ARD-Morgenmagazin Service

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ARD-Morgenmagazin Service
ARD-MORGENMAGAZIN – SERVICE 04.12.2013
THEMA:
LEBENSMITTELALLERGIEN
Autorin:
Uschi Müller
EXPERTE IM STUDIO:
WOLFGANG KRUIS
Funktion:
Gastroenterologe und Ernährungsmediziner
Sehr oft hört man Sätze wie "Ich bin allergisch gegen Nüsse!", "Mein Kind verträgt keine Milch!"
oder "Mein Darm spielt verrückt, wenn ich Weintrauben esse!" – diese Aussagen deuten darauf
hin, dass Nahrungsmittelallergien sowie Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder -intoleranzen
rasant zunehmen. Aber stimmt das wirklich? Und worin unterscheidet sich eine Allergie von
einer Intoleranz?
 Die Nahrungsmittelallergie ist eine Abwehrreaktion des menschlichen Immunsystems gegen bestimmte Nahrungsmittel oder gegen einzelne Nahrungsmittelbestandteile, die grundsätzlich keine Gefahr für den betreffenden Menschen darstellen. Eine Nahrungsmittelallergie
ist eine überschießende Reaktion des Körpers. Es soll etwas unschädlich gemacht werden,
das gar nicht schädlich ist.
 Bei der Nahrungsmittelintoleranz oder -unverträglichkeit spielt das körpereigene Immunsystem überhaupt keine Rolle. Die Unverträglichkeit ist zum Beispiel auf das Fehlen von bestimmten Enzymen zurückzuführen. Etwa die Laktase bei der Laktose-Intoleranz.
Nahrungsmittelallergien
Tierische und pflanzliche Eiweiße können Allergien auslösen. Diese Stoffe nennt man Allergene. Eine allergische Reaktion tritt allerdings nur dann auf, wenn der Körper bereits gegen ein
Allergen sensibilisiert wurde. Bei Personen mit starker Allergieneigung – man nennt sie Atopiker – kann es beim ersten Kontakt mit einem körperfremden Eiweiß zur Sensibilisierung kommen. Dieser Erstkontakt erfolgt über die Schleimhautoberfläche des Atemtraktes, über die Haut
oder über das Verdauungssystem. Das Immunsystem erkennt das artfremde Eiweiß, stuft es
als gefährlich ein und leitet die Bildung von Antikörpern – Immunglobuline E, kurz IgE – ein. Der
Erstkontakt bleibt ohne spürbare Folgen. Der Körper hat allerdings nun gegen dieses Eiweiß
aufgerüstet. Bei jedem weiteren Kontakt kommt es zu einer allergischen Abwehrreaktion.
Aminosäuren – einzelne Eiweißbausteine – können keine Reaktion auslösen. Das können nur
zusammengesetzte Bausteine – Proteine. Darin liegt das Problem: Proteine werden im Darm
nicht gänzlich zu Aminosäuren zerlegt, 10 Prozent etwa bleiben als Proteine vorhanden. Und
diese bilden die Gefahr für den Allergiker.
Von einer Nahrungsmittel-Kreuzreaktion spricht man, wenn z. B. ein Pollenallergiker parallel
dazu auf bestimmte Nahrungsmittel allergisch reagiert. Bestimmte Pollen und bestimmte Früchte haben Allergene mit gleichen Strukturen. Birkenpollen-Allergiker vertragen keinen Apfel und
keine Nüsse. Beifuß-Allergiker vertragen keine Tomaten und Paprika sowie Kürbis und Melonen. Sellerie-Allergiker vertragen fast keine Gewürze, vor allem kein Basilikum und Oregano.
Auslöser:
Grundsätzlich kann jedes Nahrungsmittel eine allergische Reaktion auslösen. Wir nehmen im
Laufe des Tages etwa 120 verschiedene Nahrungsbestandteile auf, die Allergene sein können.
Bei der Kreuzallergie kommt es meist zu eher leichten Reaktionen. Zu den Lebensmitteln, die
ein hohes Allergen-Potential haben und häufig Allergien auslösen, gehören Erdnüsse, Walnüsse, Haselnüsse, Soja, Fisch, Meeresfrüchte, Milch und Eier, aber auch Sellerie und Möhren,
Gewürze, Samenkörner und in seltenen Fällen Fleisch. Oft reicht das Einatmen des Geruches
aus, um eine schwere Reaktion auszulösen. Gefährlich sind auch Spuren von Allergenen, z. B.
Haselnusssplitter in Schokolade oder Nougatcreme. Daher ist es wichtig, dass auf Lebensmittelpackungen genau alle Inhaltsstoffe angegeben werden.
