Erfahrungsbericht für St. Andrews, Schottland von Svenja Baumann
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Erfahrungsbericht für St. Andrews, Schottland von Svenja Baumann
Erfahrungsbericht für St. Andrews, Schottland von Svenja Baumann Inhalt: Die Stadt, die Universität ............................................................................................ 2 Das Studium ............................................................................................................... 3 Soziales Leben ........................................................................................................... 4 Wohnen ...................................................................................................................... 5 Dinge, die man wissen sollte ...................................................................................... 6 Nützliche Links ........................................................................................................... 7 Fazit............................................................................................................................ 8 ERASMUS Erfahrungsbericht – St. Andrews 2008/2009 – Svenja Baumann Die Stadt, die Universität St. Andrews wird von Einwohnern wie Besuchern meist in drei Worten beschrieben: „Town, Gown, and Golf.“ Die kleine Stadt ist wunderschön an der Ostküste Schottlands gelegen. Optisch scheint sich seit dem Mittelalter nicht viel verändert zu haben bis darauf, dass aus Schloss und Kathedrale Ruinen geworden sind. Die kleinen Natursteinhäuschen mit den bunten Türen erinnern vor allem im Winter stark an bekannte Harry Potter Szenarien. Landschaftlich sorgen Sandstrände und felsige Buchten auf der einen, sowie Felder, Gärten und Schlösser auf der anderen Seite für eine der schönsten Wohngegenden Schottlands. Einwohner hat St. Andrews dennoch nicht viele. Die Ansässigen leben von Auswärtigen, seien es Schüler, Studenten oder Golftouristen. Das Stadtbild kann sich demnach je nach Jahreszeit drastisch verändern: der touristische Sommer, in dem jedes Hotel auf einmal „Golf-Hotel“ und jedes Taxi ein „Golf-Taxi“ ist, hat mit dem Winter wenig gemein, in dem die Stadt ganz von Studenten und Traditionen der ältesten Universität Schottlands geprägt ist. In vorlesungsfreien Zeiten können die Straßen regelrecht aussterben, sodass man sich von seinen eigenen Schritten verfolgt fühlt. Bei besonderen Anlässen hingegen, zum Beispiel während des Dunhill Links Golfturnier, sollte man keine klaustrophobische Veranlagung haben und sich nicht wundern, wenn man von Sean Connery, Hugh Grant oder Michael Douglas nach dem Weg gefragt wird. Die Größe der Stadt und die Einwohnerzahl sollten also auf keinen Fall zu voreiligen Schlüssen führen. Ich habe selten einen so lebhaften und wandelbaren Ort erlebt. Wie die Stadt pendelt auch die Universität zwischen zwei Extremen. Gegründet wurde sie 1413 und ist damit auch die drittälteste der englischsprachigen Welt. Sie ist hoch angesehen und wird nicht weniger elitär gehandelt als „Oxbridge“. Die Germanistik zum Beispiel belegte in aktuellen UK Hochschulrankings [http://www.thecompleteuniversityguide.co.uk/] den zweiten Platz. Die Studiengebühren und Mieten können sich allerdings auch sehen lassen. Ein recht großer Teil der Studenten sind daher Vertreter der Britischen Oberschicht, die ihre Herkunft gerne noch durch Markenkleidung, teure Autos und Naserümpfen unterstreichen. Aufgrund ihrer Angewohnheit, an jeden Satz ein genäseltes „yaaaaaahhh?