L.Mikos: "Oh mein Gott, bin ich schön! – Schönheit, Fernsehshows

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L.Mikos: "Oh mein Gott, bin ich schön! – Schönheit, Fernsehshows
THEMA
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Lothar Mikos
„Oh mein Gott! Bin ich schön!“
S C H Ö N H E I T, F E R N S E H S H O W S U N D M E D I E N D I S K U R S E
Als am 21. Juli 2004 die Kommission für Ju-
den Sendungen gar nicht gesehen hatten. Die
TV-Formaten. Daraus werden allgemeine Emp-
gendmedienschutz (KJM) verkündete, dass
moralische Brille verstellte den genauen Blick
fehlungen für die Prüfpraxis im Jugendschutz
Fernsehformate, „in denen Schönheitsopera-
auf die betreffenden Formate, die teilweise in
abgeleitet.
tionen zu Unterhaltungszwecken angeregt,
Deutschland ja noch gar nicht zu sehen waren.
durchgeführt und begleitet werden, grund-
Wenn es allerdings wie im Jugendschutz dar-
Schönheitsoperationen zwischen
sätzlich nicht vor 23.00 Uhr gezeigt werden“
um geht, differenzierte Bewertungen zu neu-
Information und Unterhaltung
dürften (KJM 2004a), folgte ein enormes Rau-
en Show- und Reality-Formaten abzugeben
schen im öffentlichen Diskurswald. Die mora-
(und keine pauschalen Abqualifizierungen),
Schönheitsoperationen sind bereits seit Jah-
lische Empörung über das vermeintlich ver-
dann sollte die moralische Brille abgelegt und
ren Thema im Fernsehen. Einerseits wurden
werfliche Tun der Fernsehsender erreichte neue
die Lese- bzw. Verständnisbrille aufgesetzt wer-
seit den 90er Jahren in den täglichen Talkshows
Höhepunkte, vor allem bei (selbst) ernannten
den – denn: Sonst wird man weder den For-
immer wieder auch operative Eingriffe in den
Jugendschützern, Vertretern öffentlich-recht-
maten, den Kindern und Jugendlichen, noch
Körper diskutiert, andererseits berichteten die
licher Sender und Politikern. Die Presse griff
dem notwendigen Diskurs über Normen und
Boulevardmagazine fast täglich über die gelif-
das Thema zwar auf, hielt sich aber mehrheit-
Werte einer freiheitlich orientierten, pluralen
teten und umoperierten Körper der Stars und
lich vornehm zurück – verständlich, lebt doch
Gesellschaft gerecht.
Sternchen, die zwischen Bolly- und Hollywood
gerade die Boulevardpresse auch davon, über
Im Folgenden soll daher der Versuch un-
ebenso schnell aufflammen wie sie verglühen.
Schönheitsoperationen von Prominenten zu
ternommen werden, die betreffenden Shows
Popmusiker wie Cher und Michael Jackson wur-
berichten. Diejenigen, die sich öffentlich zu
in die Entwicklung von TV-Formaten und -Gen-
den aufgrund ihrer vielen (gesicherten und ver-
Wort meldeten, benutzten einmal mehr das Ar-
res zu Beginn des 21. Jahrhunderts einzuord-
muteten) Schönheitsoperationen an Nase,
gument des Jugendschutzes und der ver-
nen. Anschließend soll das Hybrid-Format The
Brust und/ oder Po sowie Hautbleichungen
meintlich sozialethisch desorientierenden Wir-
Swan näher betrachtet werden, bevor die The-
auch schon manchmal als Wunderwerke der
kung von Shows und anderen Sendungen, die
matisierung von Schönheitsoperationen im
Medizin oder als Gesamtkunstwerk bezeichnet
Schönheitsoperationen thematisierten, auf Kin-
Fernsehen in den Zusammenhang gesell-
– ganz zu schweigen von den Silikonbrüsten ei-
der und Jugendliche, um Geschmacksfragen
schaftlicher Schönheitsideale gestellt wird. Ab-
ner Pamela Anderson, die als Baywatch-Nixe
zu diskutieren.* Außerdem zeigte sich, dass vie-
schließend spielt der Kontext der Wertedis-
auch auf deutschen Bildschirmen zu bewun-
le, die sich zu Wort meldeten, die betreffen-
kussionen eine Rolle für den Umgang mit den
dern war. Talkshows und Boulevardmagazine
Anmerkung:
*
Anfang August 2004 beanstandete die KJM zwei
Folgen der Serie I Want a
Famous Face (MTV) sowie
eine Ausgabe der RealityShow Big Brother (RTL II), in
der ein plastischer Chirurg
ein Informations- und Beratungsgespräch mit den Bewohnern des Hauses geführt
hat (vgl. KJM 2004b).
