RFLRundschau für Fleischhygiene und Lebensmittelüberwachung

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RFLRundschau für Fleischhygiene und Lebensmittelüberwachung
RFL
Rundschau für Fleischhygiene
und Lebensmittelüberwachung
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Salmonellenbekämpfung bei
Legehennen
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Oberflächenkeimgehalte Schlachttierkörper
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Gene
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Fledermaustollwut
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Protozoen und
Lebensmittel
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Cysticercose
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Noroviren in
Lebensmitteln
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Identifizierung
Allergene in Fisch
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Rund ums Osterei
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Die Anatomie
des Ostereies
April 2014
66. Jahrgang
4
APRIL 2014
Inhaltsverzeichnis
Editorial
Foto: V. Brinkmann/wikipedia.de
Liebe Leserin, lieber Leser,
112
zahlreiche Veränderungen werden die Überwachungstätigkeiten in nächster
Zeit bestimmen. Die Prävention von Tierseuchen, insbesondere das aktuelle
Auftreten der afrikanischen Schweinepest in Litauen und Polen, erfordert
verstärkte Anstrengungen. Aber auch der Verzicht auf das betäubungslose
Kastrieren und das Schwanzkupieren bei
Schweinen sowie die Vermeidung des
Schlachtens gravider Tiere, besonders Rinder, verlangen bei der Umsetzung unsere
Mitwirkung. Eine unmittelbare Herausforderung ist die amtliche Fleischuntersuchung
bei Schweinen, die ab 1. Juni 2014 nur noch
visuell als Regeluntersuchung erfolgen soll.
Dabei gewinnt die Lebensmittelketteninformation besondere Bedeutung. Die
Europäische Union beabsichtigt die bestehende Kontrollverordnung auszuweiten.
Kritisch zu sehen ist die Forderung nach
Erhebung kostendeckender Gebühren, weil
dadurch die Kosten der staatlichen Daseinsfürsorge auf den Produzenten und letztlich
auf die Konsumenten verlagert werden. Nur
Kleinbetriebe mit weniger als zehn Mitarbeitern oder zwei Millionen Euro Umsatz
sind davon ausgenommen. Das Vorhaben der
Europäischen Union zur Übertragung tierärztlicher Aufgaben an Fisch- und Bienensachverständige, wenn der betreffende Mitgliedstaat es will, ist aus fachlicher und rechtlicher Hinsicht
nicht zielführend.
PRODUKTION
112 Salmonellenbekämpfung in der Legehennenhaltung – Aktuelle Impfstrategien
in Sachsen im Vergleich
Nicht-wirtsspezifische Salmonellen, im Besonderen
die Serovare Salmonella enterica ssp. enterica
Serovar Enteritidis (SE) und Salmonella enterica
ssp. enterica Serovar Typhimurium (STM), sind bis
heute als Zoonoseerreger von großer Relevanz. Bis
Mitte der 90er Jahre stieg die Zahl humaner Salmonellosen weltweit an. Aufgrund verschiedener Bekämpfungsmaßnahmen auf Ebene der Primärproduktion von Lebensmitteln tierischen Ursprungs
wie der Verbesserung des Hygienemanagements
und der Durchführung von Impfungen nahm die
Fallzahl im Geflügelbereich seitdem stetig ab. SE
und STM zeichnen sich unverändert hauptsächlich
für die humanen Erkrankungsfälle verantwortlich.
Folgendes können Sie im vorliegenden Heft unter anderem lesen. Die gentechnische Veränderung von Nutzpflanzen stößt bei Verbraucherinnen und
Verbrauchern noch immer auf Ablehnung, obwohl eine wissenschaftliche
Begründung dafür aussteht. Der Beitrag ist ein Plädoyer für die Anwendung
der Grünen Gentechnik und zeigt Bedingungen für einen sinnvollen Einsatz
auf. In den letzten Jahren nahm der Verzehr von nicht heimischen Fischen
und Krustentieren zu. Damit ist auch das Risiko der Entstehung von Allergien beim Menschen verbunden. Über die Diagnostik dieser neuen Allergene wird berichtet. Wir informieren Sie über eine zukunftsweisende
Stellungnahme der Bundestierärztekammer zum Klonen von Nutztieren und
das Inverkehrbringen von Lebensmitteln dieser Tiere. Mit dem „Osterei“
befasst sich unser A-Team aus anatomischer Sicht. An Hand interessanter
Abbildungen wird das Innenleben von Eiern vorgestellt.
