Nach der Romantik
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Nach der Romantik
Nach der Romantik —— die historischen Folgen der deutschen romantischen Literatur in der Krise der Moderne Danksagung Ich bedanke mich bei Herrn Professor Wei Maoping für seine Betreuung, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen hat. Des Weiteren bedanke ich mich bei meinem Vater Jiang Yuanlai, der mir beim Schreiben dieser Arbeit viel geholfen und mich unterstützt hat. Außerdem möchte ich aus der Tiefe meines Herzens Herrn Dr. Prof. Dieter Borchmeyer danken, für sein Empfehlen des hilfreichen Buches Romantik, eine deutsche Aff Affääre von Rüdiger Safranski. 1 angabe Inhaltsangabe Inhalts Diese Arbeit handelt hauptsächlich von dem Verfall der deutschen Literatur der Romantik und den unterschiedlichen literarischen Reaktionen nach dem Verfall. Zuerst wird eine grundlegende Darstellung von der Anwendung unterschiedlicher Begriffe vorgenommen: die Romantik, das Romantische und die Romantische Schule. Die Differenz zwischen der Romantik und dem Romantischen wird hervorgehoben. Im Laufe der Zeit kommt immer harsche Kritik an der Romantik, insbesondere an dem Romantischen Geist, auf. Als geistige Ressourcen meiner Arbeit wird eine Vorstellung von Carl Schmitts Kritik an der Romantik und von Rene Girards System des Triangulären Begehrens abgeliefert. Der Verfall der Romantik/ des Romantischen wird nach dem Auschwitz immer klar. Die romantische Dichtung ist unfähig, die grausige Erfahrung und die große Bitterkeit auszudrücken. Aber angesichts der dunklen Vergangenheit ist die Dichtung nach Auschwitz von großer Bedeutung, wie laut Günter Grass „das Schreiben gegen die verstreichende Zeit“ und „das Schreiben gegen das Vergessen“. Im Laufe der Modernisierung und Globalisierung gerät der Existenzzustand der Menschen in Krise. Der Geist der Romantik wird nach und nach zerstört. Im dem letzten Teil werden die unterschiedlichen literarischen Reaktionen in drei Kategorien eingeteilt: „Verfälschung und Heuchelei“ mit Beispiel von Erich Kästner, „Flucht und Verhüllung“ mit Beispiel von Stefan Zweig und „Konversion“ mit Beispiel von Rainer Maria Rilke. Eine Schlussbetrachtung fasst danach die wesentlichen Ergebnisse zusammen. 2 内容摘要 本论文主要涉及德国浪漫主义文学的衰败以及之后的文学对浪漫主义衰败作出 的回应。首先,对“浪漫”一词及相关概念的诸多用法和解释进行梳理,其中, 强调了“浪漫主义”与“浪漫的”之间的区别。之后,对德国浪漫主义文学进行 简单介绍。 浪漫主义面临越来越严峻的批判,特别是针对浪漫主义精神的批判。作为本论文 的精神来源,将介绍卡尔·施米特的浪漫主义批判以及勒内·吉拉尔的三角欲望 理论。 奥斯维辛之后,浪漫主义以及浪漫的精神的衰败越来越明显。浪漫的作品已经无 力表述二十世纪上半叶灰暗的体验和巨大的苦痛。但是,面对黑暗的历史,奥斯 维辛以后的文学又具有非凡的意义,就如君特·格拉斯所说“逆着流逝的时间, 逆着遗忘写作”。 随着现代化和全球化的进程,人类的存在状态陷入了困境。德语文学对浪漫主义 文学衰败做出的回应,在本论文中主要被分为三大类: “伪装”(以埃利希·凯斯 特 纳 为 例 ),“逃避与遮掩”(以斯蒂芬·茨 威 格 为 例 ),“宗教皈依”(以赖纳·马 利亚·里尔克为例)。由此得到的重要的结果,将在结论部分阐明。 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung --------------------------------------------------------------------------------------6 2. Hauptteil ---------------------------------------------------------------------------------------8 2.1. Die Entwirrung von dem Begriff „Literatur der Romantik“ ------------------------8 2.1.1. Die komplizierte Anwendung von „Romantik“ in der Weltkultur bis heute ------------------------------------------------------------------------------------------ -8 2.1.2. Die komplizierte Anwendung von „Romantik“ in der deutschen Literatur bis heute ----------------------------------------------------------------------------------- 11 2.1.2.1. Die Romantik -------------------------------------------------------------------- 11 2.1.2.2. Das Romantische ---------------------------------------------------------------- 14 2.1.2.3. Die Romantische Schule -------------------------------------------------------- 17 2.1.2.4. Die Romantik und das Romantische ------------------------------------------19 2.1.2.5. Abschnitte der Romantik in der deutschen Literatur ------------------------21 2.1.3. Die Umgrenzung des Forschungsthemas -----------------------------------------22 2.1.4. Die wichtigsten geistigen Ressourcen von der Kritik an der „Romantik“ und „Literatur der Romantik“ ----------------------------------------------------------- 24 2.1.4.1. Carl Schmitts Kritik an der Romantik ----------------------------------------24 2.1.4.2. Das System des Triangulären Begehrens -------------------------------------25 2.2. Eine kurze Rückschau von dem Ursprung und dem Entwicklungshintergrund der Deutschen Literatur der Romantik -----------------------------------------------------29 2.3. Der Verfall der Romantik -------------------------------------------------------------- 31 2.3.1. Das Gedicht nach Auschwitz ------------------------------------------------------ 31 2.3.2. Die Notwendigkeit von Schreiben nach Auschwitz ----------------------------31 2.3.3. Modernisierung — Globalisierung ------------------------------------------------ 32 2.4. Angesichts des Verfalls — die unterschiedlichen Reaktionen der deutschen Literatur nach dem Verfall der Romantik ---------------------------------------------34 2.4.1. Reaktion 1: Verfälschung und Heuchelei -----------------------------------------34 2.4.1.1. Kästners Negativität ------------------------------------------------------------- 36 2.4.1.2. Kästners politische Stellung ---------------------------------------------------- 37 4 2.4.1.3. Das letzte Wort Kästners — die Moral -----------------------------------------38 2.4.2. Reaktion 2: Flucht und Verhüllung ------------------------------------------------- 40 2.4.2.1. Stefan Zweigs Tod ---------------------------------------------------------------- 40 2.4.2.2. Das romantische Element bei Stefan Zweig -----------------------------------42 2.4.2.3. Stefan Zweigs Einstellung zur Romantik --------------------------------------44 2.4.3. Reaktion 3: Konversion -------------------------------------------------------------- 46 2.4.3.1. Eine Kurzdarstellung ------------------------------------------------------------- 46 2.4.3.2. Entzauberung ---------------------------------------------------------------------- 47 2.4.3.3. Reaktion im Stil von der Konversion -------------------------------------------48 2.4.3.4. Konversion im Stil von „Paradigmenwechsel“ -------------------------------49 2.4.3.5. Der Konversionsprozeß bei Rainer Maria Rilkes Dichtung -----------------50 2.4.3.5.1. Rilkes erste Wendung: die Begegnung mit Rodin ------------------------50 2.4.3.5.2. Rilkes zweite Wendung: die Begegnung mit Cézanne -------------------51 2.4.3.5.3. Der Einfluss Hölderlins auf Rilke -------------------------------------------53 3. Schlussfolgerung ---------------------------------------------------------------------------- 56 Literaturverzeichnis ---------------------------------------------------------------------------58 5 1. Einleitung Die Romantik musste sich im Laufe der Zeit immer wieder harscher Kritik erwehren. Die meisten Kritiken bezogen sich auf bestimmte Ansichten, Schriftsteller oder Entwicklungsphasen der Romantik. Es gibt auch einige, die sich auf die Gesamtheit der Romantik und deren Wesen bezogen. Die unvermeidliche Krise der Moderne ist weltweit entscheidend. Es gibt nicht nur die von außen gezwungene Unterdrückung und die totale Kontrolle durch eine äußere Macht. Viel schwerwiegender und ernster für die Leute in einer