann aber durchaus anders sein als der bei der lex Aquilia, ein Verwahrer haftet so zB nur für dolus, nicht für culpa, ein Entlehner haftet hingegen für custodia). Die actio legis Aquiliae ist eine actio mixta und das Klagsziel „Vermögensausgleich“ kann nur einmal verwirklicht werden, daher besteht hier Klagenausschluss (elektive Konkurrenz), dh der Geschädigte muss sich entscheiden, ob er die Vertragsklage oder die Deliktsklage wählt. Iniuria 1. Iniuria = Rechtswidrigkeit und Verschulden: In diesem Sinn wird iniuria bei der lex Aquilia verwendet (siehe oben). 2. Iniuria = selbstständiger Deliktstatbestand (in der Folge). Als selbstständiges Delikt umfasst iniuria jede vorsätzliche Verletzung oder Missachtung einer fremden Person. Wir unterscheiden dabei vor allem Real- und Verbalinjurien. Im Einzelnen sind folgende Tatbestände überliefert (XII-Tafeln): Membrum rumptum (Verstümmelung); Os fractum (Knochenbruch); Sonstige iniuria (als Auffangtatbestand). Schon die XII-Tafeln versuchen das Talionsprinzip („Auge um Auge, Zahn um Zahn“) dadurch einzuschränken, dass sie einen Sühnevergleich vorsehen, in dem der Verletzer dem Verletzten gegen Bezahlung eines vereinbarten Betrages sein Racherecht ablöst. Dieser Sühnevergleich ist die historische älteste Bedeutung vom pactum. Römisches Recht Seite 80 von 119 Markus Ertl Durch die Geldentwertung konnte es sich ein gewisser L. Veratius leisten, durch die Straßen zu gehen und jedem Passanten eine Ohrfeige zu geben. Ihm folgte ein Sklave mit einem Kassenbeutel, aus dem jedem Geohrfeigten sofort die 25 As (Straf für die sonstige iniuria) ausbezahlt wurden. Diese Missstände veranlassten die Prätoren im Zusammenhang mit der iniuria zu proponieren: ein edictum generale sowie Edikte für Spezialtatbestände wie zB convicium (laute Beschimpfung) oder adtemptata pudicitia (unsittliche Nachstellung). Als Klage wird die actio iniuriarum aestimatatia gewährt, bei welcher sich die Buße nicht an fixen Sätzen orientiert, sondern auf Grund einer Schätzung individuell ausgemessen wird. Beim Verfahren in iure wird durch die Schätzung des Klägers, bei sog iniuria atrox durch die Schätzung des Prätors ein Höchstbetrag (taxatio) bestimmt, der in die Formel aufgenommen wird. Aufgabe des iudex ist es, in diesem Rahmen den Bußbetrag nach seinem Ermessen zuzusprechen. Nach dem Bericht des Gaius hatte sich dabei die Praxis eingebürgert, dass der Richter von seinem Ermessen Gebrauch machte und weniger als die taxatio zusprach; der Richter sich bei der iniuria atrox grundsätzlich am Höchstbetrag (taxatio) orientierte. Eine iniuria wird zu einer iniuria atrox durch die Schwere der Tat, die örtlichen Gegebenheiten und den Stand des Verletzten. Die actio iniuriarum ist eine rein pönale Klage und ist höchstpersönlich: Sie kann also nur vom Verletzten, nicht mehr von seinen Erben erhoben werden. Sie ist ferner auf ein ein Jahr befristet. Dolus 1. Dolus = Vorsatz; Verschuldensgrad im Gegensatz zur Fahrlässigkeit (culpa). 2. Dolus = bewusst treuwidriges Verhalten, bewusster Verstoß gegen die bona fides. 3. Dolus = Arglist, Betrug, bewusste Schädigung als selbstständiges prätorisches Delikt. 4. Dolus = Einredetatbestand. Der Prätor verheißt bei arglistiger Schädigung die actio doli: Sie ist nur eine subsidiäre Klage, dh sie kann nur dann angestrengt werden, wenn keine andere Klage zur Verfügung steht. Sie enthält die Arbiträrklausel (auch: Restitutionsklausel), dh der Beklagte kann der Verurteilung dadurch entgehen, dass er Restitution leistet. Sie geht auf den einfachen Betrag, wird aber als actio mixta behandelt. Sie ist einjährig befristet. Römisches Recht Seite 81 von 119 Markus Ertl Dolus als Einredetatbestand: Der Beklagte macht Arglist des Klägers als Abweisungsgrund geltend und der Prätor gewährt ihm dafür die exceptio doli, die in die Klagsformel eingeschoben wird und in ihrer negativen Formulierung dem Richter nur dann eine Verurteilung ermöglicht, ... si in ea re nihil dolo malo Auli Agerii factum sit neque fiat, (… wenn in dieser Angelegenheit nichts durch Arglist des Klägers geschehen ist oder geschieht,) ... geschehen ist ...: Damit ist dolus specialis (dolus praeteritus = dolus in der Vergangenheit, dh vor Klagseinbringung) gemeint, zB Betrug beim Vertragsabschluss. ... geschieht ...: Damit ist dolus generalis (dolus praesens = dolus, der durch die Klagseinbringung selbst verwirklicht wird) gemeint. Dolus generalis geht weit über den Deliktstatbestand dolus hinaus. Metus Metus = Zwang, Drohung, Erpressung Mit der restitutio in integrum werden vom Prätor die Wirkungen der unter Drohung vorgenommenen Rechtshandlungen beseitigt. Technisch erfolgt dies durch Gewährung besonderer Klagen an den Bedrohten, zB: Hat er eine Forderung erlassen, so wird ihm die Klage aus der Forderung als actio utilis gewährt, so als ob der Erlass nicht erfolgt wäre. Die actio quod metus causa ist eine Bußklage: Sie enthält wie die actio doli die Arbiträrklausel, dh der Beklagte kann der Verurteilung dadurch entgehen, dass er Restitution leistet. Sie geht auf den vierfachen Schadensbetrag, nach einem Jahr auf den einfachen. Sie stützt sich auf eine Drohung schlechthin, nicht unbedingt auf eine Drohung durch den Beklagten. Daraus folgt, dass sie nicht nur gegen den Erpresser selbst gerichtet werden kann, sondern auch gegen Dritte (in diesem Punkt unterscheidet sie sich von der actio doli). Die exceptio quod metus causa kommt ähnlich wie die exceptio doli dann in Betracht, wenn sich jemand unter Drohung rechtsgeschäftlich verpflichtet hat und nun auf Leistung verklagt wird (also noch nicht geleistet hat). Die Quasidelikte Bei Quasidelikten (deliktsähnlichen Tatbeständen) wird entweder kein Vorsatz verlangt, sodass bloße Fahrlässigkeit genügt (so zB bei der Amtspflichtverletzung des Richters) oder es tritt Haftung für fremdes Verschulden auf. Die Tatbestände selbst gehören dem prätorischen Recht an: 1. Iudex, qui litem suam fecit (Der Richter, der den Prozess auf sich geladen hat) Wurde eine Prozesspartei durch eine Rechtsbeugung des Richters (zB parteiische Entscheidung) oder Amtspflichtverletzung (zB der iudex überschreitet die Höchstgrenze in der Formel) geschädigt, wurde dem Geschädigten gegen den Richter eine prätori- Römisches Recht Seite 82 von 119 Markus Ertl sche Klage gewährt. Der Richter haftet dabei nicht nur für bewusste Pflichtverletzungen, sondern auch für imprudentia (zB mangelhafte Rechtskenntnisse). 2. Actio de deiectis vel effusis (Klage wegen Herabwerfens oder Herausgießens) Für Sachen, die aus einer Wohnung geworfen bzw geschüttet werden, haftet bei Beschädigung der Wohnungsinhaber verschuldensunabhängig. Die Klage geht bei Tod eines Freien auf einen festen Geldbetrag, bei Verletzung eines Freien auf die Heilungskosten, bei sonstigen Schäden auf das duplum. 3. Actio de posito vel suspenso (Klage wegen gefährlichen Aufstellens oder Herabhängens) Gegen denjenigen, der in einer begangenen Straße an seinem Haus etwas gefährlich aufgestellt hatte oder herabhängen ließ, wurde – auch ohne dass es zu einem Schaden gekommen ist – wegen der bloßen Gefährdung eine Klage auf einen fixen Betrag gewährt. Die actio de posito vel suspenso ist eine sog actio popularis (Popularklage): Sie konnte von jedermann erhoben werden. Delikte II Nach dem zugrunde liegenden subjektiven Recht unterscheiden wir: actiones in rem actiones in personam Sie dienen der Durchsetzung dinglicher Rechte. Sie dienen der Durchsetzung von Forderungsrechten. Die Deliktsklagen gehören zu den actiones in personam. Nicht zu verwechseln mit dieser Einteilung ist eine andere Gliederung, die an den Klagszielen orientiert ist: actiones rei persecutoriae actiones mixtae actiones poenale sachverfolgende Klagen gemischte Klagen Bußklagen, Strafklagen Sie dienen dem Vermögensausgleich (zB condictio furtiva) Sie vereinigen beide Ziele in sich (zB actio legis Aquiliae) Sie zielen auf Buße (poena) ab, zB actio furti Sachverfolgende Klagen gehen grundsätzlich nur auf das simplum, Pönalklagen sehr häufig auf ein Mehrfaches (duplum, quadruplum). Nach der Rechtsgrundlage unterscheiden wir: actiones civile im Bereich der Delikte zB actio furti actio legis Aquiliae actiones praetoriae im Bereich der Delikte zB actio doli actio quod metus causa actio vi bonorum raptorum actio iniuriarum Das Konkurrenzproblem bei Deliktsklagen Personenkonkurrenz: Ist ein Delikt von mehreren Mittätern begangen worden, Markus Ertl Römisches Recht Seite 83 von 119 so werden reine Pönalklagen (wie zB die actio furti) und auch gemischte Klagen (wie zB die actio legis Aquiliae) gegen mehrere Mittäter gehäuft (kumulative Konkurrenz): das Klagsziel „poena“ lässt sich eben mehrfach verwirklichen. Hingegen lässt sich das Klagsziel Vermögensausgleich grundsätzlich nur einmal verwirklichen: Daraus folgt, dass rein sachverfolgende Klagen, wie zB die condictio furtiva, gegen mehrer Mittäter in elektiver Konkurrenz stehen. Aktionenkonkurrenz: Reine Strafklagen können mit rein sachverfolgenden Klagen wegen der verschiedenen Klagsziele kumuliert werden (zB kann gegen den Dieb die actio furti und die condictio furtiva nebeneinander erhoben werden). Hingegen ist bei einer actio mixta eine Kumulation mit einer anderen Klage, die ebenfalls das Klagsziel Vermögensausgleich verwirklicht oder mit berücksichtigt, ausgeschlossen. Zur Frage der Befristung Die zivilen Klagen sind grundsätzlich unbefristet (keine allgemeine Verjährung). Die prätorischen Strafklagen sind in der Weise auf ein Jahr befristet, dass Klagen auf das simplum nach Jahresfrist erlöschen (zB actio doli, actio iniuriarum); dass Klagen auf ein Mehrfaches nach Jahresfrist nur noch auf das Einfache gehen (zB actio vi bonorum raptorum, actio quod metus causa). Zur Vererblichkeit von Strafklagen Wir unterscheiden: aktive Vererblichkeit passive Vererblichkeit (Vererblichkeit auf der Seite des Klägers = (Vererblichkeit auf der Seite des Beklagten Geschädigten) = Täter) Die meisten Strafklagen sind aktiv vererblich (Ausnahme: aktiv unvererblich sind solche Klagen, die ein höchstpersönlich erlittenes Unrecht sühnen sollen wie zB die actio iniuriarum). Die Strafklagen sind grundsätzlich passiv unvererblich. Das Problem bei der Vererblichkeit von actiones poenales betrifft die Frage, ob die Strafklage aus einem Delikt noch von den Erben des Geschädigten bzw gegen die Erben des Täters erhoben werden kann: dh diese Frage stellt sich dann, wenn es bis zum Tod noch zu keiner Prozessbegründung (litis contestatio) über die Strafklage gekommen ist. Davon zu unterscheiden sind jene Fallgestaltungen, in denen der Geschädigte bzw der Täter nach Prozessbegründung oder nach dem Urteil stirbt. Kurz gesagt: Strafklagen werden durch Prozessbegründung vererblich. Es werden gegen Erben des Täters, denen aus der Tat Vermögensvorteile zugekommen sind, besondere prätorische Bereicherungsklagen auf id quod ad eos pervenit (das, was ihnen zugekommen ist) gewährt. Römisches Recht Seite 84 von 119 Markus Ertl Die Noxalhaftung Hat ein Gewaltunterworfener ein Delikt begangen, trifft den Gewalthaber die sog Noxalhaftung. Dabei steht der Gewalthaber vor der Wahl entweder den Täter an den Geschädigten auszuliefern: oder dem Geschädigten die Deliktsbuße zu bezahlen: noxae deditio noxae sarcire In der Klassik wird bei der Auslieferung