Körper, Mensch, Beziehung: Vom Grundsätzlichen im schulischen
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Körper, Mensch, Beziehung: Vom Grundsätzlichen im schulischen
UNIversalis-Zeitung 6 Oktober 2008 Körper, Mensch, Beziehung: Vom Grundsätzlichen im schulischen Alltag Ein Kompetenztag des Freiburger „Zentrums für Lehrerbildung“ In der Freiburger Lehrerausbildung tut sich was. Der Kompetenztrainingstag zur Vorbereitung auf das Praxissemester am 24. Juli 2008 war als Zeichen eines Bewusstseinswandels zu lesen. Die in den letzten Jahren zunehmend als problematisch erkannte Situation der deutschen Lehrer/innen hat dazu geführt, dass vor drei Jahren ein eigenes Zentrum für Lehrerbildung (kurz: ZLB) gegründet wurde. Hierdurch steht endlich ein Rahmen bereit, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse, z.B. zu Themen wie Lehrer/innengesundheit, Beziehungsgestaltung, Körpersprache mit der Ausbildung am Staatlichen Seminar und dem universitären Curriculum engzuführen. Mit Prof. Joachim Bauer (Uni-Klinik Freiburg, Psychiatrie, Psychosomatik), Prof. Rudolf Heidemann (Staatliches Seminar für Lehrerbildung Stuttgart), Prof. Markus Frommhold und Prof. Bernhard Vogelbacher (Staatliche Seminare für Lehrerbildung Freiburg) war genügend Lehr- und Ausbildungsprominenz vertreten, um der Veranstaltung das rechte Gewicht zu verleihen. Das Zentrum für Lehrerbildung steckt mit seinen drei Jahren noch in den Kinderschuhen und ist wohl nur wenigen angehenden und kaum einem/r der bereits im Beruf stehenden Gymnasiallehrer/innen der Region Freiburg bekannt. Das wird sich ändern, wenn Veranstaltungen wie diese kein glücklicher Einzelfall bleiben. Im akademischen Ausbildungsgang ist ein einziger Kompe- tenztag pro Jahr nicht mehr als ein erster kleiner Schritt auf dem Weg zum realen Klassenzimmer. Nichtsdestotrotz ist sehr verdienstvoll, was Angelika Vogelbacher, Leiterin des ZLB, und ihre Mitarbeiterin Antje Bohnsack den Studierenden hier anbieten: am Vormittag zwei ebenso gehaltvolle wie unterhaltsame Impulsreferate zu den Themen „Beziehungspsychologie der Schule“ und „Körpersprache“, am Nachmittag Seminare zum Ausprobieren. Beziehungsgestaltung im Unterricht Dass das direkte menschliche Miteinander in der Schule durch rein gar nichts zu ersetzen ist, macht Joachim Bauer unmissverständlich deutlich, indem er in seinem Vortrag Beziehungspsychologie aus neurologischer Sicht beschreibt. Das Gehirn, so Bauer, mache gleichsam „Beziehungserfahrung zu Biologie“. Auch wenn psychologische Forschungsergebnisse von manch einem/r Zeitgenossen/in noch immer gern weggelächelt werden, so ist die neurologische Übersetzung von Erfahrenem und Erlebten eine wissenschaftliche Tatsache. Die seit rund 15 Jahren von der Forschung entdeckten Motivationssysteme des Gehirns stellen die Grundlage für jegliche Anstrengungsbereitschaft dar. Die Botenstoffgruppen der Dopamine, der Opioide und das Oytozin sind wahre systemeigene „Drogen“ mit Popei- und WohlfühlEffekten: Sie lösen Tatendrang und „gute Gefühle“ aus, sodass Handeln Ein Blick für Ihre Talente Talentfindung mit professionellen Testmethoden für Unternehmen und Privatpersonen Beratung bei Berufsfindung und Neubeginn Talenteorientierte Mitarbeiterauswahl Optimieren des Einsatzes von Mitarbeitern Entwicklung individueller Talentstrategien • • • • • | | ����������������������� ������������������� �������������� �� � ����� ����������������������� �� �� ���������� ���������� ���� ���� ����� � ������ � ������ � ����� � ������ � ������ � ��� ��������� ����� �� � ������� ��������������������������� �������� ��������� � �� �� ����������������������������� Praktikant im Gespräch mit Schülern und soziales Wohlbefinden sich in effektivster Form miteinander verbinden – daraus besteht Motivation. Wie werden nun die körpereigenen Motivationssysteme in Gang gesetzt? Studien mit Probandengruppen haben erwiesen, dass es eine ursächliche Beziehung zum Faktor Blickkontakt gibt: Je sympathischer mir mein Gegenüber Auge in Auge erscheint, desto stärker findet sich mein Motivationssystem aktiviert. Der freundliche Blick fungiert als Impulsgeber, Blickkontakt ist ein Motivationsfaktor. Die beste „Droge“ ist dem Menschen der Mensch Insgesamt sind sämtliche Motivationssysteme des Gehirns auf Beziehung ausgerichtet. Auch die so genannte intrinsische Motivation gründet in Beziehungserfahrungen; ohnedies entwickelt sie sich erst vom achten Lebensjahr an. Ein Hauptanreiz, lernend aktiv zu werden, ist also die Persönlichkeit des oder der Lehrenden. Wer kennt es nicht aus eigener Erinnerung: Englischvokabeln und Physikformeln büffeln trotz Unlust und schönem Wetter, der netten Lehrerin zu Liebe. „Der Mensch“, so Bauer „ist die beste Droge für den Menschen“. Es gibt schlicht keine Motivation ohne Beziehung. Neuronal betrachtet spielen hier die Spiegelneuronen eine bedeutende Rolle: Diese besonderen Nervenzellen werden durch das Handeln anderer Menschen aktiviert. Wenn also mein Gegenüber in eine Zitrone beißt, so wird auch meine eigene Speichelproduktion angeregt – auch ohne eigene Zitrone. Spiegelneuronen machen aus dem beobachteten Erleben anderer eigenes Erleben und Fühlen – eben Mit-Fühlen und Mit-Erleben –, und damit sind sie die Grundlage sämtlicher bidirektionaler Prozesse. Sie ermöglichen so auch das „Lernen am Modell“, führen zu motivationaler Ansteckung, der Volksmund sagt dazu: „Der Funke springt über“. Ein weiteres wichtiges Moment ist außerdem, dass Menschen – und junge sind darauf in besonders starkem Maße angewiesen – im und durch den Anderen spüren wollen, dass sie existieren und zweitens erfahren wollen, wer sie sind. Im Mit-Fühlen und Interesse, in der Haltung existenzieller Anerkennung und grundsätzlichen Respekts gründet innerhalb der Klassensituation eine spezielle „Magie“, von der gelingende Lehrer/innen-Schüler/innenBeziehungen geprägt sind. Auskunft erteilt das Gegenüber übrigens sogar über persönliche Potentiale und Möglichkeiten: „Zeige mir, was du mir zutraust“ nennt Bauer es. Wie bedeutsam diese prognostische Verantwortung in der familiären wie schulischen Erziehung ist, liegt auf der Hand. Sie ist Teil von Spiegelprozessen mit identitätsbildendem und zukunftsgestaltendem Charakter. Unterm Strich liest sich die neurologische Verarbeitung von Beziehungserfahrung so: Sympathie, Beachtung und Anerkennung der sozialen Umwelt tragen in entscheidenden Maß zu Wohlbefinden und Kreativität, zu Leistungsbereitschaft und den Entwicklungsmöglichkeiten des einzelnen Menschen bei. Weitere wichtige Motivationsfaktoren sind übrigens – amusische Bewegungsmuffel sollten jetzt aufhorchen – körperliche Bewegung und Musik. Es gibt keinen Grund, die entsprechenden Schulfächer auf die hinteren Ränge der Bedeutsamkeit zu verweisen. „Vor Musiklehrern“, so Jochen Bauer, „sollten Sie Hochachtung haben und ihnen dankbar sein – die sind ja wahre Apotheker!