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1. S ie hingen wieder mal alle zusammen bei Jan in der Gartenlaube rum. Es war später Nachmittag und schon fast dunkel draußen. Außerdem war es ziemlich kalt. An der Fensterscheibe lief Schwitzwasser herunter. Klar, sie waren ja auch sieben Leute in dem kleinen Raum! Jedes Mal, wenn sich einer von ihnen bewegte, flackerte die Kerze, die in der leeren Bierflasche steckte. Aber sie bewegten sich sowieso nur, um den Kessel weiterzureichen. Jan hatte den CD-Player auf volle Lautstärke gedreht und die Repeat-Taste gedrückt. Immer wieder der gleiche Song. „Do you want to go to the seaside?“, sang Luke Pritchard von den Kooks: „I fell in love at the seaside.“ Brit Pop. Jan hörte nie etwas anderes. Jan war schon achtzehn, fast zwei Jahre älter als die anderen. Letztes Jahr war er zu ihnen in die Klasse gekommen. Charlotte hatte ihn vom ersten Moment an toll gefunden. Obwohl Jan zu Anfang so tat, als wären sie ihm alle völlig egal. Und obwohl Cora und Annika –– behaupteten, seine blond gefärbten Strubbelhaare würden einfach nur „peinlich“ aussehen. Aber Charlotte war sich ziemlich sicher, dass sie das nur sagten, weil sie ihn eigentlich auch toll fanden. Die ersten, mit denen Jan dann überhaupt ein Wort wechselte, waren Alex und Philip. Später kam noch Justus dazu. Sie erzählten immer davon, dass sie wieder bei Jan in der Gartenlaube gewesen waren. Nur was sie da eigentlich machten, darüber redeten sie nie. Als wäre es irgendein Geheimnis oder so. Dabei hatte Cora ziemlich schnell rausgekriegt, was es mit dieser Gartenlaube auf sich hatte. In solchen Sachen war Cora echt gut, und weil sie nichts für sich behalten konnte, wusste es einen Tag später dann so ungefähr die halbe Schule. Die Gartenlaube gehörte Jans Eltern. Aber sie benutzten sie nicht, weil sie in einem Bungalow wohnten, mit Swimmingpool und allem. Jans Eltern hatten offensichtlich jede Menge Schotter. Und sie lebten zwar eigentlich getrennt, aber immer noch im selben Haus – aus dem Jan dann mehr oder weniger rausgeflogen war, nachdem er die Zehnte –– nicht geschafft hatte. Angeblich hatten seine Eltern ihn erst in ein Internat stecken wollen, aber irgendwie hatte Jan einen Deal mit ihnen gemacht: dass er in der Gartenlaube wohnen durfte, wenn er dafür versuchen würde, die Schule zu schaffen. Jan bekam auch noch Geld von seinen Eltern, für Essen und Klamotten. Und er brauchte auch keine Miete zu zahlen. Nur sonst kümmerten sich seine Eltern nicht weiter um ihn. Außer dass sie ihm alle paar Wochen einen Brief schickten, in dem sie ihn daran erinnerten, dass dies seine letzte Chance wäre. Und dass er gar nichts mehr von ihnen kriegen würde, wenn er die Schule wieder nicht schafft. Allerdings wäre es wahrscheinlich besser, wenn sie wenigstens ab und zu mal nach ihm sehen würden, dachte Charlotte. Um einfach mit ihm zu reden oder so. Nein, wahrscheinlich war es besser, dass sie nicht guckten. Sonst würden sie garantiert gleich rückwärts wieder aus der Tür fallen. Aber es war schon cool, dass sie jetzt die Gartenlaube als Treffpunkt hatten. Vor allem weil Jan immer was zu rauchen da hatte. Und seit auch Charlotte und ihre Freundinnen vor –– einigen Wochen zu kiffen angefangen hatten, gehörten sie dazu. Genauso wie die Jungen. Und wenn Charlotte zu Hause sagte, dass sie sich nachmittags noch mal kurz mit ihren Freundinnen treffen würde, war das ja noch nicht mal gelogen! [ ] Jan fischte die Packung mit den extralangen Blättchen aus seinem Tabaksbeutel. Das Gras hatte er in einer Küchendose von seiner Oma, auf der „Gries“ stand. Jan fand sowas witzig. Philip riss einen schmalen Streifen von dem Pappeinband eines Donald-Duck-Heftes. Philip behauptete immer, es würde nichts Besseres als Filter geben. Jan baute einen Joint, der so dick war wie sein Mittelfinger. Jan hatte schöne Hände, fand Charlotte. Und seine langen Finger kurbelten die Tüte zusammen, als hätten sie nie etwas anderes getan. Der Silberring an Jans Daumen leuchtete im Kerzenlicht. Charlotte versuchte, den Joint zu kriegen, bevor er bei Alex landete. Alex sabberte – 10 – beim Ziehen immer so, dass das Mundstück hinterher nur noch eklig war. „He, immer schön der Reihe nach“, beschwerte sich Alex, aber Charlotte lehnte sich schon zurück und zog, dass die Glut rot aufglimmte. Zu Anfang hatte sie den Rauch immer gleich wieder ausgepustet. Jetzt schaffte sie es, ihn in der Lunge zu behalten, bis ihr leicht schwindlig wurde. Jan nahm ihr den Joint aus den Fingern. Für einen Moment waren seine Augen ganz dicht vor ihrem Gesicht. Irgendetwas stimmte mit diesen Augen nicht, das hatte Charlotte schon ein paar Mal gedacht. Aber sie hatte keine Ahnung, was sie störte. Und als Jan jetzt lächelte, war sowieso alles andere egal. So wie Jan konnte nur Jan lächeln, mit seinem viel zu großen Mund, der fast von einem Ohr bis zum anderen reichte. Jan griff neben sich und drehte die Lautstärke runter. „I found love at the seaside“, sang Philip die letzte Textzeile mit, obwohl die Musik kaum noch zu hören war. Seine Stimme lag mindestens drei Töne daneben. Cora kicherte albern. – 11 – Jan drehte sich wieder zu Charlotte. „Echt, du hast nächste Woche Geburtstag?“ Charlotte wusste nicht mehr, dass sie davon erzählt hatte. Sie nickte. „Mittwoch“, sagte sie. „Sechzehn.“ „Geil“, sagte Alex. „Und Donnerstag ist schulfrei! Das passt. Feierst du?“ „Klar“, nickte Charlotte. „Ich weiß nur noch nicht, wo …“ „Warum nicht hier?“, fragte Jan. „Ist doch gut, hier können wir machen, was wir wollen.“ „Echt?“, fragte Charlotte. „Klar“, nickte Jan. – 12 –