Indianer heute 4 Indianer heute 4
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Indianer heute 4 Indianer heute 4
VEREIN ZUR UNTERSTÜTZUNG NORDAMERIKANISCHER INDIANER ASSOCIATION FOR THE SUPPORT OF NORTH AMERICAN INDIANS Schwerpunkte: • Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA • Tribal Community Colleges • Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada • Nuclear Power is back! • Vom Mythos zur Moderne • Reisen in das indianische Amerika Indianer heute 4 Inhaltsverzeichnis Tribal Community Colleges – Chancen für die Reservationen ......................................4 von Irene Klinner Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA ...........................................9 von Irene Klinner Die Kinder vom Cheyenne River .....................................21 von David Schiefer Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada..............................................31 von Helga Maaßdorf Nuclear Power is back! ....................................................39 von Karl-Heinz Prestel Vom Mythos zur Moderne................................................43 von Dr. Peter Bolz Reisen in das indianische Amerika..................................49 von Astrid Bender, Katrin Vanden Branden und Sybille Helfsgott Impressum: Titelbild: Indianisches Mädchen auf einem Powwow Rückseite: Powwow-Tänzerinnen (Sasketchewan/Kanada) Herausgeber: VEREIN ZUR UNTERSTÜTZUNG NORDAMERIKANISCHER INDIANER ViSdP: Karl-Heinz Prestel, Senftenberg Ring 40g, 13435 Berlin Fotos: Astrid Bender (S. 49, 51, 53), Dr. Peter Bolz (S. 43, 45, 47), Sybille Helfsgott (S. 55, 57), Irene Klinner (S. 2), Arthur Manuel (S. 34, 38), Karl-Heinz Prestel (S. 1, 5, 7, 19, 39, 41), Nicole Schabus (S. 37), David Schiefer (S. 25), Karsten Spehr (S. 60) Satz & Layout: Frank Götze Berlin im Dezember 2002 Vorwort Die vierte Ausgabe von »Indianer heute« beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Themen Erziehung und Bildung. Ende des 19. Jahrhunderts wurde durch verschiede US-Gesetze die »Schulpflicht« für Indianer eingeführt. Die jungen Ureinwohner wurden ihren Familien entrissen und ihre Sozialisation in die Hand »weißer« Institutionen gelegt. (Um-)Erziehung war als wirksames und subtiles Mittel zwangsweiser Assimilation und damit kulturellen Völkermordes erkannt und über Generationen erfolgreich eingesetzt worden. Inzwischen hat sich viel verändert. Die Indigenen haben seit den 70er Jahren entscheidenden Einfluß auf die Erziehung ihrer Kinder zurückerobert. Lernen in zwei Kulturen heißen das Konzept. Bildung wird als wichtiges Mittel zum Überleben ihrer Völker forciert. Die Auswirkungen von vielen Jahren Identitätszerstörung sind jedoch bis heute gravierend. David Schiefer, der in einem Kinder- und Jugendprojekt der Lakota auf der Cheyenne River Reservation arbeitete, hat diesbezüglich viele Einblicke erhalten und berichtet über seine Erfahrungen. Ein weiteres Kapitel ist dem Kampf der kanadischen Ureinwohner in British Columbia um ihre Landrechte gewidmet, den unser Verein seit einigen Jahren aktiv unterstützt. Verschiedene Konzerne errichten dort mit Hilfe der Provinzregierung Wintersportorte für Massentourismus, erschließen bisher unberührte Täler und gefährden den sensiblen Ökohaushalt und die Lebensgrundlage der indianischen Bewohner. Uran auf Indianerland, seit vielen Jahrzehnten immer wieder Gegenstand von Konflikten. Zumeist ging es um die billige Förderung dieser Ressourcen in den Reservaten durch amerikanische Konzerne. Ganz aktuell müssen wir uns nun mit der Entscheidung der US-Regierung, ein riesiges Endlager für Atommüll auf dem Reservatsgebiet der Western Shoshone in Nevada zu errichten, beschäftigen. Ab 2010 sollen in den Yucca Mountain alle amerikanischen nuklearen Abfälle von 131 Atomkraftwerken eingelagert werden. Schließlich, als positiver Ausklang, berichtet Dr. Peter Bolz über die großartige Ausstellung »Die Indianer Nordamerikas. Vom Mythos zur Moderne«, die seit 1999 im Ethnologischen Museum Berlin zu sehen ist. Die Tribal Community Colleges – Chancen für die Reservationen Die Tribal Community Colleges Chancen für die Reservationen Bis zum Ende des 2.Weltkrieges blieb die institutionelle Bildung der Ureinwohner in den USA auf Boarding- und BIA-Tagesschulen für Kinder und Jugendliche beschränkt und war ein wichtiger Bestandteil der Assimilationspolitik. Darüber hinaus zeigte man wenig Interesse an einer weitergehenden Förderung. Durch die ausschließliche Ausrichtung auf weiße Inhalte und Lernformen und die Diskriminierung der indigenen Kultur und Bevölkerung, blieb der Schulerfolg der jungen Indianer weit hinter dem landesüblichen Durchschnitt zurück. So gelang nur sehr wenigen der Sprung auf eine Hochschule. Nachdem im 2.Weltkrieg viele Ureinwohner in der Armee dienten, profitierten diese auch von dem GI-Bill, einem Ausbildungsgesetz für ehemalige Soldaten. Erstmals hatten junge Indianer in nennenswerter Größenordnung die Gelegenheit, eine Universität zu besuchen. Die Zahl derer, die eine höhere Schulbildung anstrebten, stieg sprunghaft an. Die Terminationspolitik der 50er und 60er Jahre forcierte diese Entwicklung. Es standen jedoch ausschließlich Hochschulen außerhalb der Reservationen zur Verfügung und der erfolgreiche Besuch erforderte ein hohes Maß an Anpassung an die Mainstream-Gesellschaft. So war es kein Wunder, daß die Zahl der Abbrecher sehr hoch lag. Nach einer Statistik des US-Office of Education von 1971 erlangten nur 3% der eingeschriebenen indianischen College-Studenten einen Abschluß. Ein wichtiger Bereich der Forderungen der »Red Power Bewegung« Ende der 60er Jahre, die im Zusammenhang mit dem Wunsch nach mehr Souveränität entwickelt wurden, bezog sich auf Bildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten, die dem kulturellen Hintergrund der Indigenen Rechnung tragen und ihre Traditionen in ihre Bildungsprogramme integrieren sollte. Neben diversen Schulprojekten entstanden in den Folgejahren die ersten stammeseigenen Hochschulen, und diese boten und bieten auch heute noch 4 Die Tribal Community Colleges – Chancen für die Reservationen Das Navajo Community College in Tsaile/Arizona langfristig große Chancen, die extreme Benachteiligung der Ureinwohner zumindest partiell zu überwinden. Im Jahre 1968 wurde das Navajo Community College als erste stammeskontrollierte Hochschule gegründet (heute Diné College). Ein Jahr später begannen die Oglala-Lakota Collegekurse auf der Reservation abzuhalten. Bisher hatten nur etwa 5% ihrer Mitglieder einen Hochschulabschluß. Schließlich wurde als rechtliche Grundlage 1970 auf Betreiben verschiedener Stämme ein Gesetz über stammeskontrollierte Community-Colleges durchgesetzt; 1971 wurde daraufhin das Oglala Sioux Community College (OSCC), heute Oglala Lakota College, eingerichtet. Inzwischen hat sich die Zahl der Hochschulen in den Reservationen auf 33 erhöht und sie ist weiter steigend. Diese Colleges sind ein wichtiges Element für die Erhaltung der indigenen Kulturen, die Stärkung der indianischen Gemeinden und die Nutzung der brachliegenden Potenziale der Menschen in den Reservationen. 5 Die Tribal Community Colleges – Chancen für die Reservationen Die indianische Bevölkerung ist seit ihrer Einweisung in Reservate mit einer systematischen Armut belastet, durch die Assimilationspolitik dem Verlust ihrer Kultur und Identität ausgesetzt und durch die Abhängigkeit vom BIA ihrer Strukturen beraubt. Dieser starke psychische Stress führte seit Generationen zu niedriger Selbstachtung und geringem Selbstvertrauen. Die neuen Bildungskonzepte in Stammesregie sollen diese Benachteiligungen langfristig abbauen. Als Beispiel sei hier das Oglala Lakota College genannt, dessen Ziel es ist, die Menschen des Stammes gut zu bilden und auszubilden, ihnen zu helfen aktive und produktive Mitglieder ihrer Gemeinschaften zu werden und die Entwicklung des Stammes durch fachliche Hilfe zu unterstützen. Die Hochschule soll den Blickwinkel der Lakotakultur bei allen Vorhaben gewährleisten und Sprache, Kultur und Philosophie erforschen und fördern. Durch hohe Standards, eine offene Einschreibung, gute Zugangsmöglichkeiten, dezentralisierte Ausbildungsstätten, weitreichende Hilfsangebote des Student Support Services und eine Betonung von menschlichen Werten und Verantwortungsbewußtsein, will man eine hochklassige Ausbildung möglichst vieler Reservatsbewohner erreichen. Der Assiniboine-Pädagoge James Shanly wird in einem Artikel der Zeitung »Indian Country Today« vom 18. Januar 2002 zitiert: »Tribal Colleges versprachen den individuellen Stammesmitgliedern zu helfen, fähig zu werden, ökonomisch in der modernen Welt zu überleben und unseren Stämmen zu helfen, die ökonomische Basis zu entwickeln, die gebraucht wird, um dem Stamm zu erlauben, als Menschen auf ihrem eigenen Land in ihrer eigenen Weise zu überleben.« Die stammeskontrollierten Colleges zeigen viele Erfolge. Die Zahl der eingeschriebenen Studenten steigt seit Jahren erheblich. Zirka 6.300 indianischen Studenten im Jahr 1990 stehen inzwischen mehr als 25.000 im Jahr 2000 gegenüber, die Wachstumsrate liegt also bei zirka 300%. Sie kommen aus 250 verschiedenen Stämmen und das Niveau der Leistungen bei den Abschlüssen liegt überall höher als bei jenen Indianern, die andere Hochschulen besuchen. 6 Die Tribal Community Colleges – Chancen für die Reservationen Die Raten der Tribal College-Studenten an der Gesamtheit der indianischen Hochschulbesucher lag 1996 bei 7% und hat inzwischen sicher einen erheblich höheren Wert erreicht. Die Stammes-Hochschulen bieten insbesondere jenen Menschen eine Chance, die bisher gänzlich von einer höheren Bildung ausgeschlossen waren. Natürlich bilden Indigene die Majorität der Studentenschaft. Es sind zumeist Menschen aus der Region, die sonst, besonders aufgrund der oft isolierten Lage, keine Möglichkeit hätten, eine Hochschule zu besuchen. In der Regel sind sie die erste Studentengeneration in ihren Familien. Besonders hoch ist die Anzahl an Frauen, alleinerziehenden Eltern und Studenten aus Familien mit sehr niedrigem Einkommen. Sie erhalten zum überwiegenden Teil Stipendien aus Bundesprogrammen und ungefähr die Hälfte sind Teilzeit-Studierende. Viele Hochschüler benötigen aufgrund mangelhafter Vorkenntnisse überdurchschnittlich lange Ausbildungszeiten, andere müssen wegen familiärer oder finanzieller Probleme ihr Studium unterbrechen oder abbrechen. Jedoch setzt inzwischen eine zunehmende Anzahl dieser Menschen ihre Ausbildung später fort und schließt sie ab. Die Rate der Studierenden, die keinen Abschluß erreichen, ist jedoch noch viel zu hoch. Ein Grund dafür liegt im unzureichenden Selbstwertgefühl. Zur Zeit ist man verstärkt dabei Motivierungsprogramme zu entwickeln. Little Wound School in Kyle (Pine Ridge Reservation) 7 Die Tribal Community Colleges – Chancen für die Reservationen Eine nicht unerhebliche Zahl von Tribal College-Absolventen besucht anschließend eine Hochschule außerhalb der Reservation. Die Erfolge sind dann größer, wenn die Indianer ihr Studium nicht gleich an einer Mainstream-Einrichtung begonnen haben. Ebenso sind die Chancen nach abgeschlossenem Studium einen Arbeitsplatz zu finden gut, wenn auch oft außerhalb der Reservationen. Viele haben die Möglichkeit später zurückzukehren und ihre Potenziale ihren Heimatgemeinden zur Verfügung zu stellen. 