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to u r o p e r ato r s Interview mit Martin Wittwer, CEO Tui Suisse «Kreuzfahrten haben für die World of TUI eine strategische Bedeutung» Mit Tui Cruises und Hapag Lloyd betreibt das grösste Reiseunternehmen Europas eigene Schiffe. Der Verkauf von Kreuzfahrten anderer Reedereien ist aber ebenfalls von grosser Bedeutung. An Bord der Costa Concordia beispielsweise waren allein 14 Passagiere von Tui Suisse. Martin Wittwer berichtet, wie sein Unternehmen mit dem Unglück umgegangen ist. Daneben gibt er Einblicke in das Tagesgeschäft, das geprägt ist vom Wettbewerb im Internet und der damit verbundenen Bedeutung des dynamischen Paketierens. IntervIEW mARKUS wEBER 10 Schweizer Touristik · 1/12 to u r o pe r ato r s W ir stehen alle noch unter dem Eindruck des Unglücks der «Costa Concordia». Tui Suisse hatte bekanntlich 14 Gäste an Bord. Wie geht es Ihren Kunden? Martin Wittwer: Alle unsere Kunden sind am Wochenende wieder in die Schweiz zurückgekehrt. Die ersten waren bereits am Samstagabend zu Hause. Eine Mitarbeiterin aus unserem Care Team hat sich mit allen Gästen nach deren Rückkehr nochmals in Verbindung gesetzt. Wir können sagen, dass es allen den Umständen entsprechend gut geht. Zu welchem Zeitpunkt wurde Tui Suisse über das Unglück informiert? Von wem? Wir hatten verschiedene Informationsquellen. Wir sind einerseits durch das Travel Helpdesk der Elvia und andererseits durch unser TuiÜberwachungscenter in Hannover informiert worden. Costa stellte ebenfalls bereits in der Nacht von Freitag auf Samstag um 01.00 Uhr eine erste Meldung ins Netz. Am Samstagmorgen haben wir auch Telefonanrufe von Angehörigen erhalten. In der ersten Phase haben wir sofort die Passagierdaten zusammengetragen und bei allen unseren Reisebüros nachgefragt, ob individuelle Passagiere auf die Costa Concordia gebucht wurden. In einzelnen Dossiers fanden wir die Handy-Nummern. Bei anderen Gästen haben wir über Angehörige die NatelNummern ausfindig gemacht. Sehr schnell hatten wir zu unseren Kunden einen direkten oder indirekten Kontakt aufgebaut. Hat Tui Suisse einen permanenten Krisenstab für solche Unfälle eingerichtet? Wir haben wie gesagt ein 24-Stunden-Überwachungs-Center in Hannover. Zudem arbeiten wir eng mit der Elvia Reiseversicherung zusammen. In Zürich betreiben wir einen PikettDienst rund um die Uhr. Wenn etwas auf der Welt passiert, das für Tui Suisse relevant ist, wird unser Pikett-Dienst informiert. Und der Pikett-Dienst meldet sich umgehend bei Roland Schmid, der unser Krisenstab-Leiter ist. Wie sah Ihre Krisenkommunikation aus? Haben Sie Twitter und Facebook benutzt? Wie haben Sie ihre Homepage eingebunden? Wichtig ist, dass man Krisenkommunikation nicht mit PR-Kommunikation verwechselt. Es gilt abzuschätzen, wer zuerst informiert werden muss. Ist es die breite Öffentlichkeit oder sind es die Angehörigen? Die Qualität der Kommunikation lässt sich am besten bei den Betroffenen messen. Wir haben in der Kommunikation in erster Linie an unsere Kundschaft gedacht. Dies waren mehrheitlich Kunden von Vögele Reisen. Diese Kunden nutzen Facebook eher weniger. Diesem Umstand haben wir bei der Wahl der Kommunikationsmittel Rechnung getragen. Schweizer Touristik · 1/12 11 to u r o p e r ato r s wieder wichtiger geworden. Aber wir haben aufgrund des Unglücks keine Annullierungen hinnehmen müssen. Wie wichtig ist der Verkauf von Kreuzfahrten innerhalb von Tui Suisse? Wie gross ist das Geschäft anteilmässig? Kreuzfahrten sind strategisch wichtig für die World of TUI. Mit Tui Cruises und Hapag-Lloyd Kreuzfahrten betreiben wir bekanntlich eigene Schiffe. Und auch bei Tui Suisse sind Kreuzfahrten von grosser Bedeutung. Im Internet verkaufen wir Cruises über unseren Partner e-hoi, und «Passagiere der Costa Concordia werden