OrganisatiOnsfOrmen im Vergleich

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OrganisatiOnsfOrmen im Vergleich
48 | fachartikel
AQUA & GAS N o 2 | 2013
Organisationsformen
im Vergleich
Leistungsfähigkeit der Siedlungs wasserwirtschaft in Zürich, Berlin und leeds
Die Debatte, ob private oder öffentliche Organisationsformen leistungsfähiger sind, beschäftigt
weite Kreise in Wissenschaft und Praxis. Anhand von Fallbeispielen der Wasserver- und -entsorgung in den Städten Zürich, Berlin und Leeds zeigt dieser Artikel, wie und warum unterschiedliche
Organisationsformen bezüglich Effektivität, Effizienz, Partizipation und Rechenschaftspflicht besser oder schlechter abschneiden.
Eva Lieberherr*, Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag)
AUSGANGSLAGE
Résumé
FORMES ORGANISATIONNELLES EN COMPARAISON – PERFORMANCES DE
LA GESTION DEs EAUx URBAINEs A ZURICH, BERLIN ET LEEDS
Les formes organisationnelles privées, sont-elles plus performantes dans la gestion des eaux urbaines que les organisations
publiques? Cet article tente de répondre à cette question à travers
trois cas d’espèce internationaux (Zurich, Berlin et Leeds).
Les résultats montrent comment des conflits d’intérêts peuvent
apparaître entre l’efficience économique, les impacts écologiques
et la légitimation démocratique. Les formes organisationnelles
publiques réussissent en général un meilleur équilibre entre l’efficience économique et les aspects écologiques et démocratiques.
Néanmoins, les performances des organisations publiques sont
souvent limitées dans le domaine de la marge de manœuvre entrepreneuriale. Les organisations privées ou semi-privées y ont de
toute évidence de meilleurs résultats.
Ces résultats confortent l’idée que la question de la forme organisationnelle optimale ne peut être répondue d’une manière générale car toute forme a ses propres forces et faiblesses. Il importe
bien plus de concevoir les conditions cadre à la réussite du large
spectre d’objectifs de l’approvisionnement public.
Qualitativ hochstehendes und allzeit verfügbares Trinkwasser
sowie eine sichere Entsorgung des Abwassers sind für Länder
wie die Schweiz längst selbstverständlich. Nichtdestotrotz sind
neue Herausforderungen in diesem Sektor zu meistern. Im Zusammenhang mit globalen Problemen wie Klimawandel oder demografische Entwicklungen können Umwelt- und Ressourcenschutz sowie Versorgungssicherheit zunehmend schwieriger
werden [1]. Gleichzeitig trifft ein steigender Kostendruck auf
neue Investitionsanforderungen im Zusammenhang mit Sanierungen der bestehenden Anlagen oder mit dem Einhalten von
strengeren Gesundheits- und Umweltgesetzen [1]. In diesem
zunehmend komplexer werdenden Umfeld wurde in den letzten
Jahren immer wieder die Frage aufgeworfen, ob öffentliche Organisationen überhaupt in der Lage sind, die nötigen Kompetenzen aufzubauen, oder ob dies nicht besser an private Firmen
delegiert werden sollte [2].
Der vorliegende Artikel präsentiert eine systematische Untersuchung der Stärken und Schwächen unterschiedlicher
* Kontakt: [email protected]
AQUA & GAS N o 2 | 2013
Organisationsformen in der Siedlungswasserwirtschaft in verschiedenen westeuropäischen Städten. Anhand von drei
«extremen» Beispielen (Zürich als reine
öffentliche, Leeds als reine private und
Berlin als gemischte Organisationsform)
wird gezeigt, wo die wichtigsten Unterschiede in der Leistungsfähigkeit auftreten, und welche Folgerungen daraus für
die Suche nach der «optimalen» Organisationsform zu ziehen sind.