“ zu hängen, wird dieser Schlag mehr oder (eher) weniger liebevoll „the Yahs“ genannt. Als die Traditionalisten, die sie sind haben sie die knallroten University Gowns als ihr Markenzeichen auserkoren. Gebraucht sind diese schon für 40 Pfund zu haben, maßgeschneidert kosten sie aber Unsummen und sind ein regelrechtes Statussymbol. „Gut betucht“ kann in diesem Falle wörtlich genommen werden, denn wer die paar Meter zur Uni nicht mit seinem Porsche zurücklegt, trägt ganz gerne mal sein Gown spazieren. Das höchste der Gefühle war der elitäre „Kate Kennedy Club“, nur zugänglich für männliche Studenten mit einer bestimmten Herkunft und Finanzlage. Mittlerweile hat die Universität sich allerdings von diesem distanziert. Neben der langen und noch immer lebendigen Tradition handelt es sich nämlich trotz allem um eine sehr moderne Universität. Das zeigt sich nicht nur in der guten Ausstattung und der sinnvollen akademischen Nutzung von online Plattformen. Auch die Kursinhalte waren häufig von modernen und manchmal kontroversen Themen durchzogen, die teilweise auf Rückfragen und Diskussionen über die aktuelle Situation der Uni hinausliefen. Ein auf den ersten Blick amüsantes Beispiel ist, dass in einigen Formularen und Fragebögen neben „male“ und „female“ die Wahl „other“ eingeführt wurde und über gemischte bzw. „geschlechtslose“ Toiletten für die „inbetweeners“ diskutiert wird. Trotz des Festhaltens an Tradition und Geschichte habe ich Universität und Studenten keinesfalls als konservativ, sondern eher als sehr aufgeschlossen erlebt - vor allem in den künstlerischen Fächern manchmal geradezu extravagant. Ich erinnere mich zum Beispiel gern an meine Verwunderung, als meine Film Dozentin mitten im Kurs eine Pause einlegte, damit die ganze Gruppe an einem ZombieFlashmob in der Innenstadt teilnehmen konnte, wobei jedoch selbst 50 hinkende und ächzende Studenten nicht viel Aufmerksamkeit erregen konnten. Die Menschen sind dort einiges gewohnt. Durch den hohen Anteil an Studenten in der Bevölkerung und auch die Rolle der Universität für die Stadt, kann man sagen St Andrews steht und fällt mit der Universität. Gerade für die Studenten läuft fast alles über sie: Studium, Freizeit, Wohnen, Reisen, Arbeiten etc. Selbst bei medizinischen Problemen führt der erste Weg meist über das Health and Safety Centre der Students Union. Der Studentenausweis ist wie eine Eintrittskarte in ein nach außen abgeschlossenes ausgeklügeltes System, dass manchmal erschreckend gut durchorganisiert ist. Für einen Neuankömmling aus dem Ausland ist das natürlich vor allem am Anfang sehr angenehm. Beim Einschreiben zum Beispiel wird man wie eine Schafsherde durch die Younger Hall getrieben, von einer Station zur nächsten. Wenn man dann an der Hintertür wieder herauskommt, ist nach nur 15 Minuten und unzähligen Unterschriften alles organisiert, was organisiert werden musste und man hält nicht nur seinen frischen 2 ERASMUS Erfahrungsbericht – St. Andrews 2008/2009 – Svenja Baumann Studentenausweis, sondern auch sämtliche Informationen, Adressen und Pläne in der Hand. Ein hinund herlaufen zwischen verschiedenen Stellen, die sich nicht untereinander abzusprechen scheinen, muss man hier nicht fürchten. Für ältere Studenten, die es gewohnt sind auf eigenen Beinen zu stehen, kann dies allerdings auch umschlagen in das Gefühl kontrolliert und bevormundet zu werden. Die Kurswahl zum Beispiel wird doppelt und dreifach kontrolliert und muss immer mit einem Advisor abgesprochen werden, der dann das letzte Wort hat. Bei meinem Advising in Film Studies zum Beispiel wurde ich mit inhaltlichen Fragen überrascht und musste erst einmal unter Beweis stellen, dass ich für die Kurse geeignet bin. Auch im Privatbereich gab es ungewohnte Situationen. In den Wohnheimen wird zum Beispiel einmal im Monat die Sauberkeit kontrolliert, sowie Tag und Nacht überwacht, was vor sich geht. In meiner Umgebung wurden manchmal laute Partys zu früher Stunde abgebrochen, in anderen Wohnheimen werden teilweise die Ausweise von Besuchern einkassiert um sicherzustellen, dass sie vor elf wieder gehen. Auch erreichten mich regelmäßigen Briefe vom Health Centre, in denen mir Untersuchungen ans Herz gelegt wurden und zahlreiche E-Mails, die über Alkoholkonsum, Verhütung, Prokrastination und ähnliches aufklären wollten. Der Höhepunkt für mich war, als meine Weihnachtsbeleuchtung bei einer Kontrolle einkassiert wurde, da sie ein Brandrisiko darstellte. Zurück blieb nur ein Zettel, auf dem stand, dass ich sie mir vor den Sommerferien gerne im Büro wieder abholen könne. Solche Schulmethoden sind deutschen Studenten wohl eher unbekannt und haben mich eher amüsiert als verärgert. Das Studium Als ERASMUS Student kann man seine Fächer relativ frei wählen. Wenn man jedoch in einem Bereich studieren möchte, in dem man vorher noch nichts gemacht hat, wird man heruntergestuft und fängt dort mit den Erstsemestern neu an. Ich habe mich für Module in German und Film Studies entschieden. Da ich in der Bonner Germanistik einige Film Kurse belegt hatte, konnte ich in beiden Fächern auf dem Honours Level mit den Studenten im vierten Jahr anfangen. Beide Institute sind recht klein und vor allem in den höheren Jahrgängen schien die Zahl der Studenten vergleichbar mit einem einzigen Magister Hauptseminar in Bonn. Meine kleinste Kursgruppe umfasste vier Studenten, meine größte achtzehn. Vor allem in Film Studies ging es ausgesprochen familiär zu. Man saß zusammen an einem Tisch und diskutierte in einer recht freundschaftlichen Atmosphäre. Die Schwierigkeit lag hierbei zu Anfangs darin, dass ich als Austauschstudent in eine Gruppe hineingeworfen wurde, die aus gut befreundeten Studenten bestand. Nach vier Jahren zusammen scheuten sich diese nicht davor, sich gegenseitig zu unterbrechen, vom Thema abzuschweifen und auch private Insider in den Unterricht einzubringen. Dazu ging alles sehr schnell, oft redeten mehrere gleichzeitig und in verschiedenen Akzenten. Mit mehr Sprachpraxis und mehr Kontakt zu den Kommilitonen fiel es mir aber immer leichter, mich in der Gruppe zu behaupten. Gerade in diesen Kursen hat meiner Meinung nach häufig die Moderation durch den Kursleiter gefehlt. Das Abschweifen vom Thema hat zwar manchmal zu durchaus interessanten Diskussionen geführt, aber häufiger leider zu Privatgesprächen über Filme, Schauspieler oder die neuesten YouTube Videos, die mit der Kurslektüre und dem Thema nichts zu tun hatten. Das eigentlich angenehme persönliche Verhältnis zwischen Studenten und Dozenten war in diesen Momenten nicht sehr förderlich. Ansonsten empfand ich es jedoch als Bereicherung. Bei Fragen und Problemen waren die Dozenten über sämtliche Plattformen – von Büro bis Facebook – sehr gut zu erreichen und man hatte nie das Gefühl, zu stören. Auch von sich aus haben sie sich oft bei den Studenten erkundigt und ihre Hilfe angeboten. Da war es schon eher schade, dass die Kursarbeit (Essays wie Klausuren) grundsätzlich anonym eingereicht und bewertet wird. Man bekommt zwar im Nachhinein ein schriftliches Feedback, hat aber nicht die Möglichkeit einer fachlichen Vor-/ Nachbesprechung oder Hilfestellung. Die Qualität der Kurse nach meinen Ansprüchen empfand ich als abhängig vom Dozenten. Einige Kurse waren gut strukturiert und forderten viel, regten auch zum Weiterdenken an und motivierten mich zu wochenlanger Recherche, selbst bei einem kurzen 1500 Worte Essay. Andere wiederum boten lange Literaturlisten und viele Themen, aber keinen erkennbaren roten Faden. Bemerkbar machte sich dies vor allem am Ende des Semesters, wenn man sich für die Klausuren die Kursinhalten noch einmal rekonstruieren muss. Gelernt und gelesen habe ich unterm Strich jedenfalls sehr viel, obwohl ich insgesamt nur fünf Kurse belegt habe. Vor dem Ausdruck „Eliteuniversität“ sollte man sich nicht erschrecken. Trotz Sprachumstellung und ungewohnten Forderungen waren meine Noten im mittleren bis guten Bereich, wenn auch nicht herausragend. Um meinen Erasmus- 3 ERASMUS Erfahrungsbericht – St. Andrews 2008/2009 – Svenja Baumann Koordinator vor Ort frei zu zitieren: Man kann in St Andrews ganz okay sein, ohne sich viel Mühe zu geben. Wenn man allerdings gut sein will, erfordert das mehr als die meisten leisten können. Das Studienjahr setzt man sich aus 120 Credits zusammen. In den höheren Jahrgängen haben die Kurse generell 15 – 30 Credits, sodass man mit zwei bis drei Kursen im Semester voll ausgelastet ist. Der Arbeitsaufwand teilt sich auf in eine zweistündige oder zwei einstündige Seminarsitzungen, lange Literaturlisten, mehrere Essays und/oder Referate sowie eine Klausur am Ende des Semesters. Bei den Essays handelt es sich um Vergleichsweise kurze Arbeiten, meist 1500 bis 3000 Worte. Die Herausforderung besteht hierbei darin, in wenigen Worten und gut strukturiert sein Hintergrundwissen und analytische Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Die