Im Bann von Combin und Cheilon
Transcrição
Im Bann von Combin und Cheilon
Tourentipp Bergwandern Im Bann von Combin und Vom Val de Bagnes ins Val d’Hérens in vier Tagen Blick zurück vom Weg zum Col de Louvie auf das Massiv des Grand Combin (4314 m) mit dem Glacier de Corbassière. Cheilon Tourentipp Bergwandern Klägliche Reste des Grand-Désert-Gletschers; mit dem Col de Momin. Die wuchtigen Berglandschaften im riesigen Einzugsgebiet der Grande Dixence sind auch für Wandernde zugänglich. Auf der «kleinen Haute Route» von Fionnay nach Arolla. Text und Fotos: Stefan Hartmann, Zürich Im Wallis ist alles eine Dimension grösser. Das wird zum Beispiel auf dem Col des Roux deutlich: Der Pass über dem vier Quadratkilometer grossen Lac des Dix bietet eine uneingeschränkte Aussicht auf das vergletscherte Cheilon-Massiv. Fasziniert lässt sich beim Abstieg das Schattenspiel der Zacken im See verfolgen. Was die Wanderer nur ahnen können: Unter ihren Füssen rauscht das Wasser von 35 Gletschern aus der Umgebung. Willkommen im Reich des grössten Schweizer Stausees, der Grande Dixence! Das Einzugsgebiet umfasst 150 Quadratkilometer. Ein schier end loses Netz von Stollen führt frisches Gletscherwasser in den See. Auf der viertägigen «kleinen Haute Route valaisanne» gibt es kein Gewässer, das nicht irgendwann in einer Fassung verschluckt, turbiniert und von EOS, BKW und NOK in profi tablen Ökostrom umgewandelt wird. Wasser – die «weisse Kohle» des Wallis. Die vier Turbinen können 2000 Megawatt Energie erzeugen – die Leistung zweier Atomkraftwerke. Der Bau der Grande Dixence vor 60 Jahren war ein epochales Unterfangen; überall hat er Spuren hinterlassen. Der Bergkessel um die Cabane de Prafleuri etwa ist eine unwirtliche, riesige Geröllhalde, wo Kies abgebaut wurde. 15 Jahre haben Tausende von Gastarbeitern gebraucht, um den Megadamm mit Millionen von Kubikmetern Beton in die Talenge hineinzustellen. Mit 285 Metern ist die Dammkrone die höchste Europas. 12 August 2011 Stiebende Wasserfälle Die Hälfte der Tour liegt hinter uns. Vor zwei Tagen sind wir in Fionnay (1491 m) im Val de Bagnes gestartet. Der kleine Tourismusfleck mit Hotel liegt eingezwängt zwischen zwei Pumpspeicherbecken, die zur Kraftwerkanlage Mauvoisin gehören. Steil geht es gleich zur Sache, hinauf durch üppige, farbenprächtige Grashänge. Tagesziel ist die Cabane de Louvie (2213 m) mit dem gleichnamigen See. Hoch in der Felswand stieben die Cascades de Fionnay aus der Wand. Darüber schraubt sich ein Adlerpaar mithilfe der Thermik in die Höhe. Wer ein Auge für Bergblumen hat, kommt hier auf seine Rechnung: Türkenbünde, gelbe Fingerhüte und weiter oben, den Felsbändern zu, auch die Brandorchis. Der seltene Apollofalter ist hier so zahlreich wie anderswo der Kohl weissling. Magie des Grand Combin Je höher man steigt, desto faszinierender wird der Blick hi nunter nach Fionnay und auf die zwei Kunstseen. Im Westen setzt sich die Combin-«Familie» in Szene: Grand Combin (4314 m), Combin de Corbassière und Petit Combin. Der als «schönster Walliser See» gepriesene Lac de Louvie, in zwei schweisstreibenden Stunden erreichbar, entpuppt sich als Speichersee mit kleiner Staumauer. Wie gesagt: Man bewegt sich im Einzugsgebiet der Grande Dixence. Der Ausblick Seen wie an der Perlenkette – oder was vom schmelzenden Gletschereis bleibt; Blick zum Col de Prafleuri. August 2011 13 1 2 3 4 1 Edelweiss, 2 rundblättriger Enzian, 3 Berg-Nelkenwurz und 4 oranger Bergmohn: Das sind nur einige der vielen Blumen, die am Weg zu finden sind. 14 August 2011 von der idyllisch gelegenen Louvie-Hütte auf die CombinGruppe im rötlichen Abendlicht ist