Aber wieso muss diese Frage überhaupt
gestellt werden? Dazu lohnt sich ein Blick
zurück in die historische Entwicklung der
Siedlungswasserwirtschaft. Am Anfang
der industriellen Revolution wurden die
meisten neuen Versorgungsgüter (Strom,
Eisenbahn, Telefon, Wasser) durch Private
aufgebaut und betrieben [3]. Im Laufe der
schnellen wirtschaftlichen Entwicklung
zeigten sich dabei zunehmende Koordinations- und Qualitätsprobleme. Dies führte
schliesslich Anfang des 20. Jahrhunderts
zu verschiedenen Verstaatlichungswellen. Die Wasserver- und -entsorgung wird
schon seit dem 19. Jahrhundert hauptsächlich vom Staat gewährleistet. Dabei
wurde die heute flächendeckende Infrastruktur mit staatlichen Subventionen finanziert und die Dienstleistungen durch
öffentliche Organisationen bereitgestellt.
Noch heute spielt der Staat in Westeuropa
eine zentrale Rolle in der Siedlungswasserwirtschaft. Allerdings kann seit Ende
des letzten Jahrhunderts eine zunehmen-
Abwasser | 49
Fig. 1 D
arstellung des Untersuchungsdesigns von Organisationsformen und Leistungsfähigkeit
Représentation de l’approche de l’étude des formes organisationnelles et des performances
de Bewegung weg von öffentlicher und
hin zu diversen privaten und gemischten
Organisationsformen festgestellt werden.
In den 1980er-Jahren begann man, die
Zweckmässigkeit staatlicher Leistungserbringung in öffentlichen Debatten infrage
zu stellen. Besonders fehlende Effizienz
und unternehmerische Kompetenzen
wurden bemängelt [4]. Die daraus abgeleitete Empfehlung lautete, dass mit Einbezug von privaten Akteuren im öffentlichen Sektor die Leistungsfähigkeit des
ganzen Sektors gesteigert werden könne.
Der Wassersektor wurde in den letzten
zwanzig Jahren weit weniger stark durch
diese Debatten betroffen als andere Versorgungssektoren (wie z. B. Telekommunikation oder Energie). Dennoch finden
sich heute auch in der Siedlungswasserwirtschaft eine breite Palette von öffentlichen, privaten und gemischten Organisationsformen.
Der Frage der Leistungsfähigkeit unterschiedlicher Organisationsformen soll
im vorliegenden Artikel anhand einer
vergleichenden Fallstudie in der Wasserver- und -entsorgung nachgegangen
werden. Der Artikel basiert auf den Erkenntnissen einer kürzlich an der Eawag
abgeschlossenen Dissertation [5]. Hier
wurde ein Analyseraster entwickelt, um
die Leistungsfähigkeit unterschiedlicher
Organisationsformen zu erfassen, dargestellt in Figur 1.
Basierend auf dieser Arbeit werden im
Folgenden unterschiedliche Organisationsformen identifiziert. Die unterschiedlichen Aspekte, die explizit oder
implizit mit «Leistungsfähigkeit» in
Verbindung gebracht werden, gilt es zu
bestimmen. Nebst ökonomischer Effizienz und Wirtschaftlichkeit werden auch
demokratische (d. h. Partizipation und
Rechenschaftspflicht) sowie soziale und
ökologische Aspekte (d. h. Effektivität
hinsichtlich Service Public, Versorgungssicherheit, Ressourcenschutz, und öffentliche/private Akzeptanz) der Leistungsfä-
Managementtyp
Eigentümerschaft
Juristischer Rahmen
Finanzielle Struktur
– öffentliches Management
(innerhalb der öffentlichen
Verwaltung)
– keine Betriebsentscheidungsflexibilität; enge Kopplung zu politischen Entscheidungswegen
Öffentlich
– keine eigene Rechtspersönlichkeit
