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HSP Manual 1-9 Inhalt Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1 Die Konzeption der Hamburger Schreibprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.1 Wozu dient die Hamburger Schreibprobe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.2 Empirische Grundlagen der HSP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.3 Zur Wortauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.4 Das Auswertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.4.1 Wortbezogene Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.4.2 Auswertung der Graphemtreffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.4.3 Vergleich verschiedener Jahrgangsformen der HSP. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.5 Die Erfassung der Rechtschreibstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.5.1 Der Begriff „Rechtschreibstrategie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.5.2 Wechselbeziehungen zwischen den Rechtschreibstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.5.3 Zum Verhältnis zwischen Rechtschreibstrategien und orthographischen Phänomenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1.5.4 Zur Erfassung der Rechtschreibstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1.5.5 „Lupenstellen“ zur Bestimmung der Strategiewerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1.5.6 Die Interpretation der Strategieprofile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1.5.7 Beispiele für die Interpretation von Strategieprofilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1.6 Weitere Kennwerte der HSP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1.6.1 Überflüssige orthographische Elemente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1.6.2 Oberzeichenfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2 Zur Gültigkeit der Hamburger Schreibprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2.1 Zum Verhältnis von Lesen und Rechtschreiben im Lernprozess . . . . . . . . . . . . . 61 2.2 Zusammenhänge zwischen Rechtschreibleistung in der HSP und in der Lehrerbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.3 Zum Vergleich der HSP mit anderen Rechtschreibtests und zur Übertragbarkeit des Strategiekonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2.4 Strategieprofile und Lernentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2.5 Rechtschreibleistungen und Textproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2.6 Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen: Zur Rolle der persönlichen Bedeutung beim Rechtschreiblernen. . . . . . . . . . . . 80 2.7 Rechtschreibleistungen zweisprachig aufwachsender Kinder . . . . . . . . . . . . . . . 87 2.8 Rechtschreibung und Dialekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3 Daten zur Verfahrensentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3.1 Stichproben für die Vergleichswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3.2 Rohwerteverteilung und statistische Kennwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.3 Schwierigkeiten und Trennschärfen der Schreibaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.4 Zuverlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3.5 Objektivität der Auswertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4 Lernbeobachtung mit der Hamburger Schreibprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.1. Nadine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.2. Jens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4.3. Vergleich zweier Lernentwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 5 Förderung orthographischer Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 5.1 Förderung selbst gesteuerten und eigenaktiven Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 5.2 Förderunterricht: präventiv, integrativ und kooperativ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 5.3 Rechtschreiblernen als Fertigkeitsentwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 5.4 Rechtschreiblernen mit eigenen Wörtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 5.5 (Förder-) Unterricht als Beitrag zum Lernen des Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 5.6 Förderunterricht und Lernmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 5.7 Beispiele für Übungen zur Förderung von Rechtschreibstrategien . . . . . . . . 160 6 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Übersicht über die Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 • Wichtige Rechtschreibphänomene in den Wörtern der HSP . . . . . . . . . . . . . 182 • Lupenstellen für die Rechtschreibstrategien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 • Schwierigkeiten und Trennschärfen: - für die wortbezogene Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 - der Graphemtreffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 - der Lupenstellen für die alphabetische Strategie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 - der Lupenstellen für die orthographische Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 - der Lupenstellen für die morphematische Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 - der Lupenstellen für die wortübergreifende Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 7 HSP Manual 1-9 Einführung Die Hamburger Schreibprobe bildet ein Gesamtkonzept zur Diagnose des Rechtschreiblernens in der Schule. Mit Hilfe der Hamburger Schreibprobe erhalten Sie eine sichere Grundlage für die Planung von Fördermaßnahmen. Ihr liegt ein akutelles Konzept zur Feststellung grundlegender Fähigkeiten im Rechtschreiben zugrunde. Sie berücksichtigt aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse über das Rechtschreiblernen und ermöglicht Ihnen, den erreichten Stand des Rechtschreibkönnens Ihrer Schüler differenziert zu erheben. Die Hamburger Schreibprobe zielt auf die Erfassung von orthographischem Strukturwissen und grundlegenden Rechtschreibstrategien. Mit ihr wird sowohl die richtige Schreibung von Wörtern als auch die Zahl der richtig geschriebenen Grapheme ausgewertet. Die Hamburger Schreibprobe stellt damit einen Beitrag zur Überwindung der Defizit-Sichtweise auf die Schreibungen der Schüler dar. Nicht die Fehler stehen im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern das Gekonnte, das sich auch in teilweise richtigen Schreibungen zeigt. Es liegen verschiedene Versionen mit bundesweiten Vergleichswerten für die Klassenstufen 1 bis 9 vor, so dass die Rechtschreibleistungen über viele Jahre hinweg nach einem einheitlichen Konzept erfasst und somit Lernfortschritte gut beobachtet werden können. Die HSP differenziert vor allem im unteren Leistungsbereich. Die Versionen für die Grundschule (HSP 1 bis HSP 4/5) bieten darüber hinaus auch für fortgeschrittene Rechtschreiblerner genügend hohe Anforderungen. Für die Sekundarstufe stehen mit der HSP 5-9 B (Basisanforderungen) für die Erfassung der orthographischen Grundfertigkeiten und der HSP 5-9 EK (Erweiterte Kompetenz) für die Erfassung fortgeschrittener Rechtschreibsicherheit zwei verschiedene Versionen zur Verfügung, die auch kombiniert angewendet werden können. Tabelle 1 (Seite 9) zeigt Erhebungszeitpunkte und Vergleichswerte der verschiedenen HSP-Versionen. Das vorliegende Handbuch dient der Einführung und Erläuterung des Gesamtkonzepts der Hamburger Schreibprobe. Für die einzelnen Versionen der Hamburger Schreibprobe liegen gesonderte Anleitungshefte vor, die die erforderlichen Hinweise zur Durchführung und Auswertung sowie die Vergleichstabellen enthalten. Für die praktische Durchführung der HSP benötigen Sie für jeden Schüler ein Testheft, in dem Sie auch die Schemata für die Auswertung der Schreibprobe finden. Die Anleitungshefte enthalten als Kopiervorlagen graphische Schemata für die Darstellung der Strategieprofile sowie eine Liste für die Klassenergebnisse. Ein umfassendes diagnostisches Konzept erfordert eine gründliche Einführung. Dementsprechend ist diese Handreichung recht umfangreich. Damit Sie die Erläuterungen gezielt nutzen können, möchten wir Ihnen im Folgenden die Gliederung und die inhaltlichen Schwerpunkte vorstellen. EINFÜHRUNG 8 EINFÜHRUNG • Die theoretische Grundlegung des diagnostischen Konzepts wird im ersten Kapitel dargestellt. Da es in diesem Konzept wesentlich um die Auswertung von Rechtschreibstrategien geht, sind die Ausführungen im Abschnitt 1.5 für das Verständnis dieses Diagnoseverfahrens besonders wichtig. • In Kapitel 4 finden Sie zwei Fallbeispiele, die Ihnen Anregungen für die Interpretation der Ergebnisse geben. • Die Hamburger Schreibprobe zielt nicht nur auf die Erfassung von Rechtschreibfähigkeiten, sondern will auch dazu beitragen, aktuelle Erkenntnisse über das schriftsprachliche Lernen in den Unterricht einzubeziehen. Dazu finden Sie im Kapitel 5 eine Darstellung der lernpsychologischen und didaktischen Prinzipien, die dem Konzept der Hamburger Schreibprobe zugrunde liegen, sowie Hinweise für die Förderung der grundlegenden Rechtschreibstrategien. • Im Kapitel 2 finden Sie umfangreiche Belege dafür, dass die Hamburger Schreibprobe relevante Aspekte der schriftsprachlichen Kompetenz erfasst (Gültigkeit). Die einzelnen Abschnitte behandeln u.a. das Verhältnis von Lesen und Schreiben, die Rechtschreibstrategien in der Lernentwicklung, Rechtschreibung in selbst verfassten Texten, Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen, Besonderheiten zweisprachig aufwachsender Kinder sowie Rechtschreibung in verschiedenen Dialektregionen. Die dort ausgeführten Aspekte des Rechtschreiblernens geben weitere Hinweise zur Interpretation der mit der Hamburger Schreibprobe erzielten Ergebnisse sowie ihrer Berücksichtigung im Unterricht. • Im Kapitel 3 werden jene Analysen und Ergebnisse dargestellt, die für die Entwicklung der Hamburger Schreibprobe bedeutsam gewesen sind (Testkonstruktion). Dieses Kapitel wendet sich in erster Linie an Leser, die sich für die teststatistischen Grundlagen der HSP interessieren. • In einem Glossar werden die im Text verwendeten teststatistischen Fachausdrücke und einige linguistische Begriffe erläutert. Die Hamburger Schreibprobe wurde im Rahmen eines umfassenden Forschungsprojekts entwickelt und bereits in vielen Schulklassen erprobt. Gleichwohl ist ein Verfahren nie „fertig“ und ein für allemal festgelegt. Ihre praktische Erfahrung wird mithelfen, die Hamburger Schreibprobe weiter zu verbessern. Darum möchten wir Sie bitten, uns Ihre Kritik und Anregungen mitzuteilen.¹ 1 Kontaktadresse: Dr. Peter May | Henriettenstr. 45 | 20259 Hamburg | E-mail: [email protected]. 9 EINFÜHRUNG HSP Manual 1-9 TABELLE 1: Übersicht über die Versionen der HSP –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Erhebungszeitpunkt HSP-Version Vergleichswerte liegen vor –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Mitte Klasse 1 HSP 1–M1 – für alle Schüler –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Ende Klasse 1 HSP 1–E1 – für alle Schüler –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Mitte Klasse 2 HSP 1–M2 – für alle Schüler –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Ende Klasse 2 HSP 2 – für alle Schüler –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Mitte Klasse 3 HSP 3 – für alle Schüler –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Ende Klasse 3 HSP 3 – für alle Schüler –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Mitte Klasse 4 HSP 4/5 – für alle Schüler –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Ende Klasse 4 HSP 4/5 – für alle Schüler –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Anfang Klasse 5 HSP 4/5 – für alle Schüler – für Haupt-, Real- und Gesamtschulen – für Gymnasien –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Ende Klasse 5 HSP 5-9 (B) und (EK) – für alle Schüler – für Haupt-, Real- und Gesamtschulen – für Gymnasien –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Ende Klasse 6 HSP 5-9 (B) und (EK) – für alle Schüler – für Haupt-, Real- und Gesamtschulen – für Gymnasien –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Ende Klasse 7 HSP 5-9 (B) und (EK) – für alle Schüler – für Haupt-, Real- und Gesamtschulen – für Gymnasien –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Ende Klasse 8 HSP 5-9 (B) und (EK) – für alle Schüler – für Haupt-, Real- und Gesamtschulen – für Gymnasien – (B) für Sonderschulen (Lernbehinderte) –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Ende Klasse 9 HSP 5-9 (B) und (EK) – für alle Schüler – für Haupt-, Real- und Gesamtschulen – für Gymnasien –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 10 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE 1 Die Konzeption der Hamburger Schreibprobe 1.1 Wozu dient die Hamburger Schreibprobe? Die Hamburger Schreibprobe dient der Erfassung des Rechtschreibkönnens von Schülern im Grundschulalter sowie in der Sekundarstufe I. Sie ist sowohl für die Einschätzung individueller Lernstände als auch für die Erhebung klassenbezogener Leistungen geeignet. Für die verschiedenen Versionen der Hamburger Schreibprobe (HSP 1+, HSP 2, HSP 3, HSP 4/5, HSP 5-9 (B) und HSP 5-9 (EK)) liegen bundesweite Vergleichswerte vor. Für die HSP 4/5 zur Bestimmung der Lernausgangslage zu Beginn des fünften Schuljahres sowie für die Sekundarstufenversion HSP 5-9 gibt es Vergleichswerte über alle Schulformen sowie gesonderte Vergleichswerte für Haupt-, Real- und Gesamtschulen einerseits und Gymnasien andererseits. Für die Klasse 8 liegen zudem Vergleichswerte für Sonderschulen (Lernbehinderte) vor. Mit der Hamburger Schreibprobe kann die Rechtschreibung aller Leistungsniveaus untersucht werden. Die Konstruktion und die Art der Auswertung der Hamburger Schreibprobe sind so angelegt, dass eine Differenzierung insbesondere im unteren und untersten Leistungsbereich möglich wird, aber auch für fortgeschrittene Rechtschreiblerner genügend Anforderungen geboten werden. Die Hamburger Schreibprobe ist so konzipiert, dass mit vergleichsweise geringem Aufwand umfassende Informationen über die individuellen Lernstände der Schüler gewonnen werden. Die Testergebnisse liefern eine sichere Grundlage sowohl für binnendifferenzierende Maßnahmen im Unterricht als auch für die gezielte Förderung von Schülern mit Rechtschreibschwierigkeiten. Durch ihre weitreichende Differenzierung im unteren Leistungsbereich ist die HSP zur Bestimmung der Förderbedürftigkeit (sog. LRS-Diagnose) sowie auch im Rahmen sonderpädagogischer Leistungsüberprüfungen und der Planung sonderpädagogischer Fördermaßnahmen einsetzbar.2 Des weiteren liegen positive Erfahrungen mit dem Einsatz der HSP im Bereich der Erwachsenenalphabetisierung vor.3 2 Im Sonderschulbereich sollte im Allgemeinen eine Version der HSP verwendet werden, die mindestens zwei Jahre unterhalb der für die gleiche Klassenstufe der Regelschule vorgesehenen Form liegt. 