Indianer heute 4 Indianer heute 4

Transcrição

Indianer heute 4 Indianer heute 4
VEREIN ZUR UNTERSTÜTZUNG
NORDAMERIKANISCHER INDIANER
ASSOCIATION FOR THE SUPPORT OF NORTH AMERICAN INDIANS
Schwerpunkte:
• Indigene Kinder und Jugendliche
im Bildungssystem der USA
• Tribal Community Colleges
• Ureinwohner-Landrechte und
Ski-Tourismus in Kanada
• Nuclear Power is back!
• Vom Mythos zur Moderne
• Reisen in das indianische Amerika
Indianer heute 4
Inhaltsverzeichnis
Tribal Community Colleges –
Chancen für die Reservationen ......................................4
von Irene Klinner
Indigene Kinder und Jugendliche
im Bildungssystem der USA ...........................................9
von Irene Klinner
Die Kinder vom Cheyenne River .....................................21
von David Schiefer
Ureinwohner-Landrechte und
Ski-Tourismus in Kanada..............................................31
von Helga Maaßdorf
Nuclear Power is back! ....................................................39
von Karl-Heinz Prestel
Vom Mythos zur Moderne................................................43
von Dr. Peter Bolz
Reisen in das indianische Amerika..................................49
von Astrid Bender, Katrin Vanden Branden und Sybille Helfsgott
Impressum:
Titelbild: Indianisches Mädchen auf einem Powwow
Rückseite: Powwow-Tänzerinnen (Sasketchewan/Kanada)
Herausgeber: VEREIN ZUR UNTERSTÜTZUNG NORDAMERIKANISCHER INDIANER
ViSdP: Karl-Heinz Prestel, Senftenberg Ring 40g, 13435 Berlin
Fotos: Astrid Bender (S. 49, 51, 53), Dr. Peter Bolz (S. 43, 45, 47), Sybille
Helfsgott (S. 55, 57), Irene Klinner (S. 2), Arthur Manuel (S. 34, 38), Karl-Heinz
Prestel (S. 1, 5, 7, 19, 39, 41), Nicole Schabus (S. 37), David Schiefer (S. 25),
Karsten Spehr (S. 60)
Satz & Layout: Frank Götze
Berlin im Dezember 2002
Vorwort
Die vierte Ausgabe von »Indianer heute« beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Themen Erziehung und Bildung.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde durch verschiede US-Gesetze die
»Schulpflicht« für Indianer eingeführt. Die jungen Ureinwohner wurden
ihren Familien entrissen und ihre Sozialisation in die Hand »weißer«
Institutionen gelegt. (Um-)Erziehung war als wirksames und subtiles
Mittel zwangsweiser Assimilation und damit kulturellen Völkermordes
erkannt und über Generationen erfolgreich eingesetzt worden.
Inzwischen hat sich viel verändert. Die Indigenen haben seit den 70er
Jahren entscheidenden Einfluß auf die Erziehung ihrer Kinder zurückerobert. Lernen in zwei Kulturen heißen das Konzept. Bildung wird als
wichtiges Mittel zum Überleben ihrer Völker forciert.
Die Auswirkungen von vielen Jahren Identitätszerstörung sind jedoch
bis heute gravierend. David Schiefer, der in einem Kinder- und Jugendprojekt der Lakota auf der Cheyenne River Reservation arbeitete, hat
diesbezüglich viele Einblicke erhalten und berichtet über seine
Erfahrungen.
Ein weiteres Kapitel ist dem Kampf der kanadischen Ureinwohner in
British Columbia um ihre Landrechte gewidmet, den unser Verein seit
einigen Jahren aktiv unterstützt. Verschiedene Konzerne errichten dort
mit Hilfe der Provinzregierung Wintersportorte für Massentourismus,
erschließen bisher unberührte Täler und gefährden den sensiblen Ökohaushalt und die Lebensgrundlage der indianischen Bewohner.
Uran auf Indianerland, seit vielen Jahrzehnten immer wieder Gegenstand
von Konflikten. Zumeist ging es um die billige Förderung dieser Ressourcen in den Reservaten durch amerikanische Konzerne. Ganz aktuell
müssen wir uns nun mit der Entscheidung der US-Regierung, ein riesiges Endlager für Atommüll auf dem Reservatsgebiet der Western
Shoshone in Nevada zu errichten, beschäftigen. Ab 2010 sollen in den
Yucca Mountain alle amerikanischen nuklearen Abfälle von 131
Atomkraftwerken eingelagert werden.
Schließlich, als positiver Ausklang, berichtet Dr. Peter Bolz über die
großartige Ausstellung »Die Indianer Nordamerikas. Vom Mythos zur
Moderne«, die seit 1999 im Ethnologischen Museum Berlin zu sehen ist.
Die Tribal Community Colleges – Chancen für die Reservationen
Die Tribal Community Colleges Chancen für die Reservationen
Bis zum Ende des 2.Weltkrieges blieb die institutionelle Bildung
der Ureinwohner in den USA auf Boarding- und BIA-Tagesschulen für Kinder und Jugendliche beschränkt und war ein wichtiger
Bestandteil der Assimilationspolitik. Darüber hinaus zeigte man
wenig Interesse an einer weitergehenden Förderung. Durch die
ausschließliche Ausrichtung auf weiße Inhalte und Lernformen
und die Diskriminierung der indigenen Kultur und Bevölkerung,
blieb der Schulerfolg der jungen Indianer weit hinter dem landesüblichen Durchschnitt zurück. So gelang nur sehr wenigen der
Sprung auf eine Hochschule.
Nachdem im 2.Weltkrieg viele Ureinwohner in der Armee dienten,
profitierten diese auch von dem GI-Bill, einem Ausbildungsgesetz
für ehemalige Soldaten. Erstmals hatten junge Indianer in nennenswerter Größenordnung die Gelegenheit, eine Universität zu besuchen. Die Zahl derer, die eine höhere Schulbildung anstrebten,
stieg sprunghaft an. Die Terminationspolitik der 50er und 60er
Jahre forcierte diese Entwicklung. Es standen jedoch ausschließlich Hochschulen außerhalb der Reservationen zur Verfügung und
der erfolgreiche Besuch erforderte ein hohes Maß an Anpassung an
die Mainstream-Gesellschaft. So war es kein Wunder, daß die Zahl
der Abbrecher sehr hoch lag. Nach einer Statistik des US-Office of
Education von 1971 erlangten nur 3% der eingeschriebenen indianischen College-Studenten einen Abschluß.
Ein wichtiger Bereich der Forderungen der »Red Power Bewegung« Ende der 60er Jahre, die im Zusammenhang mit dem Wunsch
nach mehr Souveränität entwickelt wurden, bezog sich auf Bildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten, die dem kulturellen
Hintergrund der Indigenen Rechnung tragen und ihre Traditionen
in ihre Bildungsprogramme integrieren sollte. Neben diversen
Schulprojekten entstanden in den Folgejahren die ersten stammeseigenen Hochschulen, und diese boten und bieten auch heute noch
4
Die Tribal Community Colleges – Chancen für die Reservationen
Das Navajo Community College in Tsaile/Arizona
langfristig große Chancen, die extreme Benachteiligung der Ureinwohner zumindest partiell zu überwinden.
Im Jahre 1968 wurde das Navajo Community College als erste
stammeskontrollierte Hochschule gegründet (heute Diné College).
Ein Jahr später begannen die Oglala-Lakota Collegekurse auf der
Reservation abzuhalten. Bisher hatten nur etwa 5% ihrer Mitglieder
einen Hochschulabschluß. Schließlich wurde als rechtliche Grundlage 1970 auf Betreiben verschiedener Stämme ein Gesetz über
stammeskontrollierte Community-Colleges durchgesetzt; 1971
wurde daraufhin das Oglala Sioux Community College (OSCC),
heute Oglala Lakota College, eingerichtet. Inzwischen hat sich die
Zahl der Hochschulen in den Reservationen auf 33 erhöht und sie
ist weiter steigend.
Diese Colleges sind ein wichtiges Element für die Erhaltung der
indigenen Kulturen, die Stärkung der indianischen Gemeinden und
die Nutzung der brachliegenden Potenziale der Menschen in den
Reservationen.
5
Die Tribal Community Colleges – Chancen für die Reservationen
Die indianische Bevölkerung ist seit ihrer Einweisung in Reservate
mit einer systematischen Armut belastet, durch die Assimilationspolitik dem Verlust ihrer Kultur und Identität ausgesetzt und durch
die Abhängigkeit vom BIA ihrer Strukturen beraubt. Dieser starke
psychische Stress führte seit Generationen zu niedriger Selbstachtung und geringem Selbstvertrauen. Die neuen Bildungskonzepte in
Stammesregie sollen diese Benachteiligungen langfristig abbauen.
Als Beispiel sei hier das Oglala Lakota College genannt, dessen
Ziel es ist, die Menschen des Stammes gut zu bilden und auszubilden, ihnen zu helfen aktive und produktive Mitglieder ihrer Gemeinschaften zu werden und die Entwicklung des Stammes durch
fachliche Hilfe zu unterstützen. Die Hochschule soll den Blickwinkel der Lakotakultur bei allen Vorhaben gewährleisten und
Sprache, Kultur und Philosophie erforschen und fördern. Durch
hohe Standards, eine offene Einschreibung, gute Zugangsmöglichkeiten, dezentralisierte Ausbildungsstätten, weitreichende Hilfsangebote des Student Support Services und eine Betonung von
menschlichen Werten und Verantwortungsbewußtsein, will man
eine hochklassige Ausbildung möglichst vieler Reservatsbewohner
erreichen.
Der Assiniboine-Pädagoge James Shanly wird in einem Artikel der
Zeitung »Indian Country Today« vom 18. Januar 2002 zitiert:
»Tribal Colleges versprachen den individuellen Stammesmitgliedern zu helfen, fähig zu werden, ökonomisch in der modernen
Welt zu überleben und unseren Stämmen zu helfen, die ökonomische Basis zu entwickeln, die gebraucht wird, um dem Stamm zu
erlauben, als Menschen auf ihrem eigenen Land in ihrer eigenen
Weise zu überleben.«
Die stammeskontrollierten Colleges zeigen viele Erfolge. Die Zahl
der eingeschriebenen Studenten steigt seit Jahren erheblich. Zirka
6.300 indianischen Studenten im Jahr 1990 stehen inzwischen
mehr als 25.000 im Jahr 2000 gegenüber, die Wachstumsrate liegt
also bei zirka 300%. Sie kommen aus 250 verschiedenen Stämmen
und das Niveau der Leistungen bei den Abschlüssen liegt überall
höher als bei jenen Indianern, die andere Hochschulen besuchen.
6
Die Tribal Community Colleges – Chancen für die Reservationen
Die Raten der Tribal College-Studenten an der Gesamtheit der
indianischen Hochschulbesucher lag 1996 bei 7% und hat inzwischen sicher einen erheblich höheren Wert erreicht.
Die Stammes-Hochschulen bieten insbesondere jenen Menschen
eine Chance, die bisher gänzlich von einer höheren Bildung ausgeschlossen waren. Natürlich bilden Indigene die Majorität der Studentenschaft. Es sind zumeist Menschen aus der Region, die sonst,
besonders aufgrund der oft isolierten Lage, keine Möglichkeit hätten, eine Hochschule zu besuchen. In der Regel sind sie die erste
Studentengeneration in ihren Familien. Besonders hoch ist die Anzahl an Frauen, alleinerziehenden Eltern und Studenten aus Familien mit sehr niedrigem Einkommen. Sie erhalten zum überwiegenden Teil Stipendien aus Bundesprogrammen und ungefähr die
Hälfte sind Teilzeit-Studierende.
Viele Hochschüler benötigen aufgrund mangelhafter Vorkenntnisse
überdurchschnittlich lange Ausbildungszeiten, andere müssen wegen familiärer oder finanzieller Probleme ihr Studium unterbrechen oder abbrechen. Jedoch setzt inzwischen eine zunehmende
Anzahl dieser Menschen ihre Ausbildung später fort und schließt
sie ab. Die Rate der Studierenden, die keinen Abschluß erreichen,
ist jedoch noch viel zu hoch. Ein Grund dafür liegt im unzureichenden Selbstwertgefühl. Zur Zeit ist man verstärkt dabei Motivierungsprogramme zu entwickeln.
Little Wound School in Kyle (Pine Ridge Reservation)
7
Die Tribal Community Colleges – Chancen für die Reservationen
Eine nicht unerhebliche Zahl von Tribal College-Absolventen
besucht anschließend eine Hochschule außerhalb der Reservation.
Die Erfolge sind dann größer, wenn die Indianer ihr Studium nicht
gleich an einer Mainstream-Einrichtung begonnen haben. Ebenso
sind die Chancen nach abgeschlossenem Studium einen Arbeitsplatz zu finden gut, wenn auch oft außerhalb der Reservationen.
Viele haben die Möglichkeit später zurückzukehren und ihre Potenziale ihren Heimatgemeinden zur Verfügung zu stellen.
1972 wurde von den ersten sechs Einrichtungen als Dachorganisation das American Indian Higher Education Consortium (AIHEC)
als informeller Zusammenschluß der Colleges gegründet. Eine seiner wichtigsten Aufgaben ist die Beschaffung von Geldern, geregelt
in dem University Assistance Act von 1978, denn die ausschließlich
zustehenden Bundesmittel reichen weder für den Erhalt der Standards, noch für ein zusätzliches Wachstum. Ein weiterer Auftrag ist
es, auf die Gesetzgebung einzuwirken, um verbesserte Voraussetzungen und Rechtsgrundlagen zu schaffen.