Diese und die folgenden Abbildungen zeigen Impressionen aus der amerikanischen Show The Swan.
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des Reality-TVs, wie wir es seit Aktenzeichen XY
… ungelöst (ZDF) kennen – teilweise mit nachgestellten Szenen arbeiten. Bei der RTL II-Sendung kann man sich streiten, ob es sich um eine Doku-Reihe oder eine Doku-Soap handelt,
wie der Sender sie ankündigt. In ihr werden Personen begleitet, die sich unter das plastischchirurgische Messer legen. Dabei werden in
der Inszenierung fiktionalisierende und emotionalisierende Elemente eingesetzt. Der dokumentarische Charakter steht jedoch eindeutig im Vordergrund. Etwas anders verhält
es sich mit I Want a Famous Face, das von MTV
als Show angekündigt wird – aber das macht
sind weder der Unterhaltung noch der Infor-
Inszenierungsweisen in den so genannten Do-
MTV mit fast allen Sendungen, die nicht Musik-
mation, sondern dem Mischbereich des Info-
ku-Soaps, die reale Ereignisse nach den Regeln
clips aneinander reihen. In den sechs Ausga-
tainments zuzuordnen. Zum klassischen Infor-
von Daily Soaps inszenieren (vgl. Eggert 1999;
ben der Sendung wird gezeigt, wie junge Er-
mationsbereich gehören Politik- und Gesund-
Lücke 2002), kann fast jedes beliebige Thema
wachsene ihren Körper mit Hilfe von Schön-
heitsmagazine, die mit dem Anspruch der Auf-
Gegenstand von Formaten sein, die gemisch-
heitsoperationen so umformen lassen, dass sie
klärung vor allem über Risiken und Gefahren
te Wirklichkeiten präsentieren. Eine neue Qua-
ihrem Idol (manchmal mehr, manchmal weni-
von Schönheitsoperationen berichteten – und
lität wurde im Jahr 2000 mit der ersten Real
ger) ähnlich sehen. Da möchte eine 27-jährige
dies auch zeigten.
Life Soap bzw. Real Life Show Big Brother (RTL
Amateursängerin wie Britney Spears aussehen
Die neuen Shows, die sich Schönheitsope-
II) erreicht, in der Menschen nicht mehr wie
und lässt sich ihre Brüste vergrößern, eine 21-
rationen widmen, geraten in eine Zeit, in der
noch bei den Doku-Soaps in ihrem privaten
Jährige lässt sich Fett absaugen, um ihrem Idol
es keine klare Trennung von Information und
oder beruflichen Alltag gezeigt, sondern in ein
Kate Winslet ähnlicher zu werden. Beliebt sind
Unterhaltung sowie von Fakten und Fiktion im
künstlich, für die Medieninszenierung ge-
auch Brad Pitt, Elvis Presley und Pamela An-
Fernsehen mehr gibt – im angloamerikanischen
schaffenes Setting gesteckt wurden, in das
derson als Vorbilder. Ein Transsexueller, der ge-
Raum wird daher auch von „Factual Televisi-
auch Bestandteile von Gameshows integriert
nerell eine Geschlechtsumwandlung anstrebt,
on“ bzw. „Factual Entertainment“ gesprochen
waren (vgl. Mikos u. a. 2000). Es würde zu weit
lässt sich nach dem Vorbild von Jennifer Lopez
(vgl. Göttlich 2004 und den Beitrag von An-
führen, hier alle neueren Entwicklungen im Un-
gestalten. Bestandteile der Sendung sind All-
nette Hill in diesem Heft, S. 4 ff.). Es gibt immer
terhaltungsfernsehen aufzuzählen. Allerdings
tagsszenen aus dem Leben der jungen Men-
mehr so genannte Hybrid-Formate, d. h. Sen-
soll auf vier Trends hingewiesen werden, die
schen, die Operationen werden ästhetisch ver-
dungen, die sich aus Elementen verschiedener
auch für die mit Schönheitsoperationen ver-
fremdet (schnelle Schnitte, Musik) gezeigt, Part-
Genres zusammensetzen und dabei Fakten und
bundenen Shows von Bedeutung sind:
ner und Freunde werden befragt. Grundsätz-
Fiktion mischen. Dabei wird allerdings nur of-
lich handelt es sich bei der Sendung nicht um
fensichtlich, dass Fakten schon immer inszeniert
1) Im Mittelpunkt der meisten Shows stehen
eine Show, sondern der dokumentarische Cha-
und medial bearbeitet waren, während fiktio-
nicht Prominente, sondern Normalbürger.