3 Das Konzept der strategiebezogenen Erfassung von Rechtschreibleistungen kann bei erwachsenen Analphabeten eingesetzt werden, da mit der HSP auch teilweise richtige Schreibungen differenziert erfasst werden. Siehe dazu den Bericht von Nickel (1998), der die Anwendung der HSP 2 als informellen Test bei Erwachsenen in der Alphabetisierung demonstriert, indem er die strategiebezogenen Vergleichswerte zur Beschreibung von Rechtschreibprofilen heranzieht. 11 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE Die Hamburger Schreibprobe besteht aus Einzelwörtern und Sätzen.4 Die Bedeutung der Wörter und Sätze wird durch Illustrationen veranschaulicht. Das Erfassen der Bedeutung der zu schreibenden Wörter ist eine wichtige Bedingung des Rechtschreibens. Sie wird durch die Bildvorgabe gesichert. Zugleich können die Schüler in ihrem individuellen Tempo schreiben, nachdem sie mit den Wörtern vertraut gemacht worden sind. Damit entfällt weitgehend das gleichschrittige Schreiben, das bei Diktaten für bessere wie schwächere Schreiber stets eine Belastung darstellt. (Ein Kreuzworträtsel für diejenigen, die schon fertig sind, verhindert das Bedrängen der noch Schreibenden.) Da es bei der Erfassung der orthographischen Kompetenz vor allem darauf ankommt festzustellen, was ein Lerner bereits kann und wo er noch Hilfen benötigt, sollen auch schwächere Schüler zum Schreiben ermutigt werden. Sollte es dennoch einmal vorkommen, dass Schüler Wörter auslassen, so dürfen diese nicht einfach als falsch gewertet werden. Denn das Auslassen von Wörtern kann verschiedene Gründe haben (Motivationsverlust, Unaufmerksamkeit, Ausweichen vor der Aufgabe, Resignation u.a.) Es kommt jedoch relativ selten vor, dass Schüler kein einziges Graphem in einem Wort richtig schreiben können. Daher sollten die Schüler die ausgelassenen Wörter möglichst nachschreiben. Andernfalls müssen die Werte, in die die fraglichen Wortstellen eingehen, unter Berücksichtigung des Lernstandes des betreffenden Kindes geschätzt werden. 5 Die Hamburger Schreibprobe kann als Gruppentest mit der ganzen Klasse oder mit einzelnen Schülern durchgeführt werden. Das Bearbeiten des Testhefts beansprucht nach unserer Erfahrung auch bei leistungsschwächeren Schülern weniger als eine Unterrichtsstunde. Die Auswertung erfolgt sowohl auf der Wortebene als auch auf der Buchstaben- bzw. auf der Graphemebene. Ermittelt wird neben der Zahl richtiger Wörter die Zahl richtig geschriebener Grapheme („Graphemtreffer“). Der Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass die Rechtschreibleistung mit einer vergleichsweise geringen Zahl von Wörtern zuverlässig und ökonomisch erfasst werden kann und auch bei orthographisch schwierigen Wörtern Näherungslösungen gewertet werden können. Anhand einer Auswahl von „Lupenstellen“ können auf einfache Weise Vergleichswerte für die einzelnen Rechtschreibstrategien ermittelt werden. Durch diese Bestimmung von Strategieprofilen werden Störungen im Aneignungsprozess differenziert erfassbar. Solche Störungen zeigen sich nicht nur in einem allgemeinen Zurückbleiben im Vergleich zu den Mitschülern derselben Klassenstufe, sie zeigen sich auch in auffälligen Verhältnissen verschiedener Rechtschreibstrategien zueinander. 4 Abweichend davon besteht bei der HSP 5-9 (EK) die Aufgabe in der Beurteilung vorgegebener Schreibungen in einem Text. 5 Das Testkonzept der HSP gleicht insofern dem „Testing-the-Limit“-Konzept, weil es im Gegensatz zu herkömmlichen Leistungstests nicht nur das reine Ergebnis (also die „Performanz“) berücksichtigt, sondern auf die zugrundeliegende „Kompetenz“ zielt, also auf die diagnostische Fragestellung, über welche Fähigkeiten der Schüler (unter entsprechenden Bedingungen) verfügen kann. 12 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE Mit der Hamburger Schreibprobe wird die individuelle Rechtschreibleistung eines Schülers oder einer Schülerin durch folgende Werte bestimmt: 1. Zur raschen Ermittlung grober Vergleichsergebnisse kann die Zahl richtig geschriebener Wörter herangezogen werden. 2. Die Zahl richtig geschriebener Grapheme („Graphemtreffer“) dient der Einschätzung des erreichten Niveaus des Rechtschreibkönnens. 3. Die Werte für die Lupenstellen zeigen den Grad der Beherrschung der Rechtschreibstrategien: Mit den folgenden vier Rechtschreibstrategien werden grundlegende Zugriffsweisen von Kindern auf Schrift beschrieben. Sie dienen der Bestimmung des jeweils erreichten individuellen Lernstandes. Alphabetische Strategie Damit wird die Fähigkeit beschrieben, die artikulierten Laute mit Buchstaben bzw. Buchstabenkombinationen schriftlich festzuhalten. Diese Zugriffsweise basiert auf der Analyse des eigenen Sprechens („Verschriftlichen der eigenen Artikulation“). Orthographische Strategie Damit wird die Fähigkeit beschrieben, die einfache Laut-BuchstabenZuordnung unter Beachtung orthographischer Prinzipien und Regeln zu erweitern und zu modifizieren. „Orthographische Elemente“ sind zum einen solche, die sich der Lerner als von der Verschriftlichung der eigenen Artikulation abweichend merken muss („Merkelemente“, z.B. Zahn, Vater, Hexe). Zum anderen sind dies Elemente, deren Verwendung hergeleitet werden kann („Regelelemente“, z.B. Koffer, stehen, Hand). Morphematische Strategie Damit wird die Fähigkeit beschrieben, bei der Herleitung der Schreibungen die morphematische Struktur der Wörter zu beachten. Sie erfordert sowohl die Erschließung des jeweiligen Wortstammes wie bei Staubsauger und Räuber (morphematisches Bedeutungswissen) als auch die Zerlegung komplexer Wörter in Wortteile wie bei Fahrrad und Geburtstag (morphologisches Strukturwissen). Wortübergreifende Strategie Damit wird die Fähigkeit beschrieben, beim Schreiben von Sätzen und Texten weitere sprachliche Aspekte zu beachten, unter anderem die Wortart für die Herleitung der Groß- bzw. Kleinschreibung, die Wortsemantik für die Zusammen- bzw. Getrenntschreibung, die Satzgrammatik z.B. für die Kommasetzung und die Verwendungsart eines Satzes z.B. als wörtliche Rede. Hier erfordert die Herleitung der Schreibung eines Wortes und das Setzen des Satzzeichens die Einbeziehung größerer sprachlicher Einheiten (Satzteil, ganzer Satz, Textpassage). 13 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE Die Ausprägung dieser Rechtschreibstrategien und der Grad ihrer Integration kann anhand eines Strategieprofils bestimmt werden. 4. Überflüssige orthographische Elemente deuten auf noch bestehende Unsicherheiten beim Anwenden der orthographischen Strategie hin. Je nach erreichtem Lernstand können die Gründe für überflüssige orthographische Elemente unterschiedlich sein: weil orthographische Elemente beim Überformen der alphabetischen Strategie zunächst „übergeneralisiert“ verwendet werden oder weil beim Schreiben der orthographischen Elemente die Morpheme nicht genügend beachtet werden. 5. Oberzeichenfehler: Sie weisen auf den Grad der Sorgfalt und auf die Kontrolle beim Schreiben hin. Mit Hilfe dieser verschiedenen Merkmale der Rechtschreibfähigkeit ermöglicht die Hamburger Schreibprobe auch eine qualitative Auswertung der Schreibergebnisse, die eine Voraussetzung für die gezielte Förderung ist. 1.2 Empirische Grundlagen der HSP Der Entwicklung der Hamburger Schreibprobe liegen die Ergebnisse eines umfassenden Forschungsprojekts zugrunde, das die Herausbildung orthographischer und textualer Kompetenz in der Schule erforschte (May 1990, 1993).6 Es wurden die Schreibungen von über 200 Wörtern (Einzelwörter und Sätze) sowie Aufsätze zu verschiedenen Themen im Hinblick auf die Entwicklung der Rechtschreibfähigkeit von Klasse 1 bis Klasse 9 ausgewertet. Aus diesem Fundus wurden die Aufgaben für die Hamburger Schreibprobe ausgewählt. Durch die Einbeziehung von Aufsatzschreibungen in die Testentwicklung konnte belegt werden, dass die mit der Hamburger Schreibprobe erhobenen Fähigkeiten für die Rechtschreibleistungen in selbst verfassten Texten derselben Schüler übertragbar sind (vgl. Balhorn & Vieluf 1990, May 1999a). Ein zentrales Forschungsergebnis besteht in der Bestimmung und Abgrenzung von Strategien bei der Realisierung der Schreibungen, die bei Schülern in bestimmten Phasen ihres Rechtschreiblernprozesses dominieren. Die Herausbildung und zunehmende Integration dieser grundlegenden Rechtschreibstrategien zu einer übergreifenden Gesamtstrategie des Rechtschreibens bildet neben dem Einprägen 6 Dieses von 1990 bis 1994 durchgeführte Forschungsprojekt wurde in den Jahren 2000 und 2001 ergänzt und fortgeführt durch eine bundesweite Erhebung von Rechtschreibleistungen und der Befragung von Lehrkräften zu den Lehr- und Lernbedingungen. 14 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE wortspezifischer Schreibungen den Kern dessen, was wir als orthographische Kompetenz bezeichnen. Die Zuordnung individueller Schreibweisen zu diesen dominanten Rechtschreibstrategien, an denen sich eine gezielte Förderung orientieren kann, ist neben der Bestimmung der allgemeinen Rechtschreibsicherheit das Hauptanliegen der Hamburger Schreibprobe. Grundlage hierfür ist die Auswertung der Schreibungen von insgesamt über 23.000 Schüern aller Klassenstufen der Grundschule sowie aller Schulformen der Sekundarstufe aus allen Bundesländern. Damit können die orthographischen Fähigkeiten von Schülern einer Klassenstufe auf dem Hintergrund der Entwicklung der Rechtschreibfähigkeiten von Klasse 1 bis 9 verglichen werden. Die Querschnitterhebungen wurden ergänzt durch verschiedene Längsschnitterhebungen über mehrere Jahre. Dadurch konnte die Entwicklung der Rechtschreibfähigkeiten derselben Schüler untersucht werden.7 Darüber hinaus wurden die Lehrerinnen und Lehrer der an den Erhebungen beteiligten Klassen zu den Unterrichtsbedingungen befragt, so dass Lernentwicklungen auch auf dem Hintergrund unterschiedlicher pädagogischer und didaktischer Konzeptionen interpretiert werden konnten.8 7 Die Längsschnittdaten stammen aus Ham- burg (ca. 400 Schüler von Klasse 1 bis 6, ca. 250 Schüler von Klasse 2 bis 4 und ca. 600 Schüler von Klasse 5 bis 6) sowie Rostock (ca. 100 Schüler von Klasse 1 bis 4). Bei den Hamburger Längsschnitterhebungen wurde auch die Leseleistung mit Hilfe der Hamburger Leseprobe (May & Arntzen 2000) erhoben. 8 Im Rahmen des Projekts „Lesen und Schreiben für alle“ (PLUS) wurden Textkompetenz und Rechtschreibleistungen bei ca. 2000 Hamburger Schülern von Klasse 1 bis 4 erhoben und zusammen mit Merkmalen des Klassen- und Förderunterrichts analysiert (May 1994c, 2001c). 15 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE 1.3 Zur Wortauswahl Mit den Wörtern und Sätzen der HSP 1+, HSP 2, HSP 3 und HSP 4/5 werden diejenigen Anforderungen an die orthographischen Fähigkeiten erfasst, die Kinder als Kompetenz im Verlauf der Grundschulzeit erwerben sollten. In den Lehrplänen werden die Ziele des Rechtschreibunterrichts für die Grundschule vorgegeben. Hier wird festgelegt, in welchem Ausmaß bestimmte orthographische Kenntnisse und Fertigkeiten erreicht werden sollen. Auf dieser Grundlage bestimmen wir die Kompetenz, die Kinder im Laufe der Grundschulzeit mindestens erwerben, folgendermaßen: Kinder sollen ihnen bekannte und häufig verwendete Wörter orthographisch schreiben können. Sie sollen ihre Artikulation verschriftlichen und dabei orthographische Besonderheiten berücksichtigen können. Dies schließt die Fähigkeit ein, Wörter nach ihren morphematischen Bausteinen durchgliedern zu können. Auf der Textebene kommen die Beugung (Flexion) der Wörter sowie die Verwendung von Satzzeichen (Interpunktion) hinzu. Zu erwarten sind des Weiteren das Befolgen einfacher Regeln für die Kommasetzung (Komma zwischen Hauptsätzen und bei Aufzählungen) und die Verwendung von Redezeichen. Die Sicherheit im Befolgen satzabhängiger Regeln wie die Großschreibung von substantivierten Formen ist für den Grundschulunterricht – hierin besteht ein weitgehender Konsens – allenfalls fakultativ. Die Schreibaufgaben der Grundschulversionen der Hamburger Schreibprobe wurden entsprechend dieser Zielbestimmung ausgewählt. In der HSP 5-9 (B und EK) werden darüber hinaus weitere Aspekte des wortübergreifenden Rechtschreibens – wie Großschreibung, Kommasetzung, „dass“-Schreibung und andere satzabhängige Regelungen – erfasst. Die Schreibaufgaben der Hamburger Schreibprobe sollen lehrgangsübergreifend jenes Strukturwissen erfassen, das den Kern orthographischen Wissens und Könnens ausmacht. Die Wörter müssen deshalb solche Phänomene in genügender Anzahl enthalten, die die wichtigsten alphabetischen, orthographischen und morphematischen Zugriffe prüfen, durch die die Rechtschreibkompetenz am Ende der Grundschulzeit (und darüber hinaus) gekennzeichnet ist. Wegen der großen Leistungsstreuung in Jahrgangsklassen muss das Wortmaterial ein Spektrum unterschiedlicher Schwierigkeitsniveaus bieten, so dass die Schreibprobe genügend hohe Anforderungen an sichere und auch angemessene Anforderungen an noch unsichere Schreiber stellt. 