L.Mikos: "Oh mein Gott, bin ich schön! – Schönheit, Fernsehshows
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L.Mikos: "Oh mein Gott, bin ich schön! – Schönheit, Fernsehshows
THEMA 60 Lothar Mikos „Oh mein Gott! Bin ich schön!“ S C H Ö N H E I T, F E R N S E H S H O W S U N D M E D I E N D I S K U R S E Als am 21. Juli 2004 die Kommission für Ju- den Sendungen gar nicht gesehen hatten. Die TV-Formaten. Daraus werden allgemeine Emp- gendmedienschutz (KJM) verkündete, dass moralische Brille verstellte den genauen Blick fehlungen für die Prüfpraxis im Jugendschutz Fernsehformate, „in denen Schönheitsopera- auf die betreffenden Formate, die teilweise in abgeleitet. tionen zu Unterhaltungszwecken angeregt, Deutschland ja noch gar nicht zu sehen waren. durchgeführt und begleitet werden, grund- Wenn es allerdings wie im Jugendschutz dar- Schönheitsoperationen zwischen sätzlich nicht vor 23.00 Uhr gezeigt werden“ um geht, differenzierte Bewertungen zu neu- Information und Unterhaltung dürften (KJM 2004a), folgte ein enormes Rau- en Show- und Reality-Formaten abzugeben schen im öffentlichen Diskurswald. Die mora- (und keine pauschalen Abqualifizierungen), Schönheitsoperationen sind bereits seit Jah- lische Empörung über das vermeintlich ver- dann sollte die moralische Brille abgelegt und ren Thema im Fernsehen. Einerseits wurden werfliche Tun der Fernsehsender erreichte neue die Lese- bzw. Verständnisbrille aufgesetzt wer- seit den 90er Jahren in den täglichen Talkshows Höhepunkte, vor allem bei (selbst) ernannten den – denn: Sonst wird man weder den For- immer wieder auch operative Eingriffe in den Jugendschützern, Vertretern öffentlich-recht- maten, den Kindern und Jugendlichen, noch Körper diskutiert, andererseits berichteten die licher Sender und Politikern. Die Presse griff dem notwendigen Diskurs über Normen und Boulevardmagazine fast täglich über die gelif- das Thema zwar auf, hielt sich aber mehrheit- Werte einer freiheitlich orientierten, pluralen teten und umoperierten Körper der Stars und lich vornehm zurück – verständlich, lebt doch Gesellschaft gerecht. Sternchen, die zwischen Bolly- und Hollywood gerade die Boulevardpresse auch davon, über Im Folgenden soll daher der Versuch un- ebenso schnell aufflammen wie sie verglühen. Schönheitsoperationen von Prominenten zu ternommen werden, die betreffenden Shows Popmusiker wie Cher und Michael Jackson wur- berichten. Diejenigen, die sich öffentlich zu in die Entwicklung von TV-Formaten und -Gen- den aufgrund ihrer vielen (gesicherten und ver- Wort meldeten, benutzten einmal mehr das Ar- res zu Beginn des 21. Jahrhunderts einzuord- muteten) Schönheitsoperationen an Nase, gument des Jugendschutzes und der ver- nen. Anschließend soll das Hybrid-Format The Brust und/ oder Po sowie Hautbleichungen meintlich sozialethisch desorientierenden Wir- Swan näher betrachtet werden, bevor die The- auch schon manchmal als Wunderwerke der kung von Shows und anderen Sendungen, die matisierung von Schönheitsoperationen im Medizin oder als Gesamtkunstwerk bezeichnet Schönheitsoperationen thematisierten, auf Kin- Fernsehen in den Zusammenhang gesell- – ganz zu schweigen von den Silikonbrüsten ei- der und Jugendliche, um Geschmacksfragen schaftlicher Schönheitsideale gestellt wird. Ab- ner Pamela Anderson, die als Baywatch-Nixe zu diskutieren.