modernen Gesellschaft ist der generelle Trend, sich in Unterdrückung zu verlieben und die modernen Technologien, die ihre Denkfähigkeit zerstören, anzubeten. Eines der wichtigsten Themen der „Literatur der Romantik“ ist Individualismus, und zwar das absolute Subjektivismus und das individuelles Erleben der Menschen. Die Romantiker fördern völlige Subjektivität, Individualismus, Unabhängigkeit und Freiheit, daraufhin bemühen sie sich eifrig darum, die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, Literatur und Leben niederzureißen und die ganze Welt zu romantisieren. Angesichts der Krise der Moderne ist es uns jetzt klar, dass man von der sogar vollkommenen Freiheit und Unabhängigkeit keine Erlösung finden kann. Auch wenn einem die Wahl zwischen Freiheit und Unterdrückung freisteht, gibt es die Möglichkeit von der „Flucht vor der Freiheit“1 Neil Postman (1931 — 2003), der amerikanische Medienwissenschaftler und insbesondere ein scharfer Kritiker des Mediums Fernsehen, stellte in dem Vorwort üsieren uns zu Tode) seines erfolgreichen Buch Amusing Ourselves to Death (Wir am amü die Romane 1984 von George Orwell (1903 — 1950) und Sch Schööne neue Welt von Aldous Huxley (1894 — 1963 ) gegenüber. Der Abschnitt dieser Gegenüberstellung ist 1 Die „Flucht vor Freiheit“ (auch die „Furcht vor Freiheit“) ist eine wichtige und berühmte These von Erich Fromm, die er in seinem auf Englisch verfassten Werk Escape from Freedom aufstellte. Erich Fromm (1900 — 1980) war ein deutsch-amerikanischer Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe. 6 immer noch eine präzise Schilderung von der „Krise der Moderne“: What Orwell feared were those who would ban books. What Huxley feared was that there would be no reason to ban a book, for there would be no one who wanted to read one. Orwell feared those who would deprive us of information. Huxley feared those who would give us so much that we would be reduced to passivity and egoism. Orwell feared that the truth would be concealed from us. Huxley feared the truth would be drowned in a sea of irrelevance. Orwell feared we would become a captive culture. Huxley feared we would become a trivial culture, preoccupied with some equivalent of the feelings, the orgy porgy, and the centrifugal bumble puppy. As Huxley remarked in Brave New World Revisited, the civil libertarians and rationalists who are ever on the alert to oppose tyranny "failed to take into account man's almost infinite appetite for distractions". In 1984, Huxley added, people are controlled by inflicting pain. In Brave New World, they are controlled by inflicting pleasure. In short, Orwell feared that what we hate will ruin us. Huxley feared that what we love will ruin us.2 Insofern ist eine durchgreifende und allseitige Kritik an der Literatur der Romantik nötig, insbesondere die Kritik an dem „absoluten Subjektivismus und radikalen Personalismus“, der ein Grundthema für die deutsche Literatur der Romantik bildet. Bevor die Arbeit sich dem Verfall der deutschen Literatur der Romantik annähert, soll eine grundlegende Darstellung von der Anwendung unterschiedlicher Begriffe sowie von der Epoche der Romantik vorgenommen werden. Dabei soll es vor allem zusammengefasst werden, vor was für einem historischen und geistigen Hintergrund die deutsche Literatur der Romantik entstand und verfiel, und welche Konsequenzen dies für die Literatur nach der Romantik hat. Die unterschiedlichen Reaktionen werden in drei Kategorien eingeteilt: „Verfälschung und Heuchelei“ mit Beispiel von Erich Kästner, „Flucht und Verhüllung“ mit Beispiel von Stefan Zweig und „Konversion“ mit Beispiel von Rainer Maria Rilke. Eine Schlussbetrachtung fasst danach die wesentlichen Ergebnisse zusammen. 