“ Insofern ist es mehr als bedenkenswert, solch körpereigener Medizin ohne jede unerwünschte Nebenwirkung in der (schulischen) Lebenswirklichkeit mehr Wirkmöglichkeiten zu geben. Medien als Ersatzerzieher Auswirkungen der unerwünschtesten Art hat dagegen die soziale und mediale Realität vieler Kinderzimmer, in der statt anerkennender, wahrnehmender Mütter und Väter Computer und Fernseher das nachmittägliche Ersatzelternpaar geben. Keine Aktivierung der Spiegelneuronen in diesen Kinderstuben oder aber über Internet-„Communities“, die, der Begriff spricht für sich, Gemeinschaft suggerieren. Sozial benachteiligte Kinder befinden sich nur allzu oft in einer erschreckenden emotionalen Ödnis, einem Raum ohne Spiegel, haltende Grenzen und seelische Nahrung. Es passiert das Gegenteil des oben Beschriebenen: Die Kinder erkennen sich nicht im Anderen, sie laufen gefährlich ins Leere. Demütigung und soziale Ausgrenzung inaktivieren die neurobiologischen Motivationssysteme. Die Folgen sind bekannt: Sie reichen von frühem Suchtverhalten, worunter die Bildschirmsucht ebenso zählt wie stoffgebundene Süchte, über Depression und andere psychische Störungen bis hin zu stark aggressivem Verhalten. Die im Jahr 2000 in Stuttgart durchgeführte Jugendgesundheitsstudie zeigt, dass im Schnitt 51% der Kinder und Jugendlichen eines Jahrgangs psychische Störungen aufweisen, im Gymnasium sind es immerhin noch 45%. Professionelle Haltung der Lehrer/innen Für Lehrer/innen und solche, die es werden wollen, bedeutet all das nach Bauer mehrerlei. Erstens sollten sie zu ihrer eigenen Identität als Mensch – auch im Kontext ihres Berufes – stehen. Zweitens ist es notwendig, dass sie sich mit diesem Beruf identifizieren und dies auch in der Öffentlichkeit verlauten lassen: „Ich unterrichte die Bande, die ihr mir als Gesellschaft schickt“. Drittens braucht es eine Beziehung zwischen Schüler/innen und Lehrer/innen, viertens eine zwischen Eltern und Lehrer/innen. Fünftens ist innerhalb des Kollegiums Zusammenhalt ebenso wichtig wie gesundheitsfördernd, Lagerbildungen oder Spaltungen sollten unbedingt vermieden werden. Körpersprache im Unterricht Der zweite Vortrag, von Professor Heidemann, stellt den Körper als Träger erkennbarer Botschaften in den Mittelpunkt: „Körpersprache im Unterricht“ lautet das Thema, wissenschaftlich ist der Ansatz der Verhaltenspsychologie zuzuordnen. Heidemann lotet Möglichkeiten und Grenzen körpersprachlichen Trainings für unterrichtliche Zwecke aus. Dabei geht es zunächst einmal darum, sich selbst zum Beobachtungsobjekt zu machen, also sensibel zu werden für die oft unbewussten körpereigenen Botschaften. Es gilt auf Verhaltensebene Paul Watzlawicks allgemeiner Satz zur Kommunikation: „Man kann nicht nicht kommunizieren“. Manche Theoretiker/innen gehen gar davon aus, dass menschliche Kommunikation zu zwei Dritteln nonverbal und nur zu einem Drittel verbal funktioniert. Grundsätzlich – wenn also die verbale und die körpersprachliche Ebene einander widersprechende Botschaften aussenden – gilt, dass das körpersprachliche Signal die Wahrheit sagt. Das erstaunt nicht, macht man sich bewusst, dass Körpersprache das