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Mythos StromlÜcke
Die Stromzukunft der Schweiz
Fachtagung
31. August 2007, Zürich
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
1
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Vorwort
Sie halten den Tagungsband der Fachtagung „Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der
Schweiz“ in der Hand. Die Tagung wurde von der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)
organisiert und fand am 31. August 2007 im SWX Swiss Exchange, ConventionPoint in Zürich statt. Die Fachtagung stand im Zeichen der brandheissen Debatte um eine vermeint-lich
drohende Stromlücke. Ziel war es, der Lücke auf die Spur zu kommen. Ob der Existenz einer
solchen gehen die Meinungen offensichtlich weit auseinander. Einigkeit besteht unter den
ReferentInnen ausschliesslich bezüglich der hohen Priorität der Energieeffizienz.
Almut Kirchner und Vincent Rits legen mit den BFE-Energieperspektiven eine Debattenbasis.
Für Michael Kaufmann liegt mit den Aktionsplänen des Bundesrates ein valabler Massnahmenmix bereit. Während die Vertreter der Stromwirtschaft Stefan Aeschimann und Rudolf
Baumann die Stromlücke für eine reale Gefahr halten, bezeichnen Conrad U. Brunner und
Geri Müller eine solche als Denklücke. Stephan Kohler kann über die Stromlückendebatte in
der Schweiz nur den Kopf schütteln, in Deutschland gehört eine solche Debatte der Vergangenheit an. Michael Sailer und Werner Zittel legen auf einfache Weise die Gefahren und Risiken einer nichterneuerbaren Atom- respektive Gasstrategie dar. Robert Horbaty verweist
auf die grossen Potenziale und Chancen der Zukunftsenergie Windkraft. Dirk Uwe Sauer
vertritt die Meinung, dass erneuerbare Energien und moderne Speichertechnologien eine
ideale Ergänzung darstellen. Bernard Aebischer verweist auf die Schwierigkeiten des 2000Watt-Pfads, welcher ohne Verhaltensänderungen nicht erreichbar ist.
Ziel dieses Tagungsbandes ist die Verbreitung der von den ReferentInnen an der Fachtagung kommunizierten Informationen. Der Tagungsband enthält einen kurzen Über-blick über
den Inhalt der Tagung, sämtliche Beiträge der ReferentInnen und ein TeilnehmerInnenverzeichnis. Die hier abgedruckten Beiträge von Bernard Aebischer, Stefan Aeschimann, Conrad U. Brunner, Almut Kirchner/Vincent Rits, Geri Müller, Michael Sailer, Dirk Uwe
Sauer, Werner Zittel und das Summary von Michael Kaufmann wurden eigens für diesen
Tagungsband verfasst. Sie entsprechen im Wesentlichen dem Inhalt ihrer Referate an der
Tagung. Für die Texte von Rudolf Baumann, Robert Horbaty, Stephan Kohler und der Langfassung von Michael Kaufmann wurde für diesen Sammelband eine Transkription der aufgezeichneten Referate erstellt.
Die beiliegende CD-ROM enthält sämtliche Präsentationen, die von den ReferentInnen an
der Tagung gezeigt wurden.
Die Debatte um die zukünftige Stromversorgung der Schweiz geht weiter, neue Atomkraftwerke sind von den Stromkonzernen angekündigt. Wir bleiben dran! Die Fachtagung der
SES im Jahr 2008 wird sich diesem Thema widmen. Die SES wünscht eine spannende und
lehrreiche Lektüre
Zürich, Dezember 2007
Bernhard Piller, Projektleiter SES
1
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
2
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Inhaltsverzeichnis
1
Vorwort ........................................................................................................................... 1
2
Inhaltsverzeichnis .......................................................................................................... 2
3
Die Fachtagung .............................................................................................................. 7
4
3.1
Thema ...................................................................................................................... 7
3.2
Stromtatsachen der Schweiz ................................................................................... 7
3.3
Fragestellungen ....................................................................................................... 8
3.4
Zielgruppen .............................................................................................................. 8
3.5
Sponsoren ................................................................................................................ 9
3.6
Impressum ............................................................................................................... 9
3.7
ReferentInnen ........................................................................................................ 10
3.8
Programm .............................................................................................................. 11
Geri Müller: Einführung ............................................................................................... 12
4.1
Die Denk-Lücke ...................................................................................................... 12
4.2
Die Lücke ist ein Mythos ........................................................................................ 12
4.3
Der Strommarkt kennt keine Schweizer Grenze .................................................... 13
4.4
Energieeffizienz schafft Arbeitsplätze .................................................................... 13
5
Susanne Brunner: Leitung und Moderation .............................................................. 14
6
Almut Kirchner / Vincent Rits: Szenarien für die Schweizer Stromzukunft in den
Energieperspektiven Schweiz 2035 des Bundesamtes für Energie ........................ 15
6.1
Motivation und zentrale Fragestellung ................................................................... 15
6.2
Methodik und Projektanlage................................................................................... 16
6.2.1
Methodik, Modelle .......................................................................................... 16
6.2.2
Projektanlage ................................................................................................. 17
6.2.3
Definition der Szenarien und Varianten des Elektrizitätsangebots ................ 18
6.3
6.2.3.1
Szenarien ................................................................................................... 18
6.2.3.2
Varianten des Elektrizitätsangebots ........................................................... 21
Ergebnisse ............................................................................................................. 22
6.3.1
6.4
Elektrizitätsnachfrage in den Szenarien ......................................................... 22
Elektrizitätsangebot ................................................................................................ 23
6.4.1
Entwicklung des Kraftwerksparks ohne Zubau, Definition der Stromlücke .... 23
6.4.2
Genehmigungsdauern für neue Kraftwerke ................................................... 25
6.4.3
Mögliches Elektrizitätsangebot für Szenario I ................................................ 26
2
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
6.4.3.1
Elektrizitätsangebot in Szenario II .............................................................. 27
6.4.3.2
Elektrizitätsangebot in Szenario III ............................................................. 27
6.4.3.3
Elektrizitätsangebot in Szenario IV ............................................................. 29
6.4.3.4
Vergleich der Ergebnisse Szenarien und Varianten................................... 29
6.4.3.5
Versorgungssicherheit: Leistungsseite ....................................................... 31
6.5
Schlussfolgerungen................................................................................................ 32
6.6
Literatur .................................................................................................................. 34
7
Stefan Aeschimann: Stromknappheit, Atel's Lösungsbeiträge .............................. 36
7.1
CO2-Ausstoss der Schweiz fürs Klima irrelevant ................................................... 36
7.2
Klimadiskussion – gute Position der Schweiz nutzen ............................................ 37
7.3
Lenkungsabgaben zur CO2-Reduktion ungeeignet ................................................ 37
7.4
Energieeffizienz, Biofuel- und Stromanteil erhöhen ............................................... 38
7.5
Energieeffizienz- und Verbrauchziele sind zwei verschiedene Paar Schuhe ........ 42
7.6
Stromverbrauchsstabilisierung kontraproduktiv ..................................................... 43
7.7
Atel unterstützt die Forderung nach zusätzlicher Energie aus erneuerbaren Quellen
............................................................................................................................... 44
7.8
Strom wird immer wichtiger .................................................................................... 47
8
Rudolf Baumann: Die Rolle des Übertragungsnetzes im liberalisierten Strommarkt
....................................................................................................................................... 49
8.1
Einleitung ............................................................................................................... 49
8.2
Produkt Strom ........................................................................................................ 50
8.3
Strommarkt............................................................................................................. 51
8.4
Die Swissgrid ......................................................................................................... 52
8.5
Die Zukunft ............................................................................................................. 53
8.6
Der Regulator ......................................................................................................... 54
8.7
Das Stromversorgungsgesetz und die Nationale Netzgesellschaft ....................... 54
8.8
Engpässe ............................................................................................................... 55
8.9
Handel .................................................................................................................... 56
9
Werner Zittel: Die künftige Erdgasversorgung von Europa .................................... 58
9.1
Einleitung ............................................................................................................... 58
9.1.1
Top Down Analyse ......................................................................................... 59
9.2
Der nordamerikanische Gasmarkt ......................................................................... 60
9.3
Die europäische Gasversorgung............................................................................ 61
9.4
Künftige Exportstaaten ........................................................................................... 65
10
Michael Sailer: Renaissance der Kernenergie? ........................................................ 69
3
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
10.1
Einleitung ............................................................................................................... 69
10.2
Ausgangssituation .................................................................................................. 69
10.3
Diskussionen über Kernenergie ............................................................................. 72
10.4
Neubau eines Reaktors: Das Beispiel Finnland ..................................................... 73
10.5
Wichtige Aspekte bei neuen Reaktoren ................................................................. 75
10.5.1
Kosten ............................................................................................................ 75
10.5.2
Sicherheitsfragen ........................................................................................... 76
10.5.3
Endlicher Rohstoff Uran ................................................................................. 76
10.5.4
Sicherheitspolitische Fragen .......................................................................... 76
10.6
11
Schlussfolgerungen................................................................................................ 77
Robert Horbaty: Die Chancen der Erneuerbaren Energien in der Schweiz am
Beispiel Windenergie ................................................................................................... 78
11.1
Einleitung ............................................................................................................... 78
11.2
Erneuerbare Energien ............................................................................................ 78
11.3
2000 Watt und erneuerbare Energien .................................................................... 80
11.4
Windenergie ........................................................................................................... 80
11.5
Beispiele von Windenergieanlagen ........................................................................ 80
11.6
Windenergie weltweit ............................................................................................. 83
11.7
Windenergie in der Schweiz................................................................................... 83
11.7.1
Import von Windstrom .................................................................................... 84
11.7.2
Verhältnisse in der Schweiz ........................................................................... 85
11.7.3
Konzept Windenergie Schweiz....................................................................... 86
11.7.4
Netzregulierung .............................................................................................. 86
11.7.5
Positive Entwicklungen................................................................................... 87
11.7.6
Akzeptanz....................................................................................................... 87
11.8
12
Zusammenfassung ................................................................................................. 88
Dirk Uwe Sauer: Infrastrukturbedarf und Speicherung elektrischer Energie unter
Berücksichtigung des Mobilitätssektors bei hohem Anteil erneuerbarer Energien
....................................................................................................................................... 89
12.1
Kurzfassung ........................................................................................................... 89
12.2
Einleitung ............................................................................................................... 90
12.3
Ziele der Klimapolitik .............................................................................................. 91
12.4
Energieträgermix unter Berücksichtigung der Klimaziele....................................... 92
12.5
Energienutzung und Infrastrukturbedarf in urbanen Gebieten in 2050 .................. 95
12.5.1
Öffentlicher Personennahverkehr................................................................... 96
12.5.2
Individual-Personenverkehr............................................................................ 96
12.5.3
Einzelwohnhäusern ........................................................................................ 97
4
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
12.5.4
Mehrfamilienhäuser und Funktionsgebäude .................................................. 98
12.5.5
Stromverteilung über Netze............................................................................ 98
12.5.6
Fazit................................................................................................................ 99
12.6
Synergien zwischen Individualverkehr und Stromversorgung ............................... 99
12.7
Stromgeführte Blockheizkraftwerke ..................................................................... 101
12.8
Technologien zur Speicherung von elektrischer Energie ..................................... 101
12.9
Zusammenfassung ............................................................................................... 109
13
Michael Kaufmann: Energieeffizienz und Erneuerbare – sind die Potenziale gross
genug? ........................................................................................................................ 111
13.1
Summary .............................................................................................................. 111
13.1.1
Fazit Summery ............................................................................................. 113
13.2
Einleitung ............................................................................................................. 113
13.3
Die Plattform der EnergieSchweiz ....................................................................... 114
13.3.1
Die Zielfestlegung......................................................................................... 115
13.4
Effizienzmassnahmen im neuen Energiegesetz .................................................. 117
13.5
Aktionspläne ......................................................................................................... 118
13.5.1
Zielsetzungen ............................................................................................... 119
13.5.2
Fazit bezüglich Energieeffizienz ................................................................... 119
13.6
Erneuerbare Energien .......................................................................................... 119
13.7
Fazit ..................................................................................................................... 120
14
Bernard Aebischer: Rationelle Energienutzung ..................................................... 122
14.1
Einleitung ............................................................................................................. 122
14.2
Energieeffizienz – rationelle Energienutzung ....................................................... 123
14.3
Rationelle Energienutzung in den Szenarien des BFE am Beispiel des
Dienstleistungssektors ......................................................................................... 125
14.3.1
Szenario II “Verstärkte Zusammenarbeit” .................................................... 126
14.3.2
Szenario III “Neue Prioritäten” ...................................................................... 127
14.3.3
Szenario IV “Auf dem Weg zur 2000 Watt Gesellschaft” ............................. 128
14.4
Schlussfolgerungen.............................................................................................. 131
14.5
Referenzen und Literaturhinweise ....................................................................... 132
15
Stephan Kohler: Strategie für eine zukunftsfähige Energiepolitik ........................ 134
15.1
Einleitung ............................................................................................................. 134
15.2
Deutsche Energie-Agentur ................................................................................... 135
15.3
Energie- und Stromszenarien .............................................................................. 136
15.4
Versorgungssicherheit und Klimaschutz .............................................................. 138
15.5
Energiepolitische Strategie mit drei Säulen ......................................................... 139
5
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
15.6
Energieeffizienzziele ............................................................................................ 140
15.6.1
15.7
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Energieproduktivitätssteigerung ................................................................... 140
dena-Strategie ...................................................................................................... 141
15.7.1
Ein Einsparbeispiel ....................................................................................... 142
15.8
Regenerative Energiequellen ............................................................................... 143
15.9
Was kommt auf uns zu?....................................................................................... 144
16
Conrad U. Brunner: Die Stromlücke ist eine Denklücke ........................................ 145
16.1
Einleitung ............................................................................................................. 145
16.2
Was wir über die energetische Vergangenheit wissen ........................................ 145
16.2.1
Import und Export ......................................................................................... 145
16.2.2
Verbrauchsentwicklung ................................................................................ 148
16.2.3
Vergleich mit Europa .................................................................................... 149
16.2.4
Entwicklung des Strompreises ..................................................................... 149
16.2.5
Anforderungen für elektrische Geräte .......................................................... 150
16.3
Was wir über die Zukunft wissen ......................................................................... 151
16.4
Was man davon halten kann................................................................................ 153
16.5
Folgerungen ......................................................................................................... 158
17
TeilnehmerInnenliste der Fachtagung 2007 ............................................................ 160
6
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Die Fachtagung
Mythos Stromlücke
Die Stromzukunft der Schweiz
Freitag 31. August 2007
SWX Swiss Exchange, ConventionPoint, Selnaustrasse 30, 8021 Zürich
9:00 – 17:00 Uhr
3.1
Thema
Seit gut 2 Jahren beginnt sich eine Debatte zu wiederholen. Die Debatte Atomenergie JA
oder Atomenergie NEIN. Eine scheinbare Stromlücke droht und Tschernobyl ist vergessen.
Garniert wird die Debatte mit dem Einstieg in eine neue Stromproduktions-Variante. Die
Stromwirtschaft liebäugelt mit der fossilen Stromproduktion. Andere Länder setzen forciert
auf Erneuerbare Energien und Energieeffizienz und in der Schweiz setzt man hingegen auf
die alten, nicht erneuerbaren scheinbar bewährten Technologien.
3.2
Stromtatsachen der Schweiz
Heute produzieren die in der Schweiz stehenden Kraftwerke ungefähr soviel Strom wie wir
SchweizerInnen verbrauchen (58 Terawattstunden). Zählen wir die Atomstrom-BezugsVerträge mit Frankreich dazu, haben wir heute einen schweizerischen Produktionsüberhang
von zweieinhalb AKW Gösgen (+20 Terawattstunden). Der Stromverbrauch in der Schweiz
steigt aber jährlich um ca. 1 – 2 Prozent. Seit 1980 hat er um einen Drittel zugenommen. Der
Strompreis ist im gleichen Zeitraum um real 27% gefallen. Im Winter 2005/2006 wurde die
Schweiz erstmals Nettoimporteur von Strom. Dieser Nettoimport wurde durch die erstmalige
Beanspruchung der seit Jahrzehnten bestehenden Bezugsrechte, v.a. in Frankreich, ohne
Stromunterbruch abgewickelt.
Die drei alten Atomkraftwerke Mühleberg, Beznau 1 und 2 müssen um das Jahr 2020 altershalber ausser Betrieb genommen werden. Ab 2017 laufen die Atomstrombezugsrechte aus
Frankreich sukzessive aus. Das sind die momentanen Fakten.
Nun warnen Stromproduzenten und das Bundesamt für Energie vor einer Stromlücke. Andere bezeichnen diese sogenannte Stromlücke als Hirngespinst, welches seit den 1970er Jahren in den Köpfen der Stromwirtschaft herumgeistert aber real nie eingetreten sei und auch
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
nie eintreten wird. Dieses Stromlückengerede sei pure Angstmacherei um neue Grosskraftwerke zu rechtfertigen, und verkenne das riesige Effizienzpotenzial.
3.3
Fragestellungen
Die zukünftige Stromversorgung der Schweiz ist ein hochaktuelles und hochemotionales
Thema. Wie sieht die Stromversorgung der Schweiz in den kommenden Jahrzehnten wirklich
aus? Führt uns die vom Bundesrat im Februar 2007 formulierte 4-Säulen-Politik zu einer
nachhaltigen Stromversorgung? Was wird uns der von Bundesrat Leuenberger bis Ende
2007 versprochene Aktionsplan bringen? Werden in der Schweiz neue Atomkraftwerke gebaut? Erhält die Gasstrategie eine Übergangsfunktion? Steigt die Schweiz wie alle anderen
Länder nun auch in die klimaschädigende fossile Stromproduktion ein? Schafften die neuen
erneuerbaren Energien mit dem Einspeisegesetz ab 2008 einen vergleichbaren Boom wie
sie es in Deutschland erleben? Haben die Erneuerbaren Energien in der Schweiz genügend
Potenzial? Welche Rolle kommt der Netzinfrastruktur und den Speicher-kapazitäten im zukünftigen Strommarkt zu? Schafft die Schweiz den Turnaround beim Stromverbrauch weg
vom Mehrverbrauch hin zum Minderverbrauch, hin zur 2000-Watt-Gesellschaft? Entscheidet
sich die Schweiz, die 2000-Watt-Gesellschaft ernsthaft anzu-gehen und umzusetzen, oder
versteht sie sie nur als Lippenbekenntnis?
3.4
Zielgruppen
•
Energie- und Stromwirtschaft
•
Banken, (Rück-)Versicherungen
•
Elektrizitätswerke
•
Erdgas-Branche
•
Energiefachstellen
•
Kernenergie-Branche
•
Energieagenturen
•
im Energiebereich engagierte NGOs
•
Bundesamt für Energie (BFE)
•
StudentInnen
•
Verbände der Energiewirtschaft
•
Forschungsinstitute PSI, ETH usw.
•
Verbände von Erneuerbaren Energien
•
EnergiepolitikerInnen
•
Investoren
•
allgemein energiepolitisch Interessierte
•
Unternehmensberatungen
•
Medien
8
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
3.5
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Sponsoren
Patronat:
•
Bundesamt für Energie
•
AWEL Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft, Kanton Zürich
•
Stiftung Ponte
Zusätzlich unterstützt wurde die Tagung von
•
Greenpeace Schweiz
•
Pro Natura
•
ADEV
•
Hamasil-Stiftung
•
Ernst Schweizer AG Metallbau
•
ENCO Energie-Consulting AG
3.6
Impressum
Herausgeberin: Schweizerische Energie-Stiftung SES
Sihlquai 67, 8005 Zürich
E-Mail: [email protected]
www.energiestiftung.ch
PC-Konto: 80-3230-3
Gestaltung Titelbild: Claudius Fischer, Würenlingen
Fotografie: Bernhard Piller, Zürich
Transkription: Sandra Semadeni, Kilchberg
Druck: Bookstation, Gottmadingen, BRD
Organisation und Redaktion: Bernhard Piller, Zürich
Publikationsjahr: 2007
Auflage: 800 Exemplare
Abdruck mit Quellenangabe erwünscht
9
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
3.7
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
ReferentInnen
Dr. Bernard Aebischer, senior scientist, Centre f. Energy Policy&Economics (CEPE), ETH
Zürich
Dr. Stefan Aeschimann, Leiter Corporate Public Affairs, Aare-Tessin AG für Elektrizität
(Atel), Olten
Rudolf Baumann, Bereichsleiter Netzbetrieb Swissgrid AG, Laufenburg
Conrad U. Brunner, Energiefachexperte, A + B International Sustainable Energy Advisors,
Zürich
Robert Horbaty, Energieplaner, Firmeninhaber ENCO Energie-Consulting AG, Geschäftsführer suisse éole, Vereinigung zur Förderung der Windenergie in der Schweiz, Bubendorf
Michael Kaufmann, Vizedirektor Bundesamt für Energie BFE, Leiter der Abteilung Energieeffizienz und erneuerbare Energien, Leiter des Aktionsprogramms "EnergieSchweiz"
Dr. Almut Kirchner, Marktfeldleiterin Energiepolitik der Prognos AG, Koordination der wissenschaftlichen Modellarbeiten der Energieperspektiven
Stephan Kohler, Vorsitzender der Geschäftsführung, Deutsche Energie Agentur DENA,
Berlin
Geri Müller, Nationalrat Grüne Kanton AG, Präsident Schweizerische Energiestiftung SES
Vincent Rits, Projektleiter bei Prognos AG, Modellierung des Elektrizitätsangebots der
Energieperspektiven mit dem Kraftwerksparkmodell
Michael Sailer, Geschäftsführung Nukleartechnik & Anlagensicherheit, Öko-Institut e.V.,
Darmstadt
Prof. Dr. Dirk Uwe Sauer, Juniorprofessur für Elektrochemische Energiewandlung und
Speichersystemtechnik: ISEA - Institut für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe;
RWTH - Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Dr. Werner Zittel, Energieexperte Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH, Ottobrunn
Leitung und Moderation
Susanne Brunner, Moderatorin Tagesgespräche Schweizer Radio DRS
10
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
3.8
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Programm
8:30
Eintreffen, Kaffeebar
9:00
Begrüssung, Einführung
Geri Müller
Die Politik des Bundes I
9:10
Szenarien für die Schweizer Stromzukunft: Optionen für die Entwicklung von Elektrizitätsnachfrage und -angebot in den Energieperspektiven 2035 des BFE
Dr. Almut Kirchner & Vincent Rits
Die Sicht der Schweizer Stromwirtschaft
9:40
Stromknappheit - Atel's Lösungsbeiträge
Dr. Stefan Aeschimann
10:05
Die Rolle des Übertragungsnetzes im liberalisierten Strommarkt
Rudolf Baumann
Haben Gas und Atom Zukunft?
10:30
Die künftige Gasversorgung von Europa
Dr. Werner Zittel
10:55
Kaffeepause
11:15
Renaissance der Kernenergie?
Michael Sailer
Erneuerbare Energie
11:40
Die Chancen der Erneuerbaren Energien in der Schweiz am Beispiel der Windenergie
Robert Horbaty
12:05 Infrastrukturbedarf und Speicherung elektrischer Energie unter Berücksichtigung des Mobilitätssektors bei hohem Anteil erneuerbarer Energien
Prof. Dr. Dirk Uwe Sauer
12: 30 Mittagessen
Die Politik des Bundes II
14:00
Energieeffizienz und erneuerbare Energien - sind die Potenziale gross genug?
Michael Kaufmann
Die Zukunft heisst Energieeffizienz
14:25
Rationelle Energienutzung
Dr. Bernard Aebischer
14:50
Strategie für eine zukunftsfähige Energiepolitik
Stephan Kohler
15:15
Kaffeepause
Schlussreferat
15:35
Die Stromlücke ist eine Denklücke
Conrad U. Brunner
16:00
Diskussion unter Leitung von Susanne Brunner
17:00
Ende der Tagung
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Geri Müller: Einführung
Geri Müller
Präsident der Schweizerischen Energie-Stiftung,
Nationalrat Grüne/AG
Bahnhofstrasse 7
CH-5400 Baden
[email protected]
4.1
Die Denk-Lücke
Die Stromlücke ist eine Denklücke. Erfunden in der Werbeabteilung der Atomlobby, soll uns
die vermeintliche Stromknappheit gefügig machen für die Fortsetzung einer verfehlten
Strompolitik. Dafür ist jedes Mittel recht. Zum Beispiel hat das Nuklearforum Schweiz, der
Schweizer Atomlobbyverein, die Dienste von Burson-Marsteller (B-M) in Anspruch genommen. B-M ist eine der grössten PR-Agenturen der Welt, die im Stande ist, Unwahrheiten
glaubwürdig zu machen. Zu ihren Kunden gehören der chilenischen Ex-Diktator Pinochet,
die US-Regierung für die Reinwaschung des Irakkriegs, sowie Chemiekonzerne für Gentechnologie-, oder neu „Bio-Tech“-Kampagnen.
Die Stromproduzenten rechtfertigen sich damit, dass sie für die Stromversorgungssicherheit
verantwortlich sind. Diese wollen sie mit dem Bau von neuen AKW, gewährleisten. In der
Politik werden die Stromkonzerne durch ParlamentarierInnen unterstützt, welche gutes Geld
von der Stromwirtschaft beziehen: Gut 1/3 des Ständerates hat Beziehungen zu ihnen. Auf
politisch günstige Rahmenbedingungen sind die Stromkonzerne angewiesen, denn sie wissen, dass die Grossbanken kein Geld mehr für AKW-Abenteuer frei spielen werden.
4.2
Die Lücke ist ein Mythos
Bereits zum vierten Mal sieht sich die Schweizer Bevölkerung mit der so genannten Stromlücke konfrontiert. Wie heute, ging es auch in den 70ern, den 80ern und 90ern um den Bau
12
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
von neuen AKW. So schreibt zum Beispiel der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE im September 1987: «Die Stromlücke erreicht bis zum Winterhalbjahr
2004/2005 ein Ausmass von 4,3 Mia KWh … Ohne Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Kaiseraugst wird die Lücke sogar 7,2 Mia KWh (ca. AKW Gösgen) betragen». Die Realität ist
anders. Kaiseraugst wurde nicht gebaut, was den Bund damals 350 Mio. kostete, und niemand musste im Winter 2004/2005 kalten Kaffee trinken.
Heute produzieren die in der Schweiz stehenden Kraftwerke ungefähr soviel Strom, wie die
Bevölkerung verbraucht (58 Terawattstunden (TWh)). Mit dem Atomstrom aus Frankreich
(+20 TWh), haben wir heute in der Schweiz einen Produktionsüberhang von 2 ½ AKW Gösgen. Rechnen wir sämtliche von Schweizer Stromfirmen im Ausland gebauten oder geplanten Kraftwerke ebenfalls dazu, wird die Schweiz bis im Jahre 2010 mindestens 100 TWh
Stromproduktion ihr Eigen nennen dürfen. Wo ist da die Lücke?
Wäre die Angst der Lücke real, würden heute Kaffeemaschinen nicht rund um die Uhr angeschaltet sein, auch wenn kein Kaffee bezogen wird, und Rasen in Fussballstadien geheizt.
Strom ist in Hülle und Fülle vorhanden und wird wegen dem zu tiefen Preis verschwendet!
4.3
Der Strommarkt kennt keine Schweizer Grenze
Aller Voraussicht nach wird die Schweiz ab Januar 2008 zu 100 % in den europäischen
Strommarkt integriert sein. Die Systemgrenze Schweiz gibt es in Sachen Strom nicht mehr.
Der Stromhandel blüht. Schon heute erwirtschaftet die Axpo zwei Drittel ihres Milliardengewinns im Ausland. Wird der Strom knapp, steigen im offenen Markt die Preise und die Nachfrage sinkt. Der Strom fliesst dorthin, wo am meisten dafür bezahlt wird. Der Begriff Stromlücke ist unter diesen ökonomischen Gegebenheiten schlicht absurd.
4.4
Energieeffizienz schafft Arbeitsplätze
Das sich ab dem Jahr 2020 öffnende Atomloch ist keine Gefahr, sondern eine Chance. Verglichen mit dem fast zehnmal grösseren und bedrohlich nahen Erdölloch ist es ein Kinderspiel, dieses zu füllen. Denn beim Strom haben wir marktfähige und einheimische Alternativen und ein gigantisches Einsparpotenzial. Selbst die Axpo bestätigt in ihren Stromperspektiven, dass das Potenzial der erneuerbaren Energien langfristig ausreicht, um die von ihr
prognostizierte Atomlücke zu füllen!
Die Vollversorgung mit sauberem Strom ist keine Frage der Potenziale, sondern eine Frage
des politischen Willens und der politisch festgelegten Preise. Solange Atom-, Gas- und Kohlestrom ihre Vollkosten (Klimaschäden, Haftpflicht, Atommülllagerung) nicht tragen müssen,
sind die Spiesse für die neuen Technologien kurz. Das muss sich nun auch in der Schweiz
ändern.
Nur halb so teuer wie der Bau von neuen Kraftwerken sind Effizienzmassnahmen, welche
den Energieverbrauch reduzieren. So reichen beispielsweise ein Standby-Verbot, beste
13
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Elektrogeräte und effiziente Beleuchtung aus, um Beznau 1 und 2 einzusparen. Ersetzen wir
dann noch die 170'000 Elektroheizungen durch Holzheizungen oder Erdwärmepumpen, so
können wir auch Gösgen abstellen. Und das schöne dabei: Statt das Geld für Uran und Gas
in den Kreml zu schicken, bleibt es in der Schweiz und schafft dauerhafte Arbeitsplätze.
Ausserdem muss die Stromdiskussion endlich wieder eine Energiediskussion werden. Strom
ist eine Energieverpackung und keine eigentliche Energie, keine Primärenergie. Denn von
100% Primärenergie können nur gerade 52% gebraucht werden. Der Rest verschwindet bei
Produktion, Umwandlung, Speicherung und Transport. Das bedeutet, dass der Verbrauch
möglichst nahe an der Energiequelle bleiben muss. Das Resultat dieser Analyse ist eine dezentrale Energieversorgung, welche mit Erneuerbaren Energien gespiesen wird. Denn nach
dem Öl- und Gasloch haben wir nur noch diese. Uran hat nie und nimmer das Potenzial die
fossile Energie zu ersetzen.
5
Susanne Brunner: Leitung und Moderation
Susanne Brunner
Redaktorin „Tagesgespräche“ Schweizer Radio DRS
Bern
SR DRS Studio Bern
Schwarztorstr. 21
3000 Bern 14
[email protected]
14
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
6
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Almut Kirchner / Vincent Rits: Szenarien für die Schweizer Stromzukunft in den Energieperspektiven Schweiz 2035 des Bundesamtes für Energie
Almut Kirchner, Vincent Rits
Prognos AG, Marktfeldleiterin / Projektleiter
Prognos AG
Aeschenplatz 7
4010 Basel
[email protected]
[email protected]
6.1
Motivation und zentrale Fragestellung
In den „Energieperspektiven Schweiz 2035“ des Bundesamtes für Energie wurden die Auswirkungen von vergangenen und zukünftigen energiepolitischen und -wirtschaftlichen Entscheidungen, sowie der Raum der Möglichkeiten, mit den dabei entstehenden Ziel-konflikten
umzugehen, erarbeitet. Die Prognos AG in Basel hatte im Rahmen des Projektes, neben der
Koordination der Modellarbeiten, sowie der Modellierung der Nachfrage im Haus-haltsektor,
die Aufgabe, die zukünftigen Möglichkeiten der Stromversorgung der Schweiz zu untersuchen. Hierfür wurde ein Kraftwerksparkmodell eingesetzt, in dem die Kapazitäten nach
Technologiegruppen geordnet sind und mit dem Optionen zur Deckung der Elektrizitätsnachfrage für verschiedene Nachfrageszenarien und Angebotsvarianten analysiert und
bewertet werden. Die Betrachtung erfolgte arbeits- und leistungsseitig. Aufgrund der besonderen Bedeutung der Wasserkraft für die schweizerische Elektrizitätsversorgung wurde eine
jahreszeitliche Differenzierung der Kalenderjahre in Sommer- und Winterhalbjahr vorgenommen.
Die Arbeiten sollen quantitative Grundlagenaussagen über die langfristigen Entwicklungsmöglichkeiten des schweizerischen Energiesystems sowie Beurteilungsgrundlagen unter den
Aspekten
•
Sicherheit, Versorgungssicherheit, Verfügbarkeit
•
Wirtschaftlichkeit, volkswirtschaftliche Auswirkungen
15
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
•
Umweltauswirkungen
•
Generationengerechtigkeit, Nachhaltigkeit
für verschiedene Ausgestaltungsoptionen liefern.
Für den Bereich der Elektrizitätsnachfrage und des -angebots geht es insbesondere darum,
mögliche Differenzen zwischen der voraussichtlichen Stromnachfrage und der Entwicklung
des heimischen Kraftwerksparks unter unterschiedlichen politischen und sonstigen Rahmenbedingungen quantitativ zu erfassen.
An dieser Stelle werden in Kürze die wesentlichen Ergebnisse referiert; für vertiefte Fragestellungen wird auf die Abschlussbände verwiesen. Die Arbeit ist in fünf Bänden sowie zahlreichen ergänzenden Studien auf der Internetseite des BFE unter www.energieperspektiven.ch veröffentlicht. Die Fragen der Elektrizitätsversorgung werden detailliert in
Band 5 abgehandelt (Prognos 2007 a). Die Synthese aus Nachfrage und Angebot für das
gesamte Energiesystem wird in Band 2 (prognos 2007 b) detailliert dargestellt; Band 1 (BFE
2006) ist die Kurzfassung.
6.2
Methodik und Projektanlage
6.2.1
Methodik, Modelle
Die Arbeit wurde mittels quantitativ modellgestützter Szenariotechnik durchgeführt. Mit Zeithorizont 2035 wurden für Energienachfrage und -angebot vier Grundszenarien definiert, in
denen jeweils die Auswirkungen unterschiedlicher politischer Ausgangsbedingungen untersucht wurden. Bei den beiden Szenarien I („weiter wie bisher“) und II („Verstärkte Zusammenarbeit“) wurden politische Instrumente in den Feldern Ordnungsrecht, Preis-instrumente,
Förderinstrumente, Transaktionsinstrumente (Information, Beratung, Kommuni-kation etc.)
vorgegeben und abgeleitet, wie sich unter diesen Rahmenbedingungen das Energiesystem
entwickelt. (Ableitung von „wenn – dann – Aussagen“.) Bei den beiden anderen Szenarien III
(„Neue Prioritäten“) und IV (“Weg zur 2000 Watt-Gesellschaft“) wurden Ziele für die integrale
Entwicklung des Pro-Kopf-Energieverbrauchs, der CO2-Emissionen und z.T. des Anteils der
Erneuerbaren Energieträger bei den Brennstoffen, den Treibstoffen und der Elektrizität vorgegeben. Mit den Modellrechnungen wurden Pfade auf der Massnahmenebene (z.B. Gebäudequalitäten Gerätequalitäten, Zubau von Anlagen zur erneuerbaren Stromerzeugung)
aufgezeigt, um diese Ziele zu erreichen. Daraus wurde abgeleitet, wie hoch die Eingriffstiefe
der Veränderung sein muss, um diese Massnahmen umzusetzen; dies wurde mit entsprechenden politischen Instrumenten, die diese Eingriffs-tiefe widerspiegeln, illustriert. In diesen
„Zielszenarien“ werden also Aussagen der logischen Qualität „Was muss geschehen, damit
bestimmte Ziele erreicht werden“ abgeleitet.
Die Abhängigkeit oder Robustheit der Ergebnisse unter einer Veränderung der wesentlichen
Rahmenbedingungen Wirtschaftswachstum, Klimaerwärmung, Energiepreise und Laufzeiten
der Kernkraftwerke wurde mit Sensitivitätsrechnungen untersucht. Diese werden hier aus
Platzgründen nicht im Einzelnen vorgestellt.
16
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Für das Elektrizitätsangebot wurden verschiedene grundsätzliche Varianten für die Entwicklung des Kraftwerksparks der Schweiz, insbesondere für die Zeit nachdem die ersten Kernkraftwerke aus dem Betrieb gehen, untersucht.
Die Untersuchungen wurden mit sektoralen Bottom-up-Energiesystemmodellen durchgeführt. Bei diesem Modelltyp werden möglichst genau für die Nachfrage die einzelnen Verwendungszwecke (wie Gebäudebeheizung, Geräte, Prozessenergie, Fahrzeuge und öffentlicher Verkehr) in Alterskohorten und zusätzlichen Merkmalen wie z.B. Fahrzeug-klassen oder
Gebäudetypen abgebildet. Für die Stromerzeugung wurde ein ebenfalls bottom-up angelegtes Kraftwerkparkmodell der Schweiz verwendet, in dem die einzelnen möglichen Kraftwerkstypen und Technologiedifferenzierungen hinterlegt sind.
Die einzelnen Sektoren wurden jeweils von verschiedenen Büros mit den entsprechenden
Modellen bearbeitet. Die Ergebnisse sind in eigenen Sektorberichten dokumentiert, die ebenfalls unter www.energie-perspektiven.ch veröffentlicht sind: Private Haushalte: Prognos AG
(Prognos 2006), Dienstleistungen: Center for Energy Policy and Economics (CEPE) an der
ETH Zürich (CEPE 2007), Industrie: Basics AG (basics 2007), Verkehr: Infras AG (infras
2007).
Die Auswertung der Modellrechnungen erfolgt vor allem unter den Kriterien
•
Energieträgermix
•
Umweltwirkungen (z.B. CO2-Emissionen)
•
Versorgungssicherheit, Abhängigkeit
Als Schlussfolgerungen werden wesentliche Wirkungszusammenhänge und Einflussfaktoren
im Sinne von „Wenn-Dann-Aussagen“ sowie Wirkungsmechanismen politischer Instrumente
abgeleitet und es wird auf notwendige Voraussetzungen für den Einsatz solcher Instrumente
(wie z.B. internationale Harmonisierung und Kooperation bei Instrumenten mit hoher Eingriffstiefe) hingewiesen.
6.2.2
Projektanlage
Das Projekt wurde über ca. 3.5 Jahre hinweg durchgeführt. Neben der Kooperation zwischen
BFE und den Modellexperten wurde es in einem zweistufig angelegten Kommunikationsprozess von einer Arbeitsgruppe „AG Energieperspektiven“ mit 22 Sitzungen und einem „Forum Energieperspektiven“ mit 10 Sitzungen begleitet. Die Arbeitsgruppe bestand aus Vertretern unterschiedlicher Wissenschaftsinstitutionen, der betroffenen Verwaltung, den Verbänden der Energiewirtschaft sowie Experten im Bereich der technischen Energie-effizienz. Unter anderem wurden die Festlegungen der Szenarien und der Auswertungs-dimensionen in
dieser Gruppe getroffen. Verschieden Reaktionen auf jeweils aktuelle Ent-wicklungen der
Rahmenbedingungen gingen als neue Anforderungen an die Modell-rechnungen, Szenarien,
Sensitivitäten, Nebenrechnungen in die Arbeit ein. Das Forum bestand aus Vertretern der
politischen Parteien und Verbände, es diskutierte jeweils frühzeitig die Zwischenergebnisse
aus dem Prozess und zeigte damit zu erwartende politische Konfliktlinien auf. Die Definition
der Szenarien und Varianten sowie das Gesamt-projekt hängen eng mit dieser organisatorischen Seite zusammen. Figur 1 zeigt die Organisation schematisch.
17
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
6.2.3
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Definition der Szenarien und Varianten des Elektrizitätsangebots
6.2.3.1 Szenarien
In diesem Kapitel soll in Kürze die Grundphilosophie der Szenarien, teils stichwortartig, dargestellt werden.
Szenario I – „weiter wie bisher“
Dieses Szenario wird auch als „Referenz“ verwendet. Es ist ein konditionales Szenario, bei
dem im Wesentlichen die bisherige Energiepolitik unverändert fortgeschrieben wird. Hierbei
wird davon ausgegangen, dass die bereits eingespielten energiepolitischen Instrumente im
Laufe der Zeit zunehmend effektiver und noch stärker aufeinander abgestimmt werden; ein
gewisser autonomer technischer Fortschritt bei der Energieeffizienz, dem die ordnungsrechtlichen Instrumente folgen, kann unterstellt werden.
Figur 1:
Schema der Prozessorganisation des Projekts „Energieperspektiven“
Quelle: Prognos AG
Parteien
Begleitgruppe
22 Sitzungen
Forum
10 Sitzungen
Wirtschaftsverbände
Wissenschaft
Umweltverbände
Verbände Energie
Technik,
Energieagenturen
UVEK - BFE
Anlagentechnik,
Energieforschung
Prognos AG
CEPE
Verbraucherschutz
v
ecoplan
wModellrechnungen
C
G Ind
PHH
Basics AG
Koord E
GHD
Verk
Infras AG
KWP
© Prognos AG
Prognos AG
Als wesentliche energiepolitische Instrumente werden vorausgesetzt.
•
Das Programm EnergieSchweiz wird mit einem Mittelansatz von 45 Mio. CHF p.a. fortgeführt;
18
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
•
Kantonale Globalmittel 40 Mio. CHF p.a. für Erneuerbare Energien und Effizienz stehen
zur Verfügung;
•
Initiativen von Energiedienstleistungsunternehmen werden fortgeführt und z.T. ausgeweitet;
•
Das bisherige Fördersystem für Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien („15Räppler“) wird fortgeführt;
•
Ordnungsrecht im Baubereich (SIA-Normen, kantonale Mustervorschriften) wird fortgeführt, und dem technischen Fortschritt folgend angepasst
•
EnergieEtikette auf Elektrogeräten, evtl. Fahrzeugen
•
Vereinbarungen mit den Autoimporteuren Effizienzverbesserungen der Neuwagenflotte
Aufgrund der in 2004/2005 aktuellen politischen Diskussion wurde eine Variante Ib mit einer
CO2-Abgabe auf Brenn- und Treibstoffen gerechnet und dokumentiert, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll.
Szenario II – „Verstärkte Zusammenarbeit“
In diesem Szenario sollen die Möglichkeiten untersucht werden, vor allem durch verstärkte
Zusammenarbeit von öffentlicher Hand, Energiewirtschaft und verschiedenen Branchen (z.B.
Immobilienbranche, Bankensektor) sowie freiwillige Massnahmen und verstärkte Transaktionsmassnahmen vor allem diejenigen Einsparpotenziale auszuschöpfen, die bereits unter heutigen Rahmenbedingungen betriebswirtschaftlich rentabel sind. Es geht vor allem um
Hemmnisüberwindung. Die folgenden Instrumente werden unterstellt:
•
CO2-Abgabe auf Brennstoffen, 35 CHF/t (ca. 9 Rp. / l Heizöl EL);
•
Zielvereinbarungen Wirtschaft (mit „Drohkulisse“);
•
Kooperation zwischen Branchen und Verbänden (z.B. Energiewirtschaft mit Banken);
•
Least cost planning;
•
Stärkere Agenturarbeit, Transaktionsinstrumente;
•
„Klimarappen“ – 70 Mio. CHF/a für Brennstoffeffizienz;
•
„Stromrappen“ – 50 Mio. CHF/a für Stromeffizienz
•
330 Mio. CHF p.a. für neuen Regenerativ-Strom (Netzumlage, bis 0.6 Rp./kwh).
Das zuletzt genannte Instrument zur Förderung der Regenerativen Energien stellt eine deutliche qualitative und quantitative Veränderung gegenüber dem Szenario I dar. In den Modellrechnungen wird untersucht, wie weit man mit den mitteln bei optimistisch ange-nommenem
technischem Fortschritt, Skaleneffekten und auch einem ähnlich förderlichen Umfeld im europäischen Umland kommt.
Szenario III – „Neue Prioritäten“
19
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Bei diesem Szenario handelt es sich um ein Zielszenario. Als integrierte Ziele bis 2035 werden folgende Vorgaben gemacht:
•
Endenergieverbrauch pro Kopf: Reduktion um 20 % bis 2035 gegenüber dem Stand von
2000 (klimabereinigt),
•
CO2-Emissionen gesamt (incl. Stromerzeugung): - 20 % bis 2035
•
Jeweils unterschiedliche Ziele für den Anteil der Erneuerbaren an Wärme (20%), Treibstoff (5 %), Strom 10 %)
Als Methode wurden die folgenden Grundsätze umsetzt:
•
Anwendung von Best practice –Technologie in allen Sektoren und Verbrauchszwecken
•
Schnelle und stetige Diffusion der Technologien bei den Neueinsätzen im Rahmen der
Investitionszyklen
•
Reduktion von Umsetzungshemmnissen
•
Als Zwischenschritt wurde eine „Potenzialvariante“ berechnet, bei der (hypothetisch) davon ausgegangen wurde, dass ab 2011 sämtliche Neuinvestitionen schlagartig auf dem
jeweils besten Stand der Technik getätigt werden
•
Der jeweilige Stand der Technik der „best practice“-Technologien erfährt eine ständige
marktgetriebene Weiterentwicklung.
Auf diese Weise werden die Möglichkeiten und Grenzen der bekannten Effizienztechnologien ausgelotet.
Szenario IV – „Wege zur 2000-Watt-Gesellschaft“
Auch bei diesem Szenario handelt es sich um ein Zielszenario mit gegenüber Szenario III
verschärften Zielen. Diese sind aus der Vorstellung einer 2000-Watt-Gesellschaft (vgl. Band
4) im Jahr 2100 abgeleitet und auf 2035 quantitativ heruntergebrochen:
•
Endenergieverbrauch pro Kopf: -35 % in 2035 gegenüber 2000;
•
CO2-Emisisonen -35 % in 2035 gegenüber 2000;
•
Anteile Erneuerbare an Wärme (30 %), Treibstoffen (10 %), Strom (20 %)
Die oben erwähnte „Potenzialvariante“ zu Szenario III hat Grenzen aufgezeigt: Mit dem konsequenten Einsatz bekannter best-practice-Technologien sind diese Ziele nicht erreichbar.
Daher mussten für die Technologieentwicklung neue Wege gedacht werden. Es wurden die
möglichen Beiträge der neuen Schlüsseltechnologien
•
Information und Kommunikation – Messen/Steuern/Regeln
•
Mikrosystemtechnologie
•
Biotechnologie
20
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
•
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Nanotechnologie
zur Effizienzsteigerung untersucht und eingesetzt. Methodisch wurde eine Kompakt-DelphiBefragung von Experten durchgeführt, um mit Technologie-Experten von der IIASA gemeinsam entwickelte Thesen zu validieren. Im Ergebnis wurden weiterentwickelte, aber nicht
spekulative technologische Lösungen in den Modellrechnungen eingesetzt.
6.2.3.2 Varianten des Elektrizitätsangebots
In den Szenarien wurden je nach politischen Voraussetzungen bis zu sieben Varianten für
die Entwicklung des künftigen Kraftwerksparks untersucht: neue Kernkraftwerke, neue Gaskombikraftwerke, eine Kombination von Kernkraftwerken und Gaskombikraftwerken, neue
dezentrale fossil basierte Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen ohne den Neubau von neuen
Grosskraftwerken, reiner Zubau von erneuerbarer Stromerzeugung ohne Grosskraftwerke,
neue Importe ohne Neubau von Grosskraftwerken in der Schweiz, verschiedene Mischstrategien.
Da die Strategien mit rein dezentralen Lösungen (WKK oder erneuerbare) einen erheblichen
Wechsel der politischen Strategie und auch der Instrumente voraussetzen, werden diese erst
in den Zielszenarien III und IV genauer untersucht. In den Varianten mit dem Bau von
Grosskraftwerken (Nuklear oder Gas) wird allerdings davon ausgegangen, dass ein gewisser
weiterer autonomer Zubau an WKK-Anlagen und erneuerbarer Stromerzeugung erfolgt.
Figur 2:
zeigt die in den einzelnen Szenarien untersuchten Varianten für das Elektrizitätsangebot im Überblick.
Var A
Var B
Var C
Var D
Var E
Var C&E
Var D&E
Var G
Nuklear
Fossil
Zentral
+ Nuklear
Fossil
Zentral
Fossil
Dezentral
EE
Fossil
Zentral
+ EE
Fossil
Dezentral
+ EE
Importe
Sz I
n
n
n
n
Sz II
n
n
n
n
Sz III
n
n
n
n
Sz IV
n
n
n
n
n
n
n
n
n
Quelle: Prognos AG
21
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
6.3
Ergebnisse
6.3.1
Elektrizitätsnachfrage in den Szenarien
Figur 3 zeigt die zeitliche Entwicklung der Elektrizitätsnachfrage in den Grundszenarien.
Deutlich wird der fortgesetzte Wachstumstrend der Elektrizitätsnachfrage in der Referenz
„weiter wie bisher“; hier steigt die Nachfrage von 2000 bis 2035 um knapp 30 % an.
Figur 3:
Elektrizitätsnachfrage in den Szenarien
80
+29.1 %
+22.5 %
+13.4 %
-2.1 %
70
60
TWhel
50
40
30
20
Sz I Trend
Sz II Trend
Sz III Trend
Sz IV Trend
10
0
1990
1995
2000
2005
2010
2015
2020
2025
2030
2035
Quelle: Prognos AG
In Szenario II führt die verbesserte Ausschöpfung der unter heutigen Bedingungen wirtschaftlichen Effizienzmassnahmen zu einem gegenüber Szenario I abgeschwächten Nachfragewachstum: Die Nachfrage in 2035 liegt um ca. 5 % tiefer als diejenige von Szenario I,
der Anstieg gegenüber der Nachfrage im Jahr 2000 liegt jedoch immer noch deutlich über 20
%. In Szenario III bei konsequentem Einsatz von heute bekannter bester Effizienztechnologie stabilisiert sich die Nachfrage ab etwa 2020; insgesamt bleibt gegenüber dem Stand von
2000 ein Anstieg um 13.4 % zu verzeichnen. Ein geringfügiger Rückgang ist erst in Szenario
IV mit dem Einsatz gezielt entwickelter Technologie zu erwarten.
Die Ergebnisse sind jeweils gegenüber Variationen von Rahmenbedingungen recht robust;
grundsätzlich wirken sich aller Parameterveränderungen wie erhöhtes Wirtschaftswachstum,
erhöhte Preise fossiler Energieträger und wärmeres Klima leicht erhöhend auf die Stromnachfrage aus.
22
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
6.4
Elektrizitätsangebot
6.4.1
Entwicklung des Kraftwerksparks ohne Zubau, Definition der Stromlücke
Gegenwärtig wird das Stromangebot in der Schweiz zu einem grossen Teil aus Wasserkraft,
Kernkraft aus den Kernkraftwerken Beznau I und II, Mühleberg, Gösgen und Leibstadt bereit
gestellt. Hinzu kommen langfristige, aber befristete Bezugsrechte aus Beteiligungen an französischen Kernkraftwerken sowie dezentrale WKK-Erzeugung und einige Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien. Die zeitliche Entwicklung des derzeit bestehenden Kraftwerksparks ist vor allem durch das Auslaufen der Bezugsrechte (aufgrund der
Alterung der entsprechend kontrahierten Kraftwerke) sowie die Alterung und Ausserbetriebnahme der Kernkraftwerke bestimmt. Es wird davon ausgegangen, dass die grossen Wasserkraftanlagen eine ständige Instandhaltung und inkrementelle Erneuerung, in einigen Fällen auch Ertüchtigung und Leistungserhöhungen erfahren. Die Laufzeiten der Kernkraftwerke
werden in den Modellrechnungen gemäss derzeitiger Beschlusslage gem. Tabelle 1 angenommen.
Tabelle 1:
Laufzeiten der Kernkraftwerke in der Referenzvariante, in der Sensitivitäten 40
Jahre Laufzeit (KKW 40) sowie Laufzeitverlängerung (KKW 60)
Jeweils Laufzeit bis Ende des KKW 40 Jahre
KKW 50/60 Jahre
KKW 60 Jahre
Jahres:
(Ausstieg)
(Referenz)
(Verlängerung)
Beznau I (365 MWel)
2009
2019
2029
Beznau II (365 MWel)
2012
2022
2032
Mühleberg (355 MWel)
2012
2022
2032
Gösgen (970 MWel)
2019
2039
2039
Leibstadt (1'165 MWel)
2024
2044
2044
Entsprechend entwickelt sich der derzeit bestehende Kraftwerkspark (produzierte Arbeit im
hydrologischen Jahr) ohne Zubau wie in Abbildung 4 dargestellt. Die Elektrizitätsnachfrage in
den verschiedenen Szenarien ist ebenfalls eingezeichnet.