2 Neil Postman: Amusing Ourselves to Death: Public Discourse in the Age of Show Business, Vorwort, Penguin, 1985, USA 7 2. Hauptteil 2.1. Die Entwirrung von dem Begriff „Literatur der Romantik Romantik““ 2.1.1. Die komplizierte Anwendung von „Romantik Romantik““ in der Weltkultur bis heute Was ist Romantik? Dieser Begriff, zusammen mit vielen betreffenden Ausdrücke, haben mehrere Bedeutungen. Daraufhin behauptete A. O. Lovejoy (1873 —1962), ein einflussreicher amerikanischer Historiker, in seinem wichtigen Essay On the Discrimination of Romanticisms: „It (romantic) means so many things that, by itself, it means nothing at all.“3 Aufgrund der Mehrdeutigkeit schlug er die Verwendung einer Pluralform „romanticisms“ vor.4 Der englische Literaturkritiker F. L. Lucas (1894 — 1967) gab dem englischen Begriff „romanticism“ sogar 11396 Definitionen. Das ist selbstverständlich Extremfall. Trotz der Mehrdeutigkeit teilt die Romantik in verschiedenen Ländern bestimmte definitive Eigenschaften. In der Polemik mit Lovejoy betrachtete der tschechisch-amerikanische Literaturwissenschaftler René Wellek (1903 — 1995) die „Romantik“ unter einem kritischen Aspekt und definierte sie als den Versuch, Subjekt mit Objekt, Menschen mit Natur und Bewusstsein mit Unbewusstsein durch „Universalpoesie“ gleichzustellen. Laut ihm endete solcher Versuch zweifellos mit einem Fiasko und wurde in der Krise der Moderne von unserer Zeit aufgegeben.5 Für viele Kritiker bleibt die „Romantik“ noch undefinierbar, der festgelegte und konsequente Daten fehlen. Im Allgemeinen versteht man unter dem Begriff „Romantik“ eine kulturgeschichtliche Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dauerte. „Romantik“ drückt sich insbesondere auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik mit ihrer Kernphase zwischen 1820 und 1850 aus. 3 4 5 Arthur Oncken Lovejoy: On the Discrimination of Romanticisms, aus: Essays in the History of Ideas, S. 232, Johns Hopkins University Press, 1955, New York Arthur Oncken Lovejoy: On the Discrimination of Romanticisms, aus: Essays in the History of Ideas, S. 235, Johns Hopkins University Press, 1955, New York René Wellek: The Concept of Romanticism in Literary History, aus: Concepts of Criticism, S. 221, Yale University Press New Haven, 1963, London 8 Der Begriff kommt ursprünglich von „in lingua romana“, in romanischer Sprache, also von Schriften, die in der Volkssprache der romanischen Länder geschrieben waren, im Gegensatz zu den zuvor üblichen „in lingua latina“, in lateinischer Sprache verfassten Texten.6 In diesem Sinne bedeutet Romantik eine Hinneigung, die Antike und die Klassik abzuwenden. Die Romantiker wenden sich von klassischen Formen ab und zur eigenen Kultur und Geschichte, zu Sagen, Mythen und Volksliedern des Mittelalters, hin. Davon ist die Musik der Romantik besonders repräsentativ. Die wichtigsten Eigenschaften der romantischen Musik sind die Betonung des gefühlvollen Ausdrucks, die Auflösung der klassischen Formen, die Erweiterung und schließlich die Überschreitung der traditionellen Harmonik sowie die Verbindung der Musik mit außermusikalischen, häufig literarischen Ideen. Die Elemente der Volksmusik wurde immer häufiger aufgenommen.7 Ludwig van Beethoven (1770 — 1827) repräsentiert den Beginn der Epoche der musikalischen Romantik. Andere wichtige Musiker der Romantik sind Johannes Brahms (1833 — 1897), Frédéric Chopin (1810 — 1849), Franz Schubert (1797 — 1828) , Robert Schumann (1810 — 1856), Richard Wagner (1813 — 