1972 wurde von den ersten sechs Einrichtungen als Dachorganisation das American Indian Higher Education Consortium (AIHEC) als informeller Zusammenschluß der Colleges gegründet. Eine seiner wichtigsten Aufgaben ist die Beschaffung von Geldern, geregelt in dem University Assistance Act von 1978, denn die ausschließlich zustehenden Bundesmittel reichen weder für den Erhalt der Standards, noch für ein zusätzliches Wachstum. Ein weiterer Auftrag ist es, auf die Gesetzgebung einzuwirken, um verbesserte Voraussetzungen und Rechtsgrundlagen zu schaffen. Die Ziele der Hochschulen sind sehr hoch angesetzt und können bisher in der Realität nur selten vollständig umgesetzt werden, aber Stammespolitiker und Bildungsexperten lernen aus ihren Erfahrungen. Vom 4. bis zum 10. August 2002 beschäftigte sich eine Welt-Ureinwohner-Konferenz für Bildung eingehend mit diesen Problemfeldern und wird hoffentlich auch die Indigenen Nordamerikas einen Schritt weiter ins neue Jahrtausend bringen. 8 Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA Aspekte traditioneller Erziehung bei den nordamerikanischen Ureinwohnervölkern Bei den indianischen Völkern hatten Kinder seit jeher für den Fortbestand des Stammes eine immense Bedeutung. Sie genossen stets liebevolle Zuwendung von allen. Traditionelle Erziehung war darauf ausgerichtet, den Menschen vom ersten Tag seines Leben an sowohl in seine Rolle in der Stammesgruppe, als auch als Mitglied aller lebenden Wesen einzuführen und ihn Verantwortung übernehmen zu lassen. Bewußte erzieherische Handlungen der Bezugspersonen und das Vorbild der Gemeinschaft wirkten ohne Widersprüche zusammen. Sie waren auf den Erhalt des Stammes und das Überleben in der Natur ausgerichtet. Die vorgegebenen Rollen zwischen Männern und Frauen teilten sich klar auf, sie waren über viele Generationen in ihrem Lebenskampf entwickelt worden und hatten sich bewährt. Die Beherrschung der Aufgaben waren sowohl für den einzelnen, wie für die Gemeinschaft von großer Notwendigkeit. Es gab keine grundsätzliche Trennung zwischen der Erwachsenenund der Kinderwelt wie bei uns. Kinder wurden je nach ihren Fähigkeiten in die täglichen Arbeiten einbezogen. Andererseits genossen sie großzügige Freiräume. Die traditionellen Spiele bereiteten auf das Erwachsenenleben vor und trainierten notwendige Fähig- und Fertigkeiten. Indianer sehen sich als Teil der Natur, sie wollen sie nicht unterdrücken. Ein wichtiger Bestandteil der Sozialisation war daher, sich an die Bedingungen der Natur anzupassen, sich in ihr zurechtzufinden und sich widerstandsfähig gegenüber ihren Härten zu machen. 9 Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA Bis zum Kontakt mit den Europäern war das Leben der amerikanischen Ureinwohner keinen großen Veränderungen unterworfen. Daher spielten die Erfahrungen der älteren Menschen eine große Rolle. Entsprechend hoch war ihr Ansehen und der Respekt, der ihnen entgegengebracht wurde. Über Mythen und Legenden wurde die Moral der Gemeinschaft an die neue Generation herangetragen und durch ständiges Wiedererzählen vertieft und verinnerlicht. Dies führte außerdem zu einer differenzierten und entwickelten Sprache, großer Redegewandtheit und Kommunikationsfähigkeit und stärkte den Zusammenhalt der Gruppe. Humor, Ironie und Lachen hatten dabei einen großen Stellenwert, dienten u.a. als Katalysator bei Aggressionen und Konflikten, sensibilisierten im Umgang miteinander und halfen in schwierigen Situationen, insbesondere bei den Auseinandersetzungen mit den Weißen. Normen und Werte unterschieden sich grundsätzlich in vielen Dingen von unseren. So gab es in der Regel kein Eigentum an Grund und Boden. Besitz spielte eine untergeordnete Rolle. Wichtig war immer die Gemeinschaft. Ansehen erhielt, wer sich für andere einsetzte. Eine Grundregel war, wer nimmt, der muss auch geben. Dies war eine Notwendigkeit für das Überleben. Bei vielen Völkern waren Schenkfeste üblich und die großzügige Abgabe von Gütern war stets mit erheblichem Prestigegewinn verbunden, während die Anhäufung von persönlichem Besitz das Ansehen schädigte. Zwangsassimilierung in Internatsschulen Nach der Erschließung des Westens, der militärischen Unterwerfung der Ureinwohner und ihrer Einweisung in Reservationen, änderte sich auch die Politik der US-Regierung. Statt auf Ausrottung (General Sherman: »Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer«) setzte man auf die zwangsweise »Zivilisierung«. Das BIA, das Büro für indianische Angelegenheiten, unternahm große Anstrengungen, die traditionelle Lebensweise der indianischen Gemeinschaften völlig auszumerzen. Ein wichtiger Bestandteil dabei war die Erziehung. 10 Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA Chiricahua-Apachen wenige Wochen nach ihrer Einweisung in eine Boarding School in Pennsylvania (1886) Bisher auf Missionsschulen reduziert, die Lesen und Schreiben zum Studium der Bibel vermittelten und sich um die Christianisierung der »Heiden« bemühten, wurden ab 1881 BIA-Internatsschulen für Indianer gegründet. 1887 wurde das »Compulsory Indian Education Act« verabschiedet, ein Gesetz zur zwangsweisen Erziehung der Indianer und 1893 wurde für sie die Schulpflicht eingeführt. Dieses Gesetz wurde mit brutaler Gewalt umgesetzt: BIA-Agenten zogen mit Unterstützung von Polizei und Armee durch die Reservationen, nahmen den Eltern gewaltsam ihre Kinder ab und brachten sie zur »Umerziehung« in zumeist weit entfernte Internatsschulen. Mit der Zerstörung des Familienlebens hoffte man, die Stammesstrukturen zu unterwandern. Die Entfremdung der Kinder und Jugendlichen von ihren indianischen Traditionen wurden so ein wichtiger Bestandteil des ethnischen Völkermordes. 11 Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA In diesen »fff-reservation boarding schools« wurden die Kinder unter schrecklichen Bedingungen nach den Vorstellungen der Weißen erzogen. Das Bildungsprogramm glich einem Strafsystem. Disziplin wurde mit Starrheit und Brutalität durchgesetzt. Die Schüler waren wie Gefangene. An große Freiheit gewöhnt, mußten sie sich an die völlig andere Lebensweise und Kultur der Amerikaner anpassen. Schlechte Ernährung, keine Privatsphäre, totale Überwachung, schwere körperliche Arbeit, starker Drill, Schikanen und harte Strafen bei Übertretungen von Regeln, machten den Kindern schwer zu schaffen. Am schlimmsten war jedoch die Zerstörung ihrer Identität. So galten insbesondere folgende Regeln: · Verbot des Gebrauchs indianischer Sprachen · Verbot traditioneller Haartracht und Kleidung · Verbot indianischer Sitten und Gebräuche · Verbot indianischer Religionsausübung Versuche indianischer Selbstbehauptung wurden brutal gebremst, das Selbstbewußtsein gebrochen, das Indianisch-Sein verächtlich gemacht. Die Folgen waren mannigfaltige psychische Probleme, die besonders Apathie und Hoffnungslosigkeit, hohe Selbstmordraten, Schwächung des Immunsystems und Anfälligkeit für Krankheiten hervorriefen. So war z.B. eine hohe Rate an TBC-Toten zu verzeichnen. Kinder vor der Havasupaischule (Ende des 19. Jahrhundert) 12 Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA Viele Schüler brachen aus und versuchten die Heimatreservation zu erreichen. Meistens wurden sie wieder eingefangen und hart bestraft. Kehrten die jungen Indianer nach langer Zeit wieder zu ihrem Stamm zurück, konnten sie zwar lesen, schreiben und rechnen, hatten jedoch ihre Muttersprache weitgehend vergessen. Ihre eigene Kultur schien ihnen oft fremd und sie fühlten sich entwurzelt und nirgendwo zugehörig. Das BIA-Bildungssystem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Das BIA besaß die Zuständigkeit für das gesamte Schulwesen der Native Americans. Lediglich an Missionsschulen hatte es Erziehungsaufgaben delegiert. Bis in die 30er Jahre waren keine Veränderungen zu verzeichnen. Die zwangsweise Umerziehung zeigte über die Jahre hinweg ihre zerstörerische Wirkung. Der amerikanische Innenminister Work beklagte die Rückständigkeit des BIA und ließ 1926 die Internatsschulen von einer Kommission genau unter die Lupe nehmen. Ab 1929 wurden daraufhin die Regeln und Maßnahmen gelockert. 1936 eröffnete das BIA 50 Tagesschulen auf den Reservationen. Assimilation war aber weiterhin das Ziel sämtlicher Bildungsarbeit. Es wurden ausschließlich nicht-indianisches Gedankengut und kulturfremde Lerninhalte vermittelt, sowie indianisches Selbstbewußtsein sanktioniert. So blieb das Erreichen der Lernziele weit hinter den Erwartungen des BIA zurück und in pädagogischen Fachkreisen wurde die Theorie diskutiert, ob Indianer eine geringere Intelligenz besäßen. Die 50er Jahre Die 50er Jahre waren durch die Terminationspolitik geprägt; die die völlige Auflösung der Reservationen, die Aufhebung der »Sonderrechte« (die Gegenleistungen für Landabtretungen waren), die Assimilierung der Ureinwohner und ihre Umsiedlung in den »Schmelztiegel« der großen Städte zum Ziel hatte. Dort plante man die Ureinwohner als billige Arbeitskräfte ein. Die vertraglichen Unterstützungsleistungen wurden gestrichen, viele soziale Programme eingestellt. Große Teile des Reservatslandes gingen in den Besitz von Weißen über, über 100 Stämme lösten sich auf und Elend und Verzweiflung machten sich breit. 13 Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA Eine Integration und die Teilnahme am »American way of life« gelang nur sehr selten. Hilfsarbeiterjobs und das Leben in Slums am Stadtrand waren die Regel. Indianer waren trotz aller Anpassungsleistungen täglichem Rassismus ausgesetzt. Da Ureinwohner bisher keine Steuern zahlten, standen für sie auch keine öffentlichen Schulen zur Verfügung. Als Stadtindianer besuchte nun eine Vielzahl ihrer Kinder öffentliche Schulen, wo sie weiterhin mit Ablehnung, Diskriminierung und Benachteiligung konfrontiert waren. Auf indianischen Hintergrund wurde keine Rücksicht genommen, indianische Geschichte war tabu. Auch in den Reservationen begann man nun mit dem Bau von Public Schools, die nach und nach die Missions- und BIA-Schulen ersetzen sollten. Neue Entwicklungen in den 60er Jahren Eine Wende in der Bildungspolitik für die Ureinwohner zeichnete sich erst in den 60er Jahren ab. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA streifte auch das rote Amerika, die Situation in den Städten spitzte sich zu. Ureinwohner verschiedenster Stämme waren in den neuen Nachbarschaften und indianischen Gemeindezentren zusammengekommen und entwickelten ein gestiegenes Selbstbewußtsein. In einem Vakuum zwischen den Kulturen lebend, fanden sich viele Indianer nicht mehr mit der ihnen zugewiesenen Rolle ab. Es bildete sich eine zunehmende Zahl von Widerstandsgruppen, von denen einige die Weltöffentlickeit auf sich aufmerksam machten. Die Politik reagierte. 1965 wurde ein Senatsausschuß unter Robert Kennedy mit der Untersuchung des indianischen Erziehungssystems beauftragt, der dessen katastrophale Situation zutage brachte. Der Kennedy-Report wies insbesondere die kulturelle Diskriminierung und Benachteiligung indianischer Kinder und Jugendlicher im Schulsystem nach und kritisierte die fehlenden Mitentscheidungsmöglichkeiten der Ureinwohner in Schul- und Lehrplanangelegenheiten. In der Folgezeit wurde eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die den Indianern gewisse Mit- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten zugestanden und auch die Voraussetzungen für eine Veränderung 14 Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA im Bildungsbereich schufen: 1968 das »Bilingual Education Act«, ein Gesetz über zweisprachigen Unterricht für ethnisch benachteiligte Schüler, 1972 das »Indian Education Act", das eine verstärkte Förderung des Bildungsangebots für Indianer vorschrieb, und 1975 das »Indian Self Determination and Education Assistance Act", das es den Stämmen ermöglichte, die Kontrolle über das Schulwesen mit dem BIA auszuhandeln und zu übernehmen. Ureinwohner nehmen Einfluß auf die schulische Entwicklung ihrer Kinder Als indianische Sprachen und Traditionen dabei waren auszusterben und die Ureinwohner sich mehr und mehr als benachteiligte und diskriminierte Randgruppe an die Gesellschaft ihrer Eroberer anpassen mussten, begannen sie die Erziehung ihrer Kinder wieder in die eigene Hand zu nehmen. Erste alternative Schulprogramme entstanden am Ende der 60er Jahre. 