Die Ziele der Hochschulen sind sehr hoch angesetzt und können
bisher in der Realität nur selten vollständig umgesetzt werden, aber
Stammespolitiker und Bildungsexperten lernen aus ihren Erfahrungen. Vom 4. bis zum 10. August 2002 beschäftigte sich eine
Welt-Ureinwohner-Konferenz für Bildung eingehend mit diesen
Problemfeldern und wird hoffentlich auch die Indigenen Nordamerikas einen Schritt weiter ins neue Jahrtausend bringen.
8
Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA
Indigene Kinder und Jugendliche im
Bildungssystem der USA
Aspekte traditioneller Erziehung bei
den nordamerikanischen Ureinwohnervölkern
Bei den indianischen Völkern hatten Kinder seit jeher für den Fortbestand des Stammes eine immense Bedeutung. Sie genossen stets
liebevolle Zuwendung von allen. Traditionelle Erziehung war darauf ausgerichtet, den Menschen vom ersten Tag seines Leben an
sowohl in seine Rolle in der Stammesgruppe, als auch als Mitglied
aller lebenden Wesen einzuführen und ihn Verantwortung übernehmen zu lassen. Bewußte erzieherische Handlungen der Bezugspersonen und das Vorbild der Gemeinschaft wirkten ohne Widersprüche zusammen. Sie waren auf den Erhalt des Stammes und das
Überleben in der Natur ausgerichtet.
Die vorgegebenen Rollen zwischen Männern und Frauen teilten
sich klar auf, sie waren über viele Generationen in ihrem Lebenskampf entwickelt worden und hatten sich bewährt. Die Beherrschung der Aufgaben waren sowohl für den einzelnen, wie für die
Gemeinschaft von großer Notwendigkeit.
Es gab keine grundsätzliche Trennung zwischen der Erwachsenenund der Kinderwelt wie bei uns. Kinder wurden je nach ihren
Fähigkeiten in die täglichen Arbeiten einbezogen. Andererseits
genossen sie großzügige Freiräume. Die traditionellen Spiele bereiteten auf das Erwachsenenleben vor und trainierten notwendige
Fähig- und Fertigkeiten.
Indianer sehen sich als Teil der Natur, sie wollen sie nicht unterdrücken. Ein wichtiger Bestandteil der Sozialisation war daher,
sich an die Bedingungen der Natur anzupassen, sich in ihr zurechtzufinden und sich widerstandsfähig gegenüber ihren Härten zu
machen.
9
Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA
Bis zum Kontakt mit den Europäern war das Leben der amerikanischen Ureinwohner keinen großen Veränderungen unterworfen.
Daher spielten die Erfahrungen der älteren Menschen eine große
Rolle. Entsprechend hoch war ihr Ansehen und der Respekt, der
ihnen entgegengebracht wurde.
Über Mythen und Legenden wurde die Moral der Gemeinschaft an
die neue Generation herangetragen und durch ständiges Wiedererzählen vertieft und verinnerlicht. Dies führte außerdem zu einer
differenzierten und entwickelten Sprache, großer Redegewandtheit
und Kommunikationsfähigkeit und stärkte den Zusammenhalt der
Gruppe. Humor, Ironie und Lachen hatten dabei einen großen
Stellenwert, dienten u.a. als Katalysator bei Aggressionen und
Konflikten, sensibilisierten im Umgang miteinander und halfen in
schwierigen Situationen, insbesondere bei den Auseinandersetzungen mit den Weißen.
Normen und Werte unterschieden sich grundsätzlich in vielen Dingen von unseren. So gab es in der Regel kein Eigentum an Grund
und Boden. Besitz spielte eine untergeordnete Rolle. Wichtig war
immer die Gemeinschaft. Ansehen erhielt, wer sich für andere einsetzte. Eine Grundregel war, wer nimmt, der muss auch geben.
Dies war eine Notwendigkeit für das Überleben. Bei vielen Völkern waren Schenkfeste üblich und die großzügige Abgabe von
Gütern war stets mit erheblichem Prestigegewinn verbunden,
während die Anhäufung von persönlichem Besitz das Ansehen
schädigte.
Zwangsassimilierung in Internatsschulen
Nach der Erschließung des Westens, der militärischen Unterwerfung der Ureinwohner und ihrer Einweisung in Reservationen,
änderte sich auch die Politik der US-Regierung. Statt auf Ausrottung (General Sherman: »Nur ein toter Indianer ist ein guter
Indianer«) setzte man auf die zwangsweise »Zivilisierung«.
Das BIA, das Büro für indianische Angelegenheiten, unternahm
große Anstrengungen, die traditionelle Lebensweise der indianischen Gemeinschaften völlig auszumerzen. Ein wichtiger Bestandteil dabei war die Erziehung.
10
Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA
Chiricahua-Apachen wenige Wochen nach ihrer Einweisung in eine
Boarding School in Pennsylvania (1886)
Bisher auf Missionsschulen reduziert, die Lesen und Schreiben
zum Studium der Bibel vermittelten und sich um die Christianisierung der »Heiden« bemühten, wurden ab 1881 BIA-Internatsschulen für Indianer gegründet. 1887 wurde das »Compulsory
Indian Education Act« verabschiedet, ein Gesetz zur zwangsweisen Erziehung der Indianer und 1893 wurde für sie die Schulpflicht eingeführt. Dieses Gesetz wurde mit brutaler Gewalt umgesetzt: BIA-Agenten zogen mit Unterstützung von Polizei und
Armee durch die Reservationen, nahmen den Eltern gewaltsam
ihre Kinder ab und brachten sie zur »Umerziehung« in zumeist
weit entfernte Internatsschulen. Mit der Zerstörung des Familienlebens hoffte man, die Stammesstrukturen zu unterwandern. Die
Entfremdung der Kinder und Jugendlichen von ihren indianischen
Traditionen wurden so ein wichtiger Bestandteil des ethnischen
Völkermordes.
11
Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA
In diesen »fff-reservation boarding schools« wurden die Kinder
unter schrecklichen Bedingungen nach den Vorstellungen der
Weißen erzogen. Das Bildungsprogramm glich einem Strafsystem.
Disziplin wurde mit Starrheit und Brutalität durchgesetzt. Die
Schüler waren wie Gefangene. An große Freiheit gewöhnt, mußten
sie sich an die völlig andere Lebensweise und Kultur der Amerikaner anpassen.
Schlechte Ernährung, keine Privatsphäre, totale Überwachung,
schwere körperliche Arbeit, starker Drill, Schikanen und harte
Strafen bei Übertretungen von Regeln, machten den Kindern
schwer zu schaffen. Am schlimmsten war jedoch die Zerstörung
ihrer Identität. So galten insbesondere folgende Regeln:
· Verbot des Gebrauchs indianischer Sprachen
· Verbot traditioneller Haartracht und Kleidung
· Verbot indianischer Sitten und Gebräuche
· Verbot indianischer Religionsausübung
Versuche indianischer Selbstbehauptung wurden brutal gebremst,
das Selbstbewußtsein gebrochen, das Indianisch-Sein verächtlich
gemacht. Die Folgen waren mannigfaltige psychische Probleme,
die besonders Apathie und Hoffnungslosigkeit, hohe Selbstmordraten, Schwächung des Immunsystems und Anfälligkeit für Krankheiten hervorriefen. So war z.B. eine hohe Rate an TBC-Toten zu
verzeichnen.
Kinder vor der Havasupaischule (Ende des 19. Jahrhundert)
12
Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA
Viele Schüler brachen aus und versuchten die Heimatreservation
zu erreichen. Meistens wurden sie wieder eingefangen und hart
bestraft. Kehrten die jungen Indianer nach langer Zeit wieder zu
ihrem Stamm zurück, konnten sie zwar lesen, schreiben und rechnen, hatten jedoch ihre Muttersprache weitgehend vergessen. Ihre
eigene Kultur schien ihnen oft fremd und sie fühlten sich entwurzelt und nirgendwo zugehörig.
Das BIA-Bildungssystem in
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Das BIA besaß die Zuständigkeit für das gesamte Schulwesen der
Native Americans. Lediglich an Missionsschulen hatte es Erziehungsaufgaben delegiert. Bis in die 30er Jahre waren keine Veränderungen zu verzeichnen. Die zwangsweise Umerziehung zeigte
über die Jahre hinweg ihre zerstörerische Wirkung.
Der amerikanische Innenminister Work beklagte die Rückständigkeit des BIA und ließ 1926 die Internatsschulen von einer Kommission genau unter die Lupe nehmen. Ab 1929 wurden daraufhin
die Regeln und Maßnahmen gelockert. 1936 eröffnete das BIA 50
Tagesschulen auf den Reservationen. Assimilation war aber weiterhin das Ziel sämtlicher Bildungsarbeit. Es wurden ausschließlich
nicht-indianisches Gedankengut und kulturfremde Lerninhalte vermittelt, sowie indianisches Selbstbewußtsein sanktioniert. So blieb
das Erreichen der Lernziele weit hinter den Erwartungen des BIA
zurück und in pädagogischen Fachkreisen wurde die Theorie diskutiert, ob Indianer eine geringere Intelligenz besäßen.
Die 50er Jahre
Die 50er Jahre waren durch die Terminationspolitik geprägt; die
die völlige Auflösung der Reservationen, die Aufhebung der »Sonderrechte« (die Gegenleistungen für Landabtretungen waren), die
Assimilierung der Ureinwohner und ihre Umsiedlung in den
»Schmelztiegel« der großen Städte zum Ziel hatte. Dort plante man
die Ureinwohner als billige Arbeitskräfte ein. Die vertraglichen
Unterstützungsleistungen wurden gestrichen, viele soziale Programme eingestellt. Große Teile des Reservatslandes gingen in den
Besitz von Weißen über, über 100 Stämme lösten sich auf und
Elend und Verzweiflung machten sich breit.
13
Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA
Eine Integration und die Teilnahme am »American way of life«
gelang nur sehr selten. Hilfsarbeiterjobs und das Leben in Slums
am Stadtrand waren die Regel. Indianer waren trotz aller Anpassungsleistungen täglichem Rassismus ausgesetzt.
Da Ureinwohner bisher keine Steuern zahlten, standen für sie auch
keine öffentlichen Schulen zur Verfügung. Als Stadtindianer besuchte nun eine Vielzahl ihrer Kinder öffentliche Schulen, wo sie
weiterhin mit Ablehnung, Diskriminierung und Benachteiligung
konfrontiert waren. Auf indianischen Hintergrund wurde keine
Rücksicht genommen, indianische Geschichte war tabu.
Auch in den Reservationen begann man nun mit dem Bau von
Public Schools, die nach und nach die Missions- und BIA-Schulen
ersetzen sollten.
Neue Entwicklungen in den 60er Jahren
Eine Wende in der Bildungspolitik für die Ureinwohner zeichnete
sich erst in den 60er Jahren ab. Die Bürgerrechtsbewegung in den
USA streifte auch das rote Amerika, die Situation in den Städten
spitzte sich zu. Ureinwohner verschiedenster Stämme waren in den
neuen Nachbarschaften und indianischen Gemeindezentren zusammengekommen und entwickelten ein gestiegenes Selbstbewußtsein. In einem Vakuum zwischen den Kulturen lebend, fanden sich
viele Indianer nicht mehr mit der ihnen zugewiesenen Rolle ab. Es
bildete sich eine zunehmende Zahl von Widerstandsgruppen, von
denen einige die Weltöffentlickeit auf sich aufmerksam machten.
Die Politik reagierte. 1965 wurde ein Senatsausschuß unter Robert
Kennedy mit der Untersuchung des indianischen Erziehungssystems beauftragt, der dessen katastrophale Situation zutage brachte.
Der Kennedy-Report wies insbesondere die kulturelle Diskriminierung und Benachteiligung indianischer Kinder und Jugendlicher
im Schulsystem nach und kritisierte die fehlenden Mitentscheidungsmöglichkeiten der Ureinwohner in Schul- und Lehrplanangelegenheiten.
In der Folgezeit wurde eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die
den Indianern gewisse Mit- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten
zugestanden und auch die Voraussetzungen für eine Veränderung
14
Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA
im Bildungsbereich schufen: 1968 das »Bilingual Education Act«,
ein Gesetz über zweisprachigen Unterricht für ethnisch benachteiligte Schüler, 1972 das »Indian Education Act", das eine verstärkte
Förderung des Bildungsangebots für Indianer vorschrieb, und 1975
das »Indian Self Determination and Education Assistance Act", das
es den Stämmen ermöglichte, die Kontrolle über das Schulwesen
mit dem BIA auszuhandeln und zu übernehmen.
Ureinwohner nehmen Einfluß auf die schulische
Entwicklung ihrer Kinder
Als indianische Sprachen und Traditionen dabei waren auszusterben und die Ureinwohner sich mehr und mehr als benachteiligte
und diskriminierte Randgruppe an die Gesellschaft ihrer Eroberer
anpassen mussten, begannen sie die Erziehung ihrer Kinder wieder
in die eigene Hand zu nehmen. Erste alternative Schulprogramme
entstanden am Ende der 60er Jahre.
1966 wurde die »Rough Rock Demonstration School«, ein Gemeinschaftsprojekt führender Navajo und weißer Erziehungsspezialisten, gegründet. Dem Konzept lag die Zielvorstellung zugrunde, indianische Identität zu bewahren und sich gleichzeitig in die
anglo-amerikanische Welt integrieren zu können. Die Kontrolle der
Schule obliegt dem Stamm auf lokaler Ebene. Es wurde ein NavajoSchulrat aus Gemeindemitgliedern gewählt und erstmals wurde
Indianern in diesem Bereich Entscheidungsgewalt zuerkannt.