–ö
ffentliches und Verwaltungsrecht
– öffentliche (kommunale)
Finanzmittel
– in Richtung kostendeckender
Tarife, dennoch sind staatliche
Subventionen möglich
– öffentliches Investitionskapital
– delegiertes Management an
Öffentliche
– gewisse Betriebsentscheidungsflexibilität: z. B. Verwaltungsrat mit Abgeordneten
Öffentlich
– Rechtspersönlichkeit
– öffentliches Recht
–ö
ffentlich, aber mit eigener
Kostenrechnung und Zugang
zu externen Finanzmitteln
–k
ostendeckende Tarife, aber
staatliche Subventionen sind
noch möglich
– öffentliches Investitionskapital
Gemischt
– delegiertes Management an
Private
– teilautonome Betriebsentscheidungsfindung (je nach vertraglichen Vereinbarungen)
Öffentlich oder
geteilt zwischen
öffentlichen und
privaten Akteuren
– Rechtspersönlichkeit
– öffentliches und privates Recht
– Verträge und Statuten
– öffentlich, privat und/oder
gemeinsame Finanzmittel
– Zugang zu Aktienkapital
– Tarifsystem mit Rendite
– öffentliches, privates und/oder
gemeinsames Investitionskapital
Privat
– direkt privates Management
autonome Betriebsentscheidungsfindung
Privat
– Rechtspersönlichkeit
– öffentliches und privates Recht
– Verträge und Statuten
– Lizenz
– private Finanzmittel
– Tarifsystem mit Rendite
– privates Investitionskapital
Dimensionen
Formen
Öffentlich
Tab. 1 Ö
ffentliche resp. private Gestaltung unterschiedlicher Organisationsaspekte der Siedlungswasserwirtschaft
Approche publique vs. privée de différents aspects organisationnels de la gestion des eaux urbaines
50 | Abwasser
AQUA & GAS N o 2 | 2013
higkeit in der Siedlungswasserwirtschaft
einbezogen. Die Bewertung der Alternativen wird anhand der Fallbeispiele Zürich
(öffentlich), Berlin (gemischt) und Leeds
(privat) vorgenommen. Demzufolge stellt
dieser Artikel dar, wie und warum ein
gewisses Wechselspiel zwischen unterschiedlichen Aspekten von Leistungsfähigkeit in den jeweiligen Organisationsformen zustande kommt.
ORGANISATIONSFORMEN UND
IHRE LEISTUNGSFÄHIGKEIT
Privatisierung bezeichnet die Übertragung vormals öffentlicher Aufgaben an
private Akteure. Dabei werden entweder nur einzelne Dienstleistungen oder
gar ganze Versorgungsunternehmen
privaten Akteuren überlassen. Folglich
gibt es schwächere Formen der Privatisierung, wie z. B. die Übertragung
der Kanalreinigung an private Firmen,
und stärkere Formen, wie etwa den
kompletten Verkauf der Infrastruktur
an private Kapitalgeber. Vollständige
Privatisierungen kommen in der Siedlungswasserwirtschaft selten vor –
Mischformen umso mehr. Die wichtigsten
Varianten sind entlang verschiedener Dimensionen in Tabelle 1 dargestellt; dabei
wird eine Reichweite von dem Ausmass
der privaten Einbindung aufgewiesen.
Diese Varianten werden in der Folge nach
ihrer Leistungsfähigkeit bewertet. Aber
was heisst denn eigentlich «Leistungsfähigkeit»? Was als «hohes» Ausmass von
Leistungsfähigkeit gilt, hängt von der
Zielsetzung der betroffenen Akteure ab.
Bei Versorgungsgütern stehen oft Allgemeinwohlziele im Vordergrund, wie beispielsweise die Versorgungssicherheit
oder der Umweltschutz in der Wasserverund -entsorgung. Andererseits müssen
die Anlagen aber auch wirtschaftlich betrieben werden und sollten möglichst den
Staatshaushalt wenig belasten [5].