rakter steht eindeutig im Vordergrund. Die Sen-
nale Sendeformen schon immer auch infor-
2) Diese normalen Menschen sind zuneh-
dung stellt daher eine Doku-Reihe dar, in den
mierend und orientierend gewesen sind. Seit
mend mit ihrem Privat- und Intimleben in
einzelnen Folgen wird aber nach dem Muster
der Vermischung von Fakten und fiktionalen
den Formaten präsent.
von Doku-Soaps inszeniert.
3) Die Formate greifen Wünsche und
Sehnsüchte der Normalbürger auf.
4) Auch ernste Themen werden zunehmend
in Spielkontexten präsentiert.
Wenn wir uns den Shows um Schönheitsoperationen zuwenden, geht es im Wesentlichen
um vier Sendungen, von denen zwei bereits im
deutschen Fernsehen zu sehen waren. Bei den
beiden Letzteren handelt es sich um I Want a
Famous Face (seit Anfang Juli 2004 auf MTV)
und Schönheit um jeden Preis – Letzte Hoffnung Skalpell (seit Mitte August auf RTL II). Beide Sendungen haben dokumentarischen Charakter, auch wenn sie – ganz in der Tradition
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Die beiden Sendungen, die bis zum Herbst
nen die Experten (plastische Chirurgen, kos-
2004 noch nicht im deutschen Fernsehen zu
metische Zahnärzte, Fitnesstrainer, Therapeu-
sehen waren, aber im Vorfeld bereits diskutiert
ten und der Swan-Coach) eine für das Finale
wurden, waren in den USA sehr erfolgreich. Es
auswählen. Im Finale wetteifern dann die acht
handelt sich um die Reality-Show Extreme
Siegerinnen aus den Einzelepisoden und die
Makeover, mit der der Sender ABC mehr als
beste Verliererin dank einer so genannten
10 Millionen Zuschauer erreichen konnte, und
„Wild Card“ in einem klassischen Schönheits-
um die Casting-Show The Swan, mit dem Fox
wettbewerb miteinander. Eine fünfköpfige Jury
bis zu 15 Millionen Zuschauer erreichte. Die
(Vertreter von Model-Agenturen, Presse, Mo-
ABC-Show startet in Deutschland mit dem Ti-
defotografie usw.) bewerten die Kandidatin-
tel Alles ist möglich bei RTL als Eigenproduk-
nen. Am Ende wird dann „der Schwan“ gekürt.
tion. The Swan erlebt seinen deutschen Able-
Die glückliche Siegerin in den USA durfte zahl-
ger bei ProSieben. Bei Extreme Makeover er-
reiche Preise mit nach Hause nehmen, u. a. ei-
halten Kandidaten die Möglichkeit, ihren Stil
nen Vertrag mit einer Model-Agentur, ein Auto
und ihr Aussehen komplett überarbeiten zu las-
sowie 50.000 Dollar in bar plus ein Stipendium
lung bereits knapp drei Monate abgeschirmt
sen. Sie werden von einem Team aus Schön-
in Höhe von 50.000 Dollar an einer Universität.
