Leitlinie-Thrombozytopathien
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Leitlinie-Thrombozytopathien
1 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Leitlinie-Thrombozytopathien AWMF-Register Nr. 086-003, Klasse: S2K ICD10-Code Thrombozytopathie D69.1 Mitglieder der Konsensusgruppe Autoren Gesamtverantwortlich: W. Streif, R. Knöfler, W. Eberl Abschnittsverantwortliche: Screening: W. Eberl Aggregometrie: R. Knöfler Durchflußzytometrie: H. Schulze Coautoren: Tamam Bakchoul, Frauke Bergmann, Siegmund Gehrisch, Christof Geisen, Saskia Gottstein, Susan Halimeh, Ursula Harbrecht, Günther Kappert, Carl Kirchmaier, Beate Kehrel, Wolfgang Lösche, Manuela Krause, René Mahnel, Oliver Meyer, Ann Kathrin Pilgrimm, Daniele Pillitteri, Hannelore Rott, Sentot Santoso, Annelie Siegemund, Christian Schambeck, Monika Scheer, Markus Schmugge, Thomas Scholl, Gabriele Strauss, Barbara Zieger, Rainer Zotz. Konsensusfindung Die vorliegende Leitlinie wurde unter Leitung der Ständigen Kommission Pädiatrie der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung durch die Mitglieder Werner Streif, Ralf Knöfler und den Vorsitzenden Wolfgang Eberl erstellt. Die Leitlinie wurde von den Koordinatoren (W.Streif; R.Knöfler; W.Eberl) gemeinsam vorbereitet und in Konsensuskonferenzen an der Deutschen Klinik für Diagnostik in Wiesbaden mit den Teilnehmern/Coautoren (s.o.) am 28 - 29. September 2009 und 26.- 27. September 2011 in Modulen weiter entwickelt. Die Module umfassten Screening (W. Eberl), Aggregometrie (R. Knöfler), Durchflußzytometrie (H. Schulze) und Gesamtkoordination (W. Streif, R. Knöfler, W. Eberl). Am Ende der Konsensuskonferenzen wurden die jeweiligen Abschnitte von allen Teilnehmern diskutiert und verabschiedet. Der Ablauf der Konsensusfindung gestaltete sich wie folgt: - Vorstellung der Entwürfe und Gelegenheit zu Rückfragen - Erfassung von begründeten Änderungsvorschlägen durch den Koordinator (W.Streif) im EinzelUmlaufverfahren - Vorherabstimmung - Diskussion von Passagen, für die kein Konsens erzielt werden konnte und Erarbeitung von Lösungsvorschlägen - endgültige Abstimmung. Der Konsens wurde definiert als Gesamtzustimmung aller Teilnehmer. Eine Offenlegung der Interessenskonflikte nach den Vorgaben der AWMF in der gültigen Fassung (AWMF-Formular zur Erklärung von Interessenkonflikten im Rahmen von Leitlinienvorhaben; Stand 08.02.2010) wurde von 2 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 allen Teilnehmern vollständig ausgefüllt und unterschrieben. Diese wurde dem AWMF zur Einsicht vorgelegt und beim Koordinator W. Streif archiviert. Die Interessenkonflikte aller Mitwirkenden wurden von den Koordinatoren (W.Streif; R.Knöfler; W.Eberl) als unbedenklich bewertet. Die überarbeitete Leitlinie wurde in der Sitzung der Ständigen Kommission Pädiatrie der Gesellschaft für Thrombose im Rahmen der 56. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose und Hämostaseforschung in St. Gallen am Samstag, den 4. Februar 2012 im Rahmen einer strukturierten Konsensuskonferenz vorgestellt (Moderation: W. Streif und W. Eberl). Sämtliche vorgebrachten Verbesserungsvorschläge und Anregungen wurden überprüft und gegebenenfalls in die Leitlinie eingearbeitet. Im Umlaufverfahren wurde die überarbeitete Leitlinie Version 3.0 von den Mitgliedern der Konsensusgruppe (s.o.) verabschiedet. Gültigkeitsdauer und Aktualisierung Die Leitlinie ist bis 2017 gültig. Zwischenzeitlich erscheinende wissenschaftliche Erkenntnisse werden von der Leitliniengruppe (W. Streif, R. Knöfler, W. Eberl) beobachtet. Gegebenenfalls wird von der Leitliniengruppe ein Aktualisierungsverfahren vorzeitig eingeleitet. Verantwortlich für die Aktualisierung sind W. Streif, R. Knöfler, W. Eberl. Geltungsbereich Die Leitlinie betrifft die Diagnose von angeborenen Störungen der Thrombozytenfunktion bei Kindern und Jugendlichen. Insbesondere die Entscheidungskriterien zur Auswahl geeigneter diagnostischer Maßnahmen und der Einsatz, die Durchführung und Beurteilung diagnostischer Teste sind Gegenstand des Konsensus. Die Leitlinie richtet sich an in Kliniken und Praxen tätige Kinder- und Jugendärzte sowie alle nicht pädiatrisch Tätigen in der Versorgung von Patienten mit angeborenen Thrombozytenfunktionsstörungen. Beteiligte Fachgesellschaften Der Entwurf der Leitlinie ist im Auftrag der Ständigen Kommission Pädiatrie der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung erstellt worden. Zur Teilnahme eingeladen wurden Vertreter für die Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin (DGTI) Berufsverband Deutscher Transfusionsmediziner (BDT) Berufsverband der Deutschen Hämostaseologen (BDDH) Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) Gesellschaft für pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) Deutsche Vereinte Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL) Allen Fachgesellschaften wurde die Leitlinie zur Beurteilung und Verabschiedung vorgelegt. Es wurden keine Änderungen vorgeschlagen. Andere Beteiligte Patientengruppen wurden formal nicht involviert, die Hauptautoren sind jedoch ärztliche Berater einer großen Patienten – Selbsthilfegruppe. Problemstellung Angeborene Störungen der Thrombozytenfunktion stellen eine heterogene Gruppe von Erkrankungen dar, die als Teil eines Symptomenkomplex („Syndrom“) oder auch isoliert als hämorrhagische Diathese auftreten. Die Erkrankungen sind häufig schwierig zu diagnostizieren und es gelingt oft