angemessen entschädigt.» bei Tui FlexTravel und Vögele Reisen haben wir ebenfalls ein grosses Kreuzfahrten-Angebot. Ich schätze den Anteil am Kreuzfahrtenbusiness in unserem Geschäft auf etwa 10 Prozent. Martin Wittwer, CEO von Tui Suisse. Wir haben deshalb mit allen Passagieren oder deren Angehörigen telefonisch Kontakt aufgenommen. Das direkte Gespräch mit den Betroffenen ist uns wichtig gewesen. Als Pauschalreiseveranstalter haften Sie direkt gegenüber Ihren Kunden. Wie haben Sie Ihre Kunden für die abgebrochene Reise entschädigt? Die Kunden werden angemessen entschädigt. Dafür sorgen wir in Zusammenarbeit mit der Reederei. Diejenigen Kunden, die spätere Reisen auf der Costa Concordia gebucht haben, können auf ein anderes Schiff oder sonst umbuchen oder kostenfrei annullieren. Gibt es für Unglücke auf hoher See ebenfalls Haftungsvereinbarungen und -grenzen wie im 12 Schweizer Touristik · 1/12 Flugverkehr (Warschauer bzw. Montrealer Übereinkommen von 1999)? Ja, es gibt das sogenannte Athener Übereinkommen von 1974, das die Beförderung von Reisenden und Gepäck auf See regelt. Darin sind auch Haftungsvereinbarungen und -grenzen festgelegt worden. Die Schweiz hat dieses Abkommen ratifiziert, und es ist am 14. März 1988 in Kraft gesetzt worden. Kreuzfahrten haben in Ihrem Konzern eine grosse Bedeutung. Wie beurteilen Sie die Auswirkungen des Unglücks auf die Nachfrage nach Kreuzfahrten? Wird der Boom weitergehen? Es wird möglicherweise eine kleine Delle in der Nachfrage geben, doch der positive Trend wird weiterhin zunehmen. Das Thema Sicherheit ist Kommen wir zum Tagesgeschäft. Sie haben vor zwei Wochen eine PR-Kampagne lanciert und darauf aufmerksam gemacht, dass Auslandreisen in der Schweiz deutlich billiger seien als etwa in Deutschland. Wie war die Resonanz auf Ihren Vorstoss? Mit unserer Aktion wollten wir gegen die falsche Meinung ankämpfen, dass der Kauf von Reisen im Ausland grundsätzlich günstiger sei als in der Schweiz. Dafür haben wir Beispiele gebraucht, die den gegenwärtigen Preisvorteil in der Schweiz belegen. Deshalb haben wir einen Preisvergleich mit Angeboten der Tui Deutschland angestellt. Positiv war, dass alle anderen Veranstalter mit der gleichen Botschaft öffentlichkeitswirksam nachgezogen haben. Mit der Aktion erhoffen wir uns, dass Medien und Konsumentenschutzorganisation künftig aus gewogener an die Währungsproblematik herangehen. Haben Sie schon Anzeichen dafür, dass Sie verlorenes Terrain zurückgewinnen? Wird wieder vermehrt im Reisebüro gebucht? to u r o p e r ato r s Die Marke Tui ist gut in den Sommer gestartet. Sowohl in Bezug auf die Passagierzahlen als auch hinsichtlich Umsatz. Und dies bei durchschnittlich 15 Prozent tieferen Preisen. Das Geschäft im Badeferienbereich kommt schrittweise zurück. Das sehen wir. Die Währungsproblematik hat sich nach der Stabilisierung des Euros gegenüber dem Schweizer Franken also deutlich entschärft. Hat die Revision der Preisbekanntgabeverordnung, die auch in der überarbeiteten Fassung eine zwingende Publikation der Preise in Schweizer Franken vorsieht, an Bedeutung verloren? Durch die Festsetzung einer Untergrenze des Euros durch die Nationalbank hat sich die Situation tatsächlich entschärft. Und da wir unsere Angebote je länger je mehr dynamisch produzieren und zu tagesaktuellen Preisen verkaufen, ist die Frage der Preisausschreibung noch einmal in den Hintergrund gerückt. Vom Seco erwarten wir dennoch Klarheit. Die Verordnung ist doch klar. Was wir verlangen, sind gleichlange Spiesse für die verschiedenen Vertriebskanäle und gegenüber den ausländischen Anbietern. Es kann nicht sein, dass diese in der Schweiz mit Europreisen on- und offline werben dürfen. «Pauschalreisen gibt es auch in Zukunft. Nur der Vertriebsmix ändert sich.» Wieso machen Sie denn nicht einfach eine Anzeige? Das