Arbeitsweise ist nicht mit der von Hausarbeiten zu vergleichen, da man mit weniger Zeit und Platz auskommen muss. Man hat weniger Freiheiten als in Hausarbeiten und kann nicht so tief in ein Thema abtauchen, was für mich bis zum Schluss ungewohnt geblieben ist. Man lernt dabei gutes Strukturieren und Argumentieren, was für die Klausuren von Vorteil ist. Diese sind zweistündig und verlangen die Bearbeitung von zwei Essayfragen. Die gesamte Kursarbeit findet innerhalb des Semesters statt. Die vorlesungsfreien Zeiten sind hingegen tatsächliche Ferien. Man kann sich also auf teilweise sehr stressige Phasen einstellen, die sich mit absoluter Freizeit abwechseln. Letztere bietet eine gute Gelegenheit, sich den wirklich Sehenswerten Rest Schottlands anzuschauen, oder das umfangreiche Freizeitangebot von St Andrews auszunutzen. Soziales Leben Die Universität bietet scheinbar unendliche Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Allein die Vorstellung aller Societies am Anfang des Semsters erstreckt sich über drei Etagen, die der Sportvereine nimmt ähnliche Ausmaße an. Ohne jegliche Vorkenntnisse kann man sich in fast allem erproben, was man sich vorstellen kann und auch für lang gepflegte Interessen findet man schnell Gleichgesinnte. Ich zum Beispiel habe mich der Breakaway Hillwalking Society angeschlossen und mit dem Bogenschießen angefangen, habe außerdem im Theaterstück der German Society mitgewirkt und phantastisches Essen und Wein bei der French Society genossen. Jeder der Sport Clubs und Societies fordert allerdings einen einmaligen Mitgliedspreis, der bei etwa fünf Pfund anfängt, aber auch mal zwanzig sein kann, wenn z.B. eine Ausrüstung erforderlich ist. Von daher sollte man nicht zu eilig zu vielen Gruppen beitreten, sondern ruhig abwarten, wie viel Zeit man letztendlich dafür aufbringen kann. An Veranstaltungen teilnehmen kann man bei den meisten auch als Nichtmitglied – man muss dann bloß ein paar Pfund mehr bezahlen als die Mitglieder. Zum Ausprobieren ist das jedoch eine gute Methode. Da sich die Britischen Universitäten gern gegenseitig mit Summen übertreffen, die sie an einen guten Zweck spenden, wird man auch im Laufe des Jahres vielen Aktionen dieser Art begegnen. Es gibt zum Beispiel ein jährliches Tramper Wettrennen quer durch Europa. Andere Gruppen durchqueren ganz Schottland im Kanu oder klettern auf den Kilimandscharo um Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln. Wer sich dafür interessiert, sollte sich auch über die STAAG Society informieren, die das ganze Jahr über solche Aktionen plant und ausführt. Das Sport Angebot beinhaltet ein Fitnessstudio und mehrere Hallen und große Felder, auf denen von A bis Z viele bekannte und weniger bekannte Sportarten angeboten werden. Auch da will die Wahl allerdings gut getroffen sein, da eine Grundgebühr für den Eintritt in die Athletic Union gefordert wird und einzelne Clubs oder der Fitnessstudio besuch dann noch einen Aufpreis kosten. Die Abendgestaltung in St Andrews ist zu Anfang für deutsche Verhältnisse sehr ungewohnt. Es gibt keine Clubs in der Stadt, dafür allerdings über 20 Pubs und die Students Union, wo die Getränke sehr günstig sind und regelmäßig verschiedene Studentenveranstaltungen stattfinden – inklusive der legendäre Bop, eine Party die meist unter einem bestimmten Motto läuft und für eine eher ungeschickte Musikwahl berüchtigt ist. Die meisten Pubs schließen spätestens um eins, die Union hat am Wochenende Lizenzen bis zwei Uhr. Daher muss man sich erst einmal daran gewöhnen, schon um acht oder neun Uhr auszugehen und nicht erst um elf. Die Briten haben sich wohl deswegen auch enorme Trinkgeschwindigkeiten angeeignet, die zu skurrilen Begegnungen im Laufe der Nacht führen können, zum Beispiel splitternackte Studenten, die sich Verfolgungsjagden mit der Polizei liefern. Der positive Effekt ist allerdings, dass zwischen eins und zwei alle Studenten den Heimweg antreten, sodass man selten allein laufen muss und es auf den Straßen grundsätzlich sehr friedlich zugeht. Je nachdem wo man wohnt, gehen die Feierlichkeiten dann meist noch