16 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE TABELLE 1.3: Rechtschreibphänomene, die in den Wörtern der HSP enthalten sind ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Alphabetisch zu schreibende mehrgliedrige Grapheme: <ch> und <sch> (Handtuch, Päckchen, Schwimmbad); pf (schimpft, Strumpfhose); ei (Stein, Eimer, beim); au (Staubsauger) ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Unterscheidung von Vokalen, insbesondere von Kurzvokalen: i/e (Spinne, Windmühle, sitzt); u/o (Strumpfhose, Geburtstag); ü/ö (Nüsse, Eichhörnchen) ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Unterscheidung zwischen m/n: schimpft, Strumpfhose ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Grammatisch bestimmte Phonemunterscheidung zwischen m/n: dem, am, beim ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Unterscheidung zwischen gespannten und ungespannten Explosivlauten: Bäckerei, Gespenst, Postkarte, Kerze ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Konsonantenverbindungen, einschließlich sog. Übergangskonsonanten (Briefträger, Fernseher, knackt, schimpft, Eichhörnchen, Schnecke) ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Besondere Grapheme, deren Lautwert mit anderen Graphemen dargestellt werden kann: <x>, <qu> (Max, Quarkkuchen); <v> (vor); <ß> als scharfes /s/ (Gießkanne, Fußballmannschaft, beißt) ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Rechtschreibmuster, die artikulatorisch schwierig zu erschließen sind: -er (Blätter, Räuber, Lehrerin); -ar (Briefmarke, Torwart); -ur (Regenwurm, Geburtstag) ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– sp-/st-Schreibung am Wortanfang (Stein, Spiegel, Strumpfhose) und in komplexen Wörtern (Gespenst, Frühstück) ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Längezeichen: - h als Längezeichen am Stammende in offener Tonsilbe, wo das h als Silbenanlaut gesprochen werden kann: Rollschuhe, Fernseher, gehen - h am Stammende in offener Tonsilbe, wobei das Längezeichen durch die Operation „Verlängern“ als Silbenanlaut gesprochen werden kann: Fernsehprogramm, Frühstück - h im Stamminneren vor einem Konsonanten: Zähne, ihn, Windmühle, Lehrerin, Verkehrsschild, Hauptbahnhof - ie: Stiefel, Briefträger, Spielplatz, Gießkanne - oo, aa: doofe, Ehepaar ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 17 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Kürzezeichen: - Konsonantenverdopplung zwischen zwei Vokalen: Anna, Koffer, Blätter, Bäckerei, Katze, Schnecke, Nüsse, eingewickeltes, Packung - in Endstellung: kann, wenn, Mann, Spielplatz, Frühstück, Spinnennetz, Reißverschluss, Fahrradschloss, überall - in Endstellung innerhalb eines Kompositums: Schwimmbad, Fußballmannschaft, Rollschuhe - in Endstellung vor Fuge: Frühstücksei - in Endstellung vor Endung: verletzte, Päckchen, Stückchen, (öffnen) - silbisch mit einem Flexionsmorphem verschmolzen: schafft, knackt, bekommt, sitzt, ausgepackt, starrt, spuckt ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Auslautverhärtung: - Ableitung durch Rückführung auf die Grundform: fragt, schreibt, pflegt - Ableitung durch Pluralbildung: Geburtstag, Fahrrad, Verkehrsschild, Nilpferd - Ableitung durch Pluralbildung nach erfolgter Dekomposition: Handtuch, Windmühle, Fahrradschloss - Ableitung nach Stammerschließung, ggf. mit Wortartenwechsel: Schubkarre, Staubsauger, Schiedsrichter, dauernd ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Abzuleitende Umlautungen: - Ableitung durch Singularbildung: Mäuse, Zähne, Blätter - Ableitung nach Stammerschließung, ggf. mit Wortartenwechsel: Bankräuber, Verkäuferin, Bäckerei, Briefträger, Päckchen ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Kompositumschreibung: Fugen-s: Geburtstag, Schiedsrichter Phonemverschmelzung: Schlüsselloch, Fahrradschloss, Handtuch, Spinnennetz, Quarkkuchen ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Präfix-Schreibung: versucht, verletzte, vergessen, Verkäuferin, Verkehrsschild ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Fremdwortschreibungen: Familie, Computer, Bohrmaschine, Nilpferd, Sekretärin ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Satzabhängige Schreibungen: - satzabhängige Groß- bzw. Kleinschreibung: der doofe Computer, das verletzte Nilpferd, Nachmittags - dass-Schreibung: ... merkt, dass er ... - satzabhängige Wortartenbestimmung: wenn man .../ der Mann - grammatische Kongruenz: formale Abstimmung der Deklination („in hohem“/ „im hohen“, „Stück vom Hund“, „zum ersten“) Satzzeichenregelungen: Kommasetzung zwischen Haupt- und Nebensatz, Anführungszeichen in Verbindung mit Kommasetzung, Doppelpunkt und Fragezeichen ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 18 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE Die Wortauswahl der HSP bezieht sich auf keinen bestimmten Grund- oder Übungswortschatz. Zwar geschieht Rechtschreiblernen in hohem Maße durch die Analyse von „Modellwörtern“ bzw. von deren Bestandteilen (Morphemen, häufigen Buchstabengruppen), die die orthographischen Phänomene beinhalten und die Rechtschreibregelungen repräsentieren. Diese „Modellwörter“ sind jedoch für verschiedene Lehrgänge und letztlich für jeden einzelnen Lerner unterschiedlich, weshalb sich ein lehrgangsübergreifendes Diagnoseverfahren zur Erfassung von orthographischer Kompetenz nicht an einem einzigen – wie auch immer bestimmten – Grundwortschatz orientieren kann. Die Wörter und Sätze sind so gewählt, dass sie den Schülern der verschiedenen Klassenstufen einen sorgfältig bestimmten Ausschnitt orthographischen Wissens und Könnens abverlangen. Tabelle 1.3 zeigt eine Übersicht über wichtige Rechtschreibphänomene, die als Kriterien für die Auswahl der Wörter und Sätze in der HSP herangezogen wurden.9 Auf diese Weise kann mit verhältnismäßig wenigen Wörtern und Sätzen eine differenzierte Einschätzung des individuellen Lernstandes vorgenommen werden. Damit vermeidet das Verfahren eine Überforderung von Schülern mit Rechtschreibschwierigkeiten und ist zugleich arbeits- und zeitökonomisch auszuwerten. Um die Bedeutung der Wörter durch Illustrationen zu vermitteln, umfassen die verschiedenen Versionen der HSP je nach Klassenstufe zwischen 4 und 16 Nomen als Einzelwörter und ein bis fünf Sätze mit flektierten Wortformen, Strukturwörtern und weiteren Nomen. Die Wörter der einzelnen Versionen der HSP umfassen insgesamt zwischen 40 und 339 Grapheme.10 Auf der Grundlage empirischer Analysen wurden die mit der HSP erfassten orthographischen Phänomene systematisch variiert, um unterschiedliche Schwierigkeitsgrade zu bieten. 9 Eine Aufstellung der in den Wörtern der 10 Eine Übersicht über alle Graphemstellen einzelnen HSP-Versionen enthaltenen Rechtschreibphänomene enthalten die Listen RSP 1 bis RSP 5-9 im Anhang. der einzelnen HSP-Versionen geben die Tabellen ST1-GT bis ST59-GT im Anhang. 19 HSP Manual 1-9 1.4 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE Das Auswertungsverfahren In den folgenden Abschnitten werden die theoretischen Überlegungen zum Auswertungsverfahren vorgestellt. Hinweise für das praktische Vorgehen bei der Auswertung finden Sie in den Anleitungsheften für die einzelnen HSP-Versionen. 1.4.1 Wortbezogene Auswertung Um einen ersten raschen Überblick über die Rechtschreibleistung zu erhalten, können zunächst die richtig geschriebenen Wörter gezählt werden. Dies führt bei den meisten Schreibern, deren Leistungsvermögen der oberen Hälfte der Vergleichsgruppe zuzurechnen ist (Prozentrang ≥ 50) zu hinreichend aufschlussreichen Werten für die allgemeine Rechtschreibleistung. Dieses einfache Auswertungsverfahren bietet sich auch dann an, wenn es um vorwiegend quantifizierende Vergleiche geht, z.B. um einen Vergleich verschiedener Großgruppen oder um den Zusammenhang zwischen Rechtschreib- und anderen Schulleistungen. Immer dann jedoch, wenn es um spezifische Rechtschreibleistungen geht, etwa bei der Bestimmung des Lernzuwachses eines einzelnen Schülers oder beim Erfassen von Unterrichtserfolgen einer bestimmten Methode, reicht das wortbezogene Auswertungsverfahren nicht aus. Bei Kindern, deren Rechtschreibleistung nach der wortbezogenen Auswertung relativ schwach erscheint, sowie bei Kindern, deren Rechtschreibergebnis erwartungswidrig ausfällt, sollten Sie zusätzlich die im Folgenden beschriebene Auswertung der Graphemtreffer sowie der Lupenstellen zur Bestimmung der Rechtschreibstrategien durchführen. 1.4.2 Auswertung der Graphemtreffer Die entscheidende Auswertungsmethode der Hamburger Schreibprobe beruht auf der Anzahl richtig geschriebener Grapheme (sog. Graphemtreffer). Dieses Verfahren trägt, im Unterschied zu Verfahren, die nur die Anzahl richtig bzw. falsch geschriebener Wörter ermitteln, der Tatsache Rechnung, dass Lerner sich die orthographischen Prinzipien schrittweise aneignen. Lernpsychologisch bedeutsam ist es, auch teilweise richtige Lösungen zu erfassen, denn in den Teillösungen zeigen sich fast immer gelungene Operationen. Auf diese Weise wird es möglich, zwischen unterschiedlichen Schreibweisen zu differenzieren, die Ausdruck qualitativ verschiedener Lernstände sind. Damit lassen sich verschiedene Grade der Annäherung an die Normschreibung unterscheiden, so dass gezielte Fördermaßnahmen eingeleitet werden können. 20 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE Dass die Beurteilung von Schreibungen nach dem Maßstab „richtig/falsch“ nicht genügend zwischen unterschiedlichen Lernniveaus differenziert, trifft um so mehr zu, je früher im Laufe der Lernentwicklung Schreibungen erhoben werden bzw. je weniger entfaltet eine individuelle Schreibleistung ist. Am Ende der Grundschulzeit und in der Sekundarstufe kann die Mehrzahl der Schüler einen Großteil der Wörter richtig schreiben und nur noch selten enthält ein geschriebenes Wort mehr als einen Fehler. Für die meisten Schüler würde es auf dieser Stufe daher für die Feststellung der Rechtschreibleistung genügen, die Zahl der richtig geschriebenen Wörter zu zählen. Dies gilt jedoch nicht für die frühe Lernstandsbestimmung und für die Förderdiagnose bei älteren Lernern mit ausgeprägten Rechtschreibschwierigkeiten. Um sie „im Blick zu haben“, d.h., um gestörte Lernverläufe frühzeitig aufzudecken, ist die Hamburger Schreibprobe konzipiert worden. Am Beispiel verschiedener Schreibungen des Wortes „Fahrrad“ lässt sich zeigen, wie wichtig eine differenzierte Erfassung des erreichten Lernstandes ist und auf welche Weise qualitativ unterschiedliche Schreibungen mit Hilfe der Graphemauswertung berücksichtigt werden können (siehe Tabelle 1.4.1). TABELLE 1.4.1: Unterschiedliche Maßstäbe für die Bewertung am Beispiel verschiedener Schreibungen des Wortes „Fahrrad“ B E W E R T U N G S M A S S S TA B 11 ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Schreibung richtig/ Realisiertes Rechtschreibwissen Graphemfalsch treffer ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– FT falsch alphabetisches Schreiben: verkürzte Lautfolge 1 Fart falsch alphabetisches Schreiben entfaltet 2 Farat falsch vollständiges alphabetisches Schreiben 3 Farad falsch orthographisches Regelelement bezeichnet 4 Fahrad falsch orthographisches Merkelement bezeichnet 5 Fahrrad richtig Kompositum morphematisch durchdrungen 6 ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Die Schreibung *FT stellt eine noch wenig differenzierte Verschriftlichung der eigenen Artikulation dar, in der An- und Auslaut in der Art einer „Skelettschrift“ bezeichnet werden.12 Mit *Fart wird das Wort lautlich schon deutlich ausdifferenziert. In artikulatorischer Hinsicht ist die Schreibung *Farat vollständig. Bei der Schreibung *Farad wird zusätzlich ein orthographisches Element (Auslautverhär11 Die Groß- bzw. Kleinschreibung bleibt hier außer Betracht. 12 In Analogie zur Entwicklung der Fähigkeiten zur bildnerischen Personendarstellung könnte man hier auch von schriftsprachlichen „Kopffüßlern“ sprechen. 21 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE tung) realisiert. Eine weitere Entwicklung des orthographischen Schreibens stellt *Fahrad (Berücksichtigung des Merkelements <ah>) dar. Die normgemäße Schreibung Fahrrad weist darauf hin, dass hier die beiden Stammmorpheme „Fahr“ und „Rad“ erfasst und in ihrer konstanten Schreibweise im Kompositum dargestellt wurden. Bei der Auswertung nach Graphemtreffern werden Buchstaben zusammengenommen, wenn sie in orthographischer Hinsicht eine Einheit bilden. Dazu gehören • • • • Diphthonge (ei, au, eu/äu) mehrgliedrige Konsonanten (z.B. ch, sch, pf, qu) Vokale mit Längezeichen (z.B. ie, ih, ieh, ah, oo) Doppelkonsonanten als Kürzezeichen (z.B. ll, mm, ck, tz) In vielen Wörtern gibt es demnach weniger Graphemstellen als Buchstaben (z.B. F/ah/r/r/a/d, R/o/ll/sch/uh/e).13 Die Unterscheidung zwischen richtig geschriebenen Buchstaben und Graphemen ist im Hinblick auf die differenzierte Erfassung orthographischer Elemente bedeutsam. Darüber hinaus ermöglicht die Graphembewertung eine größere Objektivität bei der Auswertung, da zwischen richtiger Schreibung der einzelnen Grapheme und mehrdeutigen Schreibungen differenziert werden kann. So ist beispielsweise bei der Schreibung *Faharad die Zahl richtig geschriebener Buchstaben schwer zu bewerten, während dies bei der Graphemauswertung eindeutig möglich ist.14 Vor allem aber ermöglicht die Einführung der graphembezogenen Auswertung die Erfassung von sog. Rechtschreibstrategien, die auf der Basis einer nur wortbezogenen Auswertung nicht möglich wäre. Die Graphemtreffer, definiert als die Summe der richtig geschriebenen Grapheme, bilden den Hauptkennwert der Hamburger Schreibprobe. Dieser Wert, in den alle anderen Kennwerte einfließen, bündelt das Maß für den erreichten Stand des Rechtschreibkönnens. Er ist, wie durch die Angaben im Abschnitt 3.4 belegt, sehr zuverlässig, er differenziert genügend in allen Bereichen des Leistungsspektrums, und besitzt eine hohe Gültigkeit für die Bewertung der Rechtschreibleistung, wie die Korrelationen mit anderen Vergleichsmaßen für schriftsprachliche Leistungen zeigen (siehe Abschnitte 2.1 bis 2.5). Für die Interpretation der übrigen Kennwerte der Hamburger Schreibprobe sollte stets auch dieser Gesamtwert als Maß für die allgemeine Rechtschreibleistung berücksichtigt werden. 