Leistungsfähigkeit umfasst in der Regel
mehrere potenziell auch gegenläufige Ziele. In der öffentlichen Debatte wird es oft
ausschliesslich mit ökonomischer Effizienz und Wirtschaftlichkeit in Verbindung
gesetzt [6]. Da bei der Siedlungswasserwirtschaft durchaus auch soziale und
politische Interessen betroffen sind, ist
aber die Leistungsfähigkeit in Bezug auf
demokratische Legitimation zu berücksichtigen. Zudem ist Wasser als zentrales
Umweltgut zu schützen und zu erhalten,
weshalb auch ökologische Aspekte eine
wichtige Rolle spielen (d. h. Ressourcenschutz). Demzufolge ist Leistungsfähigkeit ein dehnbarer Begriff, der folgende
Dimensionen beinhaltet:
E f fe k t i v i t ät
Gewährleistung des Service Public (in
Bezug auf den Anschlussgrad ans Verteilungs- und Kanalisationsnetz, Qualität,
Erschwinglichkeit der Gebühren), Versorgungssicherheit, Ressourcenschutz und
öffentliche sowie private Akzeptanz
Effizienz
Optimales Kosten-Nutzen-Verhältnis
Par t i z i p at i o n
Einflussmöglichkeit von Bürgern in Entscheidungsprozessen
Re c h e n s c h af t s p f li c h t
Klare Definition der Verantwortlichkeiten, Ausmass der Gewaltentrennung und
öffentliche Kontrolle
Dimension
Ausmass
Messbare Kriterien
Effektivität
++
– Service Public (Grundversorgung): 97–100% der Haushalte angeschlossen ans Trinkwasser- und Kanalisationsnetzwerk; hohe Qualität – keine öffentlichen Wasserkrankheiten; erschwingliche Gebühren
– Versorgungssicherheit: Vernetzung des Versorgungsnetzwerkes; Notfallreserve; kontinuierliche Instandhaltung
– Ressourcenschutz: mindestens 3 Stufen von Abwasserreinigung; Einhaltung von Grenzwerten; Grundwasserschutz (Quantität)
– Akzeptanz: öffentliche Zufriedenheit: niedrige Gebühren, hohe Qualität etc.; private Zufriedenheit: hohe Rendite
(über 20%)
0
– Service Public: 90–97% der Haushalte angeschlossen ans Trinkwasser- und Kanalisationsnetzwerk; mittlere
Qualität – öffentlichen Wasserkrankheiten; weniger erschwingliche Gebühren
– Versorgungssicherheit: Teilvernetzung des Versorgungsnetzwerkes; Notfallreserve; mittlere Instandhaltung
– Ressourcenschutz: Mindestens 2 Stufen von Abwasserreinigung; nicht alle Grenzwerte werden eingehalten;
Gefahr der Absenkung vom Grundwasser
– Akzeptanz: mittlere öffentliche Zufriedenheit: mittlere Gebühren, gewisser Mangel an Qualität etc.; mittlere
private Zufriedenheit: mittlere Rendite (über 10–20%)
––
– Service Public: Weniger als 90% der Haushalte angeschlossen ans Trinkwasser- und Kanalisationsnetzwerk;
niedrigere Qualität, Steigerung der öffentlichen Wasserkrankheiten; keine erschwingliche Gebühren
– Versorgungssicherheit: wenig Vernetzung des Versorgungsnetzwerkes; keine Notfallreserve und Instandhaltung
– Ressourcenschutz: weniger als 2 Stufen von Abwasserreinigung; viele Grenzwerte werden nicht eingehalten;
Absenkung vom Grundwasser
– Akzeptanz: öffentliche Unzufriedenheit: hohe Gebühren, Mangel an Qualität etc.; private Unzufriedenheit:
niedrige Rendite oder Schulden
++
– Minimierung von internen Kosten mit gleichem / höherem Umsatz
0
– Teilminimierung von internen Kosten mit gleichem Umsatz
––
– keine Minimierung / Steigerung von Kosten mit geringerem Umsatz
Effizienz
Partizipation
Rechenschaftspflicht
++
– alle Bürger (in der Stadt / Region) haben Mitbestimmungsrechte (können direkt wählen)
0
– Bürger werden durch ihre Abgeordneten repräsentiert (können nicht mehr direkt wählen)
––
– Bürger können weder direkt noch indirekt Einfluss nehmen (Entkopplung von Betrieb und Politik)
++
– Gewaltentrennung (Sanktionen durch Wahlen und Delegation); direkte öffentliche Kontrolle und Transparenz
0
– limitierte Gewaltentrennung; indirekte Kontrolle; wenig Transparenz
––
– keine Gewaltentrennung; keine Kontrolle; Intransparenz
Tab. 2 D
imensionen der Leistungsfähigkeit und ihre Eigenschaften
Dimensions des performances et leurs qualités
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Abwasser | 51
Effektivität
Effizienz
Partizipation
Rechenschaftspflicht
Zürich
++
0
+
+
Berlin
–
+
–
––
Leeds
+
+
––
0
Legende: –– = niedrig; – = niedrig- bis- mittel; 0 = mittel; + = mittel- bis- hoch; ++ = hoch
Tab. 3 E
rgebnisse der Leistungsfähigkeit in Zürich, Berlin und Leeds
Résultats des performances à Zurich, Berlin et Leeds
Diese Dimensionen des Leistungsfähigkeitsbegriffes sind in Tabelle 2 zusammengefasst.