evolutionsgeschichtlich betrachtet primäre Ausdrucksmittel ist und wir Menschen gerade in affektiv stark besetzten Situationen auf tief in uns Verankertes zurückgreifen. Grundsätzlich gilt, dass das Thema der nonverbalen Kommunikation zwei Aspekte beinhaltet, einen kulturspezifischen und einen verhaltensbiologischen. Dass in unseren Breiten z.B. Kopfschütteln „Nein“ und Nicken „Ja“ bedeutet, ist eine ausschließlich kulturelle Zuordnung. Die Möglichkeiten des Ausdruckstrainings Die spannende Frage ist nun, ob die körpersprachliche Art des Ausdrucks überhaupt trainierbar ist. Sieht man Ausdruck als unidirektionalen Ausfluss der KörperGeist-Seele-Einheit, dann ist das sicherlich nicht der Fall. Tatsächlich führen rein antrainierte, äußerlich bleibende Gestenspiele zu physiologischen Symptomen mit starkem Ausdrucksgehalt, z.B. einer zitternden Stimme, Schweißausbrüchen oder roten Flecken am Hals. Mangelnde Stimmigkeit zwischen „Innen“ und „Außen“ teilt sich unmittelbar mit, auch und gerade im Klassenzimmer, wo Lehrer/innen UNIversalis-Zeitung Oktober 2008 unter scharfer Beobachtung eines vielköpfigen und für Lächerlichkeiten hoch sensiblen Publikums stehen. Ermutigend für das Vorhaben körpersprachlichen Trainings ist wiederum die Tatsache, dass lang erprobte Bewegungskünste wie Yoga, Tai-Chi, Qi-Gong oder Tanz Geist und Seele wirkungsvoll beeinflussen. Der Mensch funktioniert, dem Körper sei Dank, eben auch in diese Richtung. In Ergänzung zur Ausbildung einer authentischen (Lehrer/innen-) Persönlichkeit über geistige und seelische Kanäle ist das Training körperlichen Ausdrucks nicht nur möglich, sondern sogar ausgesprochen empfehlenswert. Besonders prägnante (Fehl-) Haltungen werden in Heidemanns Vor- trag, der keine reine Sitzveranstaltung ist, gemeinsam ausprobiert. So findet sich die gesamte Universitätsaula bald mit hängenden Schultern und rundem Rücken stehend, mit fallendem Unterkiefer und leicht gebeugten Knien wieder. Es wird spür- und sichtbar: So fühlt man sich wirklich „doof und schlapp“, die eingenommene Haltung demobilisiert die inneren Kräfte und dieser Gesamtzustand teilt sich der Umwelt auch unmissverständlich mit. Dass das für den Alltag als Lehrer/in keine sinnvolle Dauerpose ist, steht außer Frage, wenngleich vielen Menschen derartige Bilder aus eigener Schulerfahrung in Erinnerung sein dürften. Scharf beobachtet, auf den Punkt genau analysiert und mit viel Lust am Anekdotischen inszeniert Heidemann nicht nur Posen und Gesten des schulischen Alltags, er zeigt z.B. in der „Potenzpose“ des deutschen Mannes auch Körpertheater aus dem ganz normalen Leben. Das alles mit hohem Wiedererkennungseffekt und dem nachbleibenden Gefühl, dass hier noch vieles bewusst zu machen und zu lernen wäre. Praktisch erprobt: Präsenz und Standfestigkeit Die schlüssige Fortsetzung der Vorträge stellen die nachmittäglichen Workshops zu den Themen Stimme und Körpersprache dar. Es wird schnell sichtbar, wer von den Studierenden auch in der Freizeit mit seinem Körper befasst ist, wer 7 Persönlichkeitsarbeit leistet und Erfahrung im Umgang mit Gruppen hat. Sportstudierende und YogaPraktizierende, Sänger/innen und Tänzer/innen finden sich auf vertrauterem Terrain wieder als viele andere, für die schon das „Wachklopfen“ des Körpers Neuland ist oder gar die Konzentration auf den festen hüftbreiten Stand, aus dem man „so schnell nicht umgehauen“ wird. Einige sind genau deswegen hier, sie wissen um die Notwendigkeit, ihre Schüchternheit zu überwinden, klares Sprechen vor der Gruppe zu üben, um so dann, mutiger geworden, vor ein nicht immer nur gnädiges Schüler/innenpublikum treten zu können. Veranstalterinnen und Dozent/ innen ernten zum Tagesabschluss reichen, wohl verdienten Applaus. Viele Student/innen kommen direkt auf Frau Vogelbacher zu, um sich persönlich zu bedanken, andere geben ihre positive Rückmeldung per Mail ab. Nicht wenige werden die Gelegenheit auch im kommenden Jahr wieder nutzen, um sich hier ein Krümelchen jener Persönlichkeitsnahrung zu holen, mit der die Universität bisher noch herzlich geizt. Kaum schöner kann man’s sagen als der gute alte Goethe, auch ein Altmeister ganzheitlicher Bildungsideen: „… mich selbst, ganz wie ich da bin auszubilden, das war dunkel von Jugend auf mein Wunsch und meine Absicht“ (Wilhelm Meister). Wäre das für mehr (angehende) Lehrer/innen erreicht, hätte die deutsche Schullandschaft viel gewonnen. Wäre das für mehr Kinder und Jugendliche überhaupt nur möglich, dann hätte die von Bildungssorgen getriebene deutsche Gesellschaft mehr als eine Kuh vom Eis geholt. Kontakt: Zentrum für Lehrerbildung, Universität Freiburg, Angelika Vogelbacher, Geschäftsführerin, Universitätsstr. 9, Tel.: 0761/ 2038963, www.zlb.uni-freiburg.de Literatur: Heidemann, Rudolf: Körpersprache im Unterricht, Quelle & Meyer, März 2007 Bauer, Joachim: Lob der Schule, Hoffmann und Campe, April 2007 Balance zwischen Zuwendung und Führung Kurzinterview mit Prof. Joachim Bauer Prof. Joachim Bauer UNIversalis: Herr Bauer, Sie sprechen von der Bedeutsamkeit der Beziehung als Grundlage des pädagogischen Handelns in der Schule. Nun gibt es doch aber Lehrerinnen und Lehrer, denen es nicht an Empathie mangelt, die ganz im Gegenteil sogar „zu stark“ mitschwingen und sich von den Schicksalen, denen sie in der Schule begegnen, innerlich nur schwer lösen können. Was raten Sie solchen übersensiblen Typen? JB: Empathisch zu sein ist wichtig, Empathie alleine reicht für eine gute pädagogische Beziehung aber nicht aus. Ebenso wichtig ist, dass Lehrkräfte Führungsstärke zeigen, also Ausstrahlung haben, für Ziele eintreten und zu dem stehen, was sie für richtig halten. Was Eltern und Lehrer also zeigen sollten, ist eine Balance zwischen verstehender Zuwendung und Führung. UNIversalis: Welche Persönlichkeiten eignen sich Ihrer Ansicht nach denn besonders gut für den Lehrerberuf? Und wem würden Sie Ihrer wissenschaftlichen und therapeutischen Erfahrung nach eher abraten? JB: Das ist eine Frage, auf die man mindestens drei Antworten geben muss. Erste Antwort: Ein Mensch mit Anfang 20 ist noch nicht fertig, er oder sie kann sich noch beachtlich entwickeln. Alle, die heute eine gute Figur im Beruf machen, sollten sich einmal erinnern, welche teilweise traurige Figur sie mit 20 oder 22 Jahren gemacht haben. Die zweite Antwort lautet: Es gibt mehrere Arten, ein guter Lehrer zu sein, und daher gibt es nicht nur einen Persönlichkeitstyp, der sich für diesen Beruf eignet. UNIversalis: Und die dritte Antwort? Lehrer und Schüler beim gemeinsamen Backen JB: Sicher gibt es eine ganze Reihe von jungen Leuten, die tatsächlich von vorneherein besser nicht Lehrer werden sollten! Wer zum Beispiel menschenscheu oder ängstlich