in den Wohnheimen weiter bis in die Morgenstunden. Beachten muss man, dass in Schottland der Alkoholgenuss auf offener Straße 4 ERASMUS Erfahrungsbericht – St. Andrews 2008/2009 – Svenja Baumann untersagt ist und hohe Geldstrafen darauf angesetzt sind. Auch der Erwerb in Geschäften ist nach 22 Uhr nicht mehr erlaubt. Was ich am sozialen Leben in St Andrews interessant fand war das Phänomen, dass als „the Bubble“ bezeichnet wird. Da die Stadt recht klein und isoliert ist, lebt es sich wie in einer Seifenblase. Durch die hohe Anzahl an Studenten dauert es nicht lang, bis man fast jeden auf der Straße kennt. Schon an meinem zweiten Tag konnte ich auf den Straßen bekannte Gesichter antreffen und habe mich dadurch sofort heimisch gefühlt. Die Art der Studenten in St Andrews ist auch einzigartig. Durch die elitären Aufnahmebedingungen ist man fast nur von sogenannten „Geeks“ umgeben. Fast jeder Student ist in irgendeinem Gebiet – oder gleich in allen – unheimlich intelligent, interessiert und belesen. Auf jeder noch so wilden Party wird in irgendeiner Ecke über frühmittelalterliche Literatur, die Wirtschaftslage von Lampukistan oder die chinesische Philosophie im Jahre null diskutiert. Gleichzeitig steckt auf der Straße aber jeder zweite in einem lächerlichen Kostüm oder spielt mit einem Einkaufswagen Piratenschiff. Die Ansässigen berührt das wenig, da sie es ja nicht anders kennen. Die Grundstimmung ähnelt also einem großen Studentenspielplatz und unterscheidet sich stark von Städten mit einem gemischteren Publikum. Da passiert es, dass man im Getümmel der Bubble den Rest der Welt komplett vergisst. Es hilft auch, dass in St Andrews ganz neue Verhältnisse geschaffen werden und eigene Regeln gelten. Innerhalb der ersten paar Wochen wird man als Neuzugang in eine akademische Familie adoptiert, die aus Studenten besteht. Vor allem auf den Veranstaltungen der Freshers Week wird man von Studenten im dritten oder vierten Jahr angesprochen, ob man sie gern als „Mom“ oder „Dad“ hätte. Es gibt im Laufe des Jahres aber noch genügen Gelegenheiten, adoptiert zu werden und man muss nicht beim ersten Mal gleich „Ja“ sagen. Durch die neuen Verwandtschaftsverhältnisse bekommt man auch gleich jede Menge Geschwistern, Cousins und Cousinen, Tanten und Onkels und Großeltern – die werden auch so gehandelt: akademischer Inzest ist ein absolutes Tabu (kommt aber sehr häufig vor und kann nur durch die Teilnahme am May Dip gesühnt werden, ein Bad im eiskalten Meer am ersten Mai bei Sonnenaufgang). Die Familienfeiern können je nach Familiengröße ganz schöne Ausmaße annehmen. Diese nette Tradition gliedert die neuen Studenten innerhalb kürzester Zeit in das Studentenleben ein und in den akademischen Eltern hat man direkt einen Ansprechpartner für alle Lebensfragen. Die akademischen Eltern haben auch die Aufgabe, ihren Kindern am Raisin Weekend ein unvergessliches Wochenende zu bescheren. Mehrere Feiern werden für die Kinder ausgerichtet, man bekommt Geschenke und viel zu Trinken. Der Höhepunkt ist Raisin Monday, an dem man von der Mutter eine Verkleidung und vom Vater ein riesiges und lächerliches Raisin Receipt bekommt und sich im Innenhof der Uni Gebäude zu einer riesigen Rasierschaumschlacht trifft. Ich zum Beispiel war als Weihnachtsmann verkleidet und musste eine große Holzpalette tragen. Andere hat es da schon wesentlich schlimmer getroffen, da knappe Kostümchen im November ganz schön kalt sein können und es je nach Wohnlage unangenehm sein kann, einen großen Eisblock oder einen voll gedeckten Esstisch in die Stadt zu tragen. Es mag vielleicht albern klingen, vor allem wenn man wie ich älter als seine akademischen Eltern ist, aber ich kann nur jedem raten, dieses Spektakel auf keinen Fall zu verpassen und die akademische Familie auszunutzen. Meine hat mir jedenfalls die absoluten Highlights meines Aufenthaltes beschert. Wohnen Vom privaten Wohnen in St Andrews kann ich nur abraten. Die Wohnsituation ist momentan sehr schlecht und für eine Wohnung im September muss man schon im März suchen, ansonsten ist alles schon vergeben. Auch die Preise liegen oft sogar über den teuren