Rough Rock Community School in der Navajo Reservation
15
Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA
Plakat der Rough Rock
Community School
Die Rough Rock School wurde das Pilotprojekt für eine neue
Schulform. Nach Inkrafttreten des Indian Education Act 1972
konnten anerkannte lokale Organisationen einen Vertrag mit dem
BIA über die Erziehung ihrer Kinder abschließen. Jede dieser
Kontraktschulen hatte ein eigenes differenziertes Programm entwickelt, jedoch arbeiteten alle nach dem gleichen Grundkonzept:
indianische Basiserziehung in der Muttersprache und Stärkung von
indianischer Identität und positivem Selbstbild. Mit fortschreitendem Schulbesuch erfolgte die Einführung von Englisch als Fremdsprache und zweisprachiger und bikultureller Unterricht mit zunehmender Ausrichtung auf die amerikanischen Normen. So sollte
eine qualifizierte Weiterbildung in der weißen Gesellschaft und
eine selbstbestimmte Entscheidung über den Grad persönlicher
Anpassung ermöglicht werden.
Die Survival Schools von AIM
Auch das American Indian Movement entwickelte in den 70er
Jahren mit den Survival Schools ihre eigenen Schulen. Sie waren
und sind auch heute noch autonome Projekte und nicht an das
16
Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA
öffentliche Schulsystem angeschlossen. Die Konzepte ähneln
denen der Navajo-Schule: Zweisprachigkeit, Vermittlung indianischer Traditionen, Lebensweise, Religion und Geschichte. Es wird
aber auch gelehrt, sich im Dschungel der weißen Gesellschaft zu
behaupten. So heißt ein Fach z.B. »Trial«, Prozessbeobachtung,
denn Indianer müssen überdurchschnittlich häufig um ihre Rechte
kämpfen.
In den Survival Schools wird das Klassenzimmer oft aus dem
Schulhaus verlegt, ins Gericht, den Garten, auf das Feld, in den
Wald. Stadtindianer fahren auf die Reservation. Wo immer es möglich ist, wird versucht Wissen aus zweiter Hand zu vermeiden. Die
Schüler sollen direkte Erfahrungen sammeln, Projektunterricht
wird bevorzugt. Ein wichtiges Ziel war und ist es, eine Grundhaltung gegenüber dem Leben zu schaffen, die die Schüler stark
genug macht, der weißen Moral zu begegnen, ohne Schaden zu
nehmen.
Der aktuelle Stand
Im Laufe der Zeit ist die Zahl der indianischen Schulen, die den
kulturellen Hintergrund ihrer Schüler einbeziehen, stark angewachsen, und viele Initiativen der Ureinwohner sind um den Erhalt ihrer
Sprachen und Traditionen bemüht. Zweisprachige Lehrer werden
ausgebildet und spezifische Lernmaterialien erarbeitet.
In den 90er Jahren setzten sich auch weiße Wissenschaftler für die
vom Aussterben bedrohten indigenen Sprachen ein (so z.B. bei
einem Symposium 1997 in Flagstaff, Arizona), die oft nur noch
von einigen alten Menschen gesprochen werden. Viele sind unwiederbringlich verloren. Die Stammespolitiker wurden aufgefordert,
verstärkt muttersprachlichen Unterricht in ihren Schulen durchzuführen. So zeigt sich immer das gleiche Bild: »Erst zerstören wir
und rotten aus und kurz vor dem Ziel werden partiell wirksame
Rettungsmaßnahmen eingeleitet.«
Mit dem »Native American Language Act« von 1991 wurde das
Recht auf die eigene Stammessprache und deren Gebrauch im
Unterricht garantiert und 1992 wurde bei einer Konferenz auf USRegierungsebene über indianische Erziehung als Ziel festgelegt, im
Jahr 2000 alle indigenen Schüler und Studenten in ihrer Sprache zu
17
Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA
unterrichten. Ein Problem stand der Umsetzung jedoch im Weg:
die Sicherung der Finanzierung. Schon nach kurzer Zeit wurden
aufgrund von Sparmaßnahmen viele indianische Erziehungsprogramme gestrichen.
BIA- und stammeseigene Schulen waren dann für Jahre einer
Unterfinanzierung ausgesetzt, die die Lernbedingungen ziemlich
negativ beeinflußten. Neben einer unzureichenden Ausstattung mit
Lernmaterialien etc., machte sich das oft auch im Verfall von
Schulbauten bemerkbar.
Derzeit sind etwa 600.000 Ureinwohnerkinder und Jugendliche in
Schulprogramme der US-Regierung eingebunden. Etwa 55.000
davon, weniger als 10%, besuchen eine der 185 noch bestehenden
BIA-Schulen, die auf 63 Reservationen verteilt sind. Sie sind
besonders schlecht ausgestattet. Etwa zwei Drittel von ihnen werden inzwischen durch die Stämme betrieben und kontrolliert.
450.000 Schüler, also 75%, besuchen Schulen, die durch die 1.200
Programme des Office of Indian Education des Erziehungsministeriums finanziert werden. Diese Schulen werden in den indianischen Gemeinden in Selbstregie betrieben. Es verbleiben ca.
100.000 Kinder und Jugendliche, die keinen Zugang zu staatlich
finanzierten indianischen Bildungsprogrammen haben. Sie besuchen zumeist allgemeine Schulen außerhalb der Reservationen,
insbesondere in den Städten.
Der Trend zu mehr Selbstverwaltung und Autonomie hat sich in den
letzten Jahren fortgesetzt und besonders stark ist der Bildungsbereich betroffen. Bildung wird inzwischen von den indigenen
Gruppen als der Bereich angesehen, der den Stämmen und ihren
Mitgliedern das Überleben und im 21. Jahrhundert eine Zukunft
sichert. Die in den 60er und 70er Jahren entwickelten zweigleisigen
Konzepte der Wiedererlangung und Erhaltung traditioneller Identität
und Kultur einerseits und der Vermittlung der erforderlichen
Kenntnisse für die Mainstream-Gesellschaft andererseits, haben fast
überall Eingang gefunden. Von indianischen Politikern, Institutionen
und Organisationen werden große Anstrengungen unternommen,
den Erziehungs- und Bildungsbereich zu fördern.
18
Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA
Indianische Erziehung bereitet die Kinder auf das Leben in der
weißen Gesellschaft vor, ohne die Traditionen zu vergessen
Trotzdem sind die Erfolge in den Schulen oft nicht zufriedenstellend, wie bei einem Kongress der National Indian Education Association (NIEA) im November 2001 in Billings, Montana, festgestellt wurde. Als Ursachen dafür wurden u.a. benannt: fehlendes
Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl der Schüler, aufgrund der
spezifischen Geschichte in den letzten Generationen; die oft störende Einmischung von Verwaltung, Politik und akademischem Überbau; das unzureichende Engagement der Lehrer, die indianischen
Sprachen wiederzuerlernen und zu beherrschen und damit eine
Vorbildfunktion zu übernehmen; falsche Prioritäten der Lerninhalte.
Insbesondere dem Erwerb der Muttersprache muß ein vorrangiger
Wert zugemessen werden, da dies für die Identitätsentwicklung von
besonderer Bedeutung ist. Traditionelle Vermittlungsformen sollen
verstärkt werden und indianische Geschichte, Philosophie und
Kultur mehr Raum erhalten. Weil das persönliche Leistungsprinzip
der amerikanischen Gesellschaft von traditionellen Ureinwohnern
als fremd und hinderlich erlebt wird, soll zukünftig der Gemeinschaftsgedanke wieder im Vordergrund stehen.
19
Indigene Kinder und Jugendliche im Bildungssystem der USA
Im Bereich »indianische Angelegenheiten« war Bildungsförderung
auch eines der Hauptthemen für die beiden Kandidaten im Präsidentschaftswahlkampf 2000. Stammespolitiker fanden anschließend mit Vertretern der neuen Regierung scheinbar eine recht
gute Ebene. Im Frühling 2001 konnte man bei Anhörungen im
Kongress und weiteren Treffen Übereinstimmung über die Priorität
der Bildung für die Entwicklung der indianischen Gemeinden erzielen, wobei die Erweiterung der Stammeskontrolle und Selbstverwaltung in verschiedenen Bereichen im Interesse der Bush-Administration zu liegen schien.
Ende 2001 verabschiedete der US-Senat auch ein weiteres Gesetz.
Das »Native Education Improvement Act of 2001« (Gesetz zur
Verbesserung der Bildung der Ureinwohner) beinhaltet ein Set von
Reformen, das an alle Bereiche von BIA- und Stammesschulen
gerichtet ist, inklusive der Versorgung mit Lehrern und dem Bau
von Schulen. Die Autonomie der lokalen Bildungsbehörden soll
erhöht werden, so dass leichter neue Konzepte und Reformen entwickelt und umgesetzt werden können. Das Gesetz beinhaltet auch
Programme für die vorschulische Erziehung und Alphabetisierungsangebote für Familien.
Die Indigenen setzen große Hoffnungen in die zukünftige Entwicklung, wohl wissend, dass es leicht zu Verschiebungen der
Prioritäten kommen kann. So hat die politische Situation seit dem
11. September 2001 stark von den Anforderungen im Inneren abgelenkt und hohe Geldmengen in außenpolitische, sprich militärische, Kanäle abgezogen.
20
Die Kinder vom Cheyenne River
Die Kinder vom Cheyenne River
Aufwachsen zwischen 2 Kulturen
»Es ist beinahe unmöglich, einem sympathisierenden Weißen zu
erklären, was eine typische alte Indianer-Internatsschule war und
wie sie auf ein indianisches Kind wirkte, das plötzlich in sie hineinplumpste wie ein kleines Wesen von einem anderen Stern, hilflos, schutzlos und das verzweifelt versucht zu überleben und
manchmal eben nicht überlebt.
Sogar jetzt, wo diese Schulen um vieles verbessert wurden, wo die
Gebäude neu sind, ganz aus blitzendem Stahl und Glas, wo das
Essen annehmbar ist, die Lehrer gut ausgebildet und motiviert
sind, sogar in Kinderpsychologie erfahren – unglücklicherweise in
der Psychologie weißer Kinder, die sich von der unserer Kinder
unterscheidet – sogar jetzt ist der Schock für das Kind, das dort
ankommt schrecklich […] Obgleich die alte Tiospaye zerstört ist,
bleibt in traditionellen Sioux-Familien, vor allem denen, in denen
nicht getrunken wird, das Kind niemals sich selbst überlassen […]
es wird mit Achtung behandelt, die man einem menschlichen
Wesen, auch einem kleinen schuldig ist. Selten wird es gezwungen,
etwas gegen seinen Willen zu tun, selten wird es angeschrien und
niemals geschlagen.«
So schreibt es die Lakota-Indianerin Mary Crow Dog in ihrem
Buch Lakota Woman. Sie beschreibt damit einen grundlegenden
Widerspruch im Leben indianischer Kinder in den letzten einhundert Jahren. Einerseits stellt sie den schon nahezu antiautoritär anmutenden Erziehungsstil indianischer Großfamilien den strengen,
unterdrückenden Disziplinarmassnahmen oft christlich geleiteter
Internatsschulen gegenüber, mit Ordnung, steriler Sauberkeit, mit
Verbot und Strafe. Wohl einer der bedeutendsten kausalen Prozesse
hinsichtlich des jahrzehntelangen Identitätsverlustes amerikanischer
Einwohner indianischer Abstammung. Herausgerissen aus der
Geborgenheit einer indianischen Gemeinschaft, wurden die Kinder
in Internatsschulen gesteckt, um sie dort zu zivilisierten Menschen
zu machen. »Töte den Indianer, um den Menschen zu retten«.
21
Die Kinder vom Cheyenne River
Sie beschreibt aber auch einen weiteren Widerspruch. Indianische
Familien, die ihre Kinder mit Achtung und Fürsorge erziehen, die
ihnen Werte vermitteln, ihnen das Gefühl geben, besondere Menschen auf dieser Welt zu sein. Eltern die ihren Kindern Selbstbewusstsein und Stolz auf die eigene Abstammung beibringen. Das
sind die echten Indinaner. Mir stellt sich da die Frage, ist das heute
noch Realität ?
Meine Name ist David Schiefer und ich studiere Psychologie an der
Universität Potsdam. Von Januar bis Juli 2000 arbeitete ich in einem
gemeinnützigen Kindergarten in der Kleinstadt Eagle Butte im
Cheyenne River Sioux Reservat/South Dakota. Dieser Kindergarten
entstand im Jahre 1988, als eine berüchtigte Bar an der Hauptstrasse
der Kleinstadt von der Stammesregierung zwangsgeschlossen wurde. Das Gebäude wurde zur weiteren Nutzung öffentlich ausgeschrieben, den Zuschlag bekam eine Gruppe um die ortsansässige
Lakota-Indianerin Julie Garreau, welche das alte Gebäude in ein
Kinderzentrum umwandelte, ein Symbol, wie ich finde.
Die Theke wurde zur Kochnische für den kindlichen Hunger, die
Tanzfläche bot Platz zum Spielen und basteln, es gab sogar eine
kleine Bibliothek. Finanziert wurde und wird das »Cheyenne River
Youth Project« von privaten und öffentlichen Geldern, besonders
von der Organisation »Running Strong for American Indian
Youth«. Die Mitarbeiter setzten sich hauptsächlich aus jungen,
ehrenamtlichen Helfern zusammen, mittlerweile mit internationaler
Beteiligung. Ehrenamtliche Arbeiter aus dem Ort selbst gibt es
kaum, mitunter arbeiten im Kinderzentrum, dass nach der Lage des
alten Hauses an der Hauptstrasse »The Main« genannt wurde, mehr
Ausländer als Amerikaner oder gar Lakotas. Ein Widerspruch, aber
es war und ist Realität.