* Außerdem zeigte sich, dass vie- schließend spielt der Kontext der Wertedis- auch auf deutschen Bildschirmen zu bewun- le, die sich zu Wort meldeten, die betreffen- kussionen eine Rolle für den Umgang mit den dern war. Talkshows und Boulevardmagazine Anmerkung: * Anfang August 2004 beanstandete die KJM zwei Folgen der Serie I Want a Famous Face (MTV) sowie eine Ausgabe der RealityShow Big Brother (RTL II), in der ein plastischer Chirurg ein Informations- und Beratungsgespräch mit den Bewohnern des Hauses geführt hat (vgl. KJM 2004b). Diese und die folgenden Abbildungen zeigen Impressionen aus der amerikanischen Show The Swan. tv diskurs 30 THEMA 61 des Reality-TVs, wie wir es seit Aktenzeichen XY … ungelöst (ZDF) kennen – teilweise mit nachgestellten Szenen arbeiten. Bei der RTL II-Sendung kann man sich streiten, ob es sich um eine Doku-Reihe oder eine Doku-Soap handelt, wie der Sender sie ankündigt. In ihr werden Personen begleitet, die sich unter das plastischchirurgische Messer legen. Dabei werden in der Inszenierung fiktionalisierende und emotionalisierende Elemente eingesetzt. Der dokumentarische Charakter steht jedoch eindeutig im Vordergrund. Etwas anders verhält es sich mit I Want a Famous Face, das von MTV als Show angekündigt wird – aber das macht sind weder der Unterhaltung noch der Infor- Inszenierungsweisen in den so genannten Do- MTV mit fast allen Sendungen, die nicht Musik- mation, sondern dem Mischbereich des Info- ku-Soaps, die reale Ereignisse nach den Regeln clips aneinander reihen. In den sechs Ausga- tainments zuzuordnen. Zum klassischen Infor- von Daily Soaps inszenieren (vgl. Eggert 1999; ben der Sendung wird gezeigt, wie junge Er- mationsbereich gehören Politik- und Gesund- Lücke 2002), kann fast jedes beliebige Thema wachsene ihren Körper mit Hilfe von Schön- heitsmagazine, die mit dem Anspruch der Auf- Gegenstand von Formaten sein, die gemisch- heitsoperationen so umformen lassen, dass sie klärung vor allem über Risiken und Gefahren te Wirklichkeiten präsentieren. Eine neue Qua- ihrem Idol (manchmal mehr, manchmal weni- von Schönheitsoperationen berichteten – und lität wurde im Jahr 2000 mit der ersten Real ger) ähnlich sehen. Da möchte eine 27-jährige dies auch zeigten. Life Soap bzw. Real Life Show Big Brother (RTL Amateursängerin wie Britney Spears aussehen Die neuen Shows, die sich Schönheitsope- II) erreicht, in der Menschen nicht mehr wie und lässt sich ihre Brüste vergrößern, eine 21- rationen widmen, geraten in eine Zeit, in der noch bei den Doku-Soaps in ihrem privaten Jährige lässt sich Fett absaugen, um ihrem Idol es keine klare Trennung von Information und oder beruflichen Alltag gezeigt, sondern in ein Kate Winslet ähnlicher zu werden. Beliebt sind Unterhaltung sowie von Fakten und Fiktion im künstlich, für die Medieninszenierung ge- auch Brad Pitt, Elvis Presley und Pamela An- Fernsehen mehr gibt – im angloamerikanischen schaffenes Setting gesteckt wurden, in das derson als Vorbilder. Ein Transsexueller, der ge- Raum wird daher auch von „Factual Televisi- auch Bestandteile von Gameshows integriert nerell eine Geschlechtsumwandlung anstrebt, on“ bzw. „Factual Entertainment“ gesprochen waren (vgl. Mikos u. a. 2000). Es würde zu weit lässt sich nach dem Vorbild von Jennifer Lopez (vgl. Göttlich 2004 und den Beitrag von An- führen, hier alle neueren Entwicklungen im Un- gestalten. Bestandteile der Sendung sind All- nette Hill in diesem Heft, S. 4 ff.). Es gibt immer terhaltungsfernsehen aufzuzählen. Allerdings tagsszenen aus dem Leben der jungen Men- mehr so genannte Hybrid-Formate, d. h. Sen- soll auf vier Trends hingewiesen werden, die schen, die