Wohnheimen, ganz zu schweigen von den horrenden Kautionen. Ein Wohnheimplatz hingegen ist den Studenten im ersten und letzten Jahr garantiert. Meine sozialen Kontakte habe ich auch hauptsächlich in meinem Wohnheim angetroffen und ein Großteil meiner Freizeitgestaltung spielte sich dort ab. Das studentische Wohnen teilt sich auf in Catered und Self-Catered Halls. Bei letzteren handelt es sich um Apartments oder Häuser, in denen man mit Studenten zusammenwohnt, aber für sich selber sorgt. In Catered Halls bekommt man regelmäßig Essen und hat Putz- und Waschpersonal. Preislich unterscheiden sich die Varianten enorm. Für mich war Self-Catered eindeutig die bessere Wahl. So kann man Geld sparen, selbst seinen Speiseplan bestimmen und es haben keine wildfremden Leute Zugang zum Zimmer. Die Catered Halls liegen ziemlich zentral, während die anderen ein wenig außerhalb sind. David Russel Apartments und Fife Park zum Beispiel liegen dafür aber direkt am Sports Centre und Albany Park direkt am Strand. Um herauszufinden, welches Wohnheim am besten zu einem passt, kann man sich auf den Internetseiten der Uni, The Sinner’s Guide to St Andrews (s. nützliche Links), oder bei einem kleinen aber erstaunlich akkuraten Test auf Facebook (http://apps.facebook.com/standrewshallquiz/) 5 ERASMUS Erfahrungsbericht – St. Andrews 2008/2009 – Svenja Baumann informieren. Wenn man auf den Bewerbungsunterlagen in einer Zeile höflich seinen Wunsch äußert, wird er meiner Erfahrung nach auch berücksichtigt. Ich selbst habe mir Albany Park ausgesucht, ein Wohnpark, in dem man sich mit fünf anderen Studenten ein Haus teilt. Von außen machen die Häuser nicht viel her, erst kürzlich wurden jedoch Küchen, Bäder und die Isolierung renoviert. Die Zimmer sind klein, haben aber eine gute Grundausstattung. Für große Menschen sind die Betten allerdings ungewohnt kurz. Der Vorteil, den Albany gegenüber anderen Wohnorten hat, ist zum einen die Lage direkt am Strand. Die gute Seeluft hält immer lebendig und in den wärmeren Monaten enden die Nächte häufig am Strand bei einem Lagerfeuer, wo man den herrlichen Sonnenaufgang beobachten kann. Und auch das Schwimmen in der Nordsee ist ein einmaliges Erlebnis, nicht nur wegen der Kälte. Ich habe mich einmal Auge in Auge mit einem Seehund wiedergefunden, als ich im Wasser war. Die Sportler unter uns können hier Windsurfen und Kanufahren und finden im Leisure Centre auch ein Schwimmbad, ein Fitnessstudio und Squash Plätze vor. Einzigartig an Albany ist auch das ungeheure Gemeinschaftsgefühl. Es gibt von Anfang an viele Veranstaltungen und auch die „House Parties“ können sich sehen lassen. Man bekommt von seinen Mitbewohnern und Nachbarn durch die dünnen Wände und die Anordnung der Häuser manchmal mehr mit, als einem lieb ist, aber dadurch wächst die große Gemeinschaft auch sehr schnell zu einem festen Clan mit engen Freundschaften zusammen. Auch die akademischen Familien entstehen für die Bewohner meist innerhalb des Parks, sodass man irgendwann feststellt, dass man mit jedem über die ein oder andere Ecke „verwandt“ ist. Wem soziale Kontakte viel bedeuten, dem kann ich Albany Park nur wärmstens empfehlen. Von Studenten aus anderen Wohnheimen habe ich öfters gehört, dass sie sich isoliert gefühlt haben, vor allem wenn sie Probleme mit der Sprache hatten. Das würde in Albany auf keinen Fall passieren, es wird wirklich jeder mit offenen Armen empfangen und aktiv integriert. Auch wenn über Albany Park aufgrund der grauen Klotz Häuser oft die Nase gerümpft wird, für die Anwohner ist es ein Paradies, dass von denselbigen häufig mit romantischem Gesichtsausdruck lauthals besungen wird – I’m proud to say I lived in Albany! Dinge, die man wissen sollte • Schottland ist NICHT England und verfügt über ein ganz eigenes Nationalbewusstsein. Vor meiner Anreise hab ich mich über Geschichte und Kultur des Landes informiert, sowie mir einige Grundkenntnisse über Schottische Musik verschafft. Wer als Ausländer lauthals Flower of Scotland mitsingen kann, dem fliegen schottische Herzen zu. • Auch eine Kenntnis der vielen St Andrews Traditionen ist sinnvoll. Akademische Familien, akademische Sünden und deren Läuterung, Raisin Weekend und May Dip, die genaue Lage der unbetretbaren Cobblestones – all diese Begriffe sollten einem am besten schon zu Anfang geläufig sein. Genaueste Erläuterungen darüber findet man auf „The Sinner’s Guide to St Andrews“. (s. nützliche Links) • Entgegen gängiger Klischees fand ich das schottische Wetter sehr angenehm. Man erlebt zwar am Tag einmal alle vier Jahreszeiten, aber wie ein schottisches Sprichwort sagt: „If you don’t like the weather, wait a minute.