23
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
Figur 4:
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Entwicklung des bestehenden Kraftwerksparks und Nachfrage
TWhel
100
Landesverbrauch + Verbrauch der
bestehenden Speicherpumpen:
Sz. I
Sz. II
Sz. III
Sz. IV
90
80
70
60
50
40
30
20
Wasserkraft
10
Kernenergie
Fossil-therm. KW und WKK
Bezugsrechte 1)
Erneuerbare 2)
0
1990
1995
2000
2005
2010
2015
2020
1) Saldiert mit Lieferverpflichtungen. Bei Lieferverpflichtungen > Angebot ist der Wert 0
2025
2030
2035
2) gekoppelt und ungekoppelt
2040
2045
2050
Hydrologisches Jahr
Quelle Prognos AG
An dieser Grafik ist deutlich zu sehen, dass etwa ab dem Jahr 2018 die Nachfrage die
durchschnittliche inländische Erzeugung incl. noch bestehender Bezugsrechte übersteigt,
wenn kein Zubau erfolgt. Die Differenz zwischen der Nachfrage und dem inländischen Angebot auf Arbeitsebene wird als „Stromlücke“ bezeichnet und ist zunächst als Terminus Technicus zu verstehen. Diese Stromlücke bewegt sich im hydrologischen Jahr zwischen 27 TWh
(in Szenario I Sensitivität Klima wärmer) und 5 TWh in Szenario IV. Aus der Figur wird deutlich, dass selbst im Szenario IV die Effizienzmassnahmen das Auslaufen der Bezugsrechte
und die Ausserbetriebnahme der Kernkraftwerke nicht vollständig kompen-sieren können.
Aufgrund der reduzierten Leistung der Laufwasserkraftwerke im Winter verschärft sich diese
Situation im Winterhalbjahr nochmals deutlich, was hier aus Platzgründen allerdings nicht
grafisch dargestellt wird (im Foliensatz zur Tagung ist die Wintersituation abgebildet; in den
Berichten ist sie ebenfalls enthalten). Die Modell-rechnungen sind auf die Anforderung ausgerichtet, die Nachfrage im Winterhalbjahr zu decken (erstes Versorgungssicherheitskriterium).
Zusätzlich zu der Produktion aus schweizerischen Kraftwerken und den langfristigen Bezugsrechten (die mit langfristigen Exportverpflichtungen der Schweiz saldiert werden) enthält
die Elektrizitätsbilanz der Schweiz weitere Importe und Exporte an Elektrizität in etwa der
Hälfte der Grössenordnung wie die inländische Erzeugung. Diese Importe und Exporte sind
durch den internationalen Handel bedingt und führen zu der Bezeichnung der Schweiz als
„europäische Stromdrehscheibe“. Ein Teil hiervon sind Transitlieferungen, zum Teil aus langfristigen Lieferverpflichtungen. Ein grosser Teil entsteht aus kürzerfristigen Geschäften im
Spitzen- und Regelenergie-Geschäft. Die „Veredelung“ von Grundlast- zu Spitzen-laststrom
durch Pumpspeicherung spielt hierbei eine grosse Rolle. Da diese Exportbilanz definitionsgemäss nicht zur Landesversorgung beiträgt, sondern über Handelsverträge anderweitig
24
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
gebunden ist, liegt der Fokus der Betrachtung der Energieperspektiven auf dem Verhältnis
zwischen Landeserzeugung (incl. zumeist aus Beteiligungen stammender langfristiger Bezugsverträge) und Landesverbrauch. Zusätzlich ist anzumerken, dass die Importe ebenfalls
– wie sich auch am Auslaufen der Bezugsrechte rückschliessen lässt – keine konstante
Grösse sind; der Kraftwerkspark im europäischen Umfeld ist ebenfalls einem Alterungsprozess unterworfen und weist zudem einen gewissen Investitionsstau bei derzeit ebenfalls
steigender Nachfrage auf.
6.4.2
Genehmigungsdauern für neue Kraftwerke
Neue Grosskraftwerke (Kernkraftwerke und Gaskraftwerke) benötigen sorgfältige Planungsund Bewilligungsprozesse. Im Prozess bestehen jeweils verschiedene Einspracheoptionen.
Nach Prüfung der Sachlage durch das BFE wurde von schematisierten Prozessverläufen bei
der Bewilligungszeit ausgegangen, die dazu führen, dass (bei Planung ab heute) ein neues
Kernkraftwerk ab 2030 in Betrieb genommen werden kann, ein neues Gaskraftwerk ab ca.
2013, vgl. Figur 5. Genauere Informationen hierzu finden sich im Anhang zu Band 5 der
Energieperspektiven.
Figur 5:
Bewilligungs- und Bauzeiten für neue Kernkraftwerke und Gaskraftwerke
2008
2010
2015
2020
2025
2030
RaB-Verfahren
BaB-Verfahren
Bauzeit
BeB-Verfahren
R
a
B
UVP
Gas-KW
B
a
B
B
e
B
PGV
Bauzeit
B
a
B
B
e
B
Quelle: BFE, eigene Darstellung
Entsprechende Voraussetzungen wurden in den Modellrechnungen implementiert. Wenn ein
neues Kernkraftwerk erst in 2030 in Betrieb gehen kann, muss in der Zeit ab dem Auftreten
der Stromlücke (2018 – 2020, je nach Szenario) eine andere Lösung gefunden werden, z.B.
verstärkte Importe oder Gaskraftwerke als Übergangslösung (Variante B), die dann bis zum
Ende ihrer Lebensdauer im Mix bleiben.
25
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
6.4.3
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Mögliches Elektrizitätsangebot für Szenario I
In Szenario I, Trendvariante, beträgt die Stromlücke im hydrologischen Jahr 22.3 TWh, davon fallen 16.1 TWh im Winterhalbjahr an. Bei einer grundsätzlichen Ausrichtung der Energiepolitik „weiter wie bisher“ als Szenarienphilosophie erscheint der Bau von neuen Grosskraftwerken oder neue Importe als konsistente Strategie. Wie oben erwähnt, wird ein gewisser autonomer Zubau von erneuerbaren Kapazitäten und WKK-Anlagen unterstellt. Im Ergebnis zeigen sich folgende Kennwerte der Zubauten in den einzelnen Varianten:
•
A „Nuklear“:
2 KKW je 1'600 MWel (+ Importe 2018-2030)
•
B „Nuklear +
Fossil zentral“:
5 GuD je 550 MWel + 1 KKW
•
C „Fossil zentral“:
7 GuD
•
G „neue Importe“:
20.0 TWh, 3'329 MWel
Abklärungen mit swissgrid haben ergeben, dass auf der technischen Ebene der Import der in
der Variante G erforderlichen zusätzlichen Leistung möglich ist.
Figur 6 zeigt die Entwicklung des Kraftwerksparks in Szenario I exemplarisch für Variante B
im Winterhalbjahr. Deutlich sichtbar werden der Zubau an Erneuerbaren und WKKKapazitäten. Ebenso deutlich wird auch, dass diese Kapazitäten bei weitem nicht hinreichen,
um die Lücke in diesem Szenario zu decken. Der „Sprung“ in der Nachfrage (2013-2015)
und beim Angebot (Wasserkraft) erklärt sich durch den unterstellten Bau der neuen Pumpspeicherkraftwerke (Grimsel, Emosson, Linth-Limmern). In der Nachfrage ist die Pumpenergie verbucht. Diese Entwicklung wird in allen Szenarien unterstellt.
Figur 6:
Entwicklung des Kraftwerksparks in Szenario I, Variante B, Winterhalbjahr, in
TWh
Quelle: Prognos AG
26
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
6.4.3.1 Elektrizitätsangebot in Szenario II
Die Modellrechnungen haben ergeben, dass das neue Förderinstrument für die Erzeugung
von Strom aus erneuerbaren Energien mit einem Aufkommen bis 330 Mio. CHF pro Jahr,
das in diesem Szenario definitionsgemäss unterstellt wird, bis 2035 eine Jahresarbeit von bis
zu 5.7 TWh erzeugt werden kann. Hierbei wurde angenommen, dass eine möglichst effiziente und wirtschaftliche Ausschöpfung der Potenziale erfolgt und dass die Technologien z.T.
deutliche Kostendegressionen erfahren. Zusätzlich wird aber auch angenommen, dass ein
gewisser Technologiemix angestrebt wird, so dass diejenigen Technologien, die derzeit noch
teurer sind, aufgrund des Effizienzkriteriums keinen Fadenriss erfahren.
Da die Stromlücke in Szenario II 18.6 TWh in 2035 beträgt, wovon 14.1 TWh im Winterhalbjahr anfallen, reicht diese Menge an erneuerbarer Arbeit noch nicht, um die Lücke vollständig
zu decken. Definitionsgemäss wurde zusätzlich zu diesem Instrument keine weitere geänderte Strategie unterstellt. Der autonome Zubau an WKK-Kapazitäten entspricht etwas demjenigen von Szenario I. Als Optionen ergeben sich in den verschiedenen Varianten die folgenden zusätzlichen Zubaumöglichkeiten:
•
A „Nuklear“:
2 KKW (+ Importe 2018-2030)
•
B „Nuklear +
Fossil zentral“:
3 GuD + 1 KKW
•
C „Fossil zentral“:
5 GuD
•
G „neue Importe“:
12.7 TWh, 2'214 MWel
Die leicht reduzierte Nachfrage (und damit reduzierte Stromlücke) sowie der verstärkte Zubau der Erneuerbaren reichen noch nicht hin, um gegenüber Szenario I in der Variante A ein
Kernkraftwerk einzusparen. Dies hängt allerdings mit der gerechneten Blockgrösse zusammen. Rein rechnerisch würden ein KKW-Block von 1'600 MW und ein Block von 1'000 MW
hinreichen. In den Varianten B und C (Gaskraftwerke mit und ohne Kernkraftwerk) zeigt sich,
dass zwei Gaskombiblöcke mit der Leistung von je 550 MW eingespart werden können.
6.4.3.2 Elektrizitätsangebot in Szenario III
In Szenario III beträgt aufgrund der verstärkten Effizienzstrategie auf der Nachfrageseite die
Lücke in 2035 nur noch 13.5 TWh, davon 11.4 TWh im Winterhalbjahr. Die Szenarienphilosophie „Neue Prioritäten“ lässt auch neue Strategien wie rein dezentrale Strategien auf
der Basis fossil befeuerter WKK- Anlagen oder von erneuerbaren Energien zu. Bei den Modellrechnungen wurde somit vor allem die Frage untersucht, ob die Potenziale hierfür hinreichen und mit welchen Technologien dies gegebenenfalls möglich ist. Für die Variante C und
die Mischvarianten mit Gaskraftwerken wurde jeweils angenommen, dass neue Gaskraftwerke zu 20 % mit Holz-Synthesegas befeuert werden, was sich positiv auf die CO2Emissionen auswirkt. Die Rechnungen ergaben die folgenden Optionen:
•
A „Nuklear“:
1 KKW + 1.1 TWh neue Importe
•
C „Fossil zentral“:
4 GuD
27
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
•
D „Fossil dezentral“:
17.8 TWh WKK
•
E „Erneuerbare Energien“:
16.5 TWh EE + 2.6 GWK
•
C&E „Fossil zentral + EE“:
3 GuD + 8.1 TWh EE
•
D&E „Fossil dezentral + EE“:
12.1 TWh EE + 9.6 TWh EE
•
G „Importe“:
11.5 TWh, 1'913 MWel
Hier zeigt sich, dass gegenüber Szenario I in Variante A ein ganzer KKW-Block eingespart
werden kann.
Die Variante D (WKK-Strategie auf fossiler Basis) erweist sich grundsätzlich als möglich –
das Wärmepotenzial, nach dem die Anlagen ausgelegt werden, ist vorhanden. Es wird allerdings ein erheblicher Anteil an Klein- und Kleinstanlagen (Klasse bis 10 kW, 20-50 kW) für
die Versorgung von Einzelobjekten ohne Wärmenetze benötigt, damit die Lückendeckung
tatsächlich erfolgen kann. Das macht die Strategie aufwändig und spezifisch teuer.
In der Variante E (praktisch nur noch Zubau von Erneuerbaren) kann die Lückendeckung nur
gelingen, wenn ab 2020 die tiefe Geothermie als ausgereifte und breit einsetzbare Technologie zur Verfügung steht. Ansonsten würden die Potenziale der übrigen erneuerbaren
Technologien nicht hinreichen oder es müsste auf spezifisch sehr teure Technologien (PV)
zurückgegriffen werden. Figur 7 zeigt die zeitliche Entwicklung des Zubaus von Erneuerbaren nach Technologien im Winterhalbjahr.
Figur 7:
Szenario III, Variante E: Zubau der Erneuerbaren, Winterhalbjahr
16'000
Pumpspeicher
Geothermie
14'000
Photovoltaikanlagen
12'000
Windenergieanlagen
Biomasse (Holz)
GWhel
10'000
ARA
8'000
Biogas
6'000
KVA (50% EE-Anteil)
4'000
fossile WKK
(Autonomer Zubau)
Wasserkraft
Lücke Winter
(neue Pumpspeicher)
Lücke Winter
2'000
0
2005
2010
2015
2020
2025
2030
2035
Winterhalbjahr
Quelle: Prognos AG
28
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Die Mischvarianten C&E sowie D&E entschärfen diese Problematik jeweils.
Bei den dezentralen Strategien zeigt sich bei den Modellrechnungen, dass die Auslegung auf
die Zeitpunkte, zu denen die grossen Kernkraftwerksblöcke aus dem Betrieb gehen, jeweils
kritisch ist. Da die Anlagen nicht in solch grossen Blöcken, sondern in kleinen Einheiten und
über die Zeit verteilt zugebaut werden, ist es notwendig, dass entsprechend früh mit dem
Zubau begonnen wird und er schnell und konzentriert erfolgt. Somit müssen ggf. schon früh
relativ teure Potenziale erschlossen werden.
6.4.3.3 Elektrizitätsangebot in Szenario IV
In Szenario IV beträgt die Stromlücke aufgrund der verschärften Effizienzanstrengungen mit
gezielt entwickelter Technologie nur noch 5.0 TWh im hydrologischen Jahr – allerdings 6.6
TWh im Winterhalbjahr. Da diese Lücke nochmals gegenüber Szenario III verkleinert ist,
ergibt sich aus den Ergebnissen zu Szenario III, dass alle Varianten im Prinzip machbar sind.
Im Folgenden sind die Ergebnisse zusammengestellt:
•
A „Nuklear“:
1 KKW (+ Importe 2018-2030)
•
C „Fossil zentral“:
3 GuD
•
D „Fossil dezentral“:
11.5 TWh WKK
•
E „Erneuerbare Energien“:
10.3 TWh EE + 1.0 GWK
•
D&E „Fossil dezentral + EE“:
7.6 TWh EE + 6.2 TWh EE
•
G „Importe“:
6.6 TWh, 1'100 MWel
In Variante A würde rechnerisch auch ein KKW-Block der Grösse 1'000 MW ausreichen. Auf
Importe in der Übergangszeit kann allerdings nicht verzichtet werden. In Variante D werden
weniger Kleinanlagen benötigt, in Variante E weniger Geothermie als in den analogen Varianten zu Szenario III.
6.4.3.4 Vergleich der Ergebnisse Szenarien und Varianten
In Tabelle 2 sind die wesentlichen Ergebnisse der Szenarien und Varianten zusammen gestellt.
Die jeweiligen autonomen Zubauten an WKK-Kapazitäten und erneuerbaren Kapazitäten
sind der Übersichtlichkeit halber nicht gesondert aufgeführt.
29
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
Tabelle 2:
Kenndaten der Szenarien und Varianten
Var. A
I „Weiter wie bisher“
II
„Verstärkte
Zusammenarbeit“
330 Mio. CHF/a
für neue Erneuerbare
III „Neue Prioritäten“
IV
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
„Weg zur
2000-Watt-Gesellschaft“
Var. B
Var. C
Var. D
Nuklear
Nuklear und
fossil-zentral
Fossilzentral
Fossildezentral
2 KKW
5 GuD
1 KKW
7 GuD
-
2 KKW
3 GuD
1 KKW
5 GuD
-
Var. E
Var. C&E
Var. D&E
FossilErneuerbare
Fossildezentral +
Energien zentral + EE
EE
-
-
-
-
-
-
5.7 TWh EE 5.7 TWh EE 5.7 TWh EE
Var. G
Lücke in 2035
in TWh
Import
Jahr
Wi
20.0 TWh
Importe
(3'329 MW)
22.3
16.1
18.6
14.1
12.7 TWh
Importe
(2'114 MW)
5.7 TWh EE
1 KKW
1.1 TWh
Importe
-
4 GuD *
17.8 TWh
WKK
16.5 TWh
EE
2.6 TWh
GWK
3 GuD *
8.1 TWh EE
12.1 TWh
11.5 TWh
WKK
Importe
9.6 TWh EE (1'913 MW)
13.5
11.3
1 KKW
-
3 GuD
11.5 TWh
WKK
10.3 TWh
EE
1.0 TWh
GWK
-
7.6 TWh
6.6 TWh
WKK
Importe
6.2 TWh EE (1'100 MW)
5.0
6.6
Quelle: Prognos AG
Zu allen Angebotsvarianten wurden die direkten gesamtwirtschaftlichen Kosten der neuen
Erzeugung berechnet. Der bestehende Park wurde nicht bewertet. Auf diese Weise sind die
Kosten der neuen Erzeugung als Differenzbetrachtung vergleichbar. Auf die Preise für den
Verbraucher kann aus dieser Betrachtung allerdings nicht direkt geschlossen werden. Vgl.
Tabelle 3.
Tabelle 3:
Gestehungskosten der neuen Erzeugung (Zubau) nach Szenarien und Varianten (direkte gesamtwirtschaftliche Kosten, in Rp./kWh, real, diskontiert)
Var. A
I „Weiter wie bisher“
II
„Verstärkte
Zusammenarbeit“
Var. C
Nuklear *
Nuklear und
fossil-zentral
Fossilzentral
3.9
4.2
4.4
4.7
Var. D
Fossildezentral
Var. E
Var. C&E
Var. D&E
FossilErneuerbare
Fossildezentral +
Energien zentral + EE
EE
Var. G
„Weg zur
2000-Watt-Gesellschaft“
Lücke in 2035
in TWh
Import *
Jahr
Wi
4.4
4.4
22.3
16.1
5.0
5.1
18.6
14.1
330 Mio. CHF/a
für neue Erneuerbare
III „Neue Prioritäten“
IV
Var. B
4.4
5.1 **
8.1
7.2
4.3
4.7
7.5
7.0
6.1 **
7.9
4.8
13.5
11.3
7.4
4.8
5.0
6.6
Quelle: Prognos AG
Allg.: Exporterlöse sind abgezogen, Zuschlag für CO2-Kosten (inländische Kraftwerke). Alle Kosten ab Klemme
Kraftwerke
* Importe in Varianten A und G ohne zusätzliche Kosten für Netze im Ausland, mit Zuschlag für CO2-Kosten (ausländische Kraftwerke)
** mit Holzgaszufeuerung in Erdgaskraftwerken, ausser Chavalon
30
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
6.4.3.5 Versorgungssicherheit: Leistungsseite
Um einzuschätzen, ob neben der arbeitsseitigen Versorgungssicherheit auch die leistungsseitige Versorgungssicherheit gewährleistet ist, wurden für alle Szenarien und Varianten klimatologische Extremsituationen untersucht. Als Extremsituationen wurden jeweils eine Hitzewellen- und eine Kältewellensituation untersucht, in denen auch noch jeweils ein grosser
Kraftwerksblock ausserplanmässig ausfällt (Redundanzfrage). In diesen Situationen wurde
mit Hilfe von Leistungsrechnungen und Simulationen der Speicherinhalte untersucht, ob die
Nachfrage arbeits- und leistungsseitig gedeckt werden kann. Die genauere Definition der
Hitze- und Kältewellensituation mit den Annahmen und Ergebnissen der Speichersimulationen findet sich in Exkurs 12, Band 4.
Im Ergebnis zeigt sich, dass
•
die Versorgungssicherheit nach dem jeweils in den Szenarien und Varianten ermittelten
Zubau neuer Kraftwerke arbeits- und leistungsseitig gewährleistet ist;
•
in den Varianten G (neue Importe) sowie der Variante A in den Jahren 2018 – 2030, in
denen importiert werden muss, in der Kältewellensituation die Spitzenleistung nicht immer gesichert ist und die Speicherbelastung sehr hoch ist;
•
die jeweiligen Grosskraftwerke, vor allem die neuen Kernkraftwerke, aufgrund ihrer
Blockgrösse ein gewisses „Klumpenrisiko“ darstellen;
•
in den Szenarien III und IV die Risiken aufgrund der verringerten Nachfrage deutlich verringert werden;
•
in den Extremsituationen die Spitzenlastkapazitäten einen erheblichen Beitrag an der
Grundlast leisten müssen;
•
eine Auswirkung auf die Speicher in Folgejahren nicht ausgeschlossen werden kann.
Die Ergebnisse der Speichersimulationen zeigen, dass jeweils in den Extremsituationen die
Speicherentleerung zu einem deutlich tieferen Niveau als der jeweilige langjährig gemessene
Tiefststand für die Jahreszeit führt. Dies gilt insbesondere für die Hitzewellen, in denen die
Leistung zwar bereit gestellt werden kann, die arbeitsseitigen „Kosten“ dann jedoch in Folgejahre verschoben werden, da damit zu rechnen ist, dass bei den Speichern das Management
verändert werden muss und die Auffüllung hohe Priorität hat. Vgl. Figur 8.
31
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
Figur 8:
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Speichersimulationen: Auswirkungen einer Hitze- und Kältewelle auf den
Speicherinhalt
Speicherinhalt
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
Hitzewelle
30%
Kältewelle
20%
10%
0%
Sep
Okt
Nov
Dez
Jan
Feb
Mrz
Hoch
Apr
Mai
Jun
Jul
Aug
Sep
Tief
Quelle: BFE; Prognos AG
6.5
Schlussfolgerungen
Mit wachsender Stromnachfrage und der Ausserbetriebnahme der Kernkraftwerke sowie
dem Auslaufen der Bezugsrechte klaffen Stromnachfrage und die durchschnittliche Deckung
aus bestehenden inländischen Quellen ab 2018 auseinander. Dieser Sachverhalt wird als
„Stromlücke“ (im Sinne eines Terminus Technicus) bezeichnet. Für den Umgang mit diesem
Sachverhalt und die künftige Entwicklung gibt es verschiedene Optionen:
•
Reduktion der Nachfrage durch Effizienzmassnahmen
•
Zubau neuer Kraftwerke (als Grosskraftwerke auf Basis Kernkraft oder Gas, dezentrale
WKK-Kapazitäten oder erneuerbar)
•
Neue Importe
•
Kombinationen aus allen Optionen.
Je nach Effizienzstrategie auf der Nachfrageseite bewegt sich die Stromlücke in 2035 zwischen 5 TWh (Szenario IV) und 27 TWh (Szenario I Klima wärmer). Die Szenarienrechnungen haben gezeigt, dass selbst die ambitionierte Effizienzstrategie mit gezielt entwickelten Technologien die Ausserbetriebnahme der Kernkraftwerke und das Auslaufen der
Bezugsrechte nicht vollständig zu kompensieren vermag.
•
Grundsätzliche politische Entscheidungen und Klärung bzw. Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen kann zu sehr unterschiedlichen Ausprägungen von Nachfrage und
Angebot führen.
32
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
•
Schnelles Handeln für die Schweiz ist notwendig, andernfalls sind ab 2018 Versorgungsengpässe nicht auszuschliessen. Diese können zumindest Auswirkungen auf die
Preise haben.
•
Strom sparen kann das Problem in allen Varianten grundsätzlich und zum Teil sogar erheblich (vgl. Szenarien III und IV), entschärfen, jedoch nicht lösen.
•
Substanzielle Veränderungen auf Nachfrage- und Angebotsseite sind technisch und
wirtschaftlich möglich, sie kommen aber nicht von selbst.
•
Die Versorgungssicherheit ist in klimatologischen Extremsituationen nach Zubau neuer
Kraftwerke im Grossen und Ganzen gewährleistet (flexibler Einsatz der Speicherkraftwerke).
•
Die CO2-Emissionen (sowie NOx und Staub) können in einzelnen Szenarien und Varianten zunehmen.
•
Je nach angestrebter Strategie können Übergangslösung(en) notwendig werden, dies
gilt insbesondere für Kernkraft-Strategien.
•
Die Politik ist gefordert, Prioritäten zu setzen, Randbedingungen vorzugeben, Diskussionsprozesse einzuleiten und den Aushandlungsprozess zu führen.
Die Szenarienrechnungen haben gezeigt, dass je nach Prioritätensetzung sehr viele verschiedene Optionen technisch und wirtschaftlich möglich sind. Auf der Ebene von Kosten,
Umweltauswirkungen und verschiedenen Risiken haben die Optionen jeweils sehr unterschiedliche Eigenschaften, die sich auch nicht alle (insbesondere bei den Risiken und den
Auswirkungen des Klimawandels) quantifizieren und monetarisieren lassen. Der Aushandlungsprozess um die Prioritätensetzungen hat auch eine stark ethische Dimension. Abgewogen werden müssen die Fragestellungen und Interessen
Was wollen wir uns leisten
•
z.B. Komfort,
•
Mobilität,
•
Wirtschaftskraft,
•
Industriestandards,
•
Exporte,
•
Sicherheit etc.
Was sind wir bereit, dafür in Kauf zu nehmen?
•
Z.B. Kosten,
•
Komplexität,
•
Risiken – Umwelt, Gesundheit,
•
Abhängigkeiten,
•
Einschränkungen,
33
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
•
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Verwundbarkeit etc.
Was sind wir in der Lage zu verantworten? (potenzielle Schadenserzeugung bei Personen
und ggf. Generationen, die nicht vom Nutzen der entsprechenden Systeme profitieren und
nicht darüber entscheiden können)
•
Z.B. Klimarisiken
•
Kernkraftrisiken
•
Proliferation
•
globale Disparitäten
•
Soziale Disparitäten (Ungleichverteilung von Zugängen und Chancen)
Die Energieperspektiven stellen mit den aufgezeigten Optionen eine faktische Basis für den
Aushandlungsprozess bereit. Den Konsens zu finden ist die Gesellschaft als Ganzes gefordert.
6.6
Literatur
Die Energieperspektiven (veröffentlicht unter www.energie-perspektiven.ch ):
Band 1
Synthese (BFE 2006)
Band 2
Szenarien I bis IV (Prognos 2007 b, A. Kirchner)
Band 3
Volkswirtschaftliche Auswirkungen (ecoplan 2006, a. Müller, F. Vöhringer)
Band 4
Exkurse (BFE 2007, zahlreiche verschiedene Autoren)
Band 5
Analyse und Bewertung des Elektrizitätsangebotes (prognos 2007a, V. Rits
und A. Kirchner)
Sektorberichte im Rahmen der Energieperspektiven, alle im Auftrag des Bundesamts
für Energie, Bern:
Prognos 2006 (P. Hofer), Der Energieverbrauch der Privaten Haushalte 1990 – 2035
CEPE 2007 (B. Aebischer, G. Catenazzi), Der Energieverbrauch der Dienstleistungen und
der Landwirtschaft, 1990 - 2035
Basics 2007 (W. Baumgartner, O. Ebert), Der Energieverbrauch der Industrie, 2990 – 2035
Infras 2007 (M. Keller), Der Energieverbrauch des Verkehrs 1990 - 2035
34
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Literatur zu Potenzialen der Erneuerbaren:
Electrowatt-Ekono (2004). Ausbaupotenzial der Wasserkraft. Laufer, F.; Grötzinger, S. &
Schmutz, A., Electrowatt-Ekono, Zürich. Im Auftrag des Bundesamts für Energie,
Bern & des Bundesamt für Wasser und Geologie BWG, Biel.
Infras (2004). Potenziale zur energetischen Nutzung von Biomasse in der Schweiz.
Schlussbericht, 05 November 2004. Im Auftrag des Bundesamts für Energie, Bern.
PSI (2005a). Erneuerbare Energien und neue Nuklearanlagen. Hirschberg, S et al., Paul
Scherrer Institut, Villigen PSI. Im Auftrag des Bundesamts für Energie, Bern.
Sowie die in Band 5 zitierte Literatur
Weiterführende Literatur, u.a. zu Risikofragen und ethischen Fragestellungen:
Meadows, Donella; Randers, Jorgen; Meadows, Dennis (2004). Limits To Growth: The 30Year Update. Chelsea Green Publishing Company, Vermont.
Mortensen, V. (1995). Life and Death – Moral Implications of Biotechnology. WCC
Publications, Genf, ISBN 2-8254-1170-1.
Novatlantis (2004). Leichter Leben – die 2000-Watt-Gesellschaft, Novatlantis, Zürich,
www.novatlantis.ch
Oxford Research Group (2007). Barnaby, F., Kemp, J. Too hot to handle? The Future of civil
nuclear power, briefing paper, July 2007
Perrow, Ch. (1999). Normal Accidents – Living with High-Risk Technologies. Princeton University Press, New York, ISBN 0-691-00412-9.
Prognos (1992). Ewers, H.-J., Rennings, K., Abschätzung der Schäden durch einen so genannten „Super-Gau“, im Rahmen der Prognos-Schriftenreihe „Identifizierung und
Internalisierung externer Kosten der Energieversorgung“, im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft, Bonn.
Prognos AG (2004). Energieprognose angesichts globaler Unsicherheit; Diskussion zentraler
Determinanten der sozialen und technologischen Entwicklung, Proceedings der
Workshops zur Energiewirtschaftlichen Referenzprognose mit Zeithorizont 2030, Hrsg.
Prognos AG, Basel 2004
Stern (2006), Stern Review on the economics of Climate Change, Stern, N., 2006
Streffer, C.; Gethmann, C.F.; Heinloth, K.; Rumpff, K. und Witt, A. (2005). Ethische Probleme
einer langfristigen globalen Energieversorgung. Walter de Gruyter, Berlin/New York,
ISBN 978-3-11-018431-0.
WGBU (1998). Wissenschaftlicher Beirat globale Umweltveränderungen der
Bundesregierung, Strategien zur Bewältigung globaler Umweltrisiken,
Jahresgutachten 1998
35
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
7
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Stefan Aeschimann: Stromknappheit, Atel's Lösungsbeiträge
Stefan Aeschimann
Atel; Leiter Corporate Public Affairs
Atel
Bahnhofquai 12
CH-4601 Olten
[email protected]
7.1
CO2-Ausstoss der Schweiz fürs Klima irrelevant
Die Schweiz hat einen Anteil von nur rund 0,3% des Weltenergieverbrauchs. Weil in der
Schweiz wenig CO2-intensive Wirtschaftssektoren angesiedelt sind und die Stromproduktion
CO2-arm ist, verursacht sie gar nur rund 0,15% der globalen CO2-Emissionen. Damit wird
klar, dass der CO2-Ausstoss der Schweiz irrelevant ist in der Beeinflussung des Klimas.
36
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Wenn die Schweiz hingegen Einfluss auf eine Reduktion der 99,85% sonst in der Welt ausgestossenen CO2 nehmen will, ist ihr Verhalten sehr relevant. Nach den völker-rechtlichen
drei Prinzipien Gegenseitigkeit, Gleichbehandlung und Solidarität kann andere nur glaubwürdig beeinflussen, wer selbst einen Beitrag leistet.
7.2
Klimadiskussion – gute Position der Schweiz nutzen
Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, die Schweiz habe im internationalen Vergleich
relativ wenige Emissionsreduktionspotentiale. Man könnte aber auch die gute Ausgangslage
nutzen, noch weiterzugehen in Richtung Klimaneutralität. Mit der halben/vollständigen Klimaneutralität würde die Schweiz beschliessen, ihre Treibhausgasemissionen zur Hälfte/ vollständig mittels internationalen Emissionshandelsmärkten zu kompensieren. Die Schweiz
könnte sich damit in der Klimakonvention zu einem Emissionsziel minus 50% bzw. minus
100% verpflichten lassen. Damit hülfe sie international mit, den CO2-Ausstoss koordiniert
und effizient zu reduzieren. Zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsneutralität und aufgrund
der guten Ausgangsposition wären mindestens Ziele in der Grössenordnung der ambitiösen
Ziele der Europäischen Union zu wählen.
7.3
Lenkungsabgaben zur CO2-Reduktion ungeeignet
Atel zieht einen solchen Weg in Richtung Klimaneutralität den vom UVEK in Aussicht gestellten Lenkungsabgaben aus drei Gründen vor.
37
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Die Lenkungsabgaben zielen auf Energie und nicht auf Umweltbelastungen. Energieverbrauch ist aber nicht per se problematisch, sondern im Hinblick auf die damit ausgelösten
externen Effekte. Deshalb sollten Abgaben – wie in der EU - an Umweltbelastungen anknüpfen und nicht am Verbrauch. Nur so lassen sich bestimmte Emissionsreduktionen garantieren.
Die hohen Lenkungsabgaben koppeln die Schweiz vom internationalen Regime für die Reduktion von Treibhausgasemissionen ab. Aufgrund der flexiblen Mechanismen des Kyoto
Protokolls soll der sich jeweils ergebende Preis für Emissionsrechte für kosteneffizienten
Klimaschutz sorgen. Eine internationale Einbettung der Schweiz in die internationalen Klimaschutzbemühungen, wie sie auch in den Annahmen der Energieperspektiven des Bundes
und vom Bundesrat postuliert wird, ist mit autonom festgelegten Lenkungsabgaben nicht
vereinbar. Faktisch würde mit hohen Lenkungsabgaben ein Alleingang der Schweiz ohne
Partizipation an den internationalen flexiblen Mechanismen beschritten.
Wenn CO2 einen monetären Wert erhält, wird sichergestellt, dass die Unternehmen die
Emissionen in ihre Investitionsentscheidungen einbeziehen. Bessere und effizientere Technologien erhalten dadurch einen finanziellen Vorteil.
7.4
Energieeffizienz, Biofuel- und Stromanteil erhöhen
Atel denkt, dass die Schweiz gezwungen sein wird, die Energieeffizienz, den Biofuel- und
den Stromanteil zu erhöhen, sofern die Annahmen eintreffen (+10% Bevölkerungszunahme
bis 2035 gemäss BFS, +40% beheizte Fläche sowie +40% Verkehr bis 2050 gemäss ETH)
38
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
und sofern die Schweiz trotzdem die politisch gesetzten Ziele erreichen will (Verbrauchsstabilisierung Haushalte bis 2030 gemäss Energiegesetz, Klimaschutz, CO2-Reduktion, Ressourcenschonung, Versorgungssicherheit, Wirtschaftswachstum).
Atel hat sich auf eine solche Entwicklung vorbereitet. So begrüsst und fördert Atel Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz. Energieeffizienz gehört längst zu den Kernkompetenzen der Atel-Gruppe. Über 6000 der 8500 Atel-Mitarbeitenden sind im weiten Bereich der Energieeffizienz tätig - in Deutschland in der GAH-Gruppe, in der Schweiz in der
Atel Installationstechnik AG. In der Gebäudetechnik, im Anlagenbau, im öffentlichen Verkehr
und in der Energietechnik will Atel einen wichtigen Beitrag zum effektiven und effizienten
Einsatz von Energie leisten. In das Kompetenzgebiet von Atel-Energieservice fallen u.a. Isolation, Klima, Heizung, Effizienzsteigerungen, Verkehrstechnik und Bau von Kraftwerken und
Komponenten aller Art.
39
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Dazu vier Beispiele:
Atel und die Branche sind in zahlreichen Forschungsprojekten aktiv. In Güssing bei Wien
entsteht eine Prototypanlage zur Produktion von synthetischem Ergas aus Holz, welche innerhalb von acht Jahren Methan zu wirtschaftlich interessanten Bedingungen herstellt und
ins Erdgasnetz einspeist. Auch eine Verwendung als Treibstoff wird in der Schweiz überlegt.
40
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Atel ist mit Kraftanlagen München, einer Tochtergesellschaft der GAH, seit 2006 an vorderster Front am Aufbau der Müllverbrennungsanlage in Giubiasco beteiligt. Der Kanton Tessin
errichtet dort eine neue Anlage. Anstatt den Siedlungsmüll nur zu verbrennen soll er neu
zusätzlich thermisch und elektrisch verwertet werden. Kraftanlagen München ist verantwortlich für die Planung, Lieferung und Montage des gesamten Energieteils mit Dampfturbine,
Luftkondensationsanlage, Rohrleitungen und Komponenten des Wasser-Dampf-Kreislaufes
und des Kühlwassersystems. Die Effizienz der Anlage kann dadurch massiv gesteigert werden.
Die Atel Installationstechnik AG hat 2006 viel dazu beigetragen, dass Ende Jahr auch die
Zugspassagiere wesentlich schneller von Bern ins Wallis oder nach Italien gelangen können.
Im Vordergrund des „Innenausbaus“ des 34,6 km langen NEAT-Lötschbergtunnels standen
die Niederspannungsanlagen der Atel Gebäudetechnik und die Fahrleitungstechnik von
Kummler+Matter. Über 800 Tonnen Elektromaterial und hunderte Kilometer Kabel haben
unsere beiden Firmen im Eisenbahntunnel eingebaut. 1600 Elektro- und Steuerungsschränke wurden installiert, damit der öffentliche Verkehr an Wettbewerbsfähigkeit gewinnt.
Auch die zeitgerechte Umlagerung des Schwerverkehrs über weite Strecken auf die Schiene
ermöglicht substantielle Effizienzsteigerungen und trägt erst noch zur Reduktion des CO2und Feinstaub-Ausstosses bei. Leider ist die von einem von Atel angeführten Konsortium
gewonnene Ausschreibung zur Ausstattung des Neat-Gotthardtunnels wegen einer Einsprache zurzeit blockiert.
41
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
2006 wurde grünes Licht für Effizienzsteigerungen des Flusskraftwerkes Flumenthal gegeben. In diesem Fall werden 30 Millionen Schweizer Franken investiert, um mit der gleichen
Menge Wasser die Leistung um 6 Prozent zu erhöhen. Dieses Beispiel zeigt auf, dass es
zunehmend schwierig und teurer wird, die Effizienz der Kraftwerke zu steigern. Trotzdem
bleiben Wirkungsgradverbesserungen für Atel auch in Zukunft eine heraus-fordernde Daueraufgabe.
Verwaltungsrat und Geschäftsleitung sehen im Segment Energieservice aufgrund der zunehmenden Sensibilität für das Thema Energieeffizienz interessante Entwicklungsmöglichkeiten. Energieservice hat heute bereits eine sehr erfreuliche Auftragslage.
7.5
Energieeffizienz- und Verbrauchziele sind zwei verschiedene Paar
Schuhe
So sehr Atel Effizienzmassnahmen begrüsst, so wenig gilt es mögliche unerwünschte Auswirkungen zu verschweigen. Eine zunehmende Anzahl Ökonomen bezweifeln die Wirksamkeit von Effizienzsteigerungen zur Senkung des Energieverbrauches. So paradox es auf
den ersten Blick erscheinen mag: Erhöhte technische Effizienz könnte schlussendlich höheren anstatt niedrigeren Verbrauch verursachen. Wer zum Beispiel ein Auto mit 5 Liter Benzinverbrauch pro 100km anstatt ein Auto mit 10 Liter Benzinverbrauch fährt, spart nicht nur
Energie, sondern auch Geld. Hier aber fragt die Volkswirtschaftslehre: Wofür geben die Leute dieses ersparte Geld aus? Unter anderem für zusätzliche Flugreisen oder Auto-kilometer.
Die damit entstehende neue Nachfrage heisst in der Volkswirtschaftslehre «ReboundEffekt», dessen Ausmass, nicht aber dessen Existenz umstritten ist. Dieses Beispiel macht
vor allem aber deutlich, dass Effizienzziele und Verbrauchziele nicht dasselbe sind. Ver-
42
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
brauchsstabilisierungen im Strombereich lassen sich – wie die Studien des Bundes zu den
Energieperspektiven zeigen – nur mit einer Verdoppelung aller Energiepreise erreichen. Sie
setzen zudem eine weitgehende internationale Harmonisierung der Ziele und Instrumente
voraus, um die Abwanderung energieintensiver Unternehmen, Tanktourismus und Handelshemmnisse zu vermeiden. Mit den vom UVEK angekündigten Lenkungs-abgaben wird eine
isolierte Strategie der Schweiz postuliert und damit genau der gegen-teilige Weg beschritten.
Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen wären verheerend, wenn Länder, mit denen die
Schweiz im Austausch steht, nicht entsprechend aktiv würden. Und danach sieht es nicht
aus. Im Gegenteil, die EU geht wie gesagt in eine andere Richtung (Zertifikatehandel). Dieses System bietet Vorteile gegenüber Lenkungsabgaben, welche zwar Klarheit in Bezug auf
die Kosten, aber keine bestimmte Emissionsreduktion oder Effizienzsteigerung garantieren.
7.6
Stromverbrauchsstabilisierung kontraproduktiv
Besonders kontraproduktiv sind Verbrauchsstabilisierungsziele im Strombereich, weil Stromanteil und Strommenge bei hocheffizienter Gesamtenergieversorgung steigen werden
(Stichworte Wärmepumpen, öffentlicher Verkehr, Minergiehäuser, Strom als zentraler Angelpunkt der Energieeffizienz und als wichtigstes Transportmittel für Erneuerbare Energien).
Anhänger der Vision 2000 Watt-Gesellschaft schweizerischer Prägung müssen wissen, dass
eine 2000 Watt Gesellschaft nicht nur eine Verminderung des Energieverbrauchs von 5000
auf 2000 Watt, sondern auch eine Verminderung der CO2 Emissionen von 6 auf 1 Tonne pro
Kopf, das heisst um Faktor 6, bedeutet. Umgekehrt formuliert muss sich der Stromanteil in
der 2000 Watt-Philosophie gegenüber heute verdreifachen.
Die SBB rechnen bis 2025 aufgrund des sich ausweitenden Angebots (u.a. NEAT) und den
höheren Geschwindigkeiten mit einer Zunahme ihres Stromverbrauchs um 25%. Soll das
SBB-Angebot also erst erhöht werden, wenn in Industrie und Haushalten zusätzlich Strom
eingespart wird? Sollen Pendler vom 10-Liter auf ein 5-Liter Auto umsteigen anstatt den Zug
zu nehmen? Aus energetischer Sicht ist die Antwort ebenso klar wie aus Umweltsicht. Eine
Stromplafonierung beeinträchtigt die sinnvolle Substitution von fossilen Energien und läuft
dem Umweltschutz, der Ressourcenschonung und der Versorgungssicherheit entgegen
(Stichworte: Förderung des Agglomerationsverkehrs, NEAT, Wärmepumpen, etc.)
43
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
7.7
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Atel unterstützt die Forderung nach zusätzlicher Energie aus erneuerbaren Quellen
Im Wasserschloss Schweiz steht für die Atel-Gruppe die optimale Nutzung der Wasserkraft
klar im Vordergrund. Dazu gehört der Bau des Pumpspeicherwerkes Nant de Drance. SBB
und Atel wollen 700 Mio. Franken zur Produktion von flexibel abrufbarer Energie im Unterwallis investieren. Dazu Hansjörg Hess (Chef Infrastruktur SBB) im gezeigten Film: "Ohne
Nant de Drance droht der SBB ab 2015 ein Energieengpass. Wir planen in den nächsten
Jahren ein stetiges Verkehrswachstum und deswegen brauchen wir mehr Energie. Wir brauchen aber auch kurzfristig, wenn die Lokomotiven anfahren, auch mehr Leistung und deswegen ist Nant de Drance genau die richtige Lösung für uns."
44
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Atel hat über die Firma Atel EcoPower AG weit über 50 Projekte für die erneuerbare Energieproduktion, hauptsächlich im Bereich Kleinwasserkraftwerke. Ein Engagement das bei
Erfolg versprechenden Projekten ausbaubar ist. Ziel von Atel ist es, 20% der vom Parlament
bis 2030 geforderten zusätzlichen Elektrizität aus erneuerbaren Quellen produzieren zu können.
45
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
In Norwegen investiert die Aare-Tessin AG für Elektrizität in den nächsten sieben Jahren
rund 200 Mio. Franken in Kleinwasserkraftwerke. Die verschiedenen Anlagen sollen bis zum
Jahr 2015 zusammen jährlich rund 475 GWh Strom erzeugen.
In Italien wird Atel zusammen mit Partnern zwei grosse Windkraftwerkparks nächstens ans
Netz anschliessen können. 74 Wind-Turbinen werden insgesamt 222 GWh erzeugen. Das ist
rund 15-mal soviel, als heute in der Schweiz Windstrom produziert wird. Die Technologie ist
reif und das 49%-Engagement an den Anlagen ist auch wirtschaftlich sinnvoll. Daneben hat
Atel in Italien 2006 auch zwei Kleinwasserkraftwerke erworben. Ein weiterer Ausbau ist geplant.
46
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
In Deutschland erhielt die Atel-Tochter Kraftanlagen München letztes Jahr von den Stadtwerken Augsburg den Auftrag für die Planung und schlüsselfertige Errichtung eines Biomasse-Heizkraftwerkes. In der deutschen Stadt Jülich entsteht zurzeit ein einzigartiges Solarturmkraftwerk, wo die Atel-Gruppe ebenfalls an vorderster Front mit dabei ist und sich mit
dem Vorhaben als einer der führenden Technologieanbieter im Bereich solarthermischer
Kraftwerke positioniert. Im Bereich der Photovoltaik ist die Kraftanlagen München am Aufbau
einer Solarzellenfabrik beteiligt. 2006 hat sie zudem Lieferung und Montage einer Photovoltaikanlage in der Fachhochschule München erfolgreich abgeschlossen.
In Österreich konnten kürzlich zwei Biomasse-Heizkraftwerke erfolgreich den Kunden übergeben werden.
Zusammenfassend denke ich, dass Atel überzeugende Tatbeweise bei der Förderung erneuerbarer Energien geliefert hat und weiterhin liefern wird.
7.8
Strom wird immer wichtiger
Strom als veredelte Energie, als Angelpunkt der Energieeffizienz und wichtigstes Transportmittel für Erneuerbare Energien ist ein zunehmend wertvolles Gut. Zweifellos gibt es noch
viele Möglichkeiten, Elektrizität auf noch bessere Art bereitzustellen und zu nutzen. So macht
vor allem der Einsatz von Strom im Niedrigtemperaturbereich wenig Sinn. Atel wird im Rahmen ihrer Aufgaben ihre Fachkompetenz und ihre Dienstleistungen einsetzen, damit die Potentiale möglichst gut genutzt werden.
47
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Die aus meiner Sicht entscheidende Frage der SES Veranstaltung ist jedoch, ob Effizienz
und erneuerbare Energien das Potential haben, zusammen die Elektrizitätsversorgung der
Schweiz in den nächsten Jahrzehnten sicherzustellen. Nein sagen sämtliche Szenarien der
Energieperspektiven des Bundes, und der Strombranche. Auch die von der SES bei Ellipson
in Auftrag gegebene Studie hält in den Schlussfolgerungen vom April 2006 fest: "Trotz Effizienzstrategie wird der Stromverbrauch im Jahr 2035 über der im Inland verfügbaren Produktionskapazität liegen."
Der Bundesrat hat am 21.2.07 die neue Energiestrategie Schweiz präsentiert. Neben der
Förderung der Energieeffizienz und der Erneuerbaren Energien und im Wissen, dass ab
2020 die Kernkraftwerke Mühleberg, Beznau 1 und Beznau 2 vom Netz gehen werden, stellt
er fest: "Der Ersatz oder Neubau von Kernkraftwerken ist notwendig." Atel versteht diesen
Entscheid als Auftrag. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, bis Ende Jahr ein Studienkonsortium
zusammenzustellen, welches die Machbarkeit des Ersatzes der alten Kernkraftwerke sorgfältig prüft.
48
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
8
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Rudolf Baumann: Die Rolle des Übertragungsnetzes im liberalisierten Strommarkt
Rudolf Baumann
Swissgrid, Bereichsleiter Netzbetrieb
Swissgrid AG
Werkstrasse 12
CH-5080 Laufenburg
[email protected]
8.1
Einleitung
Ich bei der Swissgrid und bin mit meinem Team für die Versorgungssicherheit der Schweiz
verantwortlich. Ich möchte Ihnen darlegen, wie der Strom zum Kunden, zum Endverbraucher
kommt, und was alles dahinter steckt. Und ich kann Ihnen sagen, es ist im Moment eine
ganz spannende Zeit im Hinblick auf das neue Stromversorgungsgesetz, das der Bundesrat
auf den 1. Januar 2008 in Kraft setzen wird. Die 100 Jahre alte Strombranche wird neu strukturiert, die Aufgaben werden neu zugeteilt, und Sie können sich vorstellen, dass da einiges
Interessantes abläuft.
Zum Einstieg möchte ich Ihnen Folgendes in Erinnerung rufen: Wenn Sie im weltweiten Web
nach den grössten Erfolgen suchen, die wir im letzten Jahrhundert weltweit erreicht haben,
so finden Sie von einer anerkannten Universität das folgende Bild: Da wird an erster Stelle
gesagt, dass im letzten Jahrhundert die Elektrifizierung weltweit eigentlich das wichtigste
grosse Ereignis resp. die wichtigste Errungenschaft ist, welche die Menschheit erreicht hat.
Wenn Sie sich die anderen Faktoren anschauen, so werden Sie sehen, dass ohne die Elektrifizierung verschiedene andere, auch wichtige Meilensteine gar nicht möglich gewesen wären. Es liegt also eine ganz besondere Bedeutung hinter der Elektrifizierung, die uns ermöglicht, heute so vieles zu erreichen. Stellen Sie sich vor, es gäbe keinen Strom, kein Licht,
keine Wärme, wir könnten nicht Lift fahren, wir könnten nicht an der Kasse bezahlen, wir
könnten nicht arbeiten, es gäbe keinen Kühlschrank usw. Wenn Sie sich einfach einmal hinsetzen und schauen, was alles benötigt wird, oder was alles vom Strom abhängig ist, so
kommt diesem wirklich eine ganz grosse Bedeutung zu.
49
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Ich möchte diesbezüglich kurz auf folgende Themen eingehen: Auf das Produkt Strom, die
Stromliberalisierung, die jetzt mit dem StromVG auch in der Schweiz Tatsache ist, den Europäischen Verbund, die Swissgrid, die Nationale Netzgesellschaft und ihre Aufgaben, die Versorgungssicherheit, die dafür benötigten Prozesse und die Wertschöpfungskette Strom.
8.2
Produkt Strom
Strom kann man nicht speichern. Wir haben vorhin dazu ein Beispiel gesehen. Man kann
Strom speicherbar machen mit zwei Stauseen, wo ich den einen wieder durch Pumpen als
Batterie brauchen kann, aber das Produkt Strom selber kann man nicht speichern, ausser in
Batterien. In Alaska, wo man häufig Stromausfälle hat, hat man zur Versorgungssicherheit
eine riesige Batterieanlage für 20 Megawatt gebaut, ein Gebäude von der Grösse eines
Fussballfeldes mit Batterien, damit man diese häufigen Stromunterbrechungen ausgleichen
kann. Es braucht also Riesenanlagen, um eine kleine Wirkung zu erzielen.
Eigenheiten der Ware Strom
Strom kann man
nicht «speichern»
Strom geht den Weg des
geringsten Widerstandes
Ohm
24 Stunden
Verfügbarkeit
Kirchhoff
Produktion und Verbrauch immer im Gleichgewicht im ganzen System
Frequenz steigt
Konsument
Produzent
Frequenz sinkt
Konsument
Produzent
Abbildung 1: Physikalische Gesetze des Stroms
Es gibt physikalische Gesetze, die von Herrn Ohm und Herrn Kirchhoff definiert wurden. Diese Gesetze waren früher gültig, sie sind heute noch gültig, und sie sind auch im Strommarkt
gültig. Dies müssen wir uns in Erinnerung rufen. Wir haben sicher die berechtigte Forderung,
dass wir 24 Stunden das Produkt Strom aus der Steckdose erwarten. Ich glaube, dass hier
niemand bereit ist, darauf zu verzichten. Wenn es also eine Unterbrechung, eine kurzfristige
Stromlücke gibt, dann merkt das jeder. Wir sind vom Strom abhängig. Darüber haben wir im
50
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Europäischen Verbund diskutiert. Wenn das ganze europäische Stromsystem zusammenbricht, wird es Tage dauern, bis wieder der Hinterste und Letzte Strom hat. Auch schweizweit
brauchen wir nicht Momente, sondern wir brauchen Stunden, bis das ganze Netz vom Zustand Null wieder oben ist.