ist, wer Kinder und Jugendliche nicht mag, oder wer sich mit stark ausgeprägten eigenen psychischen Problemen herumschlägt, der sollte einen Stressberuf wie den des Lehrers meiden. Der Wunsch, Beamter werden zu wollen, ist jedenfalls ein absolut ungeeignetes Motiv! UNIversalis: Sie sprechen von einer „Magie“, die sich Lehrkräfte im Klassenzimmer zunutze machen können, wenn sie die Beziehungsgestaltung mit ihren Schülern beherrschen. Können Sie ein bisschen näher beschreiben, was diesen Zauber ausmacht? JB: Gute Lehrkräfte wissen, dass Kinder und Jugendliche auf magische Art ansprechen, wenn Schüler merken, dass man sie ernst nimmt, dass man sich interessiert und sich kritisch mit dem auseinandersetzt, was sie denken und was sie sagen. Diese Magie wirkt allerdings nur dann, wenn Lehrkräfte sich nicht anbiedern, sondern in sich ruhen, also eine eigene persönliche Position bewahren. UNIversalis: Vielen Kinder fehlt heute die Geborgenheit in der Familie oder eine Gemeinschaft, die ihnen Stabilität gibt. Sie fühlen sich weder wahrgenommen noch anerkannt. Die Schule wird jedoch mit den Folgen dieses Mangels konfrontiert. Haben wir nicht ein gesamtgesellschaftliches Problem, das sich mit den Begriffen emotionale Verarmung, wachsende Kommunikationsunfähigkeit, Werteverfall etc. beschreiben lässt? Sie sind Arzt und Psychotherapeut. Welche Diagnose stellen Sie unserer Gesellschaft und was wären Ihre Therapievorschläge? JB: Kluge Diagnosen bekommt die Gesellschaft seit 1968, also seit 40 Jahren fortwährend gestellt. Die, die uns solche Diagnosen stellen, kostet es nichts, nur geholfen ist damit auch niemandem. Ich bin stattdessen dafür, konkrete Fehlentwicklungen beim Namen zu nennen: Eine solche Fehlentwicklung ist, dass die Schule, anstatt mit dem gesellschaftlichen Wandel, der heute beide Eltern außer Haus hält, Schritt zu halten, weiterhin nur vormittags stattfindet. Dadurch lebt die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen nachmittags in einem erzieherischen Vakuum, in welches sich die Medien als Ersatz-Erzieher eingenistet haben. Das Problem ist, dass es diesen Ersatzerzieher nicht um die Kinder geht, sondern um Profite, die man am besten dadurch erzielt, dass man Tabus bricht und das Angebot auf Sex und Gewalt reduziert. UNIversalis: Die Zeit, die Eltern und Kinder täglich miteinander ver- bringen, lässt sich, wie Sie sagen, in Minuten messen. Dies ist eine eher düstere Feststellung. Trotzdem strahlen Sie sehr viel Hoffnung und Zuversicht aus und stellen die positiven Möglichkeiten heraus, die es Ihrer Meinung nach in der Pädagogik gibt. Woher nehmen Sie persönlich Ihre positive Grundhaltung und was können Sie den Lehrer/innen mit auf den Weg geben, damit die den Idealismus und den Glauben an ihre pädagogische Wirksamkeit behalten? JB: Ich habe meinen beiden Kindern, die inzwischen erfolgreich studieren, während ihrer Schulzeit immer wieder deutlich gemacht, welches Privileg es – weltweit gesehen – ist, in einem entwickelten Land zu leben, in dem die Gesellschaft ihren Kindern die Möglichkeit bietet, jahrelang kostenlos zu lernen. Es ist noch nicht lange her, da wurden Kinder auch bei uns von klein an nur ausgenützt und zur Erwerbsarbeit herangezogen. Es ist gerade mal 200 Jahre her, dass wir den Wert der Kindheit als eigene Lebensphase begreifen und Kinder gezielt