nicht, sie einem beschriebenen klassifizierten Krankheitsbild zuzuordnen (1),(2). Angeborene Störungen der Thrombozytenfunktion insbesondere ohne Erniedrigung der Thrombozytenzahlen unter 100.000/µl bleiben häufig bis zum Eintritt von Blutungssymptomen 3 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 unentdeckt. Klinische Folge einer Thrombozytenfunktionsstörung ist in den meisten Fällen eine leichte bis moderate Blutung. Durch Kofaktoren, wie Medikamente, Operationen oder andere Herausforderungen der Hämostase kann es zu einer klinisch relevanten Blutungsneigung kommen. Typische Symptome sind Nasenbluten, Petechien, Hämatome, Schleimhautblutungen, perioperative Blutungen und Menorrhagien. Blutungen treten oft plötzlich und unvorhergesehen auf. Obwohl eine Vielzahl von Analysen zur Bestimmung der Thrombozytenfunktion zur Verfügung steht, haben nur einige sich zur Unterstützung klinischer Entscheidungen durchgesetzt. Zur Diagnosestellung empfiehlt sich eine Stufendiagnostik. Die Auswahl der Thrombozytenfunktionstests hängt ganz wesentlich auch von den lokalen Gegebenheiten ab. In aller Regel kann durch eine Stufendiagnostik zumindest eine Thrombozytenfunktionsstörung ausgeschlossen, oder die Verdachtsdiagnose Thrombozytenfunktionsstörung erhärtet und bestätigt werden. Eine exakte Klassifizierung gelingt häufig nur in enger Zusammenarbeit mit spezialisierten hämostaseologischen Zentren. Patientenperspektive Die Leitlinie wurde zur Durchführung von Thrombozytenfunktionstests entwickelt. Ziele dieser Leitlinien sind: 1) Der Patient soll von der Diagnosestellung profitieren. 2) Die Stellung der Verdachtsdiagnose/Ausschlussdiagnose soll ortsnah in einem Gerinnungslabor mit etablierten und robusten Methoden erfolgen. 3) Die Verdachtsdiagnose/Ausschlussdiagnose soll nur so viele Schritte, wie unbedingt notwendig umfassen. 4) Dem Kliniker sollen umfassende Informationen über weitere rationale Abklärungsschritte verfügbar gemacht werden. 5) Sie soll die Erarbeitung lokaler SOPs für die wichtigsten Thrombozytenfunktionstests erleichtern. Einleitung Die vorliegende Leitlinie soll die Diagnose und Klassifizierung von angeborenen Thrombozytopathien/ Thrombozytenfunktionsstörungen bei Kindern und Jugendlichen erleichtern. Zur rationalen und zielgerichteten Diagnostik wurden einzelne Kapitel erarbeitet. In einem Stufenalgorithmus wird zunächst die Diagnose einer Thrombozytopathie gestellt. Gegebenenfalls sind die diagnostischen Schritte individuell anzupassen, abhängig von einer positiven Familienanamnese, Alter des Kindes, akuter und chronischer Blutungsneigung, verfügbarer Blutmenge und anderem. Für die häufigsten und am besten charakterisierten Thrombozytopathien werden weitere Informationen in den folgenden Kapiteln gegeben. Die wichtigsten allgemein anerkannten Methoden Aggregometrie einschließlich Varianten und Durchflußzytometrie, sind im Detail beschrieben. Zur Unterstützung einer Klassifizierung der Thrombozytopathie, insbesondere solcher mit Thrombozytopenie und assoziierten Symptomen („syndromal“) ist eine Liste beigefügt (Liste: Diagnose, klinische Präsentation, Laborauffälligkeit und Genetik definierter Thrombozytopathien). Die Liste enthält detaillierte Informationen zur klinischen Präsentation, der OMIM Nummer (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/omim) dem Vererbungsmodus, dem genetischen Defekt und die wichtigsten Diagnosekriterien. Für die weiterführende Diagnostik stehen die spezialisierten Zentren des Kompetenznetzes der Ständigen Kommission Pädiatrie der GTH (http://www.gthonline.org/home/paediatrische-gth/kompetenznetz/index.php) zur Verfügung. Die Leitlinie ist nicht geeignet für die Beurteilung von Patienten die plättchenaktive Substanzen erhalten, oder erworbene Störungen der Thrombozyten-Funktion/Zahl aufweisen. 4 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Stufendiagnostik einer hämorrhagischen Diathese Für eine rationale Diagnostik einer hämorrhagischen Diathese wird ein Stufenschema verwendet (3),(4),(5),(6),(7),(8;9). 1. Syndromal: Kinder mit komplexen Erkrankungen, Auffälligkeiten der Thrombozyten – siehe Anhang/Liste „Molekulargenetik“. 2. Siehe Anhang „Medikamentenliste“. 3. Faktor XIII Mangel wird nicht von den globalen Gerinnungstests (PT, PTT) erfasst. 4. Bei Jungen stets Faktor VIII und IX-Mangel (Hämophilie A/B) ausschließen. 5. Von Willebrand Faktor-Ag und Ristocetin Kofaktor (alternativ Kollagenbindungsaktivität), evtl. Multimere; Faktor VIII bei erniedrigtem vWF:Ag bestimmen! 6. Inhibitoren: Lupus Antikoagulans, Antiphospholipid Antikörper, FVIII/IX/vWF Hemmkörper ausschließen. 7. Protein Z (Relevanz umstritten). 8. In vitro Phänomen bei Verwendung von EDTA als Antikoagulans. 9. TTP häufig mit defekter vW Protease (ADAMTS 13) assoziiert. TTP kann durch P2Y12 Inhibitoren ausgelöst werden. 10. Lichttransmissionsaggregometrie (LTA) im PRP, Impedanzaggregometrie (IA) und Durchflusszytometrie im Zitrablut. 11. Siehe www.gth-online.org, Ständige Kommission Pädiatrie Kompetenznetzwerk. 