13.09.25 Klagewelle bei Hartz IV

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13.09.25 Klagewelle bei Hartz IV
ARD-MORGENMAGAZIN – SERVICE 25.09.2013
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KLAGEWELLE BEI HARTZ IV
Hubert Feller
WOLFGANG BÜSER
Morgenmagazin-Rechtsexperte
Immer mehr Hartz IV-Empfänger wehren sich gegen ihre Job-Center. Im August 2013 wurden
63.526 Widersprüche und 13.391 Klagen neu registriert – Rekord! Insgesamt waren Ende August 196.880 Widersprüche und 220.544 Klagen „anhängig“ (also noch nicht abgewickelt). In
einigen Regionen legt jeder zweite Hartz IV-Haushalt Widerspruch gegen die Entscheidung des
Jobcenters ein.
Allein in Berlin gingen im ersten Halbjahr 2013 13.503 Klagen gegen Hartz IV-Entscheidungen
ein. Kaum zu fassen: Das waren rund 1.200 weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Aber: Allein in Berlin klagen noch mehr als 2.000 Arbeitslose pro Monat (!) gegen Hartz IV –
Kommentar des Pressesprechers: Alle 90 Minuten klagt ein Berliner gegen das Jobcenter …
Mehr als die Hälfte der Kläger, die gegen ihre Hartz-IV-Bescheide vorgehen, haben Erfolg beziehungsweise erreichen einen Teilerfolg. Das bedeutet, dass etwa die Hälfte der
Hartz-IV-Bescheide fehlerhaft ist. Für Hartz-IV-Empfänger ist eine Klage vor Sozialgerichten kostenfrei.
Die aktuellsten Urteile zum Thema Hartz IV:
Wer wegen "zu niedriger" Regelsätze klagen will, dem hilft der Staat nicht: Wer gegen die
bewilligten Leistungen nach Hartz IV allein mit der Begründung klagen will, weil die Regelsätze
für Erwachsene verfassungswidrig seien, der hat keinen Anspruch darauf, dass der Staat seinen
Prozess per Prozesskostenhilfe finanziert. Die seit 2011 geltenden Regelsätze "sind zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausreichend", so das Landessozialgericht
Sachsen-Anhalt. Die Möglichkeit, dass das Bundesverfassungsgericht erneut die Ermittlung der
Regelsatzhöhe wegen methodischer Mängel für grundgesetzwidrig hält, sei "fernliegend". (LSG
Sachsen-Anhalt, L 5 AS 606/12 B)
Alleinerziehende brauchen sich keine "Ortsanwesenheit" anzutun...: Verlässt eine alleinerziehende Mutter eines einjährigen Kindes ihren Wohnort, ohne sich zuvor mit dem Jobcenter in
Verbindung gesetzt zu haben, so darf ihr diese "Ortsabwesenheit" nicht zum Nachteil gereichen.
Denn sie braucht gar kein Arbeitsangebot anzunehmen. Deshalb bestehe auch kein Grund, "die
Handlungsfreiheit der Hilfebedürftigen zu begrenzen". (LSG Berlin-Brandenburg, L 34 AS
1030/11)
Schwangere haben einen Mehrbedarf – stillende Mütter nicht...: Zwar steht arbeitslosen
Schwangeren wegen eines erhöhten "Mehrbedarfs" ein Zuschlag zum Arbeitslosengeld II zu,
nicht jedoch nach der Niederkunft als stillende Mutter. Das Hessische Landessozialgericht sieht
dafür keine Grundlage im Gesetz. Der schwangerschaftsbedingte Mehrbedarf, mit dem die besonderen Kosten für Ernährung, Reinigung der Wäsche, vermehrte Kosten für Körperpflege,
Fahrkosten und Informationsbedarf abgedeckt werden sollen sei gerechtfertigt. Ein Mehrbedarf
wegen kostenaufwändiger Ernährung betreffe nur Hilfebedürftige, die ihrer aus medizinischen
Gründen bedürften. Krankheitsbedingte Gründe würden aber bei einer stillenden Mutter nicht zu
der teureren Ernährung führen. (Hessisches LSG, L 6 AS 337/12)
Fondsanteile sind keine geschützte Altersvorsorge: Als "Vermögen", das als Altersvorsorge