Ich wünsche Ihnen frohe Ostern und unterhaltsame Stunden sowie neue Erkenntnisse aus vorliegendem Heft.
QUERGESCHAUT
Ihr
133 Identifizierung von neuen Allergenen
in Fischen und Krustentieren
136 Rund ums Osterei
137 Die Anatomie des Ostereies
140 Stellungnahme der Bundestierärztekammer zum Entwurf der Richtlinien
der EU-Kommission über das Klonen
von Rindern, Schweinen, Schafen . . .
Foto: Mülling et al.
Georg Schiefer
Schriftleiter
Die Anatomie des Ostereies –
Medianschnitt durch ein Huhn
110
Rundschau für Fleischhygiene und Lebensmittelüberwachung 4/2014
RUBRIKEN
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142
143
143
Impressum
Buchtipps
Nachrichten aus der Industrie
Veranstaltungen
Foto: J. Dykinga/wikipedia.de
Foto: A. Daugschies
81
124
TECHNOLOGIE
ÜBERWACHUNG
114 Prozessanalyse der Rinderschlachtung:
Einfluss der Prozessstufen auf den Oberflächenkeimgehalt von Schlachttierkörpern
120 Fledermaustollwut – Aktuelle
Fallberichte aus Sachsen
117 Gene – Meisterwerke der Natur – Wir
haben ein Problem: Grüne Gentechnik
Zur Zeit wird eine kontroverse Diskussion über
Risiken der Grünen Gentechnik geführt. Chancen
werden in ihr kaum gesehen. Während im Bereich
der Roten Gentechnik (Medizin) zumindest dort
Akzeptanz gegeben ist, wo in der Behandlung von
Krankheiten Vorteile gegenüber bisherigen Therapien erkennbar sind, stößt die gentechnische Veränderung von Nutzpflanzen in weiten Teilen Europas darunter auch in Deutschland auf Ablehnung.
124 Protozoen und Lebensmittel –
welche Gefahren gibt es?
128 Cysticercose – amtliche Fleischuntersuchung quo vadis?
131 Laborinterne Untersuchung zu
Noroviren in Lebensmitteln –
Falsch negative Analyseergebnisse
bei Früchten möglich
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Rundschau für Fleischhygiene und Lebensmittelüberwachung 4/2014
111
ÜBERWACHUNG
Tollwut
Foto: filorosso.eu – Manfred Gerber/pixelio.de
Fledermaustollwut
Aktuelle Fallberichte aus Sachsen
Hintergrundinformationen, Hinweise zum Einsendungsprozedere und Schutzmaßnahmen
Hermann Nieper
>>> Die Fledermaustollwut ist in
Deutschland im Gegensatz zur terrestrischen Tollwut nach wie vor präsent.
Jüngste Nachweise in Sachsen lassen
erkennen, dass im Umgang mit kranken
bzw. tot aufgefundenen Fledermäusen
Aufklärungsbedarf besteht. Die Datenlage zum Vorkommen und der Verbreitung
der Tollwut bei dieser streng geschützten
Tierart ist noch lückenhaft, so dass weitere Untersuchungen notwendig sind.
Fall 1: Im Herbst 2012 wurde im Stadtgebiet
Leipzig eine juvenile, weibliche Breitflügelfledermaus aufgefunden und zur Pflege in
einer Auffangstation aufgenommen. Nach
anfänglicher Besserung erfolgte eine zusehende Verschlechterung des Allgemeinbefindens (verminderte Nahrungsaufnahme,
zunehmende Flugunfähigkeit). Als Ursache
wurde eine Verletzung im Bereich der
Wirbelsäule infolge eines Absturzes bei
Flugübungen vermutet. Aufgrund der zunehmenden Verschlechterung des Allgemeinzustandes wurde das Tier euthanasiert
und durch das zuständige Veterinäramt eine
Untersuchung zur differentialdiagnostischen Abklärung einer Tollwutinfektion angeordnet. Während des Aufenthaltes in der
Auffangstation wurde eine nicht gegen Tollwut geimpfte, schwangere Pflegerin von
dem Tier gebissen. Fall 2: Im Sommer 2013
wurde von einer Privatperson eine flugunfähige Breitflügelfledermaus im Garten aufgefunden, die wenig später verendete. Diese
wurde – ohne Rücksprache mit dem Veterinäramt – zur weiteren Abklärung der Todesursache per Post an die LUA übersandt.