FALLSTUDIEN
Be is p ie l Zür ich: ö ffent lic h
Als Beispiel einer öffentlichen Organisationsform wurden die Wasserversorgung
Stadt Zürich und die «Entsorgung + Recycling Zürich» eingehend untersucht.
Beide Betriebe sind direkt in die Stadtverwaltung eingebunden und unterliegen
deshalb öffentlicher Eigentümerschaft
und einem öffentlich-rechtlichen juristischen Rahmen. Die Betriebe finanzieren
ihre Dienstleistungen und Investitionen
hauptsächlich durch Gebühren, aber
auch durch Staatsdarlehen. Die Betriebe
dürfen weder Profit generieren noch die
Gebührengelder an Dritte oder an andere
Sektoren weitergeben; das Betriebseinkommen ist zweckgebunden.
Be is p ie l Be r lin: öf fent lic h-p riv a t
Als Beispiel einer gemischt öffentlichprivaten Organisationsform wurden die
Berliner Wasserbetriebe untersucht, die
für die Wasserver- und -entsorgung im
Grossraum Berlin verantwortlich sind.
Die Eigentümer der Betriebe sind öffentlich und privat; das Management ist an
Private delegiert. Wichtig ist, dass die privaten Eigentümer eine direkte Kontrolle
über das Management der Wasserbetriebe ausüben können. Im Jahr 1999 hat der
Stadt-Staat Berlin 49,9% der Wasserbetriebe (inkl. Infrastruktur) an RWE und
Veolia verkauft.1 Die Berliner Wasserbetriebe haben eine eigene Rechtspersönlichkeit, sind jedoch eine Anstalt öffentlichen Rechts. Ihre Aufgaben werden nicht
nur durch öffentliche Gesetze, sondern
auch durch die Teilprivatisierungsverträge zwischen dem Berliner Senat und den
Privateigentümern geregelt. Die finanzielle Struktur basiert auf privatem Betei1
Veolia Environment ist eine französische multi-nationale Korporation. RWE Aqua ist eine deutsche multinationale Korporation im Bereich Energie und Wasser.
ligungskapital mit einem Tarif, der eine
Rendite für die Gesellschafter garantiert.
Dementsprechend wird die Höhe der Gebühren anhand kalkulatorischer Zinsen
berechnet, die auf dem betriebsnotwendigen Kapital und einem «Verordnungszinssatz» basieren. Das Betriebseinkommen ist nicht zweckgebunden und kann
an Dritte weitergegeben werden.
ziele. Was hier vor allem überrascht, ist,
dass die gemischte Form hinsichtlich der
verschiedenen
Leistungsfähigkeitsaspekte am schlechtesten abschneidet und
gleichzeitig die stärksten Zielkonflikte
aufweist. Um diese Ergebnisse besser zu
verorten, wird im Folgenden erläutert,
welche Zielkonflikte in den einzelnen
Beispielen auszumachen sind.
