21.12., Mosaik-Gottesdienst zu Paul Gerhardt, Pfarrerin Gilch

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21.12., Mosaik-Gottesdienst zu Paul Gerhardt, Pfarrerin Gilch
Mosaik- Gottesdienst am 21.12.2014 in der Kreuzkirche Reutlingen
zu Paul Gerhardt – Pfarrer und Liederdichter
Pfarrerin Astrid Gilch-Messerer und Team
1. Die persönliche Situation von Paul Gerhardt Paul Gerhard wird 1607 als zweites von vier Kindern in Gräfenhainichen in Sachsen
geboren.
Die Mutter entstammt einer Pfarrersfamilie, der Vater ist Gastwirt, Bürgermeister und
Landwirt.
Der kleine Paul kommt in der Gaststätte schon früh mit den unterschiedlichsten
Charakteren und Lebensgeschichten in Kontakt, was ihn sehr prägt.
Als Elfjähriger erlebt er den Ausbruch des 30-jährigen Krieges, der ihm nur wenige Jahre
später Vater und Mutter nimmt.
Mit 14 Jahren ist er Vollwaise. Er hat aber das Glück, die Fürstenschule in Grimma
besuchen zu dürfen.
Die Pest rafft seine Mitschüler und Lehrer dahin; er selbst hält tapfer durch.
Die frühen Erfahrungen von Krieg, Krankheit und Tod beeinflussen sein Leben und
Schaffen nachhaltig. Seine späteren Gedichte wie "Befiehl du deine Wege" oder "Ich bin
ein Gast auf Erden" geben Zeugnis hiervon.
Nach seinem Schulabschluss im Jahr 1627 studiert Paul Gerhardt Theologie in
Wittenberg. Da er wegen des knappen Angebotes viele Jahre auf eine Stelle als Pfarrer
warten muss, arbeitet er zwischenzeitlich als Hauslehrer.
Mit 48 Jahren heiratet Paul Gerhardt. Seine Frau Anna Maria Berthold ist die Tochter
seines Arbeitgebers und 15 Jahre jünger als er selbst. Sie schenkt ihm 5 Kinder. Von
diesen 5 Kindern sterben 4 im Säuglings- oder Kleinkindalter. Seinen Schmerz über den
Tod seiner Kinder beschreibt er mit folgenden Worten:
"Ach, es ist ein bittres Leiden
und ein rechter Myrrhentrank,
sich von seinem Kind zu scheiden
durch den schweren Todesgang!
Hier geschieht ein Herzensbrechen,
das kein Mund recht kann aussprechen.
Doch Paul Gerhardt bleibt bei der Klage nicht stehen.
Vielmehr vermag er durch seinen starken Glauben an Gott Worte der Hoffnung und des
Trostes für sich und andere zu finden. So schreibt er das Gedicht "Geh aus, mein Herz,
und suche Freud..." - ein Loblied über die Schönheit der Schöpfung, das vielen von uns
als Sommerlied bekannt ist.
Für Paul Gerhardt ist die Schöpfung in ihrer Schönheit ein Gleichnis für die Ewigkeit.
Wenn es hier schon so schön ist auf Erden – um wie viel schöner wird es erst in der
Ewigkeit sein!
Paul Gerhardt möchte damit seine Frau - und vermutlich auch sich selbst – angesichts
von so viel Not und Tod schon im eigenen Familienkreis trösten.
Nach 13 Ehejahren stirbt auch seine Frau Anna Maria. Sie ist nach seinen Eltern und
Kindern der siebte ihm nahestehende Mensch, der ihm durch den Tod entrissen wird. Es
bleibt ihm einzig sein Sohn Paul, dem er ein Testament hinterlässt, das uns wie eine
Lebensbilanz vorkommt.
Im Jahr 1676 stirbt Paul Gerhardt nach einem schicksalserfüllten und schaffensreichen
Leben in Lübben.
2. Konfessionelle Streitigkeiten
Im Alter von 44 Jahren wird Paul Gerhardt endlich Pfarrer in Mittenwalde bei Berlin.
Die Gemeinde dort ist von Krieg und Pest gezeichnet. Dennoch entstehen in der Zeit in
Mittenwalde viele Gedichte.
Paul Gerhardt ist 50 Jahre alt, als er an die Nikolaikirche nach Berlin kommt.
Dort in Berlin wird er in den Konfessionsstreit seiner Zeit verwickelt.