1883) usw. Gleichartig kehrten sich die literarischen Romantiker von jeder regelhaften Form ab. Sie strebten nach dem vollkommenen Freistil. Weder Form noch Inhalt war für sie festgelegt. Das heißt, nicht nur alle literarischen Formen werden ineinander vermischt, sondern Poesie, Philosophie und Wissenschaft werden auch miteinander verbunden. Die so genannte „Literatur der Romantik“ ist nicht nur ein deutsches Phänomen, sondern auch europaweit. Fast alle europäischen Länder haben eine Epoche von der 6 7 http://de.wikipedia.org/wiki/Romantik Etymologie des Artikels „Romantik“ , 2009-03-12 http://de.wikipedia.org/wiki/Musik_der_Romantik das Artikel „Musik der Romantik“, 2009-03-12 9 „Literatur der Romantik“ erfahren, vor allem aber Deutschland und Großbritannien. In Großbritannien entwickelte sich die Literatur der Romantik ein wenig später als in Deutschland und wird vor allem mit William Wordsworth (1770 — 1850) und Samuel Taylor Coleridge (1772 — 1834) in Verbindung gebracht. Wichtige Persönlichkeiten der britischen Literatur der Romantik sind außerdem noch William Blake (1757 — 1827), Lord Byron (1787 — 1824) und John Keats (1795 — 1821). In katholischen Ländern spielt die Literatur der Romantik eine relativ weniger ausgeprägte Rolle im Vergleich zur Literatur der Romantik in Deutschland und Großbritannien. In Frankreich sind Victor Hugo (1802 — 1885) und Stendhal (1783 — 1842) gewichtigste Schriftsteller der Romantik. Der Hauptexponent der russischen Literatur der Romantik ist Alexander Pushkin (1799 — 1837). 2.1.2. Die komplizierte Anwendung von „Romantik Romantik““ in de derr deutschen 10 Literatur bis heute 2.1.2.1. Die Romantik In der deutschen Literaturgeschichte bezeichnet man mit dem Begriff „Romantik“ normalerweise eine Epoche, die am Ende des 18. Jahrhunderts begann und ca. im Jahre 1840 endete. Im Allgemeinen steht die Romantik im Gegensatz zur Klassik. Friedrich Schlegel (1772 — 1829), einer der wichtigsten Vertreter der Frühromantik, hatte allerdings zu Beginn eine enge Beziehung zu Johann Wolfgang von Goethe (1749 — 1832) und Friedrich Schiller (1759 — 1805), den repräsentativsten Persönlichkeiten der deutschen Klassik. Von den beiden wurde er tief beeinflusst, infolgedessen ist der Anfang der Frühromantik in Deutschland eher eine Fortsetzung und Entwicklung der Klassik, statt als Gegenseite gegen die Klassik aufzukommen. Die Romantiker, insbesondere die Frühromantiker, teilten ähnliche Ansichten in gewissem Grade mit den Klassikern, zum Beispiel haben sowohl die Romantiker als auch die Klassiker die Nachteile der Arbeitsteilung und der Spezialisierung der Menschen gesehen. Jedoch hielten die Romantiker schöne Kunst und Literatur nicht für ein Erziehungsmittel. Im Gegensatz zu der wirklichen Welt ist schöne Kunst und Literatur für sie eine andere Welt, in die sie durch „Romantisieren“ flüchten konnten. Im engeren Sinne endete die Epoche der Romantik bei E.T.A. Hoffmann (1776 — 1822) und Eichendorff (1788 — 1857). Heinrich Heine (1797 — 1856) gilt als „letzter Dichter der Romantik“ und gleichzeitig als ihr Überwinder. Laut den Klassikern gehört Poesie zur Kunst, also „Kunstpoesie“, aber für die Romantiker ist Poesie universal und allumfassend, und deshalb ist Poesie der Kunst überlegen, also „Universalpoesie“. Bei ihnen ist Poesie nicht mehr bloßes Erziehungsmittel. Poesie ist ein Teil der idealen Welt selbst. Dabei geht es wieder um die Frage: Wozu Kunst? Und bei den Romantikern lautet die Antwort: die erhabene Zwecklosigkeit der Kunst. Die große Rede von dem Protagonisten in Ludwig Tiecks Roman Franz Sternbalds Wanderungen wurde später von den