Beisp iel Le e ds: p r i v at
B e i s p i e l Zü r i c h
Die private Organisationsform wurde
anhand einer Fallstudie über Yorkshire
Water, den Wasserver- und -entsorger in
Leeds, England, beleuchtet. Hier ist das
Management privat. Ebenso ist die Eigentümerschaft privat, seit der Staat im Jahre
1989 die Betriebe samt Infrastruktur an
das private Unternehmen Yorkshire Water
verkauft hat. Die Konzession an das private Unternehmen wurde im öffentlichen
Recht spezifiziert. Heute sind aber die Aufgaben in der Lizenz und den Statuten der
Betriebe festgesetzt. Die finanzielle Struktur basiert auf privatem Beteiligungskapital – mit zunehmender Fremdfinanzierung. Der Tarif ist ähnlich wie in Berlin,
da er eine Rendite für die Investoren garantiert. Wie in Berlin ist das Betriebseinkommen nicht zweckgebunden und kann
an Dritte weitergegeben werden.
Ein wichtiges Ergebnis ist, dass die öffentliche Organisationsform auch ohne
Wandel zur privaten Form einen mittleren Grad an Effizienz erreichen kann –
z. B. durch interne Umstrukturierung,
die zu einer Verflachung von Hierarchien
und stärkerer Prozessorientierung führte. Gleichzeitig sind die Zürcher Betriebe
bestrebt, mehr unternehmerischen Handlungsspielraum zu gewinnen, um ihre Effizienz weiter zu steigern. Hingegen wird
ein Wandel in Richtung Privatrecht oder
der Einbezug privater Akteure in die Leistungserbringung eher abgelehnt. Die Interviewpartner befürchteten, dass dies zu
einer Entkoppelung von politischen Entscheidungsgremien führen und damit legitimatorische Defizite erzeugen könnte.
Trotz potenzieller Effizienzsteigerungen
werden also Partizipation und die Aufrechterhaltung der Rechenschaftspflicht
in der Stadt resp. dem Kanton Zürich höher bewertet. Andererseits weist Zürich
einen hohen Erfüllungsgrad bezüglich
der Allgemeinwohlziele wie saubere Gewässer (durch hohen Ressourcenschutz)
und öffentliche Akzeptanz auf – dies bei
gleichzeitig erschwinglichen Gebühren
[5]. Durch die Gewaltentrennung konnte
eine effektive Einhaltung der Umweltziele bzw. die Erfüllung der Rechenschaftspflicht garantiert werden. Der generell
hohe Grad an Partizipation bewirkt ferner, dass Investitionen auf eine hohe
Versorgungssicherheit und Ressourcenschutz ausgerichtet sind.
ERGEBNISSE
Die Ergebnisse der drei Fallstudien sind
in Tabelle 3 dargestellt. Dort kann man
ablesen, dass keine der Organisationsformen «optimal» abschneidet. Jede Organisationsform weist spezifische Stärken
und Schwächen auf. Bei der öffentlichen
Organisationsform steht tiefere Effizienz
einem höheren Grad an Partizipation,
Rechenschaftspflicht und einer besseren
Erfüllung der Allgemeinwohlziele gegenüber. Die gemischten und privaten Organisationsformen zeichnen sich durch
höhere Effizienz und betriebswirtschaftlichen Profit aus. Dem gegenüber steht
aber ein niedrigerer Grad an Partizipation, Rechenschaftspflicht und eine tiefere
Erfüllung bezüglich der Allgemeinwohl-
B e i s p i e le B e r li n u n d Le e ds
In Berlin und Leeds hingegen zeigt die
Analyse, dass der Fokus der Versorger
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sehr stark auf wirtschaftlicher Effizienz
und finanziellen Gewinnen liegt. Die gemischte resp. die private Organisationsform wurde ursprünglich eingeführt, um
mit privatem Kapital Sanierungskosten
zu decken und durch den Einbezug von
privaten Akteuren einen höheren Grad
an Effizienz und Effektivität zu erreichen.