13 Für die Auswertung der Graphemtreffer legen wir einen pragmatisch bestimmten Graphembegriff zugrunde, nach dem sich gleiche Phänomene möglichst gleichen Kategorien zuordnen lassen. So fassen wir die Buchstabenverbindung <pf> in Wörtern wie „Nilpferd“ und „schimpft“ stets als ein Graphem auf – unabhängig von der unterschiedlichen Sil- bentrennung (Nil-pferd, schimp-fen). Durch die Vorgabe der Graphemkästchen in den Auswertungsschemata der Testhefte wird die Einheitlichkeit der Graphemzuordnung gewährleistet. 14 Das Vorgehen bei der Auswertung der Graphemtreffer ist ausführlich in den Anleitungsheften für die einzelnen HSP-Versionen erläutert. 22 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE 1.4.3 Vergleich verschiedener Jahrgangsformen der HSP Wie Sie die ermittelte Rechtschreibleistung einer Schülerin bzw. eines Schülers mit Hilfe der Tabellen für die bundesweiten Normen in Prozenträngen bzw. T-Werten ausdrücken, wird in den Anleitungsheften für die einzelnen Versionen der HSP beschrieben. Mit Hilfe dieser Normwerte können Sie die Leistungen in verschiedenen Jahrgangsversionen der HSP miteinander in Beziehung setzen. Bei dieser Zuordnung legen Sie einen sozialen Maßstab an, d.h., es wird geprüft, inwieweit der individuelle Lernzuwachs im Vergleich zum Lernfortschritt anderer Lerner höher oder niedriger ausfällt. Sind Sie jedoch eher an einer Analyse des individuellen Lernfortschrittes interessiert, so bietet sich eher ein sachlicher Vergleichsmaßstab an. Für eine solche individuelle Lernentwicklungsanalyse kann die Zahl der richtigen Lösungen (Wörter, Graphemtreffer oder Lupenstellen) auch in Prozentwerten ausgedrückt werden. Damit können Sie auf der sachlichen Ebene Lernfortschritte eines Schülers auch in den Fällen feststellen, wo der Prozentrang zwar unverändert blieb, der Schüler jedoch mehr Wörter, Grapheme oder Lupenstellen richtig geschrieben hat als zuvor. Die entsprechenden Zahlenwerte finden Sie ebenfalls in den Tabellen der einzelnen Anleitungshefte. Zwar sind die einzelnen Versionen der Hamburger Schreibprobe wegen ihres mit der Klassenstufe ansteigenden Schwierigkeitsgrades nur annähernd miteinander vergleichbar; da jedoch gleichzeitig auch die Leistungsfähigkeit in der Altersgruppe wächst, können die Rechtschreibfortschritte einzelner Schüler mit Hilfe der Prozentangaben gut dargestellt werden. Auch bei der Bewertung der Rechtschreibsicherheit in selbst verfassten Texten hat sich die Angabe des Prozentwertes richtig geschriebener Grapheme bewährt (siehe dazu May 1999a). Abbildung 1.4.2 zeigt die Entwicklung des Anteils richtiger Grapheme bei Schülern unterschiedlicher Leistungsniveaus in den Jahrgangsversionen der HSP.15 Während sich die Werte zwischen den Leistungsgruppen zu Beginn der Lernentwicklung drastisch unterscheiden, nähern sich die Anteile richtig geschriebener Grapheme in allen Gruppen allmählich dem Maximalwert. Das bedeutet, dass auch die Schüler mit Rechtschreibschwierigkeiten im Laufe der Zeit die meisten Grapheme richtig schreiben.16 15 Die Halbjahreswerte für die HSP 5-9 wurden geschätzt. 16 Die Basisversion der HSP für die Sekundarstufe (HSP 5-9 B) differenziert entsprechend vorwiegend im schwächeren Leistungsbereich; für die Erfassung von Leistungen bei fortgeschrittenen Rechtschreibern sollte dann die Version für die erweiterte Kompetenz (HSP 5-9 EK) eingesetzt werden. 23 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE HSP Manual 1-9 - HSP 1 1M HSP 1 1E HSP 1 2M HSP 2 E HSP 3 M HSP 3 HSP 4/5 HSP 4/5 HSP 4/5 HSP 5-9 E 4M 4E A5 E5 HSP 5-9 E6 HSP 5-9 E7 HSP 5-9 E8 ABBILDUNG 1.4.2: Anteil richtiger Grapheme bei Schülern unterschiedlicher Leistungsstufen von Klasse 1 bis 917 17 Die entsprechenden Angaben für die Strategiewerte der HSP und für die unterschiedlichen Schulformen in der Sekundarstufe finden Sie im Abschnitt 3.2 (Tabelle 3.2.3). HSP 5-9 E9 24 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE 1.5 Die Erfassung von Rechtschreibstrategien 1.5.1 Der Begriff „Rechtschreibstrategie“ In der Rechtschreibdiagnostik und -didaktik wurde der Begriff „Strategie“ früher kaum verwendet. Überhaupt ist der Prozess des Zustandekommens von Schreibweisen begrifflich selten scharf gefasst: Schreibweisen seien „eingeprägt“, würden „gemerkt“, „abgerufen“ oder gingen routiniert „von der Hand“; Regeln würden angewendet oder befolgt – der Erklärungswert solcher Bestimmungen ist gering. Aussichtsreicher für ein Verstehen des Orthographielernens ist der Prozess des Erschreibens, die kognitive Konstruktion von Schreibweisen. Schreibungen – auf welchem Fertigkeitsniveau auch immer – basieren auf einer „Theorie“ des Schreibenden und individuell ausgebildeter Vorgehensweisen. Die Vorstellungen des Kindes von der Schrift und der Verschriftlichung und seine entsprechenden Operationen suchen wir im Begriff der Strategie18 zu fassen. Mit dem Begriff der Strategie bzw. der Unterscheidung bestimmter Teilstrategien wollen wir also die Prozesse charakterisieren, mit denen Schreibungen erzeugt werden. Mit fortschreitendem Erwerb greifen die verschiedenen Strategien als Teilhandlungen zunehmend ineinander und ergänzen sich zu einer komplexen Gesamtstrategie (vgl. May 1993). Sie sind jeweils regelgeleitet und untereinander systematisch verknüpft. In genetischer – also in einer didaktisch an Entwicklung und Förderung interessierten – Betrachtung gilt es jedoch, diese Teilstrategien getrennt zu halten, um erfassen zu können, wie sie sich ausbilden und ob und inwieweit sie sich miteinander verschränken. Über das Verhältnis der Teilstrategien zueinander – dies ist ein wesentliches Ergebnis unserer Untersuchungen – lassen sich individuelle Lernverläufe bestimmen und abgrenzen. Das Verhältnis der einzelnen Strategiewerte lässt Aufschlüsse über die „normale“ oder eine auffällige Schreiblernentwicklung zu. Mit der analytischen Bestimmung der im Folgenden ausgeführten Teilstrategien lässt sich der Prozess des Orthographieerwerbs eines Kindes genauer bestimmen, festhalten und in seiner Tendenz (zunehmende Integration der Teilzugriffe oder Verharren in einseitigen Zugriffsweisen) erkennen. Insofern ist der Begriff der Stra18 Handlungstheoretisch werden die Begriffe „Strategie“ oder „strategisches Handeln“ als Verknüpfen und Abstimmen verschiedener Teilhandlungen (Operationen) zum Erreichen eines Ziels definiert. Auch im alltagsweltlichen Gebrauch des Wortes Strategie ist das Abstimmen von Teilaspekten bzw. Teilhandlungen gemeint. So sprechen wir von Spielstrategien und in einem solchen Begriff schwingt Berechnung, Kalkulation, fehlende Offenheit, allemal eine hohe Bewusstheit und Planung mit. Diese Aspekte sind mit dem Begriff „Rechtschreibstrategie“ allerdings nicht gemeint. Zwar bedeutet Schreiben eine Vergegenständlichung von Sprache, also einen bewussteren Sprachgebrauch als üblicherweise in der gesprochenen Sprache, auch werden bestimmte Operationen zur Entscheidung und zur Kontrolle einer bestimmten Schreibweise bewusst vollzogen, aber eine durchgängige Bewusstheit für die eigenen Zugriffsweisen auf Sprache und Schrift ist für Lerner damit nicht gegeben. 25 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE tegie und die Differenzierung in Teilstrategien für die Hamburger Schreibprobe und die damit bestimmbaren Ergebnisse für eine Förderung von grundlegender Bedeutung. Die Orthographie ist aus linguistischer Sicht umfassend und klar „geregelt“, vom Lernenden dagegen wird sie zu Beginn des Lernprozesses wesentlich einzelheitlich aufgefasst. Sogar eine für Schriftkundige selbstverständliche „Regel“, nämlich dass man im Deutschen von links nach rechts schreibt, muss zunächst gelernt werden. Regeln werden von den Kindern normalerweise nicht als Merksätze auswendig gelernt. Sie entdecken die Regeln in den Wörtern, denen sie gewissermaßen „eingeschrieben“ sind.19 Wie Sprachlernen überhaupt, so ist auch der Erwerb der Orthographie über weite Strecken ein intuitiver, d.h. nicht von außen gesteuerter Lernprozess. Kinder lernen, indem sie handeln und sich an Rückmeldungen orientieren. Häufig können Kinder Rechtschreib“regeln“ im Sinne von Merksätzen erst dann verstehen, wenn sie diesen Regeln bereits intuitiv folgen. Dann ist die sprachliche Form der Regel eine Bündelung bereits erworbenen Wissens und wirkt zusätzlich handlungsleitend.20 Regeln, die das Handeln leiten, sind also mehr als „Vorschriften“. Sie sind verallgemeinerte Erfahrungen. Orthographische Regeln helfen Kindern zu entscheiden, was sie tun müssen, um richtig zu schreiben, oder was sie tun müssen, um sich die geltenden Konventionen für eine Schreibung zu merken. Regeln dienen der Auswahl von Operationen in Entscheidungssituationen. Eine solche Regel könnte beispielsweise lauten: „Durch Verlängern eines Wortes kann ich den Buchstaben für den Auslaut ‚sprechbar‘ machen.“ Eine solche Handlungsregel setzt die (intuitive) Kenntnis der orthographischen Vorschrift über die Schreibung von Wörtern der Auslautverhärtung mit Stimmtonverlust voraus. Und diese Vorschrift muss vorher durch einschlägige Erfahrungen erkannt worden sein. Kein Handeln geschieht ohne Regeln. Aber zu einer Strategie wird regelgeleitetes Handeln erst, wenn die erkannten Regeln immer wieder und zunehmend systematisch das Handeln steuern. Wenn ein Kind z.B. entdeckt, dass in manchen Wörtern <v> statt <f> geschrieben wird, und es allmählich eine Regel über die <v>-Schreibung in Vorsilben ausbildet, so folgt daraus regelgeleitetes Handeln, das sich aber noch auf einzelne bzw. wenige Phänomene bezieht. Eine Strategie wird daraus, wenn das Kind mehrere solcher Wortbildungsvorschriften entdeckt, sie als für das Schreiben vieler Wörter konstitutiv erkennt und daraus die Routineoperation entwickelt, Wörter mehr oder weni19 Probst (1988, S. 12) spricht in diesem Zusammenhang von „impliziten Regeln“, die „der Sprache ‚objektiv‘ inhärent“ sind und sich „in der mentalen Repräsentation des Sprachbenutzers (mehr oder weniger vollständig und differenziert) abbilden“. 20 Siehe zum Erwerb von Regelwissen auch Abschnitt 5.3, wo ein Stufenmodell zur Entwicklung vom Neuling zum Experten im Rechtschreiben vorgestellt wird. 26 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE ger systematisch nach Bausteinen (Vorsilben, Stamm, Endungen usw.) zu durchgliedern, um die Schreibweise zu klären. Eine andere Strategie würde in diesen Fällen auch zum Ziel führen, nämlich – aufgrund der Erfahrung, dass die meisten Wörter, die mit der Lautfolge /fer/ beginnen, mit „v“ geschrieben werden – sich die wenigen Wörter zu merken, in denen die Lautfolge /fer/ nicht mit „v“ geschrieben wird (fertig, fern, Ferkel). Welche Merk- und Rechtschreibstrategien zu welchem Zeitpunkt ausgebildet und bevorzugt werden, ist individuell durchaus verschieden und hängt auch von der orthographischen Struktur der Lernwörter, die als Musterwörter zur Ausbildung kognitiver Schemata dienen, sowie von den Instruktionen und Modellhandlungen der schreibkundigen Vorbilder ab. Die Unterscheidung grundlegender Rechtschreibstrategien für das Wortschreiben geht davon aus, dass die Regeln, die der Schriftlerner entdeckt und denen er schreibend folgt, bestimmten Prinzipien zugeordnet werden können, die der deutschen Schrift zugrunde liegen. Neben dem Prinzip, so zu schreiben, wie es Schriftkundige vormachen, und sich die Buchstabenkombinationen zu merken (logographemisches Prinzip) sind vor allem die beiden Grundprinzipien relevant, die als „alphabetisches Prinzip“ (Laut-Buchstaben-Zuordnung) und als „morphematisches Prinzip“ (Stammkonstanz und Konstanz der Wortbildungsbausteine) bekannt sind. Daneben bzw. dazwischen gibt es verschiedene „orthographische Prinzipien“, die auf der Grundlage des morphematischen Prinzips das alphabetische Prinzip modifizieren (z.B. orthographische Elemente im Wortstamm wie Länge- und Kürzezeichen). Beobachtet man die schriftsprachliche Entwicklung von der ersten Klasse an über mehrere Jahre, so lässt sich die Herausbildung orthographischer Kompetenz als ein schrittweiser Aufbau immer komplexer werdender Zugriffsweisen auf die Schriftsprache nachzeichnen, und es können qualitativ gut gegeneinander abgrenzbare Rechtschreibstrategien unterschieden werden. Nach dem heutigen Erkenntnisstand lassen sich vier Hauptstrategien unterscheiden, nach denen Schreiblerner die Prinzipien und Konventionen unseres Schriftsystems rekonstruieren und Wörter verschriftlichen. ó Logographemische Strategie Schon lange vor der Schulzeit wissen Kinder, dass Zeichen „für etwas stehen“, dass Zeichen etwas repräsentieren (z.B. + = „Krankenhaus“, Ω = „Kopfhörer“). Aus ihrer Erfahrung mit sog. Logographemen – Logos aus Buchstabenzeichen (z.B. VW, P für „Parkplatz“, BP für „Tankstelle“) bzw. Wörtern, die als Logos „gelesen“ werden (wie Q uelle, FANTA oder POLIZEI) – entwickeln viele Kinder die Vorstellung, man könne von der graphischen Gestalt wie bei einer Bilderschrift unmittelbar auf die Bedeutung schließen. Deshalb ist zu dieser Zeit „FANTA“ etwas anderes als „Fanta“; und die Buchstabenfolge „PO“ kann – in beliebigen Wörtern – für „Polizei“ stehen, weil sie dem Kind aus diesem Bedeutungszusammenhang vertraut ist. Beim logographe- 27 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE mischen Schreiben wird die Schreibung von Wortteilen (Wortanfängen, Silben), Wörtern und kurzen Sätzen unabhängig von der Lautung bzw. Artikulation als graphemisches Muster gemerkt. Ein Lautbezug wird nicht hergestellt. Die (Selbst-) Instruktion für das „logographemische Schreiben“ könnte lauten: „Merke dir die Form und die Anordnung der Zeichen (Buchstaben).