eines Selbstständigen pro Lebensjahr in Höhe von 750 Euro auf das Arbeitslosengeld II nicht
angerechnet werden darf, zählen nicht Fondsanteile. Hier insbesondere dann nicht, wenn dieser
Fonds zu 76 Prozent aus Aktienfonds und nur zu 24 Prozent aus Rentenfonds besteht. Begründung: Es handelt sich damit "zu einem wesentlichen Teil um eine hoch spekulative Anlage, die
das Risiko eines Kursverfalls bis zum Totalverlust birgt und der in keiner Weise Dispositionen
innewohnen, die eine Unterhaltssicherung bei Eintritt in den Ruhestand gewährleisten". (LSG
Nordrhein-Westfalen, L 19 AS 1229/13 B)
Eilig muss nur entschieden werden, wenn die Räumungsklage auf dem Tisch liegt: Verlangt ein (angeblich) hilfebedürftiger Arbeitsloser beim Jobcenter und nach Ablehnung vor dem
Sozialgericht die Übernahme seiner Miete im Eilverfahren, so braucht das Gericht dem nicht zu
folgen, solange noch keine "akute Gefahr" für sein Mietverhältnis eingetreten ist. Davon kann
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erst dann ausgegangen werden, wenn die Räumungsklage des Vermieters vorliegt. (LSG Nordrhein-Westfalen, L 2 AS 1541/13 B)
Fürs Cello in der Schule gibt es keine "Teilhabeleistung": Benötigt ein Schüler, der mit seinen Eltern Hartz IV-Leistungen bezieht, für seine musischen Aktivitäten in der Schule ein Cello,
so hat er keinen Anspruch darauf, dass das Jobcenter ihm die dafür anfallende "Leihgebühr"
(gemeint: Mietgebühr) als "Teilhabeleistung" nach dem Arbeitsförderungsgesetz ersetzt. Diese
Leistung steht grundsätzlich nur "für Bedarfe auf Grund außerschulischer Aktivitäten im Teilhabebereich" zu, nicht für ausschließlich schulische Zwecke. (BSG, B 4 AS 12/13)
Die Abfindung des Lebenspartners beendet den Anspruch der Partnerin: Ist dem Lebenspartner seiner arbeitslosen Partnerin, mit der er eine Bedarfsgemeinschaft bildet, eine Abfindung
wegen des Ausscheidens aus seinem Arbeitsverhältnis gezahlt worden (hier in Höhe von 33.000
Euro), so endet der Anspruch unter anderem auf Arbeitslosengeld II der Partnerin (hier für 15
Monate). Die dagegen vorgebrachte Argumentation, dass die Abfindung noch während des laufenden Arbeitsverhältnisses (hier im Dezember) gezahlt worden sei und deshalb als "Vermögen"
mit dem entsprechenden Freibetrag zu bewerten sei, wurde vom Bundessozialgericht nicht anerkannt: Der "Verteilzeitraum" der Abfindung habe erst nach dem Ausscheiden begonnen. (BSG, B
4 AS 89/12 R)
Wer das Jobcenter austricksen will, hat sich am Ende selbst ausgetrickst...: Hat ein Jobcenter für einen Langzeitarbeitslosen bereits einmal für die Begleichung seiner Stromschulden
ein Darlehen gewährt, so darf daraus kein "Dauerzustand" werden. Das aber wollte offenbar der
bereits seit drei Jahren von "Hartz IV" lebende Mann. Denn nachdem das Jobcenter die Abschlagszahlungen an den Stromlieferanten selbst übernommen hatte, wechselte er mehrfach
den Anbieter, um dann erneut – durch Nichtbeachtung der Abschlagszahlungstermine – Schulden aufzuhäufen. Das Jobcenter blieb diesmal hart – und auch das Gericht half dem Trickser
nicht weiter. Der Arbeitslose habe sich in das Dilemma durch missbräuchliches Verhalten selbst
hineinmanövriert – und müsse das nun selbst ausbaden. (SG Stuttgart, S 15 AS 2104/13 ER)
Auch im Knast besteht mit der bedürftigen Familie zu Hause eine "Bedarfsgemeinschaft":