überwältigend. Die 1997 gebaute Hütte gehört der Bürgergemeinde Bagnes, bietet Dusche und angenehmes Ambiente. Anderntags spiegelt sich im tiefblauschwarzen See der Grand Combin mit seinen Eisschründen. Ein flotter Siebenstünder steht an, der über den Col de Louvie und den Col de Prafleuri führt. Weshalb der Wegweiser nur vier Stunden 50 Minuten angibt, bleibt rätselhaft. Das dürfte für Bergmarathonläufer gelten, nicht aber für Alpintrekker, die den Tag geniessen möchten. Der Weg führt zunächst auf den Talboden des Plan da Gole, dann windet er sich im Zickzack in die Höhe. An der Abzweigung Punkt 2628 schwenkt er nach Osten zum Col de Louvie hin. Der Blick zum Combin-Massiv zwingt immer wieder zum Innehalten – der Berg liegt im Rücken, die Route führt ostwärts. Nun ist auch der gewaltige Glacier de Corbassière in seinem ganzen Ausmass sichtbar. Mit fast zehn Kilome- Tourentipp Bergwandern tern Länge ist er der grösste Gletscher im Unterwallis. Anfang Juni wurde an der ETH Zürich die Absicht geäussert, einen Stausee am Corbassière zu realisieren, um dereinst das angeblich zu erwartende Strommanko auszugleichen. Ganz im Westen lugen die Spitzen der Aiguille d’Argentière hervor. Durch die «Grosse Wüste» Der Col de Louvie (2921 m) eröffnet eine neue Geländekammer: Zu unseren Füssen dehnt sich der Talkessel des Grand Désert mit dem gleichnamigen Glacier – oder dem, was von ihm übrig geblieben ist. Auch hier wird deutlich: Die meisten Alpengletscher verloren in den letzten 100 Jahren rund einen Drittel ihrer Fläche und die Hälfte ihres Volumens. Der Grand Désert hat bei seinem Rückzug eine grandiose Steinwüste mit einer Seenlandschaft hinterlassen. Bei Nebel dürfte die Strecke nicht ganz ohne sein, denn abschnittweise ist sie weglos. Folgerichtig ist der Weg auf dem Col de Louvie auch blau-weiss ausgeschildert. Am Horizont, zum Walliser Haupttal hin, leuchtet das Firnfeld der Diablerets-Gruppe. Und 700 Meter tiefer flimmert im Mittagslicht der Cleuson-Stausee. Der Col de Prafleuri kommt in Sichtweite. Vorgängig ist eine einfache Steilstufe zu bewältigen. Drei Gletscherrandseen in den wunderlichsten Türkistönen leuchten wie an einer Perlenschnur aufgereiht am Talboden. Eine willkommene Einladung zur Mittagsrast, bei der die heissen Füsse eine Abkühlung bekommen. Zwei Verwegene wagen gar, im Eiswasser zu baden. Beim Abstieg vom Col de Prafleuri (2987 m) zur Hütte zeigen sich Edelweisse. Eine holländische Familie nimmt den Tipp begeistert entgegen. «Davon träumen wir doch schon die ganzen Ferien!» Anderntags zieht sich der Weg über Stunden den milchig schimmernden Grand-Dixence-Stausee entlang. Nach dem Pas du Chat geht es ruppig 600 Meter hinauf zur Cabane des Zufluss zum Stausee der Grande Dixence! Das Einzugsgebiet umfasst 150 Quadratkilometer. Der Lac des Dix mit Blick auf den Mont Blanc de Cheilon (re.) den Glacier de Tsena Refien und den Pigne d’Arolla weit im Hintergrund. August 2011 15 Imposanter Mont Blanc de Cheilon, vom Gletschervorfeld des Glacier de Cheilon aus. Vor 50 Jahren war die Nordwand des Fast-Viertausenders noch mit Eis bedeckt. Dix (2928 m). Der obere Teil führt über die alte Gletscher moräne des Glacier de Cheilon, einen wunderbaren Abschnitt, der einen Blick aufs Matterhorn freigibt. Plötzlich weitet sich der Blick zum Mont Blanc de Cheilon (3869 m), der sich majestätisch im Süden aufbaut. Letztmals habe ich den Berg auf einer Schulreise vor 45 Jahren gesehen. Damals war die Nordwand allerdings völlig in einen Eispanzer eingepackt. Heute ist sie weitgehend eisfrei. Mitten im Talkessel am Fuss des Cheilon thront auf einem Felskopf die Cabane