“ Verschiedene Schreibwörter unterscheiden sich letztlich allein durch ihre unterschiedlichen Buchstabenkombinationen. Insofern kann die logographemische Strategie des Einprägens der Buchstabenfolgen prinzipiell immer zur richtigen Schreibung der Wörter führen. Von der Speicherfähigkeit des menschlichen Gedächtnisses her wäre es ohne weiteres denkbar, sich die Wörter eines durchschnittlich verwendeten Schreibwortschatzes rein logographemisch zu merken – so wie es bekanntlich beim Erwerb der chinesischen Begriffsschrift geschieht. Prinzipiell wäre dies auch bei einer alphabetischen Sprache wie dem Deutschen möglich, denn von den ca. 200.000 Wörtern der deutschen Sprache werden von den meisten Menschen nur einige tausend verwendet. Allerdings wäre die logographemische Strategie als alleinige Erwerbsstrategie bei unserer Laut-Buchstaben-Schrift wenig ökonomisch und es würde auch bei hoher Motivation und ständigem Üben viel länger dauern, um genügend Wörter und Wortformen für das Schreiben gehaltvoller Texte zu spreichern. Deshalb müssen Schreiblerner auch andere Strategien erwerben und mit der logographemischen Strategie verknüpfen. Die Strategie des „logographemischen Schreibens“ spielt nicht nur am Anfang des Schrifterwerbs eine wichtige Rolle (z.B. beim Schreiben des eigenen Namens und anderer für das Kind bedeutsamer Wörter). Auf sie wird auch in fortgeschrittenen Phasen des Rechtschreiblernens zurückgegriffen, z.B. bei der Kontrolle des Schreibentwurfes: Die Praxis des „Löschblattschreibens“ sucht die vertraute Version zu finden, was häufig gelingt. In fortgeschrittenen Fertigkeitsstufen des Rechtschreibens können gewandte Schreiber einige hundert bis etliche tausend Wörter und Wortformen logographemisch schreiben. Dazu gehören beispielsweise Satzfunktionswörter (Artikel, Konjunktionen, Präpositionen usw.). Auch die meisten Wortbildungsmorpheme (z.B. Vorsilben, Endungen) werden mit der Zeit ebenso logographemisch geschrieben wie besonders häufig geschriebene Wortstämme. Die logographemische Strategie bezieht sich also nicht nur auf ganze Wörter, sondern auch auf Wortteile. Daher bedeutet logographemisches Schreiben nicht dasselbe wie die Wiedergabe ganzheitlich gespeicherter Wort„bilder“.21 21 Es ist sinnvoll, zwischen den Begriffen „logographemische Strategie“ und „Wortbildeinprägen“ zu unterscheiden. Nach der Auffassung der Wortbildtheorie werden vollständige Wörter als ganzheitliches visuelles Bild gespeichert (siehe ausführlich Scheerer-Neumann 1986). Logographemisches Schreiben muss sich jedoch nicht auf ein ganzes Wort beziehen, sondern kann sehr unterschiedliche Einheiten aufgreifen. Dagegen wäre es nach Auffassung der Wort“bild“theorie bedeutsam, welche graphische Gestalt ein Wort als Ganzes hat. Die logographemische Strategie ist demnach erheblich flexibler handhabbar als ein Merken von „Wortbildern“. 28 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE ó Alphabetische Strategie Spätestens im ersten Schuljahr lernen die meisten Kinder, dass sie für die Identifikation der durch Buchstabenfolgen repräsentierten Gegenstände nicht nur die äußere Form der Schrift heranziehen können, sondern dass sie einen „Umweg“ über die eigene Aussprache (Artikulation) machen müssen: Sie erkennen, dass die Schrift lautsprachliche Informationen „enthält“. Diese Erkenntnis ist für den weiteren Lernprozess von grundlegender Bedeutung. Die Kinder sind damit zunehmend in der Lage, ihre eigene Aussprache mit Hilfe der ihnen bekannten Buchstaben zu analysieren. Idealtypisch nimmt der Lernprozess dabei folgenden Verlauf: Zunächst geben Kinder ganze Wörter mit nur einzelnen Buchstaben (z.B. *p für „Räuber“) wieder. Im nächsten Schritt schreiben sie Folgen von Buchstaben (*rp, *ropa) und können immer größere sprachliche Einheiten (Silben, Wörter, einfache Sätze) mehr oder weniger vollständig anhand der eigenen Aussprache verschriftlichen. Schließlich können sie beliebige Wörter so schreiben, dass sie für andere und für sie selbst lesbar sind (*roiba). Beim alphabetischen Schreiben wird das Schreiben dem Lautschriftprinzip gemäß mit Hilfe der eigenen Artikulation gesteuert und kontrolliert. Dabei werden den einzelnen Lauten (Phonemen) einzelne Buchstaben (Grapheme) zugeordnet. Diese „alphabetische Strategie“ entwickelt sich vom Verschriftlichen einzelner markanter Laute über die vollständige „lautgetreue“ Darstellung der eigenen – dialektal und soziolektal gefärbten – Aussprache hin zur Verschriftlichung der Standardlautung unter Beachtung der geläufigsten Laut-Buchstaben-Zuordnungsregeln (z.B. *Reuber statt *Roiba).22 Noch im Laufe des ersten Schuljahrs erkennen die meisten Kinder, dass es keine 1:1Beziehung zwischen lautsprachlichen und schriftsprachlichen Elementen gibt. Sie beachten, dass ein Laut mit einer Buchstabenkombination wiedergegeben werden kann (sch, ch). Ebenso beachten sie, dass für eine Lautkombination nur ein Buchstabe geschrieben wird (z.B. z für /ts/). Und sie lernen den schwierigen Umgang mit verschiedenen „Lautwerten“ derselben Buchstaben (insbesondere der Vokale) kennen. Damit wird bereits der nächste wesentliche Lernschritt angebahnt: die Erkenntnis, dass eine Vielzahl von Wörtern anders geschrieben wird, als die eigene Aussprache nach dem alphabetischen Verschriftlichungsprinzip nahe legt. Mit der Aneignung der geläufigsten Rechtschreibmuster (z.B. eu statt *oi oder *oj, er statt *a), die das rein lautlich orientierte Schreiben modifizieren, gelangen die Kinder an die Schwelle zum orthographischen Schreiben. 22 Daher ist es sinnvoll und notwendig, zwi- schen alphabetischer Strategie und dialektaler Verschriftung zu unterscheiden: Die mundartliche Verschriftung bildet die jeweiligen regionalen Aussprachevarianten ab, sodass Schreiber verschiedener Regionen dieselben Wörter entsprechend ihrer Aussprache unterschiedlich schreiben. Die alphabetische Strategie schließt darüberhinaus auch die Fähigkeit ein, sich beim Rechtschreiben an der hochsprachlichen Standardlautung zu orientieren, sodass nicht mehr alle dialektalen bzw. soziolektalen Nuancen verschriftet werden. 29 A DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE HSP Manual 1-9 Das entscheidende Merkmal der alphabetischen Strategie bleibt jedoch stets, dass die Schreibung anhand der eigenen Artikulation prinzipiell nachvollziehbar und darstellbar ist. Die (Selbst-) Instruktion für das „alphabetische Schreiben“ könnte lauten: „Achte auf die eigene Aussprache und schreibe für jeden Laut einen Buchstaben.“23 Für langsamer lernende Kinder bereitet die Aneignung des alphabetischen Schreibens noch über das erste Schuljahr hinaus große Schwierigkeiten, da bei ihnen die notwendige phonologische Bewusstheit nicht genügend entwickelt ist. Bei diesen Kindern ist es wichtig, die Entwicklung der alphabetischen Strategie qualitativ zu erfassen, d.h. das Ausmaß zu bestimmen, in dem die Schreibungen bereits die Prinzipien des alphabetischen Schreibens berücksichtigen. Daher bietet die HSP 1+ (Mitte des ersten bis Mitte des zweiten Schuljahres) eine qualitative Auswertung verschiedener Entwicklungsstadien der alphabetischen Rechtschreibstrategie.24 Bei den meisten Kindern zeigt sich die Ausdifferenzierung der alphabetischen Strategie in Form typischer Schreibungen, die den erreichten Stand der alphabetischen Analyse erkennen lassen: • verkürzte alphabetische Schreibung: Bezeichnen einzelner markanter Laute (z.B. *M für „Mäuse“, *T für „Hund“) und einfacher Lautfolgen (z.B. *MS für „Mäuse“, *HT für „Hund“) • entfaltete alphabetische Schreibung: vervollständigte Schreibung von Lautfolgen (z.B. *Mse für „Mäuse“, „HOT für „Hund“) • vollständige alphabetische Schreibung: lesbare Schreibungen, ggf. mit dialektaler Färbung (z.B. *Moise, *Hont) und mit sog. Übergangskonsonanten (z.B. *Flige statt *Fige); • optimierte alphabetische Schreibung: Beachten relevanter Lautunterschiede (v.a. bei Kurzvokalen und Explosivlauten: *Hunt, *Flige und nicht *Flike) und konstanter Schreibmuster (*Meuse und nicht *Moise) 23 Genau genommen lautet die erforderliche (Selbst-) Instruktion für die alphabetische Strategie nicht: „Schreibe, wie du sprichst“, sondern: „Schreibe, wie die Hochsprache klingt.“ Oder allgemeiner: „Schreibe, wie du schreibnützlich sprichst!“ (vgl. Naumann 1997, S. 213) Auf diese Dialektik zwischen Sprachwahrnehmung und Rechtchreibwissen zielt auch die Formulierung: „Man schreibt, wie man spricht, wie man schreibt.“ (Neumann 1997) 24 Bei besonders gravierenden Rückständen im alphabetischen Schreiben sollte darüber hinaus der erreichte Entwicklungsstand hinsichtlich relevanter Vorläuferfertigkeiten für den Schriftspracherwerb, insbesondere die phonologische Bewusstheit, überprüft werden (siehe Jansen u.a 1999, Küspert & Schneider 1999). 30 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE ó Orthographische Strategie Bis zum Ende der Grundschulzeit entdeckt der Großteil der Schüler die wichtigsten orthographischen Regelungen (sp-/st-Schreibung am Wort- bzw. Stammanfang, Auslautverhärtung, Umlautableitung, Länge- und Kürzebezeichnungen), erprobt diese schreibend und kann sie in einer Vielzahl von Wörtern beachten. Beim orthographischen Schreiben werden die Laut-Buchstaben-Beziehungen den orthographischen Regelungen („Vorschriften“) entsprechend modifiziert. Die Entscheidung für die Laut-Buchstaben-Zuordnung ergibt sich nicht mehr ausschließlich aus der Beachtung der eigenen Artikulation. Zu unterscheiden sind zwei Arten von orthographischen Elementen: solche, die der Lerner sich schlicht merken muss, und solche, für die es Verfahren (Operationen) der Bestimmung („Regeln“) gibt. Zu den Merkelementen gehören z.B. die Längezeichen. Zwar gibt es auch hier allgemeine Regeln (z.B. die Dauer bzw. Offenheit des Vokals: /ka:n/ vs. /kán/ ➞ Kahn vs. kann), doch gelten für die Bezeichnung der Länge nur Wahrscheinlichkeitsbeziehungen: Bei langem i wird die Länge fast immer mit ie gekennzeichnet, bei anderen Vokalen wird die Länge meist nicht gekennzeichnet. Dagegen lassen sich bei den Regelelementen (z.B. Kürzebezeichnung, Auslautverhärtung und Umlautung25) Verfahren (Operationen) nutzen, die zur normgemäßen Schreibung führen. Die Bezeichnung „Regelelemente“ im Gegensatz zu „Merkelemente“ meint nicht, dass Merkelemente etwa nicht geregelt seien. Betont werden soll mit der Bezeichnung „Regelelemente“, dass die entsprechenden Stellen durch bestimmte Verfahren erschlossen, also die zugrunde liegenden Regeln operativ bestimmt werden können, was bei „Merkelementen“ nicht gleichermaßen möglich ist. In Bezug auf den Aneignungsprozess ist zu berücksichtigen, dass diese orthographischen Elemente zwar durchgängig geregelt sind, für Lerner aber zunächst noch unzureichend und bruchstückhaft geregelt erscheinen. Die regelhaften Beziehungen werden von ihnen erst allmählich – als Verallgemeinerung einzelwortbezogenen Wissens – realisiert. Die (Selbst-) Instruktion für das „orthographische Schreiben“ könnte lauten: „Merke dir die von der Lautung abweichende Schreibung der Wortstelle und/oder nutze eine dir bekannte Vorschrift (‚Regel‘) für die Schreibung.“ 25 In der Perspektive des Lerners, der etwa Schreibungen wie „schreibt“ oder „Päckchen“ durch eine auf den Stamm bezogene Operation entscheidet, also „schreiben“ oder „packen“ bildet, sind dies Realisationen einer morphematischen Strategie. Obwohl nicht eindeutig gesagt werden kann, dass Lerner, denen solche Schrei- bungen gelingen, diese durch morphematische Operationen gewonnen haben, benutzen wir die orthographischen Regelelemente, die sich auf die Auslautverhärtung und die Umlautableitung beziehen, in der Hamburger Schreibprobe zur Bestimmung der morphematischen Strategie (siehe Abschnitt 1.5.4). 