Ein Strafgefangener bildet mit seiner Frau und seinen Kindern trotz seiner Inhaftierung eine "Bedarfsgemeinschaft". Das ihm am Entlassungstag aus dem Gefängnis gezahlte Überbrückungsgeld (hier in Höhe von 2.734 Euro) hat er für den Lebensunterhalt seiner Familie als Einkommen
zu verwenden – bei entsprechender Reduzierung seines Arbeitslosengeldes II. (BSG, B 14 AS
78/12 R)
Ein Alleingesellschafter und Geschäftsführer hat persönliche Einnahmen: Ein Selbstständiger ist aufgrund eines Beratervertrages mit einer Limited & Co KG deren Kommanditist sowie
Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Komplementärin. Er hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II und die anderen Leistungen aus dem Hartz IV-Paket, wenn er über ausreichende Einkünfte aus seiner Tätigkeit bei der Gesellschaft verfügt. Dazu gehört auch die eingenommene Umsatzsteuer, die nicht als "durchlaufender Posten" anzusehen ist. Später gezahlte Umsatzsteuer kann er allerdings von seinen Einnahmen abziehen. (BSG, B 14 AS 1/13 R)
Ein Haufen Schulden spricht nicht automatisch für "keine Einnahmen mehr": Legt ein
Hartz IV-Bezieher seinem Folgeantrag – trotz mehrfacher Aufforderung – keine Kontoauszüge
bei, aus denen erkennbar ist, über welche möglichen Einnahmequellen er verfügt, so muss das
Jobcenter ihm keine weiteren Leistungen gewähren. Das gelte jedenfalls dann, wenn aus alten
Auszügen erkennbar ist, dass er hohe Ausgaben hatte – wie zum Beispiel für seine (außerdem
zu große) Wohnung, für ein HTC-Handy sowie für einen teuren Internetanschluss und Bezahlfernsehen. Sein Argument, dass allein die Tatsache für seine Bedürftigkeit spreche, dass er hohe Miet- und Stromschulden habe, zog vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ebenso wenig wie die Aussage, dass Freunde und Familie ihn mit einer Mahlzeit pro Tag und kleinen
Geldbeträgen versorgen würden. (LSG Nordrhein-Westfalen, L 2 AS 546/13 B ER)
Gleichgültiges Jobcenter muss für Gas noch mal bezahlen: Hat ein Hartz IV-Bezieher bei
seinem Gas- und Stromversorger Schulden angehäuft, weil er die vom Jobcenter bezogenen
Pauschalen für die Abschlagszahlungen nicht weitergeleitet und auch Stromgelder nicht bezahlt
hat (hier in Höhe von 3.000 Euro), so hat das Jobcenter diese Schulden per Darlehen auszugleichen. Das gelte jedenfalls dann, wenn es „sonst keine andere Möglichkeit gibt, die Wohnung des
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Arbeitslosen wieder mit Energie zu versorgen“. Hier konnte der Bedürftige kein privates Darlehen
aufnehmen, den Anbieter wegen der Schulden nicht wechseln und sich auch nicht mit dem Versorger vergleichsweise einigen. (Es kam hinzu, dass sich das Jobcenter geweigert hatte, über
den Darlehensantrag des Arbeitslosen zu entscheiden, obwohl der Hartz IV-Bezieher wegen seiner fehlenden Energieversorgung mehrmals vorgesprochen hatte. Außerdem hätte es der Behörde bei den halbjährlichen Folgeanträgen des Mannes auffallen müssen, dass keine Abbuchungen für den Gas- und Stromversorger getätigt wurden.) (LSG Nordrhein-Westfalen, L 2 AS
313/13 B ER)
Für Nahverkehrs-SozialTicket kommt es nur auf den Bezug von Sozialleistungen an: Stellen die Beförderungsbedingungen des öffentlichen Nahverkehrs für die Ausstellung von "SozialTickets" nur auf den Bezug von Grundsicherungsleistungen (auch: Hartz IV) ab, so haben Bürger, die an eigenen Bezügen gerade so viel erhalten, wie ihnen an Grundsicherungsleistungen