1966 wurde die »Rough Rock Demonstration School«, ein Gemeinschaftsprojekt führender Navajo und weißer Erziehungsspezialisten, gegründet. Dem Konzept lag die Zielvorstellung zugrunde, indianische Identität zu bewahren und sich gleichzeitig in die anglo-amerikanische Welt integrieren zu können. Die Kontrolle der Schule obliegt dem Stamm auf lokaler Ebene. Es wurde ein NavajoSchulrat aus Gemeindemitgliedern gewählt und erstmals wurde Indianern in diesem Bereich Entscheidungsgewalt zuerkannt. Rough Rock Community School in der Navajo Reservation 15 Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA Plakat der Rough Rock Community School Die Rough Rock School wurde das Pilotprojekt für eine neue Schulform. Nach Inkrafttreten des Indian Education Act 1972 konnten anerkannte lokale Organisationen einen Vertrag mit dem BIA über die Erziehung ihrer Kinder abschließen. Jede dieser Kontraktschulen hatte ein eigenes differenziertes Programm entwickelt, jedoch arbeiteten alle nach dem gleichen Grundkonzept: indianische Basiserziehung in der Muttersprache und Stärkung von indianischer Identität und positivem Selbstbild. Mit fortschreitendem Schulbesuch erfolgte die Einführung von Englisch als Fremdsprache und zweisprachiger und bikultureller Unterricht mit zunehmender Ausrichtung auf die amerikanischen Normen. So sollte eine qualifizierte Weiterbildung in der weißen Gesellschaft und eine selbstbestimmte Entscheidung über den Grad persönlicher Anpassung ermöglicht werden. Die Survival Schools von AIM Auch das American Indian Movement entwickelte in den 70er Jahren mit den Survival Schools ihre eigenen Schulen. Sie waren und sind auch heute noch autonome Projekte und nicht an das 16 Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA öffentliche Schulsystem angeschlossen. Die Konzepte ähneln denen der Navajo-Schule: Zweisprachigkeit, Vermittlung indianischer Traditionen, Lebensweise, Religion und Geschichte. Es wird aber auch gelehrt, sich im Dschungel der weißen Gesellschaft zu behaupten. So heißt ein Fach z.B. »Trial«, Prozessbeobachtung, denn Indianer müssen überdurchschnittlich häufig um ihre Rechte kämpfen. In den Survival Schools wird das Klassenzimmer oft aus dem Schulhaus verlegt, ins Gericht, den Garten, auf das Feld, in den Wald. Stadtindianer fahren auf die Reservation. Wo immer es möglich ist, wird versucht Wissen aus zweiter Hand zu vermeiden. Die Schüler sollen direkte Erfahrungen sammeln, Projektunterricht wird bevorzugt. Ein wichtiges Ziel war und ist es, eine Grundhaltung gegenüber dem Leben zu schaffen, die die Schüler stark genug macht, der weißen Moral zu begegnen, ohne Schaden zu nehmen. Der aktuelle Stand Im Laufe der Zeit ist die Zahl der indianischen Schulen, die den kulturellen Hintergrund ihrer Schüler einbeziehen, stark angewachsen, und viele Initiativen der Ureinwohner sind um den Erhalt ihrer Sprachen und Traditionen bemüht. Zweisprachige Lehrer werden ausgebildet und spezifische Lernmaterialien erarbeitet. In den 90er Jahren setzten sich auch weiße Wissenschaftler für die vom Aussterben bedrohten indigenen Sprachen ein (so z.B. bei einem Symposium 1997 in Flagstaff, Arizona), die oft nur noch von einigen alten Menschen gesprochen werden. Viele sind unwiederbringlich verloren. Die Stammespolitiker wurden aufgefordert, verstärkt muttersprachlichen Unterricht in ihren Schulen durchzuführen. So zeigt sich immer das gleiche Bild: »Erst zerstören wir und rotten aus und kurz vor dem Ziel werden partiell wirksame Rettungsmaßnahmen eingeleitet.« Mit dem »Native American Language Act« von 1991 wurde das Recht auf die eigene Stammessprache und deren Gebrauch im Unterricht garantiert und 1992 wurde bei einer Konferenz auf USRegierungsebene über indianische Erziehung als Ziel festgelegt, im Jahr 2000 alle indigenen Schüler und Studenten in ihrer Sprache zu 17 Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA unterrichten. Ein Problem stand der Umsetzung jedoch im Weg: die Sicherung der Finanzierung. Schon nach kurzer Zeit wurden aufgrund von Sparmaßnahmen viele indianische Erziehungsprogramme gestrichen. BIA- und stammeseigene Schulen waren dann für Jahre einer Unterfinanzierung ausgesetzt, die die Lernbedingungen ziemlich negativ beeinflußten. Neben einer unzureichenden Ausstattung mit Lernmaterialien etc., machte sich das oft auch im Verfall von Schulbauten bemerkbar. Derzeit sind etwa 600.000 Ureinwohnerkinder und Jugendliche in Schulprogramme der US-Regierung eingebunden. Etwa 55.000 davon, weniger als 10%, besuchen eine der 185 noch bestehenden BIA-Schulen, die auf 63 Reservationen verteilt sind. Sie sind besonders schlecht ausgestattet. Etwa zwei Drittel von ihnen werden inzwischen durch die Stämme betrieben und kontrolliert. 450.000 Schüler, also 75%, besuchen Schulen, die durch die 1.200 Programme des Office of Indian Education des Erziehungsministeriums finanziert werden. Diese Schulen werden in den indianischen Gemeinden in Selbstregie betrieben. Es verbleiben ca. 100.000 Kinder und Jugendliche, die keinen Zugang zu staatlich finanzierten indianischen Bildungsprogrammen haben. Sie besuchen zumeist allgemeine Schulen außerhalb der Reservationen, insbesondere in den Städten. Der Trend zu mehr Selbstverwaltung und Autonomie hat sich in den letzten Jahren fortgesetzt und besonders stark ist der Bildungsbereich betroffen. Bildung wird inzwischen von den indigenen Gruppen als der Bereich angesehen, der den Stämmen und ihren Mitgliedern das Überleben und im 21. Jahrhundert eine Zukunft sichert. Die in den 60er und 70er Jahren entwickelten zweigleisigen Konzepte der Wiedererlangung und Erhaltung traditioneller Identität und Kultur einerseits und der Vermittlung der erforderlichen Kenntnisse für die Mainstream-Gesellschaft andererseits, haben fast überall Eingang gefunden. Von indianischen Politikern, Institutionen und Organisationen werden große Anstrengungen unternommen, den Erziehungs- und Bildungsbereich zu fördern. 18 Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA Indianische Erziehung bereitet die Kinder auf das Leben in der weißen Gesellschaft vor, ohne die Traditionen zu vergessen Trotzdem sind die Erfolge in den Schulen oft nicht zufriedenstellend, wie bei einem Kongress der National Indian Education Association (NIEA) im November 2001 in Billings, Montana, festgestellt wurde. Als Ursachen dafür wurden u.a. benannt: fehlendes Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl der Schüler, aufgrund der spezifischen Geschichte in den letzten Generationen; die oft störende Einmischung von Verwaltung, Politik und akademischem Überbau; das unzureichende Engagement der Lehrer, die indianischen Sprachen wiederzuerlernen und zu beherrschen und damit eine Vorbildfunktion zu übernehmen; falsche Prioritäten der Lerninhalte. Insbesondere dem Erwerb der Muttersprache muß ein vorrangiger Wert zugemessen werden, da dies für die Identitätsentwicklung von besonderer Bedeutung ist. Traditionelle Vermittlungsformen sollen verstärkt werden und indianische Geschichte, Philosophie und Kultur mehr Raum erhalten. Weil das persönliche Leistungsprinzip der amerikanischen Gesellschaft von traditionellen Ureinwohnern als fremd und hinderlich erlebt wird, soll zukünftig der Gemeinschaftsgedanke wieder im Vordergrund stehen. 19 Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA Im Bereich »indianische Angelegenheiten« war Bildungsförderung auch eines der Hauptthemen für die beiden Kandidaten im Präsidentschaftswahlkampf 2000. Stammespolitiker fanden anschließend mit Vertretern der neuen Regierung scheinbar eine recht gute Ebene. Im Frühling 2001 konnte man bei Anhörungen im Kongress und weiteren Treffen Übereinstimmung über die Priorität der Bildung für die Entwicklung der indianischen Gemeinden erzielen, wobei die Erweiterung der Stammeskontrolle und Selbstverwaltung in verschiedenen Bereichen im Interesse der Bush-Administration zu liegen schien. Ende 2001 verabschiedete der US-Senat auch ein weiteres Gesetz. Das »Native Education Improvement Act of 2001« (Gesetz zur Verbesserung der Bildung der Ureinwohner) beinhaltet ein Set von Reformen, das an alle Bereiche von BIA- und Stammesschulen gerichtet ist, inklusive der Versorgung mit Lehrern und dem Bau von Schulen. Die Autonomie der lokalen Bildungsbehörden soll erhöht werden, so dass leichter neue Konzepte und Reformen entwickelt und umgesetzt werden können. Das Gesetz beinhaltet auch Programme für die vorschulische Erziehung und Alphabetisierungsangebote für Familien. Die Indigenen setzen große Hoffnungen in die zukünftige Entwicklung, wohl wissend, dass es leicht zu Verschiebungen der Prioritäten kommen kann. So hat die politische Situation seit dem 11. September 2001 stark von den Anforderungen im Inneren abgelenkt und hohe Geldmengen in außenpolitische, sprich militärische, Kanäle abgezogen. 20 Die Kinder vom Cheyenne River Die Kinder vom Cheyenne River Aufwachsen zwischen 2 Kulturen »Es ist beinahe unmöglich, einem sympathisierenden Weißen zu erklären, was eine typische alte Indianer-Internatsschule war und wie sie auf ein indianisches Kind wirkte, das plötzlich in sie hineinplumpste wie ein kleines Wesen von einem anderen Stern, hilflos, schutzlos und das verzweifelt versucht zu überleben und manchmal eben nicht überlebt. Sogar jetzt, wo diese Schulen um vieles verbessert wurden, wo die Gebäude neu sind, ganz aus blitzendem Stahl und Glas, wo das Essen annehmbar ist, die Lehrer gut ausgebildet und motiviert sind, sogar in Kinderpsychologie erfahren – unglücklicherweise in der Psychologie weißer Kinder, die sich von der unserer Kinder unterscheidet – sogar jetzt ist der Schock für das Kind, das dort ankommt schrecklich […] Obgleich die alte Tiospaye zerstört ist, bleibt in traditionellen Sioux-Familien, vor allem denen, in denen nicht getrunken wird, das Kind niemals sich selbst überlassen […] es wird mit Achtung behandelt, die man einem menschlichen Wesen, auch einem kleinen schuldig ist. Selten wird es gezwungen, etwas gegen seinen Willen zu tun, selten wird es angeschrien und niemals geschlagen.« So schreibt es die Lakota-Indianerin Mary Crow Dog in ihrem Buch Lakota Woman. Sie beschreibt damit einen grundlegenden Widerspruch im Leben indianischer Kinder in den letzten einhundert Jahren. Einerseits stellt sie den schon nahezu antiautoritär anmutenden Erziehungsstil indianischer Großfamilien den strengen, unterdrückenden Disziplinarmassnahmen oft christlich geleiteter Internatsschulen gegenüber, mit Ordnung, steriler Sauberkeit, mit Verbot und Strafe. Wohl einer der bedeutendsten kausalen Prozesse hinsichtlich des jahrzehntelangen Identitätsverlustes amerikanischer Einwohner indianischer Abstammung. Herausgerissen aus der Geborgenheit einer indianischen Gemeinschaft, wurden die Kinder in Internatsschulen gesteckt, um sie dort zu zivilisierten Menschen zu machen. »Töte den Indianer, um den Menschen zu retten«. 21 Die Kinder vom Cheyenne River Sie beschreibt aber auch einen weiteren Widerspruch. Indianische Familien, die ihre Kinder mit Achtung und Fürsorge erziehen, die ihnen Werte vermitteln, ihnen das Gefühl geben, besondere Menschen auf dieser Welt zu sein. Eltern die ihren Kindern Selbstbewusstsein und Stolz auf die eigene Abstammung beibringen. Das sind die echten Indinaner. Mir stellt sich da die Frage, ist das heute noch Realität ? Meine Name ist David Schiefer und ich studiere Psychologie an der Universität Potsdam. Von Januar bis Juli 2000 arbeitete ich in einem gemeinnützigen Kindergarten in der Kleinstadt Eagle Butte im Cheyenne River Sioux Reservat/South Dakota. Dieser Kindergarten entstand im Jahre 1988, als eine berüchtigte Bar an der Hauptstrasse der Kleinstadt von der Stammesregierung zwangsgeschlossen wurde. Das Gebäude wurde zur weiteren Nutzung öffentlich ausgeschrieben, den Zuschlag bekam eine Gruppe um die ortsansässige Lakota-Indianerin Julie Garreau, welche das alte Gebäude in ein Kinderzentrum umwandelte, ein Symbol, wie ich finde. Die Theke wurde zur Kochnische für den kindlichen Hunger, die Tanzfläche bot Platz zum Spielen und basteln, es gab sogar eine kleine Bibliothek. Finanziert wurde und wird das »Cheyenne River Youth Project« von privaten und öffentlichen Geldern, besonders von der Organisation »Running Strong for American Indian Youth«. Die Mitarbeiter setzten sich hauptsächlich aus jungen, ehrenamtlichen Helfern zusammen, mittlerweile mit internationaler Beteiligung. Ehrenamtliche Arbeiter aus dem Ort selbst gibt es kaum, mitunter arbeiten im Kinderzentrum, dass nach der Lage des alten Hauses an der Hauptstrasse »The Main« genannt wurde, mehr Ausländer als Amerikaner oder gar Lakotas. Ein Widerspruch, aber es war und ist Realität. 