AUSSEREUROPÄISCHE KUNST MUSEUM RIETBERG, ZüRICH

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AUSSEREUROPÄISCHE KUNST MUSEUM RIETBERG, ZüRICH
AUSSEREUROPÄISCHE KUNST
MUSEUM RIETBERG, Zürich
Die umfangreiche und renommierte Sammlung des Züricher Museums Rietberg umfasst Werke
aus Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien. In der Schweiz ist es das einzige Kunstmuseum für
Außereuropäische Kunst. Kunsttermine hat Johannes Beltz, den stellvertretenden Direktor des
Museum Rietberg und Leiter der Abteilung Kuratorium und Kunstvermittlung sowie Kurator für
indische Kunst, zum Stellenwert der Außereuropäischen Kunst und zur Arbeit des Museum
Rietberg befragt. Michaela Oberhofer, Kuratorin für Afrikanische Kunst und die Provenienzforscherin Esther Tisa Francini haben zudem Fragen zur aktuellen ›Dada Afrika‹-Ausstellung
beantwortet, die sie gemeinschaftlich kuratieren. Von Kathrin Albrecht
© Museum Rietberg
kunsttermine: Herr Beltz, wie würden Sie Außereuropäische Kunst definieren?
Johannes Beltz: Wenn man die ursprüngliche Bedeutung des Wortes nimmt, ist es ganz klar. Damit ist Kunst
gemeint, die außerhalb Europas entstanden ist: Kunst von
Amerika über Asien bis nach Ozeanien. Das war der Oberbegriff, unter dem Eduard von der Heydt seine Sammlung
Johannes Beltz, stellvertretender Direktor Museum Rietberg, Zürich
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afrikanischer Masken, chinesischer Skulpturen und indischer Bronzen anlegte und unter dem sie später im Museum Rietberg gezeigt wurde.
Damit wäre Ihre Frage beantwortet. Aber so können wir das
nicht stehen lassen, denn der Begriff ist nicht unproblematisch. Der europäische Bezugspunkt scheint eine klare Kategorie zu sein. Jedoch wird er zunehmend hinterfragt. Denn
er suggeriert, dass Kunst nationalen Grenzen folgt oder
nach Kontinenten klassifizierbar ist. Schaut man genauer
hin, so merkt man jedoch schnell, dass das oft überhaupt
nicht der Fall ist. Denken Sie zum Beispiel an Kunstwerke
aus Nordafrika oder der Türkei. Dort macht eine Zuordnung
zum Mittelmeerraum mehr Sinn als das Label ›afrikanische‹
oder ›asiatische‹ Kunst. Oder denken wir an die buddhistische Kunst Gandharas, einer Region, die sich im heutigen
Afghanistan und Pakistan befindet: In diesem Gebiet lebten
einst Völker aus Zentralasien, Griechen und Inder zusammen und schufen fantastische Kunstwerke. Wem wollen
Sie diese hybride Kunst zuordnen? Im Museum Rietberg
interessieren wir uns zunehmend für transnationale Kunst
und legen den Fokus auf die globale Kunstgeschichte und
ihre Verflechtungsgeschichten. Nehmen wir das Beispiel
der höfischen Malerei in Nordindien. Wir besitzen Bilder mit
›indischem‹ Inhalt und ›persischer‹ Bordüre.
Ich selber habe mit der großartigen Kunsthistorikerin
Annemarie Jordan-Gschwend 2010 eine Ausstellung über
Elfenbeinschnitzereien aus der Renaissance machen dürfen. Dort konnten wir Objekte zeigen, die Anfang des 16.
Jahrhunderts im Auftrag des portugiesischen Königshofes in Sri Lanka von lokalen Künstlern angefertigt wurden,
wobei die Schnitzer das importierte Elfenbein afrikanischer
Elefanten nutzen. Das Verrückte ist dabei, dass wir auf den
Schnitzereien Motive aus Europa finden, wie zum Beispiel
Albrecht Dürers berühmten Dudelsackpfeifer. Gerade der
Handel mit Elfenbein, der bis in die Antike zurückgeht, ist
ein Paradebeispiel für die Globalisierung von Kunst, das
heißt Material, Ikonografie, Stil und Technologie.
