Eingliederungshilfe

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Eingliederungshilfe
fachverband
drogen- und
suchthilfe e.V.
Marina Knobloch / Rüdiger Lenski
Stellungnahme
zu Leistungen der
Eingliederungshilfe
für abhängigkeitskranke
Menschen
Stellungnahme zu Leistungen der Eingliederungshilfe für abhängigkeitskranke Menschen
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung .................................................................................................................... 3
2. Leistungen der Eingliederungshilfe für abhängigkeitskranke Menschen ............................. 4
2.1 Gesetzliche Zuordnung der Eingliederungshilfe .............................................................. 4
2.2
Einrichtungen und Hilfen der Eingliederungshilfe für abhängigkeitskranke Menschen4
2.2.1
Ambulante und teilstationäre Hilfen für abhängigkeitskranke Menschen .................. 5
2.2.2
Wohnheime als stationäre Einrichtungen für abhängigkeitskranke Menschen............ 8
2.3
Andere Leistungen der Eingliederungshilfe........................................................... 11
2.3.1
Leistungen zur Pflege ......................................................................................... 11
2.3.2
Trägerübergreifendes Persönliches Budget ............................................................ 11
3. Überlegungen zur Zukunft von Eingliederungshilfeleistungen für die Suchthilfe .............. 13
4. Quellenverzeichnis ...................................................................................................... 15
Marina Knobloch ist Referentin und Leiterin des Büros für Suchthilfe des (fdr) in Erfurt
Rüdiger Lenski ist im Fachbereich Jugend des Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt tätig und
Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des (fdr) .
ã Fachverband Drogen- und Suchthilfe e.V.
Odeonstr. 14 · 30159 Hannover
Tel.: 0511 18333 · Fax 0511 18326
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August 2011
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Stellungnahme zu Leistungen der Eingliederungshilfe für abhängigkeitskranke Menschen
1. Einleitung
Abhängigkeitserkrankungen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Menschen, die
von einem Suchtmittel abhängig sind, können in der Regel für einen bestimmten Zeitraum nicht
mehr uneingeschränkt an den verschiedenen Lebensbereichen teilnehmen. In der Sozialgesetzgebung werden diese Menschen, bei denen entsprechend der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die individuellen Fähigkeiten nicht nur vorübergehend eingeschränkt sind, als
behindert (§ 2, Absatz 1, Sozialgesetzbuch IX) bezeichnet.
Abhängigkeitserkrankungen sind per Gesetz den seelischen Störungen zugeordnet. Eine Klassifizierung des Schweregrades der Erkrankung ist die Voraussetzung, um entsprechende Interventionen
vorzubereiten. Neben der ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten) und DSM IV (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen) beschreibt die ICF (Internationale
Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) fachübergreifend den funktionalen Gesundheitszustand, die Behinderung, die soziale Beeinträchtigung und relevante Umgebungsfaktoren. Mit der ICF ist es möglich, eine wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit
als Folge einer wesentlich seelischen Behinderung nach dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) zu diagnostizieren.
Abhängigkeitskranke Menschen, die wesentlich seelisch behindert sind, benötigen Hilfen, die eine
Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft zum Ziel haben. Diese Hilfen sollten
dem individuellen Bedarf des einzelnen Menschen entsprechen und nicht an Institutionen und Einrichtungen halt machen. Eine schrittweise Heranführung an den Arbeitsmarkt und eine (Wieder-)
Eingliederung in die Gesellschaft schließen ein, dass multiple Vermittlungshemmnisse wie Bildungsdefizite, körperliche und psychische Einschränkungen, fehlendes Selbstbewusstsein, Kommunikationsdefizite und Delinquenz im Rahmen der Eingliederungshilfe individuell bearbeitet werden
können. Hierzu steht eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung.
Voraussetzung zur Umsetzung der Eingliederungshilfe ist eine ineinandergreifende Arbeit von
Fachkräften der Medizin, Psychologie und Sozialarbeit. Entsprechend der Diagnose sind - unter
Einbeziehung des Hilfe Suchenden - individuelle Maßnahmen zu planen und in definierten zeitlichen Abständen zu überprüfen. Eine Leistungsbewilligung darf nicht daran scheitern, dass geforderte passgenaue Hilfen vor Ort bzw. in der Region nicht vorhanden sind, jedoch in einem anderen
Bundesland durchgeführt werden könnten.
Eingliederungshilfe sollte für diejenigen Menschen in Anspruch genommen werden dürfen, die sie
benötigen, also Menschen, die wesentlich seelisch behindert sind. Eingliederungshilfe sollte entsprechend des individuellen Bedarfes jeder einzelnen Person greifen. Menschen, die mittel- bis
langfristig in die Gesellschaft eingegliedert werden, finden wieder einen Sinn im Leben, haben eine
Perspektive und nützen unserer Gesellschaft.
Die 87. Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) hat am 25./26. November 2010 eine Neustrukturierung der Eingliederungshilfe zur Entlastung der Kommunen beschlossen. Zur Zeit ist
nicht absehbar, welche Auswirkungen das haben wird,
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Stellungnahme zu Leistungen der Eingliederungshilfe für abhängigkeitskranke Menschen
2. Leistungen der Eingliederungshilfe für abhängigkeitskranke
Menschen
2.1 Gesetzliche Zuordnung der Eingliederungshilfe
Die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ist eine Leistung der Sozialhilfe, die seit dem
1. Januar 2005 in das Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch (SGB XII) übernommen wurde. Nach §
53 SGB XII erhält derjenige Leistungen der Eingliederungshilfe, der wesentlich in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzunehmen, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen
Beeinträchtigung bedroht ist, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgaben der Eingliederungshilfe erfüllt werden können.