Die letzte Eigenheit: Das ganze System – wenn ich sage "System", meine ich Kraftwerke,
Netze, Endverbraucher – muss immer im absoluten Gleichgewicht sein. In dem Moment, wo
ich irgendwo einen Schalter betätige und Licht anschalte, muss irgendwo ein Kraftwerk ein
bisschen mehr produzieren oder umgekehrt. Das ganze System ist in ein komplexes Regelsystem eingebunden, und die Netzfrequenz ist das Mass zur Regelung. Die Netzfrequenz
beträgt in Europa 50 Hertz, in Amerika 60 Hertz. Wenn die Konsumenten weniger verbrauchen als wir planen, d.h. wenn sie weniger Energie vom Netz nehmen, dann steigt die Frequenz. Dieses Ansteigen der Frequenz ist in einem Regelsystem auf die Kraftwerke geschaltet, so dass diese ein bisschen zurückschalten. Wenn die Konsumenten plötzlich mehr verbrauchen – nehmen Sie z.B. einen Riesensportanlass wie die Fussball-weltmeisterschaft
oder ein Spiel dauert länger als geplant –, dann wird plötzlich länger mehr Strom gebraucht.
Das Regelsystem regelt das aus, indem die Frequenz zu sinken beginnt und die dem Regelsystem angeschlossenen Kraftwerke die Leistung zu erhöhen beginnen. So halten wir das
gesamte System im Gleichgewicht und garantieren, dass immer Strom zur Verfügung steht.
Der Strom wird also im Kraftwerk produziert und über das Übertragungsnetz weiträumig
übertragen, an die Verteilnetze abgegeben und dann den Endverbrauchern zur Verfügung
gestellt. Grosse Verbraucher – wir haben keine solche in der Schweiz – hängen direkt am
Übertragungsnetz, um dort genügend Leistung zu beziehen. Das ist jetzt die technische
Sicht, die Systemsicht.
8.3
Strommarkt
Jetzt kommt der Strommarkt, der rundherum in Europa schon Tatsache ist. Da sind die
Händler, die grosse Geschäfte mit Erzeugern und Abnehmern tätigen, damit die Lieferanten
mit Energie versorgt sind, die sie dann an die Endverbraucher abgeben oder die Börsenplätze, wo die Produzenten Angebote machen, und diejenigen, die Energie brauchen, dort Angebote zum Kaufen machen. Sie sehen, wir haben über dem technischen System, das gestern, heute und morgen gleich funktioniert, zusätzlich jetzt das Marktsystem. Hier das Europäische Verbundnetz, das die insgesamt 450 Millionen Einwohner mit Strom versorgt, die
Schweiz mittendrin als Teil dieses Netzes. Dieses Netz ist im Laufe der Jahre entstanden. In
den 1950er Jahren wurden die ersten Länder zusammengeschaltet, in der Schweiz war es
im Jahr 1958, als man in Laufenburg Deutschland, Frankreich und die Schweiz zusammengeschaltet hat, da man gesehen hat, dass das Sinn macht – in der Schweiz Wasserkraft, in
Deutschland Kohlekraftwerke. Die Kraftwerke müssen irgendwann überholt, revidiert werden.
Was machen Sie in dieser Zeit? Entweder den Strom abstellen oder versuchen, in dieser
Zeit von irgendwo anders den Strom zu besorgen. Das war der Hauptgrund, dass man gesagt hat, wir müssen zusammenarbeiten, wir müssen uns austauschen und helfen, damit wir
jederzeit Strom haben.
51
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Hohe Lastflussänderungen durch die Schweiz /
Vergleich UCTE - CH
CH
max. Import = 4470
MW
max. Export = 4770
MW
physikalischer
Lastfluss 2006
UCTE
Höchstlast 389’858 MW
Inst. ProduktionsKapazität 606’653 MW
Verbrauch 2’496.1 TWh
Produktion 2’539.7 TWh
Physikalischer
Energiefluss
638.7 TWh
Inst. Grenzkap.
139’402 MVA
4170
MW
max.
CH (Anteil CH an UCTE)
Höchstlast 9’724 MW (2.5%)
4290
MW
max.
2770
MW
max.
1730
MW
max.
Last
4’000 – 10’000 MW
2560 MW max.
Inst. ProduktionsKapazität 17’435 MW (2.9%)
Verbrauch 63.0 TWh (2.5%)
Produktion 57.9 TWh (2.3%)
Physikalischer
Energiefluss
67.1 TWh (10.5%)
Inst. Grenzkap.
29’709 MVA
(21.3%)
Produktion 4’000 – 12’000 MW
1450 MW max.
4660 MW
max.
1930
MW
max.
Abbildung 2:
Datenquelle UCTE, Stand 2005
Die Zahlen der Schweiz
Unsere Last in der Schweiz (Abbildung 2) schwankt zwischen 4'000 Megawatt im Sommer
und 10'000 Megawatt im Winter. Hier sehen Sie die Produktion, die wir in der Schweiz zur
Verfügung haben, und den Austausch, der maximal realisiert wurde. Und hier die Zahlen der
UCTE, also vom gesamten europäischen Netz und der Anteil in der Schweiz. Wir haben über
unsere Grenze einen sehr hohen Anteil vom gesamten Fluss in Europa, nämlich 10%, weil
wir natürlich im Zentrum stehen.
8.4
Die Swissgrid
Wie kam es zur Schweizer Übertragungsnetzgesellschaft Swissgrid? Am Anfang gab es in
der Schweiz die sieben Verbundunternehmen Atel, CKW, ewz, NOK, BKW, EOS und EGL.
Diese sieben Verbundunternehmen haben in der Schweiz das Übertragungsnetz betrieben.
Dann wurde auf den 1. Januar 2000 die ETRANS gegründet, weil man gesehen hat, dass in
Europa die Stromliberalisierung kommt, die bestimmte Voraussetzungen bedingt. Es braucht
einen nationalen Koordinator, den man in der Form der ETRANS geschaffen hat. Zwei Ereignisse haben dann eigentlich das weitere Vorgehen geprägt. Am 22. September 2002 hat
das Schweizer Volk Nein gesagt zur ersten Stromliberalisierung unter dem Gesetzesvorschlag EMG (Elektrizitätsmarktgesetz). Das hat das Ganze gebremst. Am 28. September
2002 brachte der Blackout in Italien, die ETRANS in die Schlagzeilen. So wurde das Ganze
wieder forciert, weil man gesagt hat, dass wir einen stärkeren Koordinator in der Schweiz
52
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
brauchen und hier verstärkt alle Möglichkeiten zusammen nehmen müssen, damit das von
einer Stelle aus überwacht und gesteuert werden kann.
Am 15. Dezember 2006 haben die sieben Unternehmen die Swissgrid gegründet, operativ
gesetzt und ihr die Verantwortung für den Netzbetrieb Schweiz übergeben. In Europa war
dies eine neues Phänomen, nämlich dass nicht aufgrund eines Gesetzes ein Netzbetreiber
gebildet wurde, sondern dass man von Seiten der Energiewirtschaft gesagt hat, wir brauchen
und wollen das. Das haben die sieben Unternehmen gemacht. Es kam dann noch Rätia
Energie dazu.
8.5
Die Zukunft
Am 1. Januar 2008 tritt das Stromversorgungsgesetz in Kraft. Die Swissgrid basiert auch auf
einer gesetzlichen Grundlage. Etwa am 1. Oktober 2008 läuft die Übergangsfrist ab. Bis zu
diesem Zeitpunkt müssen alle technischen Systeme bereitgestellt sein, damit dieser Markt
funktioniert. Am 1. Januar 2013 kommt dann auch das Netzeigentum von den heutigen Eigentümern zur Nationalen Netzgesellschaft. Dann ist Betrieb und Eigentum des gesamten
Netzes in einer Gesellschaft angesiedelt und kann so optimiert werden. Sie sehen also einen
klaren Weg, wo die ehemaligen Übertragungsnetzgesellschaften weniger Verantwortung
tragen und umgekehrt der nationale Netzbetreiber immer mehr Verantwortung übernimmt.
Die ursprünglichen Gesellschaften sind noch Aktionäre dieser Netzgesellschaft.
Was bedeutet das? Wir haben in der Schweiz 900 Elektrizitätsgesellschaften. Wir haben also
etwa gleich viele Elektrizitätsgesellschaften wie z.B. Deutschland. Da es sich hier nicht mehr
um ein geschlossenes System handelt wie früher, gibt es so genannte "Bilanzgruppenverantwortliche", die in erster Linie natürlich auch aus den heutigen grossen Energieversorgungsunternehmen bestehen werden, dann aber auch aus neuen. Diese Bilanzgruppenverantwortlichen haben oder suchen Endverbraucher, denen sie ihr Angebot für
Strom unterbreiten. Sie haben auch Kraftwerke, von denen sie ihre Energie beziehen, und
versorgen gewisse Endverbraucher. Geliefert wird die Energie nach wie vor durch die Netzbetreiber, d.h. der Endkunde, der ja den Strombezug bezahlen muss, bekommt dann eine
Rechnung für die Benützung des Netzes sowie eine für den Strom. Das ist die neue Welt.
Swissgrid schaut, dass dieser Markt funktioniert. Sie wickelt das ab und schaut, dass nach
wie vor Produktion und Verbrauch im Einklang sind. Wir brauchen also neue Strukturen.
Gestern versorgte ein Energieversorgungsunternehmen, das Kraftwerke, Leitungen und Netze besitzt seine Verbraucher und lieferte Energie, fest zugeordnet und nicht änderbar. Dort,
wo ich meinen Standort hatte, dort war klar definiert, wer mir meinen Strom liefert. Neu gibt
es einen so genannten regulierten Teil, das Übertragungsnetz und die Verteilnetze, die eine
reine Transportaufgabe erfüllen. Zudem hat der Übertragungsnetzbetreiber natürlich noch
die Systemverantwortung, damit das ganze Stromsystem auch funktioniert. Da draussen
haben wir den Markt, wo es dem Kunden frei steht, seinen Strom von irgendwoher zu beziehen und wo die Produzenten ihr Produkt anbieten können. Es wird Börsen geben – es gibt
sie schon in Europa –, wo Angebot und Nachfrage abgehandelt werden.
53
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
8.6
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Der Regulator
Nebst dem Gesetzgeber gibt es die Branchenverbände, die es auch in der alten Welt
brauchte. Neu hinzu kommt der Regulator, der seine Arbeit bereits aufgenommen hat und
definiert ist. Er wird per 1. Januar 2008 als Aufsichtsbehörde operativ, damit dieses Gebilde
funktioniert. Er hat Aufsichtpflicht, um zu schauen, dass nebst dem regulierten Bereich jedem
die gleichen Bedingungen erlaubt werden und dass das Ganze funktionieren wird.
8.7
Das Stromversorgungsgesetz und die Nationale Netzgesellschaft
Das StromVG und die Nationale Netzgesellschaft
StromV
G
§
The quick brown fox jumps over the lazy dog. The quick brown fox jumps over the lazy dog. The quick
brown fox jumps over the lazy dog. The quick brown fox jumps over the lazy dog.
•The quick brown fox jumps over the lazy dog. The quick brown fox jumps over the lazy dog. The quick
brown fox jumps over the lazy dog. The quick brown fox jumps over the lazy dog.
•The quick brown fox jumps over the lazy dog.
The quick brown fox jumps over the lazy dog. The quick
brown fox jumps over the lazy dog. The quick brown fox jumps over the lazy dog.
Versorgungssicherheit
Strom-Marktplatz
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Netzbetriebsplanung
Netzführung
Engpassmanagement
Netzregelung
Netzausbau
Qualität Produkt Strom
..
Abbildung 3:
Bilanzgruppensystem
Kapazitätsallokationen
Auktionierungen
Netznutzung
Ausschreibungen
..
Das StromVG und die Nationale Netzgesellschaft
In erster Linie sind ganz klare Punkte definiert, damit die Versorgungssicherheit gewährt ist.
Es wird verlangt, dass Swissgrid dafür schaut, dass die Betriebsplanung gemacht wird und
die Netzführung erfolgt. Auf das Engpassmanagement komme ich noch zurück. Dass die
Netzregelung erfolgt, dass auch der Netzausbau entsprechend gemacht wird. Die Qualität
des Produktes Strom muss eingehalten werden. Das heisst also, dass die Frequenz, die
Spannung stimmen muss, da sonst die Geräte kaputt gehen, die Sie zu Hause an den
Steckdosen angeschlossen haben. Das darf nicht sein. Es geht also darum, dass wir die
Qualität ganz genau einhalten und sicherstellen.
54
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Auf der andern Seite sehen Sie den Strommarktplatz: Hier wird das Bilanzgruppensystem
aufgebaut, es gibt Engpässe, und Kapazitäten werden vergeben. Auktionierungen werden
durchgeführt. Die Netznutzung wird definiert. Ausschreibungen für Systemdienstleistungen,
die der Netzbetreiber benötigt, erfolgen. Das elektrische Netz ist ein Kupfernetz, das ohmschen Widerstand hat. Es gibt Verluste, die beschafft werden müssen, weil sie ja auch jemand übernehmen muss. Ein kleines Beispiel: Der Netzbetreiber sorgt dafür, dass die Verluste ausgeglichen werden.
Wir können generell sagen, dass die Versorgungssicherheit auf zwei Säulen ruht. Die eine
Säule ist ganz klar die Produktion, Verfügbarkeit. Die zweite ist das Netz. D.h. der Netzbetreiber, der für das System verantwortlich ist, ist auch für die Netzregelung verantwortlich. Er
muss also Kenntnis darüber haben, welche Produktion verfügbar ist, wo Unterhalt gemacht
werden muss, welche Typen von Kraftwerken zur Verfügung stehen, denn er muss eventuell
kurzfristig mehr oder weniger Leistung beziehen können, da er dafür verantwortlich ist, dass
das System im Gleichgewicht bleibt. Das ist ganz klar nur möglich mit Instrumenten. Damit
meine ich hochkomplexe Computersysteme, die jeden Moment das ganze elektrische Netz
berechnen und schauen, dass das Regelsystem funktioniert. Wenn dann irgendetwas passiert und jederzeit, zu jedem Moment eine grosse Leitung, ein grosses Kraftwerk ausfallen
kann, muss gewährleistet sein, dass trotzdem das gesamte System funktioniert und sicher
ist. Das ist die grosse Herausforderung.
8.8
Engpässe
Man hört sehr viel von Engpässen. Warum gibt es sie? Hier also die Strompreisdifferenzen in
Europa am 17. Januar 2007. Da sehen Sie die Preise in Europa. Es ist doch logisch, dass
jeder dorthin Strom verkaufen will, wo dieser teuer ist. Dadurch entstehen andere Stromflüsse, die beherrschbar sein müssen. Wenn plötzlich im Norden noch Wind dazu kommt und 20
Gigawatt Windenergie plötzlich zur Verfügung steht, so wird er eingekauft und verkauft. Das
gibt Stromflüsse in Europa, die dann plötzlich auftreten. Man versucht sie zu prognostizieren,
aber Sie wissen ja, wie es mit dem Wetter ist. Manchmal kommt es, und manchmal kommt
es doch nicht. Und manchmal kommt es zu heftig, und dann müssen die Windkraftwerke aus
Sicherheitsgründen wieder abgestellt werden. All das muss der Netzbetreiber beherrschen
können. Nicht nur der Energieteil bereitet Probleme, sondern solche grossen Energieflüsse
haben auch Einfluss auf die Spannung. Wir müssen die Spannung konstant halten. Das bedingt wieder andere Kraftwerke. Stellen Sie sich ein Flugzeug vor, das fliegt und daher Energie braucht. Aber es muss auch die Höhe einhalten. Wirkenergie zum Fliegen, Blindenergie,
um die Höhe einzuhalten. Wenn wir die falsche Höhe haben, haben wir Probleme. Also wenn
wir eine falsche Spannung haben, gibt es Probleme. Die richtige Spannung können wir nur
wieder mit entsprechenden Kraftwerken erreichen, die uns erlauben, auch die Spannungskonstanz zu halten. Das bedingt gewisse Kraftwerke, die diese Eigenschaften besitzen.
Es gibt immer mehr Engpässe in Europa, weil der Netzausbau in ganz Europa dem Kraftwerkausbau hinterherhinkt. Um neue Leitungen zu bauen braucht es viel mehr Bewilligungen, viel mehr Genehmigungsverfahren als für den Bau von neuen Kraftwerken. Wir redeten
über die lange Zeit die für Kraftwerksbauten notwendig ist, für Leitungen können Sie diese
55
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Zeit verdoppeln oder sogar verdreifachen. Auch der Stromverbrauch nimmt zu – das sehen
wir als Netzbetreiber. Kraftwerke werden optimiert, das ist legitim. Es gibt also höhere Transitflüsse auch innerhalb der Schweiz, das Netz bleibt jedoch praktisch immer konstant.
8.9
Handel
Auktionsergebnisse DEàCH und ATàCH 2006
Monatsauktion DE-CH: nur Baseprodukt;
Tagesauktionen: Durchschnittswerte (arithmetisch)
Abbildung 3: Auktionsergebnisse
Hier sehen Sie Auktionsergebnisse. Wenn es an den Grenzen keine Probleme gibt, sind die
Preise tief. Wenn es Engpässe gibt, steigen die Preise. Das ist ganz logisch, da jeder Kapazität erhalten möchte. Heute schon sind in der Schweiz verschiedene solche Bilanz-gruppen,
die auf dem Übertragungsnetz aktiv sind, aktiv. Sie sehen also, wir haben schon 45 Bilanzgruppen aus den verschiedensten Ländern, die in der Schweiz aktiv sind und sich auch auf
die Marktliberalisierung in der Schweiz vorbereiten.
Der Prozess auf dem Netz bedingt ganz klare Prozesse beim Netzbetrieb und beim Handel.
Das ist ein Wechselspiel von Information, die jährlich, monatlich, täglich abgestimmt werden
muss, damit es am heutigen Tag funktioniert. Gestern wurde der ganze Tag lang geplant für
heute, und morgen wird heute abgerechnet.
Eine Zusatzaufgabe, die bei Swissgrid angesiedelt ist, ist die Abwicklung Erneuerbarer
Energien. Die Mehrkostenfinanzierung läuft über die Nationale Netzgesellschaft ab, das
Ausstellen von Herkunftsnachweisen und auch die Umsetzung der gesetzlichen Auflagen zur
56
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Abwicklung der erneuerbaren Energien ist im Moment bei Swissgrid angesiedelt, zusätzliche
Aufgaben, die wir neu dazu bekommen haben. Es braucht also das gesamte Zusammenspiel
aller und zwar zu jederzeit, zu jeder Stunde, damit das Ganze funktioniert, damit eben hoffentlich die Lichter auf der ganzen Welt immer brennen. Besten Dank.
57
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
9
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Werner Zittel: Die künftige Erdgasversorgung von Europa
Dr. Werner Zittel
Energieexperte
Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH
Daimlerstr. 15
D-85540 Ottobrunn
[email protected]
9.1
Einleitung
In diesem Herbst stieg der Erdölpreis erstmals über 80 $ pro Faß. Gemäß der Förderstatistiken der Internationalen Energieagentur ist die weltweite Förderung von Erdöl und Kondensaten seit Mitte 2006 nicht mehr gestiegen. Einiges deutet darauf hin, dass sich die Welt am
Erdölfördermaximum befindet und in Zukunft die Förderrate zurückgehen wird.
Aber auch die anderen konventionellen Energieträger erleben einen vorher nie gesehenen
Preisanstieg: Der Preis für eine Tonne Importkohle hat erstmals die 100 $ Marke übersprungen, Uran hat sich auf dem Spotmarkt gegenüber dem langjährigen Durchschnittspreis
von unter 20 $ pro Pfund auf über 80 $ erhöht, zeitweise war der Preis auf über 130 $ gestiegen. Aber auch Erdgas hat sich deutlich verteuert – in den USA um den Faktor 4-5 gegenüber dem langjährigen Durchschnitt, in Europa etwa um den Faktor 2-3.
Wer aufmerksam die Statistiken analysiert und die aktuellen Meldungen liest, kommt nicht
umhin, eine weltweite Verknappung an kostengünstiger Energie zu diagnostizieren. In diesem Beitrag soll die Situation beim Erdgas näher betrachtet werden, dem eine besondere
Bedeutung zukommt, da es einerseits aus Klimaschutzgründen die geringsten Emissionen
verglichen mit anderen fossilen Energieträgern aufweist, andererseits aber oft als adäquates
Substitut für sich verknappendes Erdöl angesehen wird.
58
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
9.1.1
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Top Down Analyse
Ebenso wie bei Erdöl kann man die Erdgasversorgungssituation anhand der einschlägigen
Statistiken analysieren. Dabei ist das grundsätzliche Muster der Erkundung und Erschließung von Erdgaslagerstätten dem Erdöl sehr ähnlich. Auch hier wurden die großen Gasfelder bereits sehr früh gefunden, auch hier lassen die alten Gasfelder in der Ergiebigkeit nach.
Die Erschließung neuer Gasfelder jenseits der traditionellen Fördergebiete im tiefen offshore
Bereich oder in polaren Regionen muss auch hier als industrielles Eingeständnis gewertet
werden, dass die günstig erschließbaren Felder gefunden sind. Neue Felder werden möglichst schnell ans Fördermaximum geführt und oft geht die Förderrate bereits im zweiten
Produktionsjahr zurück.
Abbildung 1 zeigt die Summenkurve der bisherigen Erdgasfunde (gelbe Fläche) zusammen
mit der kumulierten Gasförderung (dunkle, rote Fläche). Bis heute wurden etwa 270.000 Milliarden m³ Erdgas gefunden, wovon fast 90.000 Milliarden m³ bereits verbraucht wurden.
Wieviel Erdgas gibt es weltweit? Entwicklung von Gasfunden und -verbrauch
1000 Mrd m³
350
Projektion: LBST mit log. Kurve
300
250
GasReserve
200
Förderprognose
(Wachstumsrate
im Jahr 2010: 1,9 %)
Insgesamt
verfügbares
Erdgas
150
Kumulierte
Funde
100
50
1920
1940
1960
Kumulierter
Verbrauch
Kumulierte
1980Förderung
2000
„Depletion mid point“
ca. im Jahr 2025-2030
2020
2040
2060
2080
Jahr
Datenquelle: Historische Förderung IHS-Energy 2006
Reserven IHS Energy 2006
Abbildung 1: Summenkurve der weltweiten Gasfunde und der Förderung (kum. Verbrauch)
sowie Extrapolation der bestehenden Trends bis zum Jahr 2080
Die Extrapolation der Historie des Findens lässt darauf schließen, dass in den kommenden
Jahrzehnten noch etwa 50.000 Milliarden m³ gefunden werden. Damit lässt sich die Förderkurve mit der momentanen Wachstumsrate von 3% extrapolieren. Die bekannten und vermutlich noch zu findenden Reserven lassen den Höhepunkt der weltweiten Gasförderung um
das Jahr 2025 erwarten.
59
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Eine Analyse auf dieser Ebene ist jedoch für Erdgas nicht angemessen. Im Unterschied zu
allen anderen fossilen und nuklearen Energieträgern ist Erdgas flüchtig. Daher hat sich kein
einheitlicher Weltmarkt ausgebildet, sondern sind regionale Markte entstanden, die durch ein
entsprechendes Leitungsnetz Produzenten und Abnehmer miteinander verbinden. Darüber
hinaus kann ein überregionaler Gasaustausch nur über verflüssigtes Erdgas erfolgen. Hierfür
ist jedoch eine aufwändige Infrastruktur erforderlich (Verflüssigungsanlagen, Häfen, Schiffe,
Vergasungsanlagen), die hohe Investitionssummen und lange Vorlaufzeiten erfordert. Heute
werden etwa 7 Prozent des Erdgases verflüssigt. Weltweit wurden 2006 etwa 2865 Milliarden m³ Erdgas gehandelt. Die beiden größten Teilmärkte sind Nordamerika (750 Mrd. m³)
und Europa zusammen mit dem russisch-zentralasiatischen Raum (1070 Mrd. m³). Mehr als
60% des Gesamtvolumens werden hier gefördert und verbraucht. Daher ist es sinnvoll, diese
Räume eingehender zu betrachten.
9.2
Der nordamerikanische Gasmarkt
Abbildung 2 zeigt die Gasförderung in den drei Staaten Nordamerikas, USA, Kanada und
Mexiko. Bemerkenswert ist, dass in der Regel wesentlich mehr Erdgas gefördert wird, als in
den Verbrauchsstatistiken erscheint. Dieser Unterschied ist darauf zurückzuführen, dass ein
Teil des Erdgases zum Betrieb der Förder- und Transportanlagen benötigt wird, aber auch 12 Prozent verloren gehen (das ist der Unterschied zwischen „dry gas production“ und „marketed gas production“ in der Abbildung). Ein weit größerer Anteil wird jedoch in Ölfelder gepresst, um dort den Lagerstättendruck zu erhöhen und eine schnellere Ausbeutung des Ölfeldes zu sichern. In den USA wird ein zunehmender Anteil des Erdgases hierfür verwendet.
Betrug dieser Anteil in den 1970er Jahren etwa 5 Prozent, so ist er in den vergangenen Jahren auf fast 20 Prozent angestiegen (in der Abbildung der Unterschied zwischen „marketed
production“ und der Bruttoförderung, die durch die gelbe Fläche gekennzeichnet ist). Dieser
Unterschied von Brutto- und Nettogasförderung ist deshalb wichtig, da die Förderrate (z.B. in
BP Statistical Review of World Energy) oft als Nettorate angegeben wird. Will man abschätzen, wie viel Gas aus dem Feld entnommen werden kann, dann muß man das natürlich auf
die Bruttoförderrate beziehen. Wie angesprochen, kann sich hierdurch eine Diskrepanz bis
zu 20% ergeben.
Im Jahr 2001 wurde in den USA das Erdgasfördermaximum erreicht. Seit dieser Zeit fällt die
Förderung. Die Erschließung von Kohlegas erfolgte seit etwa 15 Jahren, der Beitrag liegt
jedoch nur bei etwa 5 Prozent. Aber auch Kanada hat das Erdgasfördermaximum bereits
überschritten. Die dortige Gasvermarktung steht auch in Konkurrenz zur weiteren Erschließung der Ölsande, da dort zunehmend Erdgas benötigt wird. Der Beitrag Mexikos ist zu unbedeutend, als dass hierdurch die Situation stark beeinflusst würde. Unterstellt man eine
„Decline“-Rate von 2 % p. a., so ergibt sich das in der Grafik gezeigte Förderprofil bis zum
Jahr 2030. Soll dieses Defizit durch Flüssiggasimporte ausgeglichen werden, so müssten
etwa 300 Mrd. m³/Jahr bis 2030 zusätzlich importiert werden. Das entspricht einer Steigerung des weltweiten Flüssiggashandels um 50%. Soll die Gasverfügbarkeit in Nordamerika
gegenüber heute steigen, so müsste erheblich mehr Erdgas importiert werden. Parallel dazu
wird bis 2030 die Erdölverfügbarkeit in Nordamerika deutlich zurückgehen, so dass ein gro-
60
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
ßer zusätzlicher Substitutionsbedarf entstehen wird, vorausgesetzt, dass die zu erwartende
Ölverknappung zu keiner größeren wirtschaftlichen Verwerfung führt.
Die Gasförderung in OECD Nord Amerika
Mrd m³/Jahr
1000
900
800
700
600
500
400
300
200
100
0
Mexiko
Prognose
Notwendige
LNG-Importe
~300 Mrd m³/a
Kanada
USA
CBM Kanada
CBM
„marketed production“
„dry gas production“
USA
35
Datenquelle:
Prognose
Vergangenheit
45
55
65
75
85
95
5
15
CBM
= Coal bed
methane (Grubengas)
25
US-EIA
CDA – BP Statistical Review
Mexico – BP Statistical Review
LBST – Decline Rate von 2% p.a.
Abbildung 2: Die Erdgasförderung in Nordamerika
9.3
Die europäische Gasversorgung
Die europäische Gasversorgung soll an den beiden wichtigsten Förderländern Großbritannien und Norwegen erläutert werden. Doch zunächst zur Historie: Die Erschließung der europäischen Erdgasreserven begann im Jahr 1959 mit dem Fund des größten Gasfeldes bei
Groningen in den Niederlanden. Sehr schnell wurde dieses Gas erschlossen. Bereits 1975
überschritt das Feld das Fördermaximum. Die niederländische Regierung sah sich gezwungen, mit der sog. „small field policy“ Anreize zur Erschließung der vielen kleinen Felder auf
dem Festland und in der Nordsee zu geben. Heute ist der Lagerstättendruck im Feld bei
Groningen von anfangs über 350 bar auf unter 140 bar abgefallen, das Feld wurde mit vielen
Injektionsbohrungen und Kompressoren zum größten europäischen Erdgasspeicher umgebaut. Zunehmend kommt dem Feld die Rolle der Pufferung des europäischen Erdgasbezugs
zu, die eigentliche Förderung aus dem Feld ist in den Hintergrund getreten. Ab etwa 2010
werden die Niederlande kaum mehr eigenes Gas in andere europäische Staaten exportieren,
sondern zunehmend darauf bedacht sein, die eigene Gasversorgung möglichst reibungslos
sicherzustellen.
61
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Etwa eineinhalb Jahrzehnte später begann Großbritannien parallel zur Erdölförderung auch
mit der Erschließung seiner Erdgasreserven. Abbildung 3 zeigt die Struktur der Förderung
anhand der zusammengefassten Förderprofile aller in jeweils einem Jahr angeschlossenen
Felder. Wurden in der Anfangsphase nur etwa 2-5 Felder jährlich angeschlossen, so waren
es zur Zeit des Fördermaximums um 2000 zwischen 10-15 neue Felder. Dennoch ist der
Beitrag dieser neuen Felder wesentlich kleiner als der der großen alten Felder. Zudem bewirkt die Aufsummation, dass in immer kürzerer Zeit neue Felder angeschlossen werden
müssen. Seit dem Jahr 2000 kann mangels neuer Gasfelder der Förderrückgang der alten
Felder nicht mehr ausgeglichen werden, so dass sich die gesamte Region seitdem im Förderrückgang befindet. Durch Extrapolation der bestehenden Trends kann man mit einiger
Verlässlichkeit auf das künftige Förderprofil schließen, dass durch noch zu erwartende kleinere Funde etwas abgemildert wird, wie durch die Kurvenschar angedeutet ist. Das wird jedoch nicht verhindern können, dass bis 2030 die britische Gasförderung um mindestens 90
Prozent zurückgehen wird. Die Grafik zeigt die Bruttoförderung. Nach Abzug des reinjizierten Erdgases werden nur etwa 85 Prozent des Gases vermarktet (Nettoförderung).
Großbritannien muß seit einiger Zeit Erdgas importieren.
Uk – Gasförderung: Seit 2001 geht die Förderung zurück
Mrd m3/Jahr
140
Prognose
Vergangenheit
Nettoförderung (BP Stat Rev)
120
100
80
Beitrag der jährlich
neu erschlossenen
Gasfelder
Neue Gasfelder
60
40
?
20
1970
1980
1990
2000
2010
2020
2030
Jahr
Quelle: DTI, März 2007; Prognose: LBST
Abbildung 3: Erdgasförderung in Großbritannien. Jede Fläche markiert den Beitrag aller in
einem Jahr neu erschlossenen Gasfelder. Insgesamt wurden mehr als 400
Gasfelder erschlossen
Das erfolgt einerseits über die 1998 gebaute „Interconnector-Pipeline“, die England mit dem
Kontinent verbindet, aber auch über direkte Erdgasleitungen zu norwegischen Erdgas-
62
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
feldern. Hier wird dem norwegischen Erdgasfeld Ormen-Lange eine besondere Bedeutung
zukommen. Darüber hinaus sind einige Terminals für die Anlandung von Flüssigerdgas in
der Planungsphase. Innerhalb weniger Jahre wurde Großbritannien damit von Europas größtem Energieexporteur zu einem Importland von Erdöl und Erdgas mit entsprechenden Konsequenzen für die Handelsbilanz und das wirtschaftliche Wohlergehen des Staates. Ein
Problem Großbritanniens liegt dabei in der Struktur der Gasversorgung. Aufgrund der kurzen
Wege von den Gasfeldern zu den Verbrauchern wurden viele Erdgasfelder bedarfsorientiert
betrieben, um die Investitionskosten für große Gasspeicheranlagen zu sparen. Das kehrt
sich jetzt in einen Nachteil um, weil jetzt die Importkapazitäten für Hochlastzeiten ausgelegt
werden müssen, oder zusätzlich zu den hohen Kosten von Flüssigerdgasterminals und Vergasungsanlagen die Kosten von Großspeichern aufgebracht werden müssen. Nicht zuletzt
deshalb hofft man in Großbritannien so sehr auf die baldige Verbindung zu Ormen-Lange,
das zumindest teilweise diese Funktion übernehmen könnte.
Innerhalb von nur 10 Jahren stieg Norwegen zur wichtigsten europäischen Gasförderregion
auf. Abbildung 4 zeigt die Struktur der norwegischen Gasförderung. Die dortigen Gasfelder
sind relativ groß. Die mittleren und kleineren Felder in der Nordsee wurden relativ zügig erschlossen. Diese zeigen bereits einen deutlichen Förderrückgang. Die großen Felder Troll,
Asgard, Shnovit (Schneewittchen) und Ormen-Lange liegen alle in unwirtlicheren Regionen.
Zwei Feldern kommt eine Schlüsselposition zu: Troll und Ormen-Lange. Die Grafik verdeutlicht die große Abhängigkeit der norwegischen Gasförderung von Troll. Das Erreichen des
dortigen Fördermaximums wird vermutlich das Erreichen des Förder-maximums der gesamten Region bestimmen. Angesichts der Größe des Feldes kann erwartet werden, dass die
Förderrate noch etwa 5-10 Jahre lang ausgeweitet werden kann.
Eine fast ebenso wichtige Position nimmt Ormen-Lange ein. Es wurde Ende der 80er Jahre
entdeckt. Der Fund wurde aber lange nicht publiziert, da man sich der schwierigen geologischen Strukturen bewusst war und erst entsprechende Möglichkeiten zur Erschließung des
Feldes entwickeln musste. So befindet sich das Feld am steilen Kontinentalabhang in der
Grenzschicht von warmem Oberflächenwasser und kaltem Tiefenwasser. Die geologische
Struktur erfordert, dass die Gasleitungen teilweise mehrere hundert Meter frei im Wasser
hängen und von der Strömung mit wechselnden Wasser-temperaturen umspült werden. Die
dadurch initiierten Schwingungen stellen besondere Anforderungen an die Materialentwicklung. Diese zwanzigjährige Entwicklungsgeschichte von Ormen-Lange soll auf die langen
Vorlaufzeiten bei schwierig zu erschließenden Gasfunden hinweisen. Damit lassen sich aber
über die kommenden 10-20 Jahre relativ verlässliche Aussagen über noch zu erwartende
Feldentwicklungen machen. Somit wird es wahrscheinlich, dass um das Jahr 2015 auch
Norwegen das Gasfördermaximum erreichen wird. Sollte die Förderung weiterhin so schnell
hochgefahren werden, dann wird das Maximum einige Jahre früher erreicht werden, wie in
der Abbildung angenommen.
63
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Gasförderung in Norwegen
(EUR 4500 Mio m³)
Mrd m³
140
Bruttoförderung
120
Or
Snohvit
80
Asgard
60
Neue
Gasfunde
?
40
Troll
20
0
1980
ge
an
n-L
me
100
Sleipner Ost
1990
2000
2010
2020
2030
Jahr
NPD, 2007
2007 Daten aus Jan-Juni extrapoliert
Abbildung 4: Einzelfeldanalyse der norwegischen Erdgasförderung. Gezeigt ist die Nettogasförderung nach Abzug des zur Erhöhung der Ölförderrate injizierten Erdgases.
Summiert man die einzelnen Förderprofile so erhält man die in Abbildung 5 gezeigte Erdgasversorgungskurve von Europa. In dieser Grafik wurden die osteuropäischen Staaten nicht
berücksichtigt. Da diese außer in Rumänien keine nennenswerte Erdgasförderung haben,
wird sich dadurch der absolute Erdgasbedarf nochmals erhöhen.
Es zeigt sich, dass die schnelle Ausweitung der norwegischen Erdgasförderung die Gesamtförderung vielleicht für einige Jahre konstant halten kann. Doch bereits in einigen Jahren
wird die Förderrate drastisch fallen. In der Grafik ist angenommen, dass sowohl Flüssiggasimporte als auch Importe aus Russland (ca. 2/3 der Pipelineimporte) und Nordafrika (1/3
der Pipelineimporte) bis 2020 konstant bleiben. Des Weiteren ist angedeutet, wie sich eine
jährliche Ausweitung dieser Pipeline- und Flüssigerdgasimporte um jeweils 5% p.a. auswirkt.
Dies lässt den Schluss zu, dass bis 2020 etwa 200 Mrd. m³/a zusätzlich nach Europa importiert werden müssen, wenn die Erdgasversorgung auf heutigem Niveau bleiben oder leicht
ansteigen soll. Bis zum Jahr 2030 weitet sich dieses Defizit auf mindestens 300 Mrd. m³/Jahr
aus.
Abgesehen davon, dass keineswegs geklärt ist, wo dieses Erdgas herkommen soll, erfordert
allein schon die Schaffung der entsprechenden Transportkapazitäten finanzielle und politische Anstrengungen die heute noch nicht erkennbar sind. Zur Orientierung sei an die angedachte „Nabucco“-Pipeline gedacht, die Europa über die Türkei an iranisches oder aserbaidschanisches Erdgas anbinden soll. Diese wird frühestens 2011, vermutlich aber erst 2012
64
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
oder 2013 Erdgas transportieren, wobei im Endausbau die Kapazität bei etwa 30 Mrd.
m³/Jahr liegen wird. Bis 2020 werden aber etwa 5 Leitungsstränge mit vergleichbarer Transportkapazität notwendig werden. Zusätzlich müssen die Flüssigerdgasimporte mindestens
verdoppelt werden.
Europäische Gasversorgung: Verdoppelung der Importe bis 2020!
Mrd m3
Vergangenheit
Prognose
600
LNG: + 5 % p. a.
50 Mrd m³/Jahr
Zusätzliche LNG-Importe
500
LNG Importe
400
300
200
Importe:
+ 5 % p. a.
Importe aus
Russland, Nordafrika
Importe bleiben
konstant
Deutschland
(900 Mrd. m3)
Norwegen
(4500 Mrd m3)
Italien
(1000 Mrd. m3)
100
170 Mrd. m3/Jahr
Zusätzliche Importe
Niederlande (3600 Mrd. m3)
UK (3800 Mrd. m3)
0
60
70
80
90
2000
10
20 Jahr
Quelle: OECD 2004, DTI 2007, NPD 2007, BP 2007; Prognose: LBST 2007
Abbildung 5: Erdgasversorgung von Europa (ohne Osteuropa)
9.4
Künftige Exportstaaten
Neben der zeitgerechten Bereitstellung der Transportinfrastruktur bleibt natürlich die Frage
nach der Herkunft des Gases. Über den Zeitraum bis 2020/2030 bleiben nur wenige Regionen die noch Erdgas exportieren werden. Dazu gehören vor allem die Nachfolgestaaten der
ehemaligen Sowjetunion und die Golfanrainerstaaten im Mittleren Osten. Die größten berichteten Gasreserven liegen in den Staaten Russland (47.000 Mrd. m³), Iran (28.500 Mrd. m³)
und Qatar (29.000 Mrd. m³). Diese drei Staaten besitzen zusammen etwa 55% der Welterdgasreserven.
Die Analyse der russischen Gasförderung in Abbildung 6 zeigt, dass die größten Felder
(Urengoy, Medveshye und Jamburg) sehr schnell erschlossen wurden und bereits seit Jahren im Förderrückgang sind. Etwa 25-30% der verbleibenden Gasreserven liegen in diesen
Feldern. Eine Aufrechterhaltung oder Ausweitung der Förderung kann nur durch die Erschließung neuer Felder erfolgen. Diese liegen jedoch weiter östlich oder nördlich in schwer
65
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
zugänglichen Regionen. Damit verzögert sich deren Erschließung. Zudem werden weiter
östlich gelegene Felder vermutlich eher dem asiatischen als dem europäischen Markt zugeführt werden. Bereits heute hat Russland Mühe, die Exportverpflichtungen nach Westeuropa
aufrechtzuerhalten. Etwa 40 Mrd. m³ wurden im Jahr 2006 aus Turkmenistan über Russland
nach Westeuropa importiert. Doch mittelfristig ist für Turkmenistan der asiatische Markt viel
näher, zumal man dort höhere Erdgaspreise durchsetzen möchte.
Darüber hinaus ist zu erwarten, dass der russische Eigenverbrauch in den kommenden 20
Jahren nochmals deutlich zunehmen wird. Daher dürfte eine große Ausweitung der Gastransporte von Russland/Turkmenistan oder Kasachstan nach Europa nicht zu erwarten sein.
Allenfalls die Erschließung einiger Felder in Aserbaidschan (insbesondere aus dem Feld
Shah Deniz) könnte die Pipeline Nabucco zumindest teilweise füllen.
Einzelfeldanalyse der russischen Gasförderung
Mrd m³/Jahr
900
800
700
600
500
400
300
200
100
0
Vergangenheit
Prognose
Zappolyarnoye (60 Tcf)
Kharampur (12 Tcf)
Yamburg (170 Tcf)
Astrahan (10 Tcf)
Urengoy Severnyy(28 Tcf)
Konsomolskoye (28 Tcf)
Vyngapur (12 Tcf)
Bolshoy Gubkin (16 Tcf)
Orenburg(48 Tcf)
+2 % p.a.
Small fields
(29 Tcf)
+1 % p.a.
ca. 10 Fields (10-15 Tcf)
Karasovey(26 Tcf)
Leningradskoye (50 Tcf)
Shtokmanovskoye (55 Tcf)
Semokovskoye (15 Tcf)
Rusanovskoye (25 Tcf)
Bovanenko (70 Tcf)
Medvezhye (75 Tcf)
Vuktyl(12 Tcf)
Yubilneynoye (12 Tcf)
Samotlar(9 Tcf)
Old fields
(30 Tcf)
1960
Quelle:
Urengoy
(250 Tcf)
1970
1980
1990
2000
2010
2020 Jahr
Laherrere 2003, LBST 2006
Abbildung 6: Einzelfeldanalyse der russischen Gasförderung; Die Angaben für die großen
benannten Felder basieren auf historischen Förderstatistiken, die Extrapolation in die Zukunft ist exemplarisch fortgeführt, um das Prinzip aufzuzeigen
Weitgehend unerschlossen sind bisher die Gasreserven des Mittleren Osten in Iran und
Quatar. Jedoch zeigt sich hier ein Umstand, der beunruhigen sollte. Quatar ist Dank eines
einzigen Feldes zu den größten Erdgasreservestaaten aufgestiegen, dem 1971 im Meer entdeckten "North Field". Dieses sich über 6000 km² erstreckende Feld war bis vor wenigen
Jahren anhand der Ergebnisse von nur wenigen Bohrungen charakterisiert worden. Vor zwei
Jahren wurden durch neue Bohrungen genährt erstmals Zweifel laut, ob die geologische
66
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Struktur so einheitlich ist, wie in der Reserveabschätzung unterstellt. Daraufhin wurde vom
Ölministerium ein Programm zur besseren Erkundung der tatsächlichen Reserven angeordnet. Ergebnisse werden für das kommende Jahr erwartet.
Darüber hinaus basiert die Einstufung des Iran als Land mit den drittgrößten Gasreserven
ebenfalls auf der Erkundung eines einzigen Feldes, des sog. "South Pars" Feldes. Dieses
liegt ebenfalls im arabischen Golf und bildet die nördliche Fortsetzung des "North" Feldes
über die Grenze in Iranische Gewässer. Heute importiert der Iran etwa 6 Mrd. m³ jährlich aus
Turkmenistan.
Ohne Zweifel ist das North/South Pars Feld das weltgrößte Erdgasfeld. Jedoch besteht inzwischen eine große Unsicherheit an der tatsächlichen Größe und Industriebeobachter halten es für möglich, dass nur etwa ein Drittel der berichteten "nachgewiesenen" Reserven dort
auch tatsächlich förderbar sein werden. Zumindest ist der Umstand bedenklich, dass die
"nachgewiesene" Reserve der Staaten mit den zweit- und drittgrößten Gasreserven auf einem einzigen Gasfeld beruht, das zudem noch gar nicht richtig charakterisiert wurde.
Ungeachtet dieser Diskussion zeigt Abbildung 7 ein Förderprofil der Staaten am arabischen/
persischen Golf, wie es mit der berichteten Reserve vereinbar wäre. Ebenfalls eingetragen
ist der erwartete Gasverbrauchsanstieg innerhalb der Region, wie ihn die Internationale
Energieagentur im World Energy Outlook 2006 sieht.
Gas Förderung am Persischen Golf
Milliarden m3
Vergangenheit
1600
1400
Iran
Quatar
SA
UAE
1200
Gasfunde (BP Stat Rev)
28.500 Mrd m³
29.000 Mrd m³
10.300 Mrd m³
4.000 Mrd m³
Prognose
Gasförderung (2030)
8.800 Mrd m³
5.200 Mrd m³
4.700 Mrd m³
3.000 Mrd m³
UAE
1000
S.A.
800
600
Maximales
Exportpotenzial
Quatar
400
Eigenverbrauch
(nach WEO 2004)
200
Iran
0
60
70
80
90
2000
10
20
Quelle: OECD 2004, BP 2005; Prognose: LBST 2005
Abbildung 7: Erdgasförderung am arabischen/persischen Golf
67
30 Jahr
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Somit läßt sich abschätzen, dass bis 2030 aus der Region bestenfalls etwa 600 Mrd. m³ pro
Jahr exportiert werden könnten, ungeachtet der tatsächlichen Restriktionen (unsichere Reserveangabe, schneller Ausbau der Förderkapazitäten, schneller Ausbau der Verflüssigungs/ Transportkapazitäten). Diese 600 Mrd. m³ würden gerade das Defizit in Nordamerika und
Europa ausgleichen, geschweige denn ein Verbrauchswachstum in diesen Regionen, oder
im asiatischen Raum.
Abschließend zeigt Abbildung 8 eine Aufsummation der denkbaren Erdgasförderprofile aller
Regionen. Demnach dürfte um 2020 das weltweite Fördermaximum zu erwarten sein, wenn
die zugrunde liegenden Annahmen an die Reserven stimmen. Die in diesem Artikel aufgezeigten Probleme lassen es jedoch durchaus realistisch erscheinen, dass regionale Gasversorgungsengpässe bereits deutlich früher auftreten.
D ie weltweite G as förderung wird z urückgehen, wenn R us s land nachläßt
Mrd m3
5000
4500
Südamerika
4000
Südasien
3500
Afrika
Ostasien
3000
China
2500
2000 OECD Pazifik
1500 OECD Europa
1000
500
OECD Nordamerica
0
60
Datenquelle:
Prognose:
70
80
90
0
Persischer Golf
GUS
10
20
30 Jahr
IHS-Energy, BP Statistical Review of World Energy 2005
LBST 2005
Abbildung 8: Zusammenfassung einer weltweiten Analyse der Förderpotenziale aller Förderstaaten, Entscheidend für das weltweite Gasfördermaximum wird das Erreichen des regionalen Fördermaximums in Russland, Kasachstan und Aserbaidschan
68
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
10
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Michael Sailer: Renaissance der Kernenergie?
Dipl.-Ing. Michael Sailer
Geschäftsführung Bereich Nukleartechnik und Anlagensicherheit, Ökoinstitut e.V.
Öko-Institut Darmstadt
Rheinstraße 95
D-64295 Darmstadt
[email protected]
10.1
Einleitung
Zurzeit wird vor allem in den Medien die Frage diskutiert „Gibt es eine Renaissance der
Kernenergie?“
Unklar bleibt dabei: Ist eine Renaissance der Kernenergie
•
wenn wieder soviel Reaktoren gebaut werden, wie früher schon mal?
•
wenn überhaupt neue KKW gebaut werden?
•
wenn über neue KKW nachgedacht wird?
10.2
Ausgangssituation
Wie sieht es aktuell mit dem Betrieb und dem Bau von Reaktoren aus? Eine zuverlässige
Quelle dafür ist die über Internet (www.IAEA.org) zugängliche Reaktorstatistik der Internationalen Atomenergieorganisation (dt.: IAEO; engl.: IAEA).
Zum Bestand an Reaktoren ergibt sich (siehe auch Abb. 1 und 2):
•
Es werden derzeit weltweit 439 Reaktoren betrieben.
69
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
•
Darunter sind nur 38 Reaktoren, die weniger als 10 Jahre alt sind. Bedenkt man, dass
von der Entscheidung für einen Reaktor bis zur Inbetriebnahme 10 bis 15 Jahre vergehen, zeigt sich daran auch, wie wenig Entscheidungen in den letzten 25 Jahren für einen konkreten Reaktorbau gefallen sind.
•
Das Gros der Reaktoren hat ein Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Die zugehörigen Investitions- und Bauentscheidungen stammen somit aus den 60er und 70er Jahren des
vorigen Jahrhunderts. Andererseits wird üblicherweise von einer längeren Lebensdauer
von Reaktoren ausgegangen, damit besteht für das Gros der laufenden Reaktoren aktuell kein Bedarf für Ersatzbauten.
•
Aus der Altersverteilung ergibt sich auch, dass in den Hochzeiten der Kernenergie bis
über 30 Bauentscheide und Inbetriebnahmen pro Jahr erfolgten. Dies wäre eine hohe
Messlatte für eine Renaissance.
•
Nach Reaktortypen sind etwa 60% Druckwasserreaktoren und etwa 21% Siedewasserreaktoren; diese werden unter dem Begriff „Leichtwasserreaktoren“ zusammengefasst. In Deutschland und in der Schweiz werden ausschließlich diese beiden Typen
betrieben.
•
Die Reaktoren sind sehr ungleichmäßig über die Länder der Erde verteilt. 31 Länder betreiben Reaktoren, davon 20 mehr als zwei Reaktoren. Nur zwölf Länder betreiben mehr
als zehn Reaktoren.
Abbildung 1: Altersverteilung der KKW weltweit (Quelle: IAEA)
70
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Abbildung 2: Verteilung der KKW nach Ländern (Quelle: IAEA) (Hinweis für genaue Leser:
aus politischen Gründen führt die IAEA Taiwan als Land nicht auf, die Reaktoren auf Taiwan sind aber immer in den Gesamtsummen enthalten)
Hinsichtlich Bau und Inbetriebnahme in absehbarer Zeit ergibt sich (siehe auch Abb. 3):
•
Auch für die nächsten Jahre wird nur wenig KKW-Leistung in Betrieb genommen werden
- insbesondere, wenn man bedenkt, dass der Bau eines KKW mindestens sechs bis acht
Jahre dauert.
•
Viele der derzeit im Bau befindlichen Anlagen sind schon seit den 80er Jahren im Bau,
insbesondere im ehemaligen Ostblock, aber auch z.B. in Argentinien und im Iran. Nur
etwa die Hälfte der aktuellen Bauprojekte basiert auf wesentlich jüngeren Entscheidungen.
•
Jüngere Entscheidungen für den Bau sind in asiatischen Ländern, die schon länger
KKW betreiben, gefallen (im Wesentlichen: Indien und China). Dagegen gibt es bislang
keine „neuen“ Kernenergieländer.
•
Auch bei den Bauprojekten dominieren Druckwasserreaktoren und Siedewasserreaktoren; andere Reaktortypen spielen praktisch kaum eine Rolle.
71
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Abbildung 3: KKW in Bau weltweit (Quelle: IAEA)
Aus der Analyse der bestehenden und im Bau befindlichen Anlagen lässt sich eine Renaissance der Kernenergie offensichtlich nicht ableiten. Woher kommt nun der Eindruck, ein
Wiederaufleben der Kernenergie sei im Kommen?
10.3
Diskussionen über Kernenergie
Eine Erklärung für den Eindruck einer Renaissance ist die unhinterfragte Aufnahme verschiedener Diskussionen über Kernkraftwerke und deren Gleichsetzung mit der tatsächlichen Errichtung von Anlagen.
Viele Länder diskutieren über eine Verlängerung der Laufzeit ihrer bestehenden Reaktoren
(„life time extension“). Dies betrifft vor allem Länder, die bisher zeitlich begrenzte Erlaubnisse
zum Betrieb von Reaktoren ausstellten, z.B. für eine Laufzeit von 40 Jahren. Dies trifft z.B.
auf die USA zu. Dort werden seit einigen Jahren die Betriebserlaubnisse konkreter Reaktoren auf 60 Jahre verlängert, auch wenn die betreffenden Reaktoren noch lange nicht die bisher genehmigten 40 Jahre Laufzeit erreicht haben. Die Verlängerung der Laufzeit ist sicherheitstechnisch problematisch, da alte Reaktoren nur partiell auf heutige Sicherheitsanforderungen nachgerüstet werden können. Dementsprechend wird bei der Laufzeitverlängerung
auch nicht die Einhaltung heutiger Sicherheitsstandards gefordert – z.B. das Sicherheitsniveau, das der weiter unten noch zu diskutierende EPR aufweist.