von Hauskindern die mancipacium-Gewalt an den Geschädigten übertragen; von Sklaven das Eigentum an den Geschädigten übertragen. Diese Übertragung erfolgte nicht auf Dauer, sondern nur zum Abarbeiten der Deliktsschuld. Die Regel noxa caput sequitur (wörtl: Die Noxalhaftung folgt dem Sklaven) bedeutet, dass die Noxalhaftung gewissermaßen an der Person des Täters „klebt“, dh sie trifft den jeweiligen Gewalthaber, auch wenn das Delikt zu einer Zeit begangen wurde, als dieser nicht Gewalthaber war: Wird ein Sklave nach dem Delikt an einen Dritten veräußert, geht auch die Noxalhaftung auf den Erwerber über (Sachmangel). Stirbt der Täter, erlischt auch die Noxalhaftung. Wird der Täter freigelassen, haftet er nun selbst. Die Noxalklagen sind keine selbstständigen Klagstypen, sondern die jeweils in Frage kommende Strafklage (oder actio mixta) wird als Noxalklage gewährt. Die Haftung für Tiere Actio de pauperie Bei Schäden, die ein vierfüßiges Haustier anrichtete, wurde eine Klage gegen den Eigentümer gewährt; dieser stand dabei vor der Wahl entweder das Tier an den Geschädigten auszuliefern noxae deditio oder Schadenersatz zu leisten noxae sarcire Schon die Klassiker erkannten, dass bei Tierschäden folgende Haftungsgrundlagen in Betracht kommen können: Verschuldenshaftung des Eigentümers verschuldensunabhängige Haftung des Eigentümers ZB: Maultiertreiber A belädt einen Esel übermäßig, dieser wirft die Last ab, wodurch Titius verletzt wird. ZB: Das an sich friedfertige Tier des E schlägt plötzlich aus und verletzt den B. Hier liegt ein Verschulden das A vor, gegen ihn kann die actio legis Aquiliae erhoben werden. Hier haftet der Eigentümer E mit der actio de pauperie. Eine ähnliche „Zweigleisigkeit begegnet uns im ABGB: Eine Verschuldenshaftung desjenigen, der das Tier angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Eine Haftung des Tierhalters (nicht Eigentümers) dann, wenn er nicht beweist, dass er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hat (Umkehr der Beweislast). Markus Ertl Römisches Recht Seite 85 von 119 Actio de pastu pecoris War Vieh auf fremden Weidegrund gelangt und hatte es dort durch Abweiden Schaden angerichtet, so stand dem Geschädigten die actio de pastu pecoris zu Gebote. Römisches Recht Seite 86 von 119 Markus Ertl Römisches Recht Seite 87 von 119 Markus Ertl AG 08 Sachenrecht Pfandrecht I: Arten, Entstehen und Erlöschen Die wirtschaftliche Funktion des Pfandrechtes 1. Persönliche Haftung des Schuldners G hat eine Forderung von 10.000 HS gegen S. Sollte S nicht zahlen, kann G ein Urteil erwirken und in der Folge Vollstreckung gegen S betreiben. Das Vermögen des S bildet somit den potentiellen Befriedigungsfonds für den oder die Gläubiger. 2. Überschuldungs- und Insolvenzrisiko Sind mehrere Gläubiger vorhanden und übersteigt die gegen S gerichtete Forderung seine Aktiven, so liegt Überschuldung vor. Sie kann zur Insolvenz (Zahlungsunfähigkeit) führen. Kommt es zum Konkurs, erhält jeder Gläubiger aus der Verwertung des (zu geringen) Schuldnervermögens nur eine Quote. 3. Kreditsicherung Durch die Personalsicherung erlangt G einen zusätzlichen (persönlich verpflichteten) weiteren Schuldner. Auch auf dessen Vermögen kann ggf. zurückgegriffen werden. Bei der Realsicherung wird ein Recht zur allfälligen vorzugsweisen Befriedigung aus einer Sache begründet (Sachhaftung). Dazu gehören im RR die fiducia (Sicherungsübereignung) und das Pfandrecht (pignus, hypotheca). Das Pfandrecht ist das beschränkte dingliche Recht, sich aus dem Pfandobjekt vorzugsweise zu befriedigen, wenn die gesicherte Forderung nicht erfüllt wird. Haben zB A, B und C gewöhnliche (dh nicht pfandgesicherte) Forderungen gegen S, G hingegen eine pfandgesicherte Forderung gegen S, so wird im Konkurs das Pfandobjekt abgesondert (vgl § 48 KO) und dient der Befriedigung des G (nur ein allfälliges superfluum fällt in die Konkursmasse). Pfandgläubiger G erhält daher auch im Fall der Insolvenz des S volle Befriedigung, während die gewöhnlichen Gläubiger A, B und C sich mit der Konkursquote begnügen müssen. Ein Pfandrecht kann nicht nur vom Schuldner selbst, sondern auch von einem Dritten eingeräumt werden. Die Realsicherung des Römischen Rechts Fiducia Sicherungsübereignung ältere Form Pignus Hypotheca Besitzpfand (Faustpfand) besitzloses Pfand jüngere Formen Bei der fiducia wird dem Gläubiger G durch mancipatio das Eigentum am Sicherungsobjekt übertragen. Er erlangt dadurch nach außen die volle Rechtsmacht des Eigentümers, ist aber im Innenverhältnis durch das pactum fiduciae beschränkt, das ihn insbesondere Römisches Recht Seite 88 von 119 Markus Ertl dazu verpflichtet, bei vollständiger Bezahlung der Forderung das Eigentum zurück zu übertragen. Bei pignus und hypotheca wird für den Gläubiger G ein beschränkt dingliches Recht, nämlich das Pfandrecht, eingeräumt. Eigentümer bleibt der Besteller, sein Eigentum ist aber durch das Pfandrecht belastet. Wird dabei das Pfandobjekt an den Gläubiger übergeben, so handelt es sich um ein Besitzpfand (pignus); nicht übergeben, so handelt es sich um ein besitzloses Pfand (hypotheca). Das Pfandrecht ist das beschränkte dingliche Recht, sich aus der Pfandsache vorzugsweise zu befriedigen, wenn die fällige Forderung nicht erfüllt wird. Wird die gesicherte Forderung vollständig erfüllt, so erlischt das Pfandrecht, das Eigentum ist wieder unbelastet. Die Fiducia Das RR kennt zwei Ausgestaltungen: 1. fiducia cum amico contracta: Übereignung einer Sache an einen Vertrauensmann zu einem im pactum fiduciae näher definierten Zweck (zB sichere Verwahrung der Sache); 2. fiducia cum creditore contracta: Übereignung einer Sache als Sicherheit für eine Kredit (Sicherungsübereignung). Abwicklung einer Sicherungsübereignung: Forderung des G gegen S S übereignet eine Sache an G in Form der Mancipatio, in iure cessio Zusätzlich werden Nebenabreden getroffen: Begründung einer Rückübereignungspflicht für G Nebenabreden über die Verwertung Pactum fiduciae Lex commissoria (Verfallsklausel) oder Pactum de vendendo (Verkaufsabrede) Fälligkeit S leistet Remancipatio der Sache (Rückübereignung) S leistet nicht Verwertung der Sache durch Verfall (lex commissoria) oder Verkauf (pactum de vendendo) unter Herausgabe des superfluum Der Fiduziar wird Eigentümer der als Sicherheit hingegebenen Sache, er kann auch schon vor Fälligkeit der Schuld die Sache wirksam an einen Dritten veräußern (sein rechtliches Können geht über sein rechtliches Dürfen hinaus); dem Fiduzianten bleibt in einem solchen Fall nur die actio fiduciae gegen den ungetreuen Fiduziar. Weiters gibt es die usureceptio, die Zurückersitzung der Sache durch den Fiduzianten. Sie ist eine erleichterte Form der Ersitzung, da kein guter Glaube und kein Titel verlangt Römisches Recht Seite 89 von 119 Markus Ertl wird. Der Fiduziant, der im Besitz der Sache bleibt, kann die Sache nach oder vor Tilgung der Schuld zurück ersitzen. Im Fall der Tilgung der Schuld ist der Gläubiger auf Grund des pactum fiduciae zur Rückübereignung verpflichtet. Rechtsschutz bei der fiducia: Petitorischer Rechtsschutz: Als Eigentümer steht dem Fiduziar die rei vindicatio zu. Possessorischer Rechtsschutz: Sofern der Fiduziar auch Besitz erlangt hat (was nicht unbedingt der Fall sein muss, da die mancipatio auch ohne Besitzübertragung durchgeführt werden kann), stehen ihm die Besitzinterdikte zu. Rechtsschutz im Rahmen des obligatorischen Verhältnisses zwischen Fiduziant und Fiduziar: actio fiduciae directa: Klage des Fiduzianten gegen den Fiduziar auf Rückübereignung der Sache bei Tilgung, Herausgabe des superfluum bei Verkauf, Schadenersatz bei pflichtwidrigem Verkauf und Schadenersatz bei Beschädigung der Sache. actio fiduciae contraria: Gegenklage auf Ersatz der Aufwendungen, die der Fiduziar getätigt hat. Das Pfandrecht Forderung des G gegen S S verpfändet dem G eine Sache und übergibt sie ihm Entstehung des Pfandrechtes S leistet Fälligkeit der Schuld Erlöschen des Pfandrechtes durch Tilgung der Schuld Anspruch des S gegen G auf Rückgabe der Pfandsache S leistet nicht Pfandverwertung Es tritt die „Pfandreife“ ein 1. Pfandverfall: G behält die Sache als Eigentümer oder 2. Pfandverkauf: Erlös > geErlös < geErlös = geschuldete schuldete schuldete Summe Summe Summe Anspruch des S auf Herausgabe des superfluum (hyperocha) Anspruch des G gegen S auf die Restforderung besteht weiter Pfandverfall Im Fall der Nichtzahlung der gesicherten Forderung ist das Pfandobjekt dem G verfallen, dh er erlangt das Eigentum. Römisches Recht Seite 90 von 119 Markus Ertl Pfandverkauf Die Befriedigung erfolgt in der Weise, dass G das Pfandobjekt verkauf und sich aus dem Erlös befriedigt, das superfluum aber an den S herausgibt. G verkauft hier nicht als Eigentümer, hat aber eine potestas alienandi (Veräußerungsbefugnis). Entstehung des Pfandrechtes Rechtsgeschäft („Verpfändung“) vertragliches Pfandrecht Richterspruch („Pfändung“) richterliches Pfandrecht Gesetz gesetzliches Pfandrecht Die Verpfändung Nach dem Wortlaut der actio Serviana sind zum Entstehen eines rechtsgeschäftlichen Pfandrechtes drei Voraussetzungen erforderlich: 1. Bestehen einer Forderung (Akzessorietätsprinzip) 2. conventio pignoris: Pfandvertrag (su) 3. Die Sache muss sich in bonis des Verpfänders befinden (su) ad 2: Der Pfandvertrag Bloße Willensübereinstimmung (nuda conventio) genügt beim besitzlosen Pfand; eines realen Aktes bedarf es zusätzlich beim Besitzpfand: Übergabe an den G, bei der Pfandrechtsbegründung an den eingebrachten Sachen des Mieters oder Pächters: Einbringung (Illation). Wirkungen des Pfandvertrages: Als Verfügungsgeschäft hat der Pfandvertrag eine sachenrechtliche Wirkung, indem er das Pfandrecht entstehen lässt. Die daraus entspringende Klage des Pfandberechtigten ist die actio Serviana (a. pigneraticia in rem, vindicatio pignoris). Darüber hinaus entsteht beim Besitzpfand eine schuldrechtliche Beziehung zwischen dem Pfandgeber und dem G: Sie verpflichtet den Pfandnehmer zur Rückgabe nach ordnungsgemäßer Zahlung bzw zur Herausgabe des superfluum nach Pfandverkauf und den Pfandgeber allenfalls zum Ersatz von Aufwendungen und Schäden gegenüber dem Pfandnehmer. Als Klagen dienen die actio pigneraticia in personam directa und contraria. Neben der Pfandrechtsbegründung durch eine ausdrücklich darauf gerichtete Willenserklärung gibt es noch die sog stillschweigend begründeten Pfandrechte. Übersicht über die besitzlosen Pfandrechte im Bereich der gesicherte Forderung Pfandobjekt landwirtschaftlichen Pacht städtischen Wohnungsmiete Pachtzins Mietzins 1. invecta et illata – Die Begründung erfolgt ausdrücklich 2. vom Pächter gezogene Früchte – Die Begründung erfolgt stillschweigend invecta et illata – Die Begründung erfolgt stillschweigend Regelmäßig ist der Verpfänder der Schuldner selbst. Es kann aber auch ein Dritter der Pfandgeber sein. Dieser haftet nicht persönlich, sondern nur mit dem Pfandobjekt. Markus Ertl Römisches Recht Seite 91 von 119 ad 3: Für das Entstehen des Pfandrechtes ist erforderlich, dass sich die Sache „in bonis“ des Verpfänders befindet. Ist der Verpfänder (zumindest bonitarischer, also prätorischer) Eigentümer, erwirbt der Pfandgläubiger ein absolutes Recht, sodass er gegen jedermann geschützt ist. Ist der Verpfänder nur der Ersitzungsbesitzer, kann der Pfandberechtigte sein Recht nur gegen jene Personen durchsetzen, gegen die der Verpfänder mit der actio Publiciana erfolgreich wäre, also zB nicht gegen den Eigentümer. Ist der Verpfänder nicht einmal Ersitzungsbesitzer, entsteht kein Pfandrecht; der Verpfänder haftet aber schuldrechtlich für den Rechtsmangel. Die zunächst unwirksame Verpfändung einer fremden Sache wird nachträglich wirksam (Heilung, Konvaleszenz), dh es entsteht ein Pfandrecht wenn der Verpfänder im Nachhinein die Sache erwirbt oder Rechtsnachfolger des Eigentümers wird. In diesem Fall erhält der Pfandgläubiger die actio pigneraticia in rem als actio utilis. Gesetzliche Pfandrechte (Legalhypotheken) Gesetzliche Pfandrechte entstehen unmittelbar kraft Gesetzes. Beispiel für ein gesetzliches Pfandrecht an einer einzelnen Sache: Wer für die Reparatur eines Wohnhauses ein Darlehen gegeben hat, erlangt ein gesetzliches Pfandrecht an dem Wohnhaus (pignus insulae). Beispiele für gesetzliche Generalhypotheken (Pfandrechte am gesamten Vermögen): Das Mündel hat für seine Forderung auf Abrechnung aus der Vormundschaft eine Generalhypothek am Vermögen des Vormundes. Die Ehegattin erlangt für ihre Forderung auf Herausgabe der dos (Mitgift) eine Generalhypothek am Vermögen ihres Ehemannes. Erlöschen des Pfandrechtes 1. Erlöschen der Forderung (Akzessorietätsprinzip) Handelt es sich um ein Besitzpfand, ist der Gläubiger zur Rückgabe verpflichtet; aus dem Pfandvertrag steht dem Pfandgeber die schuldrechtliche actio pigneraticia in personam directa zur Verfügung. 