Neben der Eingliederungshilfe in der Sozialhilfe (SGB XII) existiert auch eine Eingliederungshilfe in der Jugendhilfe (SGB VIII). Es handelt sich um Leistungen für seelisch behinderte Jugendliche und junge Volljährige (bis 27 Jahre). Rechtsgrundlage ist § 35 a SGB VIII und – insoweit es sich um junge Volljährige handelt - § 41 SGB VIII. Der Jugendhilfeträger ist Kostenträger, soweit die Krankenkasse die Aufwendungen für die notwendige Behandlung nicht
übernimmt bzw. ein Versicherungsschutz nicht besteht.
Nach § 54 SGB XII gehören zu den Leistungen der Eingliederungshilfe auch Leistungen zur
Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX. Um die Erwerbsfähigkeit behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen, werden nach § 33 Abs. 6 SGB IX medizinische,
psychologische und pädagogische Hilfen angeboten. Dazu zählen u. a. die Aktivierung von
Selbsthilfepotentialen, Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen
Kompetenz, Training lebenspraktischer Fähigkeiten, Anleitung und Motivation zur Inanspruchnahme von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben usw.
Anspruch auf Eingliederungshilfe besteht nur nachrangig, wenn die Hilfe nicht von einem
vorrangig verpflichteten Leistungsträger gewährt wird. Auch Einkommen und Vermögen
des/der Klienten/in sind vorrangig einzusetzen.
Leistungsempfänger nach dem SGB XII erhalten regelhaft nur dann Leistungen vom Träger der
Sozialhilfe, wenn eine Vereinbarung nach §§ 75 ff. SGB XII geschlossen wird. § 79 SGB XII
sieht ferner Landesrahmenverträge zwischen den Spitzenverbänden vor.
2.2 Einrichtungen und Hilfen der Eingliederungshilfe für abhängigkeitskranke Menschen
§ 13 SGB XII Leistungen für Einrichtungen, Vorrang anderer Leistungen
(1) Die Leistungen können entsprechend den Erfordernissen des Einzelfalles für die Deckung des
Bedarfs außerhalb von Einrichtungen (ambulante Leistungen), für teilstationäre oder stationäre
Einrichtungen (teilstationäre oder stationäre Leistungen) erbracht werden. Vorrang haben ambulante Leistungen vor teilstationären und stationären Leistungen sowie teilstationäre vor stationären Leistungen. Der Vorrang der ambulanten Leistung gilt nicht, wenn eine Leistung für eine ge-
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eignete stationäre Einrichtung zumutbar und eine ambulante Leistung mit unverhältnismäßigen
Mehrkosten verbunden ist. Bei der Entscheidung ist zunächst die Zumutbarkeit zu prüfen. Dabei
sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen. Bei Unzumutbarkeit ist ein Kostenvergleich nicht vorzunehmen.
(2) Einrichtungen im Sinne des Absatzes 1 sind alle Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung
oder sonstigen nach diesem Buch zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dienen.
Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen hat in der Bundesrepublik Gesetzeskraft.
Artikel 19 Abs. 2 sieht vor, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben und nicht
verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben. Der Sozialhilfeträger kann daher nicht
mehr auf eine kostengünstigere stationäre Versorgung bestehen, wenn der Klient in seiner gewohnten Umgebung verbleiben möchte. Das gilt allerdings nicht, wenn ein Ortwechsel medizinisch
indiziert ist.
2.2.1 Ambulante und teilstationäre Hilfen für abhängigkeitskranke
Menschen
Betreutes Wohnen als ambulante Leistung außerhalb einer Einrichtung
Nach § 53 SGB XII kann im Sinne der Eingliederungshilfe ambulante Leistung zum betreuten
Wohnen erbracht werden. Das Prinzip „ambulant vor stationär“ stützend soll mit dieser Maßnahme stationäre Hilfe vermieden werden. Andererseits kann ambulantes betreutes Wohnen
eine Möglichkeit sein, eine vorangegangene stationäre Maßnahme auf dem Weg der Wiedereingliederung zu unterstützen und damit erneute stationäre Aufenthalte verhindern helfen.
Das ambulante betreute Wohnen richtet sich an über 18-jährige Frauen und Männer mit einer
drohenden oder bereits vorhandenen wesentlichen (seelischen) Behinderung im Sinne des Gesetzes. Die Hilfeempfänger/-innen wohnen im eigenen oder von Hilfeeinrichtungen zur Verfügung gestellten Wohnraum und werden dort von entsprechend ausgebildetem Fachpersonal
(i. d. R. Sozialpädagogen/Sozialarbeiter) über einen bestimmten Zeitraum begleitet bzw. betreut. Im Betreuten Wohnen können im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit der Jugendhilfe
auch 16- und 17-Jährige Aufnahme finden.