1998 hat das Projekt die finanziellen Mittel aufbringen können, um ein neues, moderneres Gebäude zu bauen. Dies steht nun am Rande der Stadt, den Namen »The Main« hat es behalten. Das Kinderzentrum betreut heute insgesamt zwischen 200 und 300 Kindern, welche mal mehr, mal weniger häufig das Haus zum Spielen nutzen. 22 Die Kinder vom Cheyenne River Standing Rock Reservation Lake Traverse Reservation Cheyenne River Reservation Eagle Butte Pierre Crow Creek Reservation Flandreau Reservation Rapid City Lower Brule Reservation Pine Ridge Reservation Rosebud Reservation Sioux Falls Yankton Reservation Reservationen in South Dakota Die Kinder, die dieses Zentrum nach der Schule am Nachmittag, in den Ferien ganztägig besuchen, haben mitunter bereits ein Leben hinter sich, dass von Mary Crow Dogs Vorstellungen einer indianischen Familie weit entfernt liegt. Kinder aus brüchigen Elternhäusern, Vater und Mutter sind getrennt oder liegen im Streit, Alkohol beherrscht das Haus, Gewalt ist Alltag. Diese Kinder haben Augen, die bereits mehr erzählen können, als ich es jemals erleben werde. Das Kinderzentrum hat gerade diese Kinder als Zielgruppe, Kinder aus problematischen Elternhäusern, mit oft deutlichen Verhaltensstörungen, mit einem riesigen Bedürfnis nach Schutz und Zuneigung. Sie flüchten aus den Häusern auf die Straße, seit 1988 können sie sagen »Hey, let´s got to THE MAIN, hier tut uns keiner was.« Und so ist es nicht verwunderlich, dass ich in den sieben Monaten meiner Arbeit dort größtenteils mit indianischen Kindern zu tun hatte, die alles andere als eine geborgene und fürsorgliche Kindheit 23 Die Kinder vom Cheyenne River haben. Mit Kindern, die nicht einmal wissen, wann sie Geburtstag haben, weil es zu Hause keine Rolle spielt. Mit Kindern, die sich voller Aggression gegen die Freiwilligen dieses Kindergartens wenden, weil sie frustriert sind, wütend, weil sie einen Ort suchen, an dem sie diese Frustration loswerden können. In Eagle Butte haben sie diesen Ort gefunden, was nicht immer einfach ist für die Freiwilligen, die dort arbeiten. Ich möchte hier jedoch deutlich betonen, dass dies kein generelles Bild der Situation indianischer Familien ist. Wie groß der Anteil indianischer Familien mit der besagten häuslichen Gewalt, mit Vernachlässigung und mitunter Misshandlung der Kinder ist, ist mir mangels statistischer Daten nicht bekannt. Sicherlich gibt es ebenso viele Familien, in denen Kinder mit Respekt und Liebe zu gesunden, selbstbewussten Menschen erzogen werden. Meine Eindrücke beruhen auf der Arbeit mit den Kindern dieses Zentrums, und diese stammten fast alle aus problematischen Elternhäusern. Häufig hatten wir es mit dem sogenannten Fetal Alcohol Syndrom (FAS) zu tun, körperliche und geistige Defizite auf Grund von Alkoholgenuss während der Schwangerschaft. Keine Indianerkrankheit, sondern ein Phänomen innerhalb vieler sozialer Schichten, besonders aber in solchen mit geringem Einkommen und den damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Alkohol dient hier als kurzzeitiger Fluchtraum. Die Kinder haben meist erhebliche Konzentrations- und Lernstörungen, sind kaum länger als zehn Minuten an einem Spiel oder an einer Bastelarbeit zu halten. Dementsprechend wird auch der Schulunterricht in Eagle Butte angepasst. Des Weiteren scheinen diese Kinder oft keine Kontrolle über ihre Emotionen zu haben, so kommt es gerade im Falle von Frustration zu Affektausbrüchen. Außerdem scheint ein Großteil der Kinder ein grenzenloses Bedürfnis nach Zuwendung und Beachtung zu haben. Dies versuchen sie auf verschiedene Art und Weise zu erreichen. Die einen beschenken einen mit selbstgemalten Bildern, streben somit nach Lob und Anerkennung, andere versuchen ständig, körperliche Zuneigung zu erhaschen, gibt man sie ihnen, so läuft man Gefahr, nie wieder losgelassen zu werden. Im »Main« suchen sie dass, was 24 Die Kinder vom Cheyenne River Die Kinder vom Cheyenne River Youth Project sie zu Hause nicht bekommen. Wieder andere, vor allem die Jungen, versuchen sich im Beleidigen, Unfug anstellen, um somit Aufmerksamkeit zu erregen, sie beschimpfen die Freiwilligen, weil sie sie lieben und sich nach ihrer Zuwendung sehnen. »Wir sind keine ausgebildeten Psychologen, aber wir versuchen den Kindern, so gut es geht, durch schwierige Zeiten zu helfen.«, sagt Julie Garreau, Direktorin des Projekts. Psychologen wären tatsächlich nötig in diesem Projekt, hier sind die freiwilligen und oft nicht ausgebildeten Mitarbeiter zumeist überfordert. Psychologische Betreuung gibt es lediglich im Rahmen der schulischen Ausbildung, hier kommt ein Mal pro Woche ein Psychologe aus dem mehrere Autostunden entfernten Spearfish/South Dakota. In erster Linie Kinder, dann Indianer In der Arbeit mit diesen Kindern wurde mir eins sehr schnell deutlich. Es geht hier nicht um das »Indianer-Sein«. Ihnen deutlich zu machen, dass sie Lakotas sind, ihnen eine Identität mit ihrem Stamm zu vermitteln, sie stolz zu machen auf ihr Volk. Dieses Ziel 25 Die Kinder vom Cheyenne River ist eher untergeordnet, primär kommt es darauf an, diesen jungen Menschen das Kind-Sein zu erleichtern, ihnen das Gefühl zu geben, ein wertvoller Mensch zu sein, das Selbstwertgefühl eines gesunden Menschen zu verschaffen und dann erst den Stolz eines Indianers. Es geht hier um Kinder, die versuchen, ihre oft unangenehmen Erlebnisse zu bewältigen und sich bestmöglichst in ihrem enstehenden Leben zurechtzufinden. Mit dem Indianer-Sein können die meisten Kinder und Jugendlichen oft nichts mehr anfangen. Zwar gibt es noch indianische Traditionen, Powwows, Schwitzhütten, Sonnentänze, an denen auch die »Siebente Generation« noch teilnimmt. Ein Lakota-Junge ist stolz, das erste mal die Kleidung eines »Fancy-Dancers« tragen zu dürfen. Der 10-jährige Brandon Bagola aus Eagle Butte, nimmt am Wounded-Knee-Memorial-Ride teil, ein strapaziöser Gedenk-Ritt zur Stätte des Massakers von 1890. Doch erscheint es mir, als könnten die Kinder und Jugendlichen in ihrem Alltag, mit all seinen Schwierigkeiten, in den Traditionen und Idealen ihres Volkes keine Antworten auf ihre Situation finden. Vielmehr scheinen sie sich mit der Lebensweise der Schwarzen in US-Großstädten zu identifizieren. Die Situation in den Ghettos amerikanischer Vorstädte erinnert die Kinder und Jugendlichen Eagle Buttes zu sehr an die eigene und somit scheinen sie sich mental mit selbigen sozialen Gruppen verbunden zu fühlen. So sind die Köpfe meist kahlrasiert, kaum ein männlicher Lakota-Teenager trägt noch lange Haare, indianische Musik weicht Hip Hop und düsterem Rap und auch Bandenrivalitäten werden in der nur wenige tausend Einwohner zählenden Kleinstadt oft »imitiert«. Indianische Kinder scheinen in erster Linie amerikanische Kinder zu sein, sie wünschen sich keine Spielzeug-Adler, sondern BarbiePuppen, Lego anstatt Pfeil und Bogen, eine Tatsache, die viele dort ankommende Freiwillige des Kinderzentrums zu Anfang mitunter irritiert. Aber ist es verwunderlich? Sie wachsen als amerikanische Staatsbürger auf, werden größtenteils ebenso sozialisiert wie andere amerikanische Kinder auch. Und doch sehen sie sich zwischen zwei Kulturen, in einem Teufelskreis aus Frustration und Zukunftsangst. 26 Die Kinder vom Cheyenne River Die Suche nach dem neuen »Wir-Gefühl« der Lakota, eine Frage der Selbstwirksamkeit Die Zeiten der Büffel sind vorbei, es ist Zeit für eine neue Identität. Für die Menschen vom Cheyenne River noch ein weiter Weg. Hier kommt die Bedeutung des Kinderzentrums zum Tragen. Das Wesen eines Menschen wird zu großen Teilen in der frühkindlichen Entwicklung determiniert. Hier gilt es, dem jungen Leben ein Urvertrauen zu schenken, ein Gefühl, selbst etwas wert zu sein, die Fähigkeit, das eigene Leben zu gestalten und auf anstehende Probleme wirken zu können. Der Psychologe Bandura (1977) unterscheidet in einem vielbeachteten Artikel die sogenannte Wirksamkeitserwartung (self-efficiacy) und die Handlungs-ErgebnisErwartung (action-outcome-expectation). Ob ein Mensch aktiv wird, hängt davon ab, ob er weiß, was zu tun ist und ob er sich in der Lage sieht, die Handlung auch auszuführen. Auf die Situation indianischer Kinder übertragen bedeutet dies: Ihre Familien befinden sich seit Generationen in sehr schwierigen sozialen Bedingungen. Die nächsten Generationen müssen verstärkt versuchen, für diese Probleme Lösungsansätze zu suchen und somit aktiv nach einer Verbesserung der Lebenssituation in US-Indianerreservaten zu suchen. Dafür müssen in den Menschen selbst die Grundlagen geschaffen werden. Sie müssen die Fähigkeit haben, für Probleme Lösungsansätze zu erkennen und deren Folgen zu bewerten, weiterhin müssen sie aber auch das Vertrauen haben, Maßnahmen durchführen zu können. Kuhl (1983) unterscheidet zwischen Menschen mit überwiegender Lage- bzw. Handlungsorientierung. Ein handlungsorientierter Mensch erkennt seine derzeitige Lage und den gewünschten Zielzustand. Die Person erkennt außerdem die Diskrepanz zwischen beiden »Lagen« und wird nun Überlegungen anstellen, wie diese Diskrepanz zu überwinden ist. Handlungsorientierte Menschen sind oft und mit Erfolg dabei, ihre Absichten in die Tat umzusetzen. Ist eines dieser Elemente nicht gegeben, dann kann es zu Defiziten in der Handlung kommen, die Person wird passiv. Kuhl spricht hier von Personen mit überwiegender Lageorientierung. Sie erkennen ihre Situation, sehen die Diskrepanz zwischen erwünschtem und 27 Die Kinder vom Cheyenne River realem Zustand, sehen sich jedoch nicht in der Lage, diese Diskrepanz tatsächlich zu verringern. Die Absichten bleiben bestehen, die Handlung wird jedoch nicht ausgeführt. Was bleibt, sind degenerierte Absichten wie »etwas müsse sich verändern«, eben weil ihnen etwas fehlt, das sie zu dem macht, was sie eigentlich sein sollten. Solche Personen befinden sich sozusagen in einem Zustand erlernter Hilflosigkeit. Kinder zu handlungsorientierten Menschen zu machen, ist eine wichtige Aufgabe des Kinderzentrums von Eagle Butte. Ihnen das Gefühl vermitteln, etwas aus dem eigenen Leben machen zu können, ihr eigenes Leben zu gestalten, auch wenn dies oftmals viel Mühe und Anstrengung bedeutet. Bisher schafft es nur ein geringer Bruchteil indianischer Jugendlicher, nach der High School ein College oder eine Universität zu besuchen. Die Community Colleges in den Reservaten South Dakotas, beispielsweise das Si Tanka Community College in Eagle Butte bieten da ein Sprungbrett. Das nötige Selbstwertgefühl und das Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit wird den Kindern vom Cheyenne River zu Hause oft nicht vermittelt. Wie könnte es anders sein. Die einstigen Tiospayes sind zerstört, sie wurden in Kleinfamilien aufgeteilt, denn der Zusammenhalt der Tiospayes schien den Weißen zu gefährlich. Jede Kernfamilie bekam ein kleines Stück Land und sollte es bewirtschaften. Lakotas waren nie Landwirte. Sie verkauften ihr Land, um überleben zu können. Es begann eben jener