31 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE ó Morphematische Strategie Alle Wörter sind aus Morphemen (Vorsilben, Stämme, Fugen, Endungen) gebildet und die Morphemkonstanz ist – neben dem Lautbezug – das wichtigste Konstruktionsprinzip deutscher Rechtschreibung.26 Wenn ein Schreiber dieses Grundprinzip kennt, kann er die Wortschreibungen sozusagen nach einem „Baukastenprinzip“ rekonstruieren, der kognitive Aufwand beim Schreiben wird ökonomisch genutzt und das Gedächtnis wird dadurch enorm entlastet. Beim morphematischen Schreiben werden die orthographischen Elemente im Rückgriff auf die morphematische bzw. morphologische Struktur eines Wortes verwendet. Die orthographischen Elemente müssen nicht mehr einzelwortbezogen gemerkt werden, wenn der Schreiber das Morphem kennt bzw. ein Wort als aus ihm bekannten Morphemen zusammengesetzt erkennt. Innerhalb der Strategie, die wir „morphematisch“ nennen, gibt es zwei verschiedene Arten von Zugriffsweisen, bei denen einerseits das morphematische Bedeutungswissen und andererseits das morphologische Strukturwissen genutzt wird. Bei morphosemantischen Operationen wird nach der Bedeutung der Wörter und ihrer Teile gesucht. Über die Erschließung der Wortbedeutung kann die Schreibung aus dem Grundwort abgeleitet werden. Beispiel Staubsauger: • Ein Staubsauger saugt Staub (morphosemantische Operation). • Staub ist mit staubig verwandt, daher „b“. Mit Hilfe von morphologischen Operationen werden die für die Rechtschreibung relevanten Einheiten über die Durchgliederung des Wortes in Wortteile, also die Segmentierung von Wortbausteinen, bestimmt. Nach der Durchgliederung in Wortbausteine ergibt sich die Schreibung aus der Beachtung von stammbezogenen Regeln (insbesondere die der Morphemkonstanz) und über die Kenntnis von Wortbildungsmorphemen (z.B. Vorsilben, Endungen): Beispiel Verkäuferin: • Verkäuferin gliedert sich in die Wortteile ver – käuf – er – in (morphologische Operationen). • Daraus ergeben sich ver statt *fer, er statt *err und in statt *en. • (Ver)käuf kommt von (ver)kaufen (morphosemantische Operation), daher äu. 26 Präziser muss von relativer Konstanz ge- sprochen werden. Die Tatsache der systematischen Vokalvariation bei starken Verben (wie etwa sprechen, sprachen, sprich, gesprochen) verdeutlicht durch lautliche Unterscheidung die verschiedenen Zeiten und Personen, die ein Sprecher meint. 32 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE An diesem Beispiel wird das Ineinandergreifen der morphosemantischen und der morphologischen Zugriffe deutlich: Ohne das Erkennen des Stammes ist eine Bedeutungszuschreibung nicht möglich und ohne Kenntnis der Bedeutung ist es schwer möglich, den Stamm auch als solchen zu erkennen. Beispiel Geburtstag: • Geburtstag = Geburt – s – tag, also der „Tag der Geburt“: • daher ts statt *z. Das Gewinnen semantischer Transparenz erleichtert die Morphemsegmentierung und die Kenntnis des Fugenmorphems „s“ erleichtert wiederum die morphematische Bedeutungserschließung. Gemeinsam ist beiden Zugriffen, dem morphosemantischen und dem morphologischen, die analytische Durchdringung von Wortbildungen. Die morphematische Strategie zielt also auf die Erzeugung von Transparenz der Wortbildungen. Komplex gebildete Wörter wie Staubsauger, Verkäuferin oder Geburtstag sind für einen Schreiber transparent, wenn er sie aufschließen und in seine Bausteine zerlegt denken kann. Darin zeigt sich ein Zusammenspiel von Struktur- und Bedeutungswissen, das sich u.a. orthographisch realisiert und ausdrückt. Die (Selbst-) Instruktion für das „morphematische Schreiben“ könnte lauten: „Gliedere die Wörter in ihre Bausteine, suche nach verwandten Wortstämmen und leite die Schreibung von diesen ab.“ Die Fähigkeit, komplexe Wörter nach Bausteinen zu durchgliedern, ist Voraussetzung für die Bestimmung der Einheiten, auf die sich orthographische Regelungen beziehen. Das Erkennen von Wortfamilien, das Wissen um Morphemkonstanz, die Kenntnis von Flexionsformen, das Zurückgreifen auf Grundformen – dies alles erfordert und fördert das gesamte Sprachwissen und -können. Damit ist diese Strategie die umfassendste und weitreichendste. Schreiber, die dieses Wissen haben, können im Zweifelsfall orthographisch relevante Verfahrensweisen anwenden, um die Schreibweise eines Wortes richtig zu entscheiden.27 ó Wortübergreifende Strategie Beim Schreiben von Sätzen und Texten müssen weitere linguistische Aspekte beachtet werden, die nicht nur einzelwortbezogen geregelt sind. Dazu gehören u.a. die Wortart (für die Herleitung der Groß- bzw. Kleinschreibung), die Wortsemantik 27 Streng genommen weiß erst jemand, der beim Schreiben die morphematische Strategie anwendet, was er eigentlich redet, denn erst dann schreibt er, was er über die Wörter denkt (vgl. Grüning 1999). 33 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE (Zusammen- bzw. Getrenntschreibung), die Satzgrammatik (z.B. Kommasetzung, „dass“-Schreibung), die Verwendungsart des Satzes (z.B. als wörtliche Rede) und die grammatische Kongruenz (formale Abstimmung der Deklination (z.B. „in hohem Bogen“, „zum ersten“). Die Schreibung der einzelnen Wörter bzw. der Satzzeichen muss dabei unter Einbeziehung größerer sprachlicher Einheiten (Satzteil, ganzer Satz, Textpassage) bestimmt werden. Entsprechend fassen wir die dafür notwendigen Zugriffsweisen unter dem Begriff der „wortübergreifenden Strategie“ zusammen. 28 1.5.2 Wechselbeziehungen zwischen den Rechtschreibstrategien Die im Abschnitt 1.5.1 wiedergegebene Reihenfolge der Rechtschreibstrategien entspricht bei den meisten Schülern ihrer Abfolge als dominante Strategien im Verlaufe des Schrifterwerbs. Zunächst dominiert die alphabetische Strategie beim Schreiben und kennzeichnet den erreichten Stand der Rechtschreibfähigkeit. Sie erweitert sich zum orthographischen Schreiben, das in einem morphematischen Schreiben als integrierende Strategie aufgeht. Dies lässt sich zeigen, wenn man die Schreibungen derselben Wörter von vielen Schülern in regelmäßigen Abständen über längere Zeiträume hinweg vergleicht. In welchen Zeiträumen die verschiedenen Strategien herausgebildet werden, wird auch von der Art des Rechtschreibunterrichts beeinflusst. So schrieben beispielsweise Grundschulkinder in der DDR relativ früh nach morphematischen Gesichtspunkten, weil diese durch den Lehrgang frühzeitig besonders betont wurden (siehe May 1995). Demgegenüber schreiben Kinder, die zunächst vorwiegend zum Verschriftlichen ihrer Artikulation anhand von Anlauttabellen angeregt werden, relativ lange dominant alphabetisch. Gleichwohl eignen sich die meisten Kinder, wenn sie genügend häufig lesen und schreiben, – in relativer Autonomie zum Unterricht – die verschiedenen Strategien eigenaktiv und intuitiv auch dann an, wenn diese im Unterricht wenig explizit gefördert werden, denn die grundlegenden Schriftprinzipien sind ja „den Wörtern eingeschrieben“. Tabelle 1.5.1 zeigt die Entwicklung typischer Schreibungen des Wortes „Fahrrad“. Bezogen auf fünf verschiedene Leistungsgruppen zeigt sich eine vergleichbare – wenn auch zeitlich ganz unterschiedlich gestreckte – Lernentwicklung: vom verkürzten über das entfaltete alphabetische Schreiben zur Berücksichtigung orthographischer Elemente und schließlich zum morphematischen Schreiben. 28 Aspekte der „wortübergreifenden Strategie“ werden ab der HSP 4/5 erhoben. Allerdings überprüft die HSP 4/5 lediglich elementare Zugriffsweisen auf der Satzebene, die von vielen Kindern am Ende der Grundschule bereits beherrscht werden, während die Sekundarstufenversionen HSP 5-9 (B) und HSP 5-9 (EK) im Rahmen der wortübergreifenden Strategie weiterführende Zugriffsweisen erfassen. 34 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE TABELLE 1.5.1: Abfolge typischer Schreibungen von „Fahrrad“ in verschiedenen Leistungsgruppen L E I S T U N G S G R U P P E 29 –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Klassenstufe I II III IV V –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Klasse 1: fa--rat fa--rat fa--r-t f---r-t ------Mitte fa--rat f-----–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Klasse 1: fa--rat fa--rat fa--rat fa--rat f-----t Ende fa--rad f---r-t –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Klasse 2: fa--rad fa--rat fa--rat fa--rat fa--r-t Mitte fa--rad fa--rat –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Klasse 2: fah-rad fa--rad fa--rat fa--rat fa--rat Ende fahrrad fah-rad fa--rad –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Klasse 3: fahrrad fah-rad fa--rad fa--rat fa--rat Mitte fa--rad –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Klasse 3: + fah-rad fah-rad fa--rad fa--rat Ende fahrrad fah-rad fa--rad –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Klasse 4: + fahrrad fahrrad fah-rad fa--rad Mitte –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Klasse 4: + + + fah-rad fa--rad Ende –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Klasse 5: + + + fah-rad fa--rad Ende* fahrrad fah-rad –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Klasse 7: + + + fah-rad fah-rad Ende* fahrrad –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Klasse 9: + + + fah-rad fah-rad Ende* fahrrad fahrrad –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– * Ab Klasse 5: „Fahrrad“ im Kompositum „Fahrradschloss“. 29 Die fünf Leistungsgruppen setzen sich folgendermaßen zusammen: Gruppe I: 25 Prozent leistungsstärkste Schreiber; Gruppen II und III: jeweils 25 Prozent des oberen bzw. unteren Durchschnitts; Gruppen IV und V: 25 Prozent schwächste Schreiber; darin enthalten Gruppe V: 5 Prozent schwächste Schreiber. Die Daten stammen aus der Hamburger Längsschnittuntersuchung von Klasse 1 bis 6 sowie aus den Querschnittuntersuchungen der Klassen 7 und 9. Zum Verfahren, wie typische Schreibungen ermittelt werden, und zu weiteren typischen Schreibungen siehe May (1990). 35 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE Für den Erwerb der jeweils „höheren“ Strategie ist es erforderlich, dass der Lerner zuvor die elementarere(n) Strategie(n) häufig angewendet hat, so dass diese bereits ein gewisses Fertigkeitsniveau erreicht haben. Erst die zunehmende Beherrschung und Sicherheit bisheriger Zugriffsweisen schafft die Grundlage für das Befassen mit neuen Teilaspekten des Rechtschreibens und deren Berücksichtigung bei der Wortrekonstruktion. Gleichzeitig wird die vorangehende Strategie auch nach Aufnahme einer neuen Strategie weiterhin entfaltet, vervollkommnet und „automatisiert“. Es besteht also ein dialektischer Zusammenhang zwischen den Rechtschreibstrategien: Die elementareren Strategien werden durch die weiterreichenden Strategien nicht einfach abgelöst, sondern „aufgehoben“, d.h. aufgenommen und weitergeführt und schließlich organisch zu einer vielschichtigen und flexiblen Gesamtstrategie verbunden. Die einzelnen Strategien lassen sich dann nurmehr analytisch trennen. Kompetente und geübte Schreiber wissen schließlich meist nicht einmal mehr, wie sie eigentlich zur richtigen Schreibung gekommen sind. Nur bei besonders schwierigen Schreibungen greifen auch sie gezielt auf einzelne operative Verfahren zurück (siehe auch Abschnitt 5.3). Das allmähliche Zusammenwachsen der einzelnen Rechtschreibstrategien wird durch die Ergebnisse der Längsschnittanalysen belegt. Am Anfang der Lernentwicklung werden die verschiedenen Strategien relativ unabhängig voneinander beim Rechtschreiben verwendet. Die Schreiblerner setzen bei verschiedenen Schreibaufgaben jeweils unterschiedliche Strategien ein. Bei ungestörter Lernentwicklung sind sie immer besser in der Lage, die einzelnen Strategien aufgabenbezogen zu adaptieren, zu kombinieren und aufeinander zu beziehen, so dass die einzelnen Strategien immer mehr zu einer einzigen komplexen, „multioperationalen“ Gesamtstrategie zusammenwachsen. Bei allen Lernern zeigt sich die Aneignung einer neuen Rechtschreibstrategie zunächst in deren unzureichend spezifizierten und darum fehlerhaften Anwendung. Dies lässt sich für alle Phasen der Schreibentwicklung belegen: • In der Phase, in der die Kinder Wörter vorwiegend lautorientiert verschriftlichen, findet man nicht selten – das besondere Betonen (Spannen) von Explosivlauten (*katn für „Garten“, *ropa für „Räuber“) oder auch – das Anreichern der Phonemfolgen durch zusätzliche Lautbezeichnungen (*raeitaer für „Reiter“, *rouibar für „Räuber“, *kham für „Kamm“). • In der Phase des Überformens der alphabetischen Verschriftlichung durch geläufige Rechtschreibmuster kommt es häufig zu deren unspezifizierter („übergeneralisierender“) Anwendung (*sofer für „Sofa“, *limonarde für „Limonade“). 36 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE • Die Phase der Übernahme spezifischer Rechtschreibregelungen ist gekennzeichnet durch einen oft „inflationären“ Gebrauch orthographischer Elemente, etwa das häufige Bezeichnen der Vokalkürze und -länge (z.B.*munnd für „Mund“, *fehrnseher für „Fernseher“). In der Übergangszeit können die neuen Zugriffsweisen die vorher verfügbare Rechtschreibstrategie so weit überlagern, dass der Anteil normgerechter Schreibungen vorübergehend sinkt. Insbesondere schwache Schreiber zeigen häufig große Niveauunterschiede bei verschiedenen Wortschreibungen: Während sie bei einigen Wörtern orthographische Elemente und Rechtschreibregeln korrekt verwenden, schreiben sie andere Wörter nur lautorientiert oder sogar bruchstückhaft.30 Auch wenn sich bei den meisten Schülern eine zeitliche Aufeinanderfolge ihres Erwerbs zeigt, ist das Verhältnis der verschiedenen Strategien zueinander nicht primär und durchgängig als „leichter“ bzw.„schwieriger“ zu kennzeichnen. So gelingen einfache orthographische Elemente und morphematisch begründete Schreibungen bereits, lange bevor schwierige Wortstellen nach der alphabetischen Strategie richtig rekonstruiert werden. Doch unterscheiden sich die Strategien deutlich hinsichtlich der Reichweite ihrer Anwendbarkeit und des kognitiven Aufwandes beim Erschließen von relevanten Merkmalen: Die jeweils weiterreichende und damit höhere Rechtschreibstrategie ermöglicht mit geringerem kognitiven Aufwand die Erfassung und Speicherung größerer schriftsprachlich relevanter Einheiten. Jede Strategie erfordert spezifische kognitive Operationen, die beim Schreiben von Wörtern und Texten aufeinander aufbauen, sich ergänzen und gegenseitig stützen. Die verschiedenen Rechtschreibstrategien greifen beim realen Schreiben in komplexer Weise ineinander: Elementarere Strategien bereiten die Aneignung „höherer“ Strategien vor, und die Anwendung weiterführender Strategien ermöglicht auch, die bereits beherrschten Zugriffsweisen zu spezifizieren und zu optimieren. Beispiele dafür, wie elementarere Strategien höhere Strategien vorbereiten und deren Anwendung erleichtern: • Die logographemische Strategie ermöglicht die richtige Schreibung von Wörtern bzw. Wortteilen mit orthographischen Elementen (z.B. bei häufigen Funktionswörtern wie „die“, „und“), auch wenn noch kein spezifisches Wissen über orthographische Prinzipien erworben ist. 30 Insofern ist für die Einzelfallanalyse neben der höchsten bereits realisierten Zugriffsweise (im Sinne einer „erreichbaren Zone“) immer auch das niedrigste Niveau (im Sinne der „noch aktuellen Auseinandersetzung“) zu beachten (vgl. die „Minimum-Maximum“-Auswertung in Balhorn & Vieluf 1990). 