Ziel der Betreuung ist es, die Hilfe Suchenden zu einer möglichst autonomen Lebensführung
zu befähigen, eine Unabhängigkeit von fremden Hilfen zu erlangen und eine vollständige Integration in die Gesellschaft zu ermöglichen. Dazu ist es notwendig, die Folgen der aktuell
existierenden Behinderung zu mildern oder zu beseitigen, um eine stationäre Behandlung zu
vermeiden.
Zur Erreichung der Ziele wird auf Grundlage der individuellen Fähigkeiten und Ressourcen
gemeinsam mit dem Hilfe Suchenden ein Hilfeplan erstellt, der in regelmäßigen Abständen
überprüft und ggf. nachgebessert wird.
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Stellungnahme zu Leistungen der Eingliederungshilfe für abhängigkeitskranke Menschen
Wenn es um die Bewältigung des Alltags geht, müssen gesundheitliche, finanzielle, berufliche
und soziale Aufgaben in Angriff genommen werden. Dazu gehören die Auseinandersetzung
mit der Krankheit, die Motivation zu einer abstinenten Lebensweise oder die Handlungsfähigkeit bei einem drohenden Rückfall genauso wie die Unterstützung bei der wirtschaftlichen
Haushaltsführung oder Schuldenregulierung. Lebenspraktische Beratungen im Kontakt und
Umgang mit Behörden, beim Ausfüllen von Formularen und Anträgen, bei der Erarbeitung einer Tagesstruktur oder Freizeitgestaltung helfen, den Alltag zu erleichtern und sinnvoll auszufüllen. Zur Erarbeitung einer beruflichen Perspektive kann die Zusammenstellung von Bewerbungsunterlagen unterstützt, Maßnahmen der beruflichen Fort- und Weiterbildung recherchiert, Gespräche bei potentiellen Arbeitgebern vorbereitet und Praktika organisiert werden.
Da aufgrund der Suchterkrankung nicht selten Beziehungen zu Bruch und Freundschaften
auseinander gegangen sind, ist es in dieser Phase wichtig, einer völligen Isolation und Vereinsamung vorzubeugen. Hierzu sollten soziale Kontakte gefördert und neue Beziehungen unterstützt werden. Dabei ist es wichtig, den Umgang mit Konflikten zu üben und Frustration auszuhalten.
Unterstützend sind Gruppengespräche mit anderen Hilfe Suchenden, die sich in der Regel in
einer ähnlichen Situation befinden, um miteinander Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig zu motivieren.
Die Leistungserbringer sind im Rahmen des ambulanten betreuten Wohnens sowohl für die direkten Leistungen am Hilfe Suchenden (klientenbezogene Aufgaben) als auch für koordinierende Leistungen (klientenübergreifende Aufgaben) und für indirekte Leistungen (Arbeitsablauf, Qualität) verantwortlich.
Die Dauer der Hilfe im betreuten Wohnen richtet sich nach den Erfordernissen des Einzelfalls.
Hierzu ist regelmäßig (aber mindestens einmal im Jahr) zwischen Leistungserbringer und
Leistungsträger zu vereinbaren, mit welcher Hilfe dem Bedarf entsprochen werden kann. Die
Vergütung erfolgt in der Regel über Fachleistungsstunden.
Zielunterstützend ist es, wenn die abhängigkeitskranke Person im Rahmen des betreuten
Wohnens begleitende Hilfe erhält und gleichzeitig ein tagesstrukturierendes Angebot wahrnehmen kann. Tagesstrukturierende Möglichkeiten bieten Tagesstätten als teilstationäre Einrichtungen der Eingliederungshilfe, tagesstrukturierende Angebote innerhalb einer stationären Einrichtung (Wohnheim/Übergangswohnheim) der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur
Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten sowie ambulante Maßnahmen der Arbeit
und Beschäftigung der Eingliederungshilfe und der Eingliederungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II).
Arbeitsbezogene tagesstrukturierende Hilfen
Neben den Eingliederungsleistungen nach dem SGB II (für erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige) können als tagesstrukturierende Maßnahme mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit
auch Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII in Anspruch genommen werden.
Nach § 54 Absatz 1 Nr. 4 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe in vergleichbaren
sonstigen Beschäftigungsstätten nach § 56 möglich. Im § 56 SGB XII wird Bezug genommen
auf § 41 des Neunten Buches (SGB IX), wonach Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen geleistet werden kann.
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Leistungen für behinderte Menschen können laut § 41 Absatz 1 Nr. 1 und 2 SGB IX in einer
anerkannten Werkstatt dann erbracht werden, wenn eine Beschäftigung auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt oder Berufsvorbereitung, berufliche Anpassung und Weiterbildung oder berufliche Ausbildung (§ 33 Abs. 3 Nr. 2 bis 4) wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch
nicht oder nicht wieder in Betracht kommen und die in der Lage sind, wenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen. Die Leistungen sind u.
a. gerichtet auf die Erhaltung und Verbesserung der im Berufsbildungsbereich erworbenen
Leistungsfähigkeit und zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit sowie zur Förderung des
Übergangs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Tagesstätten als teilstationäre Einrichtungen nach § 13 Absatz 1 SGB XII
Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII können Menschen mit Suchtproblemen
in Tagesstätten als einer teilstationären Einrichtung nach § 13 Abs. 1 SGB XII erhalten.