© Museum Rietberg
Blick in die Ausstellungsräume des Museums Rietberg mit Werken der Ausstellung ›Dada Afrika – Dialog mit dem Fremden‹
kt: Welchen Stellenwert hat die Außereuropäische Kunst
in der Schweiz? Und welche Bedeutung hat sie für das
Museum Rietberg?
Beltz: Dieser Begriff hat unmittelbar etwas mit der Gründung des Museums Rietberg 1952 zu tun. Denn es wurde
als Museum für Außereuropäische Kunst gegründet und
nicht als ein weiteres ethnologisches Museum. Das bleibt
das Alleinstellungsmerkmal des Rietberg. Diese Entscheidung hatte damals etwas sehr Fortschrittliches in sich. Die
Objekte aus den ›fremden‹ Kulturen wurden eben nicht als
›Ethnographica‹ wahrgenommen, sondern als ebenbürtige Kunstwerke in Szene gesetzt. Eduard von der Heydt
spricht von einer ›Ars Una‹, einer Weltkunst, in der das
Können eines chinesischen Bronzegießers oder eines
afrikanischen Maskenschnitzers auf Augenhöhe mit dem
Werk eines europäischen Künstlers bewundert werden
muss.
kt: Das Museum Rietberg pflegt Kooperationen mit Museumspartnern wie dem Metropolitan Museum in New York
oder dem Asiatischen Museum in Berlin, aber auch mit den
Ursprungsländern der sammlungseigenen Artefakte. Wie
kann man sich diese Zusammenarbeiten vorstellen und
welche Intention steckt dahinter?
Beltz: Wir sind in der glücklichen Lage, mit den führenden
Museen und Ausstellungshallen wie dem Musée du Quai
Branly in Paris, der Bundesausstellungshalle in Bonn oder
dem Metropolitan Museum in New York zusammenarbeiten zu dürfen. Regelmäßig tauschen wir uns mit unseren
Kolleginnen und Kollegen aus, leihen oder verleihen Kunstwerke, übernehmen Ausstellungen oder zeigen sogar Rietberg-Produktionen in diesen renommierten Häusern.
Neben diesen Partnerschaften sind für uns Kooperationen
mit den sogenannten Herkunftsländern enorm wichtig.
Damit unsere Sammlung nicht als Siegestrophäe für eine
Zeit kolonialer Unterdrückung und Ausbeutung steht, müssen wir uns die Frage nach der Vorgeschichte der Objekte
stellen. Neben der Provenienzforschung, für die wir eine
eigene Stelle im Museum eingerichtet haben, engagieren
sich unsere Kuratoren in zahlreichen Kooperationsprojekten in Afrika, Asien und Lateinamerika. Unser Fokus ist
dabei weniger auf mögliche Rückgabeforderungen gerichtet, sondern auf aktive und nachhaltige Partnerschaften
mit den dortigen Museen und Kulturinstitutionen. Gerade
das Jahr 2015 ist hier ein sehr gutes Beispiel: Unsere Kuratoren haben Ausstellungen nach Amsterdam, Paris, Wuppertal, New York, Mumbai, New Delhi und Lima gebracht.
Aber nicht nur das: An die Ausstellungen in Peru und Indien waren umfassende Restaurierungsprojekte und Forschung vor Ort geknüpft.
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AUSSEREUROPÄISCHE KUNST
MUSEUM RIETBERG
kt: In der Ausstellung ›Dada Afrika – Dialog mit dem Fremden‹ wird auch Bezug auf die 1917 in der Züricher Galerie von Han Coray stattfindende erste Dada-Ausstellung
›Dada. Cubist. Art Nègre‹ genommen. Die zu dieser Zeit
verwendeten Begriffe und dargestellten Praktiken – wie die
›Umba, Umba‹-Rufe oder die sogenannten ›Negermasken‹ – wirken aus heutiger Sicht denunzierend und exotisierend. Das Gegenteil ist jedoch eigentlich das Credo der
Dada-Bewegung, ist sie doch für einen wertschätzenden
Umgang mit dem Fremden bekannt. In welcher Weise setzt
sich ›Dada Afrika – Dialog mit dem Fremden‹ kritisch mit
solchen Vorurteilen und Stereotypen auseinander?