Operationen werden ästhetisch ver- dungen, die sich aus Elementen verschiedener auch für die mit Schönheitsoperationen ver- fremdet (schnelle Schnitte, Musik) gezeigt, Part- Genres zusammensetzen und dabei Fakten und bundenen Shows von Bedeutung sind: ner und Freunde werden befragt. Grundsätz- Fiktion mischen. Dabei wird allerdings nur of- lich handelt es sich bei der Sendung nicht um fensichtlich, dass Fakten schon immer inszeniert 1) Im Mittelpunkt der meisten Shows stehen eine Show, sondern der dokumentarische Cha- und medial bearbeitet waren, während fiktio- nicht Prominente, sondern Normalbürger. rakter steht eindeutig im Vordergrund. Die Sen- nale Sendeformen schon immer auch infor- 2) Diese normalen Menschen sind zuneh- dung stellt daher eine Doku-Reihe dar, in den mierend und orientierend gewesen sind. Seit mend mit ihrem Privat- und Intimleben in einzelnen Folgen wird aber nach dem Muster der Vermischung von Fakten und fiktionalen den Formaten präsent. von Doku-Soaps inszeniert. 3) Die Formate greifen Wünsche und Sehnsüchte der Normalbürger auf. 4) Auch ernste Themen werden zunehmend in Spielkontexten präsentiert. Wenn wir uns den Shows um Schönheitsoperationen zuwenden, geht es im Wesentlichen um vier Sendungen, von denen zwei bereits im deutschen Fernsehen zu sehen waren. Bei den beiden Letzteren handelt es sich um I Want a Famous Face (seit Anfang Juli 2004 auf MTV) und Schönheit um jeden Preis – Letzte Hoffnung Skalpell (seit Mitte August auf RTL II). Beide Sendungen haben dokumentarischen Charakter, auch wenn sie – ganz in der Tradition 4 | 2004 | 7. Jg. THEMA 62 Die beiden Sendungen, die bis zum Herbst nen die Experten (plastische Chirurgen, kos- 2004 noch nicht im deutschen Fernsehen zu metische Zahnärzte, Fitnesstrainer, Therapeu- sehen waren, aber im Vorfeld bereits diskutiert ten und der Swan-Coach) eine für das Finale wurden, waren in den USA sehr erfolgreich. Es auswählen. Im Finale wetteifern dann die acht handelt sich um die Reality-Show Extreme Siegerinnen aus den Einzelepisoden und die Makeover, mit der der Sender ABC mehr als beste Verliererin dank einer so genannten 10 Millionen Zuschauer erreichen konnte, und „Wild Card“ in einem klassischen Schönheits- um die Casting-Show The Swan, mit dem Fox wettbewerb miteinander. Eine fünfköpfige Jury bis zu 15 Millionen Zuschauer erreichte. Die (Vertreter von Model-Agenturen, Presse, Mo- ABC-Show startet in Deutschland mit dem Ti- defotografie usw.) bewerten die Kandidatin- tel Alles ist möglich bei RTL als Eigenproduk- nen. Am Ende wird dann „der Schwan“ gekürt. tion. The Swan erlebt seinen deutschen Able- Die glückliche Siegerin in den USA durfte zahl- ger bei ProSieben. Bei Extreme Makeover er- reiche Preise mit nach Hause nehmen, u. a. ei- halten Kandidaten die Möglichkeit, ihren Stil nen Vertrag mit einer Model-Agentur, ein Auto und ihr Aussehen komplett überarbeiten zu las- sowie 50.000 Dollar in bar plus ein Stipendium lung bereits knapp drei Monate abgeschirmt sen. Sie werden von einem Team aus Schön- in Höhe von 50.000 Dollar an einer Universität. von der Familie in einem Apartmentkomplex heitschirurgen, Hair-Stylisten, Make-up-Exper- Soweit das Grundkonzept der Show, das dem im kalifornischen Marina Del Rey verbracht. ten und persönlichen Trainern beraten. Jede Märchen von Hans Christian Andersen vom Dort waren alle Spiegel und spiegelnden Episode beobachtet zwei Kandidaten, die in hässlichen Entlein, das sich in einen schönen Flächen entfernt, so dass sich