Die Analyse zeigt aber in beiden Fällen,
dass zwar ein mittleres bis hohes Ausmass an Effizienz, aber ein geringes Ausmass an Effektivität bezüglich der Allgemeinwohlzeile erreicht wurde. Begründet
wird dieser Umstand mit Schwächen
bei (a) Gewaltentrennung, (b) effektiver
Kontrolle der Betreiber durch die Umweltbehörde und (c) geringer/fehlender
Partizipation. Besonders Berlin weist den
geringsten Grad an Gewaltentrennung
und Transparenz auf, was zu Mängeln bei
der Einhaltung der Umweltziele geführt
hat. Zudem werden Investitionen in Berlin und Leeds nicht nur eingesetzt, um
Versorgungssicherheit und Ressourcenschutz zu gewährleisten, sondern auch,
um das betriebsnotwendige Kapital zu
erhöhen, sodass die garantierte Rendite
erreicht werden kann. So wurde z. B. in
Berlin mehr Grundwasser gefördert, als
von Nutzern gebraucht wurde, um das
betriebsnotwendige Kapital zu erhöhen.
Ebenso führen in Leeds gewisse Anreize
zu Überinvestitionen (allerdings weniger
drastische als in Berlin). Berlin und Leeds
konnten schliesslich die garantierten
Renditen an ihre Gesellschafter bzw. Investoren ausschütten. Allerdings wurden
die Wassergebühren damit für gewisse
Bürger unerschwinglich, was schliesslich
zulasten der öffentlichen Akzeptanz der
gemischten und privaten Organisationsformen führte [5].
Zusammenfassend kann man feststellen,
dass die öffentliche Form eine bessere
Balance zwischen den verschiedenen
AQUA & GAS N o 2 | 2013
Leistungsfähigkeitsaspekten erreicht als
die privaten und gemischten. Dies ergibt
sich aus folgenden Gründen: (1) In ersterer stehen vorwiegend öffentliche Ziele
im Vordergrund. Es muss keine Rücksicht auf finanzielle Gewinne genommen
werden. (2) Da es um öffentliche Versorgungsgüter geht, bleibt der Anspruch auf
Allgemeinwohlorientierung auch in den
privaten und gemischten Organisationsformen bestehen. Deshalb weist die öffentliche Form auch einen höheren Grad
an öffentlicher Akzeptanz auf als die anderen zwei Formen.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
Die Studie hat gezeigt, wie und warum
Zielkonflikte zwischen ökonomischer Effizienz, ökologischen Auswirkungen und
demokratischer Legitimation in öffentlich-, privat- und gemischt-wirtschaftlichen Versorgungsbetrieben (in der
Siedlungswasserwirtschaft)
entstehen
können.
Dabei hat sich erwiesen, dass private
Organisationsformen nicht per se leistungsfähiger sind als öffentliche. Was
vielleicht noch mehr überrascht, ist das
Ergebnis, dass die gemischte Form keine
höhere Leistungsfähigkeit aufweist als
die reinen Formen, trotz der gängigen
Annahme, dass eine solche Form ein
«goldener Mittelweg» zwischen öffentlich
und privat darstellt. Die Ergebnisse lassen sogar vermuten, dass die öffentliche
Organisationsform generell eine bessere
Balance zwischen ökonomischer Effizienz
und ökologischen sowie demokratischen
Aspekten erreichen kann als private
oder gemischte Organisationsformen.
Allerdings scheint es wichtig, dass ein
hinreichender unternehmerischer Handlungsspielraum gewährleistet bleibt. Private und gemischte Organisationsformen
schneiden hier eindeutig besser ab.
Diese Resultate widersprechen damit den
Hauptannahmen, die oft in der Privatisierungsdebatte zu hören sind, nämlich
dass private und gemischte Organisationsformen leistungsfähiger seien als öffentliche. Die hier präsentierten Erkenntnisse stellen damit eine Grundlage dar,
um Organisationsformen zu finden, die
eine ausgewogene Balance zwischen unterschiedlichen Aspekten der Leistungsfähigkeit in der Siedlungswasserwirtschaft gewährleisten. Damit kann dem
jeweiligen politischen Kontext Rechnung
getragen werden. Rahmenbedingungen
müssen so gestaltet werden, dass die zunehmenden Herausforderungen der Siedlungswasserwirtschaft besser bewältigt
werden können.
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