Für die Frage von neuen Reaktoren wirkt sich die Laufzeitverlängerung aber geradezu „kontraproduktiv“ aus, denn Betreiber mit Erlaubnis für Verlängerung der Laufzeit benötigen keine
neuen Reaktoren.
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Mehrere Länder diskutieren aktuell über einen Neubau von Reaktoren. Beispiele finden sich
unter den Nicht-Kernenergieländern in Südostasien oder unter den Staaten im Mittelmeerraum. Eine ähnliche Diskussionswelle gab es auch in den 1980er Jahren. Interessanterweise findet die „neue“ Diskussion teilweise in den gleichen Ländern statt (z.B. Türkei, Indonesien, Ägypten).
Die Neubaudiskussionen werden vor allem im politischen Bereich geführt. Die jeweilige Regierung wünscht Kernkraftwerke. Das bedeutet aber noch keinen Neubau. Denn vor einem
Entscheid für einen konkreten Neubau sind noch erhebliche Schritte erforderlich. Zuvorderst
muss ein Betreiber und eine tragfähige Finanzierung gefunden werden. In den Ländern mit
aktuellen Diskussionen ist vor allem die Finanzierungsfrage durchgängig nicht geklärt. Hinzu
kommt, dass das betreffende Land nukleare Sicherheitsstandards und qualifizierte Kontrollbehörden braucht; beides ist in der Regel nicht auf dem Niveau vorhanden, das bei der
Überwachung von Bau und Betrieb eines Kernkraftwerks notwendig wäre.
Trotz der begrenzten Aufträge bestehen Engpässe bei der Herstellungskapazität. Denn auf
dem weltweiten Markt gibt es nur wenige Hersteller (Westinghouse, Areva, japanische Industriegruppe, russische Industriegruppe). Daneben gibt es noch einige Länder mit Nuklearherstellern, die im eigenen Land bauen können (China, Indien, Korea), die aber auf dem internationalen Markt nicht aktiv sind.
Die international anbietenden Hersteller haben beschränkte Kapazitäten hinsichtlich der Fertigung, vor allem aber auch bei Ingenieuren, die die sicherheitstechnischen Frage-stellungen
beherrschen. Dies ist die Folge davon, dass über lange Jahre Kapazitäten mangels Aufträgen abgebaut werden mussten. Der Baubeginn von einem Dutzend oder mehr Projekten pro
Jahr, wie dies Ende der 60er und in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts war, wäre
heute schon von den Herstellerkapazitäten nicht leistbar.
10.4
Neubau eines Reaktors: Das Beispiel Finnland
Finnland wird oft als Beispiel für die stattfindende Renaissance der Kernenergie angeführt.
Dort erfolgte nach langer Diskussion die Entscheidung des finnischen Parlaments für den
Neubau eines Reaktors am Standort Olkiluoto.
Die Betreiberfrage war nicht einfach zu lösen, denn die finnischen Elektrizitätsversorgungsunternehmen wollten das Risiko nicht alleine schultern. Dabei betreiben die beiden großen
EVU in Finnland schon jeweils zwei Reaktoren und sind deswegen mit der Materie vertraut.
Es musste ein spezielles Betreiberkonsortium unter Einschluss vieler Industriesparten des
Landes aufgebaut werden, um die Lasten – auch die der Finanzierung – auf breite Schultern
zu verteilen.
Ende 2003 wurde Areva mit dem Bau beauftragt. Der Kontrakt wurde zu einem Festpreis von
3,2 Milliarden $ abgeschlossen. Für den Hersteller Areva war das wesentliche Motiv, sich auf
einen Festpreis einzulassen, endlich eine Prototypanlage für sein EPR-Konzept errichten zu
können. Der EPR („European Pressurized Water Reactor / Europäischer Druckwasserreaktor“) ist eine Fortentwicklung auf Basis der französischen und deutschen Druckwasserreaktorkonzepte aus den 1980er Jahren.
73
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Die Schwierigkeiten begannen damit, dass sich kurz nach Vertragsabschluss die Stahlpreise
weltweit verteuerten. Die Stahlpreise sind eine wichtige Komponente der Gesamtkosten des
Reaktors. Schon damit kam die Frage des zu niedrigen Festpreises auf.
Die Bauzeit ist ein weiterer Kostenfaktor. Ein Verkaufsargument für den EPR war, dass auf
dem Erfahrungshintergrund von Areva kurze Bauzeiten angeboten und eingehalten werden
können. Der Betriebsbeginn wurde bei der Beauftragung Ende 2003 auf Mai 2009 festgelegt.
Nach der Erteilung der Genehmigung Anfang 2005 erfolgte der Baubeginn im August 2005.
Ende 2006 wurde offiziell: der Betriebsbeginn wird auf 2010/2011 verschoben. Im August
2007 kommt die neue Meldung, dass sich der Betriebsbeginn weit in das Jahr 2011 hinein
verschiebt.
Gründe für die Zeitverschiebung gibt es viele (siehe auch Abb. 4), unter anderem:
•
Probleme bei der Qualitätssicherung auf der Baustelle und bei der Koordination des Projektes,
•
unterschiedliche Vorstellungen zu sicherheitstechnischer Auslegung zwischen Hersteller, Auftraggeber und Genehmigungsbehörde (z.B. Grad der Auslegung bei Rohrleitungsbruch oder bei Flugzeugabsturz).
•
Die Folgen für den Hersteller sind massiv. Auf jeden Fall gibt es große finanzielle Verluste wegen Kostenüberschreitung. Zusätzlich drohen Konventionalstrafen wegen der Zeitverzögerung.
•
Weitere Projekte müssten anders kalkuliert werden. Ob Areva sich dabei noch einmal
auf einen Festpreis einlassen kann, ist ungewiss.
Areva: Plane crash requirements to delay Olkiluoto-3 construction. Difficulty in building Olkiluoto-3 so
that it meets requirements to withstand an airplane crash means that construction of the 1600-MW
EPR will take two year longer than planned, management at Areva acknowledged in a statement August 10. (…) Originally, the unit was scheduled to go into commercial operation in May 2009. In December last year, the date revised to the turn of 2010/2011. (Nucleonics Week, 33, August 16, 2007,
p. 1)
Subcontractor inexperience delayed Olkiluoto-3, project officials say. (…) Work on Olkiluoto-3 is about
18 months behind schedule. Last year, some of the concrete supplied by Finnish subcontractor Forssan Betoni Oy for the nuclear island was found to be more porous than what Areva said it had specified. (Nucleonics Week, 24, June 14, 2007, p. 6)
Host of problems caused delays at Olkiluoto-3, regulators say. An extremely tight budget and timetable, supplier inexperience, poor subcontractor control and regulators’ difficulty in assessing information
have caused confusion and quality control problems that have delayed the Olkiluoto-3 project, a team
of Finnish regulators concluded in a report released July 12. “It has been very difficult to find the root
cause, because there are so many interconnected factors,” Seija Suksi, head of the investigation team
(…), told Platts in an interview. (Nucleonics Week, 28, July 13, 2006, p. 1)
Regulator reports as Olkiluoto-3 further delayed (…) A TVO statement said that the production, review
and approval of the delayed design, as well as its manufacturing and constructuring solutions, had
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
taken longer than expected. In addition, Stuk investigators contend that turnkey reactor vendor Areva
NP often chose the lowest tenders from subcontractors, and that those bids often came from companies inexperienced in nuclear construction. (Nuclear Engineering, May 2006, p.2)
Construction of Olkiluoto-3 behind schedule. Problems with qualifying pressure vessel welds and
delays in detailed engineering design have put construction of Olkiluoto-3 more than six months behind schedule, TVO said last week. (Nucleonics Week, 5, February 2, 2006, p. 1)
Olkiluoto-3 base slab pour delay not expected to impact end date. Pouring of the reactor building base
slab at Olkiluoto-3 was delayed by questions about the strength of the concrete used, according to
Finnish safety authorities and main contractor Framatome ANP. (…) Manufacturing of pressure vessel
and steam generators for Olkiluoto-3 is also “a few weeks” behind the original schedule, Esteve said in
a telephone interview Oct. 3. (Nucleonics Week, 40, October 6, 2005, p. 4)
Abbildung 4: Nuklearfachzeitschriften zum EPR-Bau in Finnland
10.5
Wichtige Aspekte bei neuen Reaktoren
Wenn Entscheidungen über neue Reaktoren getroffen werden, müssen eine ganze Reihe
von Fragen geklärt und in die Entscheidung einbezogen werden. Dabei gilt es, nicht von
Wunschvorstellungen, sondern von der realen Situation auszugehen.
10.5.1 Kosten
Die Kosten für einen Reaktorbau sind derzeit nicht bestimmbar. Es bestehen keine Erfahrungen mit aktuellen Baukosten, weil derzeit praktisch keine Projekte unter Marktbedingungen gebaut werden. Überraschungen wie in Finnland sind vorprogrammiert. Soweit kein
Festpreis für ein Reaktorprojekt zu erzielen ist, gehen die Steigerungen der Kosten zu Lasten der zukünftigen Reaktorbetreiber. Dies war schon in den 1980er Jahren ein wesentlicher
Grund für den massiven Rückgang der Neubauplanungen und Bestellungen.
Da heute über Sicherheitsprobleme wesentlich mehr Kenntnisse vorhanden sind, gibt es
sehr viele verschiedene Anforderungen an Sicherheitseinrichtungen und an die Nachweise
ihrer Wirksamkeit. Diese bedingen einen erheblichen Teil der Kosten des Kernkraftwerks. Es
existieren aber weder international noch national aktuelle kodifizierte Sicherheitsanforderungen an Neubaureaktoren. Daraus ergeben sich große Unklarheiten, welches Niveau von Sicherheitsanforderungen aus Sicht der zuständigen Genehmigungsbehörde gefordert wird und welche Kosten sich daraus für das Reaktorprojekt ergeben.
Ein weiterer Problemkreis ist, dass die Kosten für eine in der Industrie unüblich lange Zeit
vorfinanziert werden müssen, weil für die Reaktoren Abschreibungszeiten in der Grössenordnung von 20 Jahren erforderlich sind.
75
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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10.5.2 Sicherheitsfragen
Bei den derzeit angebotenen Reaktortypen sind schwere Unfälle nicht auszuschließen; Sicherheitssysteme können nur deren Eintrittswahrscheinlichkeit verringern, sie aber nicht
physikalisch ausschliessen.
Die Betriebserfahrung zeigt, dass sich die Anzahl und Schwere der Störungsereignisse nicht
verringert. Der viel beschworene Effekt, dass sich das Risiko durch Reifung der Technik reduziert, hat sich bisher nicht eingestellt. Dies wird auch in Reports der OECD/NEA deutlich
berichtet (z.B. Regulatory Challenges in Using Nuclear Operating Experience, OECD 2006, NEA No.
6159; Nuclear Power Plant Operating Experiences from the IAEA/NEA Incident Reporting System,
OECD 2006, NEA No. 6150).
Menschliches Verhalten ist nach wie vor bei vielen Ereignissen dominierend. Wichtige Fehlertypen sind: Nicht durchdachte Konstruktionen, Fehlmontagen und mangelnde Überprüfung.
Die Erfahrungen mit Ereignissen (z.B. Forsmark 2006, Krümmel 2007) zeigen unter anderem, dass das komplexe System auch nach vielen Jahren nicht vollständig verstanden wird.
Es gibt viele Beispiele aus der Praxis für übersehene Interaktionen zwischen Systemen, die
der Sicherheit dienen. Solche Interaktionen haben Sicherheitsaktionen blockiert oder in Einzelfällen unsichere Zustände erst herbeigeführt. Trotz der intensiven Reaktorsicherheitsforschung der letzten 30 Jahre werden auch heute immer wieder übersehene Störfallmöglichkeiten entdeckt (z.B. Blockade von Notkühlwasser oder Wasserstoffexplosionen an unvorhergesehenen Stellen).
10.5.3 Endlicher Rohstoff Uran
Uran ist kein unendlicher Rohstoff. Von OECD/NEA werden die Reserven erfasst. Danach
gibt es ca. 3,3 Mio. t bekannte Reserven an Uran, die bis zu einem Preis von 130 US-$/kg
gewinnbar sind (dieser Wert ist höher als der heutige Marktpreis). Der derzeitige weltweite
Verbrauch für die 439 Reaktoren liegt bei 65.000 t/a. Damit ist bei konstantem Verbrauch
gerade eine Reichweite von etwa 50 Jahren gegeben. Es gibt zusätzlich vermutete Reserven
mit abschätzbarem Gewinnungsaufwand in Höhe von ca. 1,3 Mio. t, die weitere 20 Jahre
reichen könnten.
Die Zahlen zeigen die Begrenztheit des Rohstoffes Uran deutlich auf. Falls die von manchen
erwünschte Renaissance aber zu einer Erhöhung der Zahl der Reaktoren weltweit führen
würde, würde sich die Reichweite des Urans sogar entsprechend reduzieren.
10.5.4 Sicherheitspolitische Fragen
Im Umfeld einer möglichen Renaissance der Kernenergie gibt es eine ganze Reihe von sicherheitspolitischen Fragen:
•
Bei vielen Ländern, die sich für neue Reaktoren interessieren, ist die Trennung zwischen
zivilen und militärischen Absichten unklar. Am offensichtlichsten war dies für die Weltöffentlichkeit in den vergangenen 10 Jahren bei den Ländern Nordkorea und Iran. Je nach
76
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
nationaler und internationaler politischer Konstellation besteht dieses Problem aber auch
bei vielen anderen Ländern.
•
Das Interesse einiger Länder an nuklearen Geschäften verändert den bisher zurückhaltenden Umgang mit Ländern mit militärischem Nuklearhintergrund (z.B. mit Indien oder
Libyen).
•
Es stellt sich die Frage, ob alle Länder, die sich derzeit für KKW interessieren, in der Lage sind, eine angemessene Sicherheitskultur und behördliche Überwachung aufzubauen.
•
Da der Rohstoff Uran insgesamt knapp ist, und da die Uran-Reserven sehr ungleich
über die Länder der Erde verteilt sind, besteht ein großes Potential für einen späteren
Streit um Uran.
•
Im Umkreis des Terrorismus stellen sich ebenfalls Fragen, die hier aber nicht vertieft
werden sollen.
10.6
Schlussfolgerungen
Analysiert man die realen Projekte und nicht die Absichtserklärungen, gibt es bisher keine
Renaissance der Kernenergie, da es kaum konkrete belastbare Entscheidungen für neue
Reaktorprojekte gibt.
Es bleibt aber festzuhalten, dass eine angestrebte Renaissance mit Risiken verschiedener
Art verbunden ist:
•
Analysen der wesentlichen Faktoren, die zu Kosten und Kostenveränderungen beitragen, zeigen auf, dass große Risiken hinsichtlich der Kostenentwicklung bestehen. Dies
wird durch die Erfahrung mit aktuellen Projekten, insbesondere in Finnland, bestätigt.
Die realen wirtschaftlichen Kosten für neue Reaktoren, wie sie derzeit auf dem Markt
angeboten werden, können nicht seriös bestimmt werden. Deshalb besteht ein hohes
Investitionsrisiko, das je nach finanzieller Konstruktion der Verträge vom Betreiber, vom
Hersteller oder vom Staat (bzw. deren Finanziers) getragen werden muss.
•
Bei neuen Reaktoren bestehen im Prinzip die gleichen technischen Risiken wie bei den
bisherigen Reaktoren; schwere Unfälle sind weiterhin nicht auszuschließen.
•
Hinzu kommen sicherheitspolitische Risiken. Diese würden sich bei einer unterstellten
Renaissance durch die zunehmende Zahl der Reaktoren und der reaktorbetreibenden
Länder massiv vergrößern.
77
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
11
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Robert Horbaty: Die Chancen der Erneuerbaren Energien in der
Schweiz am Beispiel Windenergie
Robert Horbaty
ENCO AG, Geschäftsführung suisse éole
ENCO AG
Wattwerkstr. 1
CH-4416 Bubendorf
[email protected]
11.1
Einleitung
Ich freue mich, Ihnen hier die Möglichkeiten der Windenergie in der Schweiz zeigen zu können. Ich bin Geschäftsführer des Schweizerischen Verbandes für Windenergie. Es ist ein
kleiner Verband, der etwa 100 Mitglieder zählt. Mein Inhalt orientiert sich einerseits am Stellenwert der erneuerbaren Energien generell, und ich möchte meine Kollegen und Kolleginnen, die andere erneuerbare Energien vertreten, um Entschuldigung bitten, dass ich mich
hier vor allem auf die Windenergie konzentrieren werde. Das war auch der Wunsch der Veranstalter.
11.2
Erneuerbare Energien
Ich glaube, ich habe es etwas einfacher, die Vorteile hier zu schildern, denn die erneuerbaren Energien sind unerschöpflich. Sie sind CO2- neutral, haben geringe Betriebskosten, generell eine hohe Akzeptanz – auf die Akzeptanz der Windenergie gehe ich noch etwas genauer ein –, garantierte Rückbaubarkeit ohne Folgeschäden und -kosten und lokale und regionale Wertschätzung. Das ist ein Punkt, den ich immer interessant finde. Gerade diejenigen Kreise, für die alles Böse aus dem Ausland kommt, haben dann sehr Mühe, dass man
mit erneuerbaren Energien eigentlich das lokale Gewerbe unterstützt. Das ist für mich irgendwie ein Widerspruch, der nicht aufgeht.
78
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Die Nachteile der Windenergie. Es wurde bereits erwähnt: Der unregelmässige, stochastisch
anfallende, bedeutend höhere Regelbedarf. Es sind relativ hohe Anfangsinvestitionskosten.
Die meisten Kosten fallen zu Beginn an. Es ist nach wie vor ein relativ geringes Engagement
bei Stromversorgern vorhanden. Das Potenzial wird generell unterschätzt, es wird kleingeredet und dadurch wird eben auch die Möglichkeit der Technologie marginalisiert.
Importmöglichkeiten nicht berücksichtigt!
Abbildung 1 Unterschiedliche Potenzialuntersuchungen
SAT, die Schweizerische Akademie der Wissenschaft, die AXPO, das PSI und die AEE haben Potenzialuntersuchungen gemacht, die unterschiedlich ausgefallen sind (vgl. Abbildung
1). Grundsätzlich kann man jedoch sagen, dass eigentlich durchs Band weg die Wissenschaft sowie die Stromversorger die Möglichkeit sehen, eine 2000-Watt-Gesellschaft vor
allem auch im Strombereich mit erneuerbaren Energien längerfristig sicherzustellen. Die unterschiedlichen Potenziale beim Wind rühren daher, dass die Schweizerische Akademie der
Wissenschaft und das PSI vor allem die möglichen Windparks in der Schweiz aufsummiert
haben, die AXPO aber sämtliche möglichen Anlagen, also auch Einzel-installationen miteinberechnet hat. Daher dieser Unterschied im Potenzial. Hier auf dieser Graphik sind die Importmöglichkeiten nicht berücksichtigt, ich komme noch darauf zurück.
79
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
11.3
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
2000 Watt und erneuerbare Energien
Die Promotoren der 2000-Watt-Gesellschaft drücken sich immer ein wenig um die Tatsache
bezüglich der Frage: Was ist denn, wenn wir auf 500 Watt pro Einwohner bei den fossilen
Energien sind, und womit wird dann der Rest gedeckt? Ich glaube, aus Sicht der erneuerbaren Energien muss ganz klar gesagt werden, wir wollen den Rest mit erneuerbaren Energien
decken. Ich denke, dass ist auch auf diesem Zeitpfad durchaus machbar.
11.4
Windenergie
Ich denke, es gibt im Energiesektor keine Technologie in den letzten Jahren, die eine solche
Erfolgsgeschichte aufweist, wie die Windenergie. Ende 2005 waren weltweit ca. 60'000 Megawatt Windenergieleistung installiert. Bei den entsprechenden Bedingungen – die Anlagen
laufen ja nicht immer unter Volllast – gibt das 120'000 Gigawattstunden weltweit. In Deutschland wurden im Windenergiesektor über 50'000 neue Arbeitsplätze geschaffen und mindestens 5% des heutigen Strombedarfs in Deutschland wird aus Windenergie gedeckt.
In der Schweiz haben wir auch ein exponentielles Wachstum, aber auf sehr tiefem Niveau.
Heute sind 34 Windenergieanlagen installiert, die im Jahr 15 Gigawattstunden Strom produzieren. Dies ist eine Steigerung von 84% gegenüber dem Vorjahr. Insbesondere hat die Anlage in Collonges/VS mit 2 Megawatt installierter Leistung zu dieser Steigerung beigetragen.
Wir haben das kurzfristige Ziel von 100 Gigawattstunden, die uns gesetzt wurden, zu 30%
erreicht. Die aktuellen Projekte, die unseres Wissens in Planung sind, sind in der Grössenordnung von 118 Gigawattstunden in der Pipeline, mit unterschiedlichen Planungsständen.
11.5
Beispiele von Windenergieanlagen
In Tramelan/BE steht eine Kleinanlage der Firma Aventa, diese 6-Kilowatt-Anlage ist die einzige, die in der Schweiz produziert wird. Im Entlebuch steht eine 900-Kilowatt-Anlage (Abbildung 2). Was ich hier bereits erwähnen will: Windenergie ist eine skalierbare Technologie,
man kann darüber auch im Rahmen von Baubewilligungsgesuchen durchaus diskutieren. Es
gibt nicht einfach ein ja oder ein nein. Man kann grössere, kleinere, mehr oder weniger Anlagen bauen, was eigentlich unserer Art von Demokratie sehr entgegenkommt.
80
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Beispiele aus der Schweiz: Einzelanlagen
6 kW Aventa, Tramelan, ≈ 10
MWh/a
•
900 kW NEC/Micon im Entlebuch, ≈ 1
GWh/a
Skalierbare Technologie (0.05 kW – 5 MW) --> Akzeptanz Abbildung 2: Tramelan und Entlebuch
Beispiele aus der Schweiz: Einzelanlagen
2 MW Enercon, Collonges ≈ 4.4 GWh/a !
600 kW Enercon, Gütsch ≈ 900 MWh/a
Abbildung 3: Collonges und Gütsch
81
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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Weitere Beispiel (Abbildung 3) sind die 2-Megawatt-Anlage in Collonges/VS, die 4,4 Gigawattstunden pro Jahr produziert. Das ist ein extrem gutes Resultat, von dem alle überrascht
wurden. Die thermischen Windbedingungen im Unterwallis können extrem viel Energie erzeugen. Das andere schöne Beispiel ist die 600-Kilowatt-Enercon-Anlage auf dem Gütsch
bei Andermatt, die ca. 900 Megawattstunden produziert hat. Unsere Branche lernt dort sehr
viel bezüglich Windenergieanlagen im Gebirge mit Vereisungen, mit turbulenten Winden
usw.
Der bisher einzige Windpark der Schweiz mit 7,66 Megawatt wurde von der BKW im Berner
Jura installiert. Es handelt sich hierbei um einen kleinen Windpark, vor allem wenn man ihn
mit einem der grössten Windparks weltweit in Texas mit 278 Megawatt installierter Leistung
vergleicht. Die Schweiz hat also gerade 4% installierte Leistung gegenüber diesem einen
Projekt in den USA.
Der Vollständigkeit halber hier noch Beispiele von Off-Shore-Windparks (Abbildung 4). In der
Schweiz für die inländische Produktion sicher nicht von Bedeutung, obwohl ein Neuenburger
Regierungsrat einmal im Ernst sagte, man soll eine Windkraftanlage in den Neuenburgersee
stellen.
Offshore Windparks
Schwedischer Windpark 30 MW
Arklov Bay Irland 25 MW
Abbildung 4: Offshore Windparks
82
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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Interessant ist ein Projekt von Irland, es hat eine Bedeutung für die Stadt Zürich. Diese Anlage ist mit dem Label "nature made star" zertifiziert, die Zürcher Ökostrom-BezügerInnen beziehen Energie von diesem Windpark. Es handelt sich hierbei um General Electric-Anlagen.
11.6
Windenergie weltweit
Ein paar Worte zur Windenergie weltweit. Da haben wir Wachstumsraten von über 30% jährlich. Die Lieferzeiten der Anlagen betragen heute zwei Jahre, es ist also ein absolut ausgetrockneter Markt. Eines der grössten Probleme ist die Herstellung der Getriebe, hier liegt ein
Engpass vor. Es schmerzt mich immer, wenn ich sehe, dass Maag in Zürich in eine Konzerthalle umgewandelt wurde und keine Getriebe mehr herstellt, denn hier wäre ein Riesenmarkt
vorhanden. Mittlerweile sind auch in diesem Sektor Siemens und General Electric, also Global Players wichtige Produzenten geworden. Wenn ich an einen Windenergiekongress gehe,
sehe ich nur noch Anzüge und keine Pullover mehr. Ich sage das, um das Bild etwas abzurunden. Die ersten Anlagen in Deutschland waren ja Bürgerwindparks, zum Teil haben
Landwirte die Anlagen zusammengebaut. Im Off-Shore-Bereich sind es heute nur noch EVU,
die Anlagen bauen. 80% der neuen Installationen sind weltweit durch Energieversorgungsunternehmen gedeckt.
Märkte sind heute einerseits Binnenländer, zum Teil mit schwierigen Standorten auch im
Gebirge usw. Andererseits das Repowering von Windrädern, die nun 15, 20 Jahre alt sind,
das heisst der Ersatz kleinerer durch grössere Anlagen. Und dann natürlich der kommende
Off-Shore-Markt, wobei das länger dauert als man eigentlich angenommen hat. Die Schwierigkeiten Off-Shore-Anlagen zu bauen sind grösser als zuerst angenommen. Ein weiterer
grosser Markt ist schlussendlich sicher auch die Elektrifizierung in Entwicklungs-ländern.
11.7
Windenergie in der Schweiz
Windenergie in der Schweiz ist sinnvoll. Ich habe hier eine Auswertung des ISET1 von seinem 250-Megawatt-Programm, die dunkeln Balken sind das Mittel, und die hellen Balken
sind Volllaststunden 2006 (vgl. Abbildung 5). Ich möchte hier nicht ins Detail gehen, sondern
lediglich festhalten, dass in der Schweiz alle Anlagen 2006 im Mittel der deutschen Bundesländer sind. Wenn ich die Anlage in Collonges dazunehme, ist diese durchaus vergleichbar
mit Standorten an der Küste wie in Schleswig-Holstein. Das Argument, dass Windenergie in
der Schweiz nichts bringe, muss man einfach relativieren.
1
Institut für Solare Energieversorgungstechnik, Universität Kassel
83
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Ist Windenergie in der Schweiz sinnvoll?
Volllaststunden im Vergleich zu Deutschland
Collonges 2006
CH alle Anlagen 2006
Abbildung 5: Auswertung ISET Volllaststunden 2006
Wieso eigentlich Windenergie in der Schweiz? Die Schweizer Wirtschaft ist im Bereich
Windenergie sehr stark engagiert, vor allem in der Produktion von Harzen und Klebern. Die
Familie Gurit-Heberlein ist dazu ein Beispiel. Die Leistungselektronik, IDS Drive Technology
macht sehr viel in diesem Bereich. Im Weiteren sind Dienstleistungen und Nischenprodukte
von Bedeutung. Die Schweizer Industrie macht 170 Millionen Franken Umsatz pro Jahr mit
Windenergie, was rund 350 Vollzeit-Arbeitsplätze bedeutet. Es ist wichtig, dass man diese
Zahl auch hört, wenn man sagt, dass wir nur die kleinen Anlagen haben. Windenergie ist ein
gutes Beispiel im Bereich Zulieferung. Ich sehe hier wirklich eine grosse Chance, dass es
analog zur Automobilindustrie, die es ja in der Schweiz nicht gibt, sehr viele Zulieferfirmen
gibt und somit da ein Potenzial vorhanden ist, das man weiterentwickeln muss.
11.7.1 Import von Windstrom
Ein Wort zum Import von Windstrom. Ich glaube analog zu den Bezugsrechten aus ausländischen Atomkraftwerken könnte man durchaus auch ausländischen Windstrom importieren.
Es besteht hier das Problem von genügend Stromleitungen, aber dieses Problem haben
auch die Deutschen, da die grossen Off-Shore-Windparks an Standorten sind, wo die Leitungen verstärkt werden müssen.
84
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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Eine Frage kann man hier natürlich stellen: soll die Schweiz – die ja einen sehr hohen CO2neutralen Anteil durch die Stromproduktion mit Wasserkraft hat – den Deutschen ihre Klimaschutzziele schwieriger machen, weil wir ihnen Windkraft abkaufen? Diese Fragen kann man
sicher diskutieren. Aber ich glaube, die Vision von einem europaweiten Verbundnetz mit HG,
also mit Gleichstrom und Übertragungsleitungen mit hoher Leistung kann man sicher haben.
Ich weiss, dass beispielsweise Bonvillepower von Columbia River, also ganz im Norden der
USA, über Tausende von Kilometern die Stadt Los Angeles versorgt mit solchen Leitungen.
Es ist also eine Technologie, die vorhanden ist und auch genutzt werden könnte.
11.7.2 Verhältnisse in der Schweiz
Aber ich möchte mich jetzt eigentlich auf die Nutzung der Windenergie in der Schweiz konzentrieren. In der Schweiz habe es zu wenig Wind, wird als Argument gegen die Windenergie immer wieder vorgebracht. Das theoretische Potenzial der Windenergie ist aber hierzulande sehr gross, wenn man unabhängig von Schutzgebieten nur Standorte anschaut die
über 4 1/2 m/s Windstärke im Jahresmittel haben, kommt man auf eine mögliche Stromproduktion von 21'600 GWh. Das ist relativ viel. Windenergie ist zu teuer, ist ein weiteres oft
gehörtes Gegenargument. Wir haben in der Schweiz heute Produktionskosten von etwa 16
bis 25 Rappen pro kWh, in der Zukunft wird es weniger sein. Wobei ich diese Zahlen relativieren möchte. Momentan sind die Anlagen rund 20% teurer als 2005. Ich möchte da keine
Prognose bezüglich der Entwicklung machen. Wenn Sie bereits zwei Jahre Lieferzeit haben,
so ist es natürlich der Hersteller, der die Preise diktiert, und nicht der Käufer.
Windenergie wird bekämpft, sagt man. Wir haben im Jahre 2002 telefonische Untersuchungen durchgeführt. Einerseits finden etwa 97% der Befragten die Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien sinnvoll, und doch immerhin 89% der Befragten finden es sinnvoll explizit die Windenergie in der Schweiz zu fördern. Nun sagen Sie vielleicht: Das ist schon gut,
aber diese Leute wohnen nicht neben einer Anlage, sonst würden sie eine ganz andere Meinung haben.
Bei einer Untersuchung im letzten Jahr wurden 500 Leute online und auf der Strasse befragt.
Diese Untersuchung ist sicher wissenschaftlich nicht fundiert. Aber man sieht, dass die Zustimmung zur Windenergie bei betroffenen Leuten grösser ist als bei nicht Betroffenen. Bei
der Kernenergie verhält es sich genau umgekehrt, wie diese Untersuchung gezeigt hat.
Welches sind die Gründe für die schleppende Entwicklung? Einerseits haben wir komplizierte Planungsverfahren. Es handelt sich bei der Windenergie um neue Inhalte für die Bewilligungsbehörden. Es gibt noch kein standardisiertes Vorgehen, wir haben natürlich demokratische Verfahren, Planung, Einsprachemöglichkeiten usw. Hier muss betont werden, dass der
Landschaftsschutz das kritische Element ist. Wir haben eine sehr aktive Stiftung für Landschaftsschutz, und wenn man ihren Jahresbericht liest, hat man das Gefühl, dass die Bedrohung der Landschaft in der Schweiz im Moment primär von der Windenergie ausgeht. Das ist
meines Erachtens nicht ganz begreifbar. Es ist wenig Bereitschaft für Kompromisse vorhanden, gegen fast jedes Projekt wird opponiert. Bis anhin war die Finanzierung nur über
Ökostrom-Modelle möglich, das sieht jetzt mit der kostendeckenden Vergütung anders aus.
85
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11.7.3 Konzept Windenergie Schweiz
Wir haben mit dem „Konzept Windenergie Schweiz“ im Jahr 2004 ein Konzept ausgearbeitet
und zusammen mit der Branche und Umweltorganisationen Kriterien festgelegt, dass wir mit
den Anlagen ausserhalb von Schutzgebieten bleiben, also nur Standorte wählen, die wirklich
gut bewindet sind, die nicht im Wald liegen, die eine gewisse Distanz zu Gebäuden haben
usw. Wir haben dann ein Modell ausgearbeitet das die möglichen Standorte in der Schweiz
aufzeigt, die diese Bedingungen erfüllen. Das Potenzial, das wir dann berechnet haben, beträgt 100 Gigawattstunden an zehn Standorten, die wir als prioritär bezeichnet haben. Diese
sind sofort realisierbar, mittelfristig sind 600 Gigawattstunden möglich, und bei einem Zeithorizont von 2020 – 2050 wären 4'000 Gigawattstunden problemlos möglich. Das ist auch der
Wert, den die AXPO in ihren Potenzialen ausweist.
Zur Bedeutung dieses Konzeptes: Wir haben mittels einer Vernehmlassung innerhalb der
Kantone 28 Windpark-Standorte mit 1. Priorität und 68 weitere Standorte ermittelt und beschrieben, die jetzt auch auf dem Internet publiziert werden. Wir haben ein interessantes
GIS-Tool erarbeitet. Einerseits haben wir eine Negativplanung gemacht, indem wir Kriterien
zur Nutzung der Windenergie festgelegt haben. Andererseits haben wir eine Positivplanung
gemacht, was etwas kompliziert ist. Wir sagen damit an welchen Standorten eine Windenergienutzung besonders gut ist. In der Wahrnehmung von verschiedenen Leuten ist das jedoch
kein ausgewiesener Standort im Windenergiekonzept. Es sind sehr wohl weitere Standorte in
der Schweiz möglich, die das Konzept nicht als prioritäre Standorte ausweist. Diese Standorte haben jedoch keinen ausschliessenden Charakter. Es gibt weitere Standorte, welche diese Kriterien erfüllen, insbesondere bei Einzelanlagen.
11.7.4 Netzregulierung
Zur Netzregulierung und zur Frage, wenn der Wind nicht bläst: Ich beziehe mich dabei auf
die relativ schwierigen Werbespots der AXPO, in denen man sich über die Situation lustig
macht, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht bläst. Konventionell kann man ja die
Anlagen regulieren. Wenn zu viel Wind bläst, kann man sie abstellen. Es gab beispielsweise
im Frühsommer einen Tag in Spanien mit sehr gutem Nordwind, an diesem Tag kamen 26%
der gesamten Stromproduktion von ganz Spanien aus der Windenergie, das konnte die
Branche dort regulieren. Dies ist eine neue Anforderung, aber diese Aufgabe ist zum Beispiel
durch Pumpspeicherkraftwerke machbar. Eine Energieversorgung mit einem sehr hohen
Anteil an erneuerbaren Energien hat einen höheren Regelungsbedarf.
Auf der andern Seite gibt es natürlich auch das Zusammenwirken verschiedenster Technologien. So hat Wind beispielsweise einen interessanten Jahresgang, im Winter bläst er beispielsweise stärker als im Sommer. Dann gibt es den Tagesgang der Sonne, der Jahresgang
der Biomasse usw. Wenn sehr viele Anlagen zusammenspielen, wird das auch wieder eine
ausgeglichenere Angelegenheit, als wenn man nur den Wind alleine anschaut.
Das Netz selbst kann man auch als Regulierungsgrösse verwenden, bis hin zu der Batterie
im Elektroauto. Ein Professor in Deutschland berechnete, dass eine Million Elektrofahrzeuge
etwa 7 Terawatt Regelenergie bereitstellen könnten. Das sind Visionen, aber ich denke man
muss auch daran arbeiten. "Given enough ants, you can move a mountain!" – das Kleinvieh
macht eben auch Mist, und man muss es intelligent einsetzen.
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
11.7.5 Positive Entwicklungen
Über das wegweisende Urteil des Bundesgerichts zum Windpark im Neuenburger Jura auf
dem Crèt Meuron sind wir sehr froh. Die Windenergie wird hier als Technologie akzeptiert,
die gefördert werden muss, unabhängig von der quantitativen Dimension. Die zentrale Aussage ist die, dass das Bundesgericht die nachhaltige Stromproduktion höher gewichtet hat
als einen absoluten Landschaftsschutzanspruch.
Eine weitere positive Entwicklung ist die kostendeckende Einspeisevergütung, die erst im
2008 in Kraft treten könnte. Wir sind da bei einer möglichen Vergütung von 15 bis 23 Rappen
pro Kilowattstunde, wobei das allenfalls noch korrigiert werden müsste, wenn die Anlagepreise sehr stark steigen.
In den Aktionsplänen von Bundesrat Leuenberger spielen die Erneuerbaren Energien, die ich
hier jetzt vertrete – also Sonne, Wind usw. – eine relativ kleine Rolle. Ich denke, die Windenergie muss nach wie vor in einem Aktionsplan einen Stellenwert haben. Das Konzept
Windenergie ist auf Bundesebene, die Planungseinheit ist jedoch auf der Kantonsebene. Die
Kantone sind also gefordert, diese Standorte, die jetzt einmal definiert wurden, im Rahmen
ihrer ordentlichen Richtplanung und Nutzungsplanungsverfahren umzusetzen. Dort geht es
dann im Rahmen dieser Verfahren um eine Interessensabwägung bezüglich Landschaftsschutz und erneuerbarere Energieproduktion. Dort sollen sich auch die Opponenten Gehör
verschaffen können. Zudem ist die finanzielle Unterstützung durch die Projektentwickler
möglich.
11.7.6 Akzeptanz
Ein Stichwort noch zur Akzeptanz: Wir differenzieren ja verschiedene Aspekte von Akzeptanz. Da ist einerseits die soziopolitische Akzeptanz der Windenergie. Es geht dort um die
breite Öffentlichkeit, die Stakeholders, die Politik usw., die halt bezüglich der hierzulande
noch nicht sehr bekannten Windenergienutzung aufgeklärt werden müssen. Ein wichtiger
Punkt ist die Gemeinschaftsakzeptanz, dass die Planungsverfahren angeschaut werden, weil
häufig die Leute, die die Anlage bauen, den Nutzen haben. Die Anlage steht häufig bei Bauern, die eher die Belastung haben. Um einen Ausgleich zu erreichen muss daran sicher noch
gearbeitet werden. Umfragen haben gezeigt, dass die Akzeptanz gegenüber der Windenergie generell sehr hoch ist. Eine telefonische Befragung aus dem Jahr 2002 ergab wie gesagt,
dass 89 % von 420 telefonisch interviewten Personen die Windenergie in der Schweiz fördern wollen!
Ein ebenso wichtiger Punkt ist die Marktakzeptanz der Windenergie, dass man also bei Firmen und Investoren das Vertrauen in die Technologie stärkt. Beispielsweise hat Vestas gewisse Schwierigkeiten gehabt, und das wirkte sich dann sofort auf die Akzeptanz aus. Für
mich ein ganz wichtiger Punkt ist, dass bei den Unternehmen der Strombranche eine Begeisterung für diese Technologie geweckt werden kann und dass dort dann wirklich Ernst mit der
Umsetzung gemacht wird. Die ersten Zeichen stimmen mich eigentlich recht positiv.
Der letzte Punkt ist die Qualitätssicherung. Ich glaube, die Branche ist jetzt gefordert, dass
gute Projekte realisiert werden. Wenn zwei, drei Projekte zu Streitigkeiten führen, die zur
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Folge haben, dass die Opposition noch stärker wird, wäre dies fatal. Deshalb müssen wir
wirklich gute Projekte realisieren.
Unsere Gegner sagen, dass wir den Jura respektieren müssen und grosse Windmühlen unästhetisch und wenig effizient sind. Das Resultat könnten punktuell dann auch kleinere Anlagen, gekoppelt mit Biomasseenergie sein – das würde vielleicht auch etwas das Regelproblem lösen.
11.8
Zusammenfassung
Die Windenergie ist:
•
Ein Baustein einer nachhaltigen Entwicklung
•
Ein substantieller Beitrag zur Energieversorgung
•
Technologisch innovativ, spezifisches know how ist vorhanden
•
Partizipation an einem boomenden Weltmarkt: Heimmarkt ist wichtig
•
Das Schaffen von raumplanerischen Rahmenbedingungen ist notwendig
Ich habe mit Freude vom geplanten Windpark auf dem Gotthard vernommen. Es wäre sehr
schön, wenn dieses Projekt realisiert werden könnte. Es wäre vom Technischen, von der
Herausforderung her ein sehr schönes Projekt. Für mich ist die Windenergie ein wichtiger
Baustein einer nachhaltigen Entwicklung. Sie kann einen substanziellen Beitrag zur Energieversorgung leisten. Wir können die Schweiz nicht vollständig mit Windenergie versorgen,
aber sie kann einen wesentlichen Beitrag leisten. Ich glaube, es ist technologisch innovativ,
und es ist in der Schweiz spezifisches Know-how vorhanden, dieses muss weiter gefördert
werden. Die Partizipation in einem boomenden Weltmarkt macht einen Heimmarkt notwendig, dies ist meines Erachtens wichtig. Wir müssen die raumplanerischen Rahmenbedingungen schaffen, sie sind notwendig. Einige Kantone, wie beispielsweise der Kanton Luzern,
sind da vorangegangen und haben entsprechende Standorte ausgewiesen. Das ist eine sehr
erfreuliche Entwicklung.
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
12
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Dirk Uwe Sauer: Infrastrukturbedarf und Speicherung elektrischer
Energie unter Berücksichtigung des Mobilitätssektors bei hohem
Anteil erneuerbarer Energien
Prof. Dr. rer. nat. Dirk Uwe Sauer
Juniorprofessur für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik
RWTH Aachen
Jägerstrasse 17/19
D-52066 Aachen
[email protected]
12.1
Kurzfassung
Um die globale Klimaerwärmung auf 2°C zu begrenzen, ist ein radikaler Umbau des Energieversorgungssektors notwendig. Die CO2-Emissionen pro Kopf müssen z.B. in Deutschland auf weniger als 10% des heutigen Wertes gesenkt werden. Dies kann erreicht werden,
wenn als Endenergieträger Strom aus CO2-freier Produktion, Gas mit hohem Biogas- oder
Wasserstoffanteil, flüssige Biotreibstoffe und Wärme aus solaren und geothermischen Quellen eingesetzt werden. Die Betrachtung verschiedener Bereiche des urbanen Energieverbrauchs zeigt, dass die Umstellung ohne die Errichtung neuer, paralleler Energieverteilungsinfrastrukturen möglich ist und dabei eine hohe Effizienz des Energieeinsatzes erreicht wird.
Die intelligente Doppelnutzung von Infrastruktur (z.B. Batteriespeicher in Fahrzeugen oder
Blockheizkraftwerke mit Wärmespeicher) zusammen mit Energiemanagement- und Kommunikationssystemen ermöglichen auch die Integration von großen Mengen Stroms aus fluktuierenden Stromerzeugern wie Wind und Sonne. Insgesamt wird die hohe Bedeutung von
Strom im zukünftigen Energieversorgungssystem deutlich. Selbst bei Realisierung von Einsparpotentialen von 50% in Bezug auf den Gesamtenergieverbrauch, ist beim Strom auch in
absoluten Zahlen mit einem Anstieg zu rechnen. Alle Techniken und Systemkonzepte, die
eine direkte Nutzung von Strom vorsehen, werden durch die hohe Gesamteffizienz der
Energienutzung erhebliche Systemvorteile erlangen.
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
12.2
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Einleitung
Dieser Beitrag untersucht, welche Anforderungen an die Energieversorgungsinfrastruktur im
urbanen Bereich gestellt werden, wenn die durch die globale Klimaerwärmung gebotenen
Maßnahmen ergriffen werden. Dabei basieren die Analysen auf der Betrachtung der Ziele,
die erreicht werden müssen, um die globale Klimaerwärmung in für die Menschheit akzeptablen Grenzen zu halten. Dazu wird die durch die verschiedenen Klimamodelle vorgegebene maximale CO2-Konzentration in der Atmosphäre im Zieljahr 2050 betrachtet und daraus
Rückschlüsse auf die Entwicklung der Energieversorgungsstruktur gezogen. Dieser Ansatz
unterscheidet sich von den Studien, die typischerweise von der bestehenden Infrastruktur
und dem heutigen Energiemix ausgehen und dann unter Annahme von Zubau- oder Änderungsraten bei Kraftwerken und Energieträgernutzung Szenarien für die Zukunft zeichnen.
Diese Ansätze sind nur begrenzt hilfreich, wenn man von der Grundthese ausgeht, dass es
durch die Emission von CO2 und anderen Treibhausgasen zu einer Erwärmung der Erde und
in der deren Folgen zu erheblichen Schäden und Beeinträchtigungen kommt. Wenn man
davon ausgeht – und der aktuelle Klimabericht der Vereinten Nationen sowie der ganz überwiegende Teil der wissenschaftlichen Untersuchungen lassen daran keinen Zweifel –, dass
dies so ist, dann muss von der zu erreichenden Zielvorgabe rückwärts gerechnet werden
und die daraus resultierenden Maßnahmen ergriffen werden.
Nach der Diskussion der zu erreichenden Ziele bzgl. der CO2-Emissionen und den sich daraus ableitenden Konsequenzen für die Energieversorgung, die bis Mitte des 21. Jahrhunderts umgesetzt werden müssen, werden unterschiedliche Lebensbereiche im urbanen Umfeld betrachtet. Für die Bereiche Hausenergieversorgung (Wohnhäuser sowie große Funktions- und Bürogebäude), Öffentlicher Personennahverkehr und Individualverkehr wird untersucht, wie sich der Wandel der Endenergieträger auf die Versorgungsinfrastruktur (Strom,
Wärme, Gas) auswirkt und welche Konsequenzen in der Endenergienutzung sich aus dem
geänderten Energieträgermix ergeben.
Eine zentrale Frage ist dabei die Speicherung von Energie, die bei sich erhöhenden Anteilen
erneuerbarer Energien mit fluktuierendem Erzeugungsprofil (insbesondere Sonne und Wind)
notwendig wird. Neben einer Diskussion verschiedener Optionen für die Energiespeicherung
werden insbesondere die Synergien betrachtet, die sich durch die Einführung von batterieunterstützten oder batteriebetriebenen Fahrzeugen für den Individualverkehr ergeben. Es
wird gezeigt werden, dass die Einführung von Plug-in-Hybriden mit einer rein elektrischen
Reichweite im Bereich von 30 bis 70 km sowohl die CO2-Emissionen im Individualverkehr
erheblich reduziert und gleichzeitig erhebliche zusätzliche Speicherkapazität ins Netz gebracht wird. Dies führt zu einem Zusammenwachsen und wechselseitigen positiven Abhängigkeiten zwischen dem Energieversorgungs- und dem Mobilitätssektor. Ein weiteres Beispiel für den intelligenten Einsatz von Speichern sind Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen mit
thermischen Speichern, die dadurch betrieben werden können, wenn Bedarf an Strom im
Netz besteht. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, die KWK-Anlagen zentral so einzusetzen,
dass Angebots- und Nachfrageschwankungen ausgeglichen werden können und gleichzeitig
der Vorteil der hohen Gesamteffizienz durch Nutzung der Wärme weiter gegeben bleibt. Intelligente Energieversorgung der Zukunft wird im hohen Maße von solchen Synergien geprägt sein, um einerseits Energie und Ressourcen optimal zu nutzen und andererseits die
Kosten in verträglichen Grenzen zu halten.
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Dieser Beitrag will bewusst nicht mit detaillierten Zahlen oder durchgerechneten Modellen
spielen. Die Notwendigkeit für einen grundlegenden Umbau wird durch einfache Betrachtung
von grundlegenden Zahlen klar und die Komplexität der Berechnungen beschränkt sich in
der Regel auf Dreisätze. Der Beitrag wird zeigen, dass es auf Details bei der Zusammensetzung des Kraftwerkspark bei der Betrachtung der notwendigen Infrastruktur nicht ankommt.
Auch wird keine ökonomische Betrachtung angestellt. Es ist davon ausgehen, dass ein
Nichtbeschreiten des Weges viel teurer als der skizzierte Umbau der Energieversorgung ist,
wobei die weltweiten Verwerfungen und Konflikte, die sich durch Umsiedlungsnotwendigkeiten in Folge steigender Meeresspiegel und überschwemmter oder vertrockneter Gegenden
ergeben, noch gar nicht berücksichtigt sind.
12.3
Ziele der Klimapolitik
Die auf Klimamodellen basierenden Vorhersagen für den weltweiten Temperaturanstieg zeigen mit hoher Evidenz, dass ein Temperaturanstieg von 2°C gegenüber dem Beginn der 20.
Jahrhunderts nur dann nicht überschritten wird, wenn die CO2-Konzentration der Atmosphäre
450 ppm nicht überschreitet. Aus den Klimamodellen geht des Weiteren hervor, dass diese
Konzentration dann nicht überschritten wird, wenn der globale Ausstoß von anthropogenen
CO2 auf etwa 10 Gto/Jahr begrenzt wird. Natürlich sind die Aussagen mit Unsicherheiten
behaftet, die sich aus den sehr komplexen Wechselwirkungen der Atmosphäre, der Geosphäre und der Biosphäre ergeben. Es ist allerdings festzustellen, dass die Vorhersagen der
Klimamodelle in den letzten 15 Jahren im Mittel alle eingetroffen sind. Wenn signifikante Abweichung festzustellen sind, dann in fast allen Fällen derart, dass die vorhergesagten Änderungen schneller als vorhergesagt eingetreten sind. Es gibt also keine begründeten Zweifel
daran, dass die durch die Klimamodelle errechneten Werte von der Menschheit als Ganzes
sehr ernst genommen werden müssen.
Das Ziel einer Begrenzung der Erwärmung auf 2°C selber ist eine politische Entscheidung,
die einen Kompromiss zwischen dem technisch machbaren und den zu erwartenden Schäden darstellt. Die europäischen Regierungschefs und auch der UN-Klimabericht geben diesen Wert als notwendige Zielgröße vor.
Geht man von diesem Ziel aus, lässt sich daraus das persönliche Emissionsrecht für jeden
einzelnen Menschen für das Jahr 2050 aus den Klimamodellen ableiten. Berücksichtigt man
den für 2050 prognostizierten Anstieg der Weltbevölkerung auf etwa 10 Milliarden Menschen, ergibt sich daraus ein persönliches Emissionsrecht von 1 to CO2 pro Kopf. Im weltweiten Mittel werden heute 4 to CO2 pro Kopf emittiert, in Deutschland sind es 11 to und in
den USA nahezu 20 to. Auch in China werden im Mittel bereits 4 to CO2 pro Kopf emittiert
und wenn man davon ausgeht, dass der Energieverbrauch überwiegend auf etwa
500 Millionen Menschen in den industriellen Zentren zurückgeht, während rund 800 Millionen
Menschen in ländlichen Gebieten nur einen geringen Anteil daran haben, lässt sich erkennen, dass der Energieverbrauch pro Kopf hier auch bereits das Niveau der OECD-Länder
erreicht hat.
Da es keine moralische oder technische Begründung dafür gibt, dass in einigen Jahrzehnten
Menschen in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich viele Emissionsrechte haben, muss
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
man davon ausgehen, dass auch in den OECD-Ländern die Emission auf das mittlere Niveau in der Welt gesenkt werden muss. In der Konsequenz heißt dies, dass die CO2Emissionen auf 1 to pro Jahr und Kopf bis 2050 abgesenkt werden muss. Das bedeutet z.B.
für Deutschland eine Reduktion auf weniger als 10% und für die Schweiz auf etwa 15% der
heutigen Niveaus2. Führt man sich diese Zahlen vor Augen, wird deutlich, dass es nicht um
graduelle Veränderungen der Energieverbrauchs im Vergleich mit heute geht, sondern um
eine grundlegende Änderung. Diese wird erzwungen durch die Auswirkungen der gegenwärtigen Nutzungsweise von fossilen Energieträgern. Da weltweit gesehen davon auszugehen
ist, dass der Gesamtenergieverbrauch gegenüber heute auch bei Nutzung von Energieeffizienzpotentiale durch das globale Bevölkerungswachstum und der Entwicklung von heute
noch unterentwickelten Gegenden, weiter ansteigt, wird die begrenzte Verfügbarkeit von
fossilen Energieträger zu akzeptablen Preisen diesen Wandel zusätzlich vorantreiben.
Alle weiteren Betrachtungen basieren also auf den folgenden drei Axiomen:
1. Der Anstieg der globalen Temperatur soll 2°C nicht überschreiten.
2. Um dies zu erreichen, muss die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf 450 ppm
beschränkt werden.