“ Wolkenverhangene Regentage habe ich so gut wie gar nicht erlebt, durch den Wind vom Meer werden die Wolken immer schnell weggeblasen und kann ich an einer Hand die Tage abzählen an denen ich mal nicht die Sonne gesehen hab. Man sollte aber auf jeden Fall vielseitige Kleidung mitnehmen, die beste Wahl sind viele Lagen: eine für jedes Wetter. Auch wind- und regenfeste Jacken und Hosen sind für viele Gelegenheiten praktisch, und sei es nur die Rasierschaumschlacht an Raisin Weekend. • Die Studenten in Schottland sind für unsere Verhältnisse ziemlich jung. Sie fangen in der Regel mit 17 oder 18 an zu studieren und werden mit etwa 21 fertig. Da wurde ich mit meinen 22 Jahren schon mal als „REALLY old“ bezeichnet. Wie es für Studenten ohnehin typisch ist, wird man also bisweilen auf recht unreifes Verhalten stoßen. Wenn man sich ein wenig darauf einlässt, wird es aber keine unüberwindbare Alterskluft geben – mir fiel das überhaupt nicht schwer, ich fand es sogar erfrischend, mal nicht so erwachsen sein zu müssen. Auch fiel mir auf, dass einige durch das frühe Studieren fernab vom Elternhaus ihrem Alter ohnehin voraus sind. Eine Warnung allerdings: In den Ferien fahren die meisten Studenten zu ihren Familien nach Hause. Da kann es in der Stadt ganz schön leer werden. Ich empfehle daher, seine 6 ERASMUS Erfahrungsbericht – St. Andrews 2008/2009 – Svenja Baumann Ferien mit Reisen zu verplanen, oder sich Freunde nach Schottland einzuladen. Auch Abstecher nach Dundee, Edinburgh oder Glasgow sind in diesen Zeiten empfehlenswert. • Von den Preisen in Schottland war ich überrascht. Besonders beim aktuellen Stand des Britischen Pfunds kommt man bei so manchen Sachen sogar billiger weg, zum Beispiel Bier, Kleidung und öffentliche Verkehrsmittel. Und wenn man seine Einkäufe bei Aldi oder Morrison erledigt kommt man sowieso gut über die Runden. Aus persönlicher Erfahrung muss ich dennoch sagen, dass man mit dem Erasmus Geld allein nicht hinkommt. Man sollte über persönliche Rücklagen, Auslandsbafög oder Studentenkredite nachdenken. Ein schottisches Konto zu eröffnen kann ganz schön umständlich sein, daher empfehle ich als Tipp ein Online Konto, z.B. bei Comdirect. Dort bekommt man mit dem Konto eine Kreditkarte, die das kostenlose abheben in der ganzen EU erlaubt. So umgeht man auch Wechselgebühren und muss das Konto bei der Abreise nicht auflösen, sondern kann es in Deutschland weiterverwenden. Eine Kreditkarte ist im übrigen fast unumgänglich, da vor allem Online Zahlungen in Großbritannien fast ausschließlich mit einer solchen funktionieren. • Man wird zwar über die Uni beim National Health Centre angemeldet und bekommt eine Art Krankenschein, mit dem man sich bei Ärzten registrieren kann, dennoch wäre es sicherer, sich bei der eigenen Krankenkasse noch nach Leistungen im Ausland zu erkundigen, nur für den Fall. Ich habe nie einen Arzt gebraucht und viele Medikamente bekommt man dort rezeptfrei, aber man kann ja nie wissen! • Für die Anreise bieten sich als Flughäfen Edinburgh und Glasgow an. Von beiden Städten kommt man mit dem Bus tagsüber jede halbe oder Viertelstunde nach St Andrews, wobei Edinburgh wesentlich näher dran ist. Am Anreisewochenende sind am Flughafen in Edinburgh außerdem Studenten vor Ort, die einem gern mit dem Gepäck helfen, den Weg nach St Andrews beschreiben und sogar für 20 Pfund einen Shuttle direkt bis vor die Haustür anbieten. Dieses habe ich damals wahrgenommen und die Geldanlage hat sich gelohnt. Wer zwischendurch z.B. über Weihnachten nach Deutschland zurück fliegt, sollte sich rechtzeitig über Taxiangebote zum Flughafen informieren, da