Esther Tisa: Die Auseinandersetzung der Dadaisten mit der
Außereuropäischen Kunst war von einem Interesse für das
Fremde als befreiende Gegenwelt geleitet. Da das Eigene,
im Sinne von traditionellen Werten und Ausdrucksformen
im mörderischen Wahnsinn des Krieges untergegangen
war, suchten die Dadaisten im Fremden Nährstoff für neue
Sichtweisen, für Antworten auf das militärische Schlachten, für neue künstlerische Praktiken. Im Ursprünglichen,
im Performativen sowie auch im Kindlichen und im Zufälligen fanden sie Inspiration, die auch von einem aufrichtigen,
gleichberechtigten Zugang zur fremden Kunst geprägt war.
Vorurteile und Stereotypen wurden damit ausgehebelt, ein
kritischer Blick – gerade auch von der Berliner Collagenkünstlerin Hannah Höch – wurde möglich. Es ging auf keinen Fall um eine Exotisierung der Kunst, sondern vielmehr
um eine Befragung der Wirkmacht dieser Artefakte und um
eine respektvolle Integration der fremden Ausdrucksformen
in die eigene soziale, politische und künstlerische Welt.
Michaela Oberhofer: Wir wollen in unserer Ausstellung aufzeigen, welche Vorstellungen Anfang des 20. Jahrhunderts,
das geprägt vom Ersten Weltkrieg und Kolonialismus war,
über das kulturelle Andere existierten. Für unsere Recherchen waren Fragen wichtig, wie: Welche Bilder und Objekte
aus anderen Kulturen konnten die Dadaisten kennen? Wie
wurden damals andere Kulturen in Völkerkundemuseen,
in (populär)wissenschaftlicher Literatur, in Postkarten oder
Völkerschauen repräsentiert? Welche Stereotype über das
›Fremde‹ kursierten damals in Europa? Die künstlerische
Auseinandersetzung mit dem kulturell Anderen durch die
Dadaisten sagt dabei weniger etwas über die Lebenswelt
in Afrika oder Ozeanien aus, sondern spiegelt die kritische
Position der Dadaisten gegenüber der eigenen verhassten
Gesellschaft und dem mörderischen Kriegstreiben wider.
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Das Andere fungierte dabei als befreiender Gegenentwurf
zum Eigenen.
kt: Inwiefern hat die Dada-Bewegung die europäische
Rezeption Außereuropäischer Kunst beeinflusst oder sogar
verändert?
Tisa: Mit der Publikation von Carl Einsteins ›Negerplastik‹
1915 war die bahnbrechende Grundlage zur Wahrnehmung
dieser Artefakte als Kunstwerke geschaffen. Dadaisten wie
Raoul Hausmann und Hannah Höch studierten dieses Werk,
auch Han Coray, der die Erste Dada-Ausstellung mit dadaistischen, kubistischen, futuristischen Werken und Kunst
Afrikas in seiner Galerie organisierte, nannte ein Exemplar
sein eigen. Damit kann sozusagen das erste Versatzstück
der Rezeptionsgeschichte geschrieben werden. Zwar hatte
die europäische Avantgarde bereits ab dem Anfang des 20.
Jahrhunderts die Außereuropäische Kunst in ihr bildkünstlerisches Repertoire integriert, dies beeinflusste jedoch noch
wenig den Handel. Dada wurde hingegen zu einem Katalysator für die Rezeption Außereuropäischer Kunst.
Oberhofer: Avantgarde-Künstler wie Picasso, Kirchner
oder Nolde, aber eben auch Dadaisten wie Marcel Janco,
Hugo Ball, Tristan Tzara oder Hannah Höch haben Anfang
des 20. Jahrhunderts einen großen Beitrag dazu geleistet,
dass afrikanische Objekte nicht mehr nur als Exotica oder
Ethnographica wahrgenommen wurden, sondern als Kunst,
die auf einer Ebene mit europäischen Kunstwerken steht.