5 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Screening Methoden In der klinischen Routine werden keine Tests der Thrombozytenfunktion durchgeführt (2). Durch Fortschritte in der Medizin und dem stark zunehmenden Einsatz von plättchenhemmenden Medikamenten gibt es ein steigendes Interesse an Thrombozytenfunktionstests. Die Bedeutung dieser Methoden für die Diagnose und Klassifizierung von angeborenen Thrombozytenfunktionsstörungen ist beschränkt. Für die Durchführung einer rationalen Thrombozytenfunktionsdiagnostik soll immer ein Stufenplan (Abklärungsalgorithmus siehe oben) verwendet werden, der auch die lokalen Gegebenheiten berücksichtigt. Als Vorinformation sollen zumindest Angaben zur Familien- und Individualanamnese vorliegen und eine körperliche Untersuchung durchgeführt werden. Beispiele für Fragebögen zur Blutungsneigung sind unter www.GTH-online.org, www.oegari.at und www.netzwerk-von-willebrand.de verfügbar. Zumindest muss nach einer Neigung zu Epistaxis, Petechien, kutanen Hämatomen, Schleimhautblutungen, Menorrhagie, Weichteilund Gelenkblutungen sowie, postinterventionellen/postoperativen Blutungen gefragt werden. Leitsymptome von 123 Kindern mit klassifizierter Thrombozytenfunktionsstörung nach THROMKID (2) Leitsymptom Epistaxis Hämatome Schleimhautblutungen peri- / postinterventionelle Blutungen Menorrhagie gastrointestinale Blutungen Haemarthros Häufigkeit in % 54 20 11 7 5 2 1 Als Basisuntersuchung soll eine Blutbildbestimmung einschließlich Retikulozytenzahl und Leukozytendifferenzierung erfolgen. Eine im Rahmen der Routineblutbildbestimmung an allen marktüblichen Großgeräten verfügbare Thrombozytengrößenverteilungskurve und das mittlere Thrombozytenvolumen sollen angefordert und evaluiert werden. Die Thrombozytengröße und Morphologie sind in der Lichtmikroskopie in Blutausstrichen mittels der Färbemethode von MayGrünwald-Giemsa zu beurteilen. Bei lokaler Verfügbarkeit hat sich die Thrombozytenaggregation (LTA, IA) mit mindestens drei verschiedenen Agonisten (ADP, Kollagen und Ristocetin) als Erstuntersuchung bewährt – siehe Kapitel Aggregometrie. 6 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Folgende Methoden sind eingeschränkt zur Feststellung einer Thrombozytenfunktionsstörung geeignet: In vivo Blutungszeit (10): Es sollen nur standardisierte Verfahren nach Ivy, Duke, Mielke, Borchgrevink oder Marx mit Surgicutt, Template, Precisette oder Hemostilette von erfahrenen Untersuchern angewendet werden. Die Patienten sollen über die Möglichkeit einer Narbenbildung aufgeklärt werden. Für Kleinkinder, Patienten mit Bindegewebs- und Hauterkrankungen ist die Methode nur eingeschränkt geeignet. Mangelnde Kooperation des Patienten, Anämie und Thrombozytopenie < 100.000/µl führen zu verfälschten Ergebnissen. PFA 100® Verschlusszeit („in vitro Blutungszeit“) (11),(12),(13): Eignet sich insbesondere zur Diagnose von schweren Störungen der Thrombozytenfunktion. Das von Willebrand Syndrom und die Thrombasthenie Glanzmann führen zu einer Verlängerung der Verschlusszeit. Zu beachten ist, dass der von Willebrand Faktor beim Neugeborenen, Schwangeren und anderen Zuständen (Akutphaseprotein!) erhöht ist. Bei Kindern mit rezidivierenden Infekten ist mit einer großen Variabilität der Verschlusszeiten zu rechnen. Grundvoraussetzung für die Testdurchführung ist eine Thrombozytenzahl über 100.000/µl und ein Haematokrit über 30 l/l. Verkürzte Verschlusszeiten werden durch Hämolyse, HKT > 50 l/l, Thrombozyten > 500.000/µl und verlängerte Verschlusszeiten durch Ikterus, Hämolyse, Anämie (HKT < 35%), Thrombozytopenie verursacht*. Aufgrund der angewendeten Scherkräfte ist diese Methode grundsätzlich sensitiv zum Nachweis eines von Willebrand Syndroms, einer Thrombasthenie Glanzmann und eines Bernard-Soulier Syndroms. Die PFA 100® Verschlusszeit eignet sich auch zum Nachweis einer durch ASS induzierten Thrombozytenfunktionsstörung. Eine P2Y Messzelle wurde zum Nachweis einer medikamentösen Hemmung der Thrombozytenfunktion durch den ADP-Rezeptorinhibitor Clopidogrel entwickelt. Ein verdächtiger oder pathologischer Befund bedarf einer weiteren Abklärung. Ungeeignete Methoden zur Diagnose und Klassifizierung von angeborenen Thrombozytenfunktionsstörungen sind die native Thrombelastographie, der Prothrombinverbrauchstest, der Rumpel - Leede – Test und der Thrombusretraktionstest. Das für das drug-monitoring entwickelte halbautomatische System VerifyNow® (Accumetrics) und das Impact-R® (Matis Medical) sind für die Diagnose und Klassifizierung von angeborenen Thrombozytenfunktionsstörungen nicht evaluiert und daher nicht geeignet. Von den individuell eingesetzten und seltenen Methoden sind das Elektronenmikroskop (ELMI) und die histochemische Färbung von Zellen als diagnostische Verfahren anerkannt. Beide Methoden erfordern viel Erfahrung und werden daher nur an wenigen Zentren durchgeführt. Methodik, Befundung und Befundinterpretation unterscheiden sich wesentlich von Labor zu Labor. Hinweise über diese Methoden überschreiten die Ziele des Leitlinienprojekts. Informationen zu hochspezialisierten Labors können der Liste des Kompetenznetzwerks auf www.gth-online.org, Ständige Kommission Pädiatrie, entnommen werden. Die Bedeutung der konfokalen Lasermikroskopie als Ersatz oder Ergänzung der ELMI ist in Erforschung. Über die klinische Anwendung der aus der Wissenschaft bekannten Durchflusssysteme (Flow Chamber), die als standardisierte Systeme erworben werden können, kann zur Zeit noch keine Aussage getroffen werden. *Auf Grund des verwendeten Vollblutes kann eine Hämolyse/Ikterus nicht detektiert/ausgeschlossen werden. Hämatokrit und Zellzahlen haben einen direkten Einfluss auf die Fließeigenschaften des Blutes. Eine Bestimmung und Beurteilung des Blutbildes wird empfohlen. 