Die teilstationäre Betreuung muss mit einer Aufnahme in ein Gebäude oder in irgendeine andere Räumlichkeit verbunden sein. Der Unterschied zur ambulanten Betreuung liegt einmal im
zeitlichen Moment und zum anderen in einer Erweiterung des Verantwortungsbereichs für den
Träger der Einrichtung. Voraussetzung ist, dass eine umfassende Hilfe gewährt wird und diese
sich in der Regel nicht lediglich auf einen unbedeutenden Teil des Tages erstreckt (s. auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.05.1975 VC 9/74 FEVS Bd. 23 S. 403). Anderenfalls
handelt es sich um eine ambulante Betreuung. Für die ebenfalls die Zuständigkeit des Trägers
der Sozialhilfe gegeben ist.
Zielgruppe der Tagesstätte der Eingliederungshilfe sind seelisch wesentlich behinderte Menschen, die mit ihrer Substanzabhängigkeit multiple Problemstrukturen aufweisen. Eine familiäre Anbindung ist meistens noch gegeben. Die Hilfebedürftigen wohnen entweder in einer
Einrichtung des ambulanten betreuten Wohnens, bei der eigenen Familie oder selbständig in
der eigenen Wohnung.
Seelisch wesentlich behinderte Menschen sind nach § 3 der Verordnung zu § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung) Menschen, deren seelische Störungen eine wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zur Folge haben
können. Dies sind
1. körperlich nicht begründbare Psychosen,
2. seelische Störungen als Folge von Krankheiten oder Verletzungen des Gehirns, von
Anfallsleiden oder von anderen Krankheiten oder körperlichen Beeinträchtigungen,
3. Suchtkrankheiten,
4. Neurosen und Persönlichkeitsstörungen.
Hierbei kann es sich um Erwerbsfähige im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II handeln, aber auch um
voll Erwerbsgeminderte im Sinne des § 41 Abs. 1 SGB XII.
Der Bezug von Grundsicherung für Arbeitsuchende schließt den Bezug von Eingliederungshilfe
für Behinderte gem. §§ 53 ff. SGB XII nicht aus. § 21 SGB XII besagt lediglich, dass Erwerbsfähige im Sinne des SGB II keine Hilfe zum Lebensunterhalt gem. §§ 27 ff. SGB XII erhalten
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können. Eingliederungshilfe gem. SGB XII und Leistungen zum Lebensunterhalt gem. SGB II
sind im Einzelfall gleichzeitig von verschiedenen Leistungsträgern zu bewilligen.
Der Besuch einer Tagesstätte im Rahmen der Eingliederungshilfe und die gleichzeitige Gewährung von Grundsicherung für Arbeitsuchende können sich sinnvoll ergänzen. Aufgrund einer
vorangegangenen medizinischen Rehabilitation oder anderer Suchthilfemaßnahmen können z.
B. die physischen Folgen einer langjährigen Abhängigkeitserkrankung wirksam bearbeitet
werden. Das gilt auch für psychische und soziale Schädigungen aufgrund Arbeits- bzw. Langzeitarbeitslosigkeit. Alltagspraktische und soziale Kompetenzen und Fertigkeiten, die für eine
berufliche Eingliederung förderlich sind, sind nicht mehr abrufbar und müssen neu erlernt
werden. Die Fähigkeit, Aufgaben selbständig zu übernehmen oder in der Gemeinschaft zu arbeiten, ist stark beeinträchtigt und bedarf eines breiten Übungsfeldes.
In einer Tagesstätte werden diese Fähigkeiten und Fertigkeiten im Rahmen einer teilstationären Betreuung gefördert. Die dort aufgenommenen Personen werden bei der Gestaltung des
Tages- und Wochenablaufes und bei der Behandlung und Krankheitsbewältigung unterstützt.
Es findet eine realistische Förderung statt, die ihre Grundlagen in der Einschätzung der bestehenden Fertigkeiten und Möglichkeiten hat. Arbeits- und ergotherapeutische Maßnahmen
unterstützen die Motorik, Ausdauer, Koordination, Konzentrationsfähigkeit, Sorgfalt und regen die Phantasie an. Die Erwerbsfähigkeit wird in jedem Fall verbessert und somit eine Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne des SGB IX ermöglicht. Eine gesellschaftliche Eingliederung
wird vorbereitet.
Bei Tagesstätten im Rahmen der teilstationären Eingliederungshilfe für Behinderte handelt es
sich nicht um eine vollstationäre Unterbringung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II. Aus den Gesetzesmaterialen geht hervor, dass unter "stationärer Einrichtung" stets eine Vollzeiteinrichtung verstanden wird, die infolge der zeitlichen Inanspruchnahme jegliche andere berufliche
Tätigkeit des Hilfebedürftigen ausschließt. Genau diese Merkmale liegen jedoch bei einer teilstationären Einrichtung bzw. Tagesstätte, die sich auch auf eine Vormittags- oder Nachmittagsbetreuung beschränken kann, nicht vor. Der Besuch einer Tagesstätte schließt folglich eine Erwerbstätigkeit nicht aus. Eine teilstationäre Einrichtung bzw. Tagesstätte wird von der
Ausschlussregelung des § 7 Abs. 4 SGB II nicht erfasst.
Der Aufenthalt in einer teilstationären Einrichtung ermöglicht es ferner Hilfebedürftigen, in
den Genuss von Eingliederungsleistungen des § 16 Abs. 1 SGB II (SGB III - Leistungen) zu gelangen.