2. Untergang des Pfandobjektes 3. Verzicht des Gläubigers Ein formloser Verzicht des Gläubigers führt dazu, dass der Pfandgeber gegen die actio Serviana des G eine exceptio pacti oder exceptio doli erhält. 4. Pfandverkauf durch den Gläubiger 5. Zur Vereinigung (confusio) zB im Wege des Erbganges Hier erlöschen entweder Forderung und Pfandrecht oder Forderung und Pfandrecht bleiben bestehen oder Die Forderung bleibt aufrecht und das Pfandrecht erlischt. Römisches Recht Seite 92 von 119 Markus Ertl 6. In der Nachklassik: Ersitzung der Pfandfreiheit durch einen gutgläubigen Erwerber: longi temporis praescriptio 7. Annahmeverlust des Gläubigers (mora creditoris) Pfandrecht II: Inhalt, Gegenstände, Rechtsschutz Der Inhalt des Pfandrechtes besitzloses Pfand Besitzpfand Zeitraum bis zur Fälligkeit der Schuld (Sicherungsstadium) 1. Besitz der Sache 2. kein Gebrauch Zeitraum nach unterbliebener Leistung durch den Schuldner (Befriedigungsstadium) 3. Verfügungsbeschränkung des Verpfänders? 4. Besitzerlangung den Pfandgläubiger durch 5. Befriedigung aus dem Pfand (Pfandverwertung) 1. Besitz an der Pfandsache Beim Besitzpfand wird der Pfandgläubiger Interdiktenbesitzer und genießt Besitzschutz. Entwendet der Verpfänder dem Pfandgläubiger die Sache, so begeht er ein furtum rei suae (Diebstahl an eigener Sache). 2. Gebrauch und Nutzungen der Pfandsache Grundsätzlich ist der Pfandberechtigte nur zum Besitz, nicht aber zum Gebrauch und zur Nutzung der Pfandsache befugt. Bei Verpfändungen von fruchttragenden Sachen begegnen häufig folgende Vereinbarungen: antichresis – Nutzungspfand: Der Gläubiger kann die Früchte behalten, diese werden aber auf die Zinsen und dann auf das Kapital angerechnet („Totsatzung“). antichresis tacita: Ist für eine zinslose Forderung eine fruchttragende Sache verpfändet, kann der Gläubiger die Nutzungen und Früchte auch ohne besondere Abmachung an Stelle von Zinsen behalten. 3. Das Problem der Verfügungsbeschränkung des Verpfänders Es geht um die Frage, ob der Verpfänder und Eigentümer S dadurch, dass er eine Sache an G verpfändet, in seiner Verfügungsbefugnis über die Sache nicht eingeschränkt wird eingeschränkt wird mit der Folge, dass er die Sache zB an den Käufer K weiterveräußern kann mit der Folge, dass er die Sache zB an den K nicht wirksam weiterveräußern kann K erwirbt also eine mit einem Pfandrecht belastete Sache K wird nicht und S bleibt weiterhin Eigentümer der Sache Mit Zustimmung des G kann S jedenfalls die Sache wirksam veräußern. Römisches Recht Seite 93 von 119 Markus Ertl 4. Besitzerlangung durch den Hypothekargläubiger Wird eine durch besitzloses Pfand gesicherte Forderung nicht erfüllt, muss der Hypothekargläubiger in den Besitz der Sache gelangen, um sich aus ihr befriedigen zu können. Er hat dabei folgende Rechtsbehelfe: interdictum Salvianum bei der landwirtschaftlichen Pacht; Perklusionsrecht (eigenmächtige Beschlagnahme) bei der städtischen Miete; actio Serviana bei der landwirtschaftlichen Pacht (auch zur Wiedererlangung verlorenen Besitzes); später wird die actio Serviana auf alle Pfandrechte über die landwirtschaftliche Pacht hinaus erweitert. 5. Die Befriedigung aus der Pfandsache Pfandverfall Pfandverkauf die Sache fällt dem Gläubiger als Eigentum zu der Gläubiger veräußert die Sache und befriedigt sich aus dem Erlös historisch ältere Verwertungsart historisch jüngere Verwertungsart Der Pfandverfall beruht auf einer anlässlich der Verpfändung von den Parteien ausgehandelten Abrede, der sog lex commissoria (Verfallsabrede). Hier wurde vorgesehen, dass das Pfandobjekt bei Nichttilgung der Schuld dem Gläubiger verfallen sein soll. Da für den Eigentumserwerb eine causa erforderlich ist, erfolgt in der Klassik die Vereinbarung in der Weise, dass die Sache bei Nichterfüllung dem Gläubiger als verkauft oder an Erfüllung statt hingegeben gilt. Der Pfandverkauf beruhte zunächst ebenfalls auf einer ausdrücklich formulierten Nebenabrede, dem pactum de vendendo (pactum de distrahendo, Verkaufsabrede), durch die der Gläubiger bei Nichttilgung der Schuld vom Verpfänder zur Veräußerung der Sache ermächtigt wurde. Der Pfandgläubiger veräußert als Nichteigentümer, ist aber mit einer potestas aliendandi (Veräußerungsbefugnis, Fall einer Verfügungsermächtigung) ausgestattet, sodass der Käufer durch die traditio Eigentum erlangt. Wird beim Verkauf ein Mehrerlös erzielt, hat der Gläubiger dieses superfluum (hyperocha) an den Pfandgeber herauszugeben. Deckt der Erlös nicht die Forderung, bleibt die persönliche Haftung des Schuldners in diesem Ausmaß weiter bestehen. Gegenstände des Pfandrechtes Gegenstände des Pfandrechtes können – wie beim Kaufvertrag – sowohl körperliche Sachen wie auch unkörperliche Sachen (Rechte) sein. Pfandrecht an körperlichen Sachen an einzelnen Sachen (zB Vase, Grundstück, Sklave); an Sachgesamtheiten (zB Warenlager, Herde); werden vertretbare Sachen, zB Getreide, Geld, an den Pfandnehmer in der Weise übergeben, dass er nicht dieselben Stücke, sondern nur tandundem eiusdem generis et qualitatis (ebensoviel von gleicher Art und Qualität) zurückzugeben hat, liegt ein sog pignus irregulare vor und der Gläubiger wird Eigentümer (zB bei Kautionslegung in Geld). Römisches Recht Seite 94 von 119 Markus Ertl Pfandrechte an unkörperlichen Sachen Pfandrecht an Feldservituten, am ususfructus, am Erbpachtrecht; Pfandrecht an einer Forderung (pignus nominis). Bei sog subpignus (Unterpfand, pignus pignoris) verpfändet der Gläubiger das Pfandobjekt an seinen Gläubiger weiter. Generalhypothek Eine Generalhypothek umfasst das gesamte gegenwärtige (bei Verpfändung vorhandene) und/oder zukünftige (später erworbene) Vermögen des Schuldners. Das RR kennt vertragliche Generalhypotheken (zB S verpfändet dem G sein gesamtes Vermögen) und gesetzliche Generalhypotheken (zugunsten des Mündels, der Ehefrau und des fiscus). Wichtige Prinzipien des Pfandrechts 1. Akzessorietätsprinzip Das Pfandrecht ist ein Nebenrecht zur gesicherten Forderung, es ist in seiner Existenz an den aufrechten Bestand der Forderung gebunden, liegt zB keine zu sichernde Forderung vor, kann es auch kein Pfandrecht geben. 2. Spezialitätsprinzip Das Pfandrecht umfasst ganz bestimmte Sachen. Im römischen Pfandrecht ist das Spezialitätsprinzip nicht verwirklicht, das RR kennt Generalhypotheken. Die Zulässigkeit von Generalhypotheken stellt – vom kreditpolitischen Gesichtspunkt aus gesehen – eine wesentliche Schwäche des römischen Pfandrechts dar. 3. Publizitätsprinzip Die Begründung und das Bestehen eines Pfandrechts an einer Sache soll nach außen hin für Dritte erkennbar sein. Die Publizität wird im modernen Recht bei beweglichen Sachen durch das Faustpfandprinzip (die Pfandsache muss dem Gläubiger tatsächlich übergeben werden), bei unbeweglichen Sachen durch das Grundbuch garantiert. Im römischen Pfandrecht ist das Publizitätsprinzip nicht verwirklicht. Einerseits gab es kein Grundbuch, andererseits war auch das besitzlose Pfand voll anerkannt. 4. Prinzip der ungeteilten Pfandhaftung Es haftet grundsätzlich die ganze Sache so lange, bis die gesamte Schuld getilgt ist. 5. Prioritätsprinzip Bei mehrfacher Verpfändung ein und derselben Sache entsteht eine Rangordnung der Pfandrechte: Diese Rangordnung ist für die Befriedigung maßgeblich. Der Rang richtet sich nach dem Zeitpunkt der Pfandbestellung. 6. Das Pfandrecht ist ein beschränkt dingliches Recht Der Pfandberechtigte kann sein Recht gegenüber jedermann geltend machen, nicht nur gegen den Verpfänder; kommt das Pfand in die Hände eines Dritten, kann es der Pfandgläubiger heraus verlangen. Rechtsschutz beim Pfandrecht 1. Possessorischer Rechtsschutz Beim Besitzpfand ist der Pfandgläubiger Interdiktenbesitzer und genießt Besitzschutz. Römisches Recht Seite 95 von 119 Markus Ertl 2. Petitorischer Besitzschutz Bei der Entwicklung des petitorischen Besitzschutzes können wir mehrer Entwicklungsstufen verfolgen: I. Stufe Anwendungsbereich Rechtsbehelf landwirtschaftliche Pacht interdictum num städtische Miete eigenmächtige Beschlagnahme durch den Vermieter Salvia- richtet sich gegen zielt ab auf Pächter + (Dritte?) erstmalige Besitzerlangung an den invecta et illata Mieter erstmalige Besitzerlangung an den invecta et illata Als Rechtbehelf gegen die Beschlagnahme gibt es für den Mieter das interdictum de migrando Vermieter Freigabe der beschlagnahmten Sachen nach Bezahlung des Mietzinses II. Stufe – Einführung einer petitorischen Klage landwirtschaftliche Pacht actio Serviana Pächter + Dritte erstmalige Besitzerlangung sowie Wiedererlangung verlorenen Besitzes III. Stufe – Erweiterung des Anwendungsbereiches jedes Pfandrecht actio Serviana = a. hypothecaria = vindicatio pignoris = a. pigneraticia in rem Pfandschuldner + Dritte erstmalige Besitzerlangung sowie Wiedererlangung verlorenen Besitzes 3. Rechtsschutz aus dem Verpfändungsvertrag Vom Pfandrecht als dinglichem Recht sind die schuldrechtlichen Verpflichtungen zu unterscheiden, die bei der Abwicklung eines Besitzpfandes zwischen Verpfänder (Pfandgeber) und Gläubiger (Pfandnehmer) entstehen. Diese Pflichten werden mit der actio pigneraticia in personam durchgesetzt: actio pigneraticia (in personam) directa Sie steht dem Verpfänder zu und zielt ab auf Rückgabe des Pfandes bei Tilgung der gesicherten Forderung, allenfalls auf Schadenersatz, falls die Sache beschädigt wurde oder verloren wurde, der Pfandnehmer haftet auch für sorgfältige Bewachung (custodia). actio pigneraticia (in personam) contraria Allenfalls steht dem Pfandnehmer gegen den Verpfänder eine Gegenklage, nämlich auf Ersatz von Aufwendungen, die der Pfandnehmer auf das Pfandobjekt getätigt hat und Schadenersatz in bestimmten Fällen. Römisches Recht Seite 96 von 119 Markus Ertl Obligationenrecht – Besonderer Teil Realkontrakte II Das Pignus Durch die Verpfändung einer Sache wird ein beschränkt dingliches Recht für den Gläubiger begründet. Erfolgt die Pfandrechtsbegründung ohne Übertragung des Besitzes, sprechen wir von einem besitzlosen Pfand (Hypothek), wird die Pfandsache dem Gläubiger übergeben, sprechen wir von einem Besitzpfand (Faustpfand, pignus). Die Begründung eines Besitzpfandes hat auch einen schuldrechtlichen Aspekt, als der Gläubiger bei Tilgung der Schuld zur Rückgabe des Pfandes, bei Pfandverkauf zur Herausgabe eines allfälligen superfluums verpflichtet wird. Auch ein Dritter kann ein Pfand bestellen, zB A gewährt B ein Darlehen und erhält dafür von C eine Sache als Pfand: C ist Pfandgeber, aber nicht persönlicher Schuldner. Der Pfandgläubiger erlangt an der Sache ein beschränkt dingliches Recht, nämlich das Pfandrecht, in besitzrechtlicher Hinsicht wird er Interdiktenbesitzer und genießt Besitzschutz. Ansprüche des Pfandgebers (actio pigneraticia in personam directa) Rückgabe des Pfandobjektes bei Tilgung der gesicherten Forderung. Der Pfandnehmer haftet nicht nur für dolus und culpa, sondern auch für custodia. Da der Pfandvertrag seinem Interesse (nämlich der Sicherung des Kredites) dient, trifft ihn nach dem Utilitätsprinzip diese strenge Haftung. Bei Verwertung des Pfandes im Wege des Pfandverkaufes ist der Gläubiger gegenüber dem Pfandgeber zur Herausgabe eines allfälligen superfluums verpflichtet. Allfällige Ansprüche des Pfandnehmers (actio pigneraticia in personam contraria) Ersatz von Aufwendungen auf die Sache. Schadenersatz bzw ein Anspruch auf Stellung eines tauglichen Ersatzpfandes steht ihm zu, wenn zB das hingegebene Pfand wegen zu geringen Wertes keine ausreichende Sicherheit bietet oder fremd ist (dh einem Dritten gehört – Rechtsmangel) und damit ebenfalls keine Sicherheit bietet, weil es vom Eigentümer evinziert werden kann. Übersicht actio pigneraticia in personam actio pigneraticia in rem schuldrechtl. Klage aus der Verpfändung dingliche Pfandklage a. directa: steht dem Verpfänder zu (Rückgabe, Beschädigung, superfluum) Sie steht dem Gläubiger nicht nur gegen den Verpfänder selbst zu, sondern als dingl. Klage gegen jedermann zu und geht auf erstmalige Besitzerlangung und Wiedererlangung verlorenen Besitzes. Sie begegnet auch in den Bezeichnungen vindicatio pignoris actio Serviana actio hypothecaria a. contraria: steht dem Pfandnehmer (Gläubiger) zu (Aufwandersatz, Schadenersatz) Römisches Recht Seite 97 von 119 Markus Ertl Die Fiducia Bei der Fiducia übereignet der Fiduciant (Treugeber) dem Fiduciar (Treuhänder) eine res mancipi durch mancipatio oder in iure cessio, wobei in einem zusätzlich abgeschlossenen pactum fiduciae eine dem Zweck der Treuhandübereignung entsprechende Pflichtbindung des Treuhänders festgelegt wird, insbesondere eine Pflicht zur Rückübereignung nach Erreichung des Zweckes. Der Treuhänder wird Eigentümer. Die sich auf Grund des pactum fiduciae ergebende Verpflichtung und Bindung wirkt nur im Innenverhältnis (dh gegenüber dem Treugeber), nicht aber nach außen, kurz gesagt: „Ein Treuhänder kann mehr als er darf“. ZB wenn der Treuhänder die Sache an einen Dritten veräußert, ist diese Veräußerung wirksam und der Dritte wird Eigentümer. Der Treugeber kann sich nicht an den Dritten, sondern nur an den ungetreuen Fiduziar wegen Verletzung der Treuhandabrede halten. Gaius unterscheidet je nach dem Zweck: fiducia cum amico contracta fiducia cum creditore contracta Treuhandübereignung, zB zum Zweck der sicheren Verwahrung einer Sache bei einem Freund. Sicherheitsübereignung: Dies ist die älteste Form der pfandmäßigen Kreditsicherung. Der Gläubiger erhält als Sicherheit eine Sache übereignet. Die fiducia, vor allem die fiducia cum creditore contracta, hat wie das pignus einen sachenrechtlichen und einen schuldrechtlichen Aspekt. Es entsteht auf jeden Fall ein Anspruch des Treugebers gegenüber dem Treuhänder, meist auf Rückübereignung (actio fiduciae directa), in bestimmten Fällen kann es einen Anspruch in umgekehrter Richtung geben, zB auf Aufwandersatz (actio fiduciae contraria). Die fiducia zählt zu den bona-fides-Verhältnissen. Ansprüche des Treugebers (Pflichten des Treuhänders), durchgesetzt mit der actio directa: abredegemäßes Verhalten dh bei der fiducia cum amico contracta entsprechend dem jeweils zugrunde liegenden Zweck, zB Verwahrung, Rückgabe bei der fiducia cum creditore contractra Rückübereignung bei Tilgung der gesicherten Forderung und Herausgabe des superfluums bei Verwertung durch Verkauf Schadenersatz bei pflichtwidrigem Verhalten Ansprüche des Treuhänders (Pflichten des Treugebers), durchgesetzt mit der actio contraria: Ersatz für Aufwendungen Römisches Recht Seite 98 von 119 Markus Ertl Übersicht über die Realkontrakte Hingegeben werden Empfänger erhält die Sache Empfänger wird Mutuum (Darlehen) Geld, vertretbare Sachen zur freien Verfügung und Verwendung Eigentümer Commodatum (Leihe) individuell bestimmte, unvertretbare Sachen zum unentgeltlichen Gebrauch Detentor Depositum (Verwahrung) individuell bestimmte Sachen zur unentgeltlichen Verwahrung Detentor Depositum irregulare vertretbare Sachen, Geld zur unentgeltlichen Verwahrung und Verwendung Eigentümer zur Sicherheit Interdiktenbesitzer (!) und Träger eines beschränkt dinglichen Rechts Pignus (Pfandvertrag) individuell bestimmte Sachen Pignus irregulare vertretbare Sachen, Geld zur Sicherheit Eigentümer Fiducia (Treuhand) res mancipi zur Sicherheit oder sonstigen Zwecken Eigentümer Pflicht des Empfängers Rückgabe von tantundem eiusdem generis et qualitatis (genus-Schuld) Rückgabe der Sache (speciesSchuld) Verwahrung und Rückgabe der Sache (species-Schuld) Rückgabe von tantundem eiusdem generis et qualitatis (genus-Schuld) Rückgabe (species-Schuld), bei Verkauf: Herausgabe des superfluum Rückgabe von tantundem eiusdem generis et qualitatis bzw des superfluum Rückübereignung (und Rückgabe) Römisches Recht Seite 99 von 119 Markus Ertl AG 09 Obligationenrecht – Allgemeiner Teil Bürgschaft Gestellungsbürgschaft Zahlungsbürgschaft Der Bürge verpflichtet sich, für das Erscheinen einer Person einzustehen (im röm. Privatrecht bedeutungslos). Der Bürge verpflichtet sich gegenüber dem Gläubiger, diesen zu befriedigen, wenn der Hauptschuldner nicht erfüllt; der Bürge ist Nebenschuldner, dessen Verpflichtung akzessorisch und subsidiär ist. Wirtschaftliche Funktion der Bürgschaft Die Bürgschaft ist ein Instrument der Kreditsicherung: Der Gläubiger erhält eine weitere Person als Nebenschuldner, auf die bzw auf deren Vermögen er ggf. zur Befriedigung greifen kann (Personalsicherung, Personalkredit). Im Gegensatz dazu besteht die wirtschaftliche Funktion des Pfandrechts darin, dem Gläubiger ggf. zur Befriedigung den Zugriff auf eine bestimmte Sache (zB ein Grundstück) zu eröffnen (Realsicherung, Realkredit). In Rom erfolgte die Kreditsicherung im überwiegenden Maße durch Bürgenstellung. Akzessorietätsprinzip: Die Bürgschaftsverpflichtung ist von der Hauptschuld abhängig. Die Bürgschaft ist ein Nebenrecht zur gesicherten Forderung. Besteht die Hauptschuld nicht, besteht auch keine Bürgschaft. Subsidiarität: Der Bürge ist nur Nebenschuldner, der nur dann zur Haftung herangezogen werden kann, wenn der Hauptschuldner seine Verpflichtung nicht erfüllt. Das Subsidiaritätsprinzip ist im klassischen Recht nicht verwirklicht. Erst das Justinianische Recht macht durch das sog beneficium ordinis die Bürgenhaftung subsidiär. Die Bürgschaftsstipulationen Die Bürgschaft kommt durch Stipulation zustande: Es gibt drei verschiedene Bürgschaftsstipulationen: Fidepromissio Sponsio Nach der Stipulation zwischen Gläubiger und Schuldner Fideiussio zu einer beliebigen Schuld wird die Bürgenverpflichtung wie folgt begründet: G: „Idem dari spondesne?“ – B: „Spondeo.“ G: „Idem dari fidepromittisne?“ – B: „Fidepromitto.“ G: „Quod Maevius (S) debet, id fide tua esse iubesne?“ – B: „Iubeo.“ Versprichst du dasselbe (nämlich was der Hauptschuldner S versprochen hat) zu leisten? – Ich verspreche es. Ordnest du an, dass das was Maevius schuldet, auf deine Treue sein soll? – Ich ordne an. Römisches Recht Seite 100 von 119 Markus Ertl Sponsio Fidepromissio Fideiussio Hier wird im Wortformular nur auf das Versprechen (nicht auf die tatsächliche Verpflichtung!) des Hauptschuldners S Bezug genommen: Es liegt daher nur eine sehr lockere Akzessorietät vor. nur Römern zugänglich Dieses Geschäft ist für Peregrine geschaffen (aber auch Römern zugänglich) Hier wird im Wortformular auf die Verpflichtung des Hauptschuldners Bezug genommen: Akzessorietät der Bürgenverpflichtung. Römern und zugänglich Peregrinen nur zur Sicherung einer Stipulationsschuld möglich zur Sicherung jeder beliebigen Schuld möglich unvererblich auf Seite des Bürgen vererblich (seit der lex Furia) auf zwei Jahre befristet unbefristet Bei der sponsio gibt es auf Grund der lex Publilia ein gesetzliches Regressrecht des Bürgen. Die Haftung des Bürgen Klassisches Recht: keine Subsidiarität Konsumptionskonkurrenz G kann nach Belieben B oder S in Anspruch nehmen; S und B haften als Gesamtschuldner. G kann zwar nach Belieben B oder S in Anspruch nehmen; aber durch die litis contestatio im Prozess mit einem erlischt das Klagerecht (die actio ist konsumiert); der andere von den beiden wird dadurch befreit. Justinianisches Recht: Subsidiarität Solutionskonkurrenz G kann den B erst dann in Anspruch nehmen, wenn er den S erfolglos geklagt hat: Dem Bürgen steht das beneficium ordinis sive excussionis personalis zu. B und S werden erst dann frei, wenn der Gläubiger tatsächlich befriedigt ist. Führt zB der gegen S eingeleitete Prozess nicht zum Erfolg, weil G zwar gewinnt, aber S zahlungsunfähig ist, kann immer noch gegen B geklagt werden. Die Haftung von Mitbürgen Ist die Forderung von G gegen S durch Stellung mehrerer Bürgen gesichert, sind folgende Konstruktionen der Haftung der einzelnen Bürgen denkbar: anteilsmäßige Haftung auf eine Kopfquote (geteilte Obligation) oder gesamtschuldnerische Haftung auf den gesamten Betrag (Solidarhaftung). Römisches Recht Seite 101 von 119 Markus Ertl Der Regress des Bürgen Ein Bürge B, der den Gläubiger G befriedigt hat, wird am Schuldner S Regress nehmen wollen. 1. Gesetzliches Regressrecht bei der sponsio lex Publilia: Nach der Zahlung durch B hatte S innerhalb von sechs Monaten die ausgelegte Summe zu erstatten; danach stand dem B in der Frühzeit die manus iniectio (Personalvollstreckung), später als Klage die actio depensi auf das duplum gegen S zu. 2. Regressanspruch aus dem jeweiligen Innenverhältnis Ein Regressanspruch konnte auf das zwischen Bürgen B und Hauptschuldner S bestehende Rechtsverhältnis gestützt werden. Hatte zB B die Bürgschaft auf Grund eines Mandates übernommen, stand ihm als Regressklage die actio mandati contraria zu. Hatte B als Geschäftsführer ohne Auftrag die Bürgschaft für S übernommen, stand ihm als Regressklage die actio negotiorum gestorum contraria zu. 3. Abtretung der actio des G Spätklassik: Der Gläubiger tritt bei Zahlung durch B diesem seine Forderung (actio) gegen S ab; der Bürge löst die Forderung ein; Justinian: B ist nur dann zur Leistung an G verpflichtet, wenn dieser ihm seine Forderung (actio) abtritt: beneficium cendendarum actionum: Es besteht ein allgemeiner Zwang zur Abtretung (notwendige Zession); im modernen Recht tritt die Zession ex lege ein (Legalzession, vgl § 1358 ABGB). Die drei Benefizien des Bürgen 1. beneficium ordinis (sive excussionis personalis, Rechtswohltat der Reihenfolge) Der Bürge B kann vom Gläubiger G erst nach dem Hauptschuldner in Anspruch genommen werden. Dies geht erst auf Justinian zurück. 