37 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE • Die alphabetische Strategie ist erforderlich bei der Entscheidung, ob zusätzliche Buchstaben ohne Lautwert geschrieben werden sollen oder nicht (z.B. nach langen und kurzen Vokalen), auch ist die Beachtung der Auslautverhärtung nicht ohne Lautbezug möglich (Hund wg. /hunde/). • Die Schreibung ableitbarer Wortstellen (Auslautverhärtung, Umlautung) erfolgt zunächst einzelwortspezifisch (quasi logographemisch). Durch Verallgemeinerung des Stammprinzips können jedoch in der Folge strukturgleiche Wörter immer nach diesem Prinzip geschrieben werden, so dass die einzelne Schreibung nicht mehr „gemerkt“ werden muss. Beispiele dafür, wie eine höhere Rechtschreibstrategie die Weiterentwicklung elementarer Strategien fördert: • Die Differenzierung von kurzen Vokalen wird beim alphabetischen Schreiben durch die Kenntnis von orthographischen Modifizierungen des Lautprinzips (*Munt statt *Mont) oder durch morphematische Segmentierung (Lehrer/in statt *Lehrer/en) erleichtert oder sogar erst ermöglicht, da sich unter dem Einfluss der höheren Rechtschreibstrategie die elementarere Strategie ausdifferenziert (sog. „Rechtschreibsprache“, die auf die orthographisch relevanten Aspekte der Lautung Bezug nimmt). • Ebenso wird das orthographische Schreiben durch das Wissen um Wortbausteine und Wortbedeutungen wesentlich erleichtert; dazu gehören z.B. die Regel, dass Länge- und Kürzezeichen nur im Wortstamm markiert werden31, oder die Differenzierung der Schreibung von Homonymen nach der Wortbedeutung bzw. der Morphemgrenze (vgl. die Schreibung von Kante – kannte). • Auch das logographemische Schreiben wird durch die Kenntnis höherer Rechtschreibstrategien erleichtert. So fördert die Kenntnis häufig vorkommender Wortteile das Ausgliedern von „Merkeinheiten“, und die Kenntnis von Übergangswahrscheinlichkeiten der Buchstaben stützt die Schreibkontrolle (z.B. folgen <tz> und <ß> nie auf Konsonanten und stehen nie am Wortanfang, und <gg> steht nie am Wortende). In verschiedenen Phasen der Lernentwicklung werden die gleichen Rechtschreibstrategien beim Schreiben derselben schriftsprachlichen Phänomene durchaus auf unterschiedliche Weise in Anspruch genommen: Werden orthographische 31 Ausnahmen bilden Verdopplungen in den Endungen -innen und -isse. 38 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE Elemente zunächst wortspezifisch gemerkt, folgt der Schreiblerner in einer späteren Phase verallgemeinerbaren Regeln, und zu einem noch späteren Zeitpunkt wird das Verwenden orthographischer Elemente bei manchen vertrauten Wörtern so selbstverständlich, dass der Schreiblerner sie gleichsam „automatisch“ setzt (siehe Abschnitt 5.3). Am Beispiel der Schreibungen des Wortes „Fahrrad“ lässt sich zeigen, wie sich die Beziehungen zwischen dem Schreiben der einzelnen Wortstellen und den Rechtschreibstrategien, die dem Schreiblerner bereits zur Verfügung stehen, verändern. Während das <f> und das zweite <a> bereits am Ende des ersten Schuljahres von fast allen Kindern richtig geschrieben werden, können die meisten Kinder die orthographischen Elemente <ah> und <d> sowie die Morphemverbindung <rr> noch nicht erfassen (siehe Tabelle 1.5.2). Die Korrelationen dieser nicht-alphabetisch zu schreibenden Stellen zu den jeweiligen Werten für die „orthographische“ und für die „morphematische“ Rechtschreibstrategie sind am Ende des ersten Schuljahres relativ hoch (zwischen .37 und .53). Das bedeutet, dass diese Stellen die mit ihnen theoretisch gefassten Strategien auch faktisch repräsentieren. TABELLE 1.5.2: Zusammenhänge zwischen dem Verschriftlichen der Wortstellen von „Fahrrad“ und dem Grad der Beherrschung der Rechtschreibstrategien am Ende von Klasse 1 und Klasse 4 32 Ende der ersten Klassen (n = 408) Ende der vierten Klassen (n = 426) Korrelation mit Korrelation mit Wortstelle richtig „alphabetischer Strategie“ „orthographischer Strategie“ „morphematischerStrategie“ Wortstelle richtig „alphabetischer Strategie“ „orthographischer Strategie“ „morphematischerStrategie“ fahrrad 94 .09 .02 .03 99 .07 .05 .06 fahrrad 17 .30 .53 .29 97 .17 .22 .20 fahrrad 16 .33 .40 .43 84 .28 .37 .57 fahrrad 90 .22 .10 .13 99 .21 .14 .20 fahrrad 29 .30 .27 .37 98 .08 .10 .13 32 Die Daten entstammen der Hamburger Längsschnittstichprobe (siehe May 1990). Zu beiden Zeitpunkten wurde das Beherrschen der drei Rechtschreibstrategien anhand derselben bzw. ähnlicher Wörter bestimmt: Blätter, Brief(träger), Fahrradschloß/ss, Handtuch, (Bank-) Räuber, Spinne(nnetz), Staubsauger, verkleidet bzw. Verkäuferin, Windmühle, Zähne. Zur Bestimmung der Kennwerte für die Rechtschreibstrategien siehe Abschnitt 1.5.4. 39 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE Gegen Ende der vierten Klasse gibt es nur noch wenige Kinder, die Fehler bei den Wortstellen <ah> und <d> machen. Allein das <rr> bereitet noch einem größeren Teil der Kinder Schwierigkeiten, weil sie das Wort nicht als Kompositum erkennen. Und auch nur noch das <rr> hat eine engere Beziehung zu den zu diesem Zeitpunkt erfassten Rechtschreibstrategien, während die Wortstellen <ah> und <d> kaum noch mit den Werten für die orthographische und morphematische Strategien korrelieren, also wenig von den damit erfassten Fähigkeiten repräsentieren. Daraus folgt: Kinder schreiben ein Wort wie „Fahrrad“ am Ende der ersten und am Ende der vierten Klasse nach unterschiedlichen Verfahren: Zu Beginn müssen drei Wortstellen in besonderer Weise bemerkt und gemerkt (<ah>) bzw. durch Verlängerung und Ableitung der Wortstämme rekonstruiert werden (<d> und <rr>). Am Ende der vierten Klasse dürften die Kinder das Wort – mit Ausnahme der Morphemverknüpfung <rr> – weitgehend „gekonnt“ schreiben. Daher differenziert das Wort „Fahrrad“ am Ende der Grundschule erheblich weniger zwischen verschiedenen Graden der orthographischen Kompetenz als gegen Ende der ersten Klasse. 1.5.3 Zum Verhältnis von Rechtschreibstrategien und orthographischen Phänomenen Schon im Laufe des zweiten Schuljahres schreibt kaum ein Kind mehr ausschließlich an der eigenen Aussprache orientiert. Die Schüler verfügen über einen ständig wachsenden „Geläufigkeitswortschatz“ aus Wörtern, über deren Schreibweise sie normalerweise nicht mehr nachdenken, weil sie weitgehend automatisiert geschrieben werden. Dazu zählen Satzfunktionswörter (Artikel, Pronomen, Präpositionen, Konjunktionen, zahlreiche Adverbien) und eine Vielzahl häufig geschriebener Substantive, Verben und Adjektive. Auch ist den meisten Kindern nach einiger Zeit das erweiterte Buchstabeninventar vertraut, mit dem die Laute der gesprochenen Sprache schriftlich wiedergegeben werden (z.B. Doppelkonsonanten, Längezeichen), sie befolgen die wichtigsten Regeln, die für das Schreiben deutscher Wortstämme sowie geläufiger Fremdwörter gelten. Damit verfügen die Kinder zugleich über die wichtigsten Operationen, um angemessene Entscheidungen über die Schreibung jener Wörter zu treffen, deren Schreibweise ihnen noch nicht (vollständig) vertraut ist. Von den Wörtern des Geläufigkeitswortschatzes abgesehen, merken sich die Kinder in der Regel nicht die Schreibweise ganzer Wörter, sondern sie entwickeln so etwas wie „Listen“ orthographisch relevanter Merkmale von Wörtern, die sie „Musterwörtern“ zuordnen. Von diesen Musterwörtern ausgehend, wenden sie Operationen auf weniger vertraute bzw. unbekannte Wörter an, um deren Schreibweise zu rekonstruieren (vgl. Balhorn & Vieluf 1985). Beim einzelnen Wort wird häufig nicht nur eine einzige Operation vollzogen, sondern es werden mehrere Operationen aufeinander bezogen, je nach Komplexität der zu treffenden Entscheidung (vgl. May 1993). 40 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE Deshalb gibt es auch große Unterschiede hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, mit der ein und dasselbe orthographische Phänomen (z.B. die Längenbezeichnung des /i/) in verschiedenen Wörtern erkannt und realisiert wird. So ist z.B. die Wahrscheinlichkeit für die Richtigschreibung der Wörter „Fahrrad“ bzw. „Verkehr“ erheblich niedriger, wenn sie nicht allein, sondern als Teile eines komplexeren Wortes („Fahrradschloss“ oder „Verkehrsschild“) geschrieben werden (siehe Tabelle 1.5.3). Für die Wahrscheinlichkeit der Richtigschreibung des einzelnen Phänomens ist demnach neben der relevanten Rechtschreibstrategie die Einbettung in die Umgebung eines Wortes (und ggf. des Satzes und sogar des Textes) entscheidend.33 TABELLE 1.5.3: Wort(teil)schreibungen in unterschiedlich komplexen Aufgabenstellungen (Ende Klasse 4) –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Wort(teil) richtig (ohne Großschreibung) Großschreibung am Wortanfang richtig –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– „das Verkehrsschild“ 33,3 % 97,5 % –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– „Polizisten regeln den Verkehr.“ 48,1 % 84,4 % –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– „Der Polizist knackt das Fahrradschloss.“ 52,6 % 93,6 % –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– „Wimpel flattern am Fahrrad.“ 70,1 % 96,1 % –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Wertet man die Schreibungen der Schüler nur hinsichtlich der beherrschten bzw. noch nicht beherrschten orthographischen Phänomene aus, wie es noch in vielen Diagnoseverfahren geschieht, so erfasst man nur die Oberfläche der ihren Schreibungen zugrunde liegenden Zugriffsweisen und vernachlässigt die Einbettung der Phänomene in unterschiedlich komplexe Umgebungsbedingungen. Die Kenntnis der verschiedenen orthographischen Phänomene und Regelungen ist zwar eine Voraussetzung für richtiges Schreiben, doch erfordert orthographische Kompetenz mehr als das Merken von orthographischen Elementen und die Anwendung von Regeln. Erst Morphologie und Morphematik bestimmen die Geltung der orthographischen Regelungen im Einzelnen. Deshalb ist die Erzeugung von Transparenz der Wortbildungen – also Sprachanalyse – ein wichtiger Teil der Rekonstruktion der 33 Siehe ausführlich May (1993). Hierzu finden sich auch zahlreiche Beispiele von – oberflächlich betrachtet – identischen Rechtschreibphänomenen in verschiedenen Wörtern der HSP-Versionen, die zum gleichen Zeitpunkt teilweise sehr unterschiedlich häufig richtig geschrieben werden, in den Listen „ST ...“ im Anhang. Dort sind die prozentualen Häufigkeiten, mit der die Wortstellen in den verschiedenen Klassenstufen richtig geschrieben werden, angegeben. 41 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE Schreibungen. Ein nur auf orthographische Phänomene ausgerichtetes Rechtschreibtraining würde schon aus diesem Grunde zu kurz greifen. Mit der Bündelung der auf einzelne orthographische Elemente und Regeln gerichteten Operationen zu übergreifenden Strategien versuchen wir die grundlegenden Zugriffsweisen auf die Schrift zu fassen, die es in der Förderung anzuregen und zu stützen gilt. 1.5.4 Zur Erfassung der Rechtschreibstrategien Mit der Hamburger Schreibprobe werden die Schreibergebnisse analysiert, der Prozess des Schreibens selbst und die geistige Tätigkeit der Schüler ist direkt nicht zugänglich. Auf diese kann nur durch Interpretation der Produkte geschlossen werden. Abgesehen von Verfälschungen der Ergebnisse, beispielsweise durch Abschreiben, können die Schreibungen von Wörtern individuell sehr unterschiedlich zustande kommen. Wo der eine Schreiber sich die Wortstelle schlicht „gemerkt“ hat, nutzt eine andere Schreiberin eine Folge von Operationen. Wir können deshalb im Einzelfall nicht unmittelbar von einer bestimmten Schreibung auf die zugrunde liegende Rechtschreibstrategie schließen. In der Summe der vielen verschiedenen in der Hamburger Schreibprobe enthaltenen anspruchsvollen Wortstellen, die sich in „ungeübten“ Wörtern auf eine bestimmte Weise rekonstruieren lassen, können wir aber mit hinreichender Sicherheit auf die entwickelte Fähigkeit des Kindes schließen, bestimmte Strategien nutzen bzw. noch nicht nutzen zu können. Für die wortbezogenen Rechtschreibstrategien („alphabetisch“, „orthographisch“, „morphematisch“) sowie die „wortübergreifende Strategie“ (ab HSP 4/5 erfasst) können mit Hilfe der Hamburger Schreibprobe Leistungsniveaus bestimmt werden. Dies wird dadurch möglich, dass die Auswertung der Hamburger Schreibprobe hauptsächlich auf der Basis der Phonem-Graphem-Zuordnungen erfolgt. Denn um bestimmte Wörter richtig schreiben zu können, müssen häufig mehrere Strategien gleichzeitig eingesetzt werden (vgl. das Beispiel „Fahrrad“ in Abschnitt 1.5.2). Würde man Rechtschreibstrategien auf der Basis der Schreibung ganzer Wörter erfassen wollen, so müssten Wörter gewählt werden, die die einzelnen Strategien in „reiner Form“ abfordern. (Die Nachteile solcher Reduktionen zeigen die häufig eintönigen Fibel- oder Übungswortschätze.) So aber können beliebige