7 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Aggregometrie Die Aggregometrie ist als Standarduntersuchung der Thrombozytenfunktionsdiagnostik zu bezeichnen. Es lassen sich damit eine Vielzahl von funktionellen Eigenschaften der Thrombozyten charakterisieren. Die Durchführung der Untersuchung, die Interpretation der Befunde und die Zuordnung zu einem definierten Krankheitsbild stellen eine große Herausforderung dar. Lichttransmissionsaggregometrie (LTA) Die LTA ist auch nach über 40 Jahren seit der Erstbeschreibung durch Born der Goldstandard zur Beurteilung der Thrombozytenfunktion (14),(6),(4),(8). Die eingeschränkte Standardisierbarkeit und eine große Auswahl an Agonisten und deren Konzentrationen haben diese Methode in der Vergangenheit auf die Verwendung in spezialisierten Laboren eingeschränkt. Verschiedene Fachgruppen und Organisationen haben sich in den letzten Jahren der Standardisierung dieser Methode gewidmet. Prinzip: Kontinuierliche Registrierung der im Verlauf der Aggregation sich ändernden Transmission langwelligen Lichts. In einem in Bewegung gehaltenem plättchenreichen Citratplasma oder in einer Suspension gewaschener Thrombozyten kommt es nach Zusatz von Agonisten zur Aggregation. Zunehmende Aggregation führt zum Auftreten von Aggregaten und damit zur Zunahme der Lichttransmission, welche fortlaufend photometrisch registriert und in Kurvenform aufgezeichnet wird. Präanalytik Patient Patient kurz ruhen lassen*. Kein Fasten**, aber auf Grund des potentiellen Störfaktors alimentäre Lipidämie vermeiden. Medikamentenanamnese laut Medikamentenliste (siehe unten). Medikamente registrieren und nach Möglichkeit absetzen, sofern nicht dringend medizinisch indiziert. Gegebenenfalls bekannte Auswirkungen der Medikation bei Befundung berücksichtigen. o NSAR mind. 3 Tage (Unterschiedliche HWZ beachten) o Irreversible Aggregationshemmer (ASS) mind. 10 Tage. o P2Y12 Hemmer (z.B. Clopidogrel) mind. 7 Tage. o GP IIb/IIIa Inhibitor (z.B. Abciximab) mind. 3 Tage. *Der Einfluss von den Punktionsschmerz lindernden Lokalanästhetika (EMLA®) auf das Testergebnis ist ungeklärt. ** Alimentäre Hyperlipidämie vermeiden - interagiert mit Probenanalyse. Blutgewinnung Plastikröhrchen (Polypropylen) oder silikonisierte Glasröhrchen (DIN/ISO 6710 - Vacutainer möglich). Natriumcitrat 109 oder 129 mM resp. 3,2 oder 3,8%. Citrat : Blut = 1 Teil : 9 Teile. bei schlechten Venenverhältnissen und kleinen Kindern ggf. abtropfen lassen. Nadel mit 19 bis 21 gauge. 8 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Nur leicht und nicht zu lange stauen - bei problematischer Punktion erstes Röhrchen unbedingt verwerfen. 3 bis 4 ml Blut abnehmen und für andere Analysen verwenden. Folgeabnahmeröhrchen für Thrombozytenanalyse verwenden- unbedingt Schaumbildung vermeiden. Über/unterfüllte Proben ablehnen, Füllung der Röhrchen wie vom Hersteller gefordert. Proben nicht kühlen, Transport bei Raumtemperatur-keine Rohrpost! Angabe der Uhrzeit der Blutentnahme auf der Probe (als auch Analysezeitpunkt) verzeichnen. Thrombozytenzahl unbedingt vor Zentrifugation bestimmen. Probenvorbereitung Zentrifugation bei Raumtemperatur. Bei Thrombozytenzahl in Ausgangsprobe < 100.000/µl Probe spontan sedimentieren lassen oder schonende Zentrifugation nach Laborspezifikation. PRP o 150 x g für 10 min. o Keine Bremse. o Für Riesenplättchen: Sedimentation für ca. 45 min, 45° Winkel für Sedimentation, nicht aufrichten und in 45° Winkel belassen für PRP Entnahme. PPP o 1500 x g für 10 min. o Qualität der Proben kontrollieren. o Hämolytische Proben verwerfen. o Lipidämie berichten. o Thrombozytenzahl im PRP messen. o Keine Einstellung der Thrombozytenzahl erforderlich wenn Thrombozytenzahl im PRP zwischen 150.000 und 500.000/µl. o Bei Thrombozytenzahl im PRP < 150.000/µl Kontrolle mit angepasster Thrombozytenzahl mitmessen. Niedrige Thrombozytenzahl bei z.B. BSS, VWS Typ 2B, Platelet-Type VWS! o Bei hoher Thrombozytenzahl > 500.000/µl mit autologem PPP korrigieren und auf 250.000 bis 300.000/µl einstellen Methodik Normalkontrolle als Qualitätsstandard mindestens 1 x/Wo mitführen. Eichung des Gerätes mit plättchenarmen autologen Plasma als Markierung der Lichttransmission von 100%. Plättchenreiches Plasma bezeichnet den Nullwert der Lichttransmission. Rührgeschwindigkeit: 1000 U/min. Temperatur: 37°C. Kurve vor Induktorzugabe für mind. 1 min beobachten (stabile Grundlinie, Spontanaggregation registrieren). Agonistenmenge (wässrige Lösung) darf 10% des Probenvolumens nicht übersteigen. Beobachtung der Kurve für mind. 10 min bzw. bis zur maximalen Amplitude. Abschluss der Untersuchung möglichst nach 2 h spätestens 4 h nach Blutabnahme (Zeitpunkt dokumentieren!). 9 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Agonisten Agonisten frisch am Tag der Messung zubereiten bzw. auftauen, Herstellerangaben beachten. Prinzip: zunächst niedrige Agonistenkonzentration wählen, da hohe Konzentrationen Defekte verdecken können. Keine sequentielle Agonistenzugabe! Ausnahme: Ristocetin. Ristocetin: 1,2 - 1,5 mg/ml (0,5 bis 0,6 mg/ml zur Erfassung des VWS Typ 2B). Bei Neugeborenen sind niedrigere Endkonzentrationen der Agonisten erforderlich. Arachidonsäure: 1,0 - 1,5 mM. ADP: 2 - 3 µM (Verdopplung der Konz. falls keine Reaktion mit niedriger Konz.) – Beurteilung der „second wave“. Eine Probe sollte bei einer Konzentration von 2-3 µM reagieren. Nach Standzeit benötigen Proben höhere Konzentrationen: Erhöhung auf 4 µM. Epinephrin: 5 µM (ggf. höhere Dosis, z.B. 10 µM). Kollagen: 