Teufelskreis aus Armut, Arbeitslosigkeit und Identitätsverlust. Die Männer konnten sich nicht mehr als Krieger und Kämpfer beweisen, der Weg in die Minderwertigkeit indianischer Männer begann. Heute sind sie wieder Krieger, in der US-Armee finden sie ein Stück weit zurück zu ihrem Stolz. Wenn die Kinder einstiger Tiospayes die BoardingSchools verliessen, waren sie nicht mehr als wirkliche Lakotas akzeptiert, als weiße US-Bürger fühlten sie sich jedoch auch nicht. Diese Menschen sind heute Großeltern, ihre Kinder sind in dieser Orientierungslosigkeit aufgewachsen und haben heute selbst Kinder. Hinzu kommt eine anhaltende Arbeitslosigkeit, South Dakota zählt zu den wirtschaftlich schwächsten Gebieten der USA. 28 Die Kinder vom Cheyenne River Den Kreis gilt es zu durchbrechen! Das Kinderzentrum von Eagle Butte ist eine der besten Institutionen zu Bewältigung der Situation eines Volkes zwischen zwei Kulturen. Hier hilft man den Menschen bereits in frühester Kindheit, erfüllt kindliche Grundbedürfnisse und schafft somit die Grundlagen, die früheren Generationen verlorengegangen sind. Wenn die Lakotas der Great Plains eine Chance haben wollen, nicht nur als Menschen, sondern auch als Angehörige eines der ersten Völker des nordamerikanischen Kontinentes zu überleben, eine neue Identität zu sich und ihrer eigenen Bedeutung als Lakota-Sioux zu finden, dann muss man in frühester Kindheit ansetzen. Ein stabiles Haus kann man nur auf festem Boden bauen, sonst hält es dem Sturm nicht stand. Erwähnenswert ist noch das Interesse der US-amerikanischen Regierung an der Rückgewinnung indianischer Identität. Sie beschränkt sich auf eine monatliche Lebensmittellieferung, meist in Form von bereits monatelang überlagerten Konservendosen. Eine Suppe, dessen Verfallsdatum bereits vor zwei Jahren ablief, ist keine Seltenheit und schmeckt einem Indianerkind genauso gut wie frische Lebensmittel. Geld vom Staat gibt es nicht, »dies wäre auch mit erheblichen Auflagen verbunden, was das Projekt in seiner Handlungsfreiheit enorm einschränken würde«, so die Direktorin Julie Garreau. Seit neustem sperrt sich die US-Immigrationsbehörde ausländischen Freiwilligen, die im Kinderzentrum einige Monate arbeiten möchten. Sie stünden in einem Arbeitsverhältnis und würden dabei Geld verdienen, gemeint ist eine monatliche finanzielle Unterstützung von 100 Dollar. Wer in den Staaten arbeitet, braucht eine Green-Card, Gesetz ist nun mal Gesetz. Ein Visum für Freiwilligendienste gibt es nicht. Dabei sollte es doch im Sinne des Landes sein, wenn das »Indianerproblem« einmal praktisch angegangen wird. Es melden sich immer noch zahlreiche Helfer aus den USA, momentan sichert der ausländische Anteil der Volunteers jedoch das Überleben des Projektes. Lokale indianische Helfer zu finden ist nach wie vor ein Ziel der Projektleitung, erweist sich jedoch weiterhin als äußerst schwierig ohne Bezahlung. 29 Die Kinder vom Cheyenne River Gerade in Deutschland ist das Interesse und die Bereitschaft, in diesem Projekt mitzuarbeiten, besonders bei jungen Menschen sehr groß. Trotzdem muss Julie Garreau vorerst die Erwartungen deutscher Helfer dämpfen. »Es klappt nur so lange, wie die Zahl ausländischer Helfer begrenzt bleibt. Man müsste dann eine individuelle Lösung finden.« Kontakt Wer Interesse hat, mehr über das Projekt zu erfahren und sich über die derzeitigen Möglichkeiten, in Eagle Butte eine zeitlang auszuhelfen, informieren möchte, der erreicht das Projekt unter [email protected], oder telefonisch unter (001) 605 964 8200. Die Postanschrift lautet: Cheyenne River Youth Project P.O.BOX 410 Eagle Butte SD 57625 USA Für weitere Information stehe natürlich auch ich gern zur Verfügung. David Schiefer Hermann-Elflein-Strasse 5 14467 Potsdam 0331/8172688 e-mail: [email protected] Literaturangaben: Bandura, A., 1977, Self-Efficiacy: towards a unifying theory of behavioural change. Psychological Review, 84, 191-215 Crow Dog, M., 1994, Lakota Woman, Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH und Co. KG, München Kuhl, J., 1983, Motivation, Konflikt und Handlungskontrolle. Berlin: Springer Lame Deer, J. F., 1997, Tahca Ushte-Medizinmann der Sioux, Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH und Co. KG, München Rheinberg, F., 2000, Motivation, Stuttgart, Berlin: Kohlhammer, 2000 30 Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada In Zeiten, da der Winter in unseren Breiten augenscheinlich nicht mehr knackig kalt und schneereich ist, wird Ski-Urlaub in Regionen, die solches bieten, immer beliebter. Gut präparierte Pisten versprechen pures Vergnügen auf Brettern und wenn dann noch die touristische Infrastruktur keine Wünsche offen lässt, ist der Erholungseffekt garantiert. Für uns Europäer sind die Alpen traditionell Ziel unserer »SkiTräume«, doch zunehmend werden z. B. die kanadischen Rocky Mountains, speziell in British Columbia (BC), zu einer Alternative auch für diejenigen, denen die Alpen zu überlaufen sind. Das lässt sich u. a. daraus schließen, dass die Reiseanbieter für Ski-Urlaub in BC auch in Deutschland sehr zahlreich sind. In BC setzen Provinzregierung und interessierte Finanzgruppen große Hoffnungen auf die Entwicklung der Tourismuswirtschaft. In- und ausländische Tourismusunternehmen sind dabei, die Angebote an solchen Alternativen in BC ständig zu erweitern. Das geschieht durch »Erschließung« neuer und Erweiterung bestehender Ski-Zentren. Doch über einen wesentlichen Aspekt des wachsenden Angebotes erfährt der »gewöhnliche« Ski-Tourist aus Europa nichts. Es ist die Frage: In wessen Land fahre ich eigentlich? Als das Festland von BC 1858 britische Kolonie wurde, erhob die britische Krone zwar Anspruch auf das gesamte Land, gestand den Ureinwohnern – also den Indianern – aber Besitzrechte zu, die erst durch Verträge und entsprechende Kompensationszahlungen erlöschen würden. Erhalten bleiben sollten ihnen darüber hinaus die Nutzungsrechte an verschiedenen Ressourcen, die außerhalb der Ihnen zugewiesenen Reservationen liegen. 31 Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada Aber nur der erste Gouverneur von BC, James Douglas, versuchte sich an diese Vereinbarungen zu halten. Seine Nachfolger schlossen keine Verträge ab und verneinten auch die Existenz indianischer Landrechte. Diesen wurde erst wieder Geltung verschafft, als BC 1871 kanadische Provinz wurde. Der Bundesstaat BC ignoriert diese Rechte jedoch bis heute. Die Indianer (speziell die Nationen im Binnenland von British Columbia) bestehen jedoch auf ihren Landrechten. Sie haben nie einen Vertrag mit den Kolonialmächten oder deren Nachfolgeregierungen über Landabtretungen geschlossen und könnten somit theoretisch fast das ganze Territorium dieses westlichsten Bundesstaates Kanadas für sich beanspruchen. Seit unzähligen Generationen bewohnen sie das Land. (»… es versorgt uns mit allem was wir täglich brauchen«, so Chief Arthur Manuel von der Secwepemc- oder Shuswap-Nation) und nutzen es auch heute noch auf traditionelle Weise, indem sie jagen oder Beeren und Kräuter sammeln; auch, weil die Armut in den indianischen Gemeinden dies erforderlich macht. Die Indianer verfügen über umfangreiches Wissen, wie man das Land nutzen kann, ohne seine Ressourcen zu erschöpfen, ohne den Lebensraum von Pflanzen und Tieren zu zerstören. Nachhaltiges Wirtschaften ist also für die sie kein leeres Schlagwort, sondern lebendige Tradition. Darüberhinaus sehen sie sich von altersher vom »Schöpfer« mit dem Recht an ihrem Land und seinen Ressourcen ausgestattet. Darin eingeschlossen ist auch die Verantwortung, das Land so zu nutzen, dass es für die nachfolgenden Generationen erhalten bleibt. Juristisch wird dieses Recht als »Aboriginal Title« bezeichnet. Im Artikel 35 des kanadischen Verfassungsgesetzes von 1982 wird dieses angestammte Landrecht geschützt und in einem Gerichtsurteil von 1997, dem sogenannten »Delgamuukw-Urteil« durch den kanadischen Obersten Gerichtshof bestätigt. Trotzdem weigern sich die kanadischen Bundesbehörden und die Provinzregierung von British Columbia, »Aboriginal Title« anzuerkennen. 32 Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada Indianische Brennpunkte in British Columbia Denn dann müssten die Indianer, wie es Verfassung und Gerichtsurteil verlangen, bei den Entscheidungen, die Regierungsbehörden des Landes und der Provinz über die Nutzung des Landes treffen, zwingend einbezogen werden. Dieses Mitspracherecht der eigentlichen »Landbesitzer« ist aber nicht gefragt, wenn es darum geht, den Tourismus, insbesondere den Wintersport, immer mehr zu einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor in BC zu entwickeln. Die Interessen der Indianer, die natürlich ihr Land bewahren und schützen wollen, würden der Erzielung maximaler Profite aus dem Tourismusgeschäft entgegenstehen. Dabei wäre es doch gerade im sensiblen Bereich des Tourismus wichtig, indigenes Wissen um nachhaltigen und vorsichtigen Umgang mit den Ressourcen zu nutzen. Denn: ein Tourist, vornehmlich ein europäischer, unternimmt eine so weite und teure Reise nicht, um eine »Kahlschlag-Landschaft« vorzufinden, sondern neben dem Ski-Vergnügen möchte er sicher auch eine großartige, »unberührte Natur« genießen können. 33 Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada Protestcamp der Secwepemc (Shuswap) Aber ein solcher Aspekt spielt in den Planungen der Behörden von Bundes- und Provinzregierung offensichtlich keine Rolle. Statt endlich den Gerichtsentscheid zum »Aboriginal Title« umzusetzen, wurde ein sogenannter »Columbia Treaty Process« eingerichtet: Die betroffenen indianischen Nationen sollen mit der Regierung in Verhandlungen über Landansprüche eintreten. Das ist aber eine Missachtung bestehender Fakten. Denn die Indigenen sind Inhaber eines Landrechtstitels, nämlich des »Aboriginal Titles". Würden sie in diese Verhandlungen gehen, müssten sie den Titel aufgeben, um im Ergebnis der Verhandlungen kleinere Gebiete rückübertragen zu erhalten. Fast alle Stämme im Innern BC’s weigern sich an solchen Verhandlungen teilzunehmen und bestehen auf der Umsetzung des »Delgamuukw«-Urteils. Während der Konflikt bislang ungelöst bleibt, geben Regierungsund Provinzbehörden Land ohne die Zustimmung der Indianer – der eigentlichen Landbesitzer – zur Pacht, zur wirtschaftlichen Erschließung oder zum Verkauf frei. Aktuelles Beispiel - und hier sind wir wieder am Ausgangspunkt angelangt – ist der wachsende Wirtschaftszweig »Ski-Tourismus« in BC. 34 Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada Im Jahre 1961 wurde am Mt. Todd eine kleine Skianlage errichtet. Der Berg liegt in der südlichen Mitte von BC und gehört zusammen mit anderen Gipfeln zum traditionellen Land der Shuswap. Sie selbst nennen diese Land Skwelkwek'welt, was etwa mit »Hochgebirge« übersetzt werden kann. 1862 wurde ihnen dieses Gebiet als Reservat zugesprochen. Da sie es aber angeblich nicht nutzten, entzog ihnen die Regierung das Land wieder und erklärte es zu »Crown-Land«, was die Indianer aber nie anerkannten. 1992 wurde die kleine Skianlage von den Regierungs-Behörden BC's an den japanischen Konzern Nippon Cable verkauft. Der hatte damit eine lukrative Immobilien- und Investitionsanlage erworben. Das Ski-Zentrum sollte nun weiter ausgebaut werden, was die kanadischen Behörden auch genehmigten. 