gehaltvolle Wörter, die dem altersgemäßen Wortschatz der Schüler entsprechen und die verschiedenartige orthographische Schwierigkeiten enthalten, differenziert nach den relevanten Rechtschreibstrategien ausgewertet werden. Aus dem umfangreichen Gesamtkorpus der in den Erhebungen verwendeten Schreibwörter wurden solche ausgewählt, die die wichtigsten orthographischen Phänomene enthalten und unterschiedliche Rechtschreibstrategien abfordern (vgl. Abschnitt 1.4). Um die Zuordnung der verschiedenen schriftsprachlichen Phänomene zu Rechtschreibstrategien praktikabel und für die Versionen der Hamburger Schreibprobe 42 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE für die verschiedenen Klassenstufen einheitlich zu gestalten, wurden die folgenden zwei Prinzipien zugrunde gelegt und daraus Richtlinien für die Zuordnung der einzelnen Wortstellen zu den Rechtschreibstrategien bestimmt. ˘ Eine Wortstelle wird nur einer einzigen Rechtschreibstrategie zugeordnet. Trotz der Tatsache, dass an der Darstellung des einzelnen Phänomens mehrere Strategien beteiligt sein können, wird eine Wortstelle jeweils nur einer einzigen Strategie zugeordnet. So lassen sich prinzipiell alle Wortstellen nach der alphabetischen Strategie schreiben, aber das alphabetische Verschriftlichen von Wortstellen, bei denen normalerweise andere Strategien erforderlich sind, wird durch die vermutete Inanspruchnahme einer anderen Strategie beeinflusst. Aus diesem Grund werden alle Wortstellen, die einer anderen Strategie zugeordnet werden, nicht auch noch alphabetisch bewertet. Dadurch werden mögliche Strategie-Interferenzen für die Auswertung weitgehend vermieden. Ebenso können alle Grapheme, weil sie stets Teil eines Morphems sind, nach der morphematischen Strategie geschrieben werden. Dies trifft besonders auf Wortstellen zu, die Teil eines Suffixes (Vorsilbe, Endung) sind, wie z.B. Verkäuferin oder Lehrerin. Hier wird die artikulatorisch schwierige Unterscheidung des Kurzvokals (/i/ vs. /e/) durch Kenntnis des entsprechenden Morphems (-in) unterstützt bzw. geklärt. Umgekehrt ist nicht auszuschließen, dass die Schreibung von ts in einem Wort wie Geburtstag im Einzelfall auch ohne Rückführung auf die Morpheme „Geburt“ und „Tag“ plus Fugen-s zustande kommt. Jedoch ist eine sichere Ableitung der normgemäßen Schreibung ohne das Erfassen der im Wort enthaltenen Bedeutungen nur schwer möglich. ˘ Gleichartige Phänomene werden stets nur einer Strategie zugeordnet. Da die Hamburger Schreibprobe in den verschiedenen Jahrgangsversionen dem Ziel dienen soll, Lernfortschritte zu dokumentieren, wurden gleichartige Phänomene nicht verschiedenartigen Strategien zugeordnet, obwohl dies aus linguistischer Sicht im Einzelfall nahe gelegt würde. Dies betrifft insbesondere die Phänomene der Auslautverhärtung und Umlautableitung: In den einfachen Fällen (z.B. Blätter, Hand) ist zur Ableitung der orthographischen Elemente eine morphematische Operation nicht zwingend erforderlich. Es genügt das Verlängern (Hände) bzw. die Bildung der Singularform (Blatt), um auf die richtige Schreibung der Aus- bzw. Umlautung zu schließen. In diesen Fällen wären die beiden Phänomene in engem Verständnis als geregelte orthographische Elemente aufzufassen und theoretisch der „orthographischen Strategie“ zuzuordnen. Anders ist dies bei Wörtern wie Verkäuferin, Staubsauger oder Schiedsrichter. Bei derartigen Wörtern muss zunächst der Stamm erschlossen wer- 43 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE den, bevor solche Operationen wie Verlängern und Bildung der Grundform greifen können. Diese Wortstellen repräsentieren die „morphematische Strategie“. Aber auch schon solche Operationen wie das Verlängern (Hand wegen Hände) oder die Bildung der Grundform eines Wortes (Blätter wegen Blatt) beinhalten bereits eine Bezugnahme auf den Stamm und bilden deshalb eine Art „Keimform“ der morphematischen Strategie, die später in komplexeren Morphemsegmentierungen und Stammableitungen aufgehoben und erweitert wird. Deshalb haben wir uns entschlossen, die orthographischen Phänomene „Umlautableitung“ und „Auslautverhärtung“ insgesamt der morphematischen Strategie zuzuordnen. Auf dieser Grundlage können Vorformen des morphematischen Schreibens schon ab Mitte des ersten Schuljahres mit Hilfe der Hamburger Schreibprobe erfasst werden. Allerdings haben wir bei den Versionen der Hamburger Schreibprobe ab dem vierten Schuljahr unter die „Lupenstellen“ für die morphematische Strategie solche „einfachen“ Auslaut- und Umlautableitungen (wie in Blätter und Bild) nicht aufgenommen, sondern nur Stellen mit komplexeren Ableitungen (wie Verkäuferin, Schiedsrichter) als Lupenstellen bestimmt. Bei schwächeren Rechtschreibern kann es aber durchaus noch von Interesse sein zu ermitteln, inwieweit sie die „einfachen“ Vorformen für die morphematische Strategie in Wörtern wie Fahrrad oder Blätter beherrschen. Die Zuordnungen der Wortstellen zu Rechtschreibstrategien wurden theoretisch bestimmt (siehe Abschnitt 1.5.1). Dabei haben wir uns jedoch nicht nur auf relativ einfach zu klärende Phänomene (wie z.B. Länge- oder Kürzezeichen) beschränkt, sondern haben eine vollständige Zuordnung aller Phänomene vorgenommen. Damit legen wir nicht nur einheitliche Richtlinien für die Auswertung fest, um die Objektivität des Tests zu gewährleisten, sondern stellen zugleich ein Modell vor, das auch für die Analyse der Schreibungen beliebiger Wortschätze Anwendung finden kann, die in vorgegebenen oder in freien Texten geschrieben werden. Dass es dabei mitunter zu problematischen Kategorisierungen kommt (z.B. Familie), liegt in der Natur des Gegenstandes. Die theoretisch gesetzten Zuordnungen wurden empirisch überprüft. Das Ergebnis der Korrelationsanalyse – die Wortstellen korrelieren mit derjenigen Rechtschreibstrategie, der sie zugeordnet wurden, höher als mit einer anderen Rechtschreibstrategie – bestätigt das Ergebnis der theoretischen Analyse.34 ˘ Richtlinien für die Zuordnung der einzelnen Wortstellen zu den Rechtschreibstrategien: Der alphabetischen Strategie werden alle Wortstellen zugeordnet, deren Schreibung mit Hilfe der Artikulation grundsätzlich geklärt werden kann. 34 Die Zuordnungen der Wortstellen in den einzelnen HSP-Versionen zu den Rechtschreibstrategien und die Korrelationen zwischen den Wortstellen und den verschiedenen Strategien sind in den Tabellen ZRS 1 bis ZRS 5-9 sowie ST 1 bis ST 5-9 im Anhang dargestellt. 44 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE Dazu gehören auch Buchstabenkombinationen (z.B. Stein, Rollschuhe, schimpft), Kurzvokale (z.B. Regenwurm anstelle von *-worm) und sehr häufige SprechSchreib-Muster (z.B. Blätter). Solche Laut-Buchstaben-Zuordnungen sind in frühen Stadien der Lernentwicklung schwierig zu realisieren und stellen lernpsychologisch gewissermaßen eine Vorform orthographischer Elemente dar. Jedoch können auch solche Wortstellen, deren Schreibung artikulatorisch schwierig zu klären ist, durch eine entsprechend geschulte Sprechweise („Rechtschreibsprache“ oder „Pilotsprache“; vgl. Betz & Breuninger 1987) erschlossen und mit Hilfe der bekannten Buchstaben und Buchstabenkombinationen richtig geschrieben werden. Im grundsätzlichen Unterschied dazu können spezifisch orthographische Elemente nicht ausschließlich alphabetisch geklärt werden. So ist beispielsweise die Umlautschreibung ä und äu in ableitbaren Wortstämmen nicht ausschließlich alphabetisch zu bestimmen – wenn auch die Lautsprache bei der Ableitung des Wortstammes erforderlich ist. D.h., die alphabetische und die morphematische Strategie führen zu verschiedenen Graphemen (z.B. *Roiber oder *Reuber vs. Räuber). Der orthographischen Strategie werden alle Wortstellen zugeordnet, die einerseits nicht allein mit Hilfe der alphabetischen Strategie darstellbar sind und die andererseits nicht zwingend die Beachtung morphematischer Regelungen erfordern. Dazu gehören folgende orthographische Elemente: Merkelemente • • • • • Längezeichen (ie, ih, ah, oo usw.), x (weil mehrfach repräsentierbar: x, chs, ks, cks, gs), qu (weil alphabetisch kw darstellbar), v in Wörtern wie Vater, vor (nicht jedoch in Präfixen wie ver-) ß als Zeichen für das scharfe (stimmlose) /s/ wie in Gießkanne, da das gleiche Phonem alphabetisch auch durch <s> bezeichnet werden kann (Gras). Regelelemente • sp-/st-Schreibung am Wort-/Stammanfang, • Kürzezeichen (Konsonantenverdopplung, ck, tz).35 Der morphematischen Strategie werden alle Stellen zugeordnet, deren Schreibung die Beachtung morphosemantischer bzw. morphologischer Aspekte erfordert. Dazu gehören 35 Die Kürzebezeichnung ist viel stärker als die Längebezeichnung regelhaft, kann also analytisch operativ erschlossen werden. Die Schreibungen be/komm/t, knack/t oder Päck/chen sind durch eine morphematische Analyse und durch die Regel der Konsonantenverdopplung eindeutig zu erschließen. Wir haben jedoch aufgrund von lernlogischen Überlegungen davon Abstand genommen, die Kürzebezeichnung der morphematischen Strategie zuzuordnen. Im Unterschied dazu, aber ebenso aus lernlogischen Gründen, wurden die unterschiedlich komplexen Fälle von Umlautableitung und Auslautverhärtung im Ganzen der morphematischen Strategie zugeordnet. 45 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE • die Schreibung von Vorsilben, soweit sie eine lautabweichende Schrei• • • • bung erfordern (z.B. Verkäuferin), die Schreibung aufeinander folgender gleicher Buchstaben bei Komposita, die lautsprachlich zusammenfallen (z.B. Fahrrad), die Schreibung von Wortfugen, die nach der alphabetischen Strategie auch anders geschrieben werden können (z.B. Geburtstag statt *Geburztag), Umlautableitung (z.B. Blätter, Verkäuferin) Auslautverhärtung (z.B. Handtuch, Staubsauger). Der wortübergreifenden Strategie werden neben den Satzzeichen selbst auch jene Wortschreibungen zugeordnet, bei deren Klärung wortübergreifende Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen bzw. bei denen die Berücksichtigung der grammatischen Position die Entscheidung für eine bestimmte Schreibung wesentlich stützt. Dazu gehören u.a. • Satzzeichen, z.B. Gliederungs-, Frage- und Anführungszeichen • Herleitung der Groß- bzw. Kleinschreibung (z.B. der doofe Computer, Mann – man) • Zusammen- bzw. Getrenntschreibung • grammatisch bestimmte Endungen (z.B. „in/m hohem/n Bogen“, „mit dem Schiedsrichter“36) Die hier vorgenommene Operationalisierung der Graphemtreffer sowie der Lupenstellen für die einzelnen Rechtschreibstrategien wurde in mehreren Studien an verschiedenartigen Textsorten (Diktatschreibungen, Rechtschreibtests, Aufsätze) erprobt.37 Dabei erwies sich die Praktikabilität des Modells der strategiebezogenen Auswertung. Anhand der hier vorgeschlagenen Operationalisierung der Rechtschreibstrategien können demnach auch andere Schreibungen der Schüler, beispielsweise in selbst verfassten Texten oder Klassendiktaten, kategorisiert und nach den Strategien ausgewertet werden (siehe May 1999a). Voraussetzung ist lediglich, dass die Texte genügend Wörter mit verschiedenartigen schriftsprachlichen Phänomenen enthalten. Gegenüber der strategiebezogenen Auswertung von Texten aus dem Unterrichtsalltag bietet die Hamburger Schreibprobe darüber hinaus neben der Systematik der Wortauswahl den entscheidenden Vorteil, dass das erreichte Niveau der Schreibungen mit einer großen Stichprobe verglichen und Profile für die Beherrschung der einzelnen Strategien bestimmt werden können. Daher wird empfohlen, zusätzlich 36 Obwohl das Wort „dem“ ausschließlich alphabetisch zu erschließende Elemente enthält, ist die aus Lerner- bzw. Schreiberperspektive schwierige Unterscheidung zwischen „dem“ und „den“ wesentlich grammatisch bestimmt, so dass die Berücksichtigung der Satzkonstruk- tion für die Schreibung mitentscheidend ist. Infolgedessen ordnen wir derartige Phänomene nicht der alphabetischen Strategie, sondern den wortübergreifenden Zugriffsweisen zu. 37 Siehe dazu die Abschnitte 2.3 und 2.5 sowie ausführlicher May 1985, 1994c. 46 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE zur regelmäßigen Analyse der „Gebrauchstexte“ in größeren Abständen (mindestens einmal jährlich) auch die Hamburger Schreibprobe durchzuführen, um objektive Anhaltspunkte für die Bestimmung der Lernstände der Schüler zu gewinnen. 1.5.5 „Lupenstellen“ zur Bestimmung der Strategiewerte Um den Arbeitsaufwand bei der Auswertung der Hamburger Schreibprobe zu reduzieren, wurde für jede der Rechtschreibstrategien eine Auswahl von Wortstellen und Satzzeichen getroffen, die als „Lupenstellen“ für die Strategien dienen (siehe die Tabellen ZRS 1 bis ZRS 5-9 im Anhang). Die Anzahl der richtig geschriebenen Lupenstellen für jede Rechtschreibstrategie bildet den jeweiligen „Strategiewert“. Diese Werte kennzeichnen für jeden Schüler den Grad der Beherrschung der verschiedenen Strategien. Da nicht nur der Gesamtwert der Hamburger Schreibprobe, sondern auch die Werte für die einzelnen Strategien eine ausreichend hohe Zuverlässigkeit besitzen (siehe Abschnitt 3.4), ist eine individuelle Profilauswertung möglich. Die Zahl der Lupenstellen für die verschiedenen Strategien bestimmt sich vor allem aus der Notwendigkeit, genügend Stellen für eine individuell trennscharfe Bewertung zu gewinnen. Dies erwies sich insbesondere bei den Lupenstellen für die alphabetische Strategie in höheren Klassenstufen als schwierig, da bei den einzelnen alphabetisch zu schreibenden Wortstellen für sich genommen nur noch sehr wenige Fehler vorkommen. Daher wurden teilweise mehrere Graphemstellen zu einer „kritischen Wortstelle“ zusammengefasst. Die Zuordnung der einzelnen Wortstellen zu den Rechtschreibstrategien