Spannend sind aber auch ein Perspektivwechsel und die
Frage, wie dadaistische Ideen Künstler in Japan oder Südafrika inspirierten. Ähnlich wie die Dadaisten sich gegen
den Ersten Weltkrieg positionierten, übernahmen zum Beispiel südafrikanische Künstler wie Jane Alexander, Candice
Breitz oder Walter Whall Battiss dadaistische Praktiken und
Statements, um gegen das menschenverachtende Apartheitsregime zu revoltieren. In unserer Ausstellung ist die
Installation ›Portes Oranges‹ der transnationalen Künstlerin Senam Okudzeto zu sehen, die Metallträger von Orangenverkäuferinnen als Readymade präsentiert und sich
ironisch auf Marcel Duchamps ›Portes Bouteilles‹ bezieht.
Die wechselseitige Bezugnahme auf künstlerische Positionen zwischen Europa und Afrika nimmt also bis heute ihren
Fortgang.
kt: Wie ist die Gegenüberstellung dadaistischer Arbeiten mit
den Werken Außereuropäischer Kunst zu bewerten? Kön-
© Museum Rietberg
Villa Wesendonck, Museum Rietberg
nen Sie herausragende Beispiele nennen?
Tisa: Wir haben in der Ausstellung zahlreiche Dialoge
zwischen Dada-Erzeugnissen und außereuropäischen
Artefakten, die sich auf verschiedenen Ebenen abspielen.
Nur ein Dialog thematisiert die künstlerisch-formale Annäherung, das bezieht sich allerdings auf die Prä-Dada-Zeit.
Manchmal drängen sich jedoch formale Analogien auf
respektive springen einen geradezu an, so zum Beispiel
beim Dialog zwischen einer Maske von Marcel Janco und
einer Lötschentaler Fasnachtsmaske. Dieser Analogie liegt
jedoch Jancos Rekurs auf rumänische Volkstradition und
sein Interesse für die Kunst Afrikas zugrunde, das durch
sein Studium in Zürich belegbar ist. Die Begegnungen zeigen grundsätzlich die aufrechte Auseinandersetzung der
Dadaisten mit außereuropäischer Sprache, Musik, Performance und Kunstformen auf und zu welchen Erzeugnissen
diese Neugier und die Lust auf das Andere führten. Marcel
Jancos Kohlezeichnung ›Le chant nègre‹ nimmt die Dynamik und die sehr expressive Schnitzkunst der Kameruner
Skulptur in ihr Bildprogramm auf, Sophie Taeuber-Arps
Perlenarbeiten rekurrieren auf Vorlagen des Kunstgewerbemuseum Zürichs, an dem sie unterrichtet hat.
Oberhofer: Für mich sind neben den genannten Beispielen vor allem die Collagen von Hannah Höch besonders
aussagekräftig. Die Berliner Künstlerin besuchte Völkerkundemuseen und hinterfragte deren dekontextualisierte
und ästhetisierende Art der Präsentation. Die Bilder von
außereuropäischen Artefakten, die sie vor allem der Avantgarde-Zeitschrift ›Der Querschnitt‹ entnahm, verarbeitete
Höch in der Serie ›Aus einem ethnographischen Museum‹
als eine Art Rezeption der Rezeption. Hannah Höch kombinierte Dinge, die nicht zusammen gehören, wie das Eigene und Fremde, das Unbelebte und Belebte, das Männliche und Weibliche, zu einer neuen Bildaussage. In der
Collage ›Denkmal I‹ erklimmt beispielsweise ein hybrides
Wesen eine Art Sockel, das Gesicht besteht aus dem Bild
von einer Guro-Maske aus der Elfenbeinküste, für den Körper mit einer Löwentatze zerschnitt Höch das Foto einer
ägyptischen Göttin aus Theben, der bestrumpfte Fuß mit
weißem Schuh wiederum stammt von einem Hochglanzfoto einer bekannten Filmschauspielerin der damaligen Zeit.
Dada Afrika – Dialog mit dem Fremden
bis 17.7.
Museum Rietberg
Di/Do-So 10-17 Uhr, Mi 10-20 Uhr
Gablerstrasse 15
CH-8002 Zürich
+41 44 415 31 31
www.rietberg.ch
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