Den Ernst und die Schärfe dieses Streites können wir heute kaum nachvollziehen.
Fast alle Einwohner der Mark Brandenburg waren damals vom Bekenntnis her
lutherisch. Der Große Kurfürst als Landesherr war jedoch ein überzeugter Anhänger von
Jean Calvin und war daher vom Bekenntnisstand reformiert.
Der Große Kurfürst erließ ein Edikt, welches das „unnötige Eifern, Gezänk und
Disputieren der Geistlichen auf den Kanzeln“ bei der Strafe der Amtsenthebung verbot.
Paul Gerhardt war seit seiner Zeit als Student in Wittenberg überzeugter Lutheraner,
und er war als Pfarrer auf die lutherischen Bekenntnisschriften ordiniert.
Nach dem Willen des Landesherrn sollten die Pfarrer das Toleranzedikt des Großen
Kurfürsten unterschreiben. Paul Gerhardt wollte an seinem lutherischen Bekenntnis
festhalten. Als er seine Unterschrift verweigert, wird er seines Pfarramtes enthoben.
Eine schwere Zeit beginnt für ihn.
Im Alter von 62 Jahren wird Paul Gerhardt schließlich Pfarrer in Lübben im Spreewald.
Lübben liegt in Kursachsen und wird somit von einem anderen Landesherrn regiert.
3. Vielfalt der Lieder
Die Entstehung seiner Lieder:
Aus Paul Gerhardts Texten entstanden insgesamt 134 deutsche Lieder.
40 davon haben sehr große Bedeutung erlangt. 27 Lieder sind in unserem ev. Gesangbuch
enthalten.
Seine Texte wurden unter anderem von Johann Crüger, Johann Georg Ebeling und
Johann Sebastian Bach vertont.
Veröffentlicht wurden sie zunächst in „Praxis Pietatis Melica“, dem damals wichtigsten
Evangelischen Gesangbuch.
Paul Gerhardt hat beim Dichten seiner Lieder an den Gottesdienst in der Kirche wie auch
an die private Andacht in der Familie gedacht.
Diese Hausandachten hat er vor Augen, wenn er seine Morgenlieder und Abendlieder wie
„Nun ruhen alle Wälder“ schreibt.
Paul Gerhardt verleiht den Menschen Worte, so dass sie in schweren Zeiten Gott ihr Herz
auszuschütten können. Gleichzeitig vermitteln seine Lieder Trost und Halt.
Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Als Pfarrer begleitet er mit seinen Liedern seine Gemeinde damals und uns heute durch
das ganze Kirchenjahr. Es beginnt im Advent mit
„Wie soll ich dich empfangen“ .
Am kommenden Weihnachtsfest werden wir „ Ich steh an deiner Krippen hier“ singen.
Am Karfreitag singen wir auch heute noch „ O Haupt voll Blut und Wunden“, oder im
Sommer „Geh aus mein Herz und suche Freud“.
Gern gesungen werden auch heute noch die Psalmlieder von Paul Gerhardt.
„Du meine Seele singe“ haben wir vorher gesungen. Immer wieder singen wir auch seine
Danklieder wie „Ich singe dir mit Herz und Mund“ oder „Sollt ich meinem Gott nicht
singen“.
Auch in Zeiten von Trauer und Leid sind die Lieder von Paul Gerhardt für viele
Menschen heute Quelle von Trost und Kraft.
„Befiehl du deine Wege“ ist eines der Lieder, die heute bei Beerdigungen am häufigsten
gesungen werden.
Die Komponisten Johann Crüger, der Kantor an Gerhardts Kirche St. Nikolai in Berlin
war, und Johann Georg Ebeling - er war der Nachfolger von Johann Crüger an St.
Nikolai in Berlin - vertonten seine Gedichte.
Dass Paul Gerhardt gerade auf diese beiden Kantoren traf, erwies sich als großer
Glücksfall. Texte und Melodien passen - damals wie heute - gut zueinander.
Paul Gerhardt gilt heute als der bedeutendste Kirchenlieddichter nach Martin Luther.
4. Ansprache
Es ist ein großer Schatz, den Paul Gerhardt hinterlassen hat.
Ein Schatz an Liedern – nur einen kleinen Teil davon heben wir in diesem Gottesdienst.
Hinter all diesen Liedern steckt eine große Lebenserfahrung, eine große Vertrautheit mit
der Bibel und vor allem: ein tiefer Glaube.