zustehen würde, keinen Anspruch darauf. Das Sozialgericht Dortmund bestätigte zwar die entsprechenden Regelungen (hier des "VRR" in Nordrhein-Westfalen), gibt in seiner Begründung
aber zu bedenken, dass damit das "Ziel eines SozialTickets, wenig begüterten Menschen die
Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs – und damit eine umfassende Teilhabe am Leben
der Gemeinschaft – zu ermöglichen", nur unzureichend erreicht würde. (Die früheren Regeln, die
auch für Bezieher kleiner Einkommen die Gleichstellung mit Sozialleistungsbeziehern vorsahen,
waren wegen des damit verbundenen hohen Verwaltungsaufwandes abgeschafft worden.) (SG
Dortmund, S 41 SO 263/13 ER)
Wer nach 22 Uhr nicht mehr zu Fuß nach Hause gehen möchte, muss sich einschränken:
Jobcenter können Beziehern von Arbeitslosengeld II die Leistungen kürzen, wenn diese nicht
bereit sind, eine angebotene Stelle (hier in einer Wäscherei) anzunehmen, bei der sie auch erst
nach 22 Uhr Feierabend haben und sie sich fürchten, um diese späte Stunde noch zu Fuß nach
Hause zu gehen. Dies braucht dann nicht als Argument anerkannt zu werden, wenn die (hier 2,7
km lange) Wegstrecke zur eigenen Wohnung gut beleuchtet und weitgehend von Geschäften
gesäumt ist. (Hier gab die arbeitslose Frau an, weder über ein Auto noch über ein Fahrrad zu
verfügen, und Busse seien nach 20 Uhr nicht mehr im Einsatz. Das Jobcenter empfahl ihr, mit
Kolleginnen oder Kollegen den Heimweg gemeinsam anzutreten oder sich einer Fahrgemeinschaft anzuschließen.) (SG Mainz, S 10 AS 1221/11)
Nur bei "beabsichtigtem" Anspruch auf höheres AlG II darf gekürzt werden: Bezieht eine
Frau Arbeitslosengeld II und arbeitet sie nebenher als Putzfrau in zwei Mini-JobBeschäftigungsverhältnissen, so darf das Jobcenter die Hartz IV-Leistung auch dann nicht kürzen (hier in Höhe von 30 % geschehen), wenn die Bedürftige die beiden Arbeitsverhältnisse verliert, weil sie mehrfach nicht zum Dienst erschienen ist. Das Jobcenter darf nicht voraussetzen,
die Frau habe die Jobs "mit Absicht" verloren, um höhere Sozialleistungen zu kassieren. Stellt
sich heraus, dass sie wegen Gelenkserkrankungen und einer Alkoholabhängigkeit nicht arbeiten
konnte, so liege damit eben gerade keine "Absicht" vor. (SG Mainz, S 15 AS 438/13 ER)
Elterngeld muss voll vom Arbeitslosengeld II abgezogen werden: Die 2011 eingeführte Neuregelung, dass das Elterngeld in voller Höhe (hier ging es um den Mindestsatz von 300 Euro
monatlich – minus einer Versicherungspauschale von 30 Euro) auf das Arbeitslosengeld II anzurechnen ist, verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Nicht einmal der bei Erwerbstätigkeit anzusetzende Freibetrag von 100 Euro monatlich dürfe unberücksichtigt bleiben. Die Hartz IVLeistungsbezieher würden durch die Regelsätze und die Zusatzleistungen "umfassend gesichert", so dass daneben nicht auch das Elterngeld gezahlt werden müsse. (LSG Rheinland-Pfalz,
L 6 AS 623/11)
Fehlt der Hinweis auf die Folgen, kann der Leistungsbezieher auf stur stellen: Fordert ein
Jobcenter einen Bezieher von Arbeitslosengeld II auf, sich bei einer Firma vorzustellen, weist
aber nicht darauf hin, welche Folgen ihm drohen, wenn er das nicht tut, so kann der Arbeitslose
die Aufforderung ignorieren, ohne dass ihm daraus ein Strick gedreht werden könnte. (Hier ging
es um eine Leistungskürzung um 30 %, die das Gesetz vorsieht – auf die jedoch verzichtet werden musste, da das Jobcenter vor Gericht nicht nachweisen konnte, dass es den Folgenhinweis