von der Familie in einem Apartmentkomplex
heitschirurgen, Hair-Stylisten, Make-up-Exper-
Soweit das Grundkonzept der Show, das dem
im kalifornischen Marina Del Rey verbracht.
ten und persönlichen Trainern beraten. Jede
Märchen von Hans Christian Andersen vom
Dort waren alle Spiegel und spiegelnden
Episode beobachtet zwei Kandidaten, die in
hässlichen Entlein, das sich in einen schönen
Flächen entfernt, so dass sich die Frauen nicht
einem Vorher-Nachher-Effekt gezeigt werden.
Schwan verwandelt, nachempfunden ist.
vor ihrem Auftritt begutachten konnten. Sie
Sie präsentieren sich dann ihren Familien und
Wenn von The Swan gesprochen wird,
nahmen ferner an wöchentlichen Therapiesit-
Freunden. Zusätzlich gibt es Styling- und Fit-
muss zwischen den acht Folgen, in denen je-
zungen teil und durften pro Woche zehn Mi-
ness-Tipps für die Zuschauer. Es handelt sich
weils zwei Kandidatinnen gegeneinander an-
nuten mit ihren Angehörigen telefonieren. In
um eine Mischung aus Doku-Soap, Show und
treten, und dem Finale, das auch als „Schwan-
den Shows wird in einem etwa 15-minütigen
Lifestyle-Sendung. Damit verbinden sich Ele-
Spektakel“ betitelt war, differenziert werden,
Zusammenschnitt gezeigt, wie sie operiert und
mente des Boulevard-TV mit Unterhaltung und
denn sie zeigen unterschiedliche Strukturen.
therapiert wurden, aber auch, wie sie damit zu-
unterhaltender Dokumentation.
In den einzelnen Episoden werden zunächst
rechtgekommen sind. Schmerzen und Depres-
die beiden Kandidatinnen vorgestellt, das Ex-
sionen der Frauen werden dabei nicht ausge-
pertenteam gibt bekannt, welche Maßnahmen
spart. Die zweite Hälfte der Episoden besteht
für die jeweilige Person geplant sind (vom Fett-
aus dem Auftritt der „transformierten“ Frauen.
Die Grundidee von Extreme Makeover wird bei
absaugen über Brustvergrößerung, Zähne-
Nun dürfen sie das erste Mal in einen Spiegel
The Swan mit einer Casting-Show kombiniert.
bleichen bis zum Diät- und Fitnessprogramm).
schauen. Dieser Moment ist sehr emotional in-
In einem Casting, bei dem sich mehr als
In den Vorstellungsvideos erzählen die Frauen
szeniert. Die Frauen müssen sich vor dem Spie-
200.000 Amerikanerinnen bewarben, wurden
von ihrem bisherigen Leben und warum sie sich
gel aufbauen, der noch von einem roten Samt-
16 Kandidatinnen ausgewählt. Sie unterzogen
chirurgisch verschönern lassen wollen. Alle
vorhang verdeckt ist. Beim Gang zum Spiegel
sich einer so genannten „Overall Transforma-
Kandidatinnen sind so genannte Durchschnitts-
beginnt die Kamera um sie zu kreisen und zeigt
tion“. Dazu zählen zahlreiche Schönheitsope-
frauen – viele mit Familie und Kindern –, die ar-
sie in Obersicht. Dadurch sehen sie sehr ver-
rationen, Fitnesstraining, Diät, Psychotherapie
beitslos sind oder als Büroangestellte, Stewar-
loren und unsicher aus. Wenn sie vor dem Spie-
und Coaching. In acht Folgen der Show treten
dess oder Krankenschwester arbeiten. Die Kan-
gel stehen, ist die Kamera nah bei ihnen. Kur-
jeweils zwei Frauen gegeneinander an, von de-
didatinnen haben zum Zeitpunkt der Ausstrah-
ze Einblendungen zeigen in Nahaufnahme, wie
The Swan – ein Märchen als TV-Show
sie die Fäuste ballen bzw. sich selbst die Daumen drücken. Öffnet sich der Vorhang, sieht
man die Frauen über eine Hinter-Spiegel-Kamera, die sie in wechselnden Einstellungen von