2.2.2 Wohnheime als stationäre Einrichtungen für abhängigkeitskranke Menschen
Wohnheime im Rahmen der Eingliederungshilfe
Nach § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen dann Eingliederungshilfe, wenn sie durch eine
Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind. Nach der Besonderheit des Einzelfalls muss Aussicht bestehen, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 2 Abs. 1
SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Le-
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bensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
beeinträchtigt ist. Von Behinderung bedroht sind sie dann, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 3 SGB XII ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer
sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig
von Pflege zu machen.
Seelisch wesentlich behindert zu sein muss nicht heißen, auch erwerbsunfähig zu sein. So
können in einem Wohnheim der Eingliederungshilfe auch suchtkranke Menschen leben, die
mindestens drei Stunden erwerbsfähig sein können. Die Krankheit Sucht betrifft den ganzen
Menschen, so dass multiple Faktoren eine Rolle spielen und darüber entscheiden, ob und wie
jemand fähig ist, einer Arbeit nachzugehen.
Ein Wohnheim bietet hierzu alle Voraussetzungen, um die Arbeit und das Leben betreffende
Schlüsselqualifikationen (wieder) zu erlernen, für ein selbständiges Lebens ohne fremde Hilfe
einzuüben und zu festigen. Die (Wieder-)Erlangung der Fähigkeit zur Teilnahme an der Gemeinschaft steht im Mittelpunkt dieser Hilfeform.
Zu unterscheiden ist, ob es sich um eine Wohneinrichtung oder um eine vollstationäre Einrichtung handelt.
Übergangswohnheim ohne Heimcharakter
Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 15.09.2006, S 94 AS 7728/06 ER (siehe Anhang) einem Hilfebedürftigen, der in einem Übergangswohnheim lebt, einen Anspruch auf
Hilfe zum Lebensunterhalt im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende zugesprochen,
weil er nach den Feststellungen des Gerichts in seinem Tagesablauf nicht räumlich oder zeitlich derart fremdbestimmt ist, dass er Vermittlungsbemühungen des Antragsgegners (Arbeitsgemeinschaft gem. § 44 b SGB II) nicht zur Verfügung steht bzw. stehen kann. Indizien dafür
waren, dass der Antragsteller seit März 2006 regelmäßig einer Beschäftigung außerhalb des
Übergangswohnheimes nachging und er offenbar auch zur Selbstversorgung in der Lage war.
Insbesondere betreutes Einzelwohnen und betreutes Wohnen in Wohngruppen, ggf. in kompletten Häusern, steht einem Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht entgegen.
Die Betreuungskosten trägt der Träger der Sozialhilfe im Rahmen der Eingliederungshilfe für
Behinderte gem. SGB XII, die Aufwendungen für den Lebensunterhalt und die
Unterkunftskosten die Arbeitsgemeinschaft gem. § 44 b SGB II oder die optierende Kommune.
Übergangswohnheim/Wohnheim mit Heimcharakter
Zielgruppe der Wohnheime der stationären Eingliederungshilfe sind seelisch wesentlich behinderte Menschen, die mit ihrer Substanzabhängigkeit (oder wegen psychischer Erkrankungen) multiple Problemstrukturen aufweisen. Im Gegensatz zum betreuten Wohnen benötigt
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diese Klientel eine umfassende Hilfestellung, die nur in einer vollstationären Einrichtung vorgehalten wird. Auch hier trifft die Definition für seelisch wesentlich behinderte Menschen
nach § 3 der Eingliederungshilfe-Verordnung zu.
Zu diesen vollstationären Einrichtungen zählen drei Heimtypen:
1. Einrichtungen bzw. Wohnheime, in denen Suchtkranke Aufnahme finden, die für eine
Entwöhnungsbehandlung (noch) nicht zu motivieren sind oder für die aufgrund ihres
schlechten gesundheitlichen/seelischen Zustandes oder anderer Umstände (z.B. Schwangerschaft) eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme (zur Zeit) ausscheidet und die ggf.
ein Substitut wie Methadon oder Subutex oder auch Heroin im Rahmen eines besonderes
Programms erhalten.
Aufnahme finden v. a. auch suchtkranke Menschen, die aufgrund des langjährigen Substanzkonsums mehrfach beeinträchtigt sind und zur Bewältigung des Alltags Eingliederungshilfe benötigen. Der Aufenthalt kann zum Teil auf Dauer angelegt sein.
Zum Konzept dieses Einrichtungstyps gehören vor allem sozialtherapeutische Elemente,
die auf alltagspraktische Hilfen ausgerichtet sind und das Leben der Hilfe Suchenden erleichtern und damit lebenswürdiger gestalten.
2. Übergangswohnheime, in denen Hilfebedürftige nach dem klinischen Entzug übergangsweise Aufnahme finden, deren weitere Versorgung wie Entwöhnungsbehandlung oder direkt in das betreute Wohnen oder andere Betreuungsformen noch nicht abschließend geklärt ist bzw. die für einen Platz in einer Entwöhnungseinrichtung bzw. Fachklinik vorgemerkt sind.
Übergangswohnheime der Eingliederungshilfe unterstützen die aktuelle Motivationslage
suchtkranker Menschen, weiterführende Behandlungs- und Betreuungselemente anschließend in Anspruch zu nehmen. Rückfälle können dadurch vermieden werden.