3. Bei einem Anstieg der Weltbevölkerung auf 10 Milliarden Menschen in 2050 steht jedem Mensch ein Emissionsrecht von einer Tonne CO2 pro Jahr zu, um das 2. Axiom
erfüllen zu können.
12.4
Energieträgermix unter Berücksichtigung der Klimaziele
Basierend auf den vorhergehenden Betrachtungen ist die Frage zu beantworten, wie eine
derart drastische Reduktion der CO2-Emissionen erreicht werden kann und welche Folgen
sich daraus für die Energieversorgungsinfrastrukturen ergeben. Skizziert werden hier Szenarien am Beispiel Deutschland für den Zeitpunkt, an dem das Ziel einer Reduktion der CO2Emission auf 10% des heutigen Wertes erreicht sein muss. Es ist klar, dass es auf dem Weg
dorthin auch noch Übergangstechniken gibt, die hier nicht beschrieben werden. Auch werden
von den Szenarien nur einige Aspekte erfasst und andere Bereiche (z.B. Gütertransport)
nicht diskutiert. Allerdings würden sich bei Einbeziehung aller Sektoren der Energienutzung
keine wesentlichen Änderungen in den zentralen Aussagen ergeben.
Eine Reduktion der CO2-Emissionen auf 10% des heutigen Wertes kann im Wesentlichen
gleich gesetzt werden mit der Forderung nach einer weitgehend CO2-freien Energieversorgung. Daher wird im Folgenden davon ausgegangen, dass für die gesamte Energie-
2
Wie vertragen sich damit die Aussagen deutscher und europäischer Politiker, die gleichzeitig einen Temperaturanstieg von 2°C propagieren und eine Absenkung der CO2-Emissionen um 50% gegenüber dem Stand 1990
als dafür ausreichend erachten? Erklärt werden kann das nur, wenn man das zu erwartende Bevölkerungswachstum außer Acht lässt und gleichzeitig von einer Aufrechterhaltung des heutigen Ungleichgewichts im pro-KopfVerbrauch, ausgeht. Würden alle Länder ihre CO2-Emissionen gegenüber dem Stand von 1990 um 50% senken,
kommt man auf einem Jahresausstoß von 10 Gto CO2 sehr nahe. Wie aber dargelegt wurde, sind beide Annahmen falsch. Bleibt nur der Schluss, dass die Politik heute noch nicht bereit ist, Bevölkerung und Wirtschaft mit
der ganzen Wahrheit zu konfrontieren.
92
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
versorgung eine CO2-freie Option vorhanden sein muss. Eine Restnutzung von z.B. Erdgas
und Öl ändert an den Ansätzen nichts.
Selbstverständlich müssen alle Potentiale zur Effizienzsteigerung ausgenutzt werden. Verschiedene Studien zeigen, dass eine Verdoppelung der Energieeffizienz möglich ist. Dabei
ist das Einsparungspotential in verschiedenen Bereichen unterschiedlich groß, es müssen
aber auf jeden Fall alle möglichen Anstrengungen unternommen werden.
Als Energieträger für den Endnutzer können in einer quasi-CO2-freien Energieversorgung
Strom, Wärme, Gas und Treibstoffe zum Einsatz kommen. Dabei wir davon ausgegangenen,
dass eine effiziente CO2-Abscheidung und Lagerung beim Endverbraucher (z.B. Fahrzeug)
nicht möglich ist.
Eine CO2-freie Stromerzeugung kann grundsätzlich über die Nutzung erneuerbarer Energien
wie Wind, Photovoltaik, Solarthermische Kraftwerke, Wellen- und Strömungsenergie, Geothermie, Wasserkraft oder Biomasse erfolgen. Kohle- und Erdgaskraftwerke können nur
beim Einsatz einer CO2-Abscheidung (Sequestrierung) eingesetzt werden. Derzeit untersuchte Konzepte sehen dabei vor, dem Abgasstrom das CO2 zu entziehen, dieses zu verflüssigen und dann in geeigneten geologischen Formationen zu lagern. Das Konzept ist nicht
unumstritten, da die Verfügbarkeit ausreichender Entlager für das CO2 und die notwendige
Infrastruktur für den Transport des CO2 sehr unterschiedlich bewertet werden. Zudem gehen
im Kraftwerksprozess rund 10%-Punkte Wirkungsgrad verloren, was wiederum einen erhöhten Einsatz fossiler Energieträger nach sich zieht. Kernspaltung und Kernfusion stellen weitere Optionen da3. Dabei sind Zeitpunkt und Kosten für die zivile Nutzung der Kernfusion noch
völlig unklar. Sicher scheint, dass sehr große Kraftwerkseinheiten notwendig sind, um eine
positive Energiebilanz zu erzielen. Für die Wirtschaftlichkeit werden hohe Hürden gesetzt
sein. Windstrom wird an guten deutschen Standorten heute bereits zu rund 6 ct/kWh gewonnen und wird in den nächsten Jahrzehnten sicher noch deutlich geringer.
Erdgas stellt heute in Bezug auf die CO2-Emissionen die effizienteste Nutzung von fossilen
Energieträgern da. Daher wird in vielen Szenarien eine Umstellung auf Gas anstelle von Öl
3
Der Einsatz der Kernspaltung ist aus politischen Gründen in einigen Ländern heftig umstritten und in Deutschland ist der Ausstieg aus der Nutzung der Kernkraft gesetzlich beschlossen. Diskussionen laufen über die Verlängerung der Laufzeiten und werden wahrscheinlich auch in den nächsten Legislaturperioden noch von Relevanz bleiben. Unabhängig von der politischen Bewertung stellt sich aber die Frage nach der Wirtschaftlichkeit
und damit der Konkurrenzfähigkeit mit anderen Stromerzeugungstechnologien. Dazu ist es interessant, den derzeit laufenden Neubau des AKWs in Finnland zu betrachten. Bei einer geplanten Nennleistung von 1,4 GW sind
ursprünglich Kosten von 3,4 Milliarden Euro geplant gewesen. Durch verschiedene Maßnahmen insbesondere
im Sicherheitsbereich ist von einer Kostensteigerung von mindestens 40% und einer Bauzeitverzögerung von 2
Jahren auszugehen. Geht man also von 3,4 Milliarden Euro plus 40% bei einer Bauzeit von 5 Jahren und 8000
Volllaststunden im Jahr aus, dann kann man durch eine einfache Kapitalrechnung bestimmen, welcher Strompreis mindestens erzielt werden muss, um das Investment bei einem Kapitalzinssatz von 8% zu refinanzieren.
Geht man von einem Abschreibungszeitraum von 20 Jahren aus, betragen die Stromkosten etwa 5,1 ct/kWh, bei
30 Jahren Abschreibung sind es noch gut 4,4 ct/kWh. Derart lange Abschreibungszeiträume werden in den liberalisierten Märkten als zu großes Risiko angesehen, so dass die Investition wohl ohne staatliche Absicherung so
oder so nicht stattfinden würde. In den oben genannten Preisen sind keinerlei Betriebskosten, keine Aufwendungen für den Brennstoff und dessen Endlagerung, keine Versicherungsprämien und keine Rücklagen für den
Rückbau inbegriffen. Daraus wird schnell deutlich, dass die Kernspaltung – abgesehen vom nuklearen und
Proliferationsrisiko, der Endlagerungsfrage und der stark begrenzten Verfügbarkeit von Kernbrennstoffen –
kaum die oftmals propagierte um Längen günstigere Technologie darstellt und zudem sehr fraglich ist, wer das
ökonomische Risiko der Investitionen trägt. Nur ein massiver Wiedereinstieg des Staates in die Finanzierung
dieser Technologie könnte diese Betrachtung grundlegend ändern.
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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oder Kohle angestrebt. Dabei steht allerdings auch in Frage, inwieweit die steigende Erdgasnachfrage gedeckt werden kann. Die vorhandene Gasinfrastruktur kann aber weiter genutzt werden und ohne Technologiesprung durch die Zumischung von Biogas und Wasserstoff hin zu einem CO2-freien Energieträger weiterentwickelt werden. Der Vorteil liegt auf der
Hand. Auf der Seite der Endgeräte sind lediglich langfristig bei höher werdendem Anteil von
Wasserstoff Änderungen notwendig, ansonsten können Endgeräte und Infrastruktur weiter
genutzt werden. Biogas kann dezentral erzeugt und nach Aufbereitung ins Gasnetz eingespeist werden. Wasserstoff könnte durch zentrale Reformierung aus fossilen Energieträgern
gewonnen werden und das anfallende CO2 analog zu den „CO2-freien“ fossilen Kraftwerken
sequestriert werden. Langfristig ist die Erzeugung von Wasserstoff aus Stromüberschüssen
aus CO2-freier Produktion durch Elektrolyse oder die direkte Erzeugung von Wasserstoff aus
z.B. biologischen oder photo-chemischen Prozessen die einzig nachhaltige Option. Damit
kann Gas mit einer sich im Laufe der Jahre wechselnden Zusammensetzung als Energieträger für zukünftige Energiesysteme eingeplant werden. Wenn im Weiteren von „Gas“ gesprochen wird, ist immer die beschriebene Mischung mit einem langfristig zu null gehenden Erdgasanteil gemeint.
Flüssige Kraftstoffe sind für mobile Anwendungen für mittlere bis große Distanzen eine Notwendigkeit, auf die aus heutiger Sicht auch langfristig nicht verzichtet werden kann. Dazu
gehören z.B. auch Schiffe, Flugzeuge, Güterverkehr auf der Strasse oder lange Autofahrten.
Flüssige Treibstoffe können z.B. flüssiges Gas der oben genannten Zusammensetzung, flüssiger Wasserstoff und insbesondere synthetische Biokraftstoffe der 2. Generation (BTL) sein.
Dabei nehmen insbesondere die Biokraftstoffe eine zentrale Stellung ein. Im Gegensatz zu
den heutigen Pflanzenölen oder Alkoholen, die zu Monokulturen und schlechter Effizienz
führen, versprechen die „biomass to liquid (BTL)“-Prozesse eine deutlich höhere Effizienz
(bis Faktor 4) und eine flexible Nutzung von Biomasse aller Art4.
Niedertemperaturwärme kann im Gebäudebereich passiv durch die Sonneneinstrahlung,
aktiv durch Wärmekollektoren, durch Oberflächen- und Tiefengeothermie oder durch Biomasse5 bereitgestellt werden. Passive Maßnahmen sind z.B. geeignet ausgerichtete und
dimensionierte Fensterflächen. Die Geothermie, ggf. in Kombination mit Wärmepumpen
kann kontinuierlich Wärme sowohl für Heizungssysteme als auch über Absorptionskältemaschinen Kälte zur Verfügung stellen.
4
Die Biomasse wird oftmals als nicht ausreichend und als in Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion
gesehen. Dabei ist klar festzustellen, dass die heutige Art der Biotreibstoffproduktion in der Tat keine langfristige Zukunft haben darf. Zentrale Voraussetzung sind die BTL-Prozesse, die auch Restbiomasse verarbeiten können. Flächemässig stehen alleine in Deutschland 10 bis 15 Prozent der landwirtschaftlichen Anbauflächen, die
derzeit mit Mitteln der Europäischen Gemeinschaft stillgelegt sind, zur Verfügung. Die Waldflächen werden
durch die hohe Nachfrage nach Holzpellets und Holzhackschnitzel bereits intensiv genutzt. Aber auch hier sind
noch Steigerungen möglich. Global gesehen gibt es ein sehr großes Potential und insbesondere aus der Biotechnologie sind Pflanzen zu erwarten, die mit minimalen Ansprüchen an Kunstdünger und brackigem oder salzigem
Wasser gezogen werden können. So wie für die technischen Energiewandler für Wind und Sonne ist auch im
Bereich der Biomasse Forschung & Entwicklung notwendig. An Flächenressourcen wird dann kein Mangel
herrschen.
5
Verschiedentlich wird argumentiert, dass Biomasse kein CO2-freier Energieträger sei, da bei der Verbrennung
CO2 frei wird. Dies ist insofern richtig, als lokal natürlich CO2 frei gesetzt wird. Da das CO2 aber aus einem
geschlossenen Kreislauf mit dem Pflanzenwachstum der Atmosphäre entnommen worden ist, führt dies nicht zu
einer Erhöhung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre und damit auch nicht zu einer globalen Erwärmung.
Die Nutzung von Biomasse ist in diesem Sinne absolut nachhaltig.
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Grundsätzlich ist aus Effizienzgründen die Zahl der Energiewandlungsprozesse immer auf
ein Minimum zu beschränken. Liegt Strom vor, sollte eine Umwandlung in chemische Energieträger, insbesondere Wasserstoff, nur stattfinden, wenn eine direkte Nutzung des Stroms
nicht möglich ist.
Eine Beschränktheit der erneuerbaren Quellen in Summe zur Deckung des heutigen und des
absehbaren Energiebedarfs in den kommenden 50 bis 100 Jahren ist in keiner Weise zu
erkennen. Das Verhältnis zwischen der von der Sonne auf die Erde eingestrahlten Energie
und des derzeitigen Primärenergiebedarfs beträgt 15.000! Selbst bei einem Wandlungswirkungsgrad von 1% werden weniger als 1% der Erdoberfläche für die Energieernte benötigt.
Es entbehrt jeder Grundlage, wenn behauptet wird, dass erneuerbare Energien nicht in ausreichender Menge bereitgestellt werden können.
Zusammenfassend kann von folgenden Energieträgern für die Endnutzer für eine CO2-freie
Zukunft ausgegangen werden:
•
Strom
•
Gas
•
Flüssiger Kraftstoff
•
Wärme
Für die weiteren Betrachtungen sind die Anteile der verschiedenen oben diskutierten Technologien z.B. zur Stromerzeugung nicht von Bedeutung, sofern sie die Randbedingung der
CO2-Freiheit erfüllen.
12.5
Energienutzung und Infrastrukturbedarf in urbanen Gebieten in 2050
Im Folgenden sollen vier Bereiche des Energieverbrauchs im urbanen Bereich betrachtet
werden6. Dabei werden Änderungen des Energiebedarfs, der eingesetzten Endenergieträger
sowie der damit einhergehenden Konsequenzen für die Versorgungsinfrastruktur diskutiert.
Auch hier sei noch mal darauf hingewiesen, dass verschiedene Techniken auf dem Weg zur
Erreichung des Ziels Einsatz finden werden, die am Ende keine eigenständige Rolle mehr
spielen7. Betrachtet wird der Zustand im Jahr 2050, wobei viele Aspekte wesentlich früher
realisiert werden können und werden.
6
Weitere, hier nicht diskutierte Bereiche, in denen große Mengen Energie verbraucht werden, sind z.B. der Gütertransportsektor, der Flugverkehr und die Industrie. Es kann aber davon ausgegangenen werden, dass der Energiebedarf aller Sektoren durch Gas, Strom und flüssiger Treibstoffe ebenfalls gedeckt werden kann. Bei allen
Energieträgern handelt es sich um hochwertige Endenergieträger, mit deren Hilfe alle Prozesse betrieben werden
können.
7
Zu Übergangstechnologien, die auf dem Weg nach 2050 eine wichtige Rolle spielen können, gehören z.B. die
Steigerung der Effizienz konventioneller Kohlekraftwerke, die Einführung von benzin- und dieselsparenden
Fahrzeugen auf Basis von Hybridfahrzeugen oder effizienteren Motoren und Fahrzeugkonzepten oder die Nutzung von Brennstoffzellen als BHKW’s in Einzelwohnhäusern. Langfristig aber, kann es Kohlekraftwerke nur
noch geben, wenn die CO2-Sequestrierung funktioniert, Benzin und Diesel wird für Fahrzeuge nicht mehr zum
Einsatz kommen und BHKW’s in Einzelhäusern machen in Folge des geringen Wärmebedarfs bei konsequenten
Wärmedämmmaßnahmen keinen Sinn mehr. Damit sollen diese Techniken ausdrücklich nicht abqualifiziert
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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12.5.1 Öffentlicher Personennahverkehr
Für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gibt es eine Reihe von Optionen, die zu
einem CO2-freien Betrieb führen. Davon sind viele heute bereits realisiert oder wurden in
manchen Städten früher bereits betrieben und dann zurückgebaut. Dazu gehören die Strassen-, U- und S-Bahnsysteme ebenso wie oberleitungsgebundenen Busse, wie sie heute in
Deutschland nur noch an weniger Orten zu finden sind. Diese Systeme greifen alle direkt auf
Strom zurück.
Weitere Optionen für leitungsungebundene Fahrzeuge sind Brennstoffzellen aber auch batteriebetriebene Fahrzeuge. In letzterem Fall können Systeme mit Schnellladeoption interessant sein, bei denen an jeder Haltstelle und den Endpunkten der Strecken die Speicher bei
hohen Ladeleistungen nachgeladen werden können.
Der notwendige Infrastrukturbedarf liegt hier je nach Option in den Schienenwegen, den
Oberleitungen oder den Hochleistungsladestationen. Hochtemperaturbrennstoffzellen können in den Betriebshöfen mit Gas, Niedertemperaturbrennstoffzellen mit Wasserstoff oder
Alkoholen betankt werden. Die Herausforderungen liegen hier also weniger in der Energieversorgung, sondern den städtebaulichen Maßnahmen für die ÖPNV-Infrastruktur.
12.5.2 Individual-Personenverkehr
Um die persönliche Mobilität in ähnlicher Weise wie heute aufrecht zu erhalten, sind neue
Antriebssysteme oder Kraftstoffe notwendig. Wie oben ausgeführt wurde, steht in einer CO2freien Energiewirtschaft insbesondere Strom zur Verfügung, der wenn immer möglich direkt
ohne Wandlungsprozesse eingesetzt werden sollte. Die Umwandlung von Strom z.B. in den
Energieträger Wasserstoff zum Betrieb von Brennstoffzellen ist mit erheblichen Energieverlusten verbunden. Elektrolyse und Kompression oder Verflüssigung verbunden mit Rückwandlung in Strom in einer Brennstoffzelle bedeutet Verluste in Summe von wenigstens 2/3
der eingesetzten elektrischen Energie. Daher sind batteriegetriebene Fahrzeuge sowohl in
Bezug auf die lokalen Emissionen als auch die Gesamteffizienz der Energienutzung natürliche Lösungen. Da Batterien relativ hohe Kosten und auch Gewicht mit sich bringen, ist es
sinnvoll, Strom vor allem für Distanzen unter 100 km einzusetzen. Dies ist aber völlig ausreichend für alle Stadtfahrten und mehr als 90% aller Fahrten die durchgeführt werden. Die
mittlere statistische Fahrleistung von Fahrzeugen in Deutschland beträgt weniger als
40 km/Tag.
Plug-in Hybrid-Fahrzeuge sind eine Option, die sowohl das Fahren mit elektrischer Energie
im Bereich von 30 bis 70 km am Tag als auch das Fahren über lange Distanzen ermöglicht.
Dazu wird ein elektrischer Antrieb mit Batterie kombiniert mit einem Verbrennungsmotor, der
werden. Sie werden nötig sein, um einen schnellen Einstieg in die CO2-Senkung zu ermöglichen und die notwendigen Zwischenziele zu erreichen. Viele der Übergangstechnologien werden aber auch wichtige Grundlagen
für die Zukunft schaffen. Sparsame Verbrennungsmotoren werden auch bei der Nutzung von biomassebasierten
Treibstoffen gebraucht, die Senkung des spezifischen Energiebedarfs von Fahrzeugen führt zur Erhöhung der
Gesamteffizient und größere Brennstoffzellen-BHKWs werden in Funktions- und Verwaltungsgebäuden sowie
der Industrie bei Nutzung von Biogasen oder Wasserstoff Einsatz finden. Wichtig ist dabei nur, dass die Übergangstechnologien sich bereits in den langfristigen Infrastrukturbedarf einfügen. Die Einführung von flächendeckenden Wasserstofftankstellen wäre z.B. nur sinnvoll, wenn langfristig ein realistisches Szenario für wasserstoffbetriebene Fahrzeuge existieren würde.
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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entweder zum Antrieb eines Stromgenerators oder zum direkten mechanischen Vortrieb des
Fahrzeugs verwendet werden kann. Dadurch kann eine unveränderte Mobilität aufrechterhalten werden. Der Verbrennungsmotor wird dann mit flüssigen Biokraftstoffen (BTL) betrieben,
so dass der Gesamtbetrieb CO2-frei wird. Grundsätzlich kann der Verbrenn-ungsmotor auch
durch eine Brennstoffzelle oder durch einen anderen Stromgenerator ersetzt werden. Hier
wird es einen Wettbewerb der Konzepte und Technologien geben.
Die Batterien der Plug-in Hybride werden aus dem Stromnetz nachgeladen. Bei einer Batteriekapazität von 10 kWh kann das Fahrzeug 50 bis 70 km fahren. Die Nachladung kann mit
Ladegeräten von 5 kW erfolgen, die ohne Änderungen der Infrastruktur in jedem Haushalt
angeschlossen werden können. Auch ein bidirektionaler Energiefluss ist basierend auf der
bestehenden Infrastruktur möglich. So können heute in Deutschland z.B. Photovoltaikanlagen bis 4,6 kW einphasig ans Netz angeschlossen werden und entsprechende
Einspeiseleistung bereitstellen. Allerdings werden auch Nachladestationen an öffentlichen
oder Unternehmensparkplätzen benötigt, um z.B. während der Arbeit oder dem Stadtbummel
die Batterie wieder aufzuladen und gleichzeitig die Batterie auch für die Netzregelung nutzen
zu können (siehe auch Kapitel 12.6). Neben den elektrischen Anschlusspunkten müssen die
flüssigen Biokraftstoffe oder auch Druckgas bereitgestellt werden. Dies kann aber ohne großen Aufwand über das bestehende Tankstellennetz erfolgen.
12.5.3 Einzelwohnhäusern
Wohnhäuser werden im Jahr 2050 eine sehr gute thermische Isolierung haben, so dass der
thermische Energiebedarf für die Heizung sehr gering sein wird. Heute schon lassen sich so
genannte Dreiliter-Häuser oder gar Null-Energie-Häuser bauen. Es ist mehr als realistisch
von einem thermischen Energiebedarf von weniger als 20 kWh pro m2 Wohnfläche und Jahr
auszugehen. Diese Energie kann durch ein oberflächennahes Wärmepumpensystem bereitgestellt werden. Bei einer Arbeitszahl von 4 wird dabei für die Beheizung einer Wohnfläche
von 120 m2 600 kWh elektrische Energie für die Wärmepumpen gebraucht. Der Einsatz einer
Gas- oder Ölheizung ist unter diesen Bedingungen nicht sinnvoll. Warmes Wasser wird zu
einem hohen Anteil über thermische Solarkollektoren bereitgestellt.
Der elektrische Energiebedarf für die heutigen durch Strom bereitgestellten Energiedienstleistungen wird sich gegenüber dem heutigen Stand problemlos auf 50% der heutigen Werte
senken lassen. Statistisch verbraucht ein 4-Personenhaushalt heute in Deutschland etwa
3500 kWh elektrische Energie. Geht man von einem Auto mit Plug-in-Hybrid-Konzept aus
(siehe oben) und einer Fahrleistung von 12.000 km elektrisch bei einem Verbrauch von
10 kWh/60 km aus, benötigt der Haushalt 2000 kWh elektrische Energie für den Betrieb eines Fahrzeugs. Addiert man den „konventionellen“ Stromverbrauch, das Einsparpotential,
die zusätzliche Wärmepumpe und ein Elektroauto, dann resultiert ein Anstieg des Strombedarfs des Modellhaushalts um etwa 25%. Dieser Anstieg ist problemlos über die bestehenden Infrastrukturen darstellbar und auch der Leistungsbedarf wird gegenüber heute bei Einsatz intelligenter Steuerungs- und Managementsysteme z.B. zur Nachladung der Fahrzeugbatterien nicht größer8.
8
Da der Gebäudebestand nur langsam erneuert wird (zwischen 1 und 2% der Wohnnutzfläche wird pro Jahr neu
errichtet), ist eine Umsetzung höchster und deutlich über den aktuellen Stand hinausgehender Wärmestandards
97
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
12.5.4 Mehrfamilienhäuser und Funktionsgebäude
In größeren Gebäuden (Mehrfamilienhäuser, Büro- oder Verwaltungsgebäude, Krankenhäuser, Schulen etc.) lohnt sich durch den hohen Wärme- und Strombedarf der Einsatz von
Blockheizkraftwerken (BHKWs). Da bei steigender Anzahl von sehr warmen Sommertagen
auch von einer steigenden Nachfrage nach Kühlsystemen für den Sommer ausgegangen
werden kann, kann die Wärme über Absorptionskältemaschinen auch im Sommer gut eingesetzt und damit ein hoher Jahreswirkungs- und Auslastungsgrad erreicht werden. Wärmeüberschüsse aus den Sommermonaten können über Energiepfähle auch im Erdboden zwischengespeichert und im Winter genutzt werden. Die BHKWs können mit Gas betrieben
werden und entsprechend der oben beschriebenen Änderung in der Zusammensetzung sinken die CO2-Emissionen immer weiter ab.
Infrastrukturänderungen sind hierfür kaum nötig. Gasversorgungen sind weitgehend vorhanden, müssen aber für den ggf. ansteigenden Anteil von Wasserstoff ertüchtigt werden. Die
Stromanschlüsse werden sowohl die eingespeiste als auch die verbrauchte elektrische Leistung aufnehmen bzw. abgeben können. Allerdings müssen in Folge der größeren Leistungen
auch die Übergänge und Sicherheitskonzepte zwischen den Spannungsebenen für bidirektionalen Leistungsfluss angepasst werden. Die Errichtung von lokalen Nahwärmenetzen um
z.B. mehrere Gebäude oder Siedlungen von Wohnhäusern von einem BHKW aus zu versorgen, ist eine jeweils entsprechend des jeweiligen Standorts zu untersuchende Option. Ein
Kommunikations- und Energiemanagementsystem ist zudem für die Steuerung der BHKWs
notwendig, um deren Einsatz in Bezug auf das Gesamtsystem und die jeweiligen Anwendung energetisch und wirtschaftlich zu optimieren. Um den maximalen Nutzen zu erzielen,
eignen sich thermische Speicher (siehe auch Kapitel 12.7).
12.5.5 Stromverteilung über Netze
In den nachfolgenden Kapiteln werden noch einige Optionen zur Speicherung von Energie
diskutiert. Dabei ist allerdings anzumerken, dass die Speicherung von Energie immer mit
Wirkungsgradverlusten und teils nicht unerheblichen Kosten (insbesondere bei der Speicherung elektrischer Energie) verbunden ist. Daher sind alle Maßnahmen zur direkten Nutzung
von Energie durch intelligente Verbraucher- und Erzeugersteuerung sowie der Transport von
elektrischer Energie vom Ort der Erzeugung zu den Verbraucherzentren typischerweise ökonomisch und effizient. Dazu gehört insbesondere auch der Ausbau von Stromnetzen zur
langreichweitigen Energieübertragung. Mit der HVDC (Hochspannungs-gleichstrom) –
Übertragungstechnik zusammen mit moderner Leistungselektronik stehen effiziente Techniken zur Verfügung, die auch eine unterirdische Trassenführung möglich machen und damit
auch ohne signifikanten Landschaftsverbrauch realisiert werden können. Bei Verlusten von
weniger als 5% pro 1000 km ist auch der Transport elektrischer Energie über große Distanzen effizient gegenüber der Speicherung. Durch den massiven Ausbau der nationalen und
insbesondere der transnationalen Übertragungskapazitäten können regionale Unterschiede
in der Windkrafterzeugung oder der solaren Einstrahlung erreicht werden. Transeuropäische
dringend geboten. Zudem werden im Althausbestand noch lange „Übergangstechniken“ wie z.B. gasbetriebene
Brennstoffzellen-BHKWs zum Einsatz kommen.
98
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Netze hoher Übertragungsleistung sind technisch eine realistische Option. Die heutigen länderübergreifenden Übertragungskapazitäten reichen dazu bei weitem nicht aus.
12.5.6 Fazit
Wie gezeigt wurde, kann eine weitgehend CO2-freie Energieversorgung erreicht werden,
ohne dass völlig neue Energieversorgungsinfrastrukturen aufgebaut werden müssen. Eine
evolutionäre Weiterentwicklung des Gas- und des Stromnetzes in den kommenden Jahrzehnten ist ausreichend. Insbesondere kann der Wechsel sofort beginnen und wird durch
fehlende Infrastrukturen nicht behindert oder begrenzt. Die notwendigen Verstärkungen der
Infrastruktur können weitgehend im Rahmen der regulären Wartungs- und Erneuerungsarbeiten umgesetzt werden. Strom wird der wichtigste Endenergieträger in fast allen Anwendungsbereichen.
12.6
Synergien zwischen Individualverkehr und Stromversorgung
Von besonderem Interesse sowohl für die Reduktion der Emissionen im Individualverkehr als
auch für die Stabilisierung der Netze bei hohen Anteilen fluktuierender Stromerzeuger, sind
Plug-in Hybridfahrzeuge und voll-elektrische Fahrzeuge. Voll-elektrische Fahrzeuge sind
sehr gute Lösungen für Nutzer, die das Fahrzeug vor allem für tägliche Wege zur Arbeit,
Schule, etc. und im Stadtverkehr einsetzen, für lange Strecken aber entweder auf öffentliche
Verkehrsmittel oder Mietwagen zurückgreifen. Batterien, die eine Reichweite von 50 bis
100 km ermöglichen, sind verfügbar und werden in den kommenden Jahren bei entsprechenden Marktvolumina auch zu akzeptablen Kosten erhältlich sein. Wenn Fahrzeuge aber
wie heute auch für längere Strecken eingesetzt werden sollen oder die Nutzer zumindest auf
diese Option nicht verzichten wollen, sind Plug-in Hybride eine interessante Alternative. Dabei wird eine Batterie mit einer Reichweite für 30 bis 70 km mit einem Zusatzantrieb kombiniert. Der Zusatzantrieb kann eine Brennstoffzelle oder auch ein Verbrennungsmotor9 in einer Serien- oder Parallelhybridkonfiguration sein. Die Batterie wird aus dem Netz geladen
(„Plug-in“) und bei großen Distanzen kann der Zusatzantrieb die Vortriebsenergie bereitstellen. Der Vorteil aus Sicht der Nutzer ist, dass solche Fahrzeuge keine Einschränkung der
Mobilität gegenüber heutigen Konzepten bedeuten und daher eine gute Akzeptanz am Markt
finden sollten. Für die nachfolgenden Betrachtungen ist es nicht von Bedeutung, ob der Zusatzantrieb eine Brennstoffzelle oder ein Verbrennungsmotor ist. Um den Verbrennungsmotor CO2-frei betreiben zu können, muss ein entsprechender Biotreibstoff der 2. Generation
(BTL, „biomass to liquid“) eingesetzt werden. Ein systemimmanenter Vorteil von Plug-in Hybriden ist auch, dass das Fahrzeug jederzeit einsatzbereit ist. Ist die Batterie gerade nicht voll
geladen und das Fahrzeug wird benötigt, wird entsprechend früher auf den Zusatzstromerzeuger umgestellt und die Reichweite ist nicht beschränkt.
9
In einer Serienhybridkonfiguration (Vortrieb erfolgt alleine über den Elektroantrieb, alle Energie wird als
Strom bereitgestellt) kann ein sehr effizienter Verbrennungsmotor eingesetzt werden. Der Motor muss nur noch
bei einer Drehzahl zum Antrieb des Stromgenerators laufen und braucht zudem keinerlei dynamische Momente
aufzubringen. Dadurch kann der Verbrennungsmotor optimal eingestellt und ggf. mit dem Treibstoff abgestimmt
werden und damit sehr emissionsarm und bei höchsten Wirkungsgraden arbeiten.
99
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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Für die nachfolgenden Betrachtungen wird von einer Batterie mit 10 kWh nutzbarem Energieinhalt, was für eine rein elektrische Fahrdistanz für ein typisches Stadtfahrzeug von 50 bis
70 km ausreicht, und einem Ladegerät mit einer Leistung von 5 kW ausgegangen.
Eine derartige Batterie wird in moderner Lithium-Ionen-Technologie etwa 100 kg wiegen und
muss eine Vollzyklenlebensdauer von etwa 3000 Zyklen aufweisen. Ein Ladegerät von 5 kW
Leistung kann im Prinzip nach heutigen Standards in allen Haushalten ans Netz angeschlossen werden. Das Ladegerät kann unidirektional oder bidirektional ausgelegt werden.
Statistisch gesehen wird ein Fahrzeug in Deutschland eine halbe Stunde pro Tag bewegt.
Die Nachladung der Batterie dauert 2 bis 3 Stunden. Damit ergeben sich im statistischen
Mittel mindestens 20 Stunden am Tag, an denen über die Nutzung der Batterie noch frei
entschieden werden kann. Wird ein unidirektionales Ladegerät verwendet, kann durch ein
Steuersignal des Netzbetreibers oder Stromversorgers die Ladung der Batterie gestartet
werden, wenn der Strom günstig oder im Überfluss vorhanden ist (z.B. starke Windkrafteinspeisung). Dies ist in gewisser Weise analog zu den in den 1960er und 1970er Jahren eingeführten elektrischen Nachtspeicherheizungen, die auch durch Rundsteuer-signale gezielt
gestartet werden können. Bei der anzustrebenden Verwendung von bidirektionalen Netzteilen, können die Batterien sowohl ge- als auch entladen werden. Damit stehen die Batterien
sowohl für positive als auch negative Regelenergie zur Verfügung.
10 kWh
10 kWh
10 kWh
10 kWh
10 kWh
=
=
=
=
=
~
~
5 kW
~
5 kW
~
5 kW
~
5 kW
400 V
400 V
10 kV /
20kV
400 V
400 V
400 V
5 kW
Abb. 1: Schematische Darstellung von Plug-in-Hybriden in Netzen
Da das Fahren mit elektrischem Strom aus Gründen der CO2-Vermeidung aber auch aus
ökonomischen Gründen sowieso notwendig wird, können in kurzer Zeit große Mengen von
Plug-in Hybriden in den Markt kommen. Werden nur 4 Millionen PKW in der oben genannten
Konfiguration ausgelegt, was bei einem PKW-Bestand in Deutschland von 46 Millionen Stück
weniger als 10% aller Fahrzeuge sind, dann ergibt sich bereits eine dezentral verteilte Speicherkapazität von 40 GWh mit 20 GW Anschlussleistung. Diese Speicher sind räumlich proportional zu den Verbrauchsschwerpunkten verteilt und können durch geeignete Steuerung
so eingesetzt werden, dass das Netz an jedem Punkt ideal unterstützt wird. Die genannte
Speicherkapazität und -leistung entspricht mehr als der in Deutschland zur Verfügung ste-
100
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
henden Kapazität der Pumpspeicherkraftwerke. Über einen Zeitraum von 8 Stunden können
5 GW Regelleistung durch die Fahrzeuge zur Verfügung gestellt werden. Würde man
40 Millionen Fahrzeuge in Deutschland derart ausstatten, könnte unter Annahme voller Batterien das ganze Land rund 8 Stunden aus den Fahrzeugbatterien versorgt werden.
Da es sich um eine sehr große Zahl kleiner und verteilter Speicher handelt, ist die Betrachtung einer Einzeleinheit nicht notwendig. Für die Planungen muss nur das statistische Kollektiv herangezogen werden. Wichtig ist aber, dass die Infrastruktur für einen Anschluss ans
Netz möglichst flächendeckend an Parkplätzen, Garagen und Parkhäusern bereitgestellt
wird.
12.7
Stromgeführte Blockheizkraftwerke
Kraft-Wärme-Kopplung (KWK oder auch BHKW) erlaubt einen energetisch effizienten Einsatz von Brennstoff, insbesondere auch Biomasse, in Form von Gas oder Feststoffen. Der
hohe Gesamtwirkungsgrad wird durch die Nutzung von Wärme und elektrischem Strom erreicht. Dies bedingt aufgrund der schlechten Transportfähigkeit von Wärme einen Betrieb
nahe beim Wärmeverbraucher. Derzeit wird die überwiegende Zahl von KWK-Anlagen
„wärmegeführt“ betrieben, was bedeutet, dass die Anlagen immer dann gestartet werden,
wenn ein Wärmebedarf besteht. Der dabei anfallende Strom wird dann ins Stromnetz abgegeben, unabhängig davon, ob dafür gerade Bedarf besteht oder nicht.
Dies führt z.B. dazu, dass beim Hochfahren typischer Gebäudeheizungssysteme in den frühen Morgenstunden zur Beendigung der Nachtabsenkung der Gebäudetemperatur bei Einsatz von KWK-Anlagen Strom zu einem Zeitpunkt minimalen Bedarfs erzeugt wird. Eine
Speicherung des elektrischen Stroms und die nachfolgende Abgabe ans Netz zu Zeiten hohen Bedarfs ist aufwändig und teuer. Dagegen ist es wesentlich ökonomischer, die Wärme
zu speichern und dafür die KWK-Anlage zu Zeiten des höchsten Strombedarfs im Netz zu
betreiben („stromgeführter“ Betrieb). Die Wärme kann dann zum Bedarfszeitpunkt entnommen werden.
Effiziente und kostengünstige thermische Speicher stellen hier also eine interessante Option
dar, um den Bedarf an elektrischen Speichern zu minimieren und gleichzeitig für den Ausgleich fluktuierender Stromerzeuger steuerbare Stromerzeuger bereit zu stellen.
12.8
Technologien zur Speicherung von elektrischer Energie
Die Speicherung elektrischer Energie kann in verschiedener Weise erfolgen. Abb. 2 zeigt
eine Einteilung der Speichertechnologien entsprechend dem physikalischen Speicherzustand für die Energie. Unterschieden wird die Speicherung in Form von mechanischer Energie (potentielle Energie oder kinetische Energie), in elektrischen Feldern (elektromagnetische oder elektro-statische Felder) oder in chemischer Bindungsenergie (Umwandlung durch elektrochemische Prozesse).
101
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elektrisch
l Supraleitende
Spulen
l Kondensatoren
(diverse
Technologien)
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
mechanisch
l Pumpspeicherwerke
elektrochemisch
l Akkumulatoren mit internem
Speicher
(z. B. Pb, NiCd, Li-Ion)
l Schwungrad
l Druckluftspeicher
l Akkumulatoren mit externem
Speicher
Gasspeicher (Elektrolyseur &
Brennstoffzelle / Turbine)
Ø Speicher mit flüssigen
Aktivmassen (z. B. VanadiumRedox-System)
Ø Primärbatterien mit externer
Regeneration (z. B. Zn-Luft)
Ø
Abb. 2: Klassen und Technologien für die Speicherung elektrischer Energie
Des Weiteren können die verschiedenen Speichertechnologien unterschieden werden in
„Hochleistungsspeicher“ und in „Hochenergiespeicher“. Während die Hochleistungsspeicher
nur für sehr kurze Zeit Energie abgeben können, dies aber bei sehr hohen Leistungen, stellen die Hochenergiespeicher Energie über lange Zeiträume (viele Minuten bis wenige Tage)
zur Verfügung. Dabei kann die Grenze zwischen „Hochleistungs-“ und „Hochenergiespeicher“ entsprechend Abb. 3 in etwa bei einer installierten Leistung von 100 kW pro installierter kWh gezogen werden. Dies entspricht Entladezeiten von unter einer Minute.
Als Hochenergiespeicher stehen Druckluftspeicher, Pumpspeicherkraftwerke, Wasserstoffspeichersysteme sowie verschiedene Batterietypen unterschiedlicher Technologie zur Verfügung. Als Hochleistungsspeicher werden Schwungräder, Elektrochemische Doppelschichtkondensatoren (SuperCaps), supraleitende Spulen sowie einige Batterietypen eingesetzt.
Abb. 3 zeigt den typischen Einsatzbereich verschiedener Speichertechnologien. Wichtige
Parameter sind dabei die Größe des eigentlichen Speichers (x-Achse) und die typische Entladedauer während eines Einsatzzyklus (y-Achse). Beide Achsen besitzen einen logarithmischen Maßstab. Daraus ergeben sich ausgehend von symmetrischen Lade- und Entladezeiten die installierte Lade-/Entladeleistung (durchgezogene Diagonallinien) und das Verhältnis
zwischen installierter Leistung und gespeicherter Energie (horizontale gestrichelte Linien).
102
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Abb. 3: Typische Systemgrößen für verschiedene Speichertechnologien als Funktion der
installierten Speicherkapazität (Energie) und der typischen Entladedauer. Installierte Leistung und spezifische Leistungen ergeben sich daraus.
Im Folgenden werden die verschiedenen Technologien kurz vorgestellt. Berücksichtigt werden nur solche Technologien, die zumindest in Demonstrationsanlagen ihre technische
Machbarkeit und Zuverlässigkeit nachgewiesen haben. Alle ausgeführten Technologien können gekauft und betrieben werden, auch wenn für den Einsatz im großen Stil durchweg noch
Weiterentwicklung in Bezug auf Kosten, Lebensdauer, Effizienz, Sicherheit und Materialien
notwendig sind. Bei den meisten Technologien lassen sich mangels einer echten Serienproduktion heute auch nur geschätzte Preise angeben. Ziel der Folgenden Darstellung ist auch
keine finanzielle Bewertung, sondern das Aufzeigen der technologischen Optionen. Es kann
vorweg genommen werden, dass es für jeden Leistungs- und Energiebereich Speichertechnologien für elektrische Energie gibt, deren Realisierung auch bereits heute möglich ist.10
In Druckluftspeichern (Kategorie V in Abb. 3) wird Luft mit Hilfe von Kompressoren unter
Verwendung von Strom komprimiert und eingelagert. Im Bedarfsfall kann die komprimierte
Luft bei der Expansion Arbeit z.B. zum Antrieb einer Turbine verrichten. Wird ein Speichersystem nach diesem Konzept betrieben (diabatische Druckluftspeicheranlage), werden Wirkungsgrade von maximal 55% erreicht, da insbesondere bei der Kompression der Luft erhebliche Mengen an Wärmeenergie anfallen. Da bei Expansion der Luft wieder Wärme zugesetzt werden muss, um eine Vereisung der Turbinen zu vermeiden, wird heute ein Konzept aus kombiniertem Druckluftspeicher und Gasturbinenkraftwerk verwendet. Die Abwärme aus dem Gasturbinenprozess kann zur Erwärmung der Luft eingesetzt werden. Für die
Speicherung der Druckluft werden bevorzugt unterirdische geologische Formationen verwendet. Insbesondere ausgehöhlte Salzstöcke sind eine technisch und wirtschaftlich interes10
Eine ausführlichere Darstellung zu den verschiedenen Speichertechnologien findet sich z.B. in D.U. Sauer,
„Optionen zur Speicherung elektrischer Energie“, Solarzeitalter 4 / 2006, Seiten 12-34.
103
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
sante Option. Dadurch sind Druckluftspeicher aber ebenso wie Pumpspeicher-kraftwerke an
geologisch geeignete Standorte gebunden. An der deutschen Nordseeküste gibt es eine
größere Zahl von Salzstöcken, die ausgespült werden könnten, um dadurch Kavernen für
Druckluftspeicheranlagen zu schaffen. Damit stellt diese Technologie eine Option für die
Lösung der Probleme dar, die durch einen weiteren Zubau an Windkraft-anlagen auftreten
können.
Aktuelle Forschungen zielen auf die Errichtung von adiabatischen Druckluftspeicheranlagen,
bei denen die bei der Kompression anfallende Wärme in thermischen Hochtemperaturspeichern gespeichert wird. Bei der Entladung des Druckluftspeichers wird die Wärmeenergie wieder zugesetzt. Dadurch sollen insgesamt höhere Wirkungsgrade von bis zu 70%
erreicht werden und auf die Installation einer Gasbefeuerung verzichtet werden. Allerdings
muss dafür zusätzlich ein thermischer Speicher installiert werden, was zusätzlichen Raumbedarf und Kosten bedeutet.
Pumpspeicherkraftwerke (Kategorie VI in Abb. 3) bilden das Rückgrat der großen Stromversorgungsnetze und sind die wichtigsten Energiespeicher im Netz. Dabei wird Wasser zwischen einem Speichersee (Oberwasser) und einem tiefer liegenden Reservoir (Unterwasser)
je nach Bedarf zur Leistungsentnahme aus dem Netz (negative Regelleistung) oder zur zusätzlichen Leistungseinspeisung ins Netz (positive Regelleistung) ausgetauscht. Dies erfolgt
bei der Leistungsentnahme durch das Hochpumpen von Wasser und bei der Leistungsabgabe durch den Antrieb der Turbinen mittels des Wassers aus dem Speichersee. Die Oberwasser sind Speicherseen, die in einigen Fällen auch ohne natürlichen Zufluss angelegt
werden. Solche künstlichen Seen sind meist für einen Turbinenbetrieb unter Volllast für typischerweise 8 Stunden ausgelegt. Bei älteren Anlagen kann die Turbinenleistung in weiten
Bereichen geregelt werden, dagegen ist die Pumpleistung nicht regelbar. Wenn also eine
Leistung aus dem Netz entnommen werden soll die geringer als die Leistung einer Pumpeinheit ist, wird das System im so genannten Wasserkurzschluss betrieben und die netto Entnahmeleistung aus dem Netz durch den entsprechenden Gegenbetrieb der Turbinen eingestellt. Dies führt zu einer geringen Gesamteffizienz. Der Einsatz moderner Antriebstechnik
und Leistungselektronik ermöglicht es nun aber, auch voll regelbare Pumpensätze zu bauen.
Typischerweise werden die Pumpspeicherkraftwerke zum Ausgleich der Differenz zwischen
dem vorhersagten und dem realen Lastprofil sowie zum Stromhandel eingesetzt. Pumpspeicherkraftwerke mit einem Wasservorrat für etwa 8 Stunden sind aber nicht geeignet, um z.B.
mehrtägige Windflauten auszugleichen. Dies kann nur erreicht werden, wenn große Speicherseen mit natürlichen Zuflüssen als Pumpspeicherkraftwerke nachgerüstet werden (Kategorie VII in Abb. 3). Seitens der Druckstollen und der notwendigen Maschinenhäuser und
Maschinensätze stellt dies kein wirkliches Problem dar, allerdings fehlen an vielen Stellen
geeignete Unterwasser, aus denen die notwendigen Wassermengen ohne nachhaltige Eingriffe in die Natur entnommen werden können. Hier müssen die Optionen im Detail untersucht werden.
Die Nutzung von Wasserstoff (Kategorie VIII in Abb. 3) als Energiespeicher für elektrische
Energie ist durch zwei wesentliche Eigenschaften geprägt: ein geringer Kreislaufwirkungsgrad von 25 bis 40% (Strom in Strom) einerseits und sehr geringen Kosten für die eigentliche
Speicherung des Wasserstoffs in Salzkavernen bei mittleren Drücken. Die Kosten für die
Speicherung berechnen sich vor allem aus den Kosten für das Aushöhlen von Salzkavernen,
104
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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die mit 40 Euro/m3 angegebenen werden. Erhebliche Schwankungen dieses Wertes für verschiedene Standorte in Folge unterschiedlicher geologischer Verhältnisse sind selbstverständlich. Geht man von einem Wasserstoffdruck von 100 bar im vollgeladenen Zustand und
50 bar für das Kissengas im entladenen Zustand aus, ergeben sich bei einem Energiegehalt
von Wasserstoffgas bei Normalbedingungen von 3,5 kWh/Nm3 spezifische Speicherkosten
von weniger als 25 ct/kWh. Verglichen mit allen Elektrochemischen Systemen, von denen
keines unter 100 Euro/kWh liegt, ist das ein minimaler Betrag. Der schlechte Wirkungsgrad
wiederum führt dazu, dass etwa 3 kWh Strom eingekauft werden müssen, um eine kWh wieder abgeben zu müssen. Die Betriebskosten des Speichers ergeben sich also vor allem aus
den Einkaufspreisen für den Strom bei der Aufladung des Speichers. Beim heutigen Anteil
fluktuierender Stromerzeugung aus Wind und Sonne ist dies noch unattraktiv. Steigt aber der
Gesamtanteil, wird es Zeiten geben, in denen mehr Strom erzeugt wird, als überhaupt verbraucht bzw. im Netz untergebracht werden kann. Dann müssten Windgeneratoren oder
Solaranlagen abgestellt werden. Wird die Energie stattdessen zur Speicherung verwendet,
dann liegen die Kosten für derartigen Strom nahe Null und auch eine Speicherung bei geringem Wirkungsgrad kann interessant sein, wenn die Kosten für die Speicherung entsprechend gering sind.
Die Energiemengen mit Wasserstoff in Salzkavernen sind sehr groß. So könnten unter den
oben genannten Annahmen in den Kavernen des Druckluftkraftwerks Huntdorf mit
300.000 m3 Speichervolumen über 50 GWh Energie eingelagert werden. Bei Anrechnung
eines entsprechenden Wirkungsgrades für die Wandlung in Strom reicht diese Energie, um
für 30 Minuten bei mittlerer Last ganz Deutschland mit Strom zu versorgen oder um den Ausfall eines Kraftwerksblocks mit 1 GW für mehr als einen Tag auszugleichen. Für ein einzelnes Speichersystem sind das beeindruckende Werte. Die Erzeugung des Wasserstoffs muss
mit Elektrolyseuren aus elektrischem Strom erfolgen. Dafür stehen verschiedene Technologien zur Verfügung, die sich alle durch einen modularen Aufbau auszeichnen. Dadurch können hohe Leistungen durch den parallelen Betrieb vieler Einheiten erreicht werden. Die installierte Elektrolyseurleistung definiert die Leistung, mit der der Wasserstoffspeicher gefüllt
werden kann. Für die Rückwandlung von Wasserstoff in Strom stehen verschiedene Optionen zur Verfügung. Brennstoffzellen sind aufgrund der hohen Wirkungsgrade eine interessante Option, modifizierte Gasturbinen weisen dagegen eine lange Entwicklungshistorie auf
und erreichen zuverlässig lange Lebensdauern. Die installierte Leistung der „Wasserstoff-inStrom“-Wandler definiert die Entladeleistung. Bei Elektrolyseuren insbesondere aber bei
Brennstoffzellen besteht noch erheblicher Entwicklungsbedarf, um die Kosten zu senken und
die Lebensdauer zu steigern, so dass die Lebensdauerkosten pro umgesetzte Energieeinheit
akzeptabel werden. Lade- und Entladeleistung sowie die Speicherkapazität können bei derartigen Systemen unabhängig voneinander entsprechend des energiewirtschaftlichen Bedarfs dimensioniert werden. Auch eine anderweitige Nutzung des Wasserstoffs (z.B. Beimengung zur Gasversorgung, siehe oben) ist möglich, so dass die Elektrolyseure quasi als
steuerbare Last laufen und negative Regelleistung bereitstellen können. Für eine Nutzung
von Wasserstoff im Verkehr muss der Druck noch weiter erhöht werden (350 bis 700 bar)
oder verflüssigt werden (bei ca. 20 K oder -253°C). Beide Prozesse reduzieren den Wirkungsgrad weiter und benötigen spezialisierte Infrastrukturen zur Verteilung des Wasserstoffs, die nicht vorhanden sind.
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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Bei Redox-Flow-Batterien (Kategorie IV in Abb. 3) besteht das aktive Material aus in einem
flüssigen Elektrolyten gelösten Salzen. Der Elektrolyt wird in Tanks gelagert und bei Bedarf
einer zentralen Reaktionseinheit für den Lade- oder Entladeprozess mittels Pumpen zugeführt. Da die Löslichkeit der Salze in den Elektrolyten typischerweise nicht sehr hoch ist,
werden Energiedichten im Bereich der Bleibatterie erreicht. Die zentrale Reaktionseinheit
besteht aus Elektroden, Verteilplatten für die Flüssigkeiten und einer Membran und arbeitet
ganz ähnlich wie eine Wasserstoffbrennstoffzelle bzw. ein Elektrolyseur. Die Tankgröße bestimmt den Energieinhalt der Batterie, die Größe der Reaktionseinheit die Leistung der Batterie. Wichtige Kombinationen von Salzen, die erprobt werden, sind u.a. Fe/Cr, Br2/Cr, Vanadium/Vanadium und NaBr+Na2S4/Na2S2+NaBr3 (Regenesys). Dabei ist die Vanadium-RedoxBatterie eine besonders interessante Variante, da Vanadium in vier verschiedenen Wertigkeiten stabil ist und in beiden Elektroden Vanadium verwendet werden kann. Daher kommt
es nicht zu einer Verunreinigung durch den Durchtritt von Ionen durch die Membran. Allerdings ist bei Vanadium-Batterien das Grundmaterial relativ teuer. Andere Materialkombinationen eröffnen ein deutlich höheres Kostensenkungspotential. Grundsätzlich eignet
sich diese Batterietechnologie sehr gut für einen großtechnischen Einsatz, da der Bau großer Tanks sehr einfach und effektiv gemacht werden kann. Die Anlieferung des Elektrolyten
mit dem gelösten Salz kann einfach und effizient über Tanklastwagen erfolgen. Lebensdauern über 10.000 Zyklen wurden gezeigt. Neben einer Reihe von Demo-nstrationsanlagen
beginnt derzeit der kommerzielle Vertrieb von Vanadium-Redox-Flow-Batterien auch außerhalb Japans, wo es schon länger Anlagen gibt. Insbesondere bei den Vanadium-Batterien
kann aber auf jeden Fall der Elektrolyt vollständig durch einen externen Recyclingprozess
wieder regeneriert und damit ohne Verluste an Vanadium wieder verwendet werden. Systemwirkungsgrade von 75 % sind realistisch.