0,5 – 2 (bis 4) µg/ml je nach Art des Kollagens! TRAP: 10 µM Beurteilung von Aggregationskurven Für jeden Agonisten und jede Konzentration sollen hauseigene Referenzwerte durch mindestens jeweils 20 Analysen erfolgen – besonders wichtig bei Kollagen aufgrund der unterschiedlichen Kollagenarten mit erheblichem Einfluss auf die Testergebnisse. Normalbereiche definieren - bei größeren Fallzahlen dafür auch Verwendung von Perzentilen möglich - als pathologisch sind alle Werte anzusehen, die außerhalb eines Bereiches von 2 SD liegen (Normalverteilung vorausgesetzt). Visuelle Beurteilung der Kurven auf Plausibilität. Obligatorischer Bericht: Latenzphase (Lag-time), maximale Aggregation, Beurteilung einer Desaggregation (vorhanden, bei >10% ->Angabe). Optionaler Bericht: Maximale Aggregationsgeschwindigkeit (Kurvenanstieg), Formenwandel (shape change), Bestimmung der Fläche unter der Aggregationskurve. Typische Befundkonstellation (LTA) ADP Kollagen Arachidonsäure Ristocetin - N N- N- - N N- N- - N N N - N N Erkrankung Thrombasthenie Glanzmann Bernard-Soulier Syndrom Aspirin-like Defekte Storage-Pool Defekt N Aggregation normal Aggregation herabgesetzt keine Aggregation Impedanzaggregometrie (IA) im Vollblut - Whole Blood Aggregometry (WBA) Die Impedanzaggregometrie ist eine Variante der Aggregometrie bei der mit isotoner Kochsalzlösung verdünnte und mit Citrat antikoagulierte Vollblutproben analysiert werden (15). Diese Methode hat 10 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 in letzter Zeit vermehrt Verwendung als point of care in semi-automatischen Geräten gefunden. Die Standardisierung ist schwierig. Prinzip: Eine Halterung mit zwei Elektroden wird in die mit einem Rührstäbchen versehene, auf 37°C erwärmte Probe eingetaucht. Mit Zugabe eines Agonisten (Induktors) kommt es zu einer Impedanzerhöhung infolge der Anlagerung von aggregierten Thrombozyten an den Elektroden, welche als zeitliche Funktion der Impedanzzunahme aufgezeichnet wird. Präanalytik Patient Analog zur LTA (siehe oben). Blutgewinnung Analog zur LTA (siehe oben). Ausnahme: Multiplate® ist für Hirudin-antikoagulierte Proben standardisiert. Empfohlenes Abnahmeröhrchen: Dynabite HIRUDIN 4,5 ml für Multiplate Analyse, REF:MP0620. Geräte Chronolog-Aggregometer® (Chronolog Corporation, HavertownUSA). Multiplate® (Dynabyte, München, Deutschland). Probenvorbereitung Vor Test Blut für mindestens 10-30 min bei Raumtemperatur ruhen lassen. Im Chronolog Aggregometer Blut in die mit NaCl 0,9% vorgefüllten Küvetten im Verhältnis von 1:1 (Gesamtprobenmenge 1000 µl: 500 µl Vollblut und 500 µl NaCl 0,9%) überführen und bei 37 °C für 15 bis 20 min im Gerät vorwärmen. Die Vollblutprobe für Multiplate laut Vorgabe (mit dem Gerät verbundene halbautomatische Pipette) mit NaCl 0,9% verdünnen. Agonisten (Chronolog Aggregometer) Agonisten frisch am Tag der Messung zubereiten bzw. auftauen, Herstellerangaben beachten. Gleiches Prinzip wie bei LTA: mit niedriger Agonistenkonzentration beginnen. ADP: 10 µM (ggf. steigern auf 20 µM) Kollagen: 1 µg/ml (ggf. steigern auf 2 µg/ml) Arachidonsäure: 0,5 mM (ggf. steigern auf 1,0 mM) Ristocetin: 1,25 mg/ml (0,2 – 0,6 mg/ml bei Verdacht auf VWS Typ 2B) Agonisten (Multiplate) ASPI-Test (Arachidonsäure) mit 1 ml AD auflösen, aliquotiert bei –20°C einfrieren, und unmittelbar vor Gebrauch auftauen. RISTO Test (Ristocetin) mit 1 ml AD auflösen, aliquotiert bei –20°C einfrieren, und unmittelbar vor Gebrauch auftauen. COL Test (Kollagen) mit 1 ml AD auflösen, bei Kühlschranktemperatur (4-6°C) lagern! ADP Test (ADP) mit 1 ml AD auflösen, aliquotiert bei –20°C einfrieren, und unmittelbar vor Gebrauch auftauen. TRAP Test (Thrombin Receptor Activating Peptide) mit 1 ml AD auflösen, aliquotiert bei –20°C einfrieren, und unmittelbar vor Gebrauch auftauen. 11 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Auswertungsmodus der Aggregationskurven (Chronolog Aggregometer) Vor Beginn der Messung Kalibration mit einer mit isotonischer Kochsalzlösung gefüllten Küvette. Charakterisierung der Aggregationskurven durch folgende Parameter: o Obligatorisch: Maximale Aggregation (in Ohm) und Latenzphase (lag-time in s). o Optional: Aggregationsrate (in %/min) und Fläche unter der Kurve o Altersabhängige Referenzbereiche beachten(16),(17). Auswertungsmodus der Aggregationskurven (Multiplate) Parameter: Fläche unter der Kurve (Area under the curve in Units), maximale Aggregation (Aggregation Units), Aggregationsgeschwindigkeit (velocity in U/min). Altersabhängige Referenzbereiche, siehe (12): Luminometrische Bestimmung der ATP-Freisetzung Mit dieser durch Lundin et al. erstmals vorgestellten Methode wird die thrombozytäre ATPFreisetzung gemessen, wodurch Sekretionsdefekte der δ-Granula (storage pool Defekt)identifiziert werden können(18). Prinzip Zitratantikoaguliertem Vollblut oder PRP wird das Luciferin-Luciferase-Reagenz (LLR) zugefügt, welches in Gegenwart von ATP luminesziert. Die bei der ATP-Freisetzung entstehende Lumineszens wird photometrisch von einem Photomultiplier erfasst. Mit Hilfe eines externen ATP-Standards erfolgt die Auswertung der ATP-Freisetzungskurve. Gerät Chronolog-Lumiaggregometer® (Chronolog Corporation, Havertown, USA) Agonisten Gesamtprobenmenge 1000 µl (450 µl Citratblut, 450 µl NaCl 0,9% und 100 µl LLR). Ansätze nach Zugabe von LLR bei 37 °C für 2 min vorwärmen. Kollagen: 2 µg/ml Thrombin: 1 E/ml Auswertungsmodus der Freisetzungskurve Freisetzungskurve