Zum Konzept dieses Einrichtungstyps zählen in der Regel bereits therapeutische Elemente.
3. Wohnheime im Sinne einer stationären Nachsorgeeinrichtung für Suchtkranke, die nach
der Entwöhnungsbehandlung für das betreute Wohnen noch nicht ausreichend gefestigt
sind und bei denen die akute Möglichkeit des Rückfalls besteht.
Das Konzept hierzu ist auf die Unterstützung einer selbständigen Lebensführung ausgerichtet, um baldmöglichst in die Gesellschaft eingegliedert werden zu können.
Nach § 7 Abs. 4 SGB II sind Personen, die sich in vollstationären Einrichtungen aufhalten, von
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich ausgenommen. Das gilt nach
Satz 3 der genannten Vorschrift jedoch nicht, wenn sich der Hilfebedürftige für weniger als
sechs Monate in einem Krankenhaus im Sinne des § 107 SGB V aufhält oder in einer stationären Einrichtung untergebracht ist und unter den allgemeinen Bedingungen des Arbeitsmarktes 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist, d. h. nicht sein könnte, sondern tatsächlich in
Arbeit steht.
Nach den Gesetzesmaterialien des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, das am 01.08.2006 in Kraft getreten ist, sind Einrichtungen der medizinischen
Rehabilitation Krankenhäusern gleichgestellt. Hierzu zählen eindeutig Fachkliniken, die der
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Entwöhnungsbehandlung dienen. Auch die oben genannten Übergangswohnheime, die einer
Entwöhnungsbehandlung vorgeschaltet sind (2. Spiegelstrich), dürften hierunter zu subsumieren sein.
Anspruch auf (ergänzende) Hilfe zum Lebensunterhalt der Grundsicherung für Arbeitsuchende
gem. §§ 19 SGB II und Eingliederungsmaßnahmen gem. § 16 Abs. 1 SGB II in vollstationären
Nachsorgeeinrichtungen der Eingliederungshilfe für Behinderte (3. Spiegelstrich) haben nur
Hilfebedürftige, die sich tatsächlich bereits in Arbeit befinden. Die Dauer des Aufenthalts in
diesem Einrichtungstyp ist im Gegensatz zu Krankenhäusern und Einrichtungen der Entwöhnungsbehandlung für den Bezug von SGB II-Leistungen unerheblich.
2.3 Andere Leistungen der Eingliederungshilfe
2.3.1 Leistungen zur Pflege
Die Sonderregelung für behinderte Menschen in Einrichtungen tritt nach § 55 SGB XII dann
ein, wenn Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in einer vollstationären Einrichtung (z.B. ein Wohnheim) der Hilfe für behinderte Menschen im Sinne des § 43a
des Elften Buches (SGB XI) erbracht werden. Diese Leistungen umfassen gleichzeitig auch die
Pflegeleistungen in dieser Einrichtung. Kann die Pflege in dieser Einrichtung nicht sichergestellt werden, vereinbaren Sozialhilfeträger, zuständige Pflegekasse und Einrichtungsträger
unter Berücksichtigung des Wunsches der behinderten Personen die Verlegung in eine andere
Einrichtung.
Abhängigkeitserkrankungen können zahlreiche Folgeerkrankungen nach sich ziehen, die u.a.
auch pflegerische Leistungen erfordern. Abhängigkeitskranke Menschen, die sich in einem
Wohnheim der Eingliederungshilfe befinden, können demnach auch Pflegeleistungen erhalten.
2.3.2 Trägerübergreifendes Persönliches Budget
Nach § 57 SGB XII können Leistungsberechtigte der Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII auf
Antrag diese Leistungen auch als Teil eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets erhalten. § 17 Abs. 2bis 4 Neuntes Buch (SGB IX) in Verbindung mit der Budgetverordnung und §
159 SGB IX sind insoweit anzuwenden.
Seit dem 01. Januar 2008 hat jeder behinderte Mensch einen Rechtsanspruch auf ein Persönliches Budget. Dieser Anspruch bedeutet, dass jeder selbst darüber entscheiden kann, welche
Leistungen wann, wie und von wem ausgeführt werden. Das Persönliche Budget ist keine
Muss-Leistung. Nach wie vor besteht die Möglichkeit für jeden behinderten Menschen, die
bisherige Leistungsform auch weiterhin in Anspruch zu nehmen.
Der behinderte Mensch wird bei dieser Leistungsform zum handelnden Subjekt, denn er bestimmt selbst, welche Hilfen er in Anspruch nehmen möchte. Um diese Hilfen eigenverantwortlich gestalten und beschaffen zu können, wird den Budgetberechtigten der notwendige
Geldbetrag zur Verfügung gestellt. Die Ansprüche auf Teilhabe werden statt der früher erbrachten Sachleistungen in Form von Geld gewährleistet.
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Stellungnahme zu Leistungen der Eingliederungshilfe für abhängigkeitskranke Menschen
Das Persönliche Budget ist aber nur im ambulanten Bereich praktikabel. Im stationären Bereich stehen dem Persönlichen Budget die Vorgaben des Pflegesatzrechts entgegen.
Das Persönliche Budget wird auch deswegen nur in geringem Umfang in Anspruch genommen,
weil der Klient die Arbeitgeberfunktion und alle damit im Zusammenhang stehenden Risiken
zu erfüllen hat.