1998 hat das Projekt die finanziellen Mittel aufbringen können, um
ein neues, moderneres Gebäude zu bauen. Dies steht nun am Rande
der Stadt, den Namen »The Main« hat es behalten. Das Kinderzentrum betreut heute insgesamt zwischen 200 und 300 Kindern,
welche mal mehr, mal weniger häufig das Haus zum Spielen nutzen.
22
Die Kinder vom Cheyenne River
Standing Rock
Reservation
Lake Traverse
Reservation
Cheyenne River
Reservation
Eagle Butte
Pierre
Crow Creek
Reservation
Flandreau
Reservation
Rapid City
Lower Brule
Reservation
Pine Ridge
Reservation
Rosebud
Reservation
Sioux Falls
Yankton
Reservation
Reservationen in South Dakota
Die Kinder, die dieses Zentrum nach der Schule am Nachmittag, in
den Ferien ganztägig besuchen, haben mitunter bereits ein Leben
hinter sich, dass von Mary Crow Dogs Vorstellungen einer indianischen Familie weit entfernt liegt. Kinder aus brüchigen Elternhäusern, Vater und Mutter sind getrennt oder liegen im Streit,
Alkohol beherrscht das Haus, Gewalt ist Alltag. Diese Kinder
haben Augen, die bereits mehr erzählen können, als ich es jemals
erleben werde. Das Kinderzentrum hat gerade diese Kinder als
Zielgruppe, Kinder aus problematischen Elternhäusern, mit oft
deutlichen Verhaltensstörungen, mit einem riesigen Bedürfnis nach
Schutz und Zuneigung. Sie flüchten aus den Häusern auf die
Straße, seit 1988 können sie sagen »Hey, let´s got to THE MAIN,
hier tut uns keiner was.«
Und so ist es nicht verwunderlich, dass ich in den sieben Monaten
meiner Arbeit dort größtenteils mit indianischen Kindern zu tun
hatte, die alles andere als eine geborgene und fürsorgliche Kindheit
23
Die Kinder vom Cheyenne River
haben. Mit Kindern, die nicht einmal wissen, wann sie Geburtstag
haben, weil es zu Hause keine Rolle spielt. Mit Kindern, die sich
voller Aggression gegen die Freiwilligen dieses Kindergartens wenden, weil sie frustriert sind, wütend, weil sie einen Ort suchen, an
dem sie diese Frustration loswerden können. In Eagle Butte haben
sie diesen Ort gefunden, was nicht immer einfach ist für die Freiwilligen, die dort arbeiten.
Ich möchte hier jedoch deutlich betonen, dass dies kein generelles
Bild der Situation indianischer Familien ist. Wie groß der Anteil
indianischer Familien mit der besagten häuslichen Gewalt, mit
Vernachlässigung und mitunter Misshandlung der Kinder ist, ist mir
mangels statistischer Daten nicht bekannt. Sicherlich gibt es ebenso
viele Familien, in denen Kinder mit Respekt und Liebe zu gesunden, selbstbewussten Menschen erzogen werden. Meine Eindrücke
beruhen auf der Arbeit mit den Kindern dieses Zentrums, und diese
stammten fast alle aus problematischen Elternhäusern.
Häufig hatten wir es mit dem sogenannten Fetal Alcohol Syndrom
(FAS) zu tun, körperliche und geistige Defizite auf Grund von Alkoholgenuss während der Schwangerschaft. Keine Indianerkrankheit, sondern ein Phänomen innerhalb vieler sozialer Schichten, besonders aber in solchen mit geringem Einkommen und den damit
verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Alkohol
dient hier als kurzzeitiger Fluchtraum.
Die Kinder haben meist erhebliche Konzentrations- und Lernstörungen, sind kaum länger als zehn Minuten an einem Spiel oder
an einer Bastelarbeit zu halten. Dementsprechend wird auch der
Schulunterricht in Eagle Butte angepasst. Des Weiteren scheinen
diese Kinder oft keine Kontrolle über ihre Emotionen zu haben, so
kommt es gerade im Falle von Frustration zu Affektausbrüchen.
Außerdem scheint ein Großteil der Kinder ein grenzenloses Bedürfnis nach Zuwendung und Beachtung zu haben. Dies versuchen
sie auf verschiedene Art und Weise zu erreichen. Die einen beschenken einen mit selbstgemalten Bildern, streben somit nach
Lob und Anerkennung, andere versuchen ständig, körperliche
Zuneigung zu erhaschen, gibt man sie ihnen, so läuft man Gefahr,
nie wieder losgelassen zu werden. Im »Main« suchen sie dass, was
24
Die Kinder vom Cheyenne River
Die Kinder vom Cheyenne River Youth Project
sie zu Hause nicht bekommen. Wieder andere, vor allem die Jungen, versuchen sich im Beleidigen, Unfug anstellen, um somit Aufmerksamkeit zu erregen, sie beschimpfen die Freiwilligen, weil sie
sie lieben und sich nach ihrer Zuwendung sehnen.
»Wir sind keine ausgebildeten Psychologen, aber wir versuchen
den Kindern, so gut es geht, durch schwierige Zeiten zu helfen.«,
sagt Julie Garreau, Direktorin des Projekts. Psychologen wären
tatsächlich nötig in diesem Projekt, hier sind die freiwilligen und
oft nicht ausgebildeten Mitarbeiter zumeist überfordert. Psychologische Betreuung gibt es lediglich im Rahmen der schulischen
Ausbildung, hier kommt ein Mal pro Woche ein Psychologe aus
dem mehrere Autostunden entfernten Spearfish/South Dakota.
In erster Linie Kinder, dann Indianer
In der Arbeit mit diesen Kindern wurde mir eins sehr schnell deutlich. Es geht hier nicht um das »Indianer-Sein«. Ihnen deutlich zu
machen, dass sie Lakotas sind, ihnen eine Identität mit ihrem
Stamm zu vermitteln, sie stolz zu machen auf ihr Volk. Dieses Ziel
25
Die Kinder vom Cheyenne River
ist eher untergeordnet, primär kommt es darauf an, diesen jungen
Menschen das Kind-Sein zu erleichtern, ihnen das Gefühl zu geben,
ein wertvoller Mensch zu sein, das Selbstwertgefühl eines gesunden
Menschen zu verschaffen und dann erst den Stolz eines Indianers.
Es geht hier um Kinder, die versuchen, ihre oft unangenehmen
Erlebnisse zu bewältigen und sich bestmöglichst in ihrem enstehenden Leben zurechtzufinden. Mit dem Indianer-Sein können die meisten Kinder und Jugendlichen oft nichts mehr anfangen. Zwar gibt
es noch indianische Traditionen, Powwows, Schwitzhütten, Sonnentänze, an denen auch die »Siebente Generation« noch teilnimmt.
Ein Lakota-Junge ist stolz, das erste mal die Kleidung eines »Fancy-Dancers« tragen zu dürfen. Der 10-jährige Brandon Bagola aus
Eagle Butte, nimmt am Wounded-Knee-Memorial-Ride teil, ein
strapaziöser Gedenk-Ritt zur Stätte des Massakers von 1890. Doch
erscheint es mir, als könnten die Kinder und Jugendlichen in ihrem
Alltag, mit all seinen Schwierigkeiten, in den Traditionen und
Idealen ihres Volkes keine Antworten auf ihre Situation finden.
Vielmehr scheinen sie sich mit der Lebensweise der Schwarzen in
US-Großstädten zu identifizieren. Die Situation in den Ghettos
amerikanischer Vorstädte erinnert die Kinder und Jugendlichen
Eagle Buttes zu sehr an die eigene und somit scheinen sie sich mental mit selbigen sozialen Gruppen verbunden zu fühlen. So sind die
Köpfe meist kahlrasiert, kaum ein männlicher Lakota-Teenager
trägt noch lange Haare, indianische Musik weicht Hip Hop und
düsterem Rap und auch Bandenrivalitäten werden in der nur wenige
tausend Einwohner zählenden Kleinstadt oft »imitiert«.
Indianische Kinder scheinen in erster Linie amerikanische Kinder
zu sein, sie wünschen sich keine Spielzeug-Adler, sondern BarbiePuppen, Lego anstatt Pfeil und Bogen, eine Tatsache, die viele dort
ankommende Freiwillige des Kinderzentrums zu Anfang mitunter
irritiert. Aber ist es verwunderlich? Sie wachsen als amerikanische
Staatsbürger auf, werden größtenteils ebenso sozialisiert wie andere
amerikanische Kinder auch. Und doch sehen sie sich zwischen zwei
Kulturen, in einem Teufelskreis aus Frustration und Zukunftsangst.
26
Die Kinder vom Cheyenne River
Die Suche nach dem neuen »Wir-Gefühl« der Lakota,
eine Frage der Selbstwirksamkeit
Die Zeiten der Büffel sind vorbei, es ist Zeit für eine neue Identität.
Für die Menschen vom Cheyenne River noch ein weiter Weg. Hier
kommt die Bedeutung des Kinderzentrums zum Tragen. Das Wesen
eines Menschen wird zu großen Teilen in der frühkindlichen
Entwicklung determiniert. Hier gilt es, dem jungen Leben ein
Urvertrauen zu schenken, ein Gefühl, selbst etwas wert zu sein, die
Fähigkeit, das eigene Leben zu gestalten und auf anstehende Probleme wirken zu können. Der Psychologe Bandura (1977) unterscheidet in einem vielbeachteten Artikel die sogenannte Wirksamkeitserwartung (self-efficiacy) und die Handlungs-ErgebnisErwartung (action-outcome-expectation). Ob ein Mensch aktiv wird,
hängt davon ab, ob er weiß, was zu tun ist und ob er sich in der Lage
sieht, die Handlung auch auszuführen. Auf die Situation indianischer
Kinder übertragen bedeutet dies: Ihre Familien befinden sich seit
Generationen in sehr schwierigen sozialen Bedingungen. Die nächsten Generationen müssen verstärkt versuchen, für diese Probleme
Lösungsansätze zu suchen und somit aktiv nach einer Verbesserung
der Lebenssituation in US-Indianerreservaten zu suchen.
Dafür müssen in den Menschen selbst die Grundlagen geschaffen
werden. Sie müssen die Fähigkeit haben, für Probleme Lösungsansätze zu erkennen und deren Folgen zu bewerten, weiterhin müssen sie aber auch das Vertrauen haben, Maßnahmen durchführen zu
können. Kuhl (1983) unterscheidet zwischen Menschen mit überwiegender Lage- bzw. Handlungsorientierung. Ein handlungsorientierter Mensch erkennt seine derzeitige Lage und den gewünschten
Zielzustand. Die Person erkennt außerdem die Diskrepanz zwischen
beiden »Lagen« und wird nun Überlegungen anstellen, wie diese
Diskrepanz zu überwinden ist. Handlungsorientierte Menschen sind
oft und mit Erfolg dabei, ihre Absichten in die Tat umzusetzen.
Ist eines dieser Elemente nicht gegeben, dann kann es zu Defiziten
in der Handlung kommen, die Person wird passiv. Kuhl spricht hier
von Personen mit überwiegender Lageorientierung. Sie erkennen
ihre Situation, sehen die Diskrepanz zwischen erwünschtem und
27
Die Kinder vom Cheyenne River
realem Zustand, sehen sich jedoch nicht in der Lage, diese Diskrepanz tatsächlich zu verringern. Die Absichten bleiben bestehen, die
Handlung wird jedoch nicht ausgeführt. Was bleibt, sind degenerierte Absichten wie »etwas müsse sich verändern«, eben weil
ihnen etwas fehlt, das sie zu dem macht, was sie eigentlich sein
sollten. Solche Personen befinden sich sozusagen in einem Zustand
erlernter Hilflosigkeit.
Kinder zu handlungsorientierten Menschen zu machen, ist eine
wichtige Aufgabe des Kinderzentrums von Eagle Butte. Ihnen das
Gefühl vermitteln, etwas aus dem eigenen Leben machen zu können, ihr eigenes Leben zu gestalten, auch wenn dies oftmals viel
Mühe und Anstrengung bedeutet. Bisher schafft es nur ein geringer
Bruchteil indianischer Jugendlicher, nach der High School ein College oder eine Universität zu besuchen. Die Community Colleges in
den Reservaten South Dakotas, beispielsweise das Si Tanka
Community College in Eagle Butte bieten da ein Sprungbrett.
Das nötige Selbstwertgefühl und das Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit wird den Kindern vom Cheyenne River zu Hause oft
nicht vermittelt. Wie könnte es anders sein. Die einstigen Tiospayes
sind zerstört, sie wurden in Kleinfamilien aufgeteilt, denn der
Zusammenhalt der Tiospayes schien den Weißen zu gefährlich. Jede
Kernfamilie bekam ein kleines Stück Land und sollte es bewirtschaften. Lakotas waren nie Landwirte. Sie verkauften ihr Land, um
überleben zu können. Es begann eben jener Teufelskreis aus Armut,
Arbeitslosigkeit und Identitätsverlust. Die Männer konnten sich
nicht mehr als Krieger und Kämpfer beweisen, der Weg in die
Minderwertigkeit indianischer Männer begann. Heute sind sie wieder Krieger, in der US-Armee finden sie ein Stück weit zurück zu
ihrem Stolz. Wenn die Kinder einstiger Tiospayes die BoardingSchools verliessen, waren sie nicht mehr als wirkliche Lakotas
akzeptiert, als weiße US-Bürger fühlten sie sich jedoch auch nicht.