Die wichtigste Speichertechnologie bezogen auf die installierte Batteriekapazität ist der BleiSäure-Akkumulator (Teil der Kategorie III in Abb. 3). Die wichtigsten Eigenschaften, der
hauptsächlich aus den Materialien Blei, Schwefelsäure und Kunststoff aufgebauten Bleibatterien, sind Energiedichten um 25 Wh/kg (gravimetrisch) und 75 Wh/l (volumetrisch) bei Wirkungsgraden von 80 - 90 %. Stationäre Bleibatterien hoher Qualität erreichen Lebensdauern
von 6 - 12 Jahren bei Zyklenlebensdauern um 2000 Zyklen, in Ausnahmen bis zu 7000 Zyklen. Die Kosten für die Batterie liegen je nach Qualität und zu erwartender Lebensdauer zwischen 100 und 300 Euro/kWh. Industriebatterien werden in Europa zu nahezu 100% gesammelt und recycliert. Aus dem Blei werden wieder Bleibatterien hergestellt. Eingesetzt
werden verschlossene Batterien mit interner Gasrekombination (Gel- oder VliesTechnologie) und geschlossene Batterien mit flüssigem Elektrolyt. Während die verschlossenen Batterien einen deutlich geringeren Wartungsaufwand aufweisen und geringere Ausgasung verminderte Anforderungen an die Batterieraumbelüftung stellen, werden mit geschlossenen Batterien längere Lebensdauern erreicht. Batteriespeicher-anlagen auf Basis
von Bleibatterien wurden und werden in der ganzen Welt gebaut, um lokale Probleme in der
Energieversorgung zu lösen. Dazu gehören Anlagen zur Stabilisierung von Netzausläufern
und zur Aufrechterhaltung von Frequenz- und Spann-ungsstabilität. Die größte bislang in
Deutschland errichtete Anlage war eine 17 MW-Anlage, die 1986 in Berlin zur Frequenz- und
Spannungsstabilisierung des damals noch als Inselnetz betriebenen Westberliner Stromnetzes eingesetzt wurde. Die Speicherkapazität von 14 MWh wurde im Schnitt zweimal am Tag
vollständig durchgesetzt. Die Anlage erreichte mit insgesamt 7000 Nennladungsumsätzen
eine für Bleibatterien ungewöhnlich lange Lebens-dauer. Der geplante Zubau weiterer Anla-
106
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gen gleicher Bauart in Berlin wurde durch die Wiedervereinigung und der damit verbundenen
Anbindung von Westberlin an das Europäische Stromnetz überflüssig und daher nicht mehr
realisiert.
Natrium-Nickel-Chlorid- (NaNiCl, auch Zebra-Batterie genannt) und Natrium-Schwefel(NaS)-Batterien (Teil der Kategorie III in Abb. 3) zeichnen sich gegenüber den vorstehenden
beschriebenen Batterietechnologien durch flüssige Aktivmassen und einen festen keramischen Elektrolyten aus. Um eine ausreichende Leistungsfähigkeit zu erreichen und die Aktivmassen in flüssigen Zustand zu versetzen, ist eine Betriebstemperatur im Bereich von
350°C notwendig. Bei Abkühlung der Batterie ist ein Laden oder Entladen nicht mehr möglich
und es besteht die Gefahr des Bruchs des keramischen Elektrolyten durch thermische
Spannungen. Bei täglicher Nutzung der Batterien kann bei entsprechend dimensionierter
Isolierung die Temperatur der Batterien durch die eigene Reaktionswärme aufrechterhalten
werden. Dadurch qualifizieren sich diese Batterien für Anwendungen mit täglicher Zyklisierung, sind aber ungeeignet für Anwendungen in unterbrechungsfreien Stromversorgungen
mit den langen Stand- und Wartezeiten. NaS-Batterien werden vor allem in Japan intensiv
für ihren Einsatz als Speicher in Netzen erforscht und eingesetzt. So wird seit einigen Jahren
von der Tokyo Electric Power Company u.a. eine Anlage mit 48 MWh Energiespeicher und
6 MW Leistung betrieben. Grundsätzlich bietet die Technologie das Potential zu geringen
Kosten und hohen Zyklenlebensdauern. Technische Herausforder-ungen bestehen insbesondere bei der Produktion der Festkörperelektrolyte, der Dichtungen und den Sicherheitssystemen.
Lithium-Ionen-(LiIon)Batterien (Teil der Kategorie III in Abb. 3) haben sich im Bereich portabler Anwendungen (z.B. Laptop, Handy) innerhalb weniger Jahre als wichtigste Speichertechnologie durchgesetzt. Im Verhältnis zu Blei- oder NiCd-Batterien sehr hohe gravimetrische Energiedichten von mehr als 150 bis 200 Wh/kg stellen in diesem Marktsegment einen
entscheidenden Wettbewerbsvorteil dar, so dass auch die bis heute noch hohen spezifischen Kosten durchgesetzt werden können. Bei der Diskussion von LithiumBatterietechnologien muss darauf hingewiesen werden, dass hier nicht von einem einheitlichen Konzept wie z.B. bei Blei- und NiCd-Batterien ausgegangenen werden kann. Es gibt
eine hohe Zahl von Elektrolyten und Kombinationen von Elektrodenmaterialien, die jeweils
zu unterschiedlichen Eigenschaften z.B. bzgl. der Lebensdauer oder der Sicherheit führen.
Durch die große Zahl der möglichen Materialkombinationen gibt es auch nach wie vor hohe
Entwicklungsanstrengungen und es ist bis heute nicht klar, welches der Konzepte die besten
Eigenschaften für den Einsatz im Bereich von großen Speichersystemen, wie sie im Netzoder auch im Elektrotraktionsbereich notwendig sind, haben wird. Die heute noch hohen
Kosten und Fragen der Sicherheit stehen einer breiten Einführung in stationären und automobilen Anwendungen noch im Wege. Eine deutliche Absenkung der Kosten in den Bereich
von 300 Euro/kWh ist für stationäre Batterien in den kommenden Jahren zu erwarten und es
kann davon ausgegangenen werden, dass die Lithium-Batterietechnologie zusammen mit
der Blei-Batterietechnologie die wichtigste Akkumulatortechnologie mindestens in den nächsten 20 Jahren sein wird. LiIon-Batterien werden in den Produktlinien „Hochenergiebatterie“
für Entladezeiten im Bereich mehrerer Stunden und „Hochleistungsbatterie“ für den hochdynamischen Betrieb z.B. in Hybridfahrzeugen hergestellt.
Nickel-Metall-Hydrid-Batterien sind zunächst vor allem als Ersatztechnologie für NiCdBatterien entwickelt worden (Teil der Kategorie III in Abb. 3). Allerdings konnten mit NiMH-
107
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Batterien deutlich bessere gravimetrische Energiedichten als mit NiCd-Batterien erreicht
werden, so dass NiMH-Batterien eine Zeit lang einen sehr hohen Marktanteil bei den portablen Anwendungen hatten. Heute wird dieser Markt deutlich von LiIon-Batterien dominiert.
Allerdings werden in den heute am Markt erhältlichen Hybridfahrzeugen fast ausschließlich
NiMH-Batterien eingesetzt, da diese robust sind und ein geringeres Risiko als LithiumBatterien darstellen. Die gesamt Produktion stammt im Wesentlichen von nur zwei verschiedenen Herstellern weltweit. Der Wirkungsgrad liegt auch aufgrund der geringen Zellspannung von nur 1,2 V nur bei etwa 70 % (gegenüber 90 bis 95 % bei LiIon-Batterien und 80 bis
90 % bei Blei-Batterien). Die Kosten liegen derzeit im Bereich der LiIon-Batterien. Allgemein
wird den Lithium-Batterien aber das größere Kostenreduktionspotential zugeschrieben. Allerdings ist der Betrieb von NiMH-Batterien gegenüber Lithium-Batterien wesentlich sicherer
und robuster bzgl. der Ladeverfahren und der erlaubten Spannungs-fenster. NickelCadmium-Batterien sind aus technischer Sicht ein sehr erfolgreiches Batterieprodukt. Basierend auf NiCd-Zellen sind ähnliche Großbatterien in Betrieb, wie sie für Bleibatterien beschrieben worden sind. Gegenüber Bleibatterien werden bei höheren Kosten (Faktor 2 bis 3),
geringerem Wirkungsgrad (ähnlich wie bei NiMH-Batterien) deutlich längere Zyklenlebensdauern und eine bessere Ausnutzung bei hohen Strömen und tiefen Temperaturen erreicht.
Kritisch ist der Einsatz von Cadmium und daher steht die Technologie bei der EU auf der
Prüfliste, die einem möglichen Verbot vorausgeht.
Elektrochemische Doppelschichtkondensatoren (EDLC, Kategorie II in Abb. 3) sind eine
Speichertechnologie, die die Lücke zwischen den klassischen Kondensatoren, die in der
Elektronik eingesetzt werden, mit ihrer nahezu unbegrenzten Zyklenfestigkeit sowie extrem
hoher Leistungsfähigkeit und den Sekundärbatterien mit ihrer um viele Größenordnungen
größeren Energiespeicherfähigkeit füllen. Umgangssprachlich werden Doppelschichtkondensatoren häufig SuperCaps genannt. Die Speicherung der elektrischen Energie erfolgt
ohne einen elektrochemischen Reaktionsschritt, woraus die typischerweise mit über
500.000 Zyklen angegebene Lebensdauer resultiert. Die im Verhältnis zu konventionellen
Kondensatoren sehr hohe Kapazität im Bereich bis zu 5 kF/l ergibt sich aus dem hochporösen Elektrodenmaterial mit einer sehr hohen effektiven Oberfläche. Die Energie wird in dem
elektrischen Feld zwischen den Ladungsträgern auf den Elektroden und den Ionen des
Elektrolyten mit sehr geringen räumlichen Abständen von etwa 10 nm gespeichert. Die
Energiedichte liegt zwischen 2 und 5 Wh/l, die Leistungsdichte bei über 10 kW/kg. Die Kosten pro kWh sind heute mit über 10.000 Euro noch sehr hoch, es wird aber mit einer deutlichen Kostenreduktion bei einsetzender Massenfertigung z.B. für den Automobilmarkt gerechnet. Supercaps eignen sich aufgrund ihrer Eigenschaften vor allem für Einsatz-bereiche
mit einer hohen Anzahl von kurzen Lade-/Entladezyklen.
In Schwungrädern (Teil der Kategorie II in Abb. 3) wird Energie als Bewegungsenergie
gespeichert. Die gespeicherte Energie ist dabei abhängig vom Trägheitsmoment des Rotationskörpers und von der Rotationsgeschwindigkeit. Unterschieden werden heute meist drei
Klassen von Schwungrädern in Abhängigkeit der Rotationsgeschwindigkeit: langsame (um
5.000 Umdrehungen pro Minute), mittelschnelle (um 25.000 Umdrehungen pro Minute) und
schnelle (um 100.000 Umdrehungen pro Minute) Schwungräder. Allerdings steigt die gespeicherte Energie nicht automatisch mit der Umdrehungszahl, da die Rotationskörper bei größer
werdender Rotationsgeschwindigkeit einen geringeren Durchmesser haben müssen. Die
heute verfügbaren Materialien (bei den mittelschnellen und schnellen Schwungrädern typi-
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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scherweise Kompositmaterialien, wie sie auch im Flugzeugbau verwendet werden) können
nur begrenzte Fliehkräfte aufnehmen. Schwungräder sind ebenfalls typische Hochleistungsspeicher, die über kurze Zeit sehr viel Leistung abgeben oder aufnehmen können.
Im Prinzip wird die Leistungsfähigkeit nur begrenzt durch die Leistungselektronik und den
installierten Elektromotor/Generator. Die Lebensdauer wird von Herstellern mit Zyklenzahlen
im Bereich von mehreren Millionen angegeben. Ein Nachteil von Schwungrädern ist die hohe
„Selbstentladung“. Wird das Schwungrad nicht weiter beschleunigt, nimmt die Rotationsgeschwindigkeit in Folge von Reibungsverlusten schnell ab. Je nach Technologie kann das
Schwungrad innerhalb eines Tages zum Stillstand kommen. Wenn aber häufige Lade/Entladezyklen gefahren werden (z.B. jede Minute), dann sind diese Verluste vernachlässigbar.
Während Kondensatoren die elektrische Energie im elektrostatischen Feld speichern, können supraleitende Spulen (Kategorie I in Abb. 3) Energie im elektrodynamischen Feld
speichern. Dabei ist die Energiemenge abhängig vom fließenden Strom. Der supraleitende
Effekt erlaubt eine verlustfreie Speicherung des Stroms. Einem Einsatz als Energiespeicher
in großem Umfang stehen aber zwei Nachteile gegenüber. Zum einen werden für den supraleitenden Zustand sehr tiefe Temperaturen benötigt, die nur mit flüssigem Helium oder flüssigem Stickstoff erreicht werden, und zum anderen sind die Wirkungen von starken magnetischen Feldern auf biologische Organismen unklar. Für die Aufrechterhaltung der Kühlung ist
zudem ein erheblicher Energieeinsatz nötig, so dass hier energetische Verluste auftreten, die
im Wirkungsgrad des Gesamtsystems berücksichtigt werden müssen. Kleinere Speichersysteme, bei denen die Felder effektiv abgeschirmt werden können, werden aber als Hochleistungsspeicher und Kurzschlussstromquellen eingesetzt.
Neben elektrischer Energie können auch Wärme und Gase gespeichert werden. Gase können in den Pipelinesystemen, Gasspeichern und Kavernen bei mittleren Drücken gespeichert
werden. Alle Techniken werden heute bereits eingesetzt. Wärme kann z.B. in Wasser- oder
Feststoffspeichern oder auch Phasenwechselmaterialien gespeichert werden. Von besonderem Interesse sind Hochtemperaturwärmespeicher, die eine Speicherung bei mehreren
100°C erlauben. Insbesondere an Phasenwechselmaterialien mit hoher Energiedichte in
allen Temperaturbereichen wird intensiv geforscht.
12.9
Zusammenfassung
Nimmt man den Klimaschutz als eine zentrale Herausforderung unserer und der kommenden
Generationen ernst, ergeben sich mit einer Perspektive bis 2050 erhebliche Herausforderungen für die Umstellung auf eine weitgehend CO2-freie Energieversorgung. Jedem Menschen
werden noch Emissionsrechte von einer Tonne CO2 zustehen; selbstverständlich beinhaltet
diese Menge anteilig auch alle industriellen, ökonomischen und landwirtschaftlichen Aktivitäten. Für die US-Amerikaner bedeutet dies eine Reduktion auf etwa 5%, für Deutsche auf
weniger als 10% und für Schweizer auf etwa 15% der heutigen Emissionen. In allen Fällen
geht es also nicht um eine graduelle Änderung, sondern um einen grundlegenden Wandel in
der Energieversorgung. Um dies zu erreichen, werden als Energieträger vor allem Strom,
Gas mit hohem Biogas oder Wasserstoffanteil, Wärme und flüssige Biotreibstoffe (BTL) zur
109
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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Verfügung stehen. Verschiedener Technologien werden für die Bereitstellung von CO2-frei
erzeugtem Strom genutzt werden können. Für die Betrachtung der Auswirkung auf die Endenergienutzung und die Energieverteil-ungsinfrastrukturen ist dies nicht von Relevanz. Dabei
wurde gezeigt, dass die notwendigen Strukturen durch eine evolutionäre Weiterentwicklung
der heutigen Verteilinfrastrukturen erreicht werden kann. Es müssen keine grundlegenden
Einschnitte in die heutigen Lebensstandards vorgenommen werden, aber natürlich konsequent alle Sparpotentiale genutzt werden.
Auch wenn die erheblichen Einsparpotentiale realisiert werden, was eine notwendige Voraussetzung für eine ökonomische und nachhaltige Energieversorgung ist, wird der Anteil
von Strom am Endenergiebedarf erheblich ansteigen und absolut gesehen ebenfalls eher zuals abnehmen.
Energie pro Energieeinheit wird wohl nie wieder so günstig sein wie heute. Werden aber die
Sparpotentiale gehoben, müssen die Gesamtkosten für den Energieverbrauch nicht steigen.
Die Reduktion des Haushaltsstromverbrauchs auf die Hälfte lässt Raum für Steigerungen in
den Energiekosten ohne dass die monatliche Belastung ansteigt.
Zukünftige Energieversorgungssysteme werden wesentlich stärker als heute aus einer Vielzahl unterschiedlicher Technologien bestehen, die über intelligente Leitsysteme miteinander
verknüpft sind. Dadurch können auch fluktuierende Stromerzeuger ins Netz eingebunden
und ausgeregelt werden. Insbesondere im Bereich der Individualmobilität mit Fahrzeugen,
die auf einer starken elektrischen Komponente basieren, entstehen große Energiespeicherkapazitäten bzw. ein sehr hohes Potential für steuerbare Lasten. Zusammen mit Blockheizkraftwerken mit Wärmespeichern lässt sich über eine intelligente Steuerung eine stabile
Energieversorgungen aufbauen.
110
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
13
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Michael Kaufmann: Energieeffizienz und Erneuerbare – sind die
Potenziale gross genug?
Michael Kaufmann
Vizedirektor BFE, Programmleiter EnergieSchweiz
Bundesamt für Energie
CH-3003 Bern
[email protected]
13.1
Summary
Sicher einmal muss der Fokus der Schweizer Energiepolitik kurz- und mittelfristig auf der
Ausschöpfung der Effizienzpotenziale und der optimalen Nutzung der erneuerbaren Energien – inklusive der Wasserkraft! – liegen. Denn hier haben wir einen Ansatz, der uns vorerst
einmal von der leidigen Frage des Baus von Grosskraftwerken befreit und in eine ganzheitliche Betrachtungsweise über nachhaltige Energienutzung und zukunftsorientierte Versorgungssicherheit mündet. Das zeigen im Übrigen auch die Resultate der BFEEnergieperspektiven: Je mehr wir in den Bereichen Effizienz und erneuerbare Energien tun,
umso kleiner wird die so genannte Versorgungslücke bei der Elektrizität. Der Ansatz der
ganzheitlichen Betrachtungsweise ist dringend notwendig, denn der Blick allein auf die AKWFrage schliesst zwei wichtige Aspekte aus: Erstens die Tatsache, dass es nicht nur um
Elektrizität gehen kann – 80 Prozent unseres Energieverbrauchs basiert auf fossiler Energie.
Und zweitens die Erkenntnis, dass Kraftwerkbauten riesiger Investitionen bedürfen, sie werfen zudem erheblich gesellschaftliche und sicherheitspolitische Fragen auf.
Von einer Abhängigkeit in die nächste kommen – das darf ja nicht der Hauptansatz der
Energiepolitik sein.
Deshalb sind tatsächlich einmal die Potenziale für Energieeffizienz und erneuerbare Energien zu betrachten:
111
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
•
Effizienz: Beim Gebäude (Neubauten und vor allem Sanierung) sind die Potenziale gewaltig. Sie betragen für Neubauten bis 80 Prozent, für Sanierungen sicherlich die Halbierung des bisherigen Verbrauchs. Bei Fahrzeugen nochmals dasselbe, die Hybridtechnik
gibt darauf einen deutlichen Hinweis. Bei Geräten (inkl. Licht) und Elektromotoren sind
es auch – je nach Kategorien – zwischen 30 und 70 Prozent. Wichtig dabei ist die Tatsache, dass alle diese Potenziale abgeholt werden können unter Einsatz neuster und
vorhandener Technologien und ohne Verlust an Leistung und an Komfort. Das Zeitalter
der Verzichtgesellschaft ist also endgültig überwunden und das gesteckte Ziel, die Reduktion des Verbrauchs von fossilen Energien um 20 Prozent auf der Basis von 1990 ist
durchaus realistisch.
•
Erneuerbare Energien: Hier stehen wir erst am Anfang, denn nur gerade knapp 4 von
16 Prozent der erneuerbaren Energien am Gesamtverbrauch decken wir mit den neuen
Erneuerbaren ab, 12 Prozent mit Wasserkraft. Die Potenziale der neuen Erneuerbaren
sind aber weit grösser und deshalb wollen wir gemäss den Zielen des Entwurfs des Aktionsplans für die erneuerbaren Energien insgesamt mindestens auf 24 Prozent kommen
bis zum Jahr 2020. Wir erachten diese Zielsetzung als realistisch, die guten Resultate
von EnergieSchweiz zeigen, dass die Wachstumsraten bei den Erneuerbaren insgesamt
(Strom und Wärme) gut sind. Das ist auch der europäische Trend, den die Schweiz etwas aufholen muss.
Die Frage stellt sich natürlich, mit welchen Massnahmen und Rahmenbedingungen man
diese Potenziale möglichst rasch realisieren kann. Unsere Antwort findet sich in den Entwürfen der Aktionspläne „Energieeffizienz“ und „erneuerbare Energien“. Wir haben versucht, im
Auftrag des Bundesrates hier einen Mix von Massnahmen vorzuschlagen, welche sich gegenseitig ergänzen. Es ist sozusagen eine „Push-and-Pull“-Strategie zwischen Massnahmen, welche von verschärften Minimalanforderungen an Gebäude, Fahrzeuge und Geräte
ausgehen (Push) und Massnahmen, welche durch Förderbeiträge oder marktwirtschaftliche
Anreize den Umstieg auf neue Technologien, auf Effizienz und auf erneuerbare Energien
attraktiv machen. Langfristig sollen die Massnahmen aber nicht mehr notwendig sein, denn
letztlich muss sich das System dann einmal selber regulieren.
Die Minimalstandards und Minimalanforderungen für Gebäude, Fahrzeuge und Geräte sollen
so ausgerichtet sein, dass „Best-Practise“ als Benchmark gilt und damit für die Wirtschaft
und die Investoren ein direkter Anreiz besteht, die neusten Technologien und Energiesysteme anzuwenden. Heisst: Bald ist der heutige MINERGIE-Standard bei Gebäuden der Normalstandard und in 5-10 Jahren steuern wir sogar MINERGIE-P (=Passivhaus) an. Ebenso
bei den Motorfahrzeugen wo wir als Zielvorgabe für die neuste Fahrzeuggeneration die
Richtgrösse der EU raschmöglichst übernehmen wollen (130/120 g/km CO2-Emission).
Politisch umstritten ist die Frage nach zweckgebundenen Fördermitteln (z.B. das vorgeschlagene nationale Gebäudesanierungsprogramm aus der CO2-Abgabe) und/oder weiteren
Lenkungsabgaben auf fossiler Energie (z.B. die ebenfalls vorgeschlagene Abgabe auf Treibstoffen). Es ist unseres Erachtens sinnvoll, hier einen pragmatischen Weg zu gehen: Einerseits setzt die CO2-Abgabe auf Brennstoffen den Hauseigentümern keinen Anreiz und im
Sanierungsbereich müssen vorerst einmal kurzfristig wirtschaftliche Hürden überwunden
werden. Also hier ein gezieltes Förderprogramm. Andererseits können erhöhte Treibstoffpreise mit einer fixen Komponente „Lenkungsabgabe“ die KonsumentInnen durchaus dazu
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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bringen, etwas gezielter und effizienter mit ihrer Mobilität umzugehen. Deshalb hier die Lenkungsabgabe.
Ähnlich ist das Instrumentarium bezüglich der erneuerbaren Energien zu diskutieren. Hier
werden wir mit den vom Parlament bereits beschlossenen „kostendeckenden Einspeisvergütungen“ einen ersten Hebel haben, die Aktionspläne wollen deshalb vor allem einen Schwerpunkt setzen für die optimale Nutzung der Biomasse. Vor allem für die Nutzung von Wärme
in Gebäuden und industriellen Prozessen.
Aufgrund der Modellarbeiten an den Energieperspektiven des BFE, die ähnliche Instrumente
unterstellten, aber auch aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit den genannten Instrumenten (z.B. Förderprogramm Gebäude Mitte der 1990er Jahre), sind wir davon überzeugt, dass
unser Massnahmenmix uns auf den Zielpfad bringen wird.
13.1.1 Fazit Summery
Die Technologien für den Durchbruch bei der Energieeffizienz und bei den erneuerbaren
Energien sind vorhanden. Die Potenziale sind ebenfalls beachtlich. Es ist also alles vorhanden. Nun muss man jedoch sehr rasch die richtigen Rahmenbedingungen setzen und die
notwendigen Instrumente zur Verfügung stellen, um diese real auch zu nutzen. Die Aktionspläne des Bundesrates sollen hier erste politische Meilensteine setzen. Das Parlament und
vor allem auch die Wirtschaft müssen sehr bald nachziehen. Die Wirtschaft hat davon auch
gar keine Nachteile: Im Gegenteil kann sie in einem solchen Szenario Innovationsvorteile
und Erneuerungstendenzen vorteilhaft nutzen. Mit Blick auch auf ihre internationale Stellung.
Mit Blick aber auch auf die Wertschöpfung im eigenen Land.
13.2
Einleitung
Ich glaube, Sie sind bereits heute Morgen voll in diese Materie eingestiegen. Ich werde jetzt
versuchen, Ihnen auch aus Sicht des Bundes zu sagen, in welche Richtung die Effizienzpolitik und die Politik für die erneuerbaren Energien weiterentwickelt werden muss. Wenn ich
Ihnen heute einen Einblick in diese Überlegungen gebe, dann möchte ich betonen, dass die
Dinge, die ich Ihnen im Zusammenhang mit den Aktionsplänen des Bundesrates hier vorstelle, ein Werkstattbericht sind. Es ist noch nicht alles ganz definitiv, was diese Fragen anbelangt. Ich werde Ihnen auch keine wesentlichen Details zu diesen Aktionsplänen erzählen,
da nämlich diese Aktionspläne erst in der nächsten Woche effektiv publik werden. Ich werde
aber versuchen, Ihnen diese Überlegungen, die wir gemacht haben für eine Effizienzpolitik
und für eine Politik der erneuerbaren Energien, darzustellen und in einen Gesamtzusammenhang zu setzen.
Für uns vom Bundesamt für Energie und auch für unser Departement ist klar: Wenn wir diese Diskussion über die Energieversorgung und auch über die Stromversorgung so führen
wollen, dass wir um Grosskraftwerke – seien das Gaskraftwerke, seien das nukleare Kraftwerke – herumkommen, dann gibt es nur zwei Antworten, nämlich:
113
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
1. Energieeffizienz muss massiv verbessert werden, und zwar nicht nur im Strombereich.
2. Der Anteil der erneuerbaren Energien, auch nicht nur im Strombereich muss massiv
heraufgefahren werden.
Nur wenn wir das gezielt und konsistent machen, haben wir überhaupt eine Chance, um die
Problematik des Ausbaus von Kraftwerkparks im grossen Stil herumzukommen. Es kam
auch bei den Energieperspektiven zum Ausdruck und wurde sehr kritisiert, aber es ist halt
ein Fact: Wenn wir das nicht schaffen, wird es diese Versorgungslücken geben. Dann muss
man diese Versorgungslücken mit anderen Technologien besetzen. Der Ansatz für uns ist
also klar: Erneuerbare Energien und Energieeffizienz stehen im Zentrum.
Zuerst möchte ich Ihnen bezüglich Energieeffizienz einige Aussagen machen über die Plattform für Energieeffizienz von EnergieSchweiz, die bereits öffentlich ist. Wir haben sie Ende
Juni 2007 im Rahmen der Strategiekonferenz von EnergieSchweiz präsentiert. Es handelt
sich um eine Plattform des Netzwerks EnergieSchweiz, in der wir Ziele für die Zukunft festgelegt haben, auch über 2010 hinaus, und in der wir im Rahmen von EnergieSchweiz auch
Effizienzmassnahmen vorgeschlagen haben.
Dann werde ich Ihnen etwas sagen über die Effizienzmassnahmen im neuen Energiegesetz,
das eigentlich schon fast in Kraft ist. Im Moment läuft ja auch die Vernehmlassung dazu.
Dann eben einige Highlights aus der Werkstatt zu den Aktionsplänen des Bundesrates bzw.
zu den Entwürfen der Aktionspläne des Bundesrates.
13.3
Die Plattform der EnergieSchweiz
Wir haben letztes Jahr ein Projekt aufgelegt, und die Partner von EnergieSchweiz konnten
dazu Stellung nehmen. Interessant in dieser ganzen Diskussion ist natürlich die Frage: Freiwilligkeit oder direkte Massnahme? Gerade in der Effizienzpolitik ist das ein entscheidender
Punkt. Wie viel ist freiwillig? Wie viel ist eben verbindlich gesetzlich zu regeln? Dies ist eine
Diskussion, die wir wahrscheinlich auch mit Blick auf zukünftige Instrumente der Energiepolitik führen müssen. Die bisherige Ideologie im Energiegesetz, auch gerade bezüglich Effizienz, bestand eigentlich darin, dass zuerst freiwillige Massnahmen zum Zuge kommen, dass
dann Zielvereinbarungen mit den Branchen getroffen werden und dass erst, wenn die Ziele
nicht erreichbar sind, entsprechende verpflichtende Massnahmen festgelegt werden. Es stellt
sich auch angesichts des bescheidenen Erfolges von EnergieSchweiz – mit Betonung auf
bescheiden – die Frage: Stimmt dieses Verhältnis zwischen Freiwilligkeit und gesetzlichen
Massnahmen und Verbindlichkeiten? Mir scheint das eine ganz zentrale Frage zu sein für
die zukünftige Energiepolitik. Wenn ich diese Frage aufwerfe, spreche ich jetzt nicht dem
Dirigismus das Wort, sondern ich möchte eher sagen, dass es gewisse Anreizsysteme und
Minimalanforderungen braucht, damit wir effektiv in der richtigen Richtung weiterkommen.
In dem Sinn ist gerade die zweite Gretchenfrage in diesen Stellungnahmen natürlich auch
politisch von Bedeutung. Eingeflossen ist die Frage: Wollen und können wir die Ziele erreichen mit Lenkungsabgaben, also mit marktwirtschaftlichen Instrumenten? Oder wollen und
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
können wir sie mit bisherigen Instrumenten erreichen, z.B. Fördermitteln, Subventionen, wie
man früher gesagt hat, oder wollen wir sie mit gesetzlichen Minimalvorschriften erreichen?
Ich kann die Antwort voraussetzen. Wir müssen wahrscheinlich einen geschickten Mix von
diesen unterschiedlichen Instrumenten machen, sie geschickt miteinander verbinden, damit
wir zum Ziel kommen.
Es gab aber auch Kritik gegen diese Ideen von EnergieSchweiz, auch von Seiten der Wirtschaft, da es auch in diesem Kreis darum gehen muss, die Entwicklung so voranzutreiben,
dass die Wirtschaft, d.h. die Energiewirtschaft, aber auch die Industrie und Dienstleistungen
in der Schweiz diesen Pfad der Effizienz mitmachen können, ohne dass dadurch für sie ökonomische Probleme entstehen. D.h. wir müssen versuchen, eine Politik zu entwickeln, die
auch wirtschaftsverträglich ist, und die Wirtschaft in diesem Prozess mitzunehmen. Ein Beispiel dazu: Wir haben mit der Beleuchtungs- und der Lampenbranche kürzlich einen halbtägigen Workshop durchgeführt. Es kam dabei ganz klar zum Ausdruck, dass dieser Industriezweig und diese Hersteller bis und mit Designer von Beleuchtungskörpern und Lampen
durchaus den Weg gehen wollen, noch effizientere Beleuchtungen zu haben und sich durchaus das Ziel gesetzt haben, beispielsweise die ominöse, schöne, klassische Glühbirne zu
verlassen und ins 21. Jahrhundert umzusteigen. Aber es braucht eben auch einen Übergangsweg. Die Industrie, die sogar dazu bereit ist, ist heute nicht in der Lage, 50 Millionen
Glühlampen, die bisher pro Jahr verkauft worden sind, eins zu eins ab übermorgen mit 50
Millionen Sparlampen zu ersetzen. Das ist eindeutig klar herausgekommen. Es gibt also in
der Industrie, in der Wirtschaft durchaus eine grosse Bereitschaft, den Weg der Effizienz zu
gehen. Aber man muss ihn so ausgestalten, dass es für sie wirtschaftlich machbar ist und
dass es genügend gute Anreize gibt, damit dieses Ding auch ökonomisch ist.
13.3.1 Die Zielfestlegung
Nun, über Ziele können wir lange streiten. Meine persönliche Meinung bezüglich der Zieldiskussion ist eigentlich die: Man kann von 20% bei den Fossilen sprechen, man kann von Plafonierung bei der Elektrizität sprechen, man kann eigentlich fast alles verlangen. Aber das ist
gar nicht der entscheidende Punkt. Der entscheidende Punkt ist, dass wir Ziele festlegen,
hinter die wir Massnahmen legen, die eben dieses Ziel dann auch erfüllbar machen. Ich
muss Ihnen sagen, ich habe keine Lust über Ziele zu sprechen, die nicht realistisch sind, die
man nicht erreichen kann, wenn man nicht sagt, mit welchen Massnahmen sie machbar sind.
Deswegen glaube ich, dass die Zieldiskussion wichtig ist. Es ist sicher minimal klar, und Herr
Leuenberger hat es vor zehn Tagen bezüglich der fossilen Ziele auch gesagt: Das Ziel minus
20% in etwa der Grössenordnung dessen, was auch in der EU bei den fossilen Energien
diskutiert wird, ist ein absolut klares Ziel.
Bei der Elektrizität ist es schwieriger. Aber es ist auch wichtig, dass wir bei der Elektrizität
Ziele setzen. Wir können nicht nur bei den fossilen Energien einen Zielpfad festlegen und
dann meinen, beim Strom, beim Elektrizitätsverbrauch würde sich dann alles von selber regeln. Im Gegenteil, je stärker wir den fossilen Pfad verlassen, umso stärker wird die Substitution auch durch Elektrizität. Sie kennen das Beispiel Wärmepumpen, aber es gibt ganz viele
andere Beispiele, die darauf hinweisen und dazu führen, dass unser Stromverbrauch stark
zugenommen hat. Deswegen müssen wir in der Effizienzstrategie eine Politik verfolgen, die
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
sowohl einen Absenkpfad für die fossilen Energien festlegt, als auch entsprechende Ziele im
Bereich der Elektrizität vorlegt.
Auch darüber kann man streiten. Sie sehen jetzt, bei EnergieSchweiz haben wir gesagt maximal 5% mehr als im Jahre 2000. Das wäre ein ganz leichter Anstieg, das entspricht in etwa
der Strategie nach Szenario 4 der Energieperspektiven für diejenigen, die diese Unterlagen
kennen. Also nichts Revolutionäres, aber – ich möchte betonen – auch nicht so einfach. Sogar wenn man sich dieses Ziel setzt, ist es keine einfache Geschichte.
Ich möchte nur ganz kurz etwas zu den Potenzialen sagen. Wir gehen davon aus, dass bis
zum Jahre 2020 die Potenziale im Bereich von Gebäuden, Fahrzeugen, Geräten, Elektromotoren zur Reduktion des spezifischen Verbrauchs zwischen 30 und 70% liegen. Es ist nicht
überall gleich gross, aber es ist praktisch bei allen Kategorien beachtlich. D.h. wir wollen
einen Weg gehen, der diese Potenziale ausschöpft. Wir nennen das die "best-practiseStrategy", die wir jetzt einschlagen möchten. Das ist eigentlich ein klares Ziel.
Sie kennen diese Zahlen bei den Geräten. Hier haben wir riesige Potenziale. Wir haben jetzt
immer von diesen Glühbirnen gesprochen, das ist eigentlich einfach ein Symbol. Ich sage
immer, die Glühbirnenrevolution ist symbolisch gut, aber anteilsmässig ist eigentlich der Gewinn, den wir quasi beim Verlassen der Glühbirnen haben, insgesamt am Stromverbrauch
natürlich eine bescheidene Sache, aber von hoher symbolischer Kraft. Hingegen haben wir
bei ganz andern Dingen, die vielleicht nicht so im Vordergrund stehen, wie beispielsweise bei
Elektromotoren, massive Sparpotenziale, die man ausschöpfen kann, wenn man den richtigen Weg geht. Sie würden massiv viel mehr bedeuten als jetzt per Zufall diese Vorschriften,
die wir für die Glühbirnen machen. Wenn wir also die Effizienzpolitik diskutieren, müssen wir
auch gewichten und uns überlegen, wo wir am meisten holen können. Wir können am meisten holen bei den Geräten, auch den elektronischen Geräten, die viel Strom verbrauchen.
Aber eben auch in der Industrie bei den Motoren und sicher auch bei der Beleuchtung. Insgesamt ist das eine klare Sache.
Grosse Einspar-Potenziale liegen in der Mobilität. Das ist vielleicht ein Widerspruch zur Realität. In der Realität haben wir jetzt schon bereits 10% mehr CO2-Emissionen aus den Treibstoffen als 1990. Anstatt dass wir um 8% runtergegangen sind. Es ist klar, wir müssen auch
im Bereich der Mobilität bei den Fahrzeugen klare Effizienzziele setzen. In Anlehnung dessen, was in der EU diskutiert wird, schlagen wir vor, den CO2-Ausstoss im Durchschnitt für
den Neuwagenpark auf 130 g/km zu reduzieren – also massiv mehr als wir heute in der Zielvereinbarung mit der Wirtschaft haben. Wie Sie wissen, haben wir mit den Autoimporteuren
eine Zielvereinbarung, die etwa bei 180 bis 190 g/km CO2-Ausstoss liegt. Auf 130 g/km hinunterzugehen ist auch ein ehrgeiziges Ziel, das hier zur Diskussion steht.
Die Industrie habe ich bereits angesprochen. Dort geht es nicht nur darum, die Elektromotoren, die Produktionskette zu verbessern, sondern es geht natürlich auch in der Industrie und
in den Dienstleistungsbereichen darum, sowohl die Gebäude zu verbessern, aber auch den
ganzen Verbrauch eines Unternehmens insgesamt unter die Lupe zu nehmen. Hier ist ein
ganz wichtiges Element, das auch das ewz bereits mit Erfolg praktiziert, dass man eben auf
Seiten des Energieanbieters auch Effizienzboni gibt, damit ein Anreiz besteht. Es ist auch
eine wirtschaftliche Frage, den Verbrauch zu reduzieren.
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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Ein Riesenpotenzial liegt bei den Gebäuden. Nicht bei den neuen Gebäuden, die heute gemäss unseren Kenntnissen, Studien und Untersuchungen eigentlich relativ gut gebaut sind.
Wir haben im Moment einen starken Trend bei Neubauten, den Minergiestandart zu erreichen. Auch die Kantone haben das angekündigt. Ich komme gerade von der Energiedirektorenkonferenz, wo bekräftigt wurde, dass auf das nächste Frühjahr im Minimalstandard für die
neuen Gebäude das Niveau von Minergie erreicht werden soll. Es ist eigentlich eine beschlossene Sache der Energiedirektorenkonferenz. Bezüglich der neuen Gebäude sind wir
also auf dem richtigen Zielpfad.
Das grosse Problem liegt bei den bestehenden Gebäuden und deren Sanierung. Wir haben
einen riesigen Park von Gebäuden in der Schweiz, die halt eben noch lange nicht einmal die
SIA 380/1 Norm erfüllen und die wir jetzt herunterbringen müssen. Das Potenzial bei geschickter Sanierung liegt bei 50%. D.h. jede Sanierung, die energetisch richtig gemacht wird,
bringt einen Riesengewinn. Umgekehrt läuft jede Sanierung, die jetzt wieder falsch gemacht
wird, 30 Jahre auf dem falschen Pfad weiter. Deswegen ist die Sanierungspolitik im Gebäudebereich so zentral. Wichtig sind Instrumente, Verstärkung der kantonalen Förderprogramme, aber auch ein nationales Sanierungsprogramm im Gebäudebereich, z.B. durch eine
Teilzweckbindung der CO2-Abgabe.
Die Bilanz aus der Diskussion innerhalb von EnergieSchweiz hat eigentlich gezeigt, dass
freiwillige Massnahmen notwendig sind, aber sie reichen nicht aus. Es braucht zusätzliche
Vorschriften, es braucht zusätzliche Förderung.
13.4
Effizienzmassnahmen im neuen Energiegesetz
Die eidgenössischen Räte haben Effizienzmassnahmen vorgeschlagen: Drei Punkte dazu:
1. Im Gesetz ist vorgesehen (wir müssen es aber noch einführen), dass es ab 2009 ein
Ausschreibemodell für Effizienzprogramme geben wird, an dem sich alle beteiligen
können. Das können öffentliche oder private Trägerschaften sein, die solche Effizienzprogramme einreichen. Wir werden ein Verfahren für Effizienzmassnahmen im
Sinne eines Wettbewerbs aufbauen, und die kostengünstigste gesparte Kilowattstunde jeweils dann eben unterstützen im Sinne der Programmunterstützung. 15 Millionen stehen uns jährlich zur Verfügung für ein solches Modell. Das wird sicher einen
gewissen Anstoss geben.
2. Dann haben wir bereits jetzt im Energiegesetz in Art. 8 versteckte Vorschriften bezüglich Kompetenzen bei den Geräten.
3. Wir haben bei den Gebäuden ebenfalls einen Zacken zugelegt. Deshalb sind die
Kantone jetzt auch daran, etwas zu unternehmen.
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Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
13.5
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Aktionspläne
Die Aktionspläne des Bundesrates werden Ende dieses Jahrs beschlossen werden. Unser
Departement macht einen Vorschlag, der nächste Woche in eine öffentliche Konsultationsphase gehen wird. Wir haben in diesem Aktionsplan Vorschläge zusammengestellt, die einerseits Empfehlungen an die Kantone sind. Wir schlagen keine Kompetenzänderungen vor,
aber Empfehlungen an die Kantone vor allem im Gebäudebereich. Dann Massnahmen, die
wir sofort innerhalb unseres Departements umsetzen können. Dann Massnahmen, die zu
Verordnungsänderungen führen werden, z.B. bei Geräten. Die ganze Gerätepalette müssen
wir im Energiegesetz, in der Verordnung dann entsprechend neu bestimmen und Minimalvorschriften ausführen. Und die härteste Geschichte ist natürlich der Vorschlag für eine Gesetzesänderung. Das kann der Bundesrat ja nur vorschlagen. Er muss dem Parlament eine
Vorlage unterbreiten, dann geht es in die Mühle des Parlamentes. Dies ist der längste Weg,
währenddem die Empfehlung der kürzeste Weg ist.
In untenstehender Abbildung sehen Sie diese Palette von Instrumenten, die eigentlich ganz
ähnlich wie bei der Plattform von EnergieSchweiz ist.
Aktionspläne 2007: Instrumente in den Bereichen „Gebäude“, „Fahrzeuge“, „Geräte“, Erneuerbare Energie
1. Normen und (Minimal)-Standards
Stand der Technik – Best practice. Entlang den Innovations- und Lernpfaden. International
abzustimmen.
2. Förderinstrumente
Einsatz gezielt dort, wo Marktverhältnisse (noch) hinderlich sind oder zur Förderung des
Technologietransfers (P+D). Gefahr von Mitnahmeeffekten. In der Regel zu befristen.
3. Anreizsysteme (Abgaben und steuerliche Massnahmen)
Lenkung über den Preis oder durch steuerliche Entlastungen. Marktwirtschaftliches Instrument mit Internalisierung externer Kosten oder durch gezielte Preisanreize (BonusMalus, Steuerabzug)
4. Weiche Faktoren
Forschung, Bildung, Ausbildung, Weiterbildung, Information. Meist Umlagerung und / oder
Ausbau von Budgets (Bund, Kantone, Hochschulen).
Abbildung 1: Aktionspläne 2007
Wir sprechen von Standards, z.B. bei Geräten und Gebäuden, wir sprechen von Förderinstrumenten, von Lenkungsabgaben. Zusätzlich haben wir einen ganzen Komplex bei den
weichen Faktoren: Ausbildung, Weiterbildung, Technologieförderung. Diese Faktoren sind
ganz wichtig. Wir können eine Effizienzpolitik nämlich nur realisieren, wenn gleichzeitig auch
die Leute an der Front, die Handwerker, die Planer, die Architekten und die Investoren das
Know-how haben, um eben all diese Punkte umzusetzen. Es ist nicht nur eine Frage des
Geldes, sondern es ist auch eine Frage von Wissen. Deswegen haben wir diesen Komplex
Technologieförderung, Forschung, Ausbildung in den Aktionsplänen ebenfalls miteingebaut.
118
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
13.5.1 Zielsetzungen
Die Reduktion von 20% des Verbrauchs fossiler Energien bis 2020 gegenüber 2000 habe ich
bereits erwähnt. Dies ist eigentlich direkt abgeleitet aus der Debatte über die Klimapolitik, die
bereits angelaufen ist. Bei der Elektrizität ist ein Zuwachsziel von maximal 10% noch offen.
Ich habe vorhin 5% gesagt. Das ist noch offen, ich kann es noch nicht definitiv sagen, das
muss noch diskutiert werden. Dann sicher eben auch die Anreize für die Investoren, die als
Ziel gesetzt werden müssen. Die Aktionspläne beinhalten insgesamt 18 Massnahmen. Das
Highlight bei den Gebäuden ist das Sanierungsprogramm.
Zur Einführung einer Lenkungsabgabe auf Treibstoffen: Ob das schon im Zeitfenster vor
Kyoto oder nach Kyoto ist, ist eine andere Frage. Aber wir sind der Auffassung, dass der
Klimarappen allein die Treibstoffziele nicht vollends erfüllen kann. Er erfüllt zwar seine Bedingungen, aber wir haben damit das Problem bei den Treibstoffen noch nicht gelöst. Hier
wäre jetzt eben eine Lenkungsabgabe das Highlight. Die andern Geschichten kennen Sie:
Das Bonus-Malus-System ist bereits in Diskussion.
Bei den Geräten werden die Minimalanforderungen unter dem Haupttitel "Best-practiceStrategie" differenziert nach Kategorien. Das Beispiel der Glühbirnen kennen Sie schon. Andere werde ich nicht erwähnen, da diese Massnahmen im Detail jetzt noch weiterausgearbeitet werden.
Dann haben wir den Block Ausbildung, Weiterbildung, Energieeffizienz-Forschung. Dazu
kann ich nur sagen, dass das der Block ist, der nicht haushaltsneutral ausgestaltet ist. Wir
sagen ganz klar, wenn wir von Ausbildung, Weiterbildung und Forschung sprechen, müssen
wir irgendwo auch seitens der öffentlichen Hand Geld in die Finger nehmen, das ist nicht
gratis. Man muss sich entscheiden, ob man in Bildung investieren will oder nicht. Wenn man
will, muss man auch das Geld zur Verfügung stellen.
Wir haben dann auch noch einige Vorschläge wie die Vorbildfunktion des Bundes und der
Kantone im Sinne, dass wir dort eben die Minimalstandards bei der Beschaffung, bei den
Gebäuden, auch bei der öffentlichen Hand massiv verstärken.
13.5.2 Fazit bezüglich Energieeffizienz
Das Ziel ist die Senkung des Energieverbrauchs. Massnahmen bei der fossilen Energie und
beim Strom sind notwendig. Nur eine "Best-practice-Strategie" führt zum Ziel. Wir wollen
marktwirtschaftliche Instrumente einsetzen, um zu unterlegen und den Schub denn auch auf
der ökonomischen Ebene zu gehen.
13.6
Erneuerbare Energien
Ein kleines Wort noch zu den erneuerbaren Energien. Die erste Botschaft: Wir stehen ganz
am Anfang. Alle sprechen von erneuerbaren Energien. Bei der Wasserkraft sind wir gut. Bei
den neuen erneuerbaren Energien sind wir eigentlich überhaupt noch nirgends. Nicht einmal
rund 4% des gesamten Energieverbrauchs wird abgedeckt durch neue erneuerbare Ener-
119
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
gien und davon erst noch ein ganz grosser Teil von Kehrichtsverbrennungsanlagen. D.h. wir
müssen davon ausgehen, dass wir auf einem tiefen Niveau starten. Aber wir haben auch
ganz grosse Potenziale im Bereich der erneuerbaren Energien: Biomasse, Holz, Geothermie, Sonne, Wind (in der Schweiz vielleicht weniger) als Importware – das sind die Dimensionen, die wir bei den erneuerbaren Energien haben. (Raunen im Publikum.) Was habe ich
falsch gesagt? (Gelächter.) Ah, wegen dem Wind. Ich stehe dazu, in der Schweiz ist Wind
eine schöne und gute Sache, aber wir haben nicht so viele gute Standorte. Darüber sind wir
uns wahrscheinlich einig. (Wieder Gelächter.) Scheinbar nicht, wir können uns nachher darüber streiten.
Die Potenziale, die wir haben, sind gross. Unsere Schlussfolgerungen, um den Plot dieser
Aktionspläne zu machen, aber auch der Massnahmen im neuen Energiegesetz, sprich: kostendeckende Einspeisevergütung, sagen, dass wir in der Raumwärme bis 2020, 2035 die
Hälfte des Verbrauchs durch erneuerbare Energien abdecken können. Beim Strom könnte
ein Zehntel dazukommen. Bei den Treibstoffen können wir ebenfalls auch inländische Produktion haben, vielleicht nicht 5%, sondern 2 bis 3%, aber dort wird es auch Importe geben.
D.h. wir haben Potenziale, die wir ausschöpfen können.
Was haben wir bisher getan? Wir haben bereits die Energie-Lenkungsabgabe auf Brennstoff,
die natürlich auch eine Wirkung hat, z.B. in der Konkurrenz zu Holz. Die Verteuerung des
Preises führt zu einem Marktvorteil der erneuerbaren Energien. Wir haben die MineralölBesteuerung und andere Vorschläge vor allem im Bereich Biomasse. Vor allem in diesem
Bereich sind jetzt auch die Vorschläge der Aktionspläne angelegt. Wir haben jetzt beim
Strom etwas auf dem Schlitten, jetzt müssen wir bei der Wärme & der Biomassenutzung
noch etwas dazuschalten. Das ist eigentlich unsere Hauptphilosophie, die wir auch in den
Aktionsplänen verfolgen. Beim Strom haben wir wie erwähnt die Einspeisevergütung zur
Förderung der erneuerbaren Energien in der Elektrizität.
13.7
Fazit
Wir glauben, dass wir im Bereich der Effizienz, wie ich Ihnen gezeigt habe, riesige Chancen
und Potenziale haben, die man jetzt nutzen kann. Wir haben auch gemerkt, dass die Leute
bereit sind, auf diese Effizienzpfade einzusteigen. Wir haben auch erlebt, dass die Politik
darauf eingestiegen ist, dass beispielsweise unser Parlament im Bereich Energieeffizienz
Ausschreibungen machen will, dass in den eidgenössischen Räten verschiedenste Vorstösse, beispielsweise im Bereich der Energieeffizienz von Geräten, jetzt deponiert sind und erstaunlicherweise in der einen oder andern Kammer sogar überwiesen worden sind. Das ist
schon fast ein kleines energiepolitisches Wunder. D.h. wir können diesen Schwung auch
ausnützen.
Bei den erneuerbaren Energien haben wir genau dasselbe. Wir fangen zwar auf einem bescheidenen Niveau an, aber wir haben ein riesiges Potenzial. Es geht jetzt darum, die Instrumente, die bereits vorhanden sind, auszunutzen, z.B. Einspeisevergütungen beim Strom,
und bei der Wärme das Maximum eben auch in diesem Bereich herauszuholen, sprich: Biomassestrategie für die Schweiz mit Holz usw. Das scheint uns zentral zu sein, auch im Ansatz dessen, was getan werden muss. Die Instrumente sind bekannt. Der politische Streit
120
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
dreht sich vor allem um die Lenkungsabgaben. Das ist eine lustige Geschichte: Seit 15 Jahren spricht man von Lenkungsabgaben. Und immer wenn man daran ist, eine Lenkungsabgabe einzuführen, sind plötzlich alle für Fördermassnahmen und Subventionen. Wenn man
jedoch darüber spricht, sind alle wieder für die Lenkungsabgabe. Jetzt sind wir gerade in der
Phase, wo wir eher wieder über die Lenkungsabgabe diskutieren, und es ist vielleicht gar
nicht so schlecht, denn wenn man den politischen Pulverdampf wegnimmt, kann man sagen,
dass Lenkungsabgaben marktwirtschaftliche Instrumente sind. Wer sich darauf einstellt, hat
einen ökonomischen Profit, und das wird die Wirtschaft auch weiterbringen. Deswegen ist
meine Meinung in dieser ganzen Streiterei, dass wir eigentlich über Lenkungsabgaben als
einem eleganten System sprechen und nicht zu viele Krücken aufstellen. Wir sollten einfacher kommunizieren, was mit Lenkungsabgaben erreicht werden kann. Sie sind sehr wirksam. Das als persönliche Schlussbemerkung.