Romantikern gerne 11 zitiert: […] das wahrhaft Hohe kann und darf nicht nützen; dieses Nützlichsein ist seiner göttlichen Natur ganz fremd, und es fordern, heißt, die Erhabenheit entadeln und zu den gemeinen Bedürfnissen der Menschheit herabwürdigen. Denn freilich bedarf der Mensch vieles, aber er muss seinen Geist nicht zum Knecht seines Knechtes, des Körpers, erniedrigen: er muss wie ein guter Hausherr sorgen, aber diese Sorge für den Unterhalt muss nicht sein Lebenslauf sein. So halte ich die Kunst für ein Unterpfand unserer Unsterblichkeit […]8 Franz Sternbalds Wanderungen ist das Muster des romantischen Künstlerromans. Bei Tieck findet sich fast alles, was wir heute mit der Romantik verbinden: der romantische Nihilismus in seinem Briefroman William Lovell, die romantische Ironie in seiner literatursatirischen Komödie Der gestiefelte Kater, das romantische Kunstmärchen Der blonde Eckbert, die poetische Wiederentdeckung der alten deutschen Volksbücher. Deshalb wird er heute als „König der Romantik“ genannt. Im wahrsten Sinne des Wortes sehen wir heute die „erhabene Zwecklosigkeit“ durch die sogenannte „romantische Universalpoesie“. Die meisten romantischen Romane sind heute nur von literaturgeschichtlicher Bedeutung. Die Romane verkörpern die Sehnsucht nach schöner Kunst und Unendlichkeit, aber sie selber sind umständlich und ein wenig trivial. Die „Universalpoesie“ ist die Programmatik der deutschen Romantik. Später in der Arbeit wird diese berühmte Theorie noch nahegebracht. Das zentrales Symbol der Romantik ist die „Blaue Blume“, die für Sehnsucht und Liebe sowie für das metaphysische Streben nach dem Unendlichen steht.9 Die „Blaue Blume“ wurde zum ersten Mal von Novalis (1772 — 1801) in seinem fragmentarischen Roman Heinrich von Ofterdingen verwandt. In diesem Roman zeigt Novalis schon eine klare Hinneigung zur Nacht und zur poetischen Mystik, wie auch in seinem Meisterstück Hymnen an die Nacht. Der junge Protagonist Heinrich sinnt vor dem Einschlafen über einen geheimnisvollen Fremden, dem er begegnet, nach: Der Jüngling lag unruhig auf seinem Lager, und gedachte des Fremden und seiner Erzählungen. 8 9 Ludwig Tieck: Franz Sternbalds Wanderungen, aus: Werke in vier Bänden, Bd.1. S. 811-812, Winkler Verlag, 1963, München http://de.wikipedia.org/wiki/Blaue_Blume, das Artikel „Blaue Blume“, 2009-03-16 12 Nicht die Schätze sind es, die ein so unaussprechliches Verlangen in mir geweckt haben, sagte er zu sich selbst; fern ab liegt mir alle Habsucht: aber die blaue Blume sehn’ ich mich zu erblicken.10 So symbolisiert die „Blaue Blume“ sinnbildlich das unaussprechliche Verlangen nach der Erkenntnis der Natur und der Erkenntnis des Selbst. Dieses Verlangen gilt auch als ein Wesen der Romantik. Erwähnenswert ist der Begriff „Romantik“ generell noch als nachträgliche Zuordnung zu verstehen (wie auch der Begriff „Klassik“). Die Romantiker haben entsprechende Bezeichnungen selber nicht wissenschaftlich benutzt. 2.1.2.2. Das Romantische 10 http://de.wikipedia.org/wiki/Blaue_Blume, das Artikel „Blaue Blume“, 2009-03-16 13 Die substantivierte Form das „Romantische“ ist ein transgeschichtlicher und allgemeiner Begriff. Das „Romantische“ wird oft mit dem Phantastischen, dem Illusionären, dem Märchenhaften, dem Traumhaften, dem Überirdischen, sogar dem Wahnsinnigen verbunden. Der Begriff „Romantische“ ist eng mit einem anderen Begriff „Romantisieren“ gebunden, der von Friedrich Schlegel und Novalis geprägt wurde. „Romantisieren“ bedeutet das Unternehmen, die Scheidewände zwischen Literatur und Leben vollends niederzureißen. Damit drückten die Romantiker aus, dass