Diese Menschen sind heute Großeltern, ihre Kinder sind in dieser
Orientierungslosigkeit aufgewachsen und haben heute selbst Kinder. Hinzu kommt eine anhaltende Arbeitslosigkeit, South Dakota
zählt zu den wirtschaftlich schwächsten Gebieten der USA.
28
Die Kinder vom Cheyenne River
Den Kreis gilt es zu durchbrechen! Das Kinderzentrum von Eagle
Butte ist eine der besten Institutionen zu Bewältigung der Situation
eines Volkes zwischen zwei Kulturen. Hier hilft man den Menschen
bereits in frühester Kindheit, erfüllt kindliche Grundbedürfnisse und
schafft somit die Grundlagen, die früheren Generationen verlorengegangen sind. Wenn die Lakotas der Great Plains eine Chance
haben wollen, nicht nur als Menschen, sondern auch als Angehörige
eines der ersten Völker des nordamerikanischen Kontinentes zu
überleben, eine neue Identität zu sich und ihrer eigenen Bedeutung
als Lakota-Sioux zu finden, dann muss man in frühester Kindheit
ansetzen. Ein stabiles Haus kann man nur auf festem Boden bauen,
sonst hält es dem Sturm nicht stand.
Erwähnenswert ist noch das Interesse der US-amerikanischen Regierung an der Rückgewinnung indianischer Identität. Sie beschränkt sich auf eine monatliche Lebensmittellieferung, meist in
Form von bereits monatelang überlagerten Konservendosen. Eine
Suppe, dessen Verfallsdatum bereits vor zwei Jahren ablief, ist
keine Seltenheit und schmeckt einem Indianerkind genauso gut wie
frische Lebensmittel. Geld vom Staat gibt es nicht, »dies wäre auch
mit erheblichen Auflagen verbunden, was das Projekt in seiner
Handlungsfreiheit enorm einschränken würde«, so die Direktorin
Julie Garreau. Seit neustem sperrt sich die US-Immigrationsbehörde ausländischen Freiwilligen, die im Kinderzentrum einige Monate
arbeiten möchten. Sie stünden in einem Arbeitsverhältnis und würden dabei Geld verdienen, gemeint ist eine monatliche finanzielle
Unterstützung von 100 Dollar. Wer in den Staaten arbeitet, braucht
eine Green-Card, Gesetz ist nun mal Gesetz. Ein Visum für Freiwilligendienste gibt es nicht. Dabei sollte es doch im Sinne des
Landes sein, wenn das »Indianerproblem« einmal praktisch angegangen wird. Es melden sich immer noch zahlreiche Helfer aus den
USA, momentan sichert der ausländische Anteil der Volunteers
jedoch das Überleben des Projektes. Lokale indianische Helfer zu
finden ist nach wie vor ein Ziel der Projektleitung, erweist sich
jedoch weiterhin als äußerst schwierig ohne Bezahlung.
29
Die Kinder vom Cheyenne River
Gerade in Deutschland ist das Interesse und die Bereitschaft, in
diesem Projekt mitzuarbeiten, besonders bei jungen Menschen sehr
groß. Trotzdem muss Julie Garreau vorerst die Erwartungen deutscher Helfer dämpfen. »Es klappt nur so lange, wie die Zahl ausländischer Helfer begrenzt bleibt. Man müsste dann eine individuelle Lösung finden.«
Kontakt
Wer Interesse hat, mehr über das Projekt zu erfahren und sich über
die derzeitigen Möglichkeiten, in Eagle Butte eine zeitlang auszuhelfen, informieren möchte, der erreicht das Projekt unter [email protected], oder telefonisch unter (001) 605 964 8200.
Die Postanschrift lautet:
Cheyenne River Youth Project
P.O.BOX 410
Eagle Butte SD 57625
USA
Für weitere Information stehe natürlich auch ich gern zur
Verfügung.
David Schiefer
Hermann-Elflein-Strasse 5
14467 Potsdam
0331/8172688
e-mail: [email protected]
Literaturangaben:
Bandura, A., 1977, Self-Efficiacy: towards a unifying theory of
behavioural change. Psychological Review, 84, 191-215
Crow Dog, M., 1994, Lakota Woman, Deutscher Taschenbuch
Verlag GmbH und Co. KG, München
Kuhl, J., 1983, Motivation, Konflikt und Handlungskontrolle.
Berlin: Springer
Lame Deer, J. F., 1997, Tahca Ushte-Medizinmann der Sioux,
Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH und Co. KG, München
Rheinberg, F., 2000, Motivation, Stuttgart, Berlin: Kohlhammer,
2000
30
Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada
Ureinwohner-Landrechte und
Ski-Tourismus in Kanada
In Zeiten, da der Winter in unseren Breiten augenscheinlich nicht
mehr knackig kalt und schneereich ist, wird Ski-Urlaub in Regionen, die solches bieten, immer beliebter. Gut präparierte Pisten versprechen pures Vergnügen auf Brettern und wenn dann noch die
touristische Infrastruktur keine Wünsche offen lässt, ist der Erholungseffekt garantiert.
Für uns Europäer sind die Alpen traditionell Ziel unserer »SkiTräume«, doch zunehmend werden z. B. die kanadischen Rocky
Mountains, speziell in British Columbia (BC), zu einer Alternative
auch für diejenigen, denen die Alpen zu überlaufen sind. Das lässt
sich u. a. daraus schließen, dass die Reiseanbieter für Ski-Urlaub in
BC auch in Deutschland sehr zahlreich sind.
In BC setzen Provinzregierung und interessierte Finanzgruppen
große Hoffnungen auf die Entwicklung der Tourismuswirtschaft.
In- und ausländische Tourismusunternehmen sind dabei, die Angebote an solchen Alternativen in BC ständig zu erweitern. Das
geschieht durch »Erschließung« neuer und Erweiterung bestehender Ski-Zentren. Doch über einen wesentlichen Aspekt des wachsenden Angebotes erfährt der »gewöhnliche« Ski-Tourist aus Europa nichts. Es ist die Frage: In wessen Land fahre ich eigentlich?
Als das Festland von BC 1858 britische Kolonie wurde, erhob die
britische Krone zwar Anspruch auf das gesamte Land, gestand den
Ureinwohnern – also den Indianern – aber Besitzrechte zu, die erst
durch Verträge und entsprechende Kompensationszahlungen erlöschen würden. Erhalten bleiben sollten ihnen darüber hinaus die
Nutzungsrechte an verschiedenen Ressourcen, die außerhalb der
Ihnen zugewiesenen Reservationen liegen.
31
Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada
Aber nur der erste Gouverneur von BC, James Douglas, versuchte
sich an diese Vereinbarungen zu halten. Seine Nachfolger schlossen keine Verträge ab und verneinten auch die Existenz indianischer Landrechte. Diesen wurde erst wieder Geltung verschafft, als
BC 1871 kanadische Provinz wurde. Der Bundesstaat BC ignoriert
diese Rechte jedoch bis heute.
Die Indianer (speziell die Nationen im Binnenland von British Columbia) bestehen jedoch auf ihren Landrechten. Sie haben nie einen Vertrag mit den Kolonialmächten oder deren Nachfolgeregierungen über Landabtretungen geschlossen und könnten somit theoretisch fast das ganze Territorium dieses westlichsten Bundesstaates Kanadas für sich beanspruchen.
Seit unzähligen Generationen bewohnen sie das Land. (»… es versorgt uns mit allem was wir täglich brauchen«, so Chief Arthur
Manuel von der Secwepemc- oder Shuswap-Nation) und nutzen es
auch heute noch auf traditionelle Weise, indem sie jagen oder
Beeren und Kräuter sammeln; auch, weil die Armut in den indianischen Gemeinden dies erforderlich macht.
Die Indianer verfügen über umfangreiches Wissen, wie man das
Land nutzen kann, ohne seine Ressourcen zu erschöpfen, ohne den
Lebensraum von Pflanzen und Tieren zu zerstören. Nachhaltiges
Wirtschaften ist also für die sie kein leeres Schlagwort, sondern
lebendige Tradition. Darüberhinaus sehen sie sich von altersher
vom »Schöpfer« mit dem Recht an ihrem Land und seinen Ressourcen ausgestattet. Darin eingeschlossen ist auch die Verantwortung, das Land so zu nutzen, dass es für die nachfolgenden
Generationen erhalten bleibt.
Juristisch wird dieses Recht als »Aboriginal Title« bezeichnet. Im
Artikel 35 des kanadischen Verfassungsgesetzes von 1982 wird
dieses angestammte Landrecht geschützt und in einem Gerichtsurteil von 1997, dem sogenannten »Delgamuukw-Urteil« durch
den kanadischen Obersten Gerichtshof bestätigt. Trotzdem weigern
sich die kanadischen Bundesbehörden und die Provinzregierung
von British Columbia, »Aboriginal Title« anzuerkennen.
32
Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada
Indianische Brennpunkte in British Columbia
Denn dann müssten die Indianer, wie es Verfassung und Gerichtsurteil verlangen, bei den Entscheidungen, die Regierungsbehörden
des Landes und der Provinz über die Nutzung des Landes treffen,
zwingend einbezogen werden. Dieses Mitspracherecht der eigentlichen »Landbesitzer« ist aber nicht gefragt, wenn es darum geht,
den Tourismus, insbesondere den Wintersport, immer mehr zu
einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor in BC zu entwickeln. Die
Interessen der Indianer, die natürlich ihr Land bewahren und schützen wollen, würden der Erzielung maximaler Profite aus dem
Tourismusgeschäft entgegenstehen. Dabei wäre es doch gerade im
sensiblen Bereich des Tourismus wichtig, indigenes Wissen um
nachhaltigen und vorsichtigen Umgang mit den Ressourcen zu nutzen. Denn: ein Tourist, vornehmlich ein europäischer, unternimmt
eine so weite und teure Reise nicht, um eine »Kahlschlag-Landschaft« vorzufinden, sondern neben dem Ski-Vergnügen möchte er
sicher auch eine großartige, »unberührte Natur« genießen können.
33
Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada
Protestcamp der Secwepemc (Shuswap)
Aber ein solcher Aspekt spielt in den Planungen der Behörden von
Bundes- und Provinzregierung offensichtlich keine Rolle. Statt
endlich den Gerichtsentscheid zum »Aboriginal Title« umzusetzen,
wurde ein sogenannter »Columbia Treaty Process« eingerichtet:
Die betroffenen indianischen Nationen sollen mit der Regierung in
Verhandlungen über Landansprüche eintreten. Das ist aber eine
Missachtung bestehender Fakten. Denn die Indigenen sind Inhaber
eines Landrechtstitels, nämlich des »Aboriginal Titles". Würden
sie in diese Verhandlungen gehen, müssten sie den Titel aufgeben,
um im Ergebnis der Verhandlungen kleinere Gebiete rückübertragen zu erhalten. Fast alle Stämme im Innern BC’s weigern sich an
solchen Verhandlungen teilzunehmen und bestehen auf der
Umsetzung des »Delgamuukw«-Urteils.
Während der Konflikt bislang ungelöst bleibt, geben Regierungsund Provinzbehörden Land ohne die Zustimmung der Indianer –
der eigentlichen Landbesitzer – zur Pacht, zur wirtschaftlichen
Erschließung oder zum Verkauf frei. Aktuelles Beispiel - und hier
sind wir wieder am Ausgangspunkt angelangt – ist der wachsende
Wirtschaftszweig »Ski-Tourismus« in BC.
34
Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada
Im Jahre 1961 wurde am Mt. Todd eine kleine Skianlage errichtet.
Der Berg liegt in der südlichen Mitte von BC und gehört zusammen mit anderen Gipfeln zum traditionellen Land der Shuswap.
Sie selbst nennen diese Land Skwelkwek'welt, was etwa mit
»Hochgebirge« übersetzt werden kann. 1862 wurde ihnen dieses
Gebiet als Reservat zugesprochen. Da sie es aber angeblich nicht
nutzten, entzog ihnen die Regierung das Land wieder und erklärte
es zu »Crown-Land«, was die Indianer aber nie anerkannten. 1992
wurde die kleine Skianlage von den Regierungs-Behörden BC's an
den japanischen Konzern Nippon Cable verkauft. Der hatte damit
eine lukrative Immobilien- und Investitionsanlage erworben. Das
Ski-Zentrum sollte nun weiter ausgebaut werden, was die kanadischen Behörden auch genehmigten. 1996 wurde ein entsprechender
Vertrag zwischen Nippon Cable und der damaligen Provinzregierung von BC abgeschlossen. Die eigentlichen Landeigentümer,
die Shuswap Nation, wurden nicht gefragt. Ihre bereits damals eingereichten Landrechtsforderungen wurden nicht beachtet.
Doch nun setzen sich die Indianer gegen diese fortwährende Ignoranz der Behörden zur Wehr. Mit vier weiteren Nationen (St'at'imc,
Southern Carrier, Nlaka'pamux, Okonagan) aus dem Binnenland
von British Columbia haben sich die Shuswap zur »Interior Alliance« zusammengeschlossen, um ihren Widerstand und ihren Protest wirksamer zu gestalten.
Dabei setzen sie auf friedliche, aber unmissverständliche Aktionen,
wie beispielsweise die Einrichtung von Schutzcamps am Eingang
des Sun Peak-Ski-Ressorts im Herbst 2000 oder die Gründung des
»Skwelkwek'welt Protection Centre« am MacGillvery Lake. Die
Camps werden ständig bewohnt. Damit wollen die Indianer bewusst demonstrieren, dass sie keine Landbesetzer sind, sondern sich
auf ihrem eigenen Land befinden. An den Aktionen beteiligen sich
alle Generationen, also Jung und Alt.