120
Der versandte Brief war äußerlich unversehrt, allerdings wies der Tierkörper starke
Beschädigungen auf (Poststempel!), die
eine reguläre Untersuchung erschwerten.
In beiden Fällen konnte an der Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheitsund Veterinärwesen Sachsen (LUA) im
Gehirnmaterial mittels Immunfluoreszenztest und molekularbiologischer Untersuchungen Tollwutvirus nachgewiesen und als
Europäisches Bat Lyssavirus 1 (EBLV-1)
charakterisiert werden. Im zweiten Fall
gelang zudem die Anzucht des Virus in der
Zellkultur (Abb. 1). In beiden Fällen wurde
Material an das Nationale Referenzlabor
am Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) übersandt und die Untersuchungsergebnisse der
LUA bestätigt. Durch die zuständigen
Veterinärämter wurden entsprechende
Schutzmaßnahmen bei den betroffenen
Personen eingeleitet.
Abb. 1: Nachweis von EBLV-1 aus Gehirnmaterial (Fall 2) nach Anzucht
in Mausneuroblastomzellen (Na
42/13; 4 Tage) mittels Immunfluoreszenztest.
Foto: Verfasser
Rundschau für Fleischhygiene und Lebensmittelüberwachung 4/2014
Im Nachfolgenden sollen Hintergrundinformationen zur Tollwut und Fledermaustollwut, zum zoonotischen Aspekt sowie
Hinweise zum Einsendungs- und Untersuchungsprozedere und den Schutzmaßnahmen im Umgang mit krank oder tot aufgefundenen Tieren gegeben werden.
Was bedeutet „Tollwut-frei“
Deutschland ist nach den Kriterien der OIE
seit dem 28. 9. 2008 „frei von terrestrischer
Tollwut“ (Fledermaustollwut findet keine
Berücksichtigung). In Sachsen wurde zuletzt 2001 bei vier Füchsen das klassische
Tollwutvirus (RABV) nachgewiesen. Der
letzte RABV-Nachweis bei einem Wildtier
in Deutschland erfolgte 2006 bei drei Füchsen in Rheinland-Pfalz. Der letzte Nachweis
eines durch Wildtierkontakt infizierten
Haustieres erfolgte bereits 2002 bei einer
Katze in Hessen (Details s. Tab. 1). Die
Nachweise beim Menschen (zuletzt 2007)
beruhen auf Infektionen, die außerhalb
Deutschlands stattgefunden haben. Die
Eliminierung dieser bedeutenden Zoonose
aus der Haus- und Wildtierpopulation
gelang durch die konsequente orale Immunisierung und Überwachung der Fuchspopulation sowie der freiwilligen Impfung
der Haustiere (Hund, Katze). Derzeit werden in Deutschland in der Wildpopulation
keine Impfmaßnahmen durchgeführt. Mit
der Neufassung der Tollwutverordnung
vom 8. 10. 2010 wurde der neuen Situation
Rechnung getragen und u. a. das Monitoring bei Wildtieren umgestellt. Untersucht
werden verendet aufgefundene sowie kranke, verhaltensgestörte oder anderweitig auf-
Tab. 1: Tollwutnachweise bei Haus-, Wildtieren, Fledermäusen und Mensch
in Deutschland im Zeitraum 1990–
2013 (Q.: Rabies Bulletin Europe,
FLI).