des Dix, benannt nach einer berüchtigten Zehnerbande von Wilderern. Mit ihrer Lage gehört sie wohl zu den schönsten SAC-Hütten. Denn auf der Terrasse kann man stundenlang das grossartige Panorama, die wuchtige Wand samt wechselndem Licht auf dem Gletscher geniessen – während laufend Gruppen ankommen. Tatzelwurm zur Cabane des Dix Viele erscheinen am südwestlichen Horizont zunächst als kleine Punkte und vereinen sich später zu einem Tatzelwurm. Sie kommen entweder von Westen her von der CheilonÜberquerung oder sind Tage vorher in Valpelline (Aostatal) gestartet und via Fenêtre de Durand, Lac Mauvoisin, Col de Mont Rouge und Col de Cheilon herangetrekkt. Die Cabane des Dix ist ein alpiner Wander-«Knotenpunkt». Aber nicht nur das: Von dieser SAC-Hütte aus lassen sich mehrere FastViertausender begehen – Le Pleureur, La Ruinette, La Luette, Pigne d’Arolla, Mont Collon. Steigeisen, Helme und Pickel scheppern, Seile werden zusammengelegt, Blasen verarztet. Neben der Hütte übt eine 16 August 2011 englische Alpinistengruppe Seiltechnik. Die Stimmung in der Hütte ist angeregt, es wird in verschiedenen Sprachen diskutiert; es lassen sich Gäste aus mindestens sieben Nationen ausmachen – freundlich und umsichtig bewirtet vom sechsköpfigen Team. Das Hüttenpaar Béatrice und Pierre Sierro offeriert Weissen und Orangensaft. Den entzückten japanischen Gästen wird gar «en Guete» in ihrer Sprache gewünscht – Sayonara denn. Pierre Sierro mietet jeweils im Februar, wenn er zu Hause in Salins VS weilt, eine Militär küche und kocht das ganze Fleisch für die Saison. Er verpackt es portionenweise, kühlt es und fliegt es dann etappenweise zur Hütte hoch. 2010 waren das gut und gerne 8400 Menüs. Die Himmelsleiter nach Arolla Anderntags bewegen sich ein halbes Dutzend Seilschaften in Richtung Mont Blanc de Cheilon, während wir den Glacier de Cheilon überqueren, immer schön den roten Markierungen entlang. Bald schon naht die Schlüsselstelle unserer kleinen Haute Route, die etwa 25 Meter hohe Leiter zum Pas de Chèvres (2855 m); schwindelfrei sollte man hier schon sein. Wer es ohne Leiter möchte, wählt den Col de Riedmatten (2919 m). Nun geht es gemächlich nach Arolla (1998 m) im Val d’Hérens hinunter; vis-à-vis beeindrucken die Aiguille de la Tsa und die Dent de Tsalion, während im Süden der Evêque ins Blickfeld kommt. Manche Trekker hängen drei weitere Tage an und setzen den Weg von Les Haudères via Cabane de Moiry CAS, Zinal und Col de Tracuit (mit Gletscherausrüstung) ins Turtmanntal fort. Oder kommen nächstes Jahr einfach wieder. Tourentipp Bergwandern Infos zur Wanderung Staumauer des Lac des Dix, dem Stausee entlang bis nach La Barma, von hier weiter Richtung Cab des Dix Beste Jahreszeit Juli bis September LEGENDE DEUTSCH: Anreise LEGENDE FRANçAISE: Eckdaten: T3, Aufstieg 1100 Hm, Abstieg Von Zürich via Martigny und Le Châble Etappe 1: Fionnay–Cabane de Louvie randonneur dans le secteur de la Die «kleine Haute Route» führt die Umgebung der 800Rosablanche Hm, 5½ Std. La «Petite Haute Route» mène le mitquelques Postauto nach Fionnay Eckdaten: T3. Auf-/Abstieg 750inHm, 2 Std. Rosablanche et permet de côtoyer sommets frôlant les 4000 m : und einigen beinahe 4000er: Auto Etappe 4: Cabane des Dix SAC–Arolla Etappe 2: Cabane de Louvie–Cabane 56,1 Eckdaten: T4 / über1 denDe Glacier de Prafleuri ÖV Fionnay, montée à la cabane de Louvie (2 h). Nach der Anreise nach Fionnay Aufstieg zur Cabane de 1 2,9 Cheilon (L), Aufstieg 110 Hm, Abstieg Eckdaten:Louvie. T4. Aufstieg (2 Std) 780 Hm, CO2-Treibhausgas, in kg pro Person und Fahrt: 1000 Hm, 2½ Std. Abstieg 330 Hm, 6–7 Std. Beispielreise