Die Aktivitäten zum Schutz ihres Landes vor der Zerstörung durch
Massentourismus und gegen die fortgesetzte Missachtung ihrer
Landrechte brachte den Indianern viele Repressalien seitens der
Behörden der Provinz BC ein. Im Laufe des Jahres 2001 wurden
35
Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada
sie wiederholt von der Polizei aus den Camps vertrieben, Hütten
wurden in Brand gesteckt, und einige der Insassen der Camps wurden sogar verhaftet.
Die Situation eskalierte, als am 10. Dezember 2001, dem Inter
nationalen Tag der Menschenrechte, die beiden o. g. Protestcamps
von Bulldozern niedergewalzt wurden. Grundlage dieser Aktion
war eine staatsanwaltliche Anordnung. Ausgeführt wurde sie
gemeinsam von der Land- und Immobilienbehörde (die für die
Verwaltung der sogenannten »Crown-Lands« zuständig ist) und
der Polizei von BC. Vorausgegangen waren richterliche Räumungsbescheide, gegen die sich die Indianer beharrlich zur Wehr
gesetzt hatten.
Ein weiterer Brennpunkt indianischen Widerstandes gegen Umweltzerstörung durch »Ski-Tourismus« ist das Gebiet der St'at'imc
Nation am Melvin Creek. Hier soll eines der letzten unberührten
Täler, ebenfalls traditionelles Stammesland, als ganzjähriges
Erholungsgebiet mit großem Ski-Zentrum »erschlossen« werden.
Betreiber des Projektes sind die ehemalige kanadische SkiRennläuferin Nancy Green Raine und ihr Mann. Bereits im August
2000 bewilligte die Provinzregierung von BC das Projekt. Ein
wesentlicher Faktor sowohl für Projektplanung als auch – bewilligung dürfte die Bewerbung der Provinzhauptstadt von BC,
Vancouver, für die olympischen Winterspiele im Jahr 2010 sein.
Man möchte dafür beste Bedingungen schaffen, auch wenn »ein
wenig Natur« dabei zerstört und Ureinwohnerrechte mit Füßen
getreten werden. Die Ablehnung der St'at'imc Indianer fand auch
hier seinen Ausdruck in der Einrichtung eines ständig bewohnten
Protestcamps.
Weil sie dieses fortgesetzte Unrecht nicht hinnehmen und auf ihr
angestammtes Landrecht nicht verzichten wollen, haben sich die
Indianer der Interior Alliance an die internationale Öffentlichkeit
gewandt und um Unterstützung gebeten.
Chief Arthur Manuel, Vorsitzender der Stammesvertretung der
Shuswap Nation und Vorsitzender der Interior Alliance, war in
jüngster Zeit bereits mehrfach in Europa – u. a. gemeinsam mit
36
Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada
Chief Arthur Manuel auf einer Protestveranstaltung
Chief Garry John von der St'at'imc Nation im März 2001 auf der
Internationalen Tourismusbörse (ITB) – um durch Vorträge und
Gespräche mit Politikern, Pressevertretern und Unterstützergruppen
einer breiten Öffentlichkeit die Probleme der Indianer der Interior
Alliance nahezubringen und Unterstützung für die Durchsetzung
ihrer Rechte gegenüber der kanadischen Regierung zu erhalten.
Während seines ersten Berlinaufenthaltes im Herbst 2000 konnte
Arthur Manuel z. B. vor dem Tourismusausschuss des Deutschen
Bundestages sein Anliegen vortragen. Im Ergebnis dessen richtete
dieser im Januar 2001 einen Brief an den kanadischen Premierminister mit der Bitte, Gespräche mit den Nationen der Interior
Alliance aufzunehmen.
Im Vorfeld der ITB 2001 in Berlin wurde auf einer Konferenz deutscher und europäischer Unterstützer mit Arthur Manuel und Garry
John beschlossen, Tourismus-Unternehmen, welche Reisen nach BC
anbieten, über diese unakzeptable Situation zu informieren und sie
aufzufordern, Anfragen an die entsprechenden kanadischen
Behörden zu richten, ob bzw. wie die Landrechte der kanadischen
Indianer bei der Erweiterung der touristischen Angebote berücksichtigt werden. Die Aktion wurde in großem Umfang von verschiedenen Unterstützergruppen begonnen und soll weitergeführt werden.
So soll verstärkt auf den »Globalen Ethikkodex für den Tourismus«
37
Ureinwohner-Landrechte und Ski-Tourismus in Kanada
Hinweisschild zum Protestcamp
der St’at’imc
hingewiesen werden, der 1999 von
der Welttourismusorganisation
während ihrer Generalversammlung
in Santiago/Chile verabschiedet
wurde. Darin heißt es u.a.: »… 2. im
Rahmen touristischer Aktivitäten
sollten die … Menschenrechte und
insbesondere die individuellen
Rechte der sensibelsten Gruppen,
vor allem der … ethnischen
Minderheiten und indigenen Völker
gefördert werden …«
Im Fall des »Aboriginal Title« in BC steht dieser »Grundsatz« bisher leider nur auf dem Papier. Daher unterstützen wir den Kampf
der Indianer British Columbias durch Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit und im Rahmen unserer bescheidenen Möglichkeiten auch mit
kleinen finanziellen Spenden, wie zum Beispiel die Produktion
einer farbig illustrierten zweisprachigen Broschüre, die den
Zusammenhang »Aboriginal Title« – Traditionelles Wissen der
Indigenen – Schutz der noch intakten Natur vor Zerstörung im
Interesse eines ungebremsten Massentourimus – sehr anschaulich
und komplex darstellt.
Wir als Verein fordern ganz konkret (und haben dies auch in Briefen an entsprechende Stellen der Provinz BC – u . a. an den Generalstaatsanwalt von BC, Geoff Plant – deutlich gemacht):
· Anerkennung und praktische Umsetzung des »Aboriginal Titles«
durch die kanadischen Regierungsbehörden auf Landes- und
Provinzebene,
· Einbeziehung der Indianer in die Entscheidungsprozesse zur
Verpachtung und Vergabe von Land,
· Beteiligung der Indianer an den Erträgen aus der Landnutzung
durch nichtindianische Nutzer.
38
Nuclear Power is back
Nuclear Power is back
Die Atomkraft kehrt mit Macht zurück. Der 11. September 2001
hat vieles verändert. So auch die Möglichkeiten der Atomindustrie,
sich wieder stärker in den Vordergrund zu drängen. Unter dem
Deckmantel der »Energie-Unabhängigkeit« wird die Uranindustrie
in den USA aggressiv von der Bush-Administration wieder ins
Spiel gebracht.
Von dieser neuen Politik sind vor allem die Indianer am stärksten
betroffen. So sollen z. B. mit Regierungsgeldern die Bemühungen
privater Unternehmen auf der Navajo-Reservation unterstützt werden, die dort seit einigen Jahren bereits neue Möglichkeiten der
Förderung von Uran untersuchen. Bisher konnten sich die betroffenen Indianer einigermaßen erfolgreich gegen diese Pläne zur Wehr
setzen.
Doch unter den Eindrücken der Katastrophe vom 11. September
schwinden die Aussichten rapide. Bush will zum Bau neuer Atomkraftwerke umfangreiche Subventionen zur Verfügung stellen, um
»Amerikas zukünftige Energien zu sichern«.
Uranmine in Arizona
39
Nuclear Power is back
In aller Heimlichkeit bastelte Vizepräsident Dick Chaney an einem
neuen Energie-Gesetz, wobei die multinationalen Energiekonzerne
die Feder führten. Wegen der Heimlichkeit und der Eile, mit der
diese Vorschrift erarbeitet wurde, hagelt es Kritik von allen Seiten.
Doch Bush stört sich daran wenig.
Vor allem Umweltschutzgruppen sehen mit diesem Gesetz das
Ende für eine saubere und sichere Technologie gekommen. In der
momentanen Stimmungslage in den USA wird es in Zukunft fast
aussichtslos, der Bevölkerung die bekannten Gefahren für die
Umwelt und die Gesundheit der Menschen durch Uranenergie nahe
zu bringen.
Die Kernenergie ist das Produkt der Atombombe. In den 50er Jahren wurde sie als das Allheilmittel für eine friedliche Energienutzung verkauft. Abgesehen von einigen Insidern gab es zu der
damaligen Zeit nur sehr wenig Wissen über die Gefahr, die durch
Atomstrahlen ausgeht. Deshalb wundert es auch nicht, dass der
Öffentlichkeit nicht die volle Wahrheit über die Kontamination
unterbreitet wurde. Heute leiden viele Menschen unter diesen
Auswirkungen, denen hauptsächlich die Arbeiter in den Uranminen
jahrzehntelang schutzlos ausgesetzt waren.
Vor allem die Navajo-Indianer waren in der Vergangenheit unter
diesen Opfern, und sie werden es zukünftig wieder sein. Mit Subventionen aus Washington in Höhe von ca. $ 30 Millionen will die
Firma Hydro Resourcen Inc. nördlich von Gallup vier Uranminen
eröffnen. Auch die Zustimmung der Atomregulierungsbehörde liegt
bereits vor. Sollte dieses Projekt in die Tat umgesetzt werden,
bedeutet dies für rund 15.000 Navajo eine akute gesundheitliche
Bedrohung durch die Verseuchung des Grundwassers. Mitarbeiter
der Gesundheitsbehörde in Crownpoint und anderen Navajo-Gemeinden weisen immer wieder auf die drohenden Gefahren der
Kontamination des Trinkwassers hin. Durch die früheren Aktivitäten der Uranindustrie in diesem Gebiet hat das Grundwasser in
Crownpoint schon jetzt den von der Weltgesundheitsorganisation (
WHO ) als unbedenklich bezeichneten Wert um das 200 fache überschritten!
40
Nuclear Power is back
Wenig wurde in der Vergangenheit auf der Navajo-Reservation
getan, um die Erdoberfläche von dem Uranstaub der über 1.000
Minen zu reinigen. Kinder spielen nach wie vor auf dem verseuchten Boden und Häuser wurden aus den Abfällen des Uranabbaus
gebaut. Damit sind die gefährlichen Rückstände Radium, Arsen,
Selen und andere giftige Substanzen Bestandteil des täglichen
Lebens für viele Reservationsbewohner im Südwesten der USA.
Aber auch in anderen Regionen der Vereinigten Staaten sind die
Ureinwohner die unmittelbar Betroffenen der Uranindustrie. So
werden im Bundesstaat Washington auf der Yakima- und der
Spokane-Indianer Reservation im »Hanford-Atom-Schutzgebiet«
Experimente mit Radioaktivität durchgeführt und atomwaffenfähiges Plutonium hergestellt. Dabei haben die radioaktiven Isotopen,
welche zur Wasserkühlung für die Brennstäbe benutzt werden, die
Fische im Columbia River vergiftet. Die Fische sind die Hauptnahrungsquelle der dort lebenden Indianer.
Neben der Frage, wie man mit dem Abbau und der Verwendung
des Urans umgeht, stellt sich auch die Frage nach der Entsorgung.
Was passiert mit dem Abfall, der noch mindestens 100.000 Jahre
verseucht bleibt und damit eine Gefährdung darstellt?
Einfahrt zu einer Uranmine bei Church Rock/New Mexico
41
Nuclear Power is back
Die Bush-Regierung und die Industrie möchten es tief in der Erde
in Endlager vergraben. Es ist jedoch allseits bekannt, dass diese
Entsorgung mit vielen Risiken behaftet ist. Aus diesem Grunde
musste Präsident Nixon seine Pläne vom Bau von mehr als 1000
Atomkraftwerken wieder aufgeben.
Trotzdem wurde in den letzten Jahren intensiv nach einem Standort
für ein atomares Endlager gesucht. Insgesamt investierten die USA
dafür fast $ 6 Milliarden. Letztendlich entschied man sich für eine
unterirdische Lagerung in den Yucca Mountains im Bundesstaat
Nevada. Obwohl in den letzten beiden Jahrzehnten hier weit über
600 Erdbeben mit mindestens der Stärke 3 auf der Richterskala
gemessen wurden, entschied Präsident Bush am 15. Februar 2002,
das Endlager für hochradioaktiven Abfall in den Yucca Mountains
zu bauen. Immer wieder musste die Entscheidung hinausgeschoben
werden, da sich das Energieministerium mit stets neuen Problemen
auseinandersetzen musste.
Es ist geplant, das Lager ab 2010 in Betrieb zu nehmen. Dann werden hier rund 77.000 Tonnen radioaktiver Müll gelagert! Dass sich
diese Zeitbombe auf dem Territorium der Western Shoshone befindet, rundet das Bild ab: Egal in welcher Form, die Ureinwohner
Nordamerikas sind die Leidtragenden dieser Energiepolitik.
42
Vom Mythos zur Moderne
Vom Mythos zur Moderne
Eine Ausstellung über nordamerikanische Indianer
im Ethnologischen Museum Berlin
Das Ethnologische Museum Berlin (früher Museum für Völkerkunde) besitzt mit etwa 25.000 Objekten eine der größten
Sammlungen von Kulturgütern nordamerikanischer Indianer in Europa. Teile dieser Sammlung konnten nach dem Zweiten Weltkrieg
immer nur kurzfristig in Sonderausstellungen gezeigt werden, denn
erst im November 1999 war es möglich, eine über mehrere Jahre
stehende Dauerausstellung einzurichten.