1996 wurde ein entsprechender Vertrag zwischen Nippon Cable und der damaligen Provinzregierung von BC abgeschlossen. Die eigentlichen Landeigentümer, die Shuswap Nation, wurden nicht gefragt. Ihre bereits damals eingereichten Landrechtsforderungen wurden nicht beachtet. Doch nun setzen sich die Indianer gegen diese fortwährende Ignoranz der Behörden zur Wehr. Mit vier weiteren Nationen (St'at'imc, Southern Carrier, Nlaka'pamux, Okonagan) aus dem Binnenland von British Columbia haben sich die Shuswap zur »Interior Alliance« zusammengeschlossen, um ihren Widerstand und ihren Protest wirksamer zu gestalten. Dabei setzen sie auf friedliche, aber unmissverständliche Aktionen, wie beispielsweise die Einrichtung von Schutzcamps am Eingang des Sun Peak-Ski-Ressorts im Herbst 2000 oder die Gründung des »Skwelkwek'welt Protection Centre« am MacGillvery Lake. Die Camps werden ständig bewohnt. Damit wollen die Indianer bewusst demonstrieren, dass sie keine Landbesetzer sind, sondern sich auf ihrem eigenen Land befinden. An den Aktionen beteiligen sich alle Generationen, also Jung und Alt. Die Aktivitäten zum Schutz ihres Landes vor der Zerstörung durch Massentourismus und gegen die fortgesetzte Missachtung ihrer Landrechte brachte den Indianern viele Repressalien seitens der Behörden der Provinz BC ein. Im Laufe des Jahres 2001 wurden 35 Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada sie wiederholt von der Polizei aus den Camps vertrieben, Hütten wurden in Brand gesteckt, und einige der Insassen der Camps wurden sogar verhaftet. Die Situation eskalierte, als am 10. Dezember 2001, dem Inter nationalen Tag der Menschenrechte, die beiden o. g. Protestcamps von Bulldozern niedergewalzt wurden. Grundlage dieser Aktion war eine staatsanwaltliche Anordnung. Ausgeführt wurde sie gemeinsam von der Land- und Immobilienbehörde (die für die Verwaltung der sogenannten »Crown-Lands« zuständig ist) und der Polizei von BC. Vorausgegangen waren richterliche Räumungsbescheide, gegen die sich die Indianer beharrlich zur Wehr gesetzt hatten. Ein weiterer Brennpunkt indianischen Widerstandes gegen Umweltzerstörung durch »Ski-Tourismus« ist das Gebiet der St'at'imc Nation am Melvin Creek. Hier soll eines der letzten unberührten Täler, ebenfalls traditionelles Stammesland, als ganzjähriges Erholungsgebiet mit großem Ski-Zentrum »erschlossen« werden. Betreiber des Projektes sind die ehemalige kanadische SkiRennläuferin Nancy Green Raine und ihr Mann. Bereits im August 2000 bewilligte die Provinzregierung von BC das Projekt. Ein wesentlicher Faktor sowohl für Projektplanung als auch – bewilligung dürfte die Bewerbung der Provinzhauptstadt von BC, Vancouver, für die olympischen Winterspiele im Jahr 2010 sein. Man möchte dafür beste Bedingungen schaffen, auch wenn »ein wenig Natur« dabei zerstört und Ureinwohnerrechte mit Füßen getreten werden. Die Ablehnung der St'at'imc Indianer fand auch hier seinen Ausdruck in der Einrichtung eines ständig bewohnten Protestcamps. Weil sie dieses fortgesetzte Unrecht nicht hinnehmen und auf ihr angestammtes Landrecht nicht verzichten wollen, haben sich die Indianer der Interior Alliance an die internationale Öffentlichkeit gewandt und um Unterstützung gebeten. Chief Arthur Manuel, Vorsitzender der Stammesvertretung der Shuswap Nation und Vorsitzender der Interior Alliance, war in jüngster Zeit bereits mehrfach in Europa – u. a. gemeinsam mit 36 Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada Chief Arthur Manuel auf einer Protestveranstaltung Chief Garry John von der St'at'imc Nation im März 2001 auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) – um durch Vorträge und Gespräche mit Politikern, Pressevertretern und Unterstützergruppen einer breiten Öffentlichkeit die Probleme der Indianer der Interior Alliance nahezubringen und Unterstützung für die Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber der kanadischen Regierung zu erhalten. Während seines ersten Berlinaufenthaltes im Herbst 2000 konnte Arthur Manuel z. B. vor dem Tourismusausschuss des Deutschen Bundestages sein Anliegen vortragen. Im Ergebnis dessen richtete dieser im Januar 2001 einen Brief an den kanadischen Premierminister mit der Bitte, Gespräche mit den Nationen der Interior Alliance aufzunehmen. Im Vorfeld der ITB 2001 in Berlin wurde auf einer Konferenz deutscher und europäischer Unterstützer mit Arthur Manuel und Garry John beschlossen, Tourismus-Unternehmen, welche Reisen nach BC anbieten, über diese unakzeptable Situation zu informieren und sie aufzufordern, Anfragen an die entsprechenden kanadischen Behörden zu richten, ob bzw. wie die Landrechte der kanadischen Indianer bei der Erweiterung der touristischen Angebote berücksichtigt werden. Die Aktion wurde in großem Umfang von verschiedenen Unterstützergruppen begonnen und soll weitergeführt werden. So soll verstärkt auf den »Globalen Ethikkodex für den Tourismus« 37 Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada Hinweisschild zum Protestcamp der St’at’imc hingewiesen werden, der 1999 von der Welttourismusorganisation während ihrer Generalversammlung in Santiago/Chile verabschiedet wurde. Darin heißt es u.a.: »… 2. im Rahmen touristischer Aktivitäten sollten die … Menschenrechte und insbesondere die individuellen Rechte der sensibelsten Gruppen, vor allem der … ethnischen Minderheiten und indigenen Völker gefördert werden …« Im Fall des »Aboriginal Title« in BC steht dieser »Grundsatz« bisher leider nur auf dem Papier. Daher unterstützen wir den Kampf der Indianer British Columbias durch Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit und im Rahmen unserer bescheidenen Möglichkeiten auch mit kleinen finanziellen Spenden, wie zum Beispiel die Produktion einer farbig illustrierten zweisprachigen Broschüre, die den Zusammenhang »Aboriginal Title« – Traditionelles Wissen der Indigenen – Schutz der noch intakten Natur vor Zerstörung im Interesse eines ungebremsten Massentourimus – sehr anschaulich und komplex darstellt. Wir als Verein fordern ganz konkret (und haben dies auch in Briefen an entsprechende Stellen der Provinz BC – u . a. an den Generalstaatsanwalt von BC, Geoff Plant – deutlich gemacht): · Anerkennung und praktische Umsetzung des »Aboriginal Titles« durch die kanadischen Regierungsbehörden auf Landes- und Provinzebene, · Einbeziehung der Indianer in die Entscheidungsprozesse zur Verpachtung und Vergabe von Land, · Beteiligung der Indianer an den Erträgen aus der Landnutzung durch nichtindianische Nutzer. 38 Nuclear Power is back Nuclear Power is back Die Atomkraft kehrt mit Macht zurück. Der 11. September 2001 hat vieles verändert. So auch die Möglichkeiten der Atomindustrie, sich wieder stärker in den Vordergrund zu drängen. Unter dem Deckmantel der »Energie-Unabhängigkeit« wird die Uranindustrie in den USA aggressiv von der Bush-Administration wieder ins Spiel gebracht. Von dieser neuen Politik sind vor allem die Indianer am stärksten betroffen. So sollen z. B. mit Regierungsgeldern die Bemühungen privater Unternehmen auf der Navajo-Reservation unterstützt werden, die dort seit einigen Jahren bereits neue Möglichkeiten der Förderung von Uran untersuchen. Bisher konnten sich die betroffenen Indianer einigermaßen erfolgreich gegen diese Pläne zur Wehr setzen. Doch unter den Eindrücken der Katastrophe vom 11. September schwinden die Aussichten rapide. Bush will zum Bau neuer Atomkraftwerke umfangreiche Subventionen zur Verfügung stellen, um »Amerikas zukünftige Energien zu sichern«. Uranmine in Arizona 39 Nuclear Power is back In aller Heimlichkeit bastelte Vizepräsident Dick Chaney an einem neuen Energie-Gesetz, wobei die multinationalen Energiekonzerne die Feder führten. Wegen der Heimlichkeit und der Eile, mit der diese Vorschrift erarbeitet wurde, hagelt es Kritik von allen Seiten. Doch Bush stört sich daran wenig. Vor allem Umweltschutzgruppen sehen mit diesem Gesetz das Ende für eine saubere und sichere Technologie gekommen. In der momentanen Stimmungslage in den USA wird es in Zukunft fast aussichtslos, der Bevölkerung die bekannten Gefahren für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen durch Uranenergie nahe zu bringen. Die Kernenergie ist das Produkt der Atombombe. In den 50er Jahren wurde sie als das Allheilmittel für eine friedliche Energienutzung verkauft. Abgesehen von einigen Insidern gab es zu der damaligen Zeit nur sehr wenig Wissen über die Gefahr, die durch Atomstrahlen ausgeht. Deshalb wundert es auch nicht, dass der Öffentlichkeit nicht die volle Wahrheit über die Kontamination unterbreitet wurde. Heute leiden viele Menschen unter diesen Auswirkungen, denen hauptsächlich die Arbeiter in den Uranminen jahrzehntelang schutzlos ausgesetzt waren. Vor allem die Navajo-Indianer waren in der Vergangenheit unter diesen Opfern, und sie werden es zukünftig wieder sein. Mit Subventionen aus Washington in Höhe von ca. $ 30 Millionen will die Firma Hydro Resourcen Inc. nördlich von Gallup vier Uranminen eröffnen. Auch die Zustimmung der Atomregulierungsbehörde liegt bereits vor. Sollte dieses Projekt in die Tat umgesetzt werden, bedeutet dies für rund 15.000 Navajo eine akute gesundheitliche Bedrohung durch die Verseuchung des Grundwassers. Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde in Crownpoint und anderen Navajo-Gemeinden weisen immer wieder auf die drohenden Gefahren der Kontamination des Trinkwassers hin. Durch die früheren Aktivitäten der Uranindustrie in diesem Gebiet hat das Grundwasser in Crownpoint schon jetzt den von der Weltgesundheitsorganisation ( WHO ) als unbedenklich bezeichneten Wert um das 200 fache überschritten! 40 Nuclear Power is back Wenig wurde in der Vergangenheit auf der Navajo-Reservation getan, um die Erdoberfläche von dem Uranstaub der über 1.000 Minen zu reinigen. Kinder spielen nach wie vor auf dem verseuchten Boden und Häuser wurden aus den Abfällen des Uranabbaus gebaut. Damit sind die gefährlichen Rückstände Radium, Arsen, Selen und andere giftige Substanzen Bestandteil des täglichen Lebens für viele Reservationsbewohner im Südwesten der USA. Aber auch in anderen Regionen der Vereinigten Staaten sind die Ureinwohner die unmittelbar Betroffenen der Uranindustrie. So werden im Bundesstaat Washington auf der Yakima- und der Spokane-Indianer Reservation im »Hanford-Atom-Schutzgebiet« Experimente mit Radioaktivität durchgeführt und atomwaffenfähiges Plutonium hergestellt. Dabei haben die radioaktiven Isotopen, welche zur Wasserkühlung für die Brennstäbe benutzt werden, die Fische im Columbia River vergiftet. Die Fische sind die Hauptnahrungsquelle der dort lebenden Indianer. Neben der Frage, wie man mit dem Abbau und der Verwendung des Urans umgeht, stellt sich auch die Frage nach der Entsorgung. Was passiert mit dem Abfall, der noch mindestens 100.000 Jahre verseucht bleibt und damit eine Gefährdung darstellt? Einfahrt zu einer Uranmine bei Church Rock/New Mexico 41 Nuclear Power is back Die Bush-Regierung und die Industrie möchten es tief in der Erde in Endlager vergraben. Es ist jedoch allseits bekannt, dass diese Entsorgung mit vielen Risiken behaftet ist. Aus diesem Grunde musste Präsident Nixon seine Pläne vom Bau von mehr als 1000 Atomkraftwerken wieder aufgeben. Trotzdem wurde in den letzten Jahren intensiv nach einem Standort für ein atomares Endlager gesucht. Insgesamt investierten die USA dafür fast $ 6 Milliarden. Letztendlich entschied man sich für eine unterirdische Lagerung in den Yucca Mountains im Bundesstaat Nevada. Obwohl in den letzten beiden Jahrzehnten hier weit über 600 Erdbeben mit mindestens der Stärke 3 auf der Richterskala gemessen wurden, entschied Präsident Bush am 15. Februar 2002, das Endlager für hochradioaktiven Abfall in den Yucca Mountains zu bauen. Immer wieder musste die Entscheidung hinausgeschoben werden, da sich das Energieministerium mit stets neuen Problemen auseinandersetzen musste. Es ist geplant, das Lager ab 2010 in Betrieb zu nehmen. Dann werden hier rund 77.000 Tonnen radioaktiver Müll gelagert! Dass sich diese Zeitbombe auf dem Territorium der Western Shoshone befindet, rundet das Bild ab: Egal in welcher Form, die Ureinwohner Nordamerikas sind die Leidtragenden dieser Energiepolitik. 