Kopf bis Fuß zeigt, aber immer wieder nah an
die Gesichter der Frauen geht, um auch keine
Gefühlsregung zu verpassen. Die Reaktionen
der Frauen ähneln sich: Fast alle sagen als Erstes „Oh mein Gott!“, um dann den Ausruf: „Bin
ich schön!“ oder: „Ich sehe so schön aus!“ folgen zu lassen. Unterlegt sind diese Szenen mit
zunächst dramatisierender und dann sehr emotionalisierender Musik. Ist dies bei beiden Kandidatinnen durchgespielt, kommt der ent-
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scheidende Moment, in der die Moderatorin
de 30 Sekunden Zeit, der Jury und dem Publi-
zurück und geben als Grund die Suche nach
Amanda Byram die Entscheidung der Jury be-
kum mitzuteilen, warum ausgerechnet sie es
dem „optimalen Fortpflanzungspartner“ (Sie-
kannt gibt. Die Siegerin darf sich ausruhen, die
verdient haben, der „Schwan“ zu werden.
mens 2004) an oder bringen die Gene ins Spiel.
Verliererin darf sich von ihren Angehörigen und
Anschließend wird ein großer Umschlag ge-
Soziologen haben festgestellt, dass schöne
Freunden für ihr neues Aussehen bewundern
zückt, und die Moderatorin verkündet zunächst
Menschen im Leben erfolgreicher sind und so-
lassen. In der achten Folge wurde die 31-jähri-
die dritte, dann die zweite Siegerin und kürt
gar mehr verdienen. „Attraktivität wird mit Leis-
ge Kandidatin Tanya, die sich während der Be-
damit automatisch den „Schwan“. In den USA
tungsfähigkeit gleichgesetzt und gesellschaft-
handlung als sehr depressiv entpuppt hatte,
gewann die 27-jährige Rachel Love-Fraser, de-
liche Anerkennung mit Schönheit“ (Wolf 2004,
disqualifiziert, weil sie verbotenerweise einen
ren Mann im Einführungsclip der ersten Epi-
S. 25) oder, um es philosophisch auszudrücken:
Spiegel in ihrem Zimmer versteckt hatte. Die
sode gesagt hatte: „Sie ist ein wenig durch-
„Das Ideal der Vollkommenheit setzt sich aus
Struktur der Episoden zeigt, dass hier eine
schnittlich.“ Die strahlende Siegerin wurde vom
der Trias des Wahren, Schönen, Guten zusam-
Showinszenierung für das Fernsehen vorliegt,
Publikum gefeiert und den Fernsehzuschauern
men und enthält die Hoffnung, dass Schönheit
bei der die Kandidatinnen bestimmte Regeln
mit zahlreichen Nahaufnahmen präsentiert.
gut ist und glücklich macht“ (Brückner 1992,
Sowohl in den einzelnen Episoden als auch
S. 188). All das mag dazu beitragen, dass
im Finale fällt auf, dass die Kandidatinnen sehr
Schönheit an sich als Wert gilt. Daher haben
Das große Finale folgt dem Muster klassi-
emotionalisierend in Szene gesetzt werden.
Menschen in allen Kulturen und zu allen Zeiten
scher Misswahlen mit einer Vorentscheidung,
Durch die Musik wird das noch unterstrichen.
immer Hilfsmittel eingesetzt, um dem gerade
einem Halbfinale und dem Finale. Im Gegen-
Bereits in den Einführungsclips erzählen fast al-
aktuellen Schönheitsideal zu entsprechen. Das
satz zu den Episoden, die ca. 45 Minuten
le von einem mehr oder weniger misslunge-
verweist bereits auf einen entscheidenden Um-
dauern, ist das Finale eine große Show vor
nen Leben bzw. von schweren Schicksals-
stand: Schönheitsideale wandeln sich und sind
Publikum mit einer Länge von zwei Stunden.
schlägen. Sie fühlen sich hässlich oder durch-
in verschiedenen Kulturkreisen nicht identisch.