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3. Überlegungen zur Zukunft von Eingliederungshilfeleistungen für
die Suchthilfe
Die Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII und § 35 a SGB VIII hat eine ersetzende und eine ergänzende Funktion. Eine ersetzende Funktion besteht dort, wo keine den konkreten Bedarf abdeckende Leistungsansprüche gegen vorrangige Träger der gesetzlichen Sozialversicherung vorliegen.
Ihr kommt ferner eine ergänzende Aufgabe zu, wenn die erforderlichen Hilfen nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung und gesetzlichen Rentenversicherung zählen. Das gilt besonders für die „Soziale Rehabilitation“. Bei dieser Hilfeform wird die Funktion der
Sozialhilfe als unterstes Netz im System der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland
deutlich. Sie greift dann, wenn ein konkreter Bedarf besteht, der Klient nicht über eigenes Einkommen und Vermögen verfügt und vorrangige Sozialleistungsträger nicht einsatzpflichtig sind.
Durch die Lebenssituation vieler abhängigkeitskranker Menschen und die aktuellen Entwicklungen
in der gesetzlichen Sozialversicherung kann die Eingliederungshilfe möglicherweise größere Bedeutung in der Finanzierung von Suchthilfeangeboten bekommen.
Die Deutsche Suchthilfestatistik (2009) erfasst 779 ambulante Beratungsstellen mit 316.075 Klientinnen und Klienten. Da über 1.100 ambulante Suchthilfeeinrichtungen bekannt sind, muss die Gesamtzahl der Suchthilfeklientel daher um etwa 1/3 höher angesetzt werden. Aus den statistischen
Aussagen lassen sich Trends ableiten:
· 39,5 % der Betreuten mit der Hauptdiagnose „Alkoholabhängigkeit“ waren in den sechs Monaten vor Betreuungsbeginn arbeitslos. Bei „Opioidabhängigkeit“ waren es 60,2 %.
· 46 % der Betreuten aus allen Diagnosegruppen verfügen „nur“ über einen Hauptschulabschluss.
· Etwa 20 % der Abhängigen von illegalen Drogen haben gerichtliche Auflagen.
· Nur etwa 75 % wohnen „selbständig“.
· Etwa 11.000 Betreute sind über 60 Jahre alt, von den Opioidabhängigen ca. 3.000 über 50 Jahre.
Soziale Ausgrenzung, multiple Störungen und das zunehmende Alter der Betroffenen, die aus diesen Zahlen zu erkennen sind, lassen erwarten, dass es in Zukunft Veränderungen im Hilfesystem
geben muss.
Die Begrenzung des Budgets in der Medizinischen Rehabilitation lässt einige Regionalträger die
Kriterien an die „Reha-Fähigkeit“ schärfer auslegen. Dazu gehören der Ausbildungsstand, die Berufstätigkeit in der Zeit vor der Therapie und Hafterfahrungen. Das ist auf dem Hintergrund verständlich, dass die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit nur gelingen kann, wenn Basisqualifikationen vorhanden sind und die Möglichkeit einer anschließenden Erwerbstätigkeit besteht.
Es wird dann einen Zuwachs an Leistungen im (ambulanten) Betreutes Wohnen geben müssen und
erhebliche Anstrengungen im Bereich „Arbeit und Beschäftigung“, wobei Leistungen nach SGB II
und III der Suchthilfeklientel eher zurückhaltend gewährt werden dürften und eine kurzfristige
Eingliederung auf dem ersten Arbeitsmarkt nur selten möglich ist.
Vor allem Opioidabhängige kommen in ein Alter, in dem die Teilhabe wahrscheinlich nur mit Hilfe
von Pflegeleistungen sicher gestellt werden kann.
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Noch immer ungeklärt ist die Finanzierung der „Psychosozialen Begleitung Substituierter“. Etwa 40
% der in der Deutschen Suchthilfestatistik erfassten Opiatabhängigen (über 9.000 Personen) erhalten durch ambulante Einrichtungen eine „Psychosoziale Begleitbetreuung bei Substitution“, die
zur Zeit überwiegend über Pauschalen finanziert wird.
Suchtkranke Menschen werden sozialrechtlich den seelisch Behinderten zugeordnet und können
demnach auch das Persönliche Budget nach § 17 SGB IX in Anspruch nehmen. Leistungen für
Suchtkranke können ambulant, teilstationär und stationär durch unterschiedliche Leistungsträger
erbracht werden. Hilfen werden von verschiedenen Trägern erbracht, was ein trägerübergreifendes
Persönliches Budget notwendig macht. Budgetfähig sind alle alltäglichen, regelmäßig wiederkehrenden Bedarfe, die bisher mit Hilfe von individuell zuordenbaren, zeitbezogenen (Stunde, Tag,
Woche, Monat) verpreisten Sachleistungen gedeckt wurden, so dass diese Bedarfe auch als (pauschalierter) individueller Geldbetrag benennbar sind. Dies gilt für alle laufenden ambulanten, teilstationären und stationären Eingliederungshilfen, die nach § 75 SGB XII vereinbart sind und einer
Person bewilligt werden. Seit 2003 wird in verschiedenen Modellregionen in Deutschland die Umsetzung des Persönlichen Budgets erprobt. Bisher haben nur wenige abhängigkeitskranke Menschen das Persönliche Budgets genutzt. Erfahrungen aus dem Bereich der Suchthilfe liegen also
kaum vor - das sollte aber niemanden hindern, auch diesen Weg der Eingliederungshilfe zu gehen.