2. beneficium cendarum actionum (Rechtswohltat der Klagenabtretung) Der Bürge ist nur dann zur Leistung an den Gläubiger verpflichtet, wenn dieser ihm gleichzeitig seine Forderung (actio) gegen S abtritt. Als allgemeines Rechtsinstitut wird das beneficium cendarum actionum von Justinian ausgebaut. 3. beneficium divisionis (Rechtswohltat der Teilung) Sind mehrere zahlungsfähige Bürgen vorhanden, haftet jeder einzelne Bürge nur auf eine Kopfquote. Das beneficium divisionis geht als allgemeines Rechtsinstitut bereits auf Kaiser Hadrian zurück (Hochklassik). Doch sah bereits in der Republik die lex Furia für die sponsio und fidepromissio eine anteilsmäßige Haftung vor. Haftung von Mitbürgen sponsio ursprünglich fidepromissio fideiussio gesamtschuldnerische Haftung 1. Schritt lex Apuleia: interner Ausgleich unter Mitbürgen (Regressrecht) 2. Schritt lex Furia (nur für Italien): Beschränkung der Haftung auf eine Kopfquote. 3. Schritt epistula Hadriani: Beschränkung der Haftung auf eine Kopfquote; der Gläubiger muss seine Forderung auf die zahlungsfähigen Mitbürgen aufteilen. anteilsmäßige Haftung Römisches Recht Seite 102 von 119 Markus Ertl Bürgschaftsähnliche Geschäfte 1. Constitutum debiti alieni Das constitutum zählt zu den pacta praetoria (formfreie, nach prätorischem Recht klagbare Verträge). Darin verpflichtet sich jemand gegenüber dem Gläubiger, eine bestehende Schuld an einem bestimmten Termin zu erfüllen. Diese Erklärung konnte abgegeben werden: vom Schuldner selbst für seine eigene Schuld von einem Dritten für eine fremde Schuld constitutum debiti proprii constitutum debiti alieni 2. Mandatum qualificatum (Kreditauftrag, Kreditmandat) Das mandatum zählt zu den formfreien Konsensualkontrakten; der Auftrag konnte jede Art von Geschäftsbesorgung im Interesse des Auftraggebers beinhalten. Beim Kreditauftrag gibt B an G den Auftrag, dem S ein Darlehen zu gewähren; G gewährt dem S das Darlehen. Es liegen dabei folgende Schuldverhältnisse vor: Darlehensvertrag zwischen G und S; dem G steht daraus die actio certae creditae pecuniae auf Rückzahlung zu. mandatum zwischen B und G; hat der G als Auftragnehmer irgendwelche Aufwendungen oder Auslagen, so hat er mit der actio mandati contraria einen Anspruch auf Aufwandersatz gegen den Auftraggeber B. Kann G die Darlehensrückzahlung bei S nicht realisieren, kann er den dadurch erlittenen Ausfall als Aufwandersatz von B fordern. Der Vorteil beider Geschäfte gegenüber den drei eigentlichen Bürgschaftsgeschäften liegt in der Klassik in der Formfreiheit; darin, dass keine Konsumptionskonkurrenz vorliegt: Da dem Gläubiger G gegen den Schuldner und den B jeweils verschiedene Klagen zustehen, liegt nicht eadem res vor; so ist zB beim Kreditmandat nach einer erfolglosen condictio gegen S immer noch die actio mandati gegen B offen. Römisches Recht Seite 103 von 119 Markus Ertl AG 10 Obligationenrecht – Allgemeiner Teil Allgemeines zum Erbrecht, gesetzliche Erbfolge Grundzüge des Erbrechts 1. Erbfolge Die Erben sind Gesamtrechtsnachfolger in sämtlichen vererblichen Rechtspositionen des Erblassers (successio in omne ius defuncti, Universalsukzession). 2. Vermächtnis Vermächtnisse (Legate) liegen vor, wenn jemand (nicht Erbteile, sondern) bestimmte Sachen bzw Rechte zugewendet werden. Die Vermächtnisnehmer sind Einzelrechtsnachfolger (Singularsukzession). 3. Schenkung von Todes wegen (donatio mortis causa) Die Erbfolge – Allgemeines Das RR kennt nur zwei Berufungsgründe zur Erbfolge: Testament: Testamentarische Erbfolge Gesetz: Intestaterbfolge Das ABGB kennt drei Berufungsgründe: Erbvertrag (nur unter Ehegatten) Testament Gesetz Zur Intestaterbfolge (gesetzliche Erbfolge) kommt es nur dann, wenn keine testamentarische Erbfolge eintritt (zB weil der Erblasser kein Testament errichtet hat, weil das Testament ungültig ist oder weil keiner der testamentarischen Erben antritt). Ein Nebeneinander von testamentarischer und gesetzlicher Erbfolge ist im RR (anders als heute) ausgeschlossen: nemo pro parte testatus, pro parte intestatus decedere potest – niemand kann teilweise unter Hinterlassung eines Testaments, teilweise ohne Testament sterben. Bei Fehlen eines wirksamen Testaments muss das Gesetz bestimmen, wer zur Erbfolge berufen ist: Anknüpfungspunkte für die gesetzliche Erbfolge sind heute die Verwandtschaft zum Erblasser (Verwandtenerbfolge) und eine mit dem Erblasser bestehende Ehe (Erbrecht des überlebenden Ehegatten). Bei der Intestaterbfolge knüpft das römische ius civile an die agnatische Verwandtschaft an, entscheidend ist die Zugehörigkeit zum Hausverband des Erblassers. Erst im prätorischen Recht kommt es zu einer stärkeren Berücksichtigung des Kognationsprinzips (Blutsverwandschaft) und zu einer Ausbildung eines Ehegattenerbrechts. Will der Erblasser selbst bestimmen, wem nach seinem Tod sein Vermögen zukommen soll, wird er ein Testament errichten. Die Testierfreiheit – als ein Aspekt der Privatautonomie – überlässt es jedem Rechtssubjekt Römisches Recht Seite 104 von 119 Markus Ertl zunächst einmal zu entscheiden, ob er ein Testament errichtet oder nicht; bei der Errichtung eines Testaments frei zu entscheiden, welchen Personen und in welchem Ausmaß er diesen sein Vermögen letztwillig zuwendet; bzw später wieder von dieser Entscheidung abzugehen, ein bereits errichtetes Testament aufzuheben und durch ein neues zu ersetzen. Das RR anerkennt keinen Erbvertrag, es sieht ihn wegen des Eingriffs in die Testierfreiheit als sittenwidrig an. Erbvertrag Testament Zweiseitiges Rechtsgeschäft; Vertrag zwischen Erblasser und Erben unwiderruflich (außer einvernehmliche Auflösung) einseitiges Rechtsgeschäft des Erblassers; frei widerruflich, abänderbar Völlige Testierfreiheit steht in einem gewissen Spannungsfeld zu den Interessen naher Angehöriger. Der Ausgleich erfolgt über das sog Noterbrecht, das nahe Angehörige gegen gänzliche Übergehung und grundlose Enterbung schützt bzw einen Pflichtteil vorsieht. Die Position des Erben verträgt keine zeitliche Beschränkung und keine auflösende Bedingung: semel heres, semper heres – einmal Erbe, immer Erbe. Dem Gegensatz von ius civile und ius praetoritum entspricht im Erbrecht die Gegenüberstellung von Hereditas Bonorum possessio Erbfolge nach ius civile; der zivile Erbe heißt heres. Erbfolge nach prätorischem Recht; der prätorische Erbe heißt bonum possessor. Dem prätorischen Erben wird vom Prätor durch Dekret der Erbschaftsbesitz verliehen als bonorum possessio secundum tabulas: bei testamentarischer Erbfolge; bonorum possessio intestati: bei gesetzlicher Erbfolge nach prätorischem Recht; bonorum possessio contra tabulas: bei prätorischer Erbfolge gegen das Testament (Noterbrecht). Zu einer prozessualen Konfrontation kann es kommen, wenn heres nach ius civile und bonorum possessor verschiedene Personen sind. Bsp.: Die unverheiratete und kinderlose Erblasserin E hat nur einen Bruder A. E hat ein Testament verfasst, in dem sie die Freundin F zur Alleinerbin einsetzt. Das Testament liegt in einer von sieben Zeugen gesiegelten Urkunde vor; bei der Errichtung des Testaments hat E aber den nach ius civile erforderlichen Formalakt der mancipatio nicht vorgenommen. Nach ius civile ist das Testament wegen des Formmangels nichtig, es kommt zur Intestaterbfolge: gesetzlicher Erbe nach ius civile ist der Bruder A. Für das prätorische Recht kommt es beim Testament nicht auf die Einhaltung der Manzipationsform, sondern auf eine von sieben Zeugen gesiegelte Urkunde an. Es kommt daher zur testamentarischen Erbfolge. Der Prätor wird daher der F die bonorum possessio secundum tabulas verleihen, diese erlangt dadurch Besitz am Nachlass. Nun könnte der A die prozessuale Initiative ergreifen und als ziviler Erbe gegen die F die Erbschaftsklage (hereditatis petitio) auf Herausgabe des Nachlasses erheben. Wer obsiegt? Römisches Recht Seite 105 von 119 Markus Ertl Bis zur Hochklassik obsiegt A Ab der Hochklassik obsiegt F F muss den Nachlass an den zivilen Erben herausgeben. Der Prätor gewährt eine exceptio doli, die zur Abweisung der Klage führt, F behält den Nachlass. Hier liegt eine bonorum possessio „sine re“ vor (nicht geschützt gegen den zivilen Erben). Hier liegt eine bonorum possessio „cum re“ vor (geschützt gegen den zivilen Erben). Die Erbfolge nach ius civile (XII-Tafeln) 1. Sui heredes Das sind die Personen, die durch den Tod des Erblassers gewaltfrei werden, zB die Hauskinder (auch adoptierte); die Ehefrau, wenn sie mit dem Erblasser in manus-Ehe gelebt hat. Die Teilung erfolgt nach Stämmen (per stirpes). 2. Proximus agnatus Bei Fehlen von sui heredes sind die gradnächsten agnatischen Seitenverwandten zur Erbfolge berufen, zB die Geschwister. Gradnähere (zB Geschwister zweiten Grades) schließen hier Gradfernere aus. Die Teilung erfolgt nach Köpfen (per capita). Beispiel: Erblasser F 1/4 A B in manus-Ehe C 1/4 E1 E2 1/8 1/8 E3 E4 E5 E6 E7 1/12 1/12 1/12 Von den Söhnen des Erblassers sind zwei vorverstorben (A und C), einer (B) lebt noch; dieser wird Erbe (und schließt seine Kinder E3 und E4 aus). Hingegen treten die Enkelkinder E1 und E2 an die Stelle ihres vorverstorbenen Vaters A, die Enkelkinder E5, E6 und E7 an die Stelle ihres vorverstorbenen Vaters C (Repräsentationsprinzip). Durch den Tod des Erblassers werden folgende Personen gewaltfrei: Sui heredes sind also die Ehegattin F, der Sohn B sowie die Enkelkinder E1, E2, E5, E6 und E7. Insgesamt sind sieben Erben vorhanden. Der Nachlass wird aber nicht nach Köpfen, sondern nach Stämmen (per stirpes) geteilt: Die Frau in der manus-Ehe (welche die rechtliche Stellung einer Tochter hat) gilt dabei als ein eigener Stamm. Es gibt also 4 Stämme, jedem Stamm kommt ¼ zu. Wäre die F in manus-freier Ehe verheiratet, wäre sie nach ius civile nicht erbberechtigt nach ihrem Mann und es gäbe nur drei Stämme. Die sui heredes erwerben den Nachlass ipos iure mit dem Tod des Erblassers. Sie setzen den Hausverband als consortium bis zur Erbteilung fort. Bei den Berufenen der zweiten Klasse (gradnächste agnatische Seitenverwandte) bedarf es zum Erwerb des Nachlasses eines Antrittsaktes (aditio hereditatis). Römisches Recht Seite 106 von 119 Markus Ertl Die prätorische Erbfolgeordnung Das prätorische Intestaterbrecht kennt vier Klassen, die sukzessive berufen werden: 1. 2. 3. 