Häufig zerstört Hitze Allergene in Lebensmitteln. Daher verträgt der Allergiker oft Obst und
Gemüse in gedünstetem oder anders erhitztem Zustand bestens. Erdnüsse oder Garnelen
können in erhitztem Zustand jedoch noch gefährlicher werden.
Symptome:
Unmittelbar nach dem Genuss eines bestimmten Nahrungsmittels kann es zu Juckreiz an den
Lippen kommen, zu Zungenschwellungen, Schluckbeschwerden, Atemnot, Niesen, zu laufen-
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der Nase, zu einer Bindehautentzündung. In extremen Fällen kann es zu Asthma, massiven
Verdauungsbeschwerden, Hautreaktionen wie Nesselsucht bis zum anaphylatischen Schock
kommen, der auch tödlich sein kann.
Diagnose:
Da die Diagnose schwer ist, sollte auf jeden Fall ein Allergologe, ein Facharzt für Allergien aufgesucht werden. Er kennt zahlreiche Diagnoseverfahren. Zuerst wird eine genaue Befragung
durchgeführt. Danach folgt der Hauttest (Prickstest), bei dem verschiedene Extrakte in die Haut
eingebracht und Reaktionen beobachtet werden. Außerdem gibt es eine Reihe von Blutuntersuchungen, mit denen Allergien diagnostiziert werden können. Die letzte Stufe der Diagnostik
ist der orale Provokationstest. Dabei muss sich der Betroffene einige Zeit an eine allergenarme
Diät halten. Und in einer Testphase isst der Patient unter ärztlicher Aufsicht ein bestimmtes
Nahrungsmittel, das im Verdacht steht, die Allergie auszulösen.
Therapie:
Die beste Therapie besteht in der Vermeidung der allergieauslösenden Nahrungsmittel. Das
Problem sind die in den Nahrungsmitteln versteckten Zutaten, die Allergene enthalten. Zum
Beispiel Sellerie in Suppenwürze. Außerdem kann es durch Weglassen zu vieler Nahrungsmittel zu Mangelerscheinungen kommen. Es gibt aber auch Medikamente, die darauf abzielen, die
Symptome zu lindern oder zu unterdrücken. Nahrungsmittel-Allergiker müssen – wie Insektenstich-Allergiker – mit einem Notfallset ausgerüstet sein. Auch eine Immuntherapie mit Hyposensibilisierung ist möglich.
Schutzfaktoren:
Frühkindliche Infekte, häufiger Kontakt mit anderen Kindern und Kontakt mit Schmutz trainieren
das Immunsystem und machen es stark gegen Allergien. Der wichtigste Schutz ist die Muttermilch. Das Stillen des Babys in den ersten sechs Monaten garantiert, dass das Baby kein artfremdes Eiweiß bekommt. Daher sollte vorher keine Beikost gegeben und nur schrittweise eingeführt werden. Kinder mit erhöhtem Allergierisiko sollten im ersten Lebensjahr nur mit allergenfreien Nahrungsmitteln versorgt werden: Also keine Kuhmilch, keine Kuhmilchprodukte,
kein Fisch, keine Nüsse, kein Soja.
WICHTIG: Tatsächlich leiden nur etwa 8 Prozent aller Kinder und etwa 2 Prozent aller Erwachsenen an einer Nahrungsmittelallergie. Die Zahl der Konsumenten von Spezialnahrungsmitteln
für Allergiker steht jedoch in krassem Missverhältnis zur Zahl der tatsächlich Erkrankten – der
Markt für z. B. laktosefreie Produkte ist in den letzten Jahren enorm gewachsen, der Absatz hat
sich fast verdreifacht. Immer mehr gesunde Menschen sind also dazu bereit, für Produkte, die
sie nicht brauchen, mehr zu bezahlen. Ein Modetrend?
Nahrungsmittelintoleranz
Es gibt viele verschiedene Formen: Laktose-Intoleranz, Fruktose-Intoleranz, Gluten-Intoleranz
(Zöliakie), Pharmakologische Intoleranz sowie Intoleranz mit unbekanntem Mechanismus.
Bei der Laktose-Intoleranz handelt es sich um eine enzymatische Intoleranz. Laktose (Milchzucker) ist ein Zweifachzucker und besteht aus den Zuckerbausteinen Glukose (Traubenzucker) und Galaktose (Schleimzucker). Um Laktose in die beiden aufnehmen zu können, ist
Laktase notwendig. Die meisten Menschen können dieses Enzym ein Leben lang produzieren.
Bei 15 Prozent nimmt die Produktion ab, d. h. bei Milchkonsum gelangt Laktose ungespalten in
den Dickdarm, wo sie von Bakterien abgebaut wird. Die Folge sind Durchfall und Blähungen.