die Frauen nicht einem Vorher-Nachher-Effekt gezeigt werden. Schwan verwandelt, nachempfunden ist. vor ihrem Auftritt begutachten konnten. Sie Sie präsentieren sich dann ihren Familien und Wenn von The Swan gesprochen wird, nahmen ferner an wöchentlichen Therapiesit- Freunden. Zusätzlich gibt es Styling- und Fit- muss zwischen den acht Folgen, in denen je- zungen teil und durften pro Woche zehn Mi- ness-Tipps für die Zuschauer. Es handelt sich weils zwei Kandidatinnen gegeneinander an- nuten mit ihren Angehörigen telefonieren. In um eine Mischung aus Doku-Soap, Show und treten, und dem Finale, das auch als „Schwan- den Shows wird in einem etwa 15-minütigen Lifestyle-Sendung. Damit verbinden sich Ele- Spektakel“ betitelt war, differenziert werden, Zusammenschnitt gezeigt, wie sie operiert und mente des Boulevard-TV mit Unterhaltung und denn sie zeigen unterschiedliche Strukturen. therapiert wurden, aber auch, wie sie damit zu- unterhaltender Dokumentation. In den einzelnen Episoden werden zunächst rechtgekommen sind. Schmerzen und Depres- die beiden Kandidatinnen vorgestellt, das Ex- sionen der Frauen werden dabei nicht ausge- pertenteam gibt bekannt, welche Maßnahmen spart. Die zweite Hälfte der Episoden besteht für die jeweilige Person geplant sind (vom Fett- aus dem Auftritt der „transformierten“ Frauen. Die Grundidee von Extreme Makeover wird bei absaugen über Brustvergrößerung, Zähne- Nun dürfen sie das erste Mal in einen Spiegel The Swan mit einer Casting-Show kombiniert. bleichen bis zum Diät- und Fitnessprogramm). schauen. Dieser Moment ist sehr emotional in- In einem Casting, bei dem sich mehr als In den Vorstellungsvideos erzählen die Frauen szeniert. Die Frauen müssen sich vor dem Spie- 200.000 Amerikanerinnen bewarben, wurden von ihrem bisherigen Leben und warum sie sich gel aufbauen, der noch von einem roten Samt- 16 Kandidatinnen ausgewählt. Sie unterzogen chirurgisch verschönern lassen wollen. Alle vorhang verdeckt ist. Beim Gang zum Spiegel sich einer so genannten „Overall Transforma- Kandidatinnen sind so genannte Durchschnitts- beginnt die Kamera um sie zu kreisen und zeigt tion“. Dazu zählen zahlreiche Schönheitsope- frauen – viele mit Familie und Kindern –, die ar- sie in Obersicht. Dadurch sehen sie sehr ver- rationen, Fitnesstraining, Diät, Psychotherapie beitslos sind oder als Büroangestellte, Stewar- loren und unsicher aus. Wenn sie vor dem Spie- und Coaching. In acht Folgen der Show treten dess oder Krankenschwester arbeiten. Die Kan- gel stehen, ist die Kamera nah bei ihnen. Kur- jeweils zwei Frauen gegeneinander an, von de- didatinnen haben zum Zeitpunkt der Ausstrah- ze Einblendungen zeigen in Nahaufnahme, wie The Swan – ein Märchen als TV-Show sie die Fäuste ballen bzw. sich selbst die Daumen drücken. Öffnet sich der Vorhang, sieht man die Frauen über eine Hinter-Spiegel-Kamera, die sie in wechselnden Einstellungen von Kopf bis Fuß zeigt, aber immer wieder nah an die Gesichter der Frauen geht, um auch keine Gefühlsregung zu verpassen. Die Reaktionen der Frauen ähneln sich: Fast alle sagen als Erstes „Oh mein Gott!“, um dann den Ausruf: „Bin ich schön!“ oder: „Ich sehe so schön aus!