bis zum Erreichen des Peaks aufzeichnen. Parameter zur Charakterisierung der ATP-Freisetzungskurve: Obligatorisch: maximale ATP-Freisetzung (Berechnung erfolgt unter Verwendung eines ATPStandards mit definierter ATP-Menge, die einer separaten Probe zugegeben wird)Optional: Reaktionszeit bis zum Erreichen des Peaks. Altersabhängige Referenzwerte beachten (analog zur Literatur unter IA für das Chronolog Aggregometer) 12 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Medikamentenliste Medikamente*, Nahrungsmittel, Gewürze und Vitamine mit Einfluss auf die Thrombozytenfunktion. Die Präparatenamen wurden der Roten Listeentnommen (eingesehen 12/2011). Modifiziert nach (19). Abkürzungen: a.T.A. = abnormale Thrombozyten Aggregation a.B.Z. = abnormale in vivo Blutungszeit * Nicht extra aufgelistet sind Präparate bei denen die Wirksubstanz bereits im Namen erwähnt ist. Agens Abnormalität Antiphlogistika Phenylbutazone Piroxicam Naproxen Acetylsalicylsäure Diclofenac Ibuprofen a.T.A. a.T.A. a.T.A./ a.B.Z. a.T.A./ a.B.Z.; klin. Blutungen a.B.Z.; klin. Blutungen a.T.A. a.B.Z. ß-Lactam Antibiotika: Penicilline: Mezlocillin, Piperacillin Ampicillin, Penicillin G/Benzylpenizillin Cephalosporine: Cefotaxim Cefamandol Nitrofurantoin a.T.A./ a.B.Z.; klin. Blutungen a.T.A./ a.B.Z. a.B.Z.; klin. Blutungen klin. Blutungen a.B.Z.; klin. Blutungen Kardiovaskuläre Medikamente Dipyridamole Diltiazem Isosorbidmononitrat Nimodipin a.T.A. a.T.A. a.T.A. a.T.A. Propranolol Verapamil a.T.A. a.T.A. Nifedipin Nitroglycerin/Glyceroltrinitrat a.T.A. a.T.A./ a.B.Z. Antikoagulantien und fibrinolytische Medikamente Heparin Alteplase a.T.A./ a.B.Z. a.B.Z.; klin. Blutungen Anästhetika und Narkotika Benzocain Kokain Hydroxychloroquin a.T.A. a.T.A. a.T.A. 13 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Lidocain Procain Tetracain Halothan Morphin NO a.T.A. a.T.A. a.T.A. a.T.A. a.T.A. a.T.A. Antiepileptika Valproinsäure/Valproat a.T.A. Antidepressiva Duloxetin klin. Blutungen Chemotherapeutika Asparaginase a.T.A. kombinierte Chemotherapie: Cisplatin, Cyclophosphamid Carmustein oder Melphalan, Vincristin Carmustin, Daunorubicin Plicamycin a.T.A. a.T.A. a.T.A. a.T.A./ a.B.Z.; klin. Blutungen Antihistaminika Chlorpheniramin, Diphenhydramin, Pyrilamin a.T.A. in vitro Radiographische Kontrastmittel Iopamidol a.T.A. Diatrizoat/Amidotrizoesäure Meglumin Diatrizoat und Natrium Diatrizoat a.T.A. a.T.A. Andere Medikamente Guaifenesin Montelukast a.T.A. a.T.A. Granulocyte colony stimulating factor G-CSF (Filgrastim/Lenograstim) a.T.A. Prostaglandine: Alprostadil Epoprostenol Iloprost a.T.A. a.T.A. a.T.A. Nahrungsmittel, Gewürze und Vitamine Ingwer Vitamin C/Ascorbinsäure Kreuzkümmel, Gelbwurz (Kurkuma), Nelken, Alkohol, n-3 Fettsäuren, Omega-3 Fisch Öl, Gingko, Ginseng Mu-Err Pilz, Knoblauch a.T.A. a.T.A. a.T.A. a.T.A./ a.B.Z. a.T.A. a.B.Z.; klin. Blutungen 14 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Durchflusszytometrie Die Durchflusszytometrie ist als fixer Bestandteil der Zelldiagnostik etabliert. Die Beurteilung von Thrombozyten zur Diagnose von angeborenen Störungen der Thrombozytenfunktion ist relativ neu und unzureichend standardisiert (20). Die Durchflusszytometrie eignet sich sehr gut zur Diagnose der Thrombasthenie Glanzmann, des Bernard-Soulier Syndroms und der Storage Pool Erkrankung (α- / δGranuladefekte). Die besonderen Vorteile liegen in geringen benötigten Blutmengen und in der einstufigen Diagnostik mit der Möglichkeit der Identifizierung heterozygoter Träger (21). Prinzip Quantifizierung konstitutiver Oberflächenrezeptoren und Messung von Granulainhaltsstoffen vor und nach Aktivierung. Präanalytik Patient Blutbild einschließlich Thrombozytenzahl bestimmen! • • • • • Kein Fasten. Koffeinabstinenz mind. 2 Stunden. Nikotinabstinenz mind. 60 min. Patient kurz ruhen lassen. Medikamentenanamnese siehe oben. Blutgewinnung bei Indexpatient und gesundem Kontrollproband Nur leicht und nicht zu lange stauen. 3 bis 4 ml Blut abnehmen und für andere Analysen verwenden Unterdruck- Abnahme-Systeme vermeiden (Vacutainer). Nadel mit 19 bis 21 gauge. Plastikröhrchen (Polypropylen) oder silikonisierte Glasröhrchen Natriumcitrat 109 oder 129 mM resp. 3,2 oder 3,8%. Citrat : Blut = 1 Teil : 9 Teile. • Probenverarbeitung 30 - 90 min nach Abnahme. • Ausschließlich Analyse von Citrat-antikoaguliertem Vollblut ohne Fixans oder Konservierung bis 3 Stunden nach erfolgter Färbung. • Keine Lyse der Erythrozyten durchführen - CAVE: ATP und ADP Freisetzung. • Proben bei Raumtemperatur transportieren und lagern, nie kühlen! • Schütteln und mechanischen Stress (auch Rohrpost) für Thrombozyten vermeiden. Inkubation ca. 15 Minuten im Dunkeln, dann mit Puffer (1%BSA auf PBS) verdünnen und messen. Apparative Voraussetzung • Durchflusszytometer -allgemeine Qualitätskontrollen werden vorausgesetzt. • Thrombozytenzahl: Vollblutprobe benötigt im Regelfall keine Einstellung der Thrombozytenzahl. CAVE: Gesamtzellzahl darf nicht über der "Auflösung" des Gerätes liegen (am FACS-Canto II z.B. 10000 Events/sec). • Ansatz in Polypropylenröhrchen. • Direkt Fluorochrom-markierte AK verwenden. • Schwach exprimierte Antigene mit stark fluoreszierenden Farben markieren (z.B. PE) stark exprimierte Antigene mit schwächeren Farben markieren (z.B. FITC). 