4. Unde Unde Unde Unde liberi (sui heredes und emanzipierte Kinder) legitimi (Erben nach ius civile, sui heredes, proximi agnati) cognati (kognatische Verwandte) vir et uxor (überlebender Ehegatte in der manus-freien Ehe) Das prätorische Recht berücksichtigt stärker die Blutsverwandtschaft (Kognation). In der ersten Klasse unde liberi sind daher nicht die sui heredes, sondern auch schon die zuvor durch emancipatio aus der Gewalt ausgeschiedenen Kinder (durch die emancipatio erlischt die agnatische Verwandtschaft, die kognatische bleibt selbstverständlich bestehen). In der zweiten Klasse beruft der Prätor die Erben nach ius civile, also (noch einmal) die sui heredes und danach die gradnächsten agnatischen Seitenverwandten. In der dritten Klasse ist das Kognationsprinzip verwirklicht: Berufen sind die kognatischen Seitenverwandten, wobei Gradnähere Gradfernere ausschließen. Das prätorische Erbrecht kennt eine Erbrechtsgrenze, nämlich den siebenten Grad. In der vierten Klasse wird der überlebende Ehegatte berufen (erst nach allen Seitenverwandten bis zum siebenten Grad): Das bezieht sich auf die manus-freie Ehe (in der manus-Ehe zählt die Ehegattin zu den sui heredes). Zwei senatus consulta zur Erbfolge zwischen Mutter und Kind Lebte eine Frau in manus-freier Ehe – und das wird die Regel -, so ist die erbrechtliche Stellung zwischen Mutter und Kind besonders schlecht: Zwischen ihr und ihren Kindern gibt es im ius civile überhaupt kein Erbrecht (da nur eine kognatische, aber keine agnatische Verwandtschaft besteht), im prätorischen Recht erst in der dritten Klasse unde cognati (kognatisch besteht zwischen der Mutter und dem Kind eine Verwandtschaft im ersten Grad). Konsequenzen: 1. Stirbt eine Mutter, so werden ihre eigenen Kinder in der Erbfolge durch die agnatischen Seitenverwandten der Mutter ausgeschlossen: Es erben also etwa die Geschwister der Mutter und nicht ihre Kinder. Ihre Kinder erben nur dann, wenn es keine agnatische Verwandten auf Seite der Mutter gibt oder alle ausschlagen. 2. Stirbt ein Kind vor seiner Mutter, wird die Mutter in der Erbfolge ebenfalls durch die agnatischen Verwandten ihres Kindes ausgeschlossen. Erst in der Kaiserzeit kommt es zu einer Verbesserung dieser schwer einsichtigen Situation, nämlich durch zwei senatus consulta. SC Tertullianum: Eine Mutter mit ius trium liberorum (Dreikinderrecht) erhält ein gesetzliches Erbrecht gegenüber ihren Kindern. SC Orfitianum: Die Kinder erhalten (von den agnatischen Seitenverwandten der Mutter) ein Erbrecht gegenüber ihrer Mutter. Die Justinianische Erbfolge Justinian hat in den Novellen das Erbrecht neu geordnet: Markus Ertl Römisches Recht Seite 107 von 119 Die Verwandtenerbfolge beruht ausschließlich auf dem Kognationsprinzip und sieht vier Klassen vor, das in Ansätzen schon das moderne Parentelensystem enthält. 1. Abkömmlinge 2. a) Eltern und vollbürtige Geschwister (allenfalls deren Kinder) b) Großeltern 3. halbbürtige Geschwister 4. übrige Seitenverwandte Unter einer Parentel versteht man ein Stammelternpaar und deren Nachkommen. Im Ehegattenerbrecht führt Justinian die sog Quart der armen Witwe ein: Neben den Kindern erhält die Witwe, sofern sie nicht durch die Mitgift oder eine Eheschenkung versorgt ist, ein Viertel. Die erbrechtliche Stellung des überlebenden Ehegatten (Zusammenfassung) 1. Besteht zwischen Ehegatten eine manus-Ehe, gehört die Frau zur Mannesfamilie und hat dort rechtlich die Stellung einer Tochter (sie steht filiae loco). Bei Tod ihres Mannes gehört die Frau zu den sui heredes, erbt also in der ersten Klasse (zusammen mit ihren Kindern). Bei Tod der Frau (vor ihrem Mann) kommt es zu keinem Erbgang, da die Frau in der manus-Ehe nicht vermögensfähig ist und somit gar kein Nachlass vorhanden ist. 2. Besteht zwischen den Ehegatten eine manus-freie Ehe (was in der Klassik bereits die Regel war), so ist die Frau nicht Teil der agnatischen Mannesfamilie und die erbrechtliche Stellung beider Ehegatten ist sehr schlecht: Nach ius civile gibt es überhaupt kein gesetzliches Erbrecht für den überlebenden Ehegatten. Im prätorischen Erbrecht gibt es – allerdings erst in der letzten Klasse unde vir et uxor – ein Erbrecht des überlebenden Ehegatten, dh erst nach allen anderen Klassen, insbesondere erst nach den Seitenverwandten. 3. Selbstverständlich konnte ein Ehegatten den anderen im Testament (auch zusammen mit den Kindern) als Erben einsetzen. Häufig wurde für die überlebende Ehegattin auch ein Fruchtgenussrecht (ususfructus) durch Legat bestellt. 4. Ergänzend ist zu erwähnen, dass die Versorgung der überlebenden Ehegattin im RR vor allem über die Mitgift (dos) erfolgte: Die dos fiel bei Beendigung der Ehe durch Scheidung oder Tod des Mannes an die Frau und bildete somit einen Vorsorgefonds für sie. 5. Im Justinianischen Recht wurde die Quart der armen Witwe eingeführt. Heutige Erbfolgeordnung Berufungsgründe zur Erbfolge: 1. Erbvertrag (nur unter Ehegatten möglich) 2. Testament 3. Gesetz Römisches Recht Seite 108 von 119 Markus Ertl Die gesetzliche Erbfolge: 1. Verwandtenerbfolge nach dem Parentelensystem: 1. Linie: Die Kinder (auch Enkel nach vorverstorbenen Kindern etc) 2. Linie: Die Eltern und deren Nachkömmlinge 3. Linie: Die Großeltern und deren Nachkömmlinge 4. Linie: Die Urgroßeltern 2. Der überlebende Ehegatte (Ehegattenerbrecht): neben der 1. Linie: 1/3 neben der 2. Linie: 2/3 neben Großeltern: 2/3 und Zuwachs ansonsten: der ganze Nachlass Der Pflichtteil: Pflichtteilsberechtigte: Höhe des Pflichtteils: a) Kinder (Deszendenten) 1/2 des gesetzlichen Erbteils in Ermangelung solcher die Eltern (Aszendenten) 1/3 des gesetzlichen Erbteils b) der Ehegatte 1/2 des gesetzlichen Erbteils Enterbungsgründe (Enterbung = Entziehung des Pflichtteils): Kinder Eltern Ehegatte 1. Hilflos-Lassen des Erblassers im Notstand 2. Verurteilung zu lebenslänglicher oder mind. 20jähriger Haftstrafe 3. Beharrliches Führen einer gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößigen Lebensart 4. gröbliche Vernachlässigung der Pflege und Erziehung 5. Verletzung der Beistandspflicht Testament und testamentarische Erbfolge, Noterbrecht Ein Testament ist eine letztwillige Verfügung, die eine Erbeinsetzung enthält. Wesentlicher Bestandteil eines Testaments ist also die Erbeinsetzung (institutio heredis). Sie muss am Beginn des Testaments stehen. Die Erbeinsetzung (... heres esto: er soll Erbe sein) kann berufen 1. einen Alleinerben: heres ex asse 2. mehrere Miterben zu den vom Erblasser angegebenen Quoten Hat ein Erblasser mehrere Personen als Erben ohne konkrete Quoten eingesetzt, erben sie zu gleichen Teilen. Unzulässig ist eine Erbeinsetzung auf eine bestimmte Sache (zB: Titius soll Erbe meines Hauses sein); bei einer Erbeeinsetzung ex certa re wird die Beschränkung auf den Gegenstand gestrichen, dh Titius wird (Mit-) Erbe. Will der Erblasser dem Titius nur das Haus letztwillig zuwenden, so kann er das nur durch Legat (Vermächtnis) machen. Für den Fall, dass der eingesetzte Erbe nicht Erbe wird (weil er zB schon vor dem Erblasser gestorben ist oder die Erbschaft nicht antritt), kann der Erblasser einen Ersatzerben Markus Ertl Römisches Recht Seite 109 von 119 berufen (und damit die gesetzliche Erbfolge vermeiden). Eine solche Substitution kann auch mehrstufig (durch einen Ersatzerben für den Ersatzerben) angeordnet werden. Außer der Erbeinsetzung kann ein Testament noch weitere letztwillige Verfügungen enthalten, wie zB Legate (Vermächtnisse): förmliche Zuwendungen einzelner Vermögenspositionen, Fideikommisse: Zuwendungen durch formlose Bitte des Erblassers an den Erben, Freilassungen von Sklaven oder die Bestellung von Vormündern für unmündige Kinder. Erfolgen solche letztwilligen Verfügungen in einem von der Testamentserrichtung getrennten Akt und in einer getrennten Urkunde, so handelt es sich bei dieser Urkunde um ein Kodizill (letztwillige Anordnungen ohne Erbeinsetzung). Werden solche Kodizille in einem Testament im Vorhinein angekündigt oder im Nachhinein bestätigt, spricht man von einem konfirmierten Kodizill. Legate können nur in einem konfirmierten Kodizill enthalten sein, Fideikommisse auch in einem nicht konfirmierten. Die Testierfähigkeit 1. Testamenti factio activa (aktive Testierfähigkeit): Die Fähigkeit, ein Testament zu errichten: Sie kommt allen mündigen römischen Bürgern zu. 2. Testamenti factio passiva (passive Testierfähigkeit): Die Fähigkeit, in einem Testament als Erbe eingesetzt zu werden: Sie kommt allen römischen Bürgern zu. Werden fremde Gewaltunterworfene (fremde Hauskinder und Sklaven) als Erben eingesetzt, erwerben sie den Nachlass für ihren Gewalthaber. Eigene Sklaven des Erblassers können eingesetzt werden, wenn sie gleichzeitig im Testament freigelassen werden. Die Form des Testaments Nach ius civile kommt es von der Form her auf den Manzipationsakt an. Der Prätor hat den übertriebenen Formalismus überwunden und verzichtet auf die Manzipationsform. Wer in einer von sieben Zeugen gesiegelten Urkunde als Erbe eingesetzt ist, dem erteilt er die bonorum possessio secundum tabulas. Erleichterungen bestand für das Soldatentestament: Es konnte auch von Nichtrömern in beliebiger Form – mündlich oder schriftlich – errichtet werden. In der Nachklassik entwickelten sich Testierformen, die auch heute noch bestehen: Grundsätzlich wird zwischen privaten und öffentlichen Testamenten unterschieden. Ein holographes Testament ist ein vom Erblasser eigenhändig (dh in eigener Handschrift) geschriebenes und unterschriebenes Testament. Hier bedarf es keiner Mitwirkung von Zeugen. Es wird im Westen des Reiches entwickelt. Ein allographes Testament ist ein fremdhändiges Testament: Es bedarf zu seiner Wirksamkeit der Unterschrift durch den Erblasser und der Mitwirkung von Zeugen (in Ostrom sieben Zeugen, nach § 579 ABGB drei Zeugen); die Zeugen haben durch Unterschrift zu erklären, dass diese Urkunde den letzten Willen des Erblassers enthält; den Inhalt müssen sie nicht kennen. Beim mündlichen Testament gibt der Erblasser seine Erklärung vor (im RR sieben, heute drei) gleichzeitig anwesenden Zeugen ab. Ein öffentliches Testament wird durch Protokollierung vor Gericht oder einer Urkundsperson zu den Akten genommen (testamentum apud acta conditum). Römisches Recht Seite 110 von 119 Markus Ertl Klassische Zeit: ius civile ius praetoritum Testamentum per aes et libram (Anwendungsfall der mancipatio) 7-Zeugen-Urkunde Sonderrecht für Soldaten: Testamentum militis Nachklassische Zeit: Private Testamente schriftlich (Westen) holographes Testament (Osten) Zeugentestament vgl § 578 ABGB vgl § 579 ABGB Öffentliche Testamente mündlich Testamentum apud acta conditum vgl § 585 ABGB vgl § 587 ff ABGB (gerichtliches / notarielles Testament) Der favor testamenti Darunter versteht man das Bemühen, eine letztwillige Anordnung als Testament möglichst aufrecht zu erhalten. Daher wird zB bei einer Erbeinsetzung ex certa re einfach die Beschränkung auf die Sache gestrichen, bei Erbeinsetzungen unter unmöglichen oder unerlaubten Bedingungen nur diese Bedingungen gestrichen, die Erbeinsetzung bleibt unbedingt aufrecht. Das Noterbrecht Der bereits verwitwete Erblasser hat als Hauskinder eine Tochter A und zwei Söhne B und C. Der Wert des Nachlasses beträgt 60.000 HS. 1. Der Erblasser verstirbt ohne Testament Bei gesetzlicher Erbfolge sind A, B und C zu je einem Drittel zur Erbfolge berufen. Bei einem Nachlasswert von 60.000 würde also durch den Erbgang jeder 20.000 realisieren. 2. Bei Tod des Erblassers findet sich folgendes Testament: a) „Meine Erben sollen A und C sein.“ – Hier liegt eine Übergehung (praeteritio) des B vor. b) „Meine Erben sollen A und C sein. Mein Sohn B soll enterbt sein.“ – Hier liegt eine namentliche Enterbung (exheredatio) des B vor. c) „Mein Alleinerbe soll mein Sohn C sein. Die übrigen sollen enterbt sein.“ – Hier liegt eine globale Enterbung (exheredatio inter ceteros) vor. d) „Die Livia soll meine Alleinerbin sein.