Mitunter ist der Mangel am Enzym Laktase angeboren, was schon beim Kleinkind zu schweren
Durchfällen führt.
Diagnose:
Man erkennt die Laktose-Intoleranz mit einem Belastungstest, einem Bluttest.
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Therapie:
Das Vermeiden von Milch, Milchprodukten und Lebensmitteln mit Milchpulver. In kleinen Mengen werden meist Joghurt, Sauermilch und Käse von den Betroffenen vertragen. Das ist wichtig
für die Kalzium-Versorgung. Auch laktosefreie Milch ist eine Alternative.
Fruktose-Intoleranz kommt selten vor. Es fehlt das Enzym Aldolase, das im Fruktoseabbau
eine wichtige Rolle spielt. Wenn dennoch Fruktose zugeführt wird, kann das zu Leber- und Nierenschäden sowie zu Wachstumsstörungen führen. Eine hohe Fruktose-Konzentration gelangt
in den Dünndarm und in den Dickdarm, wo sich Bakterien daran machen, die Fruktose zu
Wasserstoff, Kohlendioxid und kurzkettigen Fruchtsäuren zu verstoffwechseln. Blähungen,
Durchfall und Krämpfe werden durch Kohlendioxid und die Fettsäuren verursacht. Hier kann es
sich allerdings auch um ein Reizdarm-Syndrom handeln.
Therapie:
Lebensmittel mit hohem Fruktose- oder Sorbitgehalt meiden: Trockenfrüchte, Fruchtsäfte,
Obst, Honig, Kohlgemüse, Zwiebeln, Lauch, Sauerkraut und Bier.
Zöliakie (Gluten-Intoleranz) ist eine Dünndarm-Erkrankung, die durch Gluten – Eiweiß aus
Weizen, Roggen, Dinkel, Gerste und Hafer – ausgelöst wird. Es kommt beim Verzehr von Brot,
Kuchen, Müsli und anderen Getreidegerichten zu Durchfall, Bauchschmerzen und Mangelerscheinungen. Das Problem ist vererbbar. Im Laufe der Zeit wird der Dünndarm geschädigt.
Diagnose:
Es können im Blut Antikörper gegen Gluten nachgewiesen werden. Mit einer Biopsie der Darmschleimhaut kann die Diagnose gesichert werden.
Therapie:
Getreide und die Produkte, in denen Gluten enthalten sind, müssen gemieden werden. Nur
Getreide ohne Gluten ist erlaubt: Buchweizen, Amaranth, Quinoa.
Pharmakologische Intoleranzen treten bei empfindlichen Personen auf, wenn sie Nahrungsmittel mit einem hohen Histamin-Gehalt konsumieren. Es fehlt nämlich das Enzym Diaminoxidase oder es ist wenig aktiv. Es kommt zu ähnlichen Symptomen wie bei einer Allergie, bei der
körpereigenes Histamin ausgeschüttet wird: Kopfschmerzen, Atemnot, Durchfall, Juckreiz,
Blutdruckabfall.
Diagnose:
Sie erfolgt mittels Bluttest, bei dem das Blut auf die Enzyme Diaminoxidase und Histamin untersucht wird.
Therapie:
Die betreffenden Lebensmittel meiden.
Von einer Intoleranz mit unbekanntem Mechanismus spricht man, wenn die Unverträglichkeit auf bestimmte Lebensmittel-Zusatzstoffe erfolgt. Warum das so ist, weiß man noch nicht
genau. Bisher hat man Unverträglichkeiten bei dem Farbstoff Tartrazin (E 102), Benzoesäure
(E 210), Sulfite (E 221 bis 228) sowie bei dem Geschmacksverstärker Mono-Natrium-Glutamat
festgestellt. Die Symptome sind Hautausschläge, Schwindel, Asthma und Kopfschmerzen.
Diagnose:
Das Problem kann immer nur mit einem Suchtest angegangen werden.
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Therapie:
Vermeiden kann man das Leiden, wenn man beim Einkauf Packungen mit den Angaben der
betreffenden gefährlichen Stoffe meidet.
WICHTIG: Sollten Sie sich beim Verzehr von bestimmten Lebensmitteln unwohl fühlen, konsultieren Sie Ihren Arzt. Nur er kann eine Allergie, Intoleranz oder Unverträglichkeit feststellen und
dann geeignete Maßnahmen einleiten. Selbstdiagnosen und Halbwissen strapazieren in der
Regel nur den Geldbeutel und der freiwillige Verzicht auf bestimmte Lebensmittel kann sogar
zu Mangelerscheinungen führen.