“ folgen zu lassen. Unterlegt sind diese Szenen mit zunächst dramatisierender und dann sehr emotionalisierender Musik. Ist dies bei beiden Kandidatinnen durchgespielt, kommt der ent- tv diskurs 30 THEMA 63 scheidende Moment, in der die Moderatorin de 30 Sekunden Zeit, der Jury und dem Publi- zurück und geben als Grund die Suche nach Amanda Byram die Entscheidung der Jury be- kum mitzuteilen, warum ausgerechnet sie es dem „optimalen Fortpflanzungspartner“ (Sie- kannt gibt. Die Siegerin darf sich ausruhen, die verdient haben, der „Schwan“ zu werden. mens 2004) an oder bringen die Gene ins Spiel. Verliererin darf sich von ihren Angehörigen und Anschließend wird ein großer Umschlag ge- Soziologen haben festgestellt, dass schöne Freunden für ihr neues Aussehen bewundern zückt, und die Moderatorin verkündet zunächst Menschen im Leben erfolgreicher sind und so- lassen. In der achten Folge wurde die 31-jähri- die dritte, dann die zweite Siegerin und kürt gar mehr verdienen. „Attraktivität wird mit Leis- ge Kandidatin Tanya, die sich während der Be- damit automatisch den „Schwan“. In den USA tungsfähigkeit gleichgesetzt und gesellschaft- handlung als sehr depressiv entpuppt hatte, gewann die 27-jährige Rachel Love-Fraser, de- liche Anerkennung mit Schönheit“ (Wolf 2004, disqualifiziert, weil sie verbotenerweise einen ren Mann im Einführungsclip der ersten Epi- S. 25) oder, um es philosophisch auszudrücken: Spiegel in ihrem Zimmer versteckt hatte. Die sode gesagt hatte: „Sie ist ein wenig durch- „Das Ideal der Vollkommenheit setzt sich aus Struktur der Episoden zeigt, dass hier eine schnittlich.“ Die strahlende Siegerin wurde vom der Trias des Wahren, Schönen, Guten zusam- Showinszenierung für das Fernsehen vorliegt, Publikum gefeiert und den Fernsehzuschauern men und enthält die Hoffnung, dass Schönheit bei der die Kandidatinnen bestimmte Regeln mit zahlreichen Nahaufnahmen präsentiert. gut ist und glücklich macht“ (Brückner 1992, Sowohl in den einzelnen Episoden als auch S. 188). All das mag dazu beitragen, dass im Finale fällt auf, dass die Kandidatinnen sehr Schönheit an sich als Wert gilt. Daher haben Das große Finale folgt dem Muster klassi- emotionalisierend in Szene gesetzt werden. Menschen in allen Kulturen und zu allen Zeiten scher Misswahlen mit einer Vorentscheidung, Durch die Musik wird das noch unterstrichen. immer Hilfsmittel eingesetzt, um dem gerade einem Halbfinale und dem Finale. Im Gegen- Bereits in den Einführungsclips erzählen fast al- aktuellen Schönheitsideal zu entsprechen. Das satz zu den Episoden, die ca. 45 Minuten le von einem mehr oder weniger misslunge- verweist bereits auf einen entscheidenden Um- dauern, ist das Finale eine große Show vor nen Leben bzw. von schweren Schicksals- stand: Schönheitsideale wandeln sich und sind Publikum mit einer Länge von zwei Stunden. schlägen. Sie fühlen sich hässlich oder durch- in verschiedenen Kulturkreisen nicht identisch. Zunächst treten die neun Finalistinnen nach- schnittlich, brechen in Tränen ob ihres schwe- Das zeigt sich auch bei Schönheitsoperationen. einander im Abendkleid auf, nachdem per Ein- ren Lebens aus – und die Kamera ist immer nah Während z. B. in den USA Brustvergrößerun- spielfilm ein Rückblick auf das Vorher und die dabei. Dadurch werden – mehr noch in den gen bei dem weiblichen Geschlecht sehr be- Prozeduren ihrer „Verwandlung“ gezeigt wur- Episoden als im Finale – bewegende Momen- liebt sind, lassen sich Frauen in Brasilien die de. Ihr Auftritt wird von der Jury bewertet. In te für die Fernsehzuschauer geschaffen. Der Brust lieber verkleinern, weil dort „ein großer einer zweiten Runde treten sie im Bikini an. Da- Fokus liegt immer auf den Frauen selbst und Busen mit der Zugehörigkeit zur schwarzen Be- nach werden die sechs Halbfinalistinnen aus- ihrer Verwandlung. Dabei ist