Indianische Objekte aus Nordamerika befinden sich seit etwa 200
Jahren in Berlin. Die ältesten Stücke sind leider nicht datiert oder
mit dem Namen eines Sammlers versehen, so dass ihre Herkunft
und ihr Alter ungewiss sind. Die frühesten dokumentierten Stücke
entstanden vor 1778 und stammen von den Nuu-chah-nulth (Nootka) von der Insel Vancouver. Sie wurden 1819 in London zusam-
Adlermaske der Nuu-Chah-Nulth
43
Vom Mythos zur Moderne
men mit Südsee-Objekten aus dem Nachlass von James Cook für
die Königlich Preußische Kunstkammer erworben. Durch die
Weltumsegelungen preußischer Handelsschiffe und den Ankauf
von Teilsammlungen früher Nordamerika-Reisender wie Prinz
Maximilian zu Wied oder Herzog Paul von Württemberg vermehrten sich die Berliner Bestände langsam aber stetig. Mit der 1881
bis 1883 durchgeführten Sammelreise des Norwegers Adrian Jacobsen im Auftrag des neu gegründeten »Königlichen Museums
für Völkerkunde« stieg die Zahl der Objekte jedoch sprunghaft an:
Jacobsen brachte von der Nordwestküste etwa 3000, aus Alaska
etwa 4000 Objekte nach Berlin. Enthielt die Sammlung zuvor
hauptsächlich repräsentative Stücke wie Bisonroben, Kopfschmuck
oder Waffen, so war sie jetzt viel mehr an der Alltagskultur orientiert, zu der beispielsweise Angelhaken, Fischnetze und einfache
Haushaltsgeräte gehörten. Aber auch das zeremonielle Leben
wurde durch Masken, Tanzrasseln und rituelle Kleidung dokumentiert. Der Bezugspunkt für diese Sammeltätigkeit war stets die »traditionelle«, von europäischen Einflüssen möglichst unberührte
Indianerkultur des frühen 19. Jahrhunderts.
Weitere Sammelreisen dieser Art fanden danach in Nordamerika
nicht mehr statt. Jetzt kaufte Berlin kleinere und größere Sammlungen von amerikanischen Forschern und Händlern, oder tauschte mit
den großen amerikanischen Museen in Washington, New York und
Chicago. Zwischen den beiden Weltkriegen nahm diese Sammeltätigkeit wegen Geldmangels stark ab, und nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte man, durch Ankäufe die Kriegsverluste wenigstens
teilweise auszugleichen.
Reisen zu den Reservationen der Plains-Indianer und in den Südwesten bestärkten in den 60er und 70er Jahren die Erkenntnis, dass
auch Objekte der Indianer des 20. Jahrhunderts sammelnswert
sind. Die Veränderungen in der Herstellung von traditionellem
Kunsthandwerk konnten beispielsweise durch den Erwerb von
neueren Kachina-Figuren der Hopi dokumentiert werden. Auch die
Malerei als neues Medium für die Darstellung von traditioneller
Kultur wurde bei der Sammeltätigkeit stärker berücksichtigt. Ab
44
Vom Mythos zur Moderne
1989 konnte modeme indianische Kunst gezielt angekauft werden,
doch mangelnde finanzielle Mittel führten bisher nur zu einer kleinen Sammlung, die in Zukunft weiter ausgebaut werden müsste.
Angesichts der Fülle von Objekten aus dem 19. Jahrhundert sind
die Sammlungen von indianischer Kunst und Kultur des 20. Jahrhunderts jedoch so gering, dass sie in der Ausstellung nur eine
untergeordnete Rolle einnehmen. Deshalb muss das gegenwärtige
Leben auf den Reservationen überwiegend durch Bilder und Texte
vermittelt werden.
Da eine Sammlung, die wie ein Archiv aufgebaut ist, noch keine
Ausstellung darstellt, bedurfte es einiger Kompromisse, bis die jetzige Form der Präsentation gefunden war. Wie meistens beim
Gestalten einer Ausstellung kollidiert der ästhetische Anspruch,
möglichst viele der bisher im Magazin verborgenen »Schätze« ans
Licht der Öffentlichkeit zu bringen, mit dem didaktischen Anspruch, dem Publikum möglichst viele Informationen über Kultur
und Geschichte der Indianer zu vermitteln. Hinzu kam in diesem
Kachina-Figuren der Hopi
45
Vom Mythos zur Moderne
Falle noch der Anspruch, den Besuchern die durch Karl May und
Hollywood geprägten Indianerklischees bewusst zu machen.
Heraus kam eine Ausstellung, die sicherlich vielen Besuchern etwas
zu bieten hat, die es allerdings nicht allen recht machen kann. So
konnten aus Platzgründen nicht alle zehn Kulturareale Nordamerikas berücksichtigt werden. Liebhaber der Kulturen des östlichen Waldlandes, der Subarktis und des Gebietes der Rocky Mountains werden »ihre« Indianer vermissen. Dafür kann der unvoreingenommene Besucher eine Galerie von Bisonroben, eine Versammlung von Kachina-Figuren, meisterhafte Körbe aus Kalifornien, eine Vielzahl von Masken der Nordwestküste oder Schnitzereien aus der Arktis bewundern, wie er sie in einem europäischen
Museum bisher noch nie gesehen hat.
In einem einführenden Teil wird der Besucher mit einer Reihe von
Produkten konfrontiert, die sich der gängigen Indianerklischees auf
der kommerziellen Ebene bedienen. Vom Kinderspielzeug bis zur
Esoterik-Welle wird ein eindimensionales, meist auf Plains-Elemente reduziertes Indianerbild vermittelt, dem im weiteren Verlauf
der Ausstellung die Vielfalt der unterschiedlichen Indianerkulturen
entgegengehalten wird.
Der historische und gegenwartsbezogene Teil soll nicht wie ein
Lehrbuch wirken, sondern aus der möglichen Fülle von Themen
die wichtigsten aufgreifen, von der Frage der heutigen indianischen Identität bis hin zum Alkoholproblem. Als Überleitung zum
regionalen Teil der Ausstellung werden zunächst einige besondere
prähistorische Fundstücke präsentiert und danach eine Auswahl
von Objekten aus verschiedenen Regionen gezeigt, die bei uns als
»typisch indianisch« gelten: Friedenspfeifen, Mokkasins, Tomahawks, Medizin und Medizinbeutel.
An dieser Stelle wird in der Ausstellung darauf hingewiesen, dass
sich die Verantwortlichen bemüht haben, religiöse Gefühle von
Indianern nicht zu verletzen. Doch die Betroffenen selbst erschweren es manchmal, zu eindeutigen Erkenntnissen zu gelangen.
Während ein Teil der Irokesen der Meinung ist, Falschgesichtmasken seien ausschließlich religiöse Objekte und dürfen keinesfalls
46
Vom Mythos zur Moderne
öffentlich gezeigt werden, leben zahlreiche Irokesenfamilien von
der Herstellung und Vermarktung dieser Masken, die man in Souvenirshops ungehindert kaufen kann. Da die ausgestellten Masken
für Touristen oder Sammler hergestellt wurden, werden sie in der
Ausstellung gezeigt, während Masken von Kachina-Tänzern der
Hopi, die in keinem Fall kommerziell genutzt werden dürfen, nicht
ausgestellt sind. Da wir außerdem transparent machen wollten, wie
indianische Objekte nach Berlin gelangt sind, haben wir beispielhaft einige der Reisenden und Sammler vorgestellt. Eine ausführliche Geschichte der Berliner Nordamerika-Sammlung ist in dem
zur Ausstellung erschienenen Begleitbuch enthalten, verfasst von
Peter Bolz und Hans-Ulrich Sanner.
Bei der Präsentation der einzelnen Kulturareale ging es einmal
darum, die besondere Qualität und das hohe Alter der Berliner
Nordamerika-Sammlung hervorzuheben, andererseits sollten die für
die Region typischen Materialien in den Mittelpunkt gerückt werden. Im Gebiet der Prärien und Plains sind dies die alten
Lakota-Tipis aus Bisonleder mit Pfeifenmotiv. Im Hintergrund
Bisonroben aus der Sammlung des Prinzen zu Wied.
47
Vom Mythos zur Moderne
Sammlungen von Prinz zu Wied, Herzog Paul und Friedrich
Köhler, und als typisches Material überwiegen in diesem Bereich
die Bisonroben, das bemalte Ledertipi und die prächtig verzierte
Lederkleidung. Beim Südwesten stehen die Kachina-Figuren der
Hopi im Mittelpunkt, typische Materialien sind die Keramik der
Pueblo-Indianer und die gewebten Teppiche der Navajo. In Kalifornien liegt der Schwerpunkt auf der intensiven Sammelwirtschaft
und der damit verbundenen Korbflechtkunst. An der Nordwestküste
dominiert die Holzschnitzkunst, die in den ausdrucksstarken Masken ihren Höhepunkt findet. In der Arktis stehen die Überlebenstechniken im Mittelpunkt, die nicht nur in Fell- und Darmhautkleidung, sondern selbst in so simplen Objekten wie einem Paar
Handschuhen mit Doppeldaumen ihren Niederschlag finden.
Besondere Beachtung erfahren die aus Holz oder Walrosselfenbein
geschnitzten Behälter, Werkzeuge und Figuren, die alle über ihre
Gebrauchsfunktion hinaus kleine Meisterwerke darstellen.
Das Thema modeme indianische Kunst beschließt die Ausstellung.
Für die Indianer bildet diese Kunst nicht nur eine Brücke zwischen
Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch eine Verbindung zur
Welt des weißen Amerika, in der sie Erfolg haben können, ohne
ihre ethnische Identität aufgeben zu müssen.
Eine Ausstellung zum Thema »Indianer Nordamerikas« kann so
gestaltet sein wie die in Berlin, sie kann aber auch ganz anders aussehen. Vor allem darf sie nicht wie ein an die Wand gehängtes
Lehrbuch wirken, sondern soll durch die ausgestellten Objekte ihre
Lebendigkeit entfalten. Für die Auswahl der Objekte gibt es jedoch
keine objektiven Kriterien, so dass sie zum großen Teil von den
persönlichen Vorlieben der Bearbeiter abhängt. Diese sind keinem
vorgegebenen Schema gefolgt, sondern haben die Themen, die
ihnen besonders am Herzen lagen, in die Ausstellung eingebracht.
Die Ausstellung ist somit in bestimmten Bereichen bewusst subjektiv gestaltet und kann trotz ihres Umfangs aus der Fülle an
Möglichkeiten, die das Thema »Indianer Nordamerikas« zu bieten
hat, lediglich eine begrenzte Auswahl zeigen.
48
Reisen in das Indianerland?
Reisen in das Indianerland?
Gedanken am Beispiel der Navajo-Indianer
Viele Menschen in europäischen Ländern interessieren sich für die
indigenen Völker Nord- und Südamerikas und anderer Kontinente.
Aber was bringt es uns, wenn wir z.B. nach Kanada oder in die
USA reisen, um Indianer in Reservaten kennenzulernen? Und was
können wir den indigenen Völkern geben?
Als Reiseveranstalterin und aktives Mitglied im »Verein zur Unterstützung Nordamerikanischer Indianer« kann ich nach etlichen
Jahren auf viele Reisen in das Indianerland zurückblicken und ein
Fazit ziehen: Kein Zweifel, es ist außerordentlich wertvoll, daß wir
diese Kontakte pflegen und dorthin reisen. Nur durch meinen
intensiven persönlichen Kontakt zu Navajo-Familien am Navajo
Mountain und im Monument Valley, den ich über viele Jahre
gepflegt habe und weiter pflege, kann ich kleine Gruppen dorthin
geleiten. Durch das gegenseitige Vertrauen ist eine Basis geschaffen worden, die geprägt ist von freundschaftlichem Umgang, Aufnahme in der Familie und gegenseitiger Achtung.
Der Schulbus am Navajo Mountain in Arizona
49
Reisen in das Indianerland?
Durch diesen vertrauten Umgang kommen intensive Gespräche
zustande, die sich auf viele Lebensbereiche erstrecken. So können
wir viel von unseren indianischen Freunden über den Umgang mit
der Natur und ihre Religion und Spiritualität lernen, auf der anderen Seite kommen viele Fragen zu unserer europäischen Kultur
und Religion auf. Hier beginnt ein tieferer Prozeß des Austausches,
Kennenlernens und Vertrauens. Unsere Navajo-Familie ist sehr
interessiert an unserer Kultur, was zu Diskussionen über ein breites
Spektrum von Bereichen führt.
Ein weiterer Gesichtspunkt einer Reise zu den indigenen Völkern
ist die finanzielle Seite. Große Reisegesellschaften bewegen sich
mit Bussen durch die Reservate, was natürlich nur zu einem sehr
oberflächlichen »Kennenlernen« führt, wenn man davon überhaupt
sprechen kann. In meinen Augen hat dies nichts mit Natur- oder
Begegnungsreisen zu tun! Dazu kommt, daß nur ein Bruchteil der
Reisekosten den Indianern zu gute kommt. Auf der einen Seite
werden die Indianer für wenig Geld »vorgeführt«, auf der anderen
bekommt der Tourist keinen Eindruck von dem wahren Leben
eines Indianers mit.
Wir sind ein kleiner Reiseveranstalter, der einen ganz anderen
Tourismus pflegt, andere Akzente setzt und den Indianern unmittelbar ihre Arbeit und ihren Aufwand vergütet. Nur so kann es
richtig sein. Wer denkt, Indianer denken nicht an Geld, der irrt!
Indianer, die Jahrhunderte lang unterdrückt, enteignet, in Reservate
verbannt worden sind, wollen von Touristen ernstgenommen und
angemessen bezahlt werden. Nur dies kann der richtige Weg sein:
Weg vom Massentourismus und hin zu kleinen Expeditionen in das
Land der Indianer, wo der Reisende nicht mehr als Tourist angesehen wird, sondern als Gast! Unsere Navajo-Familie wird für die
50
Reisen in das Indianerland?