Seco ist ja nicht für den Vollzug der Verordnung zuständig. Sondern die Kantone. Wir haben anderes zu tun, als uns in Rechtsstreite einzulassen. Und wenn es so ist, dass die Preisbekanntgabeverordnung gegenüber ausländischen Internet-Anbietern mit CH-Domain nicht durchgesetzt werden kann, dann muss sie angepasst werden, um wieder eine faire Wettbewerbssituation zu schaffen. Die Anpassung kann auch auf der Ebene des sogenannten Informationsblattes für die Reisebranche erfolgen. Diese hätte ebenfalls eine bindende Wirkung. Wären Sie für eine völlige Liberalisierung der Preisausschreibung? Ich verstehe das Anliegen, dass aus volkswirtschaftlichen Gründen an der Preisausschreibung am Schweizer Franken festgehalten wird. Die Konsequenzen einer völligen Liberalisierung sind sehr schwer abschätzbar. Wir haben ein hohes Lohnniveau und einen hohen Lebensstandard. Auch dank des Schweizer Frankens. Sie waren einer der Ersten, der das klassische Tour Operating auf dem Sterbebett sah. Inzwischen ist viel geschehen. Sie haben mit Ringier e-trips ins Leben gerufen. Kuoni hat mit XHelvetic Tours einen sogenannten X-Veranstalter geschaffen, und auch Hotelplan wird mit Hilfe von Hub & Play bald etwas Ähnliches aufschalten. Augenfällig dabei ist, dass Sie mit e-trips im Gegensatz zu Ihren Mitbewerbern nicht als X-Veranstalter, sondern als klassische Online Travel Agency auftreten. Wieso? Das eine schliesst das andere nicht aus. E-trips ist ein Online-Reisebüro, welches als FullserviceAgentur Kreuzfahrten, X-Produkte und Pauschalreiseangebote von verschiedenen Veranstalter vertreibt. X-Veranstalter sind eben wie der Name sagt «Veranstalter» und nicht Vertriebsportale. Bei der X- oder Y-Produktion werden Flug und Hotel dynamisch zusammengestellt. Wir haben e-trips als Vertriebsportal lanciert, weil wir die Ansicht vertreten, dass neben den Platzhirschen Ebookers und travel.ch im schnell wachsenden Markt noch genügend Platz und Potential für e-trips vorhanden ist. Auf unseren drei Veranstalterportalen produzieren wir ebenfalls seit einem Jahr mit Flex Travel Discount dynamisch. Wichtig für uns ist, dass wir dem Handel die gleichen Produkte und Preise zur Verfügung stellen, wie wir im Internet darstellen. Nur so können wir sicherstellen, dass unsere Kunden On- und Offline-Kanäle miteinander verbinden können. Der Kunde sucht auch im Netz vermehrt den direkten Draht zum Leistungsträger, zum Hotel und zur Airline. Und auch umgekehrt. Ist eine OTA wie e-trips nicht ebenfalls schon ein überholtes Geschäftsmodell? Zum heutigen Zeitpunkt sehe ich das nicht so. Der Kunde prüft vielfach verschiedene Vertriebswege. Eine mögliche Option ist die Direktbuchung beim Leistungsträger, ein anderer der Weg online über Veranstalter- oder Ver- triebsportale. Der dritte klassische Weg ist offline über das Reisebüro. Der Vertriebsmix verändert sich Richtung Online. So muss der Veranstalter sein Geschäftsmodell anpassen. Der Reisebürovertrieb wird aber weiterhin eine entscheidende Rolle spielen. Viele unserer Kunden schätzen den persönlichen Kontakt und die Beratung. «Wir produzieren zunehmend dynamisch zu tagesaktuellen Preisen.» Wo sehen Sie künftig Ihre grossen Chancen? In den differenzierten Produkten? Als Veranstalter verfolgen wir eine produkt- sowie preisgetriebene Strategie. Bei der produktgetrieben Strategie setzen wir auf den Ausbau der eigenen Hotelkonzepte und Exklusivitäten. Beispiele dafür sind Robinson, Magic Life, Puravida oder Sensimar. Mit den preisgetriebenen «Me-too-Produkten» müssen wir die Preisführerschaft anstreben. Hier spielt die Technik eine ganz entscheidende Rolle. Im Verbund mit dem grössten Touristikkonzern Europas können wir zusätzlich auf Skaleneffekte zählen. ■ Die Nr.1 Badeferien für SOMM 2012 ER JET ZT KO M BUCHPLETT BAR Schweizer Touristik · 1/12 13