angebracht hatte.) (SG Gießen, S 29 AS 676/11)
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Bringt die Mama einen neuen Mann ins Haus, profitiert auch die "Stieftochter": Bezieht
eine Mutter mit ihrer Tochter Hartz IV-Leistungen (Arbeitslosengeld II für die Mutter und Sozialgeld für das Kind) und bringt die Mutter einen neuen Partner ins Haus, mit dem eine Bedarfsgemeinschaft gegründet wird, so können die Leistungen für das Kind enden. Dies dann, wenn der
"unechte Stiefvater" zum Unterhalt (auch) des Kindes maßgeblich beiträgt. Dagegen kann nicht
argumentiert werden, der Mann sei zum Unterhalt der "unechten Stieftochter" gar nicht verpflichtet, das Jobcenter müsse also weiterhin Leistungen erbringen. Das Bundesverfassungsgericht
nahm eine Verfassungsbeschwerde gegen die Kürzung nicht an. Es fehle an "den notwendigen
Ausführungen dazu, inwieweit eine Regelleistung trotz der Zahlung von Kindergeld und der Gewährung von 'Kost und Logis', die in Abzug zu bringen wären, zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums zusätzlich erforderlich gewesen wären". Im Klartext: Die vom Jobcenter
vorgenommenen Leistungskürzungen sind rechtens. (BVfG, 1 BvR 1083/09)
Wenn die Heizkosten erheblich über den "üblichen" Werten liegen, bleiben sechs Monate
Zeit...: Liegen die von einem Arbeitslosengeld II-Bezieher vom Jobcenter geforderten Heizkosten
für seine Wohnung "deutlich über" den Werten des so genannten bundesweiten Heizspiegels, so
hat der Leistungsempfänger entweder zu begründen, warum sein Heizbedürfnis so hoch ist (etwa krankheitsbedingt) oder er muss sich um eine Absenkung auf andere Weise kümmern – etwa
durch einen Umzug in eine andere Wohnung. Dafür hat er sechs Monate Zeit, in der die (überhöhten) Heizkosten nach wie vor zu tragen sind. Anschließend muss das Jobcenter aber auch
prüfen, ob die von ihm geforderte Maßnahme eines Umzugs unter Umständen höhere Kosten
verursacht als der Verbleib in der bisherigen Wohnung. (BSG, B 14 AS 60/12 R)
Während eines Insolvenzverfahrens finanziert das Jobcenter sogar Schulden: Erbt eine
Bezieherin von Arbeitslosengeld II, die sich in einem Verbraucherinsolvenzverfahren befindet, so
zählt das Erbe an sich in voller Höhe als Einkommen und wird auf den Leistungsanspruch angerechnet. Da sie jedoch verpflichtet ist, während des Insolvenzverfahrens die Hälfte des Erbes an
den gerichtlich bestellten Treuhänder zu überweisen (der das Geld auf die Gläubiger der
Schuldnerin verteilt), führt nur die verbliebene Hälfte zur Leistungskürzung. So entschieden vom
Bundessozialgericht, das sich dem Argument nicht anschließen wollte, durch den Ansatz von nur
50 Prozent des Erbes würde sich der Steuerzahler indirekt an der Schuldentilgung der Frau beteiligen. Da sie nur 50 Prozent der "bereiten Mittel" noch zur Verfügung habe, könne auch nur
dieses als Einkommen zu berücksichtigen sein. (BSG, B 14 AS 73/12 R)
Wenn zwei Bezieher von Hartz IV die Kinderbetreuung aufteilen: Hält sich der Sohn eines
Beziehers von Arbeitslosengeld II, der bei seiner Mutter lebt, an Tagen bei seinem umgangsberechtigten Vater länger als zwölf Stunden auf, so steht dem Papa ein Dreißigstel des monatlichen Sozialgeldsatzes für den Filius zu (hier: 6,93 Euro täglich). Dies unabhängig davon, dass
die Mutter für denselben Zeitraum bereits das Sozialgeld für das gemeinsame Kind erhalten hat.