Jahr
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
Summe
H
W
F
1092 4474 17
626 2968
3
275 1147
5
142
697
6
234 1142
2
155
701
1
31
111 10
8
75
3
8
96
4
12
44 15
16
166 10
3
38
9
2
33
8
0
24 13
1
33 14
1
41 17
0
3
9
0
0
6
1
0 10
0
0
5
1
0
5
0
0 11
0
0 14
1
0
8
2609 11793 205
M
S
1
0
0
0
0
0
1
0
0
0
0
0
0
0
1
4
0
1
0
0
0
0
0
0
8
5584
3597
1427
845
1378
857
153
86
108
71
192
50
43
37
49
63
12
7
11
5
6
11
14
9
14615
H: Haustier; W: Wildtier; F: Fledermaus;
M: Mensch; S: Summe
fällige erlegte, wild lebende Füchse, Waschbären und Marderhunde. Die festgelegten
Maßnahmen zielen auf ein möglichst
schnelles Erkennen einer Wiedereinschleppung in die Wildpopulation ab. Daneben
besteht eine besondere Gefährdung von
Mensch und Tier durch den Reiseverkehr in
Tollwutendemiegebiete sowie durch z. T.
illegale Einfuhr nicht bzw. nicht ausreichend
geschützter Haustiere aus diesen Gebieten.
Dies betrifft alle seit 2004 aufgetretenen
Fälle beim Haustier (Einfuhren aus Marokko, Balkanländer, Aserbaidschan). Der bislang letzte derartige Fall trat 2013 in Bayern
bei einem aus Marokko importierten Hund
auf. Aus diesem Grund – und weil die Tollwutverordnung klare Festlegungen bezüglich des Vorgehens mit tollwutverdächtigen
Tieren und den Kontakttieren beinhaltet –
bleibt die freiwillige Impfung von Haustieren (Hund und Katze) auch weiterhin
geboten.
Fledermaustollwut –
Vorkommen und Verbreitung
Im Gegensatz zu Amerika, wo u. a. hämotophage (Südamerika) oder insektenfressende (Nordamerika) Fledermäuse die klassische Tollwut übertragen und ein Reservoir
für RABV sind, ist der epidemiologische
Infektionszyklus bei der Fledermaustollwut
in Deutschland (und Europa) eigenständig
und die beteiligten Virusspezies von der
klassischen Tollwut abzugrenzen (Tab. 2).
Im Zusammenhang mit Tollwut bei Fledermäusen wurden in Deutschland bislang drei
verschiedene Lyssaviren (Familie Rhabdoviridae) nachgewiesen: das Europäische
Fledermaus Tollwutvirus Typ 1 und Typ 2
(EBLV-1 und -2) sowie das 2009 erstmals in
Niedersachsen nachgewiesene Bokeloh Bat
Lyssavirus (BBLV). Zwei weitere in Europa
vorkommende Tollwutviren bei Fledermäusen, das West Caucasian Bat Lyssavirus
(WCBV) sowie das Lleida bat lyssavirus
(LLBV), wurden bislang nur im europäischen Teil des Westkaukasus bzw. in
Spanien nachgewiesen.
Tollwutviren werden in drei Phylogruppen (1–3) und – soweit schon zugeordnet – in insgesamt 7 Genotypen unterteilt
(s. Tab. 2). Während es zwischen den Phylo-
gruppen keine Kreuzneutralisation gibt, ist
diese innerhalb der jeweiligen Phylogruppe
nachweisbar. RABV sowie EBLV-1 und -2
gehören der Phylogruppe 1 an. WCBV gehört der Phylogruppe 3 an, während für
BBLV und LLBV noch keine Zuordnung
erfolgt ist. Die Unterscheidung nach Genotypen ermöglicht – soweit eine Zuordnung
erfolgte – eine schnelle Differenzierung mit
molekularbiologischen Methoden. RABV
gehört zum Genotyp 1, EBLV-1 wird dem
Genotyp 5 und EBLV-2 dem Genotyp 6
zugeordnet. Für BBLV, WCBV und LLBV
gibt es bislang keine Zuordnung.
Reservoir für Fledermaustollwutviren
in Europa sind insektenfressende Fledermäuse. Zwischen 1977 und 2013 wurden
insgesamt 1056 Fälle von Fledermaustollwut in Europa nachgewiesen (Abb. 2). Die
häufigsten Nachweise erfolgten in den
Niederlanden (346), gefolgt von Deutsch-
Tab. 2: Klassifikation der Tollwutviren (modifiziert nach Rabies Bulletin Europe – Classification).