121
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
14
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Bernard Aebischer: Rationelle Energienutzung
Dr. Bernard Aebischer
CEPE, ETH Zürich, Senior Scientist
CEPE
Zürichbergstrasse 18 (ZUE E)
CH-8032 Zürich
[email protected]
14.1
Einleitung
Als erster Redner im Programmteil „Die Zukunft heisst Energieeffizienz“ versuche ich in den
folgenden 20 Minuten den Begriff „Energieeffizienz“ so mit Inhalt zu füllen, dass die von Vielen in die Energieeffizienz gesetzten Hoffnungen erfüllt werden können und Aussagen wie
„Wir befürworten Energieeffizienz, aber wir glauben nicht, dass sie signifikante Auswirkungen
auf die Energienachfrage hat“ in Zukunft gegenstandslos werden.
Dazu wird aufgezeigt, dass der Begriff Energieeffizienz in verschiedenen Disziplinen und
Kontexten ganz unterschiedlich verwendet wird, und am Beispiel von Szenariorechnungen
für die Energienachfrage im Dienstleistungssektor illustriert, dass ein rein technisch orientiertes Verständnis des Begriffs kein Wegweiser in eine nachhaltige Zukunft ist. Neben der
technischen Komponente - typischerweise Wirkungsgrade von Komponenten und Anlagen
oder spezifischen Verbräuche von Geräten, Fahrzeugen und Gebäuden – sind dazu eine
verhaltensbedingte Komponente – wie wird diese Anlage, dieses Gerät oder dieses Gebäude genutzt – und ein dritte Komponente, die sich auf die Quantität der Energiedienstleistungen bezieht (Menge, Suffizienz), notwendig. Ein guter Indikator, der alle diese Dimensionen
beinhaltet, ist Energie/Person. Die vom ETH-Rat vorgestellten 2000 Watt pro Person sind ein
Beispiel von vielen Versuchen, dieses Ziel zu quantifizieren. Der Bundesrat hat die 2000
Watt Gesellschaft als Leitbild für seine langfristige Energiepolitik genommen (Schweizerischer Bundesrat, 2002).
122
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Eine zweite verwandte Dimension/Fragestellung betrifft die Natur der Massnahmen und die
Bedeutung der verschiedenen Akteure für eine erfolgreiche Umsetzung der Massnahmen. In
der aktuellen energiepolitischen Diskussion werden behördlich/staatlich verordnete technische Massnahmen häufig als der einzig wirksame Weg zur Ausschöpfung der Energieeffizienzpotentiale dargestellt. Dazu ist zu bedenken,
•
dass der Staat, die Behörden zwar im Rahmen von bestehenden Gesetzen und Regulierungen gewisse Kompetenzen haben, dabei aber auch immer auf Verhältnismässigkeit
und Kompatibilität mit Regulierungen in anderen Bereichen und an anderer Stelle achten
müssen,
•
dass die Akzeptanz bei den Akteuren auf allen Stufen eine Voraussetzung für eine weitgehende Umsetzung ist,
•
dass sich die Nutzung der technisch regulierten Komponenten, Geräte, Fahrzeuge und
Gebäude einer staatlichen/behördlichen Einflussnahmen weitgehend entzieht und die
„Menge der nachgefragten Energiedienstleistung“ in den meisten Fällen nicht nur nicht
behördlich beeinflusst werden kann, sondern oft von anderer Stelle mit der Absicht die
Gewinne zu erhöhen oder einen höheren Wohlstand zu generieren, gefördert wird. Gewisse kritische Ökonomen gehen noch einen Schritt weiter und stellen zur Diskussion,
ob nicht gerade die technischen Effizienzverbesserungen zu einer Erhöhung der Menge
führen würden. „Energy Policy“, eine renommierte wissenschaftliche Zeitschrift hat dazu
im Jahre 2000 eine Sondernummer herausgegeben (Schipper, 2000/1, 2000/2).
Wir folgern daraus, dass für eine Entwicklung in Richtung einer nachhaltigen Zukunft eine
Zusammenarbeit aller Akteure notwendig ist, die vom Staat und von den Behörden nicht verordnet werden kann, sondern auf einer freiwilligen Entscheidung dieser Akteure beruht. Dazu
können Rahmenbedingungen beitragen, welche Anreize für eine solche Zusammen-arbeit
schaffen, wie z.B. die Entlassung aus der CO2 Abgabe mittels Zielvereinbarungen oder mietrechtliche und steuerpolitische Anpassungen für eine Förderung der energetischen Gebäudesanierungen. Aber schliesslich bedingt es die Einsicht Aller und folgerichtig eine Verhaltensänderung und neue Prioritätensetzung bei Konsum-, Investitionsentscheiden.
Im Rahmen der Energieperspektiven des Bundesamtes für Energie wurden für den Dienstleistungssektor Szenariorechnungen durchgeführt, die zur Illustration der obigen Überlegungen in diesen zwei Dimensionen „freiwillig <-> verordnet“ und „Einsicht/Verhalten <-> technisch“ beigezogen werden.
14.2
Energieeffizienz – rationelle Energienutzung
Mit einer kleinen „Google-Recherche“ erhalten wir einen ersten Überblick, wie „Energieeffizienz“ verstanden wird.
Der Begriff der Effizienz wird in verschiedenen Fachbereichen unterschiedlich verwendet:
•
In der Volkswirtschaftslehre spricht man von Effizienz, wenn eine bestimmte Allokation
von Ressourcen die Wohlfahrt aller Mitglieder der Gesellschaft maximiert.
123
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
•
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
In der Physik ist die Effizienz gleichbedeutend mit dem Wirkungsgrad einer Maschine
oder eines Prozesses.
Quelle: http://effizienz.know-library.net/
Im Projektmagazin http://www.projektmagazin.de/glossar/gl-0816.html findet sich dazu:
•
Im technischen Sinne wird Effizienz in erster Linie als Wirkungsgrad verwendet: Das
Verhältnis von abgegebener zu aufgenommener Leistung eines Systems.
•
Für Unternehmen definiert die DIN EN ISO 9000:2000 Effizienz als das "Verhältnis zwischen dem erzielten Ergebnis und den eingesetzten Mitteln", wobei hier wohl meist monetär bewertete Messgrößen eingehen.
•
Der umgangssprachliche Jargon drückt dies aus durch: "Die Dinge richtig tun" und
grenzt dies gegen die Effektivität ab, die darin besteht, die "richtigen Dinge zu tun".
Energieeffizienz im Sinne der Volkswirtschaftslehre ist als Leitidee einer zukünftigen Entwicklung unbestritten. Inhaltlich („Wohlfahrt aller Mitglieder der Gesellschaft“) ist aber vieles
offen und wie die praktische Umsetzung erfolgen soll, ist umstritten. Der technische Effizienzbegriff berücksichtigt nicht das wozu des Technikeinsatzes und schliesst im Allgemeinen
den Menschen als Nutzer und Betreiber der Maschine, des Prozesses oder des Gebäudes
aus. Ob dann immer das Richtige getan wird, muss aus einer anderen Warte beurteilt, respektive sichergestellt werden.
Mit dem Ziel etwas über das Verständnis von „Rationelle Energienutzung“ zu erfahren, nutzen wir Meyers Lexikon online http://lexikon.meyers.de und das elektronische Wörterbuch
LEO http://dict.leo.org.
•
rationell [lateinisch-französisch], vernünftig, auf Wirtschaftlichkeit bedacht, zweckmäßig.
•
rationell (deutsch)
=
economic, economical, efficient, rational (engl.) rationnel
(franz.)
•
rationnel (franz.)
=
vernunftbegabt, vernunftgemäß, vernunftmäßig
(deutsch)
•
economical (engl.)
=
billig, haushälterisch, ökonomisch, sparsam, billig im
Gebrauch (deutsch)
Wir schliessen daraus, dass der Begriff „rationelle Energienutzung“ neben der technischen
Energieeffizienz auch eine Verhaltenskomponente umfasst. Stichworte dazu sind „Raumtemperatur“ und „Standby-Verluste“. Diese Verhaltenskomponente kann teilweise durch
technische Massnahmen/Verbesserungen abgedeckt werden. Und auch die Energiedienstleistung oder die Mengenkomponente werden mit „haushälterisch“ implizit hinterfragt. Als
Stichworte können dazu die Wohn- und Büroflächefläche pro Person respektive pro Beschäftigte oder das Fahrzeuggewicht genannt werden. Auch dieser Aspekt kann teilweise durch
einen gezielten Technikeinsatz abgedeckt werden. Schliesslich ist auch ein Thema, ob der
Einsatz einer neuen Technologie eine alte Dienstleitung ersetzt (Substitution) oder eher als
zusätzliche Dienstleistung betrachtet werden muss, wie z.B. bei gewissen e-Dienstleistungen
(elektronische Zeitung, papierloses Büro, Videokonferenzen) oder der verschwenderische
124
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Einsatz z.B. von Geschirrspülern, wenn das leicht verschmutzte Geschirr von Hand warm
vorgewaschen wird.
Früher oder später stellt sich dann die Frage, wie die Energieeffizienz oder die rationelle
Energienutzung gemessen werden soll. Nicht ganz unbescheiden zitiere ich hier Mills (2003):
„To define an energy efficiency indicator is not only a technical challenge, but also a prestructuring of the subsequent policy choice (Aebischer et al., 2003)”. Ins Deutsche übersetzt
könnte das etwa heissen: Die Wahl eines Indikators für die Energieeffizienz ist nicht nur eine
technische Herausforderung, sondern auch ein Hinweis für die strategische Ausrichtung der
Energiepolitik. Am Beispiel des Schulsektors lässt sich das illustrieren: wird als Indikator der
Energieverbrauch pro Energie Brutto Fläche (EBF) verwendet, dann sind zur Erhöhung der
Energieeffizienz energetische Verbesserungen der Schulgebäude notwendig; ist der Indikator jedoch durch den Energieverbrauch pro Schüler definiert, wird tendenziell versucht werden, mehr Schüler in einer Klasse (Schulzimmer) zu unterrichten und am Schulgebäude
selbst wird nichts verändert.
Als Mass für die technische Energieeffizienz werden meistens Verhältnisse Energie pro
Menge (spezifischer Energieverbrauch) oder aber Wirkungsgrade in Prozenten verwendet,
z.B.:
•
kWh/m2.Jahr für Gebäude oder Liter/100km bei Fahrzeugen, respektive
•
80% Wirkungsgrad bei Netzgeräten und eine Jahresarbeitszahl 3.5 (350% für Wärmepumpen.
Die Ökonomen verwenden Grössen, wie z.B. Energie/BIP (Volkswirtschaft), Energie/Umsatz
(Betrieb) oder den Anteil der Energiekosten an den Gesamtkosten.
Ein Indikator, der neben der Technik auch die Verhaltens- und (im Falle der Schweiz mit einer relativ stabilen Bevölkerungszahl) sogar die Mengenkomponente beinhaltet, ist der
Energieverbrauch pro Person (Primärenergie- oder Endenergieverbrauch, mit oder ohne
graue Energie).
Die gleiche Qualität (Berücksichtigung der drei Komponenten Technik, Verhalten und Menge) haben auch die Indikatoren CO2 Emissionen absolut oder CO2 pro Person. Beide sind
ein gutes Mass für den Beitrag zur Klimaänderung. Aber die Klimaänderung ist nur eine Dimension des Energieproblems. Dass die CO2 Problematik heute prioritär behandelt wird, ist
statthaft, aber bei strategischen/längerfristigen Überlegungen sollte die Energienachfrage ins
Zentrum gestellt werden.
14.3
Rationelle Energienutzung in den Szenarien des BFE am Beispiel des
Dienstleistungssektors
Im Rahmen der kürzlich abgeschlossenen Perspektivarbeiten für das Bundesamt für Energie
wurden vier Hauptszenarien durchgerechnet:
•
Szenario I “Weiter wie bisher”
125
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
•
Szenario II “Verstärkte Zusammenarbeit”
•
Szenario III “Neue Prioritäten”
•
Szenario IV “Auf dem Weg zur 2000 Watt Gesellschaft“
Diese Szenarien sind charakterisiert durch die Wertvorstellungen der Individuen/Akteurgruppen/Gesellschaft und durch die Geschwindigkeit mit der Effizienzverbesserung „induziert“ durch freiwillige oder verordnete Massnahmen erzielt werden.
Die „Policy“-Szenarien II “Verstärkte Zusammenarbeit”, III “Neue Prioritäten” und IV “Auf dem
Weg zur 2000 Watt Gesellschaft” unterscheiden sich primär durch die unterstellte Energiepolitik. Wir verwenden aber die Bezeichnung „Policy“- und nicht „Politik“-Szenarien um hervorzuheben, dass eine „verstärkte Zusammenarbeit“ oder „neue Prioritäten“ nicht durch die Politiker allein beschlossen werden können. „Es geht auch um gesellschaftliche Veränderungen,
die durch energierelevante und andere politische Massnahmen angeregt, unterstützt und
vielleicht konsolidiert werden können. Sie können aber nicht einfach beschlossen werden.
Energiepolitische Entscheide können durchaus wesentliche oder vielleicht sogar entscheidende Impulse für eine gesellschaftliche Neuorientierung geben. Aber erst wenn diese gesellschaftlichen Prämissen „stehen“, kann darauf aufbauend ein entsprechendes politisches
Szenario ausgestaltet werden“ (Aebischer und Catenazzi, 2007, S. 228).
14.3.1 Szenario II “Verstärkte Zusammenarbeit”
„Im Gegensatz zu früheren Perspektivarbeiten, wo sich die Untersuchungen fast immer auf
die Auswirkung von hoheitlichen Massnahmen beschränkten, wird im Szenario II “Verstärkte
Zusammenarbeit” die mögliche Wirkung von freiwilligen Massnahmen auf die Energienachfrage untersucht. Von staatlicher Seite sind gegenüber dem Referenzszenario im Wesentlichen nur die CO2 Abgabe mit der Möglichkeit des Erlasses der Abgabe mittels eines
Abschlusses von Zielvereinbarungen, der Klimarappen und eine ähnliche Abgabe im Elektrizitätsbereich vorgegeben. Die hoheitlichen Massnahmen im Referenzszenario werden nur
unwesentlich verschärft.“ (Aebischer und Catenazzi, 2007, S. 228)
„In Szenario II wird das Potential einer grösstenteils auf freiwilliger Basis beruhenden Energiepolitik ausgelotet. Es wird angenommen, dass die verschiedenen Akteure aus den Dienstleistungsbetrieben, aus der Energiewirtschaft und aus Politik und Verwaltung verstärkt zusammenarbeiten mit dem Ziel, die Energienachfrage und die CO2 Emissionen gegenüber der
Referenzentwicklung zu senken.“ (Aebischer und Catenazzi, 2007, S. 15)
Im Dienstleistungssektor gibt es „… ein kurzfristig ohne wesentliche Investitionen ausschöpfbares Potential, das in der Grössenordnung von mindestens 10% liegt:
•
nicht energieoptimales Verhalten, z.B. zu hohe Raumtemperaturen im Winter oder Reduktion der Innentemperatur durch Fensteröffnung – anstelle entsprechende Regulierung des Heizsystems,
•
nicht energieoptimierter Betrieb der Geräte und Anlagen, z.B. Stichwort StandbyVerbrauch (auch von Gebäuden, Figur 1).
126
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Die Ausschöpfung dieses Potentials und die zeitliche Wirksamkeit sind sehr stark von der
Motivation der Betreiber und Nutzer abhängig.“ (Aebischer und Catenazzi, 2007, S. 144).
Den „weichen“ Massnahmen Schulung, Weiterbildung, Informationsvermittlung wird höchste
Priorität gegeben. Das Ziel ist es, die Transaktionskosten für eine rationellere Energienutzung zu senken, so dass „die Geldscheine, die auf dem Boden liegen, gepflückt werden“.
Die verstärkte Zusammenarbeit erfolgt z.B. im Rahmen einer Organisation wie die EnAW.
Neben CO2 Reduktionszielen werden auch Ziele für die Energie- und die Elektrizitätsnachfrage vereinbart. Der Anreiz dazu erfolgt insbesondere durch die Energiewirtschaft, die
ihre Versorgungsplanung und Tarifgestaltung aus „Least Cost Planning“-Sicht festlegt. Auf
politischer und behördlicher Ebene wird eng zwischen dem Bund, den Kantonen und den
Gemeinden zusammen gearbeitet.
Figur 1:
Elektrische Leistung eines Bürogebäudes von Montag bis Freitag (links) und
Stromverbrauch in 32 Bürobauten aufgeteilt nach Strombezug während und ausserhalb der Bürozeiten (rechts). Quelle: Menti, 1999.
14.3.2 Szenario III “Neue Prioritäten”
Szenario III ist charakterisiert einmal durch eine hohe Abgabe auf allen Energieträgern. Leitidee ist die ökologische Steuerreform, wofür sich in der Schweiz bei der heutigen politischen
Konstellation noch keine Mehrheit findet. Ein Teil dieser Abgabe wird für die Finanzierung
eines „Energieeffizienzprogramms“ eingesetzt. Noch nicht oder noch kaum rentable Massnahmen werden bis zur Erreichung der Rentabilitätsschwelle subventioniert.
Das zweite Merkmal von Szenario III ist die „best practice“ Strategie. „Wir verstehen unter
„best practice“ den Einsatz der energieeffizientesten Technologien, die zu einem gegebenen
Zeitpunkt unter bestimmten Rahmenbedingungen „marktfähig“ sind, d.h. keine unzumutbaren Zusatzkosten bedingen, respektive sich unter Berücksichtigung der Zusatznutzen über
die Lebensdauer der Technologien und Massnahmen (Wärmedämmung, Fenster, Geräte,
Anlagen) aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechnen.“ (Aebischer und Catenazzi, 2007, S.
136). Das beinhaltet implizit eine Verhaltensänderung bei Investitionsentscheiden.
„Was im Szenario II mit einer verstärkten Zusammenarbeit erreicht wurde, wird im vorliegenden Szenario III mit staatlichen Massnahmen durchgesetzt.“ (Aebischer und Catenazzi,
2007, S. 151). Neben der Energieabgabe sind es insbesondere Mindestanforderungen für
127
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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serienmässig hergestellte Komponenten, Geräte und Fahrzeuge, sowie Vorschriften für
Neubauten für energetische Verbesserungen bei Sanierungen.
14.3.3 Szenario IV “Auf dem Weg zur 2000 Watt Gesellschaft”
Im Szenario IV werden die den Szenarien II und III unterstellten Strategien kombiniert. „Die
bereits im Szenario II thematisierte „verstärkte Zusammenarbeit“ aller für einen Energiewandel relevanten Akteure kommt auf globaler und nationaler Ebene voll zum Tragen. Die im
Szenario III vorwiegend hoheitlichen Energieprogramme erfahren eine breite Akzeptanz und
Unterstützung durch die Privatwirtschaft und die Zivilgesellschaft.
Dieser Wertewandel und die verstärkte Zusammenarbeit führen einerseits zu einer beschleunigten und verstärkten Ausschöpfung der in Szenario III bestimmten „best-practice“
Potenziale. Andererseits werden auf breiter Basis Betriebsoptimierungen durchgeführt, welche zusätzliche dauerhafte Effizienzverbesserungen von rund 10% bringen.“ (Aebischer und
Catenazzi, 2007, S. 164).
In Szenario IV wird auch eine veränderte Nutzung von neuen Technologien vorausgesetzt
und die energetischen Auswirkungen eines auf Ressourcenschonung und Energieeffizienzverbesserung abzielenden Einsatzes von neuen Technologien untersucht.
„Bei den Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) handelt es sich einerseits um
die Auswirkung einer auf Energieeffizienz ausgerichteten Steuerung, Regulierung und Optimierung von Geräten, Anlagen, Systemen und Betriebsabläufen. Diese Anwendungen wurden im obigen Abschnitt Betriebsoptimierung behandelt. Bei der zweiten sehr viel komplexeren Frage geht es um die Auswirkung von IKT auf die Ausgestaltung und Organisation der
Büroarbeitswelt und insbesondere auf den effizienten Umgang mit der Ressource „Bürofläche“. Aus der Umfrage11 resultierte, dass sich der Flächenbedarf pro Vollzeitäquivalent Beschäftigte in den Büros infolge „Virtualisierung der Arbeitswelt“ bis 2035 um 18% reduzieren
könnte.“ (Aebischer und Catenazzi, 2007, S. 174).
Im Szenario IV wird also die Mengenkomponente (Energiebezugsfläche) als szenarioabhängige Grösse interpretiert. Es ist jedoch nicht, der Suffizienzgedanke, der hier zum Tragen
kommt, sondern der gezielte Einsatz der neuen Technologien zur effizienteren Nutzung der
Energiebezugsflächen.
Auch Weiterentwicklungen in der Pharmakologie, die zunehmend eine individuellere und
nichtstationäre Behandlung von Patienten ermöglicht, können einen Einfluss auf die Mengenkomponente haben. „Wir versuchen dieser erwarteten Entwicklung damit Rechnung zu
tragen, dass sich der Flächenbedarf im Spitalbereich, der einen hohen spezifischen Energieverbrauch aufweist, leicht reduziert und dafür entsprechend der Flächenbedarf in der Unterbranche Pflege-, Alters- und Wohnheim wächst. Damit wird das stetige Wachsen der Spitalfläche gestoppt – nicht jedoch das Wachstum des gesamten Gesundheitswesens.“ (Aebischer und Catenazzi, 2007, S. 175).
11
Kirchner, A., A. Ley und V. Rits, 2006. Auswertung I des Kompakt-Delphi-Prozesses. Thesen zur langfristigen
Technologieentwicklung für das Szenario IV „Wege zur 2000-Watt-Gesellschaft“. Auswertung des Rücklaufs I.
Arbeitsbericht, Basel, 7. Februar
128
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Zusammenfassend sind in der nächsten Figur 2 die Szenarien I bis IV in einem Raum positioniert, der durch die Dimensionen „freiwillig <–> verordnet“, „Verhalten/Einstellung <-> technisch“ und „Energieeffizienz (EE) / rationelle Energienutzung (RE)“ aufgespannt ist. Szenario
II liegt gegenüber dem heutigen Zustand und gegenüber dem Referenzszenario deutlich
stärker auf der Seite „freiwillig“ und „Verhalten/Einstellung“. Energieeffizienz, respektive rationellere Energienutzung haben einen höheren Stellenwert als in der Referenzentwicklung.
Szenario III ist im Gegensatz dazu deutlich stärker von staatlich verordneten, vor allem technischen Massnahmen geprägt als das Referenzszenario. Im Dienstleistungssektor liegen
Energieeffizienz und rationelle Energienutzung auf einer vergleichbaren Stufe mit dem Szenario II. Szenario IV, die Kombination der beiden Ansätze in den Szenarien II und III liegt
logischerweise zwischen diesen beiden Szenarien, was den Typus der unterstellten „Policy“
betrifft und deutlich darüber, was die Auswirkung auf rationelle Energienutzung und Energieeffizienz betrifft.
Ein hypothetisches Szenario II-Plus, das dem aktuellen Aktionsplan des Bundesamtes für
Energie im Bereich der Dienstleistungen ähnlich ist, ist charakterisiert durch deutlich strengere staatliche Vorschriften als im Referenzszenario, aber ohne eine verstärkte Zusammenarbeit wie im Szenario II und ohne eine hohe Energieabgabe wie im Szenario III. Die zu erwartenden Energieeinsparungen dürften deshalb deutlich unter denen im Szenario III liegen.
freiwillig
Verhalten/Einstellung
Typ von Massnahmen
verordnet
technisch
I “Weiter wie bisher”
II Plus „Aktionsplan“
II “Verstärkte Zusammenarbeit”
III “Neue Prioritäten”
IV “Auf dem Weg zur 2000 Watt Gesellschaft“
EE, RE
Figur 2:
Position der Szenarien I bis IV im Raum, der durch die folgenden Dimensionen aufgespannt ist: „freiwillig <–> verordnet“ und „Verhalten/Einstellung <->
technisch“, welche den Typ der Massnahmen charakterisieren, und „Energieeffizienz (EE) / rationelle Energienutzung (RE)“, welche die Stärke der Wirkung der Massnahmen aufzeigt.
Die Ergebnisse der Modellrechnungen für den Dienstleistungssektor (Figur 3 und 4) zeigen,
dass unter Voraussetzungen wie im Szenario II „verstärkte Zusammenarbeit“ die Wirkung
von freiwilligen Massnahmen durchaus in der Grössenordnung von hoheitlich vorgeschrie-
129
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
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benen Massnahmen wie in Szenario III liegen kann. „Szenario IV ist eine Kombination der
Ideen der Szenarien II und III: anspruchsvolle hoheitliche Massnahmen werden mit freiwilligen Massnahmen ergänzt und umgesetzt. Die Wirkung ist überzeugend: der 2000 Watt Pfad
wird erreicht“ (Aebischer und Catenazzi, 2007, S. 230)
Wärmenachfrage, ohne Umweltwärme, in PJ/Jahr
Elektrizitätsnachfrage, in PJ/Jahr
80
80
70
70
60
60
50
50
40
2005
2015
IV
Figur 3:
Ia
2025
II
III
2035
40
2005
2015
IV
best practice
Ia
II
III
2035
best practice
Energienachfrage 2005-2035 im Dienstleistungssektor in den Szenarien I – IV.
Ebenfalls gezeigt ist die Nachfrage für den Fall, dass die technischen „best
practice“ Potentiale ausgeschöpft werden, aber keine Betriebsoptimierung
stattfindet und die neuen Technologien nicht gezielt zur Ressourcenschonung
und Energieeffizienzverbesserung eingesetzt werden.
Elektrizität
Wärme
40%
40%
30%
30%
20%
20%
10%
10%
0%
2005
2015
Ia-II
Figur 4:
2025
Ia-III
2025
Ia-IV
0%
2005
2035
(Ia-II)+(Ia-III)
2015
Ia-II
Ia-III
2025
Ia-IV
2035
(Ia-II)+(Ia-III)
Reduktion der Energienachfrage 2005-2035 im Dienstleistungssektor in den
Szenarien II, III und IV relativ zur Entwicklung der Nachfrage im Referenzszenario I. Gestrichelt gezeigt ist die Summe der Einsparungen in den Szenarien
II und III.
Das BFE hat für das Jahr 2035 Zwischenziele (-35% CO2 Emissionen und -35% Endenergie
pro Person, beides relativ zum Jahr 2000) für den Weg hin zur 2000 Watt Gesellschaft vorgegeben. Diese werden in den Szenarien II und III weit verfehlt, aber mit Szenario IV knapp
erreicht. Dazu müssen im Dienstleistungssektor die im Szenario III verordneten Massnah-
130
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
men verschärft werden und mit den freiwilligen Massnahmen – Verhaltens-änderungen bei
Investitionsentscheiden und beim Betrieb der Anlagen und Gebäude – wie im Szenario II
„Verstärkte Zusammenarbeit“ kombiniert werden. Nur falls diese Massnahmen von allen relevanten Akteuren mitgetragen werden, können die Ziele erreicht werden. Dass diese Zwischenziele sinnvoll gesetzt sind, ist aus Figur 5 ersichtlich, wo die Entwicklungen 2020-2035
linear extrapoliert früher oder später (u. A. abhängig von der Art der Stromproduktion12) die
2000 Watt pro Person und die 1 Tonne CO2 pro Person erreichen. Dass diese Trendextrapolation natürlich nicht eine seriöse Weiterführung der Energienachfrage und der CO2 Emissionen über das Jahr 2035 hinaus ist, wird schon daraus ersichtlich, dass die CO2 Emissionen
nach 2070 negativ werden!
Watt pro Person (brutto) in Szenario IV und Extrapolation
CO2 pro Person (brutto) in Szenario IV und Extrapolation
6000
7.00
6.00
5000
5.00
4000
4.00
3.00
3000
2.00
1.00
2000
0.00
2000
-1.00
1000
0
2000
2020
2040
2060
2080
2100
-2.00
2010
2020
2030
2040
2050
2060
2070
2080
2090
2100
-3.00
IV_A
IV_C
IV_E
IV_A
IV_C
IV_E
extrapo_A
extrap_C
extrap_E
extrap_A
extrap_C
extrap_E
Figur 5: Szenario IV ist ein Weg in Richtung 2000 Watt Gesellschaft: Watt pro Person (Primärenergie) (links) und CO2 Emissionen (inkl. Elektrizitätsproduktion) pro Person (rechts) in
der Schweiz in Szenario IV (bis 2035) und weiterführende lineare Extrapolation der Entwicklung 2020-2035. Die horizontalen Linien zeigen die Ziele 2000 Watt/Person und 1 t
CO2/Person.
14.4
Schlussfolgerungen
Die Szenariorechnungen haben gezeigt, dass im Dienstleistungssektor mit freiwilligen Massnahmen durchaus Effizienzverbesserungen möglich sind, die mit der Wirkung von verordneten Massnahmen vergleichbar sind. Das setzt aber Verhaltensänderungen bei der Nutzung
der Geräte, Anlagen und Gebäude voraus. Verhaltensänderungen sind aber auch notwendig, damit anspruchsvolle verordnete Massnahmen beschlossen werden und auf breiter Basis umgesetzt werden.
Ein Einschwenken in den Weg Richtung 2000 Watt Gesellschaft ist mit technische Massnahmen alleine nicht möglich. Das Szenario IV ist im Dienstleistungssektor eine Kombi12
Die neuen erneuerbaren Energien spielen längerfristig eine sehr wichtige Rolle. Mittelfristig (2035) trägt aber
die Energieeffizienz oder die rationelle Energienutzung im Dienstleistungssektor in allen Szenarien zu rund ¾ zur
Reduktion der CO2 Emissionen bei.
131
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
nation der Szenarien II „Verstärkte Zusammenarbeit“ und Szenario III „Neue Prioritäten“ mit
einer hohen Energieabgabe und mit der Umsetzung der „best practice“-Strategie.
Verhaltensänderungen setzen einen Wertewandel voraus, der heute erst in kleinen Ansätzen
sichtbar ist. Nachhaltige Entwicklung ist zwar in aller Munde, aber die politischen und wirtschaftlichen Entscheide orientieren sich heute grossmehrheitlich an sehr kurzfristigen und
eindimensionalen Zielen.
Im heutigen Kontext ist die hohe Gewichtung von verordneten Massnahmen im Aktionsplan
des Bundesamtes für Energie die wohl einzig realistische Strategie. Für längerfristige/ambitioniertere Zielsetzungen ist eine neue Einstellung der Akteure aber unabdingbar.
Dazu sind schon heute sehr viel mehr Bemühungen und Mittel für Ausbildung/Fortbildung/Erziehung/Information/ Debatte/Meinungsbildung notwendig. Und dass
Energiepolitik auch Steuerpolitik, Wirtschaftspolitik, Verkehrspolitik, Forschungspolitik,
Raumplanung ist, wird zwar heute vielerorts anerkannt, aber in der Alltagspolitik ist das noch
kaum sichtbar.
14.5
Referenzen und Literaturhinweise
Aebischer, B., G. Catenazzi, 2007. Der Energieverbrauch der Dienstleistungen und der
Landwirtschaft, 1990 – 2035. Ergebnisse der Szenarien I bis IV und der zugehörigen
Sensitivitäten BIP hoch. März 2007, Bundesamt für Energie, Bern
http://www.bfe.admin.ch/php/modules/publikationen/stream.php?extlang=de&name=de_7
71206991.pdf
Aebischer B., M.A. Balmer, S. Kinney, P. Le Strat, Y. Shibata, F. Varone, 2003. Energy
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Study "Time to turn down energy demand - Energy intelligent solutions for climate, security and sustainable development", 2-7 June 2003, St Raphael/France
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Menti U.-P., 1999. „Standby-Verbrauch“ von Dienstleistungsgebäuden. Verbrauchsmessungen an 32 Objekten. Bundesamt für Energie, Forschungsprogramm Elektrizität, Bern,
September
132
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
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bNoKSn6A--
133
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
15
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Stephan Kohler: Strategie für eine zukunftsfähige Energiepolitik
Stephan Kohler
Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena), Geschäftsführer
dena
Chausseestr. 128a
D-10115 Berlin
[email protected]
15.1
Einleitung
Meine Damen und Herren, herzlichen Dank für die Einladung. Ich möchte mich auf drei Blöcke konzentrieren:
Zuerst möchte ich ganz kurz die Deutsche Energie-Agentur vorstellen, weil ich nicht denke,
dass diese in der Schweiz schon so bekannt ist. Dann möchte ich doch nochmals auf eine
globale Diskussion eingehen, denn bezüglich Energieeffizienz und regenerative Energie wird
ja immer noch so getan, als ob dies Wohlstandsthemen wären, die wir hier in Deutschland, in
der Schweiz, in Europa behandeln. Dann möchte ich ihnen aber auch sehr konkret aufzeigen, wie wir eigentlich in Deutschland dieses Problem angehen wollen.
Als ich den Titel "Mythos Stromlücke" las, hab ich mir gedacht: Mensch, kann das sein, dass
wir im Jahr 2007 wieder über die Stromlücke zu diskutieren beginnen? Ich bin ja auch schon
ein bisschen älter, und ich kann mich noch erinnern, wie sich ein baden-württembergischer
Ministerpräsident, und zwar Herr Filbinger, höchst blamiert hat, als er 1978 gesagt hat:
"Wenn wir das Atomkraftwerk Wyhl nicht bauen, gehen die Lichter aus." Das Atomkraftwerk
Wyhl ist immer noch nicht gebaut, und – wie Herr Sailer dargelegt hat – der Ausbau der
Atomenergie hat seitdem in Deutschland sehr stark stagniert, und wir haben immer noch
Überkapazitäten im System. Meiner Meinung nach sollten wir die Diskussion, dass der Umstand, dass wir eine Energieart wie z.B. die Atomenergie nicht einsetzen, zu einer Stromlücke führt, sehr schnell beenden. Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meinem Vortrag auch aufzeigen kann, weshalb ich Ihnen dies auch so sicher vortrage.
134
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
15.2
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Deutsche Energie-Agentur
Wir sind eine Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch inzwischen vier
Ministerien. Das Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerium ist jetzt auch noch in
der Gesellschaft. Wir haben also vier Ministerien in der Deutschen Energie-Agentur und die
KfW Bankengruppe. Und was die Schweizer besonders interessieren dürfte: Ab September
sind zusätzlich drei Banken Gesellschafter der Deutschen Energie-Agentur, und zwar die
Deutsche Bank, mit Herrn Ackermann, einem Schweizer als Chef, der sich entschieden hat,
bei uns Gesellschafter zu werden, weil er das Thema Energieeffizienz und regenerative
Energien so hochspannend findet. Dann die Allianz und die DZ-Bank (die Genossenschaftsbank). Wir haben also drei Banken als neue Gesellschafter in der Deutschen EnergieAgentur (wir sind ja als GmbH organisiert, d.h. wir kriegen keine Zuschüsse), weil uns unsere
Gesellschafter eben die Aufgabe gestellt haben, Energieeffizienzmärkte zu entwickeln mit
der Nutzung von regenerativen Energiequellen. Dies ist die Aufgabe, die heute ansteht. Wir
können heute folgendes nachweisen: Wir haben technisch kein Problem, und wir haben in
vielen Bereichen wirtschaftlich kein Problem, sondern wir haben ein Umsetzungsproblem.
Das müssen wir entsprechend angehen.
Herr Glos ist Vorsitzender des dena-Aufsichtsrates. Herr Gabriel und Herr Tiefensee sitzen
als Minister, sie haben kein Vertretungsrecht und müssen daher auch persönlich erscheinen.
Sie können sich vorstellen: Wenn diese drei Herren zusammensitzen, ist die Diskussion
manchmal ganz interessant, da Herr Gabriel und Herr Glos – um nur zwei Personen aus
dem Aufsichtsrat zu nennen – ja manchmal unterschiedliche Ansichten haben. Aber gerade
deshalb ist es auch interessant, eine solche Einrichtung wie die Deutsche Energie-Agentur
zu gründen und zu betreiben. Denn wir versuchen, eine Rationalität in die Diskussion zu
bringen und auch Vorschläge zu machen, auf die die Ministerien dann setzen können. Herr
Glos sagte letzthin zu mir, dass seine Vorgänger es einfach hatten, da sie nur einen Umweltminister im Kabinett hatten. Er hat jetzt zwei Umweltminister im Kabinett, also neben
Herrn Gabriel auch noch Frau Merkel als Umweltministerin. Deshalb können wir auch sagen,
dass sich die Bundesregierung schon sehr stark mit dem Thema Energieeffizienz beschäftigt. Sie können es wahrscheinlich im Fernsehen mitverfolgen – z.B. G8, EURatspräsidentschaft, auch wenn Sie es nicht direkt betrifft, aber alle anderen um Sie rum
machen es ja.
Frau Merkel misst zwar dem Klimaschutz eine hohe Priorität bei und setzt ihn eben auch im
Kabinett um. Aber – und das ist ein wichtiger Punkt, den wir immer vergessen – beim Energiegipfel (ich war ja Mitglied beim Energiegipfel) sagte Frau Merkel eindeutig, dass die Koalition beim Atomausstieg bleibt und trotzdem das 40%-CO2-Ziel bis zum Jahr 2020 erreichen
will, Bezug nehmend auf das Basisjahr 1990. Wir haben also eine Strategie: Ausstieg aus
der Atomenergie. Sie wissen, die Bundesregierung hat beschlossen, bis etwa zum Jahr
2022, 2023 aus der Atomenergie auszusteigen, und bis dahin sind die hohen Energieeffizienzpotenziale zu erreichen. Deshalb denke ich, dass es sinnvoll ist, sich damit zu beschäftigen.
Unsere Kompetenz- und Handlungsfelder sind hauptsächlich die Energieeffizienz auf der
Nachfrageseite und Fragen der Nutzung von regenerativen Energiequellen. Wir heissen
zwar Deutsche Energie-Agentur, aber wir machen derzeit schon ungefähr 50% unseres Um-
135
Entwicklung des weltweiten Primärenergieverbrauchs Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
satzes im Ausland, insbesondere in Russland, China, Indien und in der Ukraine. In diesen
Ländern versuchen wir mit deutschen Unternehmen, eben auch entsprechend Effizienzmärkte zu schaffen.
15.3
Energie- und Stromszenarien
Obwohl wir viel über Energieeffizienz reden, veröffentlicht die Internationale Energieagentur
solche Energieszenarien, die uns vor- und aufzeigen, dass praktisch ein ungebremstes
Quelle: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), 2005
Energieverbrauchswachstum eintreten wird. Hier steigt alles an (vgl. Abbildung 1). Natürlich
tragen auch die regenerativen Energiequellen aufgrund der hohen Preise der konventionellen Energieträger zur Deckung der Nachfrage bei. Sie werden konkurrenzfähig und werden
dann auch stärker ausgebaut. Aber alle gehen davon aus, dass der Primärenergieverbrauch
weltweit massiv steigen wird.
Abb. 1: Entwicklung des weltweiten Primärenergieverbrauchs
Bei der Stromerzeugung prognostiziert die IEA sogar eine Verdopplung (vgl. Abbildung 2).
Sie haben hier den Anstieg von 2002 von ungefähr 15'000 Terawattstunden weltweit auf ungefähr 30'000 Terawattstunden im Jahr 2030. Sie sehen – und es bestätigt auch das, was
Herr Sailer heute früh gesagt hat –, die Kernenergie stabilisiert sich weltweit praktisch auf
dem heutigen Niveau. Mit Sorge ist jedoch zu betrachten, dass eben trotz des Ausbaus von
regenerativen Energiequellen ein massiver Ausbau von Kohle stattfindet, was uns natürlich
CO2-mässig ein riesiges Problem bereitet. Wir Deutschen diskutieren zwar sehr stark über
die CO2-Abscheidung. Wir wissen aber auch, dass diese CO2-Abscheidung in absehbarer
Zeit wirtschaftlich nicht einsetzbar ist und dass deshalb hier mit der CO2-Abscheidung noch
nicht viel an CO2-Verminderungspotenzial erreicht werden kann.
136
Erwarteter Zuwachs der Stromerzeugung weltweit Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der
Schweiz
Erwarteter
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Stromzuwachs
bis 2030 + 97%
TW
h
Quelle: E.ON Ruhrgas/IEA
Abbildung 2: Erwarteter Zuwachs der Stromerzeugung weltweit
Auch in Europa wird von einem sehr starken Zuwachs des Stromverbrauchs ausgegangen.
Ich werde mich im Weiteren auf den Strom konzentrieren, weil das Thema ja die Stromlücke
ist. Den Gebäudebereich also nur am Rande erwähnen. Ich will Ihre Aufmerksamkeit auf die
Kernenergie hier unten lenken. Es wird unterstellt, dass sich die Kernenergiestromerzeugung
bis zum Jahre 2030 in Europa halbiert. Deutschland ist da nur mit ungefähr 110 Terawattstunden drin. Die Reduktion beträgt 500 Terawattstunden. Also müssen noch andere Länder,
die Kernenergie auslaufen lassen, ohne sie zu ersetzen. Ich möchte Sie hier nur an die Quelle erinnern. Es ist also nicht etwa das Öko-Institut Freiburg das solches prognostiziert, sondern es ist E.ON Ruhrgas und Eurostat. Also immerhin veröffentlicht Europas grösster
Stromversorger solche Zahlen. Es ist schon interessant, wie auch die Branche selbst ihre
Chancen zur Kernenergie einschätzt.
Bei den ganzen Szenarien möchte ich Ihnen Folgendes aufzeigen: Wir müssen ernsthaft
darüber diskutieren, und jedem ist doch klar, dass dieses Energieverbrauchswachstum weder beim Primärenergieverbrauch noch beim Stromverbrauch realisierbar ist. Wir haben begrenzte Ressourcenverfügbarkeit. Wir haben negative Umweltauswirkungen. Wir laufen
durch die ganze Welt und diskutieren über die Klimakatastrophe. Wir haben zunehmende
Versorgungsrisiken. Die Energieimportabhängigkeit steigt immer stärker, aber auch das Risiko der Energieversorgung nimmt immer mehr zu z. B. durch terroristische Angriffe usw. Wir
haben also ein sehr instabiles Energiesystem und können deshalb mit dem prognostizierten
Weg, so wie aufgeführt, nicht weitermachen.
137
Vergleich verschiedener Szenarien zum Welt-­‐‑Primärenergieverbrauch 2050 Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
15.4
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Versorgungssicherheit und Klimaschutz
Unser Versorgungs- und unser Klimagesichtspunkt sind interessant. Wir haben in DeutschA = Energiebedarfmehr
im Jahr
1995 soll, weil man auf Erdgas
land die Diskussion, dass man keine Kohlekraftwerke
bauen
B = Shell-Szenario „Nachhaltige Entwicklung“
umsteigen soll. Ich bin ein grosser Freund
Russland. Ich bin
im Jahr
ungefähr zwölf Mal
C = von
Weltenergie-Konferenz,
mittleres
Szenario
in Russland, ich habe auch eine Bonuskarte von Aeroflot. Sie können mir also nicht unterD = Solares Langfristszenario des DLR /
stellen, dass ich etwas gegen Russland Wuppertal
habe. Russland
Institut verhält sich marktwirtschaftlich völlig
normal. Denn inzwischen haben sie ja im Südosten das Land China mit einem unheimlich
1995: 5,6 Mrd. Menschen
starken Energieverbrauchswachstum. Es
ist 10,1
auchMrd.
eine
Tatsache, dass die neuen Erdgasfel2050:
Menschen
der immer mehr in den Osten wandern. Und die Entfernung, um eine Pipeline nach Europa
zu bauen, ist gleich gross, wie wenn man eine Pipeline nach China baut. Jetzt einmal nur
aus ökonomischer und betriebswirtschaftlicher Vernunft: Wieso sollen die Russen in Zukunft
ihre Pipelines nur nach Westen bauen so wie bisher? Sie werden sie in Zukunft natürlich
auch nach China bauen und werden dann auch China mit Erdgas beliefern. Ich sage nicht,
dass das für uns Probleme geben wird. Wir können dann allfällige russische Minderlieferungen mittels LNG ausgleichen. Aber wir werden diese bequeme Versorgungssituation, wie wir
sie heute haben, in Zukunft nicht mehr haben. Deshalb ist es schon notwendig, dass wir entsprechende Massnahmen ergreifen.
Szenarien des Energiebedarfs 2050
1400
1155
1200
Primärenergie, EJ/a
1000
825
800
660
600
400
386
200
0
A
B
C
Kohlen
Erdgas
Mineralöl
Kernenergie
Sonne, Wind, Wasser
Biomasse
D
Abbildung 3: Vergleich verschiedener Szenarien zum Welt-Primärenergieverbrauch 2050
Was hier unter B (vgl. Abbildung 3) aufgeführt ist, habe ich Ihnen bisher aufgezeigt. Meine
Aussage ist, dass Szenarien, die mit einem hohen Energieverbrauch verbunden sind, aus
Versorgungs- und Umweltgesichtspunkten nicht realisierbar sind. Sie sehen, bei diesem
Szenario sind 50% durch regenerative Energiequellen abgedeckt, aber trotzdem haben wir
138
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
fast eine Verdoppelung der fossilen Energieversorgung. Also die Aussage ist eindeutig und
gilt national, Europa- und weltweit: Hohe Verbrauchsszenarien können nicht von der Versorgungsseite her abgedeckt werden, und deshalb müssen wir auf Szenarien abstellen wie C
oder D, wo die Energieeffizienz weltweit massiv in den Vordergrund gerückt wird.
Es ist doch eine Lüge, wenn behauptet wird, dass in China der Energieverbrauch so wie bisher steigen wird. Aber man muss hier differenzieren. In Shanghai, in Peking, in den hochindustrialisierten Gebieten in China haben Sie einen Energieverbrauch pro Kopf, der in unserer
Grössenordnung liegt. Der niedrige Durchschnittswert kommt nur dadurch zustande, dass
eben 800 Millionen Chinesen im ländlichen Bereich weit darunter liegen. Aber Sie haben
natürlich auch in China heute schon ein massives Energieeinsparpotenzial, das realisiert
werden kann. Und ich behaupte, die Chinesen gehen auch in diese Richtung, denn sie haben zwar nicht die Klimaprobleme im Fokus, sondern die lokale Umweltverschmutzung, die
auch massive Bürgerproteste auslöst. Deshalb denke ich, dass auch in China eine Energieeffizienzstrategie sinnvoll und möglich ist, genau so wie auch in Russland und anderen Staaten. Also muss die eindeutige Strategie sein: Energieeffizienz als Erstes, hohe Priorität bei
der regenerativen Energiequellen, und was dann noch übrig bleibt, muss – wenn wir im
Strombereich bleiben – mit konventionellen Kraftwerken abgedeckt werden. Wenn Sie
Deutschland anschauen: Wir können unseren Primärenergieverbrauch reduzieren und eben
den Anteil an regenerativen Energiequellen erhöhen und dann das vorher aufgezeigt Szenario auch entsprechend umsetzen.
15.5
Energiepolitische Strategie mit drei Säulen
Die Strategie ist ein Dreiklang: Rationelle Energienutzung (Nachfrageseite), Effiziente Wandlung von Primärenergie in Endenergie (Angebotsseite) und Ausbau und Integration von regenerativen Energien.
Wobei ich noch einmal betonen möchte: Die rationelle Energienutzung auf der Nachfrageseite muss in den Mittelpunkt gestellt werden. Und da reicht es eben nicht aus, nur Appelle zu
machen, sondern wir müssen Energieeffizienz mächtig gestalten. Wir alle sind uns zwar darüber einig, dass Energieeffizienz notwendig ist. Aber wir sind uns nicht einig über die Umsetzung der Energieeffizienz. Da wird von der Notwendigkeit von Instrumenten-mix und Aktionsplänen gesprochen, aber das reicht nicht aus. Ich nehme nur einmal ein Beispiel, und ich
werde Ihnen auch zeigen, dass es funktionieren kann.
Die Firma Leki, ein Skistockhersteller, hatte ein massives Absatzproblem. Sie hat sich nicht
überlegt Aktionspläne zu machen, sondern sie hat sich mit einigen Fachleuten zusammengesetzt und sich überlegt, wo die zukünftigen Märkte für Skistöcke sind. Das Ergebnis ist,
dass jetzt Leute im Sommer mit Skistöcken durch den Grunewald in Berlin laufen. So gestaltet man Märkte, und ich denke, das ist die Aufgabe. Es muss natürlich einen Dreiklang geben. Wir brauchen Ordnungsrecht, wir brauchen natürlich Vorgaben beim Bau eines neuen
Hauses, damit es einen hohen Effizienzstandard hat, wir brauchen Fördermass-nahmen für
regenerative Energiequellen, weil sie eben noch nicht konkurrenzfähig sind. Aber wir brauchen vor allen Dingen auch Unternehmen, die die vielen wirtschaftlichen Einsparpotenziale
einhalten, sie mit Marketinginstrumenten umsetzen.
139
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
15.6
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Energieeffizienzziele
Unsere Bundesregierung übertrifft sich praktisch in permanenten Zieldefinitionen und Beschlüssen. Die Energieeffizienzziele der EU-Ratspräsidentschaft sind ehrgeizig. Ich wusste
auch nicht, dass man so häufig die Zahl 20 miteinander kombinieren kann. Auf jeden Fall
wurde beschlossen: 20% Reduktion des Primärenergieverbrauchs, 20% Steigerung erneuerbare Energien, 20% Reduktion Treibhausgasemission, und das alles bis zum Jahr 2020.
Sie sehen also, wir haben hohe Ansprüche. Die Bundesregierung hat entsprechend einen
Koalitionsvertrag, eine Regierungserklärung und ein Klimaschutzprogramm beschlossen. Wir
geben uns nicht zufrieden, denn wir sind ja die Musterschüler. Ob wir es dann immer erreichen, ist die zweite Frage. Aber wir haben beschlossen: 40% CO2-Einsparung bis zum Jahr
2020. In zwölf Jahren müssen wir also 40% einsparen. Wir wollen 25% bis 30% erneuerbare
Energien zur Stromerzeugung einsetzen. Wir wollen 25% Stromerzeugung aus Kraft-WärmeKopplung, 17% Erneuerbare bei der Treibstoffnutzung und entsprechend im Wärmesektor
auch 14%. Das Wichtigste ist jedoch die Verdoppelung der Energieproduktivität bis zum Jahr
2020. Wobei sich jetzt darunter niemand eine Deindustriealisierungsstrategie vorstellen soll.
Aber es ist wirklich kein triviales Problem.
15.6.1 Energieproduktivitätssteigerung
Das Ziel ist eine Verdopplung der Energieproduktivität von 1990 – 2020, bisher haben wir
seit 1990 eine Steigerung der Energieproduktivität von 27% erreicht. Wobei man dazusagen
muss, dass hier auch die Wiedervereinigung stattfand, und wir in den neuen Bundesländern
die schlechte Industrie stillgelegt haben. Die hohe Energieproduktivitätssteigerung führt zu
einem grossen Teil darauf zurück, dass wir eben die DDR einverleibt, stillgelegt und sie vom
Westen aus versorgt haben – um es brutal zu sagen. Es hat uns zwar ein bisschen Geld
gekostet, es war nicht umsonst, aber deshalb haben wir hier diese Produktivitätssteigerung.
1999 bis 2003 lagen wir nur bei einer Energieproduktivitätssteigerung von 0,9%. Wenn wir
das Ziel Energieproduktivitätsverdoppelung erreichen wollen, müssen wir jetzt jedes Jahr 3%
erreichen. Wir müssen also unsere Aktivitäten verdreifachen, um das Ziel zu erreichen. Wir
haben also nur zwölf Jahre Zeit.
Um dieses Ziel zu erreichen, reicht es eben nicht aus, nur eine oder zwei Massnahmen zu
ergreifen, sondern wir müssen uns darauf konzentrieren, was den Menschen eigentlich interessiert. Und ich sage Ihnen einmal ganz deutlich: Mich interessiert keine Kilowattstunde
Strom, Heizöl oder Erdgas, sondern mich interessiert, wie ich einen behaglich temperierten
Wohn- oder Büroraum haben kann, oder ob ich eine beleuchtete Schreibtischplatte habe. Es
geht also um die Bereitstellung von Energiedienstleistungen und nicht um Energieträger. Das
müssen die Leute allmählich begreifen. Die Bereitstellung von Energiedienstleistung ist viel
schwieriger als nur Energieversorgung. Bei einem Beschluss, ein neues Kraftwerk zu bauen,
müssen sich fünf schlaue Eon-Vorstände zusammensetzen, dann haben sie das Kraftwerk
gebaut. Um dieselbe Menge Energie einzusparen, müssen wir Millionen von Leuten erreichen, die in ihrer jeweiligen Kaufentscheidung sagen: Ich kauf mir jetzt keinen schlechten
Kühlschrank, sondern einen mit einer Energieeffizienz von A++.