Zunächst treten die neun Finalistinnen nach-
schnittlich, brechen in Tränen ob ihres schwe-
Das zeigt sich auch bei Schönheitsoperationen.
einander im Abendkleid auf, nachdem per Ein-
ren Lebens aus – und die Kamera ist immer nah
Während z. B. in den USA Brustvergrößerun-
spielfilm ein Rückblick auf das Vorher und die
dabei. Dadurch werden – mehr noch in den
gen bei dem weiblichen Geschlecht sehr be-
Prozeduren ihrer „Verwandlung“ gezeigt wur-
Episoden als im Finale – bewegende Momen-
liebt sind, lassen sich Frauen in Brasilien die
de. Ihr Auftritt wird von der Jury bewertet. In
te für die Fernsehzuschauer geschaffen. Der
Brust lieber verkleinern, weil dort „ein großer
einer zweiten Runde treten sie im Bikini an. Da-
Fokus liegt immer auf den Frauen selbst und
Busen mit der Zugehörigkeit zur schwarzen Be-
nach werden die sechs Halbfinalistinnen aus-
ihrer Verwandlung. Dabei ist die Show bemüht,
völkerung verknüpft ist“ (Brückner 1992) und
gewählt. In der dritten Runde treten sie in De-
den Zuschauern immer wieder das Vorher und
damit auch Armut symbolisiert. In den plura-
signerkleidern der Sponsorfirmen auf. In die-
Nachher vor Augen zu führen. Auf die Spitze
len, westlichen Gesellschaften gibt es kaum
ser Runde müssen sie den Jurymitgliedern und
getrieben wird dies im Finale, wenn die Kandi-
noch allgemeine Schönheitsideale. Vielmehr
der Moderatorin Rede und Antwort stehen. Die
datinnen in Unterwäsche posieren. Dann wer-
sind sie an die vorherrschenden Werte in ein-
Fragen drehen sich um die Veränderungen, die
den neben ihr aktuelles Bild Filmbilder von ih-
zelnen Milieus und Szenen gebunden. Stehen
sie durchgemacht haben. Die vierte Runde be-
nen projiziert, in denen sie in grober, beige-
bei Gothic-Anhängern schwarze Kleidung,
steht aus zwei Teilen: Die Frauen werden in Ein-
farbener Unterwäsche vor der Verwandlung zu
schwarze Haare, bleiche Haut und zahlreiche
spielfilmen bei einem Foto-Shooting gezeigt,
sehen sind. Die Verwandlung vom hässlichen
Piercings hoch im Kurs, haben im traditionel-
anschließend müssen sie noch einmal in Un-
Entlein zum Schwan bildet das Leitmotiv der
len Arbeitermilieu braune Haut, zweckmäßige
terwäsche über den Laufsteg gehen. Danach
Show, auf das nicht nur visuell immer wieder
Kleidung und Tattoos Konjunktur. Piercings und
verkündet die Moderatorin, wer die drei Fina-
hingewiesen, sondern auch von der Modera-
Tattoos sind den Ritualen der Schönheit in den
listinnen sind. Diese haben in der letzten Run-
torin häufig erwähnt wird. Im großen Finale
so genannten primitiven Gesellschaften nach-
befolgen müssen. Der Spielcharakter tritt dadurch deutlich zutage.
kündigt sie entsprechend die Kandidatinnen
auch als Frauen an, die sich selbst als hässliche
Entlein gesehen haben. Die Verwandlung zum
Schwan sei ein Märchentraum aller Frauen.
Makeover-Shows im Kontext von
Schönheitsidealen
„Schönheit hat von jeher eine magische Anziehungskraft“, so beginnt ein Artikel von Jochen Siemens (2004) im „Stern“, in dem er versucht, der „Macht der Schönheit“ auf die Spur
zu kommen. Er schaut dabei bis in die Antike.