fördern. Beides ist ein Riesenprivileg; Kind zu sein und zu lernen, und als Pädagoge oder Lehrer in einem Beruf tätig zu sein, der Kinder und Jugendliche zu klugen Menschen macht. Die ungeheuren Chancen unseres Bildungssystems zu erkennen und umzusetzen, das sollte uns beflügeln und optimistisch stimmen. UNIversalis: Was sind Ihre Pläne auf Freiburger, Landes- oder nationaler Ebene, um die Lehrer/innengesundheit weiterhin zu fördern und zu stabilisieren? JB: Meine eigene Erfahrung in den letzten Jahren hat mich gelehrt: Schulische Lehrkräfte einerseits und Mediziner sowie Psychologen andrerseits können sich gegenseitig sehr viel Gutes geben und voneinander profitieren. Neben gutem Fachwissen muss die Kunst der Beziehungsgestaltung wieder ins Zentrum guter Pädagogik gerückt werden, vor allem die Ausbildung der Lehrkräfte muss hier Lücken schließen. Neurobiologie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin brauchen das Rad guter Pädagogik nicht neu zu erfinden, sie können aber zahlreiche Mosaiksteine zum Gesamtmosaik guter Pädagogik hinzufügen. Nicht nur die Lehrerausbilder an den Hochschulen, auch die Bildungspolitiker müssen langsam begreifen: Auf Dauer gesund bleiben nur solche Lehrkräfte, die nicht ihr exzellent Fach beherrschen, sondern auch Beziehungskünstler sind, die wissen, wie sie eine Klasse mit praktischer Beziehungspsychologie, Körpersprache und Stimme an die Leine bekommen können. Lehrkräfte für Baden-Württemberg Baden-Württemberg sucht zur Einstellung im September 2009 - Lehrkräfte für allgemein bildende Gymnasien für alle Fächer insbesondere aber für die Naturwissenschaften. - Lehrkräfte für die beruflichen Schulen mit allgemeinen Fächern, vor allem Physik, Mathematik, Deutsch, Englisch. - Ingenieurinnen und Ingenieure für den Direkteinstieg in den Schuldienst im gewerblich technischen Bereich z. B. Maschinenbautechnik, Elektrotechnik, Informationstechnik etc. Sonderwege für Magister- und Diplomabsolventen sowie Universitätsassistenten Die genannten Personengruppen können über den Seiteneinstieg (Vorbereitungsdienst) oder über den Direkteinstieg (sofortiger Unterrichtseinsatz, Bezahlung als Lehrkraft, berufsbegleitende Qualifikation) in den Schuldienst übernommen werden. Allgemein bildende Gymnasien suchen Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger für die Naturwissenschaften sowie für Latein. Die beruflichen Schulen haben großen Bedarf an Magisterabsolventen mit Hauptfach Deutsch, Englisch oder Spanisch und einem weiteren geeigneten Hauptfach für den Seiteneinstieg. Der Direkteinstieg ist hier neben den Ingenieurinnen und Ingenieuren auch für Personen mit universitärem Diplom in Physik oder Mathematik geöffnet. Befristete Beschäftigungen im Schuldienst Allgemein bildende Gymnasien und berufliche Schulen suchen auch für das laufende Schuljahr dringend qualifizierte Personen für Vertretungsfälle. Das Stundenvolumen lässt sich flexibel gestalten, so dass auch Beschäftigungen als Ergänzung zu einem bestehenden Arbeitsverhältnis möglich wären. Informationen Auf dem Internetportal www.lehrereinstellung-bw.de sind alle Informationen zur Einstellung und zu den Sonderwegen in den Schuldienst präsentiert. Dort sind auch die Adressen der jeweiligen Regierungspräsidien zu finden, an die sich Interessierte wenden können. Baden-Württemberg freut sich auf Ihr Interesse.