Virusspezies
Abkürzung
(Genotyp)
Phylogruppe
Wirtsspektrum
Verbreitung
Rabies-Virus
(Klassische
Tollwut)
RABV (1)
1
Lagos-BatVirus
LBV (2)
2
Europa, Asien,
Amerika (einige
Inseln ausgenommen)
Afrika
MokolaVirus
DuvenhageVirus
Shimoni-BatVirus
MOKV (3)
2
Wild- und Haustiere, hämatophage und insektenfressende Fledermäuse
(Nord-, Südamerika)
Fruchtfressende
Fledermäuse (Megachiroptera)
?
DUVV (4)
1
SHIBV (?)
2
Ikoma-Virus*
IKOV
?
European-BatLyssavirus 1
EBLV-1 (5)
1
European-BatLyssavirus 2
Bokeloh-BatLyssavirus*
EBLV-2 (6)
1
BBLV (?)
?
West-CaucasianBat-Virus
WCBV (?)
3
Lleida-Bat-Lyssavirus#
LLBV (?)
?
Australian-BatLyssavirus
ABLV (7)
1
Aravan-Virus
ARAV (?)
1
Khujand-Virus
KHUV (?)
1
Irkut-Virus
IRKV (?)
1
Insektenfressende
Fledermäuse
Insektenfressende
Fledermäuse (Hipposideros commersoni)
Aus der Afrikanischen
Zibetkatze isoliert
Infektenfressende Fledermäuse (Eptesicus
serotinus, E. isabellinus)
Insektenfressende Fledermäuse (Myotis ssp.)
Insektenfressende Fledermäuse (Myotis nattereri)
Insektenfressende Fledermäuse (Miniopterus
schreibersi)
Insektenfressende Fledermäuse (Miniopterus
schreibersi)
Flughunde und insektenfressende Fledermäuse
(Mega-/Microchiroptera)
Insektenfressende Fledermäuse (Myotis blythi)
Insektenfressende Fledermäuse (Myotis mystacinus)
Insektenfressende Fledermäuse (Murina leucogaster)
Afrika (SubSahara)
Südliches
Afrika
Afrika
Afrika
Europa
Europa
Europa
(Deutschland,
Frankreich)
Europa
(Kaukasus)
Europa
(Spanien)
Australien
Zentralasien
Zentralasien
Östl. Sibirien
? = noch nicht klassifiziert; * = als neue Virusspezies vorgeschlagen; # = neue Spezies vermutet; farbig = in Deutschland
vorkommende Virusspezies (rot = klassische Tollwut; grün = Fledermaustollwut)
Rundschau für Fleischhygiene und Lebensmittelüberwachung 4/2014
121
Abb. 2: Übersicht über die Nachweise von Fledermaustollwut in Europa (1977–2013).
Grafik: Rabies Bulletin Europe, FLI
land (251), Dänemark (226), Polen (90),
Frankreich (71) und bestimmten Regionen
in Spanien (27). In zahlreichen europäischen Regionen gibt es keine Nachweise.
Eine einheitliche Bewertung der Daten
wird durch die unterschiedlichen, z. T. fehlenden Überwachungsmaßnahmen erschwert.
EBLV-1, der mit 95 % in Deutschland
am häufigsten (erstmalig 1954 in Hamburg)
nachgewiesene Virustyp, kommt im gesamten europäischen Raum vor (Nachweise
in DK, NL, DE, PL, FR, ES, CH, GB, CZ,
SK, HU). Hierbei gibt es zwei Untergruppen. EBLV-1a kommt in vielen Ländern
West- und Zentraleuropas vor, EBLV-1b
hingegen ist auf der Iberischen Halbinsel
und in Frankreich nachgewiesen worden.