die Show bemüht, völkerung verknüpft ist“ (Brückner 1992) und gewählt. In der dritten Runde treten sie in De- den Zuschauern immer wieder das Vorher und damit auch Armut symbolisiert. In den plura- signerkleidern der Sponsorfirmen auf. In die- Nachher vor Augen zu führen. Auf die Spitze len, westlichen Gesellschaften gibt es kaum ser Runde müssen sie den Jurymitgliedern und getrieben wird dies im Finale, wenn die Kandi- noch allgemeine Schönheitsideale. Vielmehr der Moderatorin Rede und Antwort stehen. Die datinnen in Unterwäsche posieren. Dann wer- sind sie an die vorherrschenden Werte in ein- Fragen drehen sich um die Veränderungen, die den neben ihr aktuelles Bild Filmbilder von ih- zelnen Milieus und Szenen gebunden. Stehen sie durchgemacht haben. Die vierte Runde be- nen projiziert, in denen sie in grober, beige- bei Gothic-Anhängern schwarze Kleidung, steht aus zwei Teilen: Die Frauen werden in Ein- farbener Unterwäsche vor der Verwandlung zu schwarze Haare, bleiche Haut und zahlreiche spielfilmen bei einem Foto-Shooting gezeigt, sehen sind. Die Verwandlung vom hässlichen Piercings hoch im Kurs, haben im traditionel- anschließend müssen sie noch einmal in Un- Entlein zum Schwan bildet das Leitmotiv der len Arbeitermilieu braune Haut, zweckmäßige terwäsche über den Laufsteg gehen. Danach Show, auf das nicht nur visuell immer wieder Kleidung und Tattoos Konjunktur. Piercings und verkündet die Moderatorin, wer die drei Fina- hingewiesen, sondern auch von der Modera- Tattoos sind den Ritualen der Schönheit in den listinnen sind. Diese haben in der letzten Run- torin häufig erwähnt wird. Im großen Finale so genannten primitiven Gesellschaften nach- befolgen müssen. Der Spielcharakter tritt dadurch deutlich zutage. kündigt sie entsprechend die Kandidatinnen auch als Frauen an, die sich selbst als hässliche Entlein gesehen haben. Die Verwandlung zum Schwan sei ein Märchentraum aller Frauen. Makeover-Shows im Kontext von Schönheitsidealen „Schönheit hat von jeher eine magische Anziehungskraft“, so beginnt ein Artikel von Jochen Siemens (2004) im „Stern“, in dem er versucht, der „Macht der Schönheit“ auf die Spur zu kommen. Er schaut dabei bis in die Antike. Evolutionsbiologen gehen sogar noch weiter 4 | 2004 | 7. Jg. THEMA 64 empfunden und haben sich zunächst in den heitsoperationen und zur Schönheit, anderer- Subkulturen der „modernen Primitiven“ durch- seits ein kritischer Diskurs über das Fernsehen. gesetzt (vgl. Vale/Juno 1989). So genannte Das Ideal der Schönheit steht in diesen Dis- „Body Modifications“ begleiten die Gesell- kursen in Frage, zumindest der Aspekt der schaft seit Jahrhunderten. Neu ist, dass sie im- äußeren Schönheit. Im Kontext des Jugend- mer mehr auf medizinische Mittel zurückgrei- schutzes wird daraus eine sozialethische Des- fen (vgl. Featherstone 2000; Pitts 2000 und orientierung von Kindern und Jugendlichen 2003, S. 151ff.). Die Haltungen dazu sind je- abgeleitet, weil sie durch die Shows angeregt doch widersprüchlich. Während einige Frauen würden, einem falschen Schönheitsideal auf- der Auffassung sind, dass plastische Chirurgie zusitzen. Um schön zu sein, nähmen sie gar eine Kolonisation des Körpers von Frauen dar- Operationen in Kauf. Dazu verführt würden sie stellt, sehen andere es als eine Technologie, von den neuen Shows im Fernsehen, denen ei- die Frauen zu ihren eigenen Zielen und ne fast allmächtige Wirkkraft unterstellt wird. Zwecken benutzen können (vgl. Balsamo 1996, Diese kontroverse Diskussion wurde auch in S. 78). Die meisten Frauen streben jedoch den USA geführt. Dort fragte das Magazin maler Menschen geht, zeigt sich, dass das Fern- danach, aktuellen Idealen von Schönheit nach- „People“ schlicht: „Geht die TV-Schönheits- sehen mit seinen Shows den so genannten zueifern und werden so von Durchschnitts- chirurgie zu weit?