Evolutionsbiologen gehen sogar noch weiter
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empfunden und haben sich zunächst in den
heitsoperationen und zur Schönheit, anderer-
Subkulturen der „modernen Primitiven“ durch-
seits ein kritischer Diskurs über das Fernsehen.
gesetzt (vgl. Vale/Juno 1989). So genannte
Das Ideal der Schönheit steht in diesen Dis-
„Body Modifications“ begleiten die Gesell-
kursen in Frage, zumindest der Aspekt der
schaft seit Jahrhunderten. Neu ist, dass sie im-
äußeren Schönheit. Im Kontext des Jugend-
mer mehr auf medizinische Mittel zurückgrei-
schutzes wird daraus eine sozialethische Des-
fen (vgl. Featherstone 2000; Pitts 2000 und
orientierung von Kindern und Jugendlichen
2003, S. 151ff.). Die Haltungen dazu sind je-
abgeleitet, weil sie durch die Shows angeregt
doch widersprüchlich. Während einige Frauen
würden, einem falschen Schönheitsideal auf-
der Auffassung sind, dass plastische Chirurgie
zusitzen. Um schön zu sein, nähmen sie gar
eine Kolonisation des Körpers von Frauen dar-
Operationen in Kauf. Dazu verführt würden sie
stellt, sehen andere es als eine Technologie,
von den neuen Shows im Fernsehen, denen ei-
die Frauen zu ihren eigenen Zielen und
ne fast allmächtige Wirkkraft unterstellt wird.
Zwecken benutzen können (vgl. Balsamo 1996,
Diese kontroverse Diskussion wurde auch in
S. 78). Die meisten Frauen streben jedoch
den USA geführt. Dort fragte das Magazin
maler Menschen geht, zeigt sich, dass das Fern-
danach, aktuellen Idealen von Schönheit nach-
„People“ schlicht: „Geht die TV-Schönheits-
sehen mit seinen Shows den so genannten
zueifern und werden so von Durchschnitts-
chirurgie zu weit?“ (7. Juni 2004). Hinter der
Durchschnittsbürgern Möglichkeiten eröffnet,
frauen zu durchschnittlichen Schönheiten – ab-
Frage steckt ein Diskurs darüber, was im Fern-
die ihnen im Alltag nicht zur Verfügung stehen.
gesehen von Ausnahmen wie der Performan-
sehen gezeigt werden soll und was nicht. Doch
Dieser Aspekt hat zwei Seiten: Der kritische Dis-
ce-Künstlerin Orlan, die mit Hilfe eines Com-
diese Diskussion geht an der gesellschaftlichen
kurs beharrt darauf, dass darin eine Instru-
puters das ideale Gesicht errechnen und sich
Realität vorbei, weil sie die elementare Funk-
mentalisierung der Menschen für Unterhal-
danach in mehreren Operationen bzw. Perfor-
tion des Fernsehens und der Medien auf ein
tungs- oder Profitzwecke zu sehen ist; der Dis-
mances modellieren ließ (vgl. Clarke 2000).
einfaches „Gut-Böse-Muster“ reduziert. Die
kurs der Menschen beharrt seinerseits darauf,
Schönheitsoperationen sind mit dem Fortschritt
Medien – insbesondere das Fernsehen – haben
dass hier Chancen gewährt werden und die
der Medizin zu einem (fast) alltäglichen Phäno-
u. a. die Aufgabe, Themen in die öffentliche
Möglichkeit gegeben ist, selbstbewusster zu
men geworden. In den USA haben sich im ver-
Diskussion zu bringen. Das geht in der plura-
werden.
gangenen Jahr 8,7 Millionen Menschen ope-
len Gesellschaft umso besser, je mehr Aufmerk-
Wichtig ist, den Diskurs der Menschen
rieren lassen, in Deutschland waren es etwa
samkeit erregt wird. Dazu bieten sich dann ver-
ernst zu nehmen, weil nur so ein Verständnis
400.000. Hinter den Operationen stehen Wün-
meintliche oder echte Tabubrüche an.