(Das Bundessozialgericht brauchte nicht darauf einzugehen, ob und gegebenenfalls in welcher
Höhe die Mutter an das Jobcenter "Ausgleichs- oder Erstattungsansprüche" zu leisten hat, da
dies nicht Gegenstand des Verfahrens war. Denn das Jobcenter hatte den Anspruch des Vaters
auf den Dreißigstelsatz abgelehnt.) (BSG, B 14 AS 50/12 R u.a.)
Vegetarische Ernährung bringt nicht mehr Geld – eher eine Ersparnis: Auch wenn sich ein
Langzeitarbeitsloser vegetarisch ernährt und angibt, an einer Laktose-Intoleranz zu leiden, so
kann er nicht verlangen, mehr Geld (= so genannter Mehrbedarf) wegen seiner "kostenaufwändigeren Ernährung" vom Jobcenter zu bekommen. Ein solcher Mehrbedarf wird gewährt, wenn
aus medizinischen Gründen eine teurere Ernährung notwendig ist. Ergibt aber ein Gutachten,
dass eine Person, die weder Fisch noch Fleisch oder Gelatine verzehrt, nicht an einer Milchzuckerunverträglichkeit leiden könne, so müsse das Jobcenter nicht mehr für die Ernährung bezahlen. Dass der Mann aus persönlichen Gründen bestimmte Produkte bevorzuge, sei für die Höhe
seines Arbeitslosengeldes II unerheblich. Vielmehr stellte das Gericht fest, dass der Vegetarier
"aufgrund der ersparten Aufwendungen für Fleisch und Fisch sogar geringere Ausgaben für Lebensmittel" habe - vorausgesetzt, er kaufe preisbewusst ein. (LSG Rheinland-Pfalz, L 6 AS
291/10)
Fällt der "ungehorsame" Sohn aus, zahlt das Jobcenter dennoch für ihn weiter: Besteht
eine Hartz IV-Bedarfsgemeinschaft aus der Mutter sowie einem minderjährigen und einem voll-
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jährigen Kind, so zahlt das Jobcenter für jedes Mitglied der Familie ein Drittel der Miete. Fällt –
wie hier – der volljährige Sohn als Leistungsbezieher voll aus, da er mehrere Male Weisungen
der Agentur für Arbeit nicht befolgt hatte, so darf das Jobcenter die Miete nun nicht schematisch
um ein Drittel kürzen. Vielmehr ist sie in voller Höhe weiter zu zahlen, da Mama und Bruder unter
dem "ungehorsamen" Familienmitglied nicht leiden dürfen. Dass damit die gegen den volljährigen Sohn verhängte Sanktion "teilweise ins Leere läuft", spielt keine Rolle. Das Gesetz sehe
keine "faktische Mithaftung für ein sanktioniertes Fehlverhalten" vor. (BSG, B 4 AS 67/12 R)
Wenn das Kind "aus dem Bett heraus wächst", bezahlt das Jobcenter ein neues: Wird das
Gitterbett des Kleinkindes einer Bezieherin von Arbeitslosengeld II zu klein, so hat das Jobcenter
der Mama ein neues Kinderbett zu finanzieren. Sozial- wie auch Landessozialgericht hatten den
Antrag abgelehnt, weil ja im Haushalt ein Kinderbett "vorhanden" sei, und die Neuanschaffung
aus dem Hartz IV-Regelsatz zu finanzieren sei. Das Bundessozialgericht folgte dem nicht: Bei
dem "Jugendbett" handele es sich um eine "Erstanschaffung", für die der Regelsatz nicht herhalten müsse. (Allerdings wurde das Verfahren an die Vorinstanz zurück verwiesen, die nun noch
prüfen muss, ob das von der Mutter inzwischen für 272 Euro angeschaffte Bett preislich "angemessen" war.) (BSG, B 4 AS 79/12 R)
Lebt der Stiefpapa im selben Haushalt, bleibt's Jobcenter außen vor: Lebt ein Stiefvater mit
seiner Frau und deren minderjährigem Kind im selben Haushalt und verfügt er über ausreichende Mittel, so ist davon auszugehen, dass er auch für den Unterhalt seines Stiefkindes aufkommt.