15 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 • • • • • Positive immunologische Erkennung der Thrombozyten durch Färbung eines konstitutiv hochexprimierten Rezeptors mit einem PE-oder PE-Cy5-markierten AK gegen CD41 oder CD42 oder CD61. Sichere Erkennung von schwach exprimierten Rezeptoren oder aktivierungsabhängig exprimierten Rezeptoren durch Messung einer adäquaten Isotyp-Kontrolle vor der jeweiligen Rezeptormessung (IgG oder IgM beachten!). Bei Mehrfarbenmessung kann eine FMO (Fluorescence-minus-one)-Kontrolle verwendet werden. Darstellung der FSC- und SSC-Signale in logarithmischer Skalierung. Stop-Kriterium der Messung: ca. 10.000 Thrombozyten im Gate. Es wird empfohlen alle Zellen aufzunehmen um Makrothrombozyten und Thrombozytenaggregate identifizieren zu können. Falls Zähl-beads verwendet werden - nicht mit Thrombozyten zusammen ansetzen. Empfohlen werden Antikörper gegen folgende Antigene: CD41a CD41b CD42a/b CD61 CD49b Fibrinogenrezeptor (GPIIb/IIIa) - gesamter Komplex (stöchiometrisch) Fibrinogenrezeptor (GPIIb) von Willebrand Faktor Rezeptor (GPIb /IX) Fibrinogenrezeptor (GPIIIa) Kollagenrezeptor (GPIa/IIa) Empfohlen werden folgende Antikörper gegen aktivierungsabhängig exprimierte Antigene: Messung nach Stimulation der Thrombozyten mit ADP und TRAP CD62P P-Selectin (α- Granula) CD63 GP-53 (lysosomale und δ- Granula) CD107a/b LAMP-1/2 (lysosomale Granula) PAC1 aktivierterGPIIbIIIa Komplex -Fibrinogenrezeptor (Inside-outSignaling)gemessen durch den spezifischen IgM Antikörper PAC-1. Zur Untersuchung der δ- Granula eignet sich der Mepacrine- Assay (22). Glanzmann- Diagnostik*: Thrombozyten-Zahl normal, Größe (Forward Scatter) normal. CD41a (gesamten Rezeptorkomplex stöchiometrisch erkennend)-Klon P2 CD41b (GpIIb) CD 61 (GpIIIa) -Aktivierungsmarker PAC-1, + CD42b (als Alternative FITC-markiertes Fibrinogen statt PAC1) Glanzmann- Typ I: CD41a < 10% (Fib.rez. homozygot verändert) Glanzmann- Typ II: CD41a >10% *Vereinfachte Klassifizierung in Typ I und Typ II. Bernard-Soulier-Diagnostik: Thrombozyten-Zahl: vermindert, Größe (Forward Scatter): erhöht CD42a (Gp IX); vermindert CD 42b (Gp Ibα); vermindert CD 42c (Gp Ibβ); vermindert. Es können selektiv einzelne Komponenten, oder mehrere Untereinheiten durch stöchiometrische Bindungseffekte reduziert sein. 16 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Vorschlag für den rationalen Einsatz der Durchflußzytometrie: Negativkontrolle: IgG1- FITC/ IgG1-PE (gleiche Ig- Subklasse, oder AK gegen AG, welches nicht auf Thromboyten exprimiert ist (gegen z.B. Neutrophile (CD16)) Positivkontrolle: CD41a- FITC/ CD42b-PE (zur Auffindung z.B. CD31 / CD36) Thrombasthenie Glanzmann -IgG1- FITC/ IgG1-PE -CD41a-FITC oder CD41b- FITC/ CD61-PE +FSC/SSC - normale Oberflächenpräsentation von CD62P und CD63 nach Stimulation - keine (erhöhte) Bindung von Fibrinogen oder dem Fibrinogen simulierenden anti GPIIbIIIa Antikörper PAC1 nach Stimulation mit ADP, Kollagen, Thrombinrezeptor PAR-1 Aktivator (TRAP). Bernard-Soulier Syndrom: -IgG1- FITC/ IgG1- PE oder korrekte Isotypkontrolle -CD42a-FITC/ CD42b-PE/ CD42c +FSC/SSC (Shift wegen Grösse) Aktivierungsmarker: Fragestellung: 1. ADP-Rezeptor-Stimulierbarkeit 2. Thrombinrezeptor-Stimulierbarkeit 3. Vorhandensein von Granula 4. Regelrechte Ausschüttung der Granula Granuläre Aktivierungsmarker: α-Granula: CD62P lysosomale Granula: CD63 Dense-Granula: Mepacrine- Beladung oder Serotonin- Reuptake- Test Rezeptorassoziierte Aktivierungsmarker: PAC-1: aktivierter Fibrinogenrezeptor Storage-Pool-Disease Diagnostik: Aktivatoren: Standard: ADP und TRAP-6 (SFLLRN) --< humaner Protease Activated Receptor-1 (PAR1Peptid für basale Aktivierungsuntersuchungen) weiterführend: Kollagen und Tx-A2-Agonisten (U-46619) Agonistenkonzentrationen: ADP: 2 µM – 10 µM TRAP-6: (1 -) 10 µM – 100 µM (Konzentration Produkt-abhängig!) Inkubation mit Aktivator für 5 Minuten, anschließend für weitere 15 Minuten Ak dazu (im Dunkeln inkubieren!), dann Abstoppen mit Puffer (1% BSA oder Albumin auf PBS) und innerhalb 30- max. 60 Minuten messen. 17 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Vorschlag für rationalen Einsatz der Durchflußzytometrie mit Aktivierung: unstimuliert 5 µM ADP 10 µM TRAP-6 100 µM TRAP-6 5 µM ADP FITC IgG1 CD62P CD62P CD62P CD62P PAC- 1 PE IgG1 CD63 CD63 CD63 CD63 CD41 PE-Cy5/ PE-Cy7 CD41 CD41 CD41 CD41 CD41 Arbeitsbeispiel aus der Arbeitsgruppe Harald Schulze, Berlin, (4 Farben): Antikörper Agonist FITC PE PE-Cy5 / PerCP APC K1 CD61 CD29 CD42a CD42b --- K2 CD49b CD49e CD49f CD41a --- K3 PAC-1 CD63 CD41a CD62P --- K4 --- --- CD41a CD62P 2 M ADP K5 PAC-1 CD63 CD41a FMO* 5 M ADP K6 PAC-1 FMO* CD41a CD62P 1 M TRAP-6 K7 FMO* CD63 CD41a CD62P 5 M TRAP-6 Tube * FMO: Bei Mehrfarbenmessung kann eine FMO (Fluorescence-minus-one)-Kontrolle verwendet werden. Beurteilung Nach mittlerer Fluoreszenzintensität und Vergleich gegenüber Normalkollektiv. Nach MFI (mittlere Fluoreszenzintensität) im Vergleich zur adäquaten Isotyp- oder FMOKontrolle. Aktivierung auch als % positive Zellen ("% over threshold") Deskriptive Angabe des Befundes (keine Zahlen). 