“ – Hier wurde eine außenstehende Person zur Alleinerbin eingesetzt. Die sui heredes sind übergangen (praeteritio). e) „ Mein Sohn C soll mein Alleinerbe sein. Mein Sohn B soll enterbt sein. Meine Tochter A soll enterbt sein. C soll verpflichtet sein, meiner Tochter A 5.000 HS und meinem Sohn B 2.000 HS zu übereignen.“ Markus Ertl Römisches Recht Seite 111 von 119 Formelles Noterbrecht: Die geschützten Personen (sui heredes und postumi) müssen im Testament – sei es durch Erbeinsetzung, sei es durch Enterbung – erwähnt sein. Der Erblasser muss ihrer gedenken. Das formelle Noterbrecht schützt gegen Übergehung. Haussöhne und nascituri müssen namentlich enterbt werden, andere Personen können mit einer Globalklausel (ceteri exherdes sunto“) enterbt werden. Ist ein Haussohn oder postumus (nachgeborenes Kind) übergangen oder nicht namentlich enterbt, ist das Testament nichtig, es kommt zur gesetzlichen Erbfolge. Werden andere Personen übergangen, bleibt das Testament wirksam, aber die übergangenen Noterben werden am Nachlass beteiligt. Neben eingesetzten sui erhält der Übergangene den Intestaterbteil, neben eingesetzten Außenerben die Hälfte des diesem zugewandten Erbteils. Unter diesen Gesichtspunkten ist das Testament im Beispiel a) unwirksam (Übergehung des Haussohns B) gesetzliche Erbfolge im Beispiel b) korrekt: Alle sui sind erwähnt, B ist namentlich enterbt im Beispiel c) unwirksam (Haussohn B und Haustochter A sind namentlich nicht enterbt) gesetzliche Erbfolge im Beispiel d) unwirksam (Übergehung aller sui, darunter auch der Hausssöhne B und C und der Tochter A) gesetzliche Erbfolge im Beispiel e) korrekt: Tochter A und Sohn B sind namentlich enterbt. Materielles Noterbrecht: Den geschützten Personen (Kinder, danach Eltern, Geschwister) muss ein Pflichtteil (1/4 des gesetzlichen Erbteils) hinterlassen werden. Der Erblasser muss bestimmte Personen bedenken. Das materielle Noterbrecht schützt gegen grundlose Enterbung bzw zu geringe Zuwendung. Der Pflichtteil kann durch Erbeinsetzung, aber auch in Form eines Legats oder Fideikommisses zugewandt werden. Der grundlos Enterbte bzw nicht ausreichend bedachte Pflichtteilsberechtigte kann das Testament durch querela inofficiosi testamenti als „pflichtwidrig“ anfechten. Die Klage ist gegen den oder die Testamentserben zu richten und führt bei Erfolg zur Aufhebung des Testaments, es kommt zur Intestaterbfolge. Unter diesem Gesichtspunkt könnte etwa im Beispiel b) der B das Testament anfechten und wird obsiegen, wenn er nachweist, dass ihn sein Vater in pflichtwidriger Weise (zB ohne ersichtlichen Grund) von der Erbfolge ausgeschlossen hat. Im Beispiel e) sind Tochter A und Sohn B enterbt, haben aber Legate erhalten. Es ist zu prüfen, ob die Legate den Pflichtteil wertmäßig abdecken: Der Pflichtteil beträgt ¼ des Intestaterbteils (nicht: des Nachlasses!). Bei gesetzlicher Erbfolge würden A und B je 1/3 – bezogen auf den Nachlasswert von 60.000 – also je 20.000 erhalten. Die Höhe des Pflichtteils beträgt daher bei A und B je 5.000. Somit hat Tochter A jedenfalls mit 5.000 genau den Pflichtteil erhalten, während Sohn B in seinem Pflichtteil verkürzt worden ist. B kann daher die querela inofficiosi testamenti gegen C erheben. Wenn das Testament erfolgreich angefochten ist, kommt es zur gesetzlichen Erbfolge und B erhält 1/3 des Nachlasses, also 20.000 (als vier mal so viel als den Pflichtteil). Das ist unlogisch: Hätte ihm der Erblasser ebenfalls 5.000 zugewendet, hätte B sich damit zufrieden geben müssen und könnte nicht anfechten. In der Nachklassik hat der Verkürzte daher nur mehr eine Pflichtteilsergänzungsklage (actio ad supplendam legitimam) gegen den Testamentserben. B kann also von C (neben dem Legat von 2.000) einen Betrag von 3.000 als Pflichtteilsergänzung fordern. Römisches Recht Seite 112 von 119 Markus Ertl Erbgang Todfallsaufnahme Abtuung armutshalber iure crediti Einantwortung Ausschlagung Erbserklärung nur eine oder mehrere sich nicht widersprechende Erbserklärungen widersprechende Erbserklärungen Klägerrolle: Partei mit schwächerem Titel Beklagtenrolle: Partei mit stärkerem Titel Erbrechtsklage obsiegende Partei Einantwortung späteres Auftreten eines Prätendenten Kläger: Prätendent Erbschaftsklage Beklagter: eingeantworteter (Schein-) Erbe Erbschaftserwerb im Römischen Recht Zu unterscheiden sind: Delation: Berufung zum Erben; damit erwirbt der Berufene das Recht, den Nachlass zu erwerben. Akquisition: Erwerb des Nachlasses; damit erlangen die Erben als Universalsukzessoren sämtliche vererblichen Rechte des Erblassers (und haften auch für dessen Schulden). Sui heredes (Hauserben) Das sind die Erben, die durch den Tod des Erblassers gewaltfrei werden, zB Kinder, manus-Frau Extranei heredes (Außenerben) Das sind alle anderen Erben Die sui heredes erwerben ipso iure mit dem Tod des Erblassers, ohne dass es eines Antrittsaktes bedarf. Delation und Akquisition fallen zeitlich zusammen. Die extranei heredes erwerben erst durch den Erbschaftsantritt (aditio hereditatis). Der Prätor gewährt ihnen jedoch auf Antrag ein beneficium obstinendi (wodurch sie vor allem der Haftung für die Nachlassschulden entgehen. Arten des Erbschaftsantritts: cretio (förmliche Erklärung) pro herede gestio (formlos) Der Erwerb des bonorum possessio erfolgt auf Grund eines Antrages (agnitio) durch Dekret des Prätors. Markus Ertl Römisches Recht Seite 113 von 119 Die hereditas iacens Die hereditas iacens (der ruhende Nachlass) hat vorübergehend keinen Rechtsträger, kann sich aber auch ohne einen solchen in ihrem Bestand vermehren (zB durch Fruchterwerb) oder es können Forderungen für sie erworben werden (zB ein Dritter beschädigt eine Erbschaftssache) oder Verpflichtungen begründet werden (zB die Erbschaftssache beschädigt einen Dritten). Im Gemeinen und modernen Recht ist die hereditas iacens eine juristische Person; sie selbst kann als Rechtssubjekt Forderungen und Klagen haben oder solchen ausgesetzt sein. Für die Römer ist die hereditas iacens ein vorübergehend subjektloses Vermögen. Ansprüche und Verpflichtungen werden von manchen Juristen nach dem Erblasser, von anderen schon den zukünftigen Erben zugerechnet. Die zu ihr gehörigen Sachen sind res nullius, was zur Folge hat, dass deren Entwendung durch einen Dritten kein furtum (Diebstahl) ist. Am ruhenden Nachlass oder einzelnen Sachen ist auch eine Ersitzung (die sog usucapio pro herede) möglich. Im Vergleich zur sonstigen Ersitzung ist usucapio pro herede eine erleichterte Form, da keine Gutgläubigkeit erforderlich ist und die Frist stets nur ein Jahr dauert, auch bei Grundstücken. Sie ist ursprünglich eine Ersitzung der Erbenstellung, später eine Ersitzung des Eigentums an einzelnen Nachlassgegenständen. Unter Kaiser Hadrian erfolgt eine Einschränkung in der Weise, dass die Ersitzung durch einen Bösgläubigen gegenüber dem Erben unwirksam ist. Erbschaftsschulden Der Erbe haftet als Universalsukzessor für die Schulden des Erblassers. Ist der Wert der Nachlassaktiven höher als jener der Schulden (Passiven), so erleidet er durch den Erbgang keine Nachteile. Reichen aber die Nachlassaktiven in ihrem Wert nicht aus, um die Erbschaftsschulden abzudecken, so muss er aus eigenem Vermögen dafür aufkommen. Zur Abwendung des Überschuldungsrisikos bietet das klassische Recht den sui heredes (die ja ungefragt ipso iure erben) das beneficium abstinendo (die Rechtswohltat der Enthaltung), vorausgesetzt, sie haben sich noch nicht eingemischt; den extranei heredes die Möglichkeit der Unterlassung des Antritts bzw die ausdrückliche Ausschlagung. Das Justinianische Recht kennt als Verfeinerung das beneficium inventarii. Wenn der Erbe ein Verzeichnis der Nachlassgegenstände errichtet, beschränkt sich seine Haftung auf die Nachlassgegenstände. Er haftet cum viribus hereditatis, nicht mit seinem eigenen Vermögen. Vgl im modernen Recht die „Erbserklärung mit der Rechtswohltat des Inventars“ (§ 802 ABGB: sog „bedingte Erbserklärung“). Sie führt zu einer rechnerischen Haftungsbeschränkung auf die Höhe der Nachlassaktiven, nicht wie im RR zu einer gegenständlichen Beschränkung. Hingegen führt die „unbedingte Erbserklärung“ (§ 801 ABGB) zu einer unbeschränkten Haftung des Erben. Es kann sich auch umgekehrt die Situation ergeben, dass die Forderungen der Erbschaftsgläubiger im Nachlass Deckung finden, der Erbe aber überschuldet ist (siehe Grafik nächste Seite). Die Forderungen der Nachlassgläubiger in der Gesamthöhe von 60.000 finden im Nachlass von 70.000 Deckung. Römisches Recht Seite 114 von 119 G1 Markus Ertl G2 G3 G4 G5 10000 10000 20000 20000 G 6 G7 30000 50000 20000 Erblasser Erbe E 70000 Nachlass 50000 Eigenvermögen Der Erbe ist mit seinem Eigenvermögen überschuldet. Aktiven von 50.000 stehen Passiven von 100.000 gegenüber. In einem – letztlich wohl unvermeidlichen – Konkurs des E würden die Eigengläubiger als Quote nur ½, also 50 %, bekommen. Werden durch Erbgang Nachlassvermögen und Eigenvermögen vereinigt, so ergibt das Gesamtaktiven von 120.000, denen nun allerdings Forderungen von insgesamt 160.000 gegenüberstehen. In einem Konkurs haben dann alle Gläubiger eine Quote von ¾, also 75 %, was für die Eigengläubiger eine Verbesserung bedeutet, für die Erbschaftsgläubiger aber eine Verschlechterung bringt. Um das zu vermeiden, können die Erbschaftsgläubiger von einem sog heredes suspectus (wörtl: verdächtiger Erbe) eine Sicherstellung in Stipulationsform und vor allem eine seperatio bonorum (Nachlassabsonderung, vgl § 812 ABGB) verlangen. Dann bleibt ihnen der Nachlass als eigener Befriedigungsfonds erhalten, auf den die Eigengläubiger des Erben keinen Zugriff haben. Besondere Konstellationen im Erbgang 1. Zur Akkreszenz (Anwachsung) kommt es, wenn von mehreren Miterben einer ausfällt. Dann wächst sein Teil den übrigen an. Ebenso kommt es zur Akkreszenz, wenn der Erblasser in seinem Testament nicht über den ganzen Nachlass verfügt hat. 2. Die Transmission ist die Vererbung des Rechts, eine angefallene Erbschaft anzutreten. Bsp.: Der kinderlose Erblasser A hat in seinem Testament seinen Freund F zum Erben eingesetzt. An Verwandten hat A nur einen Neffen N. F hat einen Sohn S. A stirbt am 1.4.; F wird dadurch zur Erbschaft berufen (Delation), hat aber noch nicht angetreten; F stirbt am 10.4. Frage: Kann nun der Erbe des Erben, das ist dessen Sohn S, den von F noch nicht vorgenommenen Erbschaftsantritt zum Nachlass des A annehmen (Transmission) oder wird nun, weil F noch nicht angetreten hat und ausgefallen ist, der gesetzliche Erbe des A – das ist dessen Neffe N – berufen und kann antreten? Das klassische Recht kennt noch keine Transmission (dh der Nachlass des A geht an N), erst im justinianischen Recht gibt es eine Transmission: S kann innerhalb eines Jahres antreten. 3. Erblose Nachlässe (bona vacantia) fallen an den Staat heim (vgl § 760 ABGB), in Rom ursprünglich an das aerarium (das ist die alte noch aus der Republik stammende Staatskasse), später an den fiscus (kaiserliche Staatskasse). Römisches Recht Seite 115 von 119 Markus Ertl Der fiscus wird zwar nicht Erbe, aber Gesamtrechtsnachfolger und haftet als solcher auch für die Schulden. Ursprünglich trat dieses Heimfallsrecht ipso iure ein, doch dieses Konstrukt erwies sich für den fiscus bei überschuldeten Nachlässen als nachteilig, weshalb der fiscus ein Verfahren vorschaltete, in dem er prüfte und entschied, ob er das Heimfallsrecht durch agnitio in Anspruch nimmt oder nicht. Wird ein überschuldeter erbloser Nachlass auch vom fiscus nicht auf Grund des Heimfallsrechtes in Anspruch genommen, so kommt es zum Nachlasskonkurs. 