Zeit unseres Aufenthaltes und für alle Aktionen, die wir unter
Leitung unseres Freundes unternehmen, ordentlich bezahlt. Mit
dem verdienten Geld wird die Schulausbildung der Kinder bezahlt
sowie Familienangehörige unterstützt.
Es ist ein schönes Gefühl als Gast zu kommen und als Freund zu
gehen!
Astrid Bender, 7Meilen Erlebnisreisen
www.7meilen.de
Im Folgenden berichten zwei Reiseteilnehmer von ihren Erfahrungen mit individuellen Reisen ins Indianerland zu den Navajo
bzw. Lakota.
Astrid Bender mit Navajokindern vor einem Hausneubau
51
Reisen in das Indianerland?
Die spirituelle und traditionelle Welt
der Navajo-Indianer
Nach der Ankunft in Las Vegas mit all seiner Dekadenz und Irrationalität waren die 14 Tage danach ein beeindruckender und wohltuender Gegensatz. Wir sind mit Zwischenstop am Grand Canyon,
einem unglaublich beeindruckenden Naturerlebnis, zu Leo und Sara
gefahren, die inmitten des weiten Reservates der Navajo am Fuße
des heiligen Navajo Mountain leben. Sie wohnen dort mit ihrem
noch zu Hause lebenden Sohn Ryan in einem Holzhaus auf einem
Hügel in der weiten Hochebene.
Wir wurden sehr herzlich empfangen! Wir konnten im Haus Bad,
Küche und Wohnzimmer mitbenutzen, und dort bekamen wir auch
jeden Tag unser Essen. Viel wurde geredet, und wir lernten im täglichen Zusammensein eine Menge über die Navajokultur, -philosophie und -spiritualität. Ich war tief davon berührt, mit welcher
Offenheit, Liebe und Vertrauen die Familie uns begegnet ist.
Wir fünf Frauen haben ca. 10 min weiter weg in einem Hogan,
einem igluartigen Lehm- und Holzgebilde ohne Fenster und mit
der Tür nach Osten gewohnt. Mit unseren Schlafsäcken und Isomatten haben wir uns auf dem Sandboden eingerichtet. Ein Ofen in
der Mitte für die kühlen Nächte sorgte für wohlige Wärme. Wir
lebten die ganze Zeit aus dem Rucksack heraus. Der Hogan war
uns von Buck Navajo, dem Schamanen, zur Verfügung gestellt
worden. Er ist ein 77-jähriger alter Mann mit viel Humor und
medizinischen Fähigkeiten, einer der wenigen, die noch über das
alte Heilwissen verfügen. Mit Buck trafen wir uns im Hogan. Er
stellte uns Fragen und wollte wissen, wie wir leben und woran wir
glauben. Wir haben gemerkt, trotzdem wir aus so unterschiedlichen Lebenswelten kommen, dass sich unsere Glaubenseinstellungen, Werte und Hoffnungen doch sehr ähneln. Wir haben
uns einander sehr nahe gefühlt. Zum Schluß hat uns Buck den
Segen für Reisende gesungen: »Walk in Beauty« (»Möge uns das
Gute überall begleiten!«)
52
Reisen in das Indianerland?
Gleich am zweiten Tag brachen wir zu einer zweistündigen Wanderung mit Trekking-Gepäck auf. Leo führte uns in einen Canyon
hinein und dort zu einer Quelle und einem heiligen Platz, wo wir
eine Schwitzhüttenzeremonie durchgeführt haben. Unter Leos
Anleitung bereiteten wir alles vor: Den Boden säubern (wegen
eventueller Kakteenstacheln usw.), Steine und Holz sammeln für
das Feuer und die Schwitzhütte vorbereiten. Wir gaben uns andächtig der Zeremonie hin, die aus mehreren Schwitzrunden bestand, um alle bösen Kräfte herauszuwaschen und Platz für die
guten zu schaffen. Es war sehr berührend, an Leos Gebeten und
Gesängen teilzunehmen und angeleitet zu werden, uns, unsere
Freunde und Familie, die Nachbarschaft und unser Land, sowie die
Erde in vier Schwitzrunden zu segnen. Danach fühlten wir uns sauber und klar!.
Unsere Gastgeber Sara
(großes Foto beim
Frybread-Backen) und ihr
Mann Leo Manheimer
53
Reisen in das Indianerland?
Die Nacht haben wir unten an der Quelle verbracht, mit Zelt und
Lagerfeuer und einem fantastischen Sternenhimmel über uns. Ab
und zu heulte ein Coyote oder schrie ein Käuzchen. Ich hab mich
noch nie so sicher und geborgen nachts in der freien Natur gefühlt.
Diese Zeremonie hat uns auf das, was dann noch kommen sollte,
vorbereitet: Klettertouren auf den orangeroten Felsen und Mesas
(Tafelberge) zu den Ruinen der Anasazi-Indianer, aufregende Jeepfahrten über Stock und Stein mit Abgrund rechts und atemberaubend steiler Felsenwand links (Originalton Leo: »If that rock up
there moves, let me know, I´ll drive faster,« also: »Wenn dieser
Stein da oben sich bewegt, sagt es mir, dann fahre ich schneller!«).
Wir haben mit selbstgestochenem Lehm unsere eigenen kleinen
Gefäße nach altem Vorbild hergestellt. Dann Frühstück und FryBread-Orgien in Saras Küche. Wir lernten Saras Mutter Rose kennen, die mit ihren gebräunten und geschickten Händen selbst die
Schafe schert und wundervolle »Wedding baskets" aus Sumac-Ästchen herstellt. Barbecue mit der Familie im Sonnenuntergang am
Lake Powell, Aufstieg zum »Newspaperrock« im Morgengrauen
auf den Spuren der Anasazi-Indianer, immer in Begleitung von
»Kokopelli« dem Flötenspieler, dem Zauberer, dem Fruchtbarkeitsgott. Führung von Leo zum »Hawkeye Arch«, einer Felsenbrücke, die eine Quelle birgt, ein heiliger Platz der Navajo. Dort
wächst auch eine besondere Heilpflanze. Leo vor Ort: »So you´ve
never heard the sound of silence? It´s a good sound, right?« (»Ihr
habt noch nie den Ton der Stille gehört? Hört sich gut an, oder?«).
Unser nächster Höhepunkt auf dieser Reise war ein sandstürmischer Ausritt im Monument Valley in der mattgoldenen, windgebeutelten Abendsonne in die Tiefe des Valleys hinein. Mit uriger
Übernachtung wiederum in einem Hogan wurden wir von den
Navajo-Indianern mit Gitarrenspiel und Gesang am Lagerfeuer in
die Cowboy-Romantik versetzt. Mit einem »Wrangler«, der aussah, wie Charles Bronson und einer Kulisse wie in einem John
Wayne Film!
54
Reisen in das Indianerland?
Wir haben uns alle super verstanden, was ja auch wichtig war,
wenn man auf engstem Raum zusammenlebt. »On the road again«
untermalten wir unser Entlanggleiten auf den Highways durch die
rot-orangene Landschaft mit Trommeln vom Komanchen Pete
»Wyoming« Bender (da muss man erst in die USA fahren, um die
in Berlin aufgenommene CD zu hören). Wir kamen uns vor wie in
dem Film »Thelma and Louise«.
Als wir uns im Morgengrauen von Leo verabschiedeten (die
Jagdsaison hatte begonnen und er wollte mit Ryan los) bedankte er
sich, dass wir die Reise zu ihnen gemacht haben – trotz der widrigen politischen Weltlage und kommentierte: »Sometimes you just
can´t stop a good thing!« (»Manchmal kann man eben eine gute
Sache einfach nicht verhindern/aufhalten!«).
Katrin Vanden Branden/
Teilnehmerin der Reise im Oktober 2001
Der Besuch von Powwow’s (hier in Pine Ridge) gehört dazu
beim Urlaub im Indian Country
55
Reisen in das Indianerland?
Bei den Urenkeln von Crazy Horse
Ein Reisebericht über die Indian Summer-Tour
zu den Lakota in South Dakota
Die Schlacht am Little Big Horn, das Massaker am Wounded Knee,
die Black Hills, die heiligen Berge der Plains-Indianer, sagt Ihnen
das alles etwas? Milo Yello Hair, Oglala-Lakota von der Pine Ridge
Reservation veranstaltete auch im Jahr 2001 wieder eine Reise
durch das Land der Sioux.
Am 23. Juli starteten die Teilnehmerinnen und ein Teilnehmer im
Alter zwischen 36 und 50 Jahren in Rapid City mit dem Auto zu
einer dreiwöchigen Tour zu historischen Plätzen, Naturwundem
und zu den Urenkeln von Crazy Horse.
Die Reise bot zwar nicht sehr viel Komfort, dafür aber Nähe zur
Natur und Romantik am Lagerfeuer. Geschlafen wurde im Tipi
oder auf den Campingplatz, gelegentlich aber auch mal im Motel.
Es wurde selbst eingekauft und zumeist am offenen Feuer gekocht,
hin und wieder jedoch in Restaurants oder Saloons geluncht.
Die Badlands wurden ausgiebig durchstreift, in den Black Hills das
Mt. Rushmore Monument besichtigt, die Wind Cave Cavern, eine
Tropfsteinhöhle, begangen. Im Custer State Park konnten in freier
Wildbahn Bisons sowie viele Erdmännchen beobachtet werden.
56
Reisen in das Indianerland?
In der Pine Ridge Reservation zeigte Milo seinen Gästen »KILI
Radio«, 1983 von Mitgliedern des AIM gegründet, um die Reservatsbewohner unzensiert zu informieren. Es sendet in Englisch und
Lakota und ist eine wichtige Institution für die Bevölkerung der
Region. Ein »Muss« war auch der Besuch der Gedenkstätte von
Wounded Knee, dem Ort des Massakers von 1891, das das Ende
der letzten »freien Indianer« bedeutete und Ort des Widerstandes
gegen ihre Unterdrückung 1973.
Neben dem Pine Ridge Reservat lernten die Teilnehmer auch das
Rosebud, das Lower Brule und das Crow Creek Reservat kennen.
Ein geselliges Erlebnis war natürlich der Besuch eines Powwows.
Zum Entsetzen der Natives wollten einige Frauen der Gruppe im
nahen Missouri im Bikini baden. Pech gehabt, sie mußten ein TShirt überziehen.
Auch das gehört zur Lakota-Reise: Übernachten im Tipi
57
Reisen in das Indianerland?
In der letzten Woche war die Gruppe auf dem Weg nach Montana
über die Bighorn Mountains zum Crow Reservat. Das Schlachtfeld
am Little Big Horn River wurde besichtigt. Hier verlor 1876
General Custer mit seiner 7. Kavallerie die Schlacht gegen die
Sioux unter Crazy Horse und die mit ihnen verbündeten Cheyenne
und Arapahoe .
Auf dem Rückweg vom Crow Reservat wurde ein Abstecher zum
Bear Butte unternommen, einem heiligen Berg verschiedener indigener Völker. Auch heute werden dort noch religiöse Zeremonien
abgehalten.
In Deadwood, in den Black Hills, schaute die Gruppe noch interessiert im Casino und Restaurant von Kevin Costner vorbei. Hier
sind Requisiten aus dem Film »Der mit dem Wolf tanzt«, welcher
in South Dakota gedreht wurde, ausgestellt.
Am Montag traf man schließlich wieder in Rapid City ein. Für die
meisten Teilnehmer ging es am nächsten Tag zurück in die Heimat.
Folgende Reisetermine stehen für das Jahr 2003 bereits fest:
Navajo: 11. bis 26. April sowie 3. bis 18. Oktober 2003
Cree (Kanada): 22. August bis 6. September 2003
Informationen darüber erhaltet ihr von Astrid Bender
(Tel.: 030/81 49 90 78) bzw. unter www.7meilen.de
Lakota: 28. Juli bis 18. August 2003
Über die Indian Summer-Reise informiert euch Sybille Helfsgott
(Tel.: 030/791 26 23). Natürlich bekommt ihr auch auf unserer
Internetseite www.asnai.de aktuelle Infos zu den Reisen.
58
Unser Verein
Unser Verein
Mit unserer Arbeit wollen wir den traditionellen Gruppen bzw.
Organisationen der Indianer helfen, die oftmals von den USA und
Kanada nicht beachteten Menschenrechte und verfassungsmäßig
garantierten Rechte geltend zu machen. Dies schließt aber nicht
aus, das auch offizielle Stammesregierungen bei ihren Forderungen
von uns unterstützt werden. Grundlage der Arbeit des Vereins ist in
erster Linie, die Achtung und Anerkennung der indigenen Völker
Nordamerikas und ihren Anspruch auf Souveränität zu erreichen.
Unsere Gruppentreffen finden alle zwei Wochen Donnerstags um
19.00 Uhr in der »Alten Feuerwache«, 10969 Berlin-Kreuzberg,
Axel-Springer-Str. 40/41 (Nähe U-Bhf. Kochstraße), statt. Hier
bietet sich für Interessierte die Möglichkeit, sich mit dem Thema
»Indianer« vertraut zu machen und den Alltag unserer Arbeit einmal kennenzulernen.
Kontakt über:
Karl-Heinz Prestel
Senftenberg Ring 40g
13435 Berlin
Tel./Fax.: 030/416 57 92
Sybille Helfsgott
Menckenstraße 7
12169 Berlin
Tel./Fax.: 030/791 26 23
e-Mail: [email protected]
WWW: http://www.asnai.de
Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiger Bestandteil unseres Vereinslebens, sei es mit Infoständen (Foto links) oder auch mit unserer
Homepage www.asnai.de
59

Documentos relacionados