“ (7. Juni 2004). Hinter der Durchschnittsbürgern Möglichkeiten eröffnet, frauen zu durchschnittlichen Schönheiten – ab- Frage steckt ein Diskurs darüber, was im Fern- die ihnen im Alltag nicht zur Verfügung stehen. gesehen von Ausnahmen wie der Performan- sehen gezeigt werden soll und was nicht. Doch Dieser Aspekt hat zwei Seiten: Der kritische Dis- ce-Künstlerin Orlan, die mit Hilfe eines Com- diese Diskussion geht an der gesellschaftlichen kurs beharrt darauf, dass darin eine Instru- puters das ideale Gesicht errechnen und sich Realität vorbei, weil sie die elementare Funk- mentalisierung der Menschen für Unterhal- danach in mehreren Operationen bzw. Perfor- tion des Fernsehens und der Medien auf ein tungs- oder Profitzwecke zu sehen ist; der Dis- mances modellieren ließ (vgl. Clarke 2000). einfaches „Gut-Böse-Muster“ reduziert. Die kurs der Menschen beharrt seinerseits darauf, Schönheitsoperationen sind mit dem Fortschritt Medien – insbesondere das Fernsehen – haben dass hier Chancen gewährt werden und die der Medizin zu einem (fast) alltäglichen Phäno- u. a. die Aufgabe, Themen in die öffentliche Möglichkeit gegeben ist, selbstbewusster zu men geworden. In den USA haben sich im ver- Diskussion zu bringen. Das geht in der plura- werden. gangenen Jahr 8,7 Millionen Menschen ope- len Gesellschaft umso besser, je mehr Aufmerk- Wichtig ist, den Diskurs der Menschen rieren lassen, in Deutschland waren es etwa samkeit erregt wird. Dazu bieten sich dann ver- ernst zu nehmen, weil nur so ein Verständnis 400.000. Hinter den Operationen stehen Wün- meintliche oder echte Tabubrüche an. für deren Motive, Bedürfnisse, Wünsche und sche und Sehnsüchte nach Schönheit. Diese Außerdem wird ein Diskurs in der Öffent- Sehnsüchte gelingen kann – und wichtiger Wünsche werden in den aktuellen Makeover- lichkeit kaum geführt, denn die Menschen, die noch: Respekt bekundet wird. Eine öffentliche Shows auch vom Fernsehen aufgegriffen und an den Shows teilnahmen, haben mit ihrer Sicht Diskussion über Werte und Normen in der Ge- entsprechend den aktuellen Formattrends auf- der Dinge im kritischen Diskurs keinen Platz. sellschaft wird so lange zu keinem Ergebnis bereitet. Das Beispiel The Swan zeigt, dass alle Teil- führen, wie dieses Ernstnehmen und dieser Re- nehmerinnen sich durchschnittlich oder gar spekt nicht gewährleistet sind. In Bezug auf die hässlich fanden – durchaus nicht unüblich, denn Debatte um den Jugendschutz allgemein und allein in Deutschland leidet knapp eine Million die Fernsehfreigaben für Makeover-Shows im In der öffentlichen Diskussion um diese neuen Menschen an „eingebildeter Hässlichkeit“, Besonderen sollte man nicht aufgrund einer Formate sind vor allem zwei Diskurse domi- Fachbegriff: Dysmorphophobie (von Bothmer ideologischen Brille den Blick für Bewertungs- nant: einerseits ein kritischer Diskurs zu Schön- 2004, S. 98). Die meisten Kandidatinnen hat- differenzen verlieren. In Bezug auf die Diskus- ten psychische Probleme, manche waren de- sionen um Gewalt in der Gesellschaft hat die pressiv. Für die Show wurden sie nicht nur ope- Soziologin Gertrud Nunner-Winkler festgestellt: riert, sondern auch