Eine große Lebenserfahrung:
Wie viele Menschen damals in Mittenwalde werden sich Trost und Zuspruch von ihrem
Pfarrer gesucht haben?
Zurzeit von Paul Gerhardt war in Mittenwalde infolge vom 30jährigen Krieg und der
Pest die Einwohnerzahl von 1000 Personen auf ungefähr 250 Menschen zurückgegangen.
Hinzu kommt bei Paul Gerhardt, was er in seiner Familie selbst erlebt hat: der frühe Tod
der 4 Kinder, der Tod der geliebten Ehefrau.
„Ich bin ein Gast auf Erden“ – ein solches Gedicht war kein theoretisches Gedankenspiel,
sondern musste sich aufgrund des eigenen Erlebens einem Menschen wie Paul Gerhardt
förmlich aufdrängen.
Eine große Vertrautheit mit der Bibel spüre ich bei Paul Gerhardt.
Immer wieder greift er in seinen Liedern Bibelworte auf und verwendet Bilder, die so
auch in der Bibel vorkommen.
So kann man z. B. zeigen, dass sich „Geh aus mein Herz und suche Freud“ ganz eng an
die Wortwahl und die Bilder anlehnt, die auch im Psalm 104 gebraucht werden oder im
Hohenlied.
Narzissus und die Tulipan, die ziehen sich viel schöner an als Salomonis Seide – das sind
die Lilien auf dem Felde, die in ihrem Blütenschmuck herrlicher sind als die
Seidenkleider des Königs Salomo – der Evangelist Matthäus überliefert dieses Jesuswort
(Mt 6,28.29).
Ein tiefer Glaube spricht aus den Liedern von Paul Gerhardt:
Alles, was wir in diesem Leben hier und jetzt erleben, ist ein Gleichnis für die Ewigkeit:
Der blühende Garten, den ich in der Sommerzeit erlebe, ist ein Gleichnis für den Garten
Christi in der Ewigkeit. (EG 503,10)
Dort will Paul Gerhardt als ein guter Baum dereinst stehen.(EG 503,14)
Wenn es hier auf Erden schon so schön ist und es uns Menschen hier so gut geht: Um wie
viel schöner wird es in der Ewigkeit Gottes werden, im reichen Himmelszelt und im
goldenen Schloss in der Welt Gottes? (EG 503,9)
Wer sich an Gott hält, so Paul Gerhardt, hat das höchste Gut erlesen, das höchste Gut für
sich gewählt. Diesem Menschen kann nichts schaden: Sein Herz und ganzes Wesen bleibt
ewig unbetrübt. (EG 302,2)
Ich höre da den Apostel Paulus sprechen, der im 8. Kapitel des Römerbriefes schreibt:
„Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen….
Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten,
weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere
Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm
Herrn.“
(Rö 8,28.38.39)
Mit Christus an der Seite können wir leben und sterben, und wir werden mit ihm
auferstehen. Diese Gewissheit fasst Paul Gerhardt in die folgenden Worte:
Ich hang und bleib auch hangen an Christus als ein Glied. (EG 112,6)
Christus reißet mich durch den Tod, durch Welt, durch Sünd, durch Not und bringt mich
schließlich zur Himmelspforte (EG 112,6.8)
Ich denke, es ist diese Zuversicht, die Paul Gerhardt Kraft gab für seinen Beruf als
Pfarrer und ihn auch in die Lage versetzte, mit seinem eigenen Leid zu Recht zu
kommen.
Liebe Gemeinde,
ich wünsche mir und ich wünsche Ihnen und Euch etwas von dieser festen Zuversicht und
dem starken Glauben, wie Paul Gerhardt ihn uns vorgelebt hat.
Im innerevangelischen Konfessionsstreit war Paul Gerhardt nicht flexibel –er fühlte sich
mit seinem Gewissen dem lutherischen Bekenntnis verpflichtet.
Die Zeit ist weitergegangen. Heute haben wir – und auch die Lieder von Paul Gerhardt
die innerevangelische Konfessionsspaltung längst überwunden.
Längst sind auch die Lieder von Paul Gerhardt wirklich ökumenisch geworden.
Besonders freue ich mich darüber, dass im katholischen Gesangbuch, im Gotteslob, 6
Lieder von Paul Gerhardt aufgenommen wurden. Sie werden auch in den katholischen
Gemeinden gerne gesungen und verbinden katholische und evangelische Christinnen und
Christen miteinander.
Amen.