jede Lebenstätigkeit sich mit poetischer Bedeutsamkeit aufladen soll und eine eigentümliche Schönheit zur Anschauung bringen soll. Deshalb kann das „Romantisieren“ immer und überall stattfinden, wo Menschen ihre Tätigkeit, sogar auch inklusive Geschäftsarbeiten, mit Energie und Schwung verrichten. Die Jahrhundertdefinition der Romantik schuf Novalis mit seiner klassischen Definition von dem „Romantisieren“: Die Welt muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts anderes als eine qualitätive Potenzierung. Das niedre Selbst wird mit einem bessern Selbst in dieser Operation identifiziert. [...] Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.11 Das Romantisieren ist für Novalis eine sowohl subjektive als auch objektive Steigerung („Potenzierung“). Und durch seine romantische Liebe zu Sophie von Kühn (1782 — 1797) gelang diese „qualitative Potenzierung“. Für den Dichter ist Sophie nicht nur die größte Liebe seines Lebens, sondern auch eine Brücke zu seiner religiösen Frömmigkeit. Nach dem Tod seiner Geliebten wurde das früher für ihn imaginäre Jenseits ein wirkliches. Das ist eine Wendung für ihn, eine Wendung von Christenheit oder Europa zu Hymne an die Nacht, von dem Gott des Tages und des Lichts zu dem Gott der Nacht und des Todes. Nacht symbolisiert gewöhnlich Tod, Sinnlosigkeit, Verfinsterung und Leere. Aber in seiner Hymne triumphiert die Liebe über die Angst vor dem Tod und über jede Art der Verneinung. Das ist der Triumph des 11 Novalis: Novalis Werke, hg. von. G. Schulz, Fragment Nr. 37, S. 385, 3. Aufl., Beck Verlag, 1987, München. 14 Christentums, durch Tod und Nacht und Auferstehung. Fast alle Romantiker huldigen dem Universalismus. Hierbei kommt die berühmte Theorie der „progressiven Universalpoesie“ noch einmal zur Sprache. Schon im Jahr 1797 stellte Friedrich Schlegel die grundlegende These der „progressiven Universalpoesie“ in der deutschen Literatur der Romantik auf. Dieser berühmte Ausdruck tauchte als Literaturtheorie zum ersten Mal in dem Athen Athenääum — Fragment Nr. 116 auf. Dieser Begriff enthält in aller Kürze das ganze Programm der Frühromantik: Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisieren und die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen und durch die Schwingungen des Humors beseelen. Sie umfasst alles, was nur poetisch ist, vom größten wieder mehrere Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst bis zu dem Seufzer, dem Kuss, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosem Gesang. 12 Damit wurde die Programmatik der romantischen Poesie formuliert. Friedrich Schlegel definierte die „progressive Universalpoesie“ in zwei Sinnen: im engen Sinne bezieht sie sich auf die Beziehung innerhalb der Poesie: eine Vermischung aller literarischen Gattungen; im weiteren Sinne bezieht sie sich auf die Beziehung zwischen Literatur und Leben: die Verbindung mit anderen Fächern und gesellschaftlichen Gebieten, mit Philosophie, Rhetorik, Kritik usw. Das höchste Ziel der Romantiker lautet, die Gesellschaft und das menschliche Leben durch Poesie zu romantisieren, ein überirdisches Paradies durch Poesie auf der Erde zu errichten, die Unendlichkeit in der irdischen Endlichkeit zu finden. So erklärte Jean Paul (1763 — 1825), der deutsche Schriftsteller zwischen Klassik und Romantik: Das Romantische ist das Schöne ohne Begrenzung oder das schöne Unendliche.13 12 13 Friedrich Schlegel: Kritische Schriften , S. 38, hg. von. Wolfdietrich Rasch, 2. Aufl., Carl Hanser Verlag, 1964, München. Jean Paul: Vorschule der Ästhetik, S. 88, hg. von. Norbert Miller, Eichborn Verlag, 1996, Frankfurt am Main 15