für deren Motive, Bedürfnisse, Wünsche und
sche und Sehnsüchte nach Schönheit. Diese
Außerdem wird ein Diskurs in der Öffent-
Sehnsüchte gelingen kann – und wichtiger
Wünsche werden in den aktuellen Makeover-
lichkeit kaum geführt, denn die Menschen, die
noch: Respekt bekundet wird. Eine öffentliche
Shows auch vom Fernsehen aufgegriffen und
an den Shows teilnahmen, haben mit ihrer Sicht
Diskussion über Werte und Normen in der Ge-
entsprechend den aktuellen Formattrends auf-
der Dinge im kritischen Diskurs keinen Platz.
sellschaft wird so lange zu keinem Ergebnis
bereitet.
Das Beispiel The Swan zeigt, dass alle Teil-
führen, wie dieses Ernstnehmen und dieser Re-
nehmerinnen sich durchschnittlich oder gar
spekt nicht gewährleistet sind. In Bezug auf die
hässlich fanden – durchaus nicht unüblich, denn
Debatte um den Jugendschutz allgemein und
allein in Deutschland leidet knapp eine Million
die Fernsehfreigaben für Makeover-Shows im
In der öffentlichen Diskussion um diese neuen
Menschen an „eingebildeter Hässlichkeit“,
Besonderen sollte man nicht aufgrund einer
Formate sind vor allem zwei Diskurse domi-
Fachbegriff: Dysmorphophobie (von Bothmer
ideologischen Brille den Blick für Bewertungs-
nant: einerseits ein kritischer Diskurs zu Schön-
2004, S. 98). Die meisten Kandidatinnen hat-
differenzen verlieren. In Bezug auf die Diskus-
ten psychische Probleme, manche waren de-
sionen um Gewalt in der Gesellschaft hat die
pressiv. Für die Show wurden sie nicht nur ope-
Soziologin Gertrud Nunner-Winkler festgestellt:
riert, sondern auch trainiert, gecoacht und
„Gewaltdefinitionen, bei denen die Verab-
wichtiger noch: therapiert. In den Sendungen
scheuungswürdigkeit konstitutiver Bestandteil
wurde auch immer wieder betont, dass nicht
der Begriffsbedeutung ist, gelangen zu keiner
nur das Äußere bewertet werde, sondern die
überhistorisch, interkulturell, ja nicht einmal in-
„gesamte Verwandlung“. So war für alle Teil-
terindividuell identischen Gegenstandsab-
nehmerinnen der wichtigste Aspekt, dass sie
grenzung, und das Phänomen der Bewertungs-
an Selbstbewusstsein gewonnen hatten. Die
differenzen bleibt ihnen als Forschungsfrage
Kandidatin Kelly sagte bei der Entscheidung
verschlossen“ (Nunner-Winkler 2004, S. 55).
um die „Wild Card“ für das Finale: „Ich werde
Wer in der Diskussion und Bewertung von
jetzt mehr an meiner inneren Schönheit arbei-
Makeover-Shows davon ausgeht, dass Fern-
ten.“ Im Rahmen dieses Diskurses, bei dem es
sehen und Schönheitsoperationen an sich ver-
um eine Form der Selbstermächtigung nor-
abscheuungswürdig sind, wird nicht mehr in
Konkurrierende Wertediskurse
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THEMA
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Diskussion um die Shows, die Schönheitsoperationen thematisieren, lohnt es sich, sich davon
frei zu machen und den genauen Blick zu wagen. Denn noch gilt das Prinzip der Einzelfallbewertung – und da vernebeln Pauschalurteile nur den Blick. Eine sozialethische Desorientierung der Jugendlichen wird eher durch ideologische Diskussionen gefördert als durch
TV-Shows, die im Kontext zahlreicher anderer
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Prof. Dr. Lothar Mikos ist Professor für Fernsehwissenschaft an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF)
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Siehe http://www.stern.de/
unterhaltung/buecher/index.html?id=529181 (Zugriff
am 7. September 2004).
4 | 2004 | 7. Jg.