Hauptreservoir in Deutschland ist die Breitflügelfledermaus (Eptesicus serotinus), die
besonders im norddeutschen Flachland vorkommt und häufig in Gebäuden anzutreffen
ist. Weitere Nachweise erfolgten bislang
beim Großen Abendsegler (Nyctalus noctula), der Zwergfledermaus (Pipistrellus
pipistrellus) und dem braunen Langohr
(Plecotus auritus).
niopterus schreibersi), die in Deutschland
aber nicht verbreitet ist. Insgesamt sind in
Europa die Nachweise von Tollwut auf
wenige Fledermausarten beschränkt und die
Nachweise bewegen sich auf niedrigem Niveau. Im Vergleich dazu ist in Nordamerika
die Anzahl der Nachweise deutlich höher
(2009: 1625 Nachweise allein in den USA)
und betreffen nahezu alle 40 vorkommenden Fledermausarten. Eine Erklärung für
diese Unterschiede gibt es bislang nicht.
Die jährlichen Nachweise in Deutschland bewegen sich gemäß den Angaben im
TSN zwischen 1 und 17 Fällen (Tab. 1). Bei
den Nachweisen ist ein deutliches NordSüd-Gefälle zu verzeichnen (Abb. 3).
EBLV-2, erstmals 2007 in Deutschland in
Baden-Württemberg nachgewiesen, ist insbesondere bei Wasserfledermäusen (Myotis
daubentonii), aber auch bei der Teichfledermaus (Myotis dasycneme) nachgewiesen
worden. Weitere Nachweise in Europa erfolgten bislang in NL, UK, CH und FI.
BBLV wurde bisher bei einer Fransenfledermaus (Myotis nattereri) in Niedersachsen (2009) nachgewiesen. Weitere Nachweise dieses Typs gab es 2012 je einmal in
Bayern und in Frankreich. Das Reservoir für
WCBV ist die Langflügelfledermaus (Mi-
122
Abb. 3: Fledermaustollwut in Deutschland (1990–2013).
Grafik: Rabies Bulletin Europe, FLI
Rundschau für Fleischhygiene und Lebensmittelüberwachung 4/2014
Neben Schleswig-Holstein und Niedersachsen erfolgten zahlreiche Nachweise in und
um Berlin. Daneben gibt es im Bereich
Mitteldeutschland und dem Saarland
(Verbindung nach Frankreich) noch eine
gewisse Häufung. Eine Erklärung hierfür
könnten die jeweiligen Verbreitungsgebiete
der empfänglichen Fledermausarten sein.
Allerdings gibt es in Deutschland bei Fledermäusen kein rechtlich vorgeschriebenes
Monitoring wie im Fall von RABV beim
Fuchs, Marderhund und Waschbär. In Sachsen werden jährlich zwischen 5 und 20
i. d. R. verendet aufgefundene Fledermäuse
zur Tollwutuntersuchung eingesandt. Bislang erfolgten in Sachsen 7 Nachweise (erstmaliger Nachweis 1999, weitere Nachweise
in den Jahren 2000 (1x), 2002 (2x), 2012 (2x)
und 2013 (1x)). Neben der Abklärung der
Tollwut erfolgt zudem in Zusammenarbeit
mit dem Referenzlabor am FLI eine Speziesbestimmung. Aus den bislang vorliegenden Untersuchungen können für Sachsen
derzeit keine verlässlichen Aussagen zur
Verbreitung der Tollwut und den betroffenen Fledermausarten gemacht werden.
Fledermaustollwut bei anderen
Tieren und dem Mensch
EBLV-1 kann – wenn auch sehr selten – von
der Fledermaus auf Säugetiere übertragen
werden und zur Erkrankung der Tiere
führen. 1998 und 2002 wurde EBLV-1 in
erkrankten Schafen in Dänemark nachgewiesen, 2003 und 2007 jeweils bei einer
Katze in Frankreich. 2001 wurde in Sachsen-Anhalt ein Steinmarder positiv getestet
– der erste Nachweis einer Übertragung von
EBLV-1 auf Wildtiere. Eine Übertragung
von EBLV-2 auf andere Tiere ist bislang
nicht nachgewiesen worden.
Fälle von Fledermaustollwut beim
Menschen sind in Europa äußerst selten,
wobei die Übertragung immer im Zusammenhang mit sehr engem Kontakt zu
Fledermäusen bzw. Bissverletzungen beim
Umgang mit Fledermäusen erfolgte. Der
erste nachgewiesene Fall mit EBLV-1
stammt aus dem Jahr 1977 (Ukraine), ein
weiterer Fall aus dem Jahr 1985 ist in Russland beschrieben. Gesicherte humane Infektionen mit EBLV-2 erfolgten je einmal
1985 in Finnland und 2002 in Schottland.
Ein weiterer Fall von Fledermaustollwut in
der Ukraine wurde nicht durch diagnostische Tests bestätigt. In den nachgewiesenen
Fällen verlief die Infektion – wie bei der
klassischen Tollwutinfektion – tödlich.
Wie bei den anderen Tollwutviren erfolgt die Ausscheidung von vermehrungsfähigen Fledermaustollwutviren über den
Speichel. Bei Kontakt mit infizierten Tieren
erfolgt die Übertragung vornehmlich durch
Biss bzw. Kratzer oder aber durch direkten
Kontakt mit Schleimhäuten (Mund, Bindehäute). Das Virus kann die unverletzte Haut
allerdings nicht durchdringen. Hohe Virusmengen finden sich auch im Nervengewebe
bzw. der Zerebrospinalflüssigkeit infizierter
toter Tiere. Nach dem Eindringen in die
peripheren Nervenzellen wandert das Virus
in das zentrale Nervensystem. Der Zeitpunkt des Auftretens erster Symptome
variiert deshalb stark und ist u. a. abhängig
von der Inokulationsmenge, der Virulenz
des Erregers, der Anzahl an Nervenzellen
an der Bissstelle und deren Entfernung zum
ZNS (Mensch: i. d. R. 30–90 Tage, Latenzzeiten bis zu 6 Jahre dokumentiert).
Krankheitsanzeichen
bei der Fledermaus
Infizierte Fledermäuse zeigen abnorme
Verhaltensweisen wie Orientierungsprobleme, Beißattacken gegenüber Objekten
in der unmittelbaren Umgebung sowie
Lähmungen, die zur Flugunfähigkeit führen. Die nachtaktiven Tiere liegen dann
meist – auch tagsüber – auf dem Boden und
könnten so auch in Kontakt mit Haustieren
wie Hund oder Katze kommen. Bei längerer Beobachtung kommt es infolge von verminderter Nahrungsaufnahme zu Gewichtsverlust, Problemen beim Trinken und
Schlucken sowie zu einer Empfindlichkeit
(Schreien, Flügelschlagen) gegenüber hochfrequenten Geräuschen.
Gefährdung des Menschen –
Schutzmaßnahmen
Unter normalen Umständen geht von Fledermäusen keine besondere Gefährdung
für den Menschen aus (z. B. in Wohnräume
verirrte Fledermäuse, winterschlafende
Tiere), solange der direkte Kontakt vermieden wird. Auch von Orten, die den Fledermäusen als Rückzugs- und Schlaf- bzw. Winterquartier dienen (Höhlen, Keller, Stollen,
Dachstühle u. a.), geht kein Risiko aus. Aufgrund der Übertragungswege besteht für
Personen, die unmittelbaren Kontakt und
Umgang mit Fledermäusen (z. B. in Auffangstationen,
Fledermausbeauftragte,
Wildbiologen) haben, ein gewisses Infektionsrisiko. Zur Verhinderung von Tollwutinfektionen bei Mensch und Tier (insbes.
Haustier) stehen wirksame und gut verträgliche Impfstoffe auf Grundlage von RABV
(Genotyp 1) sowie – für den Menschen –
Hyperimmunseren zur Verfügung. Da
RABV, EBLV-1 und EBLV-2 einer Phylogruppe angehören besteht nach der Impfung ein Kreuzschutz gegenüber diesen
Fledermaustollwutviren. Menschen, die regelmäßigen Umgang mit Fledermäusen
fektiös). Tote Tiere
sollten daher sicher
und unversehrt in
einem
stabilen
Transportbehälter auslaufgesichert verpackt
und gekühlt mit einem
entsprechendem Vorbericht (Angaben zum
Einsender, Fundort,
Auffälligkeiten, ggf.
weiteren Kontakten)
dem Veterinäramt bzw.
direkt
an
die
zuständige Untersuchungseinrichtung zur
weiteren
Untersuchung übergeben werAbb. 4: Häufig von Tollwut betroffen, die Breitflügelfleder- den. Der Virusnachmaus (Eptesicus serotinus).
Foto: Mnolf/wikipedia.de
weis erfolgt i. d. R. mit
Gehirnmaterial mittels
haben, sollten sich entsprechend den Emp- Immunfluoreszenztest und/oder PCR, so
fehlungen der Ständigen Impfkommission dass schon nach kurzer Zeit ein erstes Er(STIKO) prophylaktisch impfen lassen. gebnis vorliegt. Nach humanem Kontakt
Kann nach Kontakt mit Fledermäusen ein (Biss, Kratzer) wird zusätzlich noch ein AnBiss bzw. Kratzer nicht ausgeschlossen zuchtversuch in der Zellkultur unternomwerden, sollte die Wunde zunächst gründ- men (Dauer: 14 Tage). Die Kosten für die
lich mit Wasser und Seife gereinigt werden. labordiagnostische Untersuchungen werDanach sollte in jedem Fall ein Arzt oder den in Sachsen vom Freistaat übernommen.
eine Tollwutberatungsstelle kontaktiert
werden (meldepflichtig nach Infektionsschutzgesetz). Die STIKO empfiehlt, dass in Fazit
diesen Fällen immer eine postexpositionel- Die Fledermaustollwut in Deutschland ist
le Prophylaxe vorgenommen werden sollte. eine von der „klassischen“ Tollwut deutlich
Nähere Angaben hierzu sind bei dem zu- abgegrenzte, eigenständige Erkrankung mit
ständigen Gesundheitsamt bzw. entspre- einem eigenen epidemiologischen Infekchenden Impfstellen zu erfragen. Detaillier- tionszyklus. Von den durch das Bundeste Empfehlungen und weitere Hinweise artenschutzgesetz streng geschützten Flesind auch auf der Homepage des RKI dermäusen – einige Arten sind in ihrem
(http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Epid Bestand stark gefährdet bzw. vom AussterBull/Merkblaetter/Ratgeber_Tollwut.html) ben bedroht – und deren Habitaten geht
abrufbar.
keine unmittelbare Gefahr für Mensch und
Was tun, wenn eine tollwutverdächtige Fledermaus
gefunden wird
Falls eine verhaltensauffällige oder tote
Fledermaus gefunden wird, ist in jedem Fall
der ungeschützte Kontakt zu vermeiden.
Bei einer möglicherweise notwendigen
Sicherung des Tieres, z. B. um weitere
Kontakte zu Personen oder Tieren zu vermeiden, sollten in jedem Fall dicke und feste
Handschuhe getragen werden und umsichtig mit dem Fundtier umgegangen werden.
Das zuständige Veterinäramt ist zu informieren. Lebende Tiere sollten in eine
Auffangstation gebracht werden. Bei toten
Tieren ist zu beachten, dass die ansonsten
schnelle Inaktivierung der Lyssaviren durch
UV-Strahlung, Hitze und Detergentien im
Tierkörper unter Fäulnis gehemmt wird
(Kadaver bis zu 90 Tage post mortem in-
Tier aus. Menschen, die unmittelbaren Kontakt zu Fledermäusen haben, können sich
durch geeignete Vorsichtsmaßnahmen und
eine Immunprophylaxe wirkungsvoll schützen. Zum Schutz der Fledermäuse sind noch
weitere Untersuchungen zum Vorkommen
und der Verbreitung der Fledermaustollwut
notwendig, um unnötige Ängste in der Bevölkerung abzubauen und die Vorsichtsmaßnahmen für Menschen mit erhöhten
Infektionsrisiko weiter zu verbessern.
Literatur beim Verfasser.
Dr. Hermann Nieper
Landesuntersuchungsanstalt
für das Gesundheits- und
Veterinärwesen Sachsen
Bahnhofstrasse 58–60
04158 Leipzig
[email protected]
Rundschau für Fleischhygiene und Lebensmittelüberwachung 4/2014
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