4. Verkauft der Erbe nach Erbschaftsantritt den gesamten Nachlass an Käufer K (Erbschaftskauf), so gehen damit nicht die Forderungen und Schulden auf K über, diese bleiben beim verkaufenden Erben V. Es wird daher durch stipulatio emptae et venditae hereditatis intern vereinbart, dass V das, was er aus den Forderungen von den Erbschaftsschuldnern erhalten wird, dem K herausgeben wird; dass K dem V, wenn er von den Erbschaftsgläubigern in Anspruch genommen wird, schadlos halten wird. Ab der Spätklassik erhält der Erbschaftskäufer K für Klagen aus den in der Erbschaft enthaltenen und mitverkauften Forderungen eine actio utilis. Erbenmehrheit Ältere Erbengemeinschaft Im älteren Recht setzten die sui heredes die Hausgemeinschaft als consortium oder societas ercto non cito fort. An den einzelnen Gegenständen entsteht dadurch Gesamthandeigentum, es ist aber – wegen des Vertrauensprinzips unter Geschwistern – jeder Einzelne zur Verfügung über die ganze Sache befugt. Jüngere Erbengemeinschaft Bei der jüngeren Erbengemeinschaft des klassischen Rechts entsteht an den einzelnen Sachen Miteigentum nach Quoten, wobei jeder über seinen Anteil frei und unabhängig von den anderen verfügen kann. Die Erbengemeinschaft wird durch die Erbteilung aufgelöst, als Klage dient dazu die actio familiae erciscundae (Erbteilungsklage), die von jedem Miterben erhoben werden kann. Sie bezweckt die Aufteilung des Nachlassvermögens, dazu kann der Richter durch adiudicatio Alleineigentum an einzelnen Gegenständen zuweisen (sachenrechtlicher Aspekt); die Abrechnung unter den Miterben (schuldrechtlicher Aspekt). Geldforderungen und –schulden sind auch ohne Erbteilung ohne weiteres geteilt: Nomina ipso iure divisa sunt. Hat der Erblasser gegenüber Schuldner S eine Forderung von 1.000 gehabt gegenüber Gläubiger G einen Schuld von 1.000 gehabt und hinterlässt er vier Erben A, B, C und D, so entstehen durch den Erbgang nun vier Teilforderungen auf je 250. vier Teilschulden auf je 250. Römisches Recht Seite 116 von 119 Markus Ertl Die Kollation Bei Vorhandensein mehrerer Kinder kann es dazu kommen, dass einige von ihnen schon zu Lebzeiten Vorempfänge vom Erblasser erhalten haben, andere hingegen nicht. Vater V hat zwei Töchter A und B und zwei Söhne C und D. Für A hat V aus Anlass ihrer Eheschließung eine bedeutende dos bestellt, dem C hat er aus Anlass der emancipatio einen größeren Geldbetrag überlassen, B und D haben keine Vorempfänge erhalten. Bei Errichtung eines Testaments kann V diese Umstände entsprechend berücksichtigen. Wenn es zur gesetzlichen Erbfolge kommt und A und C daran teilnehmen, müssen sie ihre Vorempfänge entweder real oder rechnerisch in die Teilungsmasse einbringen (Kollation). Legate und Fideikommisse, Rechtsschutz im Erbrecht Die Vermächtnisse Erbeseinsetzung = Berufung zum gesamten Nachlass oder auf eine Quote. Erben sind Gesamtrechtsnachfolger (Universalsukzessoren), sie folgen in sämtliche vererbliche – aktive wie passive – Vermögenspositionen des Erblassers nach. Vermächtnis (vgl § 535 ABGB) = letztwillige Zuwendung einer einzelnen Sache, zB einer Vase; einer oder mehrerer Sachen von gewisser Gattung, zB 100 Scheffel Weizen; einer Summe, zB 10.000 HS; oder eines Rechtes, zB eines Fruchtgenussrechtes (ususfrucutus). Vermächtnisnehmer sind Einzelrechtsnachfolger (Singularsukzessoren). Für den oder die Erben stellen die Vermächtnisse eine Belastung dar. Das RR unterscheidet zwei Arten von Vermächtnissen, nämlich die förmlichen und nach ius civile wirksamen die als formlose Bitte des Erblassers an den Beschwerten formulierten Legate Fideikommisse Hier werden die verba imperativa (befehlende Wort) gebraucht: „... Do lego“ – „... Ich gebe und vermache.“ Sie sind im ordentlichen Verfahren einklagbar. zB „Fidei tuae committo, ut ...“ – „Ich überlasse es deiner Treue, dass du ...“ Sie werden erst in der Kaiserzeit entwickelt und im außerordentlichen Verfahren einklagbar (dafür wird ein eigener Prätor, der praetor fideicommissarius, geschaffen). Bedachter = Vermächtnisnehmer (Legatar, Fideikommissar) Beschwerter = Derjenige, der das Vermächtnis an den Bedachten zu leisten hat. Das ist regelmäßig der Erbe. Mit einem Fideikommiss kann auch ein Legatar oder Fideikommissar beschwert sein, dh aus seinem Vermächtnis soll er an eine weitere Person etwas leisten (Untervermächtnis). Markus Ertl Römisches Recht Seite 117 von 119 Die beiden wichtigsten Arten der Legate sind das dinglich wirkende Vindikationslegat, das schuldrechtlich wirkende Damnationslegat. Bsp.: Zum Vermögen des Erblassers gehört auch ein Grundstück (fundus Cornelianus). Als seinen Erben möchte er den Maevius einsetzen, dem Titius möchte er das Grundstück zuwenden (dh Maevius ist der Beschwerte, Titius ist der Bedachte). Im Testament sieht das wie folgt aus: (1) Maevius mihi heres esto. – Mein Erbe soll Maevius sein. [...] [Legatum per vindicationem] (a) Titio fundum Cornelianum do lego. – Dem Titius gebe und vermache ich den fundus Cornelianus. [Legatum per damnationem] (b) Heres meus fundum Cornelianum Titio dare damnas esto. – Mein Erbe soll verpflichtet sein, dem Titius den fundus Cornelianus zu übereignen. Beim Vindikationslegat (a) erlangt der Legatar unmittelbar vom Erblasser das Eigentum am Grundstück, ohne dass der Erbe zwischenzeitig Eigentümer wird. Er kann sowohl gegen den Erben Maevius als auch gegen jeden Dritten – falls ein solcher im Besitz des Grundstückes ist – die rei vindicatio erheben. Beim Damnationslegat (b) erlangt der Legatar zunächst nur ein Forderungsrecht gegen den Erben. Als Klage steht dem Legatar die strengrechtliche actio ex testamento zu. Sie kann als actio in personam nur gegen den Erben, nicht gegen Dritte gerichtet werden. Da die schuldrechtliche Beziehung ohne vertragliche Einigung zwischen Erbe und Legatar entsteht, wird sie zu den Quasikontrakten (vertragsähnliche Tatbestände) gezählt. Legate wirken im RR sowohl dinglich wie auch obligatorisch. Fideikommisse wirken stets nur obligatorisch. Das ABGB kennt nur obligatorisch wirkende Vermächtnisse (Damnationslegate); der Legatar hat die Stellung eines Gläubigers. Der einzige Fall eines Vindikationslegats im modernen Recht begegnet in § 14 Abs 1 WEG 2002: Haben zwei Partner einer sog „Eigentümerpartnerschaft“ gemeinsames Wohnungseigentum, so hat jeder eine Hälfte des sog „Mindestanteils“ (das ist jener Miteigentumsanteil an der Liegenschaft, mit dem das ausschließliche Nutzungsrecht an einer Wohnung untrennbar verbunden ist). Stirbt nun ein Partner – und erwirbt der andere die Hälfte des Mindestanteils des verstorbenen Partners nicht ohnedies etwa als Erbe – so wächst dem Überlebenden diese andere Hälfte des Mindestanteils als gesetzliches Vindikationslegat ins Eigentum zu. Legate sind mit der testamentarischen Erbfolge verknüpft, können daher nur in einem Testament oder testamentarisch konfirmierten Kodizill bestellt werden. Fideikommisse können auch in einem nicht konfirmierten Kodizill errichtet werden und können daher auch bei gesetzlicher Erbfolge zum Tragen kommen. Gegenstand von Vindikationslegaten können sein: Die Zuwendung eigener Sachen des Erblassers; der Legatar erhält das Eigentum. Die Bestellung von Servituten oder eines ususfructus; hier erlangt der Bedachte ein beschränkt dingliches Recht. Römisches Recht Seite 118 von 119 Markus Ertl Die römischen Erblasser neigten dazu, in ihren Testamenten vielfältige Legate und Fideikommisse anzuordnen. Es konnte dazu kommen, dass dem oder den Erben vom Nachlass fast gar nichts blieb. Als Schutz für die Erben erging daher für die Legate die lex falcidia, die bestimmte, dass dem Erben ¼ des Nachlasses – die sog Falzidische Quart – frei von Legaten verbleiben muss. Später wurden auch die Fideikommisse bei der Quartberechnung berücksichtigt. Übersteigen die Belastungen durch Legate und Fideikommisse ¾ des Nachlasses, kommt es bei allen Legataren und Fideikommissaren zu einer anteiligen Kürzung. Bei den Fideikommissen gibt es neben dem Einzelfideikommiss (Zuwendung einzelner Vermögenspositionen) auch das sog Universalfideikommiss, durch welches der Erblasser den Erben verpflichtet, den ganzen Nachlass (oder Teile davon) an eine begünstigte Person, dem Universalfideikommissar, herauszugeben. (1) Maevius mihi heres esto. – Maevius soll mein Erbe sein. (2) Te Maevium rogo, uti hereditatem meam ... [Bedingung oder Befristung] ... Titio restituas. – Ich bitte dich, Maevius, dass du meinen Nachlass ... [bei Eintritt einer Bedingung oder nach einer Befristung] ... an den Titius herausgibst. Es ergeben sich folgende Probleme: 1. Wenn der Erbe letztlich nichts behalten kann, wird er vielleicht gar nicht antreten, dann ist aber auch das Fideikommiss hinfällig. 2. Durch die „restitutio“ an den Universalfideikommissar Titius verlor der Erbe Maevius aber nicht seine Erbenstellung. Er blieb weiterhin Schuldner gegenüber den Erbschaftsgläubigern (muss also an die Gläubiger zahlen, obwohl er vom Erbe nichts mehr in Händen hat). Er behielt die Gläubigerstellung gegenüber den Erbschaftsschuldnern, kann also die Forderungen selbst einziehen. Man versuchte daher die Lage des Erben zu verbessern: ad 1. Das SC Pegasianum gewährt dem Erben wie bei den Legaten die Falzidische Quart, dh er kann ein Viertel behalten. ad 2. Zunächst bediente man sich der für den Erbschaftskauf entwickelten stipulationes emptae et venditae hereditatis, durch die intern ein Ausgleich geschaffen wurde. Es wird dadurch die Verpflichtung begründet, dass der Erbe dem Universalfideikommissar das, was er aus den Forderungen von den Erbschaftsschuldnern erhalten wird, dem K herausgeben wird; dass der Universalfideikommissar den Erben, wenn er von den Erbschaftsgläubigern in Anspruch genommen wird, schadlos halten wird. Rechtsschutz im Erbrecht Rechtsschutz im zivilen Erbrecht Hereditatis petitio: ziviler Erbe gegen Besitzer des Nachlasses oder einzelner Nachlassgegenstände (bzw von Vermögenswerten aus dem Nachlass) auf Herausgabe. Schutz der bonorum possessio Interdictum quorum bonorum: prätorischer Erbe gegen Besitzer des Nachlasses oder einzelner Nachlassgegenstände auf Herausgabe. Markus Ertl Römisches Recht Seite 119 von 119 Schutz des Pflichtteilsrechts Klassik: Querela inofficiosi testamenti (Anfechtung des Testaments wegen Pflichtwidrigkeit): Pflichtteilsberechtigter gegen den Testamentserben auf Aufhebung des Testaments (wodurch es zur Intestaterbfolge kommt). Nachklassik: Actio ad supplendam legitimam: Pflichtteilsberechtigter gegen den Testamentserben auf Pflichtteilsergänzung. Rechtsschutz aus Legaten Vindikationslegat: Beim Vindikationslegat erlangt der Legatar Eigentum (oder ein beschränktes dingliches Recht) und hat daher die rei vindicatio gegen den Besitzer des vermachten Gegenstandes auf Herausgabe. Damnationslegat: Durch das Damnationslegat erlangt der Legatar einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erben und erhält zur Durchsetzung die strengrechtliche actio ex testamento gegen den Erben auf Leistung des Legats.