trainiert, gecoacht und „Gewaltdefinitionen, bei denen die Verab- wichtiger noch: therapiert. In den Sendungen scheuungswürdigkeit konstitutiver Bestandteil wurde auch immer wieder betont, dass nicht der Begriffsbedeutung ist, gelangen zu keiner nur das Äußere bewertet werde, sondern die überhistorisch, interkulturell, ja nicht einmal in- „gesamte Verwandlung“. So war für alle Teil- terindividuell identischen Gegenstandsab- nehmerinnen der wichtigste Aspekt, dass sie grenzung, und das Phänomen der Bewertungs- an Selbstbewusstsein gewonnen hatten. Die differenzen bleibt ihnen als Forschungsfrage Kandidatin Kelly sagte bei der Entscheidung verschlossen“ (Nunner-Winkler 2004, S. 55). um die „Wild Card“ für das Finale: „Ich werde Wer in der Diskussion und Bewertung von jetzt mehr an meiner inneren Schönheit arbei- Makeover-Shows davon ausgeht, dass Fern- ten.“ Im Rahmen dieses Diskurses, bei dem es sehen und Schönheitsoperationen an sich ver- um eine Form der Selbstermächtigung nor- abscheuungswürdig sind, wird nicht mehr in Konkurrierende Wertediskurse tv diskurs 30 THEMA 65 Literatur: Balsamo, A.: Technologies of the Gendered Body. Reading Cyborg Women. Durham/London 1996. Bothmer, E. v.: Feind im Spiegel. In: Stern, 31, 21. Juli 2004, S. 98 f. Brückner, M.: Schönheit und Vergänglichkeit. In: F. Akashe-Böhme (Hrsg.): Reflexionen vor dem Spiegel. Frankfurt am Main 1992, S. 175 – 213. der Lage sein, Differenzen zwischen verschiedenen TV-Shows auszumachen. Auch in der Diskussion um die Shows, die Schönheitsoperationen thematisieren, lohnt es sich, sich davon frei zu machen und den genauen Blick zu wagen. Denn noch gilt das Prinzip der Einzelfallbewertung – und da vernebeln Pauschalurteile nur den Blick. Eine sozialethische Desorientierung der Jugendlichen wird eher durch ideologische Diskussionen gefördert als durch TV-Shows, die im Kontext zahlreicher anderer Medien genutzt werden. Prof. Dr. Lothar Mikos ist Professor für Fernsehwissenschaft an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) »Konrad Wolf« in Potsdam-Babelsberg und Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF). Clarke, J.: The Sacrificial Body of Orlan. In: M. Featherstone (Hrsg.): Body Modification. London u. a. 2000, S. 185 – 207. Eggert, J.: Die Docusoap. Analyse eines neuen Fernsehgenres. Diplomarbeit an der Hochschule für Film und Fernsehen »Konrad Wolf«. Potsdam-Babelsberg 1999. Featherstone, M.: Body Modification. An Introduction. In: Ders. (Hrsg.): Body Modification. London u. a. 2000, S. 1 – 13. Göttlich, U.: Produzierte Wirklichkeiten. Zur Entwicklung der Fernsehproduktion am Beispiel von Factual Entertainment Angeboten. In: M. Friedrichsen/U. Göttlich (Hrsg.): Diversifikation in der Unterhaltungsproduktion. Köln 2004, S. 124 – 141. KJM: Schönheitsoperationen im Fernsehen nicht vor 23.00 Uhr. KJM fasst Grundsatzbeschluss. KJM-Pressemitteilung vom 21. Juli 2004 (2004a). KJM: KJM prüft drei Folgen von I Want a Famous Face und eine Big Brother-Folge: Jugendschutzverstöße festgestellt. KJM-Pressemitteilung vom 9. August 2004 (2004b). Lücke, S.: Real Life Soaps. Ein neues Genre des Reality-TV. Münster u. a. 2002. Vale, V. /Juno, A. (Hrsg.): Modern Primitives. An Investigation of Contemporary Adornment & Ritual. San Francisco 1989. Wolf, P.: Schönheit, die von außen kommt. In: Der Tagesspiegel vom 28. August 2004, S. 25. Mikos, L. /Feise, P. / Herzog, K. /Prommer, E. / Veihl, V.: Im Auge der Kamera. 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