18 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Molekulargenetische Methoden Obwohl molekulargenetische Untersuchungen eine immer wichtigere Rolle spielen, sind deren Methoden aufgrund der großen Heterogenität der angeborenen und erworbenen Thrombozytendefekte in der klinischen Praxis von geringem Nutzen. Sie können dazu dienen eine vermutete Diagnose zu bestätigen (23). Bis auf wenige gut definierte Erkrankungen (24),(25) kann mittels Molekulargenetik kaum eine Diagnose gestellt werden. Große Bedeutung hat die Molekulargenetik zur Familiendiagnostik und Bestimmung eines heterozygoten Status. Im Anhang „Diagnose, klinische Präsentation, Laborauffälligkeit und Genetik definierter Thrombozytopathien“ finden Sie eine Liste zur Unterstützung der Identifikation von angeborener Erkrankungen mit assoziierten Thrombozytenfunktionsstörungen/-penien. Die Einteilung erfolgt nach Adhäsions, Aggregations, Rezeptor und Signaltransduktions, Granula, zytoskelettalen Defekten und anderen. 19 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Autorenliste (alphabetisch): Tamam Bakchoul [email protected] Institut für Klinische Immunologie und Transfusionsmedizin Langhansstr. 7; D-35385 Gießen, Deutschland Frauke Bergmann Wolfgang Eberl [email protected] [email protected] MVZ Wagnerstibbe, Amedes-Gruppe, Georgstr. 50; 30159 Hannover, Deutschland Städtisches Klinikum Braunschweig gGmbH, Freisestr. 9/10, D- 38118 Braunschweig, Deutschland Siegmund Gehrisch [email protected] TU Dresden, Medizinische Fakultät, Inst. f. Klinische u. Lab. Med. Fetscherstr. 74; 01307 Dresden, Deutschland Christof Geisen [email protected] Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie Sandhofstrasse 1, D-60528 Frankfurt am Main, Deutschland Saskia Gottstein [email protected] Klin. f. Innere Medizin-Angiologie, Hämostasiologie; Vivantes-Klinikum im Friedrichshain; Landsberger Allee 49, 10249 Berlin, Deutschland Susan Halimeh [email protected] Gerinnungszentrum Rhein/Ruhr; Königstr. 13; 47051 Duisburg, Deutschland Ursula Harbrecht [email protected] Institut für Experimentelle Hämatologie und Transfusionsmedizin der Universität Bonn; Sigmund-Freud-Straβe, D-53105 Bonn, Deutschland Günther Kappert [email protected] Gerinnungszentrum Rhein/Ruhr; Königstr. 13; 47051 Duisburg, Deutschland Carl Kirchmaier [email protected] Deutsche Klinik für Diagnostik; Aukammallee 33; 65191 Wiesbaden, Deutschland Beate Kehrel [email protected] Universitätsklinikum Münster, Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und operative Labormedizin; Experimentelle und klinische Hämostaseologie; Mendelstr. 11, 48149 Münster, Deutschland Ralf Knöfler [email protected] Universitätsklinikum Dresden, Klinik u. Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Bereich Päd. Hämatologie u. Onkologie, Fetscherstr. 74, 01307 Dresden, Deutschland Wolfgang Lösche [email protected] Uni-Klinikum Jena, IFB Sepsis, Center for Sepsis Control and Care, Erlanger Allee 101; 07747 Jena, Deutschland Manuela Krause [email protected] Deutsche Klinik für Diagnostik; Aukammallee 33; 65191 Wiesbaden, Deutschland René Mahnel [email protected] Haemostas. Praxis u. Labor zur Diagnostik und Therapie von Blutgerinnungsstörungen; Gartenstr. 134; 60596 Frankfurt a. Main, Deutschland Oliver Meyer [email protected] Institut für Transfusionsmedizin, Thrombozytenlabor / Blutbank mit Immunhämatologie CVKAugustenburger Platz 1, D-13353 Berlin, Deutschland Ann Kathrin Pilgrimm [email protected] Deutsche Klinik für Diagnostik; Aukammallee 33; 65191 Wiesbaden, Deutschland Daniele Pillitteri [email protected] Deutsche Klinik für Diagnostik; Aukammallee 33; 65191 Wiesbaden, Deutschland Hannelore Rott [email protected] Gerinnungszentrum Rhein Ruhr, Königstr. 13, D-47051 Duisburg, Deutschland Sentot Santoso [email protected] Institut für Klinische Immunologie und Transfusionsmedizin Langhansstr. 7; D-35385 Gießen, Deutschland 20 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Annelie Siegemund [email protected] MVZ Dr. Reising-Ackermann u. Kollegen, Strümpellstr. 40; 04289 Leipzig, Deutschland C. Schambeck [email protected] Hämostasikum München, Haderunstr. 10; 81375 München, Deutschland Monika Scheer [email protected] Päd III, Universitätsklinikum Essen, Hufelandstrasse 55, 45122 Essen, Deutschland Markus Schmugge [email protected] Kinderspital Zürich, Hämatologie, Steinwiesstr. 75, CH-8032, Zürich, Schweiz Thomas Scholl [email protected] Harald Schulze [email protected] Gabriele Strauss [email protected] Deutsche Klinik für Diagnostik; Aukammallee 33; 65191 Wiesbaden, Deutschland Klinik für Allgemeine Pädiatrie; Charite; Labor für Pädiatrische Molekularbiologie Ziegelstraße 5-9, D-10117 Berlin; Deutschland Charité Campus Virchow-Klinikum; Otto-Heubner-Centrum für Kinderund Jugendmedizin Augustenburger Platz 1; D-13353 Berlin, Deutschland Werner Streif [email protected] Univ.-Klinik für Pädiatrie II , Med. Uni. IBK, Anichstraße 35, A- 6020 Innsbruck, Österreich Barbara Zieger [email protected] Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg, Deutschland R.B. Zotz [email protected] Centrum für Blutgerinnungsstörungen und Transfusionsmedizin Immermannstr. 65A, 40210 Düsseldorf, Deutschland 21 Leitlinie-Thrombozytopathien; Version 4.1; 30.10.2012 Literatur (1) Cox K, Price V, Kahr WH. Inherited platelet disorders: a clinical approach to diagnosis and management. Expert Rev Hematol 2011; 4(4):455-472. (2) Streif W, Olivieri M, Weickardt S, Eberl W, Knoefler R. Testing for inherited platelet defects in clinical laboratories in Germany, Austria and Switzerland. Results of a survey carried out by the Permanent Paediatric Group of the German Thrombosis and Haemostasis Research Society (GTH). Platelets 2010; 21(6):470-478. (3) Guidelines on platelet function testing. The British Society for Haematology BCSH Haemostasis and Thrombosis Task Force. 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