die Busse von St Andrews aus früh morgens noch nicht fahren. Es gibt aber Möglichkeiten, Taxigemeinschaften zu bilden. (s. nützliche Links) • Beim Flug buchen lohnt es sich, ein wenig mehr auszugeben wenn man dafür mehr Gepäck mitnehmen kann. Vor allem beim Rückflug war es sehr unschlau von mir, Ryanair zu buchen, weil sich im Laufe der Zeit doch noch einiges ansammelt, besonders Bücher und Papier sind sehr schwer. Pakete sind noch immer billiger als Übergepäck, doch trotzdem nehme ich an, dass ein früh gebuchter Flug bei einer größeren Fluggesellschaft noch die preiswertere Lösung sein kann. Nützliche Links http://www.st-andrews.ac.uk Internetauftritt der Universität, von hier tätigt man auch seine Kurswahl und wird weitergeleitet zu den Seiten der Bibliothek und dem E-Campus. http://www.saintonline.co.uk/ The Saint – Studentenzeitung mit aktuellen Themen des Studentenlebens http://www.thesinner.net/ The Sinner – Online Plattform von Studenten, besonders empfehlenswert hier „The Sinner’s Guide to St Andrews“ (http://www.thesinner.net/guide/Main_Page) http://www.yourunion.net/ Die Seiten der Students Union mit Tips zur Anreise, Liste aller Societies und Sport Clubs und Informationen aller Art. http://www.yourunion.net/travel 7 ERASMUS Erfahrungsbericht – St. Andrews 2008/2009 – Svenja Baumann Reisebüro für Studenten – eine Möglichkeit, günstig an ein Flughafentaxi oder Bahntickets zu kommen. Auch reduzierte Reisen z.B. in die schottischen Highlands werden hier angeboten. http://www.standrewsdirect.com/ Auf dieser Seite werden Fahrgemeinschaften zum Flughafen organisiert. Man sollte spätestens fünf Tage vorher eine Anfrage senden. Auch kurzfristig kann man noch Plätze bekommen, das ist dann aber nicht sicher. http://www.facebook.com/ Facebook bietet die Möglichkeit mit aktuellen oder zukünftigen Studenten in Kontakt zu treten und sich über Leben und Wohnen zu informieren. Außerdem wird die Plattform auch akademisch genutzt, indem sich Studenten und Dozenten dort in Kursgruppen austauschen. Auch der soziale Kalender wird hauptsächlich über Facebook bestimmt. Natürlich nicht zwingend erforderlich, aber früher oder später kommt man wahrscheinlich nicht mehr drum herum. http://www.facebook.com/group.php?gid=2202444740 http://www.facebook.com/group.php?gid=49901191519 http://www.facebook.com/group.php?gid=2207112310 Gruppen, in denen ebenfalls Fahrgemeinschaften gebildet werden. Fazit Von meiner Zeit in St Andrews werden mir bestimmte Aspekte immer in Erinnerung bleiben: Die Stadt ist wunderschön, die Schotten unglaublich freundlich, die Uni ist phantastisch ausgestattet und anspruchsvoll, trotz der kleinen Stadt ist immer etwas los! Die vielen merkwürdigen Traditionen machen das Leben bunter und wer sich nicht scheut, bei den solchen mitzumachen, wird eine ereignisreiche und einzigartige Zeit haben. Meine Wahl würde bei jeder Gelegenheit wieder auf St Andrews fallen. Akademisch hat mir die Zeit in St Andrews einige neue Arbeitsmethoden vermittelt. Ich habe durch die Essays gelernt, mich präziser auszudrücken und meine Arbeiten besser zu strukturieren. Durch die umfangreiche Kurslektüre habe ich Autoren und Themen gefunden, die für meine anstehende Magisterarbeit sinnvoll sein werden. Außerdem hat sich mein Englisch selbst nach drei Jahren Anglistik Studium in Schrift und Wort noch spürbar verbessert. Die Lebenserfahrung eines Auslandsjahres zeigt sich vor allem in einem gesteigerten Selbstbewusstsein und einer geschickteren Organisation des eigenen Lebens. Man muss sich an einem fremden Ort ganz neu an Sprache, Menschen und Universität gewöhnen und das ist nicht für jeden einfach. St Andrews hat es mir da bestimmt verhältnismäßig leicht gemacht, und doch bin ich stolz, auch einige schwierige Situationen gemeistert zu haben. Das wertvollste, was ich mitgenommen habe, sind unterm Strich jedoch die neuen Freundschaften mit Menschen aus allen Ecken der Welt. Die haben den Abschied zwar sehr schwer und tränenreich gemacht, aber haben mir viel über andere Sprachen und Kulturen vermittelt und werden mir über kurz oder lang wohl zu einer Weltreise verhelfen. 8