140
dena-­‐‑Stromszenario bis 2020 Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Diese Energieeffizienzmärkte müssen entsprechend gestaltet werden. Wir brauchen dazu
Technik. Ich behaupte, dass wir diese haben. Ich behaupte es nicht, weil ich Techniker bin,
sondern wir haben ja meistens einen Technikvorsprung. Aber wir haben erhebliche Probleme bei der Kapitalbeschaffung und auch beim Know-how. Wir haben ein Umsetzungsdefizit,
weil die Leute oftmals nicht gut ausgebildet sind, um Passivhäuser zu bauen, obwohl sie
wirtschaftlich sind. Und wir haben häufig eine Kapitalkonkurrenz, eine Investitionskonkurrenz, weil dann plötzlich die schöne italienische Kachel in der Investitionsentscheidung gegen die Wärmedämmung steht. Und jeder hat eben ein bestimmtes Investitionsbudget beim
Hausbau. Wenn ich mich dann zwischen dem Bau eines schönen Bades oder der Energieeffizienz entscheiden muss, wird oftmals die Entscheidung zugunsten des schönen Bades gefällt. Dann wurde wieder ein Haus in einem schlechten Standard gebaut, obwohl wirtschaftliche Einsparpotenziale vorhanden sind. Das sind heute die Probleme bei der Umsetzung,
und daran müssen wir uns orientieren.
15.7
dena-Strategie
Was macht Deutschland? Wir haben als dena der Bundesregierung einen Vorschlag unterbreitet. Im Strombereich können wir bis 2020 8% einsparen, beim Wärmebedarf 19%, im
Verkehrsbereich 5%. Ich will Ihnen aufzeigen, was dies im Strombereich bedeutet.
Abbildung 4: dena-Stromszenario bis 2020
141
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Wir können die Stromerzeugung reduzieren von derzeit ungefähr 630 Terawattstunden auf
rund 555 Terawattstunden. Kernenergie wird dabei auslaufen. Aber Sie sehen, dass sich in
der Kraftwerkstruktur massiv etwas tut (vgl. Abbildung 4).
Wir haben dann im Jahr 2020 ungefähr die Hälfte der Erzeugung in regenerativen oder KraftWärme-Kopplungs-Anlagen und reduzieren den Anteil der konventionellen Kondensationskraftwerke von heute 83% auf rund 58%. Wir sind keine Fantasten und argumentieren nicht
mit irgendwelchen Technologien die gar nicht vorhanden sind.
Das Stromeinsparpotenzial können wir auch erreichen, aufgeteilt in Industrie, Dienstleistungssektor und private Haushalte, aufgeteilt in die verschiedenen Bereiche mechanische
Energie (also Motoren), Beleuchtung, Prozesswärme und Substitution von Stromdirektheizung. Wir machen auch, das ist das Spannende, dabei einen Instrumentenmix. Wir sagen,
dass wir natürlich TopRunner brauchen, wir arbeiten hier auch sehr gut mit der Schweiz und
Österreich zusammen. Wir brauchen auch entsprechende Programme, um diese Effizienzpotenziale umzusetzen, und wir bewerten diese Programme auch. Wir denken, dass wir mit
der TopRunner-Strategie in privaten Haushalten 19% des Stromeinsparpotenzials umsetzen
können. Man muss so konkret vorgehen und auch die Partner definieren. Wir arbeiten mit
der Geräteindustrie und den Händlern zusammen. Wir haben beispielsweise eine Kooperation mit der Metro, Saturn und Media Markt, die beinhaltet, dass sie ihre Verkäufer in Energieeffizienzfragen ausbilden. Wir machen ihnen wirklich sehr attraktive Angebote – eine Drehscheibe, wo der Kunde sofort erkennen kann, dass er Geld sparen kann, wenn er sich einen
Kühlschrank der Effizienzklasse A++ kauft. Das interessiert ihn nämlich in erster Linie und
nicht, ob er das Klima schützt.
15.7.1 Ein Einsparbeispiel
Auf jeden Fall müssen wir für die jeweiligen Zielgruppen entsprechende Programme auflegen. Ein Beispiel soll hierzu veranschaulichen über welche Dimension wir reden. Das ist ein
realisiertes Bürogebäude und zwar von der Deutschen Bank (vgl. Abbildung 5).
142
Muster-­‐‑Bürogebäude: Stromkosten und Einsparpotenziale •
•
Bestandsgebäude
70er Jahre,
4.250 m² Bruttogeschossfläche
Mythos Stromlücke
– Die Stromzukunft
der Schweiz
Gesamtstromverbrauch 271.000 kWh/a
Stromkosten bisher:
35.300 €/a
Verbleibende
Stromkosten
6.700 €/a
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Stromkosten optimiert:
6.700 €/a
Beleuchtung
19.600 €/a
Einsparung:
28.600 €/a
Heizungspumpen,
900 €/a
Bürogeräte
8.100 €/a
Abbildung 5: Muster-Bürogebäude: Stromkosten und Einsparpotenziale
Vielleicht haben wir deshalb Herrn Ackermann überzeugen können, bei uns Gesellschafter
zu werden. Dieses Bürogebäude ist also realisiert. Die bisherigen Stromkosten in diesem
Bürogebäude betrugen ungefähr 35'000.- Euro. Durch die Optimierung von Beleuchtung,
Bürogeräten und Heizungspumpen belaufen sich die Stromkosten heut noch auf 6'700.- Euro. Und es verbleibt eine Amortisationszeit von weniger als fünf Jahren.
Ich könnte Ihnen dies noch an verschiedenen anderen Beispielen aufzeigen. Wir können
nachweisen, dass alle Beispiele wirtschaftlich sind, um Stromeinsparpotenziale zu erreichen.
Es besteht kein Subventionsbedarf, sondern es können hochwirtschaftliche Massnahmen
ergriffen werden.
15.8
Regenerative Energiequellen
Die Bundesregierung hat beschlossen, bis zum Jahr 2020 27% durch regenerative Stromerzeugung abzudecken. Wir sind auf einem sehr guten Weg. Wir hatten im Jahr 2006 12% an
regenerativen Energiequellen. Wir wollen bis zum Jahr 2020 eben diese 27%, d.h. 140
Terawattstunden, erreichen. Die Windenergie hat bei uns natürlich ein sehr grosses Potenzial. Unser Szenario geht davon aus, dass wir im Jahr 2020 50'000 Megawatt an Windkraftleistung haben werden. Sie hören es richtig, derzeit haben wir Atomkraftwerke mit 21'000 Megawatt. Dies nur als Grössenvergleich. Bei der Stromerzeugung ist es dann noch etwas anderes. Dank der Nord- und Ostsee können wir wirklich Off-Shore bauen – zwar unter schwierigen Verhältnissen, aber das ist ein massives Ausbauprogramm, das natürlich auch entsprechende Investitionen benötigt.
Hier muss es natürlich auch europäische Kooperationen geben, weil wir allein die Windenergie in Deutschland – salopp gesagt – nicht mehr verarbeiten können. Da sollte man im Euro-
143
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
päischen Verbund zusammenarbeiten und eben die Vorteile, die das eine Land hat, auch mit
dem andern ausgleichen. Wir haben im Off-Shore-Bereich die Planung, dass im Jahr 2020
ungefähr 15'000 Megawatt an Off-Shore-Windparks steht. Wir müssen natürlich diesen
Netzausbau und auch Netzertüchtigungen realisieren. Es ist auch kein Nachteil dass die
Windenergie eben schwankend einspeist, sondern wir haben ein europaweites Verbundsystem mit Kraftwerken, die Regel- und Reserveenergie leisten können. Es geht jetzt darum, die
Windprognose mit der Stromverbrauchsprognose und den Speichertechnologien zu koppeln
und dann die Windenergie, die wirklich schwankend einspeist, optimal ins Verbundsystem
einzuspeisen.
Das ist aber kein Zauberwerk. Bereits 1870 hat ein österreicherischer Ingenieur die ersten
Verbundgedanken entwickelt. Er wollte die Naturmotoren der Wasserkraft mit der Windenergie verbinden. Also der verbundwirtschaftliche Grundgedanke kam genau aus der Nutzung
der regenerativen Energiequellen. Deshalb können wir heute das Verbundsystem auch entsprechend nutzen. Wir müssen die Regelenergie entsprechend reduzieren, indem wir z.B.
die Prognosefähigkeit für Windenergie erhöhen. Dadurch können wir das System optimieren.
Hier haben wir einen Optimierungsbedarf, weil natürlich die regenerativen Energiequellen
möglichst mit ihrem schwankenden Angebot entsprechend ins System eingespeist und mit
den anderen Kraftwerkskomponenten verbunden werden müssen.
15.9
Was kommt auf uns zu?
Wir haben keine Stromlücke. Aber wir müssen uns heute bemühen, intelligente Systeme zu
entwickeln, also die Verbindung zwischen Stromeffizienz, intelligenter Zählertechnik, dezentraler Erzeugungsanlagen, Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen und dann eben die Verbindung
mit den regenerativen Energiequellen, die Vorrang bekommen auch z.B. bei der Speicherung. Wir haben heute Druckluftspeicher, Nachtspeicherheizungsanlagen, Kühlgeräte usw.
im System. Wir brauchen keine neue Stromnachfrage zu schaffen, denn wir haben heute
viele Speichertechnologien im System. Wir haben die Situation im Off-Shore-Windpark, dass
der Wind weht und die normale Stromnachfrage gering ist. Dann werden Speichertechnologien eingesetzt, um das System zu optimieren. Das ist die Aufgabe, die vor uns steht. Und
ich glaube, ich habe Sie ein bisschen davon überzeugen können. Wir haben keine Stromlücke. Wir haben eine Umsetzungslücke, die wir heute aber auch mit intelligenten Instrumenten sehr schnell schliessen können.
144
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
16
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Conrad U. Brunner: Die Stromlücke ist eine Denklücke
Conrad U. Brunner
Energiefachexperte, S.A.F.E.
A + B International Sustainable Energy Advisors
Gessnerallee 38a
CH-8001 Zürich
[email protected]
16.1
Einleitung
Die Strompolitik der Schweiz kreist gegenwärtig um den Mythos einer kommenden Stromlücke. Im Folgenden wird gezeigt, dass es sich nach Kenntnisnahme der energetischen Vergangenheit und der offiziellen Zukunft eher um eine Denklücke handelt. Die offiziellen Energieperspektiven des Bundes basieren noch auf überholten tiefen Energiepreisen (30 Dollar
pro Barrel Öl) und einem unerwünschten Zusatzbedarf elektrischer Wärmepumpen. Sie basieren kaum auf Mindestvorschriften für elektrische Geräte, die innert 10 Jahren ohnehin
erneuert und durch beste Geräte ersetzt werden können. Die Lückenverfechter berücksichtigen nicht, dass ein Markt Lücken rasch durch höhere Preise deckt, das heisst Strom wird
teurer. Und sie übersehen, dass in der dicht besiedelten Schweiz jedes neue Gas- oder
Atomkraftwerk unweigerlich neue Protestbewegungen in Trab setzt.
16.2
Was wir über die energetische Vergangenheit wissen
16.2.1 Import und Export
Die Energiegeschichte der Schweiz ist in zwei jährlich erneuerten Dokumenten sauber aufbereitet und verfügbar.13 Einer inländischen Produktion im Jahr 2006 von 62,1 TWh/a (52,4%
Wasser, 5,4% fossil, 42,2% nuklear) steht ein Endverbrauch von 57,8 TWh/a gegenüber.
Hier ist der Input und Output der elektrischen Energieversorgung und -nutzung, auch die
13
Bundesamt für Energie: Schweizerische Elektrizitätsstatistik 2006, Bern 2007 & Bundesamt für Energie:
Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2006, Bern 2007
145
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Verluste von 4,3 TWh/a klar dargestellt (vgl. Abbildung 1). Die 2,9 TWh/a Verlust für die
Pumpspeicherung sind nicht explizit dargestellt.
Abbildung 1: Flussdiagramm Elektrizität Schweiz 2006 (GWh)
Quelle: Elektrizitätsstatistik 2006
Die typischen jährlichen Import- und Exportmengen der Elektrizität liegen in der Schweiz in
derselben Grössenordnung wie der inländische Verbrauch. Das Geschäftsvolumen des Landesverbrauchs hat im Jahr 2006 8,5 Mrd. CHF, die schweizerischen Stromexporte haben
weitere 4 Mrd. CHF ausgemacht. Der (verlorene) zusätzliche Aufwand für die Pumpspeicherung und die exportbedingten Transportverluste dienen ausschliesslich kommerziellen Überlegungen. Aus versorgungstechnischen Gründen sind sie unnötig und unerwünscht. Die
Schweiz hat dank des hohen Anteils an speicherbarer Wasserkraft praktisch keine Tag/Nacht-Spitzenlastprobleme. So ist denn auch die benötigte maximale Höchstlast von ca.
12'000 MW jeweils durch den Export bestimmt und nicht durch die inländische Höchstlast,
die kaum 10'000 MW übersteigt.
Zu den Besonderheiten der schweizerischen Stromwirtschaft gehören folgende zwei Trümpfe:
•
Grosses elektrisches Speichervermögen von 8,6 TWh in Wasserspeichern (15% des
jährlichen Endverbrauches).
146
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
•
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Grosses grenzüberschreitendes elektrisches Verbundnetz in allen vier Himmelsrichtungen mit einer vertraglich vereinbarten maximalen Leistung von 12'300 MW, (die technische Durchleitungskapazität aller grenzüberschreitenden Linien beträgt sogar 28'600
MW).
Abbildung 2: Saisonaler Tagesgang von Verbrauch und Produktion
Quelle: BFE Elektrizitätsstatistik 2006
Der typische Tagesgang am jeweiligen Mittwoch der vier Jahreszeiten dargestellt, zeigt ein
weiteres Phänomen: Ungefähr die Hälfte der Tagesspitzenleistung von 9'000 bis 10'000 MW
ist nachts immer noch als Sockelleistung am Netz. Hier laufen - neben sinnvollen Nutzungen
in dreischichtigen Industriebetrieben - viele nutzlose elektrische Apparate im Leerlauf. Neben
dem Standby von elektrischen Apparaten im Nicht-Gebrauchszustand von 2 TWh/a14, ist der
Leerlauf von Aggregaten (Pumpen, Ventilatoren, Kompressoren, Beleuchtungsanlagen, Widerstandsheizungen etc.) umfassender und generiert nach ersten Schätzungen einen zusätzlichen verschwendeten elektrischen Verbrauch von über 5 TWh/a.
14
Jürg Nipkow, S.A.F.E.: Stand-by Schätzung 2007, persönliche Kommunikation
147
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
16.2.2 Verbrauchsentwicklung
Die Verbrauchsanteile haben sich zwischen den drei grossen Bereichen Haushalt, Industrie
und Dienstleistungen praktisch nicht geändert (Tabelle 1). Erstaunlich ist der grosse und
ebenso konstante Verlustanteil von 11% für Pumpspeicherung und Transport. Der Winterverbrauchsanteil (Oktober bis März) beträgt wegen den Elektroheizungen konstant 54% des
Jahresverbrauches. Allerdings zeigen wärmere Jahre wie der Sommer 2003 die zunehmend
stärker werdende Sommerspitzenlasten für die Kühlung von Räumen und Produkten.
Schweiz 2006
TWh/a Anteil
Haushalt
17,7 27,3%
Landwirtschaft
1,1
1,6%
Industrie
19,0 29,3%
Dienstleistung
15,3 23,5%
Verkehr
4,8
7,4%
Transportverlust
4,3
6,7%
Pumpspeicherung
2,7
4,2%
Total Verbrauch
64,8 100,0%
Tabelle 1
Elektrischer Verbrauch in der Schweiz 2006
Die Zuwachsraten des elektrischen Energieverbrauchs haben sich in den letzten drei Dekaden von 4.7% p.a. (1960 - 1970) durch langsame Effizienzsteigerung und Substitution laufend auf 1,2% p.a. (1990 - 2000) zurückgebildet. Im Moment dümpelt die Zuwachsrate zwischen 1% und 2% p.a (vgl. Abbildung 3).
Endverbrauch Elektrizität
5,0%
4,5%
Zuwachs pro Dekade
4,0%
3,5%
3,0%
2,5%
2,0%
1,5%
1,0%
0,5%
0,0%
1960-1970
Abbildung 3:
1970-1980
1980-1990
1990-2000
Zuwachsraten elektrischer Energieverbrauch 1960 – 2006
Quelle: Elektrizitätsstatistik 2006
148
1996-2006
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Der beobachtete elektrische Verbrauchszuwachs lässt sich gut auf seine Ursachen zurückführen:
Steigende Bevölkerung, Gebäudefläche, Industrieproduktion und BIP.
•
Ausweitung des Gebrauchs von elektrischen und elektronischen Geräten (mehrere TV
pro Haushalt, zusätzliche batteriebetriebene Spiele, etc.)
•
Abwesenheit einer griffigen Politik im Bereich der elektrischen Energie.
Die beobachtete Verbesserung der Energieeffizienz von serienmässig hergestellten elektrischen Geräten der letzen Dekaden hat mitgeholfen, die Zuwachsraten zu vermindern. Offensichtlich sind aber bisher die unterliegenden Treiber des vermehrten Einsatzes von Geräten
stärker als die nur langsam den Gerätebestand verbessernden neuen Produkte.
16.2.3 Vergleich mit Europa
Im europäischen Umfeld ist unser elektrisches Verbrauchsniveau weder besonders hoch
noch seine Tendenz der schleichenden Zunahme ausserordentlich. Am höchsten liegen immer Norwegen, Schweden und Finnland, die eine besonders hohe Verbreitung der elektrischen Heizung aufweisen.
Abbildung 4: Vergleich des elektrischen Energieverbrauches pro Kopf in einigen
europäischen Ländern Quelle: Elektrizitätsstatistik 2006
16.2.4 Entwicklung des Strompreises
Die elektrische Energie ist ständig - eigentlich unbemerkt - teurer geworden. Der in den letzten Jahren vermeintlich konstante Mittelpreis von 15 Rappen pro kWh und die Gesamtaus-
149
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
gaben von 8,5 Mrd. CHF pro Jahr täuschen: Während wir uns über die hohen und stark
schwankenden Ölpreise sorgen, hat der an der schweizerischen Strombörse SWEP bei der
Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg bezahlte mittlere elektrische Grosshandelspreis zwischen 2000 und 2006 um jährlich 18% zugenommen. Bei der deutschen Strombörse EEX in
Leipzig, die inzwischen ein beträchtlich grösseres Handelsvolumen aufweist, ist dieselbe
Tendenz feststellbar.
SWEP Electricity Exchange
80
Mean
70
Linear (Mean)
Price (Euro/MWh)
60
50
40
y = 7,2326x + 17,822
R2 = 0,87
30
20
10
0
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
Year
Abbildung 5: SWEP mittlere Strompreise Quelle: www.egl.ch, Auswertung CUB
Es ist nach einer Phase rückläufiger Strompreise mit grosszügigen Kundenrabatten, zu erwarten, dass die günstigeren Marktsegmente (Grossverbraucher mit Hoch- und Niederspannungsanschluss in Industrie, Dienstleistung, etc. mit heute ca. 10 Rappen pro kWh) künftig
stark steigende Strompreise aufweisen werden, während Haushaltkunden mit einem bereits
höheren Tarif (heute ca. 20 Rappen pro kWh) davon weniger stark betroffen sein werden.
Wie der Preisüberwacher laufend feststellt, bestehen immer noch grosse regionale Tarifabweichungen einzelner Stromlieferanten mit ± 25%.
16.2.5 Anforderungen für elektrische Geräte
Im Gegensatz zu den energetischen Anforderungen bei Gebäuden, haben wir im Bereich der
elektrischen Geräte im Haushalt, Büro, in der Industrie, Landwirtschaft und im Verkehr keine
Qualitätsmassstäbe und keine verpflichtenden Mindestanforderungen. Dies ist insofern erstaunlich, als die Gebäude in der Zuständigkeit der Kantone liegen, serienmässig hergestellte elektrische Geräte jedoch allein in der Kompetenz des Bundes. Das geltende Energiegesetz von 1998 enthält im Artikel 8 seit 10 Jahren die Möglichkeit von verpflichtenden Mindestanforderungen, so dass sie nur durch eine einfache bundesrätliche Verordnung umge-
150
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
setzt werden können. Alle bisher versuchten freiwilligen Vereinbarungen mit Herstellern und
Importeuren (Zielwerte für elektronische Geräte, für elektrische Motoren, etc.) sind in der
Realität immer gescheitert. Da elektrische Geräte nur eine Gebrauchsdauer von 5 bis 15
Jahren aufweisen, sind rascher als bei langlebigen Bauten durch den natürlichen Ersatz
grosse Effizienzfortschritte machbar.
Die wunden Punkte des elektrischen Energieverbrauches sind bekannt:
•
Elektrische Heizung und Warmwasser (brauchen mehr als 6 TWh Winterstrom),
•
Standby und Leerlauf (Verluste von über 7 TWh/a),
•
Energetisch unsinnige Verluste in Pumpspeicherwerken (2 TWh/a)
•
Unkontrollierte Förderung schlechter Wärmepumpen mit Leistungsziffern von 2 statt 4,
Verbrauch von 1 TWh/a vorwiegend Winterstrom,
•
Energetisch unsinnige Tarifprivilegien (z.B. Winterverbrauch für Elektrowärme, Gratisbezug für Kraftwerkregionen, etc.) und grosse regionale Tarifunterschiede.
16.3
Was wir über die Zukunft wissen
Zwischen 2003 und 2007 hat das Bundesamt für Energie Energieperspektiven bis 2035 erarbeitet.15 Darin wird untersucht, wie sich in einer prosperierenden Schweiz mit weiter steigendem realem pro Kopf Einkommen, weiterhin grösserer mittlerer Wohnfläche, etc. die
Energienachfrage entwickelt. Die Nachfrage nach Elektrizität und Endenergie wird nach 4
unterschiedlichen Szenarien beurteilt. Die Möglichkeiten zur Senkung des Endenergieverbrauches sind zahlreich und ihre Wirkung ist beachtlich. Im elektrischen Bereich werden allerdings nur geringe Chancen auf eine künftige Verbrauchsenkung ausgewiesen. Dabei ist
zu berücksichtigen, dass zwischen fossilen Brenn- und Treibstoffen und elektrischer Energie
ein zu bestimmender Substitutionskanal mit zwei Hauptfeldern besteht:
•
Wärmepumpen beanspruchen im Jahr 2035 1700 bis 2300 MW (heute 500 MW) elektrische Leistung in einer Kältewelle. Das ergibt rund 3 TWh zusätzlichen Elektrizitätsbedarf.
•
Elektrofahrzeuge beanspruchen bis 2035 rund 1 TWh zusätzlichen Elektrizitätsbedarf.
15
Bundesamt für Energie: Die Energieperspektiven 2035, Synthese, Bern 2007
151
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
PJ
900
800
700
600
500
Endenergie
400
300
200
Elektrizität
100
Prognos 2006
0
1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035
Vergangenheit
Sz I
Sz II
Sz III
Sz IV
Abbildung 6: Energieperspektiven 2035 Endenergie und Elektrizität
Quelle: BFE Energieperspektiven 2035
Aus der Alterung der bestehenden elektrischen Erzeugungsanlagen kann die im Jahr 2035
bestehende Versorgungslücke beziffert werden (vgl. Abbildung 7). Sie beträgt im Szenario I
„Weiter wie bisher“ maximal 22,3 TWh entsprechend 31% des Landesverbrauchs. Im effizientesten der untersuchten Szenarien, dem Szenario IV „Unterwegs zur 2000Wattgesellschaft“, beträgt die Unterdeckung gerade noch 5,0 TWh/a, was nunmehr noch 9%
der Landesverbrauchs ausmacht. Daraus kann deutlich abgeleitet werden, dass in diesen
vier untersuchten Varianten eine stärkere Ausrichtung auf Effizienz im elektrischen Bereich –
wie im Szenario IV – grosse Vorteile für die mögliche Bedarfsdeckung erzielt:
•
Die Lücke ist nicht versorgungskritisch, d.h. sie entspricht heutigen Import/Exportvolumina zur Kompensation unterschiedlich verfügbarer Wasserkraft und
schwankenden Wintertemperaturen.
•
Es sind keine Panikanlagen erforderlich wie Gaskraftwerke, die rasch gebaut und rasch
entsorgt werden müssen.
•
Es entstehen keine belastenden Mittelabflüsse durch allfällige Importüberschüsse.
•
Das effektive Potenzial ist mit den Möglichkeiten von Szenario IV noch lange nicht ausgereizt.
152
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
TWhel
100
90
Landesverbrauch + Verbrauch der
bestehenden Speicherpumpen:
Sz. I
Sz. II
Sz. III
80
70
60
Sz. IV
50
40
30
20
Wasserkraft
10
Kernenergie
Fossil-therm. KW und WKK
Bezugsrechte 1)
Erneuerbare 2)
0
1990
1995
2000
2005
2010
2015
2020
1) Saldiert mit Lieferverpflichtungen. Bei Lieferverpflichtungen > Angebot ist der Wert 0
2025
2030
2035
2) gekoppelt und ungekoppelt
2040
2045
2050
Hydrologisches Jahr
Abbildung 7: Landesverbrauch der 4 Szenarien über der Alterungskurve bestehender
elektrischer Erzeugungsanlagen; Quelle: BFE Energieperspektiven 2035
Die Abbildung 7 zeigt zwei wichtige Phänomene für die längerfristige Zukunft der Stromversorgung der Schweiz:
•
Das Problem der Versorgungslücken ist bei hohem Verbrauchszuwachs (Szenarien I bis
III) nicht mit neuen AKW allein zu lösen, weil sie eine 20jährige Wartezeit bis zur Inbetriebnahme schaffen. Das heisst: die geplanten beiden neuen AKW mit je 1600 MWe
brauchen zwingend noch drei bis sieben Gaskraftwerke (oder sehr grosse Importe) zur
Überbrückung.
•
Die hohen Verbrauchszenarien I bis III sind am Ende der Szenarienperiode 2035 nicht
„aus dem Schneider“, im Gegenteil: die Deckungslücke vergrössert sich progressiv auf
30 bis 50 TWh/a. Demgegenüber kann mit der Weiterführung der Effizienzpolitik von
Szenario IV die Verbrauchskurve bis 2050 (nach der Stilllegung der AKW und dem Auslaufen der Bezugsrechte) dem vorhandenen Sockel der Wasserkraft angenähert werden.
Die Differenz kann mit erneuerbarer Energie und Wärmekraftkoppelung locker gedeckt
werden.
16.4
Was man davon halten kann
Die effiziente Energienutzung in der Elektrotechnik ist noch nicht im Markt verankert. Trotz
30 Jahren technischem Fortschritt und 16 Jahren energetischer Kampagnen mit Schwergewicht im Gebäudebereich sind hier bislang auch mit ständig verbesserten Geräten keine
wirklichen Marktfortschritte zu verzeichnen. Die heutigen Marktanteile von effizienteren Geräten im Neuverkauf der Schweiz liegen rund um 10% und lassen damit noch grosse Zuwachsraten erwarten. Wir haben noch nicht einmal richtig mit effizienteren Geräten begonnen!
153
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Licht
10% Stromsparlampen für Haushalte
70% elektronische Vorschaltgeräte
1% Minergie Leuchten für Büro
Motoren in der Industrie
10% Eff1 Motoren
Haushaltgeräte
8% Wärmepumpen A Tumbler
40% AAA Waschmaschinen
8% A++ Kühlschränke
20% A-Klasse Raumklimageräte
40% TV Standby unter 1 Watt
4% Kaffeemaschinen ohne Wärme-Standby
Gebäude
1% A-Klasse Umwälzpumpen
10% Minergie Häuser
Tabelle 2
Marktanteil effizienter elektrischer Geräte am Verkauf 2007
Quelle: S.A.F.E., FEA, Prognos, et al.
Einige der technisch besseren und effizienteren Geräte weisen einen Technologiesprung
gegenüber bisherigen Geräten auf und sind daher in der Anschaffung teurer, können aber
ihre Mehrkosten während der Nutzungsdauer durch geringere Energiekosten teilweise mit
grossen Gewinnen kompensieren. Beispiele dieser ersten Kategorie sind: Stromsparlampen,
Wärmepumpen Tumbler, Induktionskochherde, etc.
Andere Geräte weisen nur marginale Kostenveränderungen auf und sind trotzdem im Standby und im Betrieb deutlich effizienter. Zu dieser zweiten Kategorie gehören: A++ Kühl/Gefriergeräte, LCD TV, Premium Motoren, etc. Diese Geräte weisen alle hohe Gewinne
während ihrer Nutzungsdauer auf.
Bei einer dritten Kategorie sind effiziente Geräte sogar günstiger in der Anschaffung: Zum
Beispiel: LCD statt Plasma TV mit vernünftiger Grösse, richtig dimensionierte Pumpe mit
Frequenzumrichter, etc.
Das insgesamt zur Verfügung stehende Effizienzpotenzial durch den kontinuierlichen Ersatz
bestehender durch bessere elektrische Geräte beträgt 18 TWh/a.
154
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Motoren (Pumpen, Ventilatoren, Kompressoren, Förderanlagen)
Beleuchtung (Haushalt und Büro)
Elektrowärme (inkl. WP)
Haushaltgeräte
Verschiedenes (inkl. industrielle/gewerbliche Wärme)
Elektrowarmwasser
Gewerbliche Anwendungen
Bürogeräte
Unterhaltungselektronik
Bahnen inkl. Tram, Seilbahnen, Skilifte
-
1'000
2'000
3'000
4'000
5'000
6'000
7'000
GWh/a elektrisches Einsparpotenzial
Abbildung 8: Potential der elektrischen Energieeinsparung; Quelle: S.A.F.E. 2007
Allerdings ist es klar, dass eine höhere Marktdurchdringung von energieeffizienten Geräten
innert nützlicher Frist nur erreichbar ist, wenn ein klar definiertes Anschubprogramm die nötige Unterstützung gewährleistet. Dazu braucht es:
•
Energielabel: einheitliche und transparente Warendeklaration aller wichtigen energieverbrauchenden Geräte. Heute besteht dies nur bei wenigen Kategorien der weissen Haushaltgeräte.
•
Aktuelle Datenbank
(www.topten.ch).
•
Zulassungsvorschriften für den maximalen jährlichen elektrischen Verbrauch bei normalem Gebrauch mit laufender Aktualisierung entsprechend der technischen Entwicklung
(www.topten.info siehe „Best of Europe“.
•
Einführungsprogramme von Bund, Kantonen und Elektrizitätswerken mit finanzieller Unterstützung für die Technologiebeschleunigung.
der
Bestgeräte
mit
einfachem
Zugriff
für
Endkunden
Zu lange hat sich die Schweiz hinter vermeintlichen technischen Handelsbarrieren der World
Trade Organization WTO Vorschriften versteckt. Diese Barrieren sind nachweislich nicht
vorhanden, wenn klare gesetzliche Grundlagen wie in der Schweiz vorliegen und einheimische wie auch importierte Geräte gleich streng behandelt werden.
Lange ist auch nur die sogenannte „Weisse Ware“, die grossen Haushaltgeräte ins Visier
genommen worden. Die Beleuchtung, die Kommunikationstechnologie und die industriellen
Motoren für Pumpen, Ventilatoren, Kälte- und Druckluftkompressoren und mechanische Antriebe sind wenig beachtet worden.
155
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Verschiedenes (inkl.
industrielle/gewerbliche
Wärme)
14%
Elektrischer Endverbrauch 2006
Beleuchtung
13%
Bahnen inkl. Tram,
Seilbahnen, Skilifte
5%
Haushaltgeräte
12%
Gewerbliche Anwendungen
4%
Unterhaltung
2%
Bürogeräte
3%
Elektrowärme (inkl. WP)
7%
Motoren (Pumpen,
Ventilatoren,
Kompressoren,
Förderanlagen)
36%
Elektrowarmwasser
4%
Abbildung 9: Elektrizitätsverbrauch: Anteile aller Gerätekategorien; Quelle: S.A.F.E. 2007
Die Energieperspektiven zeigen, dass sich Energieeffizienz lohnt. Die äquivalenten Strompreise der elektrischen Effizienzmassnahmen betragen im Jahr 2035 im Mittel nur gerade 11
Rappen pro kWh, also sogar weniger als der heutige Strompreis. Die zusätzlichen jährlichen
Effizienzinvestitionen im Jahr 2035 im Szenario IV von jährlich 6 Mrd. CHF können durch die
eingesparten Energiekosten von 10 Mrd. CHF überkompensiert werden, so dass ein jährlicher Saldo von 4 Mrd. CHF entsteht. Dies ist für den einzelnen Betrieb und Haushalt ein
wichtiger Anreiz und für die gesamte Volkswirtschaft von grosser Bedeutung.
156
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Abbildung 10: Investitionen in Energieeffizienzmassnahmen
Quelle: BFE Energieperspektiven 2035
Für die Umsetzung bedeutet dies einen klaren Zeitplan der koordinierten Einführung verpflichtender Energieetiketten und Mindestanforderungen für alle wichtigen, serienmässig
hergestellten elektrischen Geräte. Wichtige Vorarbeiten sind gemacht. Die Haushaltgerätehersteller haben sich bereits an die europäische Energieetikette A bis G, die Motorenhersteller an die europäische CEMEP Effizienzklassen Eff1 bis Eff 3, die Elektronikimporteure an
das Energystar Label gewöhnt. Inzwischen haben sich zwei grosse europäische Herstellerverbände (CECED Haushaltgeräte und CEMEP Elektromotoren) öffentlich für die Einführung
gesetzlicher
Mindestanforderungen
ausgesprochen.
Pionierhafte
ElektrizitätsVersorgungsunternehmen wie das ewz in Zürich haben bereits etablierte Förderprogramme
für Bestprodukte. Bundesstellen haben sich mit dem Programm Rumba an einheitliche Beschaffungskriterien gewöhnt. Die neue europäisch abgestützte Energieetikette des SIA gibt
den dafür zuständigen Kantonen ein einfaches Hilfsmittel für die Klassierung und Beurteilung
der Qualität des gesamten Energieverbrauches für Gebäude (Wärme und elektrische Energie).
157
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
Mindestanforderungen und Zielvereinbarungen
Mindestanforderungen für Haushaltgeräte
Mindestanforderungen für elektronische Geräte
Mindestanforderungen für Haushaltlampen
Mindestanforderungen für elektrische Normmotoren
Mindestanforderungen für weitere Geräte
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Gerätekategorie
Energieetikette Mindestanforderungen
A++
A+
A
B
C
Kühl- und Gefriergeräte
vorhanden
2012 2011 2009
Geschirrspüler
vorhanden
2009
Backöfen
vorhanden
2009
Waschmaschinen
vorhanden
2009
Tumbler
vorhanden
2011 2009
Wasserspender
2009
Staubsauger
2009
Raumklimageräte
vorhanden
2009
Standby
2009 < 0.5 Watt 2012
< 1 W 2009
Glühlampen, HV Halogen vorhanden
2012
NV Halogen
vorhanden
2015 2010
FL
vorhanden
2010
Leuchten
vorhanden
2010
Vorschaltgeräte
2009
2010
Strassenbeleuchtung
2009
2010
vorhanden
IE3 2012
IE2 2009
Kaffeemaschinen
2009
2010
Kältemaschinen
2010
2010
USV
2009
2009
Wasserdispenser
2009
2009
D
E
2010
2008
Abbildung 11: Zeitplan für die Einführung von Energieetiketten und Mindestvorschriften für
elektrische Geräte in der Schweiz; Quelle. S.A.F.E. 2007
16.5
Folgerungen
Die Schweiz ist innerhalb von Europa sehr gut platziert, um eine zukunftsgerichtete Energieund Strompolitik umzusetzen. Nicht nur hat sie dank ihrer grossen Wasserkraftproduktion
und ihres mächtigen Speichervolumens eine ausgezeichnete Basis für die Grundversorgung
der Arbeitsplätze und der Privaten. Sie hat auch genügend verfügbares Know how auf dem
Gebiet der Elektrotechnik und Elektronik, um eine neue beispielhafte Tendenz zur stärkeren
Effizienz einzuleiten. Zusammen mit den Chancen der erneuerbaren Energie und der Wärmekraftkoppelung braucht die Schweiz ihre Stromzukunft nicht von der Panikmache einseitiger Interessengruppen abhängig zu machen.
In den nächsten 30 Jahren werden rund 50 Milliarden CHF Investitionen im elektrischen Sektor getätigt. Dies kann entweder durch den Zubau von Grosskraftwerken und den dazu erforderlichen starken Ausbau des Transport- und Verteilnetzes geschehen. Oder es kann
schwergewichtig durch Investitionen in Effizienzmassnahmen, dezentrale Wärmekraftkoppelung und die dezentrale Erzeugung erneuerbarer Elektrizität im In- und Ausland geschehen.
Das Investitionsvolumen ist vergleichbar. Die volkswirtschaftliche Bedeutung und die Umweltwirkung sind aber stark unterschiedlich. Die neuen Aktionspläne des BFE für Energieeffizienz und Erneuerbare Energien16 lassen hoffen, dass diese Ideen bald zur offiziellen Politik
gehören werden. Statt 20 lange Jahre zu warten, bis allenfalls die erste neue Kilowattstunde
aus einem hypothetischen neuen AKW erzeugt wird, kann die erste heute eingesetzte neue
Stromsparlampe sofort den Verbrauch vermindern.
Gegenwärtig erleben wir ein seltenes „Window of Opportunity“: Das Zusammentreffen von
warnenden Katastrophenereignissen hier und im Ausland, einem beharrlich hohen Ölpreis
(und damit auch Gas-, Kohle- und Uranpreis) und einem steigenden - von wissenschaftlichen
Fakten unterlegten - Verständnis für die langfristigen Problemen unserer Umwelt und der
16
Bundesamt für Energie: Aktionsplan Energieeffizienz, Aktionsplan Erneuerbare Energien, Bern September
2007
158
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Gefährdung unseres Wohlstandes durch die gängige nicht-nachhaltige Wirtschaft. Ein Hauch
von ökonomischer Vernunft und der Ansatz für einen aufkeimenden Willen zur politischen
Veränderung sind spürbar. Es ist nicht auszuschliessen, dass vor diesem Hintergrund zuerst
die wohlhabenden Länder der OECD, und dann auch die ärmeren Länder beschliessen, sich
eine nachhaltige Entwicklung zum Ziel zu machen. Die COP 12 Konferenz in Bali im Dezember 2007 ist dazu die nächste Gelegenheit.
159
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
17
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
TeilnehmerInnenliste der Fachtagung 2007
Schweizerische Energie-Stiftung SES
Fachtagung:
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
Freitag, 31. August 2007,
SWX Swiss Exchange, ConventionPoint
ReferentInnen
Aebischer
Bernard
CEPE
Zürich
Aeschimann
Stefan
Aare-Tessin AG für Elektrizität (Atel)
Olten
Baumann
Rudolf
swissgrid ag
Laufenburg
Brunner
Susanne
SR DRS Studio Bern
Bern 14
Brunner
Conrad U.
Brunner Architektur & Energieplanung
Zürich
Horbaty
Robert
ENCO AG
Niederdorf
Kaufmann
Michael
Bundesamt für Energie BFE
Bern
Kirchner
Almut
Prognos AG
Basel
Kohler
Stephan
Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena)
Berlin
Müller
Geri
SES / Nationalrat Grüne AG
Baden
Rits
Vincent
Prognos AG
Basel
Sailer
Michael
Öko-Institut Darmstadt
Darmstadt
Sauer
Dirk Uwe
RWTH - Hochschule Aachen
Aachen
Zittel
Werner
Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH
Ottobrunn
Thomas
Markus
Esther
Peter
Thomas
Gymnasium Oberwil Abteilung Chemie
Greenpeace Schweiz
Assistentin NR Reto Wehrli
Kantonsrat SP
Beobachter
Oberwil BL
Zürich
Schwyz
Dübendorf
Zürich
Regula
Jürg E.
RBS Consulting
Schweizerischer Energierat
Magden
Bern
Rudolf
Marco
Katrin
Gerhard
Franz
Susan
Rafael
Umwelt und Energie Kanton Luzern
Stiftung Klimarappen
Luzern
Zürich
Bern
Zug
Schaffhausen
St. Gallen
Altdorf
TeilnehmerInnen
Abel
Allemann
Amberg
Anderegg
Angeli
BachmannSteiner
Bartlome
BaumannHauser
Berg
Bernath
Berner
Böni
Boos
Brand
energienetz-zug, SSES
WOZ
Scriptum
160
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
Britt
Brunner
Brunner
Brütsch
Buchenel
Bucher
Büeler
Bundi
Buri
Burri
Burri
Buser
Bush
Büsser
Roger
Walter
Peter
Urs
Bernard
Thaddäus
Bosco
Ulrich
Jürg
Michael
Hans R.
Christian
Eric
Marie-Therese
Cervera
De Bortoli
Debus
Dietrich
Domeisen
Dredge
Dreisiebner
Eberle
Egli
Etique
Evers
Fehlmann Stark
Filardi
Fischer
Fischer
Frei
Frei
Frei
Frommelt
Galli
Garbely
Gasser
Gasser
Geelhaar
Tomas
Marco
Jochen
Philipp
Werner
Marcus
Andreas
Armin
Ernst
Claude
Arno A.
Lotty
Ervino
Gerhard
Brigitte
Iris
Kurt
Werner
Hans
Hans
Myriam
Heinz
Franziska
Michel
Gehrig
Gessler
Graf
Grossenbacher
Guggenbühl
Gutknecht
Habicher
Hablützel
Haller
Urs
Rahel
Martin
Urs
Hanspeter
Bernard
Lorenz
Christian
Andreas
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Greenpeace Schweiz
SNEnergie AG
Hydroelectra AG
WWF Luzern
NOK - Kernkraftwerk Beznau
GIBB / Kantonsrat Grüne St. Gallen
Eawag
SES
GFL Stadt Bern
Atel
Bush Energie GmbH
Gesundheits- & Umweltdepartement
Stadt Zürich
Elektrizitätswerk Schaffhausen
Technische Betriebe Wil
Energiedienst AG
Paul Scherrer Institut
Axpo Holding AG
Migros-Genossenschafts-Bund
Dasag Renewable Energy AG
Centralschweizerische Kraftwerke AG
sun21
Arno A. Evers FAIR-PR
Einwohnerrätin / GL-Mitglied SP AG
Buderus Heiztechnik AG
Kantonsrat Zürich EVP
Flumroc AG
Daimer Chrysler Power Systems
Liechtensteinische Solargenossenschaft
Der Bund
Service cantonal de l‘énergie
Kommissionssekretärin KEVU
BHP - Brugger und Partner AG /
Energie Trialog Schweiz
Elektra Baselland
BHP - Brugger und Partner AG
Stadtpräsident Effretikon / Grüne
EnergieBüro Grossenbacher
Pressebüro Index
Kantonsrat Zürich SVP
Ernst Schweizer AG
161
Luzern
St. Gallen
Heerbrugg
Rothenburg
Gampelen
Döttingen
Flawil
Dübendorf
Bern
Bern
Zürich
Olten
Felsberg
Zürich
Schaffhausen
Wil SG
Rheinfelden
Villigen PSI
Zürich
Baden
Seuzach
Luzern
Halden
Basel
Starnberg
Aarau
Pratteln
Bäretswil
Widen
Herznach
Flums
Schlieren
Triesen
Bern
Genève
St-Légier
Zürich
Zürich
Liestal
Zürich
Effretikon
Murten
Illnau
Basel
Zürich
Forst
Hedingen
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
Hänni
Hauser
Hefti
Heinrich
Hofmann
Hofstetter
Hostettler
Huber
Imboden
Jean-Richard
Joller
Jud
Junker
Kaufmann
Keller
Keller
Kempter
Klingler
Kopp
Kröni
Kunz
Künzli
Laager
Lehner
Leuenberger
Liesch
Loosli
Luzzi
Maier
Manz
Marthaler
Marti
Marti-Wechsler
Marxer
Mathez
Mazzetta
Meier
Meier
Meier
Meisser
Meister
Menz
Menzi
Meyer
Meyer
Meyre
Mossdorf
Müller
Müller
Daniel
Robert
Giorgio
Michel
Markus
Stefan
Thomas
Ruedi
Priscilla
Peter
Thomas
Hans
Isabel
Markus
Robert
Renato
Erich
Georg
Thomas
Robert
Hansruedi
Brigitta
Daniel
Giorgio
Rolf
Bruno
Jeroen
Andreas
Erika
Ralph
Felix
Dorrit
Kurt
Helmuth
Stephan A.
Anita
Christof
Georg
Rainer
Stefan
Jörg
Reto
Ruedi
Philipp
Christopher
Stefan
Martin
Dominik
Nicolas
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
energho
Zürcher Kantonalbank
Tritec AG
Elektrizitätswerk der Stadt Zürich
NZZ
WWF Schaffhausen
Ingenierbüro Hostettler
Institut bau + energie ag
SR DRS Studio Bern
Grossrat Aargau SP
Umwelt und Energie Kanton Luzern
Judinvestor
Bundesamt für Umwelt BAFU
cR Kommunikation AG
Centralschweizerische Kraftwerke AG
AXA-Winterthur
Ingenieurbüro AG Kempter + Partner
econcept AG
Fachhochschule Rapperswil
Edisun Power AG
AWEL
Elektrizitätswerk der Stadt Zürich
EBM Energie AG
Elektrizitätswerke des Kantons Zürich
Energieberatung Oberaargau
INS Ingenieurbüro
BASE Switzerland
Institut für Solartechnik SPF
WWF Schaffhausen
WWF Oberwallis
Berufsschule Bülach
Ernst Basler + Partner AG
Solarcampus
WWF Graubünden
Amt für Umweltschutz
Elektrizitätswerke des Kantons Zürich
Axpo Holding AG
Nena AG
AXA-Winterthur
Buderus Heiztechnik AG
Kantonsrat SVP Zürich
Elektrizitätswerk der Stadt Zürich
Pro Natura Schweiz
Elektrizitätswerke des Kantons Zürich
Kantonsrat Zürich FDP
Groupe Solvatec SA
Energie Wasser Bern
162
Hünenberg
Zürich
Allschwil
Zürich
Zürich
Flurlingen
Bern
Bern
Zürich
Aarau
Luzern
Studen BE
Bern
Bern
Luzern
Winterthur
St. Gallen
Zürich
Rapperswil SG
Kirchdorf AG
Zürich
Urdorf
Arlesheim
Zürich
Langenthal
Bern 9
Basel
Rapperswil SG
Flurlingen
Brig
Bülach
Winterthur
Zell LU
Vaduz
Wetzikon ZH
Chur
St. Gallen
Zürich
Zürich
Greifensee
Winterthur
Pratteln
Rüti ZH
Zürich
Basel
Zürich
Bülach
Frenkendorf
Bern
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
Müller
Müller
Munz
Niederhäusern
Nussbaumer
Nyffenegger
Oblasser
Oesterreicher
Oettli
Paschotta
Passaglia
Piller
Piller
Piller
Portmann
Rauch
Rechsteiner
Reding
Reiber
Riatsch
Romer
Rota
Roth
Rudolph
Rüegger
Ruprecht
Rutschmann
Rütter
RütterFischbach
Sager
Sattler
Schedler
Scheidegger
Schmausser
Schmidlin
Schmidt
Schmidt
Schneiter
Scholer
Schuppli
Schwager
Schwager
Schwank
Schwyter
Seiler
Sesartic
Sorg
Kurt
Dominik
Martina
Anita
Eric
Ulrich
Stephan
Jürg
Bernhard
Rüdiger
Thomas
Bernhard
Elke
Walter
Heidi
Silvia
Rudolf
Oskar
Annette
Jan
Helen
Aldo
Thomas
Max
Heinz
Heidi
Frank
Heinz
Ursula
Heinz
Michael
Markus
André
Erik
Corinne
Thomas
Valentin
Stefan
Peter
Florian
Thomas
Franziska
Othmar
Silvia
Priska
Ana
Marianne
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Centralschweizerische Kraftwerke AG
Kantonsrätin SP Schaffhausen
SSES
ADEV Energiegenossenschaft
Wasser- und Energiewirtschaftsamt
TIWAG-Tiroler Wasserkraft AG
Genossenschaft Windland Benken
INFRAS
RP Photonics Consulting GmbH
NWA
SES
AEW Energie AG
Centralschweizerische Kraftwerke AG
GAK
Nationalrat SP / NWA
Curaviva
Greenpeace Schweiz
SBB AG, Bern
UmverkehR
TEC 21
Nuklearforum Schweiz / Burson-Marsteller
ADEV
F. Hoffmann- La Roche AG
ElCom
Rütter+Partner
Rütter+Partner
Nagra
Ökozentrum Langenbruck
Aare-Tessin AG für Elektrizität (Atel)
Amstein + Walthert AG
Stadtökologie Baden
cR Kommunikation AG
Zürcher Landzeitung
Scholer + Blatter AG
SES
VCS Sektion St. Gallen/Appenzell
Infras
Kantonsrätin Grüne Thurgau
Kantonsrätin SP Zürich
ETH Zürich
AUE Amt für Umweltkoordination und Energie
163
Walenstadt
Luzern
Hallau
Ueberstorf
Frenkendorf
Bern
Innsbruck
Truttikon
Zürich
Zürich
Basel
Zürich
Aarau
Luzern
Arlesheim
Zürich
Basel
Luzern 6
Zürich
Zollikofen
Zürich
Zürich
Thalwil
Bern 14
Rodersdorf
Basel
Bern
Rüschlikon
Rüschlikon
Wettingen
Basel
Lommiswil
Olten
Winterthur
Baden
Bern
Bern
Stäfa
Rheinfelden
Bern
St. Gallen
Basel
Zürich
Sommeri
Kloten
Zürich
Bern
Mythos Stromlücke – Die Stromzukunft der Schweiz
Späth-Walter
Spiegel
Steiger
Steiner
Stern
Stickelberger
Stiefel
Strahm
Stuber
Stucki
Taufer
Thiemann
Trunz
Trunz
Tschui
Ursin
Utzinger
Vellacott
Verdegaal
Vettori
von Rotz
von Stockar
von Stockar
Weber
Weber
Weidel
Weiller
Wellstein
West
Wettstein
Wickart
Wiederkehr
Wieland
Willi
Williams
Winkler
Wirz
Wlaka
Wyss
Ziegler
Züst
Markus
Andreas
Peter
Peter
Markus
David
Adrian
Ernst
Martin
Matthias
Gisela
Amadeus
Paul
Christian
Adrian
Max
Thomas
Thomas
Yoka
Anna
Peter
Sabine
Denise
Jürg
Hans
Andreas
Peter
Jürg
Colin
David
Marcel
Kurt
Peter
Markus
Tony
Gabriela
Felix
Michael
Roland
Sabine
Werner
SES Fachtagung, Zürich 31. August 2007
Kantonsrat SP Zürich
Swiss RE
Intep GmbH
Chemia Brugg AG
Tobler Haustechnik AG
Swissolar
Stadt Bern
Kantonsrat ZG / Alternative Zug
Greenpeace Regru
Gemeinde Zeiningen
SGB
W&P Engineering
Kraftwerke Oberhasli
Jugend Solar Projekt
WWF Schweiz
Intep
INFRAS
Hydroelectra AG
SES
Edisun Power AG
Solargenossenschaft Guggers-Sunne
Energy Consulting Group
KLAR! Schweiz
energie-cluster.ch /Wellstein Kommunikation
myclimate
CEPE
VSE
Elektrizitätswerk der Stadt Zürich
Gewerbliche Berufsschule Chur
NOK AG
FDP-Kantonsrätin
Ecopolitics
Geothermie.CH
Kantonsrätin SP Zürich
164
Feuerthalen
Zürich
Zürich
Brugg AG
Urdorf
Zürich
Bern 7
Möriken
Zug
Zürich
Zeiningen
Zürich
Zürich
Bern
Horw
Innertkirchen
Langnau i. E.
Zürich-Mülligen
Münsingen
Zürich
Heerbrugg
Zürich
Lutry
Zürich
Ettingen
Zürich
Rudolfingen
Basel
Galgenen
Zürich
Zürich
Aarau
Zürich
Chur
Baden
Oberglatt ZH
Bern 7
Friedrichshafen
Frauenfeld
Zürich
Zürich

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