Dies unabhängig davon, dass er rein rechtlich nicht zum Unterhalt verpflichtet ist. Das Jobcenter
braucht deshalb für das Stiefkind kein Sozialgeld zu zahlen. (BSG, B 4 AS 67/11 R)
Überzahlte Miete geht zu Lasten des Jobcenters: Zieht ein Hartz IV-Bezieher aus der Mietwohnung aus, die ihm das Jobcenter bezahlt hat (hier per Direktüberweisung an den Vermieter)
und überweist das Jobcenter noch für einen Monat die Miete, in dem der Mietvertrag zwar noch
läuft, der Bedürftige aber nicht mehr in der Wohnung gelebt hat, weil er inzwischen anderweit
mietfrei wohnt, so muss der Vermieter die Mietzahlung nicht erstatten. Denn auch Bezieher von
Arbeitslosengeld II müssten die mietrechtliche Kündigungsfrist (3 Monate) einhalten. Ein vorzeitiger Auszug darf jedenfalls nicht zu Lasten des Vermieters gehen. (Ob das Jobcenter die – aus
seiner Sicht "überzahlte" – Miete beim vorherigen Mieter zurückfordern kann, war nicht Gegenstand des Verfahrens.) (Bayerisches LSG, L 7 AS 381/12)
Ohne den Willen, Deutsch zu lernen, gibt's nur gekürzte Leistungen: Das Sozialgericht
Wiesbaden hat entschieden, dass ausländische Hartz IV-Empfänger ohne ausreichende
Deutschkenntnisse eine Kürzung ihrer Bezüge hinzunehmen haben, wenn sie der Aufforderung
des Jobcenters nicht folgen, an Integrationskursen teilzunehmen. Im konkreten Fall ging es um
eine Türkin, die – als Mutter von vier Kindern – nichts dafür tat, ihre Deutschkenntnisse (und damit auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt) zu verbessern. Das Angebot, dreimal pro Woche
an einem Integrationskurs der Volkshochschule teilzunehmen, schlug sie aus. Weil es aber „eine
unerlässliche Voraussetzung“ sei, die deutsche Sprache in Wort und Schrift wenigstens in
Grundzügen zu beherrschen, kürzte das Jobcenter die Leistung für drei Monate um 30 Prozent,
wogegen die Frau vergeblich klagte. Das Gericht sah die Sanktion als rechtmäßig an, weil das
Sozialgesetzbuch in diesem Punkt auf dem Prinzip „Fördern und Fordern“ beruhe. Die Teilnahme
an dem Kurs diene daher dem gesetzlich angestrebten Ziel und sei auch zumutbar gewesen.
(SG Wiesbaden, S 12 AS 484/10)
Der Papa darf private Forderungen nicht gegen Jobcenter-Leistungen aufrechnen: Zahlt
der Vater eines nichtehelichen Kindes drei Jahre lang keinen Unterhalt und tritt für ihn (hier für
die Hartz IV beziehende Mutter) das Jobcenter mit entsprechenden Zahlungen ein, so kann das
Jobcenter von ihm die Erstattung der verauslagten Beträge verlangen (hier in Höhe von 11.678
Euro). Der säumige Papa kann nicht argumentieren, dazu nicht verpflichtet zu sein, weil er der
Mutter des gemeinsamen Kindes ein Darlehen in Höhe von 12.500 Euro gegeben habe, mit dem
er "aufrechne". Der Bundesgerichtshof belehrte ihn: Er habe den Betrag zu ersetzen. Wäre es
anders, dann würde er sein Darlehen auf Kosten der Allgemeinheit "beitreiben". Das widerspreche dem Grundsatz des Nachrangs von Sozialleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
(BGH, XII ZB 192/11)