Zürich–Fionnay. Quelle: www.sbb.ch 2 Durant la 2e étape, franchissement du col de Louvie et du col de Auf der 2. Etappe geht es über die Pässe Col Route: de Louvie undder Cabane des Dix auf mar2 Bei Von Route: schlechter Sicht und Nebel ist Prafleuri pour gagner le but du jour, la cabane de Prafleuri CAS (6-7 h). Col de Prafleuri zum Tagesziel, der Cabane de Prafleuri. (6-7 Std) kierter Wegspur über die Reste des überdurchschnittliches OrientierungsLiteratur Glacier de Cheilon, bei schlechter Sicht vermögen gefragt. Bei Traversierung Bernhard Rudolf Banzhaf, Alpinwandern La 3e étape werden. jusqu’à la cabane des Dix CAS se parcourt en 4 h 15. 3 bis zur Cabane des Dixauf CAS ist in guten vier Stunden zu 3 kann die Orientierung schwierig über3 denEtappe Grand-Désert-Gletscher Wallis, Weit- und Rundwanderungen, SAC La journée commence par une courte montée au col des Roux, se bewältigen. Der Tag beginnt mit einem kurzen Aufschwung zum Danach über die Leiter zum Pas de der Westseite des Col de Prafleuri über Verlag, Bern 2003 poursuit le long du lac des Dix et se termine par une raide montée à la Col des Roux, die Route führt dann dem Lac des Dix entlang und Chèvres und hinab nachcabane Arolla (4 h 15). in (L) einem steilen Aufstieg zur Hütte. (4 1/4 Std) Firnfelder Maurice Brandt, Clubführer Walliser de la dernière franchit le PasGr. deSt. Chèvres (échelle Variante: Statt über4 die Lors Leiter zum Pas étape, on Alpen 2, Vom Bernhard zum Col Etappe Cabane Prafleuri–Cabane der letzten Etappe ist der Pas de Chèvres (ca 25 m lange 4 3:Auf d’env. 25 m, T4) avant d’entamer la descente sur Arolla (2 1999 h 15). de Chèvres über den Col de Riedmatten Collon, SAC Verlag, Bern des Dix Leiter, T4) zu überwinden, bevor der Abstieg nach Arolla Heinz Staffelbach, Die schönsten Pass1/4 Std) 700 Hm, Eckdaten: T4 (über den Glacier de Eckdaten:folgt. T3. (2 Aufstieg wanderungen in den Schweizer Alpen, Cheilon L), Aufstieg 170 Hm, Abstieg Abstieg 960 Hm, 4¼ Std. AT Verlag, 2008 1100 Hm, 2¾ Std. Route: Über den Col des Roux (2804 m) Karten und hinab nach La Barma, dann dem Unterkunft LK 1 : 25 000, Blätter 1326 Rosablanche, Lac des Dix entlang bis zum Pas de Chat Cabane de Louvie: Tel. 027 778 17 40 1346 1347 Matterhorn; CN 1:100 000, reproduite avec Chanrion, l’autorisation de swisstopo (BA 110302) (etwas heikel), dann auf der alten Cabane des Dix: Tel. 027 281 15 23, LK 1 : 50 000, Blatt 283 Arolla Seitenmoräne des Glacier du Cheilon www.cabanedesdix.ch, LK 1:100 000, reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA 110302) weiter zur Cabane des Dix [email protected] Cabane de Prafleuri: Tel. 027 281 17 80, Variante: Statt über den Col des Roux [email protected] von der Cab de Prafleuri Abstieg bis zur Col de Prafleuri Cab. de Prafleuri Col de Louvie Rosablanche (3336 m) 3 Cab. de Louvie 1 Fionnay Arolla Pas de Chèvres 4 Cab. des Dix CAS LK 1 : 100 000, reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA 110302) 2 Die «kleine Haute Route» führt in die Umgebung der Rosablanche und einiger Beinahe-4000er: 1 Nach der Anreise nach Fionnay Aufstieg zur Cabane de Louvie (2 Std.) 2 Auf der 2. Etappe geht es über die Pässe Col de Louvie und Col de Prafleuri zum Tagesziel, der Cabane de Prafleuri (6–7 Std.) 3 Etappe 3 bis zur Cabane des Dix CAS ist in guten vier Stunden zu bewältigen. Der Tag beginnt mit einem kurzen Aufschwung zum Col des Roux, die Route führt dann dem Lac des Dix entlang und in einem steilen Aufstieg zur Hütte (4¼ Std.) 4 Auf der letzten Etappe ist der Pas de Chèvres (ca. 25 m lange Leiter, T4) zu überwinden, bevor der Abstieg nach Arolla folgt (2¼ Std.) August 2011 17