Die Verfahren zur Hilfegewährung sind in den letzten Jahren nicht einfacher geworden und variieren zwischen den kommunalen Gebietskörperschaften erheblich, so dass die gesetzlichen Vorgaben
durch regionale Vereinbarungen eingeschränkt werden können. Steuerung erfolgt dann (auch)
über Hilfeplangestaltung. Auch wenn die Eingliederungshilfe ihre Aufgaben auch in Zukunft wahrnehmen wird und zwar entweder im Rahmen des SGB XII und des SGB VIII oder – worauf die Kommunen drängen – im Rahmen eines ausschließlich vom Bund finanzierten Leistungsgesetzes, gibt
es keinen Hinweis darauf, dass die für Suchtkranke notwendigen Leistungen einfach durchsetzbar
sein werden.
Zum Beispiel erwartet die Europäische Union zunehmend eine Priorisierung des freien Marktes.
Grundlage sind dafür die ökonomischen Prinzipien des Kontraktmanagements und des PreisLeistungs-Verhältnisses. Damit geht die Entwicklung weg vom von der Freien Wohlfahrtspflege
postulierten „wertgebundenen Engagement“ hin zur Kosten-Nutzen-Rechnung, die Güterabwägungen unausweichlich werden lässt. Die finanziellen Probleme der Kommunen führen zu unterschiedlichen Auswirkungen: Befürchtet wird z.B. eine verstärkte Konkurrenz im Niedrigpreisniveau
oder eine „Arbeitsverdichtung“ aufgrund reduzierter Gesamtvergütung, so dass der „Spagat zwischen hohem Leistungsniveau und Einsparmaßnahmen auch im Suchtbereich zu einem neuen
fragwürdigen Standard zu werden droht“. Bisher als selbstverständlich geltende Leistungen und
Dienste der Eingliederungshilfe unterliegen verstärkt der Prüfung auf Bedarfs- und Zielgerechtigkeit sowie auf Effizienz und Effektivität. Das kann zu fachlich und zeitlich engen Steuerungskriterien führen, die nachhaltige Eingliederhilfe erschweren. (DPWV 2011)
Suchthilfe braucht rechtliche Beratung im Interesse ihrer Klienten/-innen und zur Absicherung ihrer Angebote. Wenn die Abwehr berechtigter Leistungsansprüche neue Strategie der Sozialleistungsträger ist, dann muss die Klientel der Suchthilfe ermutigt und unterstützt werden, sich ihr
Recht zu erstreiten. Jedes Handeln des Leistungsträgers ist ein Verwaltungsakt, der rechtlich überprüfbar ist und immer öfter auch werden muss.
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Stellungnahme zu Leistungen der Eingliederungshilfe für abhängigkeitskranke Menschen
Zwischen Leistungsträgern und Leistungsanbietern kann es gut laufen, wenn zur Fachkompetenz
eine kontinuierliche Beziehung zwischen Führungskräften auf der Einrichtungsebene und dem/der
Verantwortlichen des zuständigen Sozialamtes hinzukommt, wenn zwischen beiden Seiten verlässliche Absprachen getroffen werden und die Qualität der Arbeit in der Einrichtung stimmt. Solch eine Beziehung muss seitens der Einrichtung aufgebaut und gepflegt werden. Das setzt voraus, dass
das Personal in der Einrichtung stabil ist und auch im Sozialamt personelle Kontinuität herrscht.
Nicht alle diese Faktoren können wir beeinflussen. Aber ignoriert werden dürfen sie auch nicht.
4. Quellenverzeichnis
Der PARITÄTISCHE Gesamtverband, -Hrsg,-, (2011), Kommunalisierungsprozesse und Suchthilfe.
Eckpunktepapier des Arbeitskreises Suchtfragen (AKS), Berlin (MS)
Deutsche Suchthilfestatistik 2009, Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4), www.suchthilfestatistik.de, Zugriff am 16.3.2011
Frankenstein, M., Knobloch, M., Viernickel, S. (2006), Handreichung zur Implementierung
personenzentrierter Hilfen und Persönlicher Budgets in der Suchthilfe, Leitfaden für die Praxis, Fachverband Drogen und Rauschmittel e.V., Hannover
Knobloch, M., Lenski, R. (2006), Handreichung zur Klärung von Schnittstellen in der Anwendung der Sozialgesetzbücher II und XII in Einrichtungen der Eingliederungshilfe bei Menschen
mit Abhängigkeitserkrankungen, Leitfaden für die Praxis, Fachverband Drogen und Rauschmittel e.V., Hannover
Marburger, H. (2004), SGB II, Umsetzung von Hartz IV, Grundsicherung für Arbeitsuchende;
Kommentierte Textausgabe des Zweiten Sozialgesetzbuches, Walhalla Fachverlag, Regensburg,
BerlinHandreichung
Marburger, H. (2004), SGB XII, Die neue Sozialhilfe; Textausgabe des Zwölften Sozialgesetzbuches mit ausführlicher Kommentierung der neuen Gesetzgebung, Walhalla Fachverlag, Regensburg, Berlin
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