42 Vom Mythos zur Moderne Vom Mythos zur Moderne Eine Ausstellung über nordamerikanische Indianer im Ethnologischen Museum Berlin Das Ethnologische Museum Berlin (früher Museum für Völkerkunde) besitzt mit etwa 25.000 Objekten eine der größten Sammlungen von Kulturgütern nordamerikanischer Indianer in Europa. Teile dieser Sammlung konnten nach dem Zweiten Weltkrieg immer nur kurzfristig in Sonderausstellungen gezeigt werden, denn erst im November 1999 war es möglich, eine über mehrere Jahre stehende Dauerausstellung einzurichten. Indianische Objekte aus Nordamerika befinden sich seit etwa 200 Jahren in Berlin. Die ältesten Stücke sind leider nicht datiert oder mit dem Namen eines Sammlers versehen, so dass ihre Herkunft und ihr Alter ungewiss sind. Die frühesten dokumentierten Stücke entstanden vor 1778 und stammen von den Nuu-chah-nulth (Nootka) von der Insel Vancouver. Sie wurden 1819 in London zusam- Adlermaske der Nuu-Chah-Nulth 43 Vom Mythos zur Moderne men mit Südsee-Objekten aus dem Nachlass von James Cook für die Königlich Preußische Kunstkammer erworben. Durch die Weltumsegelungen preußischer Handelsschiffe und den Ankauf von Teilsammlungen früher Nordamerika-Reisender wie Prinz Maximilian zu Wied oder Herzog Paul von Württemberg vermehrten sich die Berliner Bestände langsam aber stetig. Mit der 1881 bis 1883 durchgeführten Sammelreise des Norwegers Adrian Jacobsen im Auftrag des neu gegründeten »Königlichen Museums für Völkerkunde« stieg die Zahl der Objekte jedoch sprunghaft an: Jacobsen brachte von der Nordwestküste etwa 3000, aus Alaska etwa 4000 Objekte nach Berlin. Enthielt die Sammlung zuvor hauptsächlich repräsentative Stücke wie Bisonroben, Kopfschmuck oder Waffen, so war sie jetzt viel mehr an der Alltagskultur orientiert, zu der beispielsweise Angelhaken, Fischnetze und einfache Haushaltsgeräte gehörten. Aber auch das zeremonielle Leben wurde durch Masken, Tanzrasseln und rituelle Kleidung dokumentiert. Der Bezugspunkt für diese Sammeltätigkeit war stets die »traditionelle«, von europäischen Einflüssen möglichst unberührte Indianerkultur des frühen 19. Jahrhunderts. Weitere Sammelreisen dieser Art fanden danach in Nordamerika nicht mehr statt. Jetzt kaufte Berlin kleinere und größere Sammlungen von amerikanischen Forschern und Händlern, oder tauschte mit den großen amerikanischen Museen in Washington, New York und Chicago. Zwischen den beiden Weltkriegen nahm diese Sammeltätigkeit wegen Geldmangels stark ab, und nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte man, durch Ankäufe die Kriegsverluste wenigstens teilweise auszugleichen. Reisen zu den Reservationen der Plains-Indianer und in den Südwesten bestärkten in den 60er und 70er Jahren die Erkenntnis, dass auch Objekte der Indianer des 20. Jahrhunderts sammelnswert sind. Die Veränderungen in der Herstellung von traditionellem Kunsthandwerk konnten beispielsweise durch den Erwerb von neueren Kachina-Figuren der Hopi dokumentiert werden. Auch die Malerei als neues Medium für die Darstellung von traditioneller Kultur wurde bei der Sammeltätigkeit stärker berücksichtigt. Ab 44 Vom Mythos zur Moderne 1989 konnte modeme indianische Kunst gezielt angekauft werden, doch mangelnde finanzielle Mittel führten bisher nur zu einer kleinen Sammlung, die in Zukunft weiter ausgebaut werden müsste. Angesichts der Fülle von Objekten aus dem 19. Jahrhundert sind die Sammlungen von indianischer Kunst und Kultur des 20. Jahrhunderts jedoch so gering, dass sie in der Ausstellung nur eine untergeordnete Rolle einnehmen. Deshalb muss das gegenwärtige Leben auf den Reservationen überwiegend durch Bilder und Texte vermittelt werden. Da eine Sammlung, die wie ein Archiv aufgebaut ist, noch keine Ausstellung darstellt, bedurfte es einiger Kompromisse, bis die jetzige Form der Präsentation gefunden war. Wie meistens beim Gestalten einer Ausstellung kollidiert der ästhetische Anspruch, möglichst viele der bisher im Magazin verborgenen »Schätze« ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen, mit dem didaktischen Anspruch, dem Publikum möglichst viele Informationen über Kultur und Geschichte der Indianer zu vermitteln. Hinzu kam in diesem Kachina-Figuren der Hopi 45 Vom Mythos zur Moderne Falle noch der Anspruch, den Besuchern die durch Karl May und Hollywood geprägten Indianerklischees bewusst zu machen. Heraus kam eine Ausstellung, die sicherlich vielen Besuchern etwas zu bieten hat, die es allerdings nicht allen recht machen kann. So konnten aus Platzgründen nicht alle zehn Kulturareale Nordamerikas berücksichtigt werden. Liebhaber der Kulturen des östlichen Waldlandes, der Subarktis und des Gebietes der Rocky Mountains werden »ihre« Indianer vermissen. Dafür kann der unvoreingenommene Besucher eine Galerie von Bisonroben, eine Versammlung von Kachina-Figuren, meisterhafte Körbe aus Kalifornien, eine Vielzahl von Masken der Nordwestküste oder Schnitzereien aus der Arktis bewundern, wie er sie in einem europäischen Museum bisher noch nie gesehen hat. In einem einführenden Teil wird der Besucher mit einer Reihe von Produkten konfrontiert, die sich der gängigen Indianerklischees auf der kommerziellen Ebene bedienen. Vom Kinderspielzeug bis zur Esoterik-Welle wird ein eindimensionales, meist auf Plains-Elemente reduziertes Indianerbild vermittelt, dem im weiteren Verlauf der Ausstellung die Vielfalt der unterschiedlichen Indianerkulturen entgegengehalten wird. Der historische und gegenwartsbezogene Teil soll nicht wie ein Lehrbuch wirken, sondern aus der möglichen Fülle von Themen die wichtigsten aufgreifen, von der Frage der heutigen indianischen Identität bis hin zum Alkoholproblem. Als Überleitung zum regionalen Teil der Ausstellung werden zunächst einige besondere prähistorische Fundstücke präsentiert und danach eine Auswahl von Objekten aus verschiedenen Regionen gezeigt, die bei uns als »typisch indianisch« gelten: Friedenspfeifen, Mokkasins, Tomahawks, Medizin und Medizinbeutel. An dieser Stelle wird in der Ausstellung darauf hingewiesen, dass sich die Verantwortlichen bemüht haben, religiöse Gefühle von Indianern nicht zu verletzen. Doch die Betroffenen selbst erschweren es manchmal, zu eindeutigen Erkenntnissen zu gelangen. Während ein Teil der Irokesen der Meinung ist, Falschgesichtmasken seien ausschließlich religiöse Objekte und dürfen keinesfalls 46 Vom Mythos zur Moderne öffentlich gezeigt werden, leben zahlreiche Irokesenfamilien von der Herstellung und Vermarktung dieser Masken, die man in Souvenirshops ungehindert kaufen kann. Da die ausgestellten Masken für Touristen oder Sammler hergestellt wurden, werden sie in der Ausstellung gezeigt, während Masken von Kachina-Tänzern der Hopi, die in keinem Fall kommerziell genutzt werden dürfen, nicht ausgestellt sind. Da wir außerdem transparent machen wollten, wie indianische Objekte nach Berlin gelangt sind, haben wir beispielhaft einige der Reisenden und Sammler vorgestellt. Eine ausführliche Geschichte der Berliner Nordamerika-Sammlung ist in dem zur Ausstellung erschienenen Begleitbuch enthalten, verfasst von Peter Bolz und Hans-Ulrich Sanner. Bei der Präsentation der einzelnen Kulturareale ging es einmal darum, die besondere Qualität und das hohe Alter der Berliner Nordamerika-Sammlung hervorzuheben, andererseits sollten die für die Region typischen Materialien in den Mittelpunkt gerückt werden. Im Gebiet der Prärien und Plains sind dies die alten Lakota-Tipis aus Bisonleder mit Pfeifenmotiv. Im Hintergrund Bisonroben aus der Sammlung des Prinzen zu Wied. 47 Vom Mythos zur Moderne Sammlungen von Prinz zu Wied, Herzog Paul und Friedrich Köhler, und als typisches Material überwiegen in diesem Bereich die Bisonroben, das bemalte Ledertipi und die prächtig verzierte Lederkleidung. Beim Südwesten stehen die Kachina-Figuren der Hopi im Mittelpunkt, typische Materialien sind die Keramik der Pueblo-Indianer und die gewebten Teppiche der Navajo. In Kalifornien liegt der Schwerpunkt auf der intensiven Sammelwirtschaft und der damit verbundenen Korbflechtkunst. An der Nordwestküste dominiert die Holzschnitzkunst, die in den ausdrucksstarken Masken ihren Höhepunkt findet. In der Arktis stehen die Überlebenstechniken im Mittelpunkt, die nicht nur in Fell- und Darmhautkleidung, sondern selbst in so simplen Objekten wie einem Paar Handschuhen mit Doppeldaumen ihren Niederschlag finden. Besondere Beachtung erfahren die aus Holz oder Walrosselfenbein geschnitzten Behälter, Werkzeuge und Figuren, die alle über ihre Gebrauchsfunktion hinaus kleine Meisterwerke darstellen. Das Thema modeme indianische Kunst beschließt die Ausstellung. Für die Indianer bildet diese Kunst nicht nur eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch eine Verbindung zur Welt des weißen Amerika, in der sie Erfolg haben können, ohne ihre ethnische Identität aufgeben zu müssen. Eine Ausstellung zum Thema »Indianer Nordamerikas« kann so gestaltet sein wie die in Berlin, sie kann aber auch ganz anders aussehen. Vor allem darf sie nicht wie ein an die Wand gehängtes Lehrbuch wirken, sondern soll durch die ausgestellten Objekte ihre Lebendigkeit entfalten. Für die Auswahl der Objekte gibt es jedoch keine objektiven Kriterien, so dass sie zum großen Teil von den persönlichen Vorlieben der Bearbeiter abhängt. Diese sind keinem vorgegebenen Schema gefolgt, sondern haben die Themen, die ihnen besonders am Herzen lagen, in die Ausstellung eingebracht. Die Ausstellung ist somit in bestimmten Bereichen bewusst subjektiv gestaltet und kann trotz ihres Umfangs aus der Fülle an Möglichkeiten, die das Thema »Indianer Nordamerikas« zu bieten hat, lediglich eine begrenzte Auswahl zeigen. 48 Reisen in das Indianerland? Reisen in das Indianerland? Gedanken am Beispiel der Navajo-Indianer Viele Menschen in europäischen Ländern interessieren sich für die indigenen Völker Nord- und Südamerikas und anderer Kontinente. Aber was bringt es uns, wenn wir z.B. nach Kanada oder in die USA reisen, um Indianer in Reservaten kennenzulernen? Und was können wir den indigenen Völkern geben? Als Reiseveranstalterin und aktives Mitglied im »Verein zur Unterstützung Nordamerikanischer Indianer« kann ich nach etlichen Jahren auf viele Reisen in das Indianerland zurückblicken und ein Fazit ziehen: Kein Zweifel, es ist außerordentlich wertvoll, daß wir diese Kontakte pflegen und dorthin reisen. Nur durch meinen intensiven persönlichen Kontakt zu Navajo-Familien am Navajo Mountain und im Monument Valley, den ich über viele Jahre gepflegt habe und weiter pflege, kann ich kleine Gruppen dorthin geleiten. Durch das gegenseitige Vertrauen ist eine Basis geschaffen worden, die geprägt ist von freundschaftlichem Umgang, Aufnahme in der Familie und gegenseitiger Achtung. Der Schulbus am Navajo Mountain in Arizona 49 Reisen in das Indianerland? Durch diesen vertrauten Umgang kommen intensive Gespräche zustande, die sich auf viele Lebensbereiche erstrecken. So können wir viel von unseren indianischen Freunden über den Umgang mit der Natur und ihre Religion und Spiritualität lernen, auf der anderen Seite kommen viele Fragen zu unserer europäischen Kultur und Religion auf. Hier beginnt ein tieferer Prozeß des Austausches, Kennenlernens und Vertrauens. Unsere Navajo-Familie ist sehr interessiert an unserer Kultur, was zu Diskussionen über ein breites Spektrum von Bereichen führt. Ein weiterer Gesichtspunkt einer Reise zu den indigenen Völkern ist die finanzielle Seite. Große Reisegesellschaften bewegen sich mit Bussen durch die Reservate, was natürlich nur zu einem sehr oberflächlichen »Kennenlernen« führt, wenn man davon überhaupt sprechen kann. In meinen Augen hat dies nichts mit Natur- oder Begegnungsreisen zu tun! Dazu kommt, daß nur ein Bruchteil der Reisekosten den Indianern zu gute kommt. Auf der einen Seite werden die Indianer für wenig Geld »vorgeführt«, auf der anderen bekommt der Tourist keinen Eindruck von dem wahren Leben eines Indianers mit. Wir sind ein kleiner Reiseveranstalter, der einen ganz anderen Tourismus pflegt, andere Akzente setzt und den Indianern unmittelbar ihre Arbeit und ihren Aufwand vergütet. Nur so kann es richtig sein. Wer denkt, Indianer denken nicht an Geld, der irrt! Indianer, die Jahrhunderte lang unterdrückt, enteignet, in Reservate verbannt worden sind, wollen von Touristen ernstgenommen und angemessen bezahlt werden. Nur dies kann der richtige Weg sein: Weg vom Massentourismus und hin zu kleinen Expeditionen in das Land der Indianer, wo der Reisende nicht mehr als Tourist angesehen wird, sondern als Gast! Unsere Navajo-Familie wird für die 50 Reisen in das Indianerland? Zeit unseres Aufenthaltes und für alle Aktionen, die wir unter Leitung unseres Freundes unternehmen, ordentlich bezahlt. Mit dem verdienten Geld wird die Schulausbildung der Kinder bezahlt sowie Familienangehörige unterstützt. Es ist ein schönes Gefühl als Gast zu kommen und als Freund zu gehen! Astrid Bender, 7Meilen Erlebnisreisen www.7meilen.de Im Folgenden berichten zwei Reiseteilnehmer von ihren Erfahrungen mit individuellen Reisen ins Indianerland zu den Navajo bzw. Lakota. Astrid Bender mit Navajokindern vor einem Hausneubau 51 Reisen in das Indianerland? Die spirituelle und traditionelle Welt der Navajo-Indianer Nach der Ankunft in Las Vegas mit all seiner Dekadenz und Irrationalität waren die 14 Tage danach ein beeindruckender und wohltuender Gegensatz. Wir sind mit Zwischenstop am Grand Canyon, einem unglaublich beeindruckenden Naturerlebnis, zu Leo und Sara gefahren, die inmitten des weiten Reservates der Navajo am Fuße des heiligen Navajo Mountain leben. Sie wohnen dort mit ihrem noch zu Hause lebenden Sohn Ryan in einem Holzhaus auf einem Hügel in der weiten Hochebene. Wir wurden sehr herzlich empfangen! Wir konnten im Haus Bad, Küche und Wohnzimmer mitbenutzen, und dort bekamen wir auch jeden Tag unser Essen. Viel wurde geredet, und wir lernten im täglichen Zusammensein eine Menge über die Navajokultur, -philosophie und -spiritualität. Ich war tief davon berührt, mit welcher Offenheit, Liebe und Vertrauen die Familie uns begegnet ist. Wir fünf Frauen haben ca. 10 min weiter weg in einem Hogan, einem igluartigen Lehm- und Holzgebilde ohne Fenster und mit der Tür nach Osten gewohnt. Mit unseren Schlafsäcken und Isomatten haben wir uns auf dem Sandboden eingerichtet. Ein Ofen in der Mitte für die kühlen Nächte sorgte für wohlige Wärme. Wir lebten die ganze Zeit aus dem Rucksack heraus. Der Hogan war uns von Buck Navajo, dem Schamanen, zur Verfügung gestellt worden. Er ist ein 77-jähriger alter Mann mit viel Humor und medizinischen Fähigkeiten, einer der wenigen, die noch über das alte Heilwissen verfügen. Mit Buck trafen wir uns im Hogan. Er stellte uns Fragen und wollte wissen, wie wir leben und woran wir glauben. Wir haben gemerkt, trotzdem wir aus so unterschiedlichen Lebenswelten kommen, dass sich unsere Glaubenseinstellungen, Werte und Hoffnungen doch sehr ähneln. Wir haben uns einander sehr nahe gefühlt. Zum Schluß hat uns Buck den Segen für Reisende gesungen: »Walk in Beauty« (»Möge uns das Gute überall begleiten!«) 52 Reisen in das Indianerland? Gleich am zweiten Tag brachen wir zu einer zweistündigen Wanderung mit Trekking-Gepäck auf. Leo führte uns in einen Canyon hinein und dort zu einer Quelle und einem heiligen Platz, wo wir eine Schwitzhüttenzeremonie durchgeführt haben. Unter Leos Anleitung bereiteten wir alles vor: Den Boden säubern (wegen eventueller Kakteenstacheln usw.), Steine und Holz sammeln für das Feuer und die Schwitzhütte vorbereiten. Wir gaben uns andächtig der Zeremonie hin, die aus mehreren Schwitzrunden bestand, um alle bösen Kräfte herauszuwaschen und Platz für die guten zu schaffen. Es war sehr berührend, an Leos Gebeten und Gesängen teilzunehmen und angeleitet zu werden, uns, unsere Freunde und Familie, die Nachbarschaft und unser Land, sowie die Erde in vier Schwitzrunden zu segnen. Danach fühlten wir uns sauber und klar!. Unsere Gastgeber Sara (großes Foto beim Frybread-Backen) und ihr Mann Leo Manheimer 53 Reisen in das Indianerland? Die Nacht haben wir unten an der Quelle verbracht, mit Zelt und Lagerfeuer und einem fantastischen Sternenhimmel über uns. Ab und zu heulte ein Coyote oder schrie ein Käuzchen. Ich hab mich noch nie so sicher und geborgen nachts in der freien Natur gefühlt. Diese Zeremonie hat uns auf das, was dann noch kommen sollte, vorbereitet: Klettertouren auf den orangeroten Felsen und Mesas (Tafelberge) zu den Ruinen der Anasazi-Indianer, aufregende Jeepfahrten über Stock und Stein mit Abgrund rechts und atemberaubend steiler Felsenwand links (Originalton Leo: »If that rock up there moves, let me know, I´ll drive faster,« also: »Wenn dieser Stein da oben sich bewegt, sagt es mir, dann fahre ich schneller!«). Wir haben mit selbstgestochenem Lehm unsere eigenen kleinen Gefäße nach altem Vorbild hergestellt. Dann Frühstück und FryBread-Orgien in Saras Küche. Wir lernten Saras Mutter Rose kennen, die mit ihren gebräunten und geschickten Händen selbst die Schafe schert und wundervolle »Wedding baskets" aus Sumac-Ästchen herstellt. Barbecue mit der Familie im Sonnenuntergang am Lake Powell, Aufstieg zum »Newspaperrock« im Morgengrauen auf den Spuren der Anasazi-Indianer, immer in Begleitung von »Kokopelli« dem Flötenspieler, dem Zauberer, dem Fruchtbarkeitsgott. Führung von Leo zum »Hawkeye Arch«, einer Felsenbrücke, die eine Quelle birgt, ein heiliger Platz der Navajo. Dort wächst auch eine besondere Heilpflanze. Leo vor Ort: »So you´ve never heard the sound of silence? It´s a good sound, right?« (»Ihr habt noch nie den Ton der Stille gehört? Hört sich gut an, oder?«). Unser nächster Höhepunkt auf dieser Reise war ein sandstürmischer Ausritt im Monument Valley in der mattgoldenen, windgebeutelten Abendsonne in die Tiefe des Valleys hinein. Mit uriger Übernachtung wiederum in einem Hogan wurden wir von den Navajo-Indianern mit Gitarrenspiel und Gesang am Lagerfeuer in die Cowboy-Romantik versetzt. Mit einem »Wrangler«, der aussah, wie Charles Bronson und einer Kulisse wie in einem John Wayne Film! 54 Reisen in das Indianerland? Wir haben uns alle super verstanden, was ja auch wichtig war, wenn man auf engstem Raum zusammenlebt. »On the road again« untermalten wir unser Entlanggleiten auf den Highways durch die rot-orangene Landschaft mit Trommeln vom Komanchen Pete »Wyoming« Bender (da muss man erst in die USA fahren, um die in Berlin aufgenommene CD zu hören). Wir kamen uns vor wie in dem Film »Thelma and Louise«. Als wir uns im Morgengrauen von Leo verabschiedeten (die Jagdsaison hatte begonnen und er wollte mit Ryan los) bedankte er sich, dass wir die Reise zu ihnen gemacht haben – trotz der widrigen politischen Weltlage und kommentierte: »Sometimes you just can´t stop a good thing!« (»Manchmal kann man eben eine gute Sache einfach nicht verhindern/aufhalten!«). Katrin Vanden Branden/ Teilnehmerin der Reise im Oktober 2001 Der Besuch von Powwow’s (hier in Pine Ridge) gehört dazu beim Urlaub im Indian Country 55 Reisen in das Indianerland? Bei den Urenkeln von Crazy Horse Ein Reisebericht über die Indian Summer-Tour zu den Lakota in South Dakota Die Schlacht am Little Big Horn, das Massaker am Wounded Knee, die Black Hills, die heiligen Berge der Plains-Indianer, sagt Ihnen das alles etwas? Milo Yello Hair, Oglala-Lakota von der Pine Ridge Reservation veranstaltete auch im Jahr 2001 wieder eine Reise durch das Land der Sioux. Am 23. Juli starteten die Teilnehmerinnen und ein Teilnehmer im Alter zwischen 36 und 50 Jahren in Rapid City mit dem Auto zu einer dreiwöchigen Tour zu historischen Plätzen, Naturwundem und zu den Urenkeln von Crazy Horse. Die Reise bot zwar nicht sehr viel Komfort, dafür aber Nähe zur Natur und Romantik am Lagerfeuer. Geschlafen wurde im Tipi oder auf den Campingplatz, gelegentlich aber auch mal im Motel. Es wurde selbst eingekauft und zumeist am offenen Feuer gekocht, hin und wieder jedoch in Restaurants oder Saloons geluncht. Die Badlands wurden ausgiebig durchstreift, in den Black Hills das Mt. Rushmore Monument besichtigt, die Wind Cave Cavern, eine Tropfsteinhöhle, begangen. Im Custer State Park konnten in freier Wildbahn Bisons sowie viele Erdmännchen beobachtet werden. 56 Reisen in das Indianerland? In der Pine Ridge Reservation zeigte Milo seinen Gästen »KILI Radio«, 1983 von Mitgliedern des AIM gegründet, um die Reservatsbewohner unzensiert zu informieren. Es sendet in Englisch und Lakota und ist eine wichtige Institution für die Bevölkerung der Region. Ein »Muss« war auch der Besuch der Gedenkstätte von Wounded Knee, dem Ort des Massakers von 1891, das das Ende der letzten »freien Indianer« bedeutete und Ort des Widerstandes gegen ihre Unterdrückung 1973. Neben dem Pine Ridge Reservat lernten die Teilnehmer auch das Rosebud, das Lower Brule und das Crow Creek Reservat kennen. Ein geselliges Erlebnis war natürlich der Besuch eines Powwows. Zum Entsetzen der Natives wollten einige Frauen der Gruppe im nahen Missouri im Bikini baden. Pech gehabt, sie mußten ein TShirt überziehen. Auch das gehört zur Lakota-Reise: Übernachten im Tipi 57 Reisen in das Indianerland? In der letzten Woche war die Gruppe auf dem Weg nach Montana über die Bighorn Mountains zum Crow Reservat. Das Schlachtfeld am Little Big Horn River wurde besichtigt. Hier verlor 1876 General Custer mit seiner 7. Kavallerie die Schlacht gegen die Sioux unter Crazy Horse und die mit ihnen verbündeten Cheyenne und Arapahoe . Auf dem Rückweg vom Crow Reservat wurde ein Abstecher zum Bear Butte unternommen, einem heiligen Berg verschiedener indigener Völker. Auch heute werden dort noch religiöse Zeremonien abgehalten. In Deadwood, in den Black Hills, schaute die Gruppe noch interessiert im Casino und Restaurant von Kevin Costner vorbei. Hier sind Requisiten aus dem Film »Der mit dem Wolf tanzt«, welcher in South Dakota gedreht wurde, ausgestellt. Am Montag traf man schließlich wieder in Rapid City ein. Für die meisten Teilnehmer ging es am nächsten Tag zurück in die Heimat. Folgende Reisetermine stehen für das Jahr 2003 bereits fest: Navajo: 11. bis 26. April sowie 3. bis 18. Oktober 2003 Cree (Kanada): 22. August bis 6. September 2003 Informationen darüber erhaltet ihr von Astrid Bender (Tel.: 030/81 49 90 78) bzw. unter www.7meilen.de Lakota: 28. Juli bis 18. August 2003 Über die Indian Summer-Reise informiert euch Sybille Helfsgott (Tel.: 030/791 26 23). Natürlich bekommt ihr auch auf unserer Internetseite www.asnai.de aktuelle Infos zu den Reisen. 58 Unser Verein Unser Verein Mit unserer Arbeit wollen wir den traditionellen Gruppen bzw. Organisationen der Indianer helfen, die oftmals von den USA und Kanada nicht beachteten Menschenrechte und verfassungsmäßig garantierten Rechte geltend zu machen. Dies schließt aber nicht aus, das auch offizielle Stammesregierungen bei ihren Forderungen von uns unterstützt werden. Grundlage der Arbeit des Vereins ist in erster Linie, die Achtung und Anerkennung der indigenen Völker Nordamerikas und ihren Anspruch auf Souveränität zu erreichen. Unsere Gruppentreffen finden alle zwei Wochen Donnerstags um 19.00 Uhr in der »Alten Feuerwache«, 10969 Berlin-Kreuzberg, Axel-Springer-Str. 40/41 (Nähe U-Bhf. Kochstraße), statt. Hier bietet sich für Interessierte die Möglichkeit, sich mit dem Thema »Indianer« vertraut zu machen und den Alltag unserer Arbeit einmal kennenzulernen. Kontakt über: Karl-Heinz Prestel Senftenberg Ring 40g 13435 Berlin Tel./Fax.: 030/416 57 92 Sybille Helfsgott Menckenstraße 7 12169 Berlin Tel./Fax.: 030/791 26 23 e-Mail: [email protected] WWW: http://www.asnai.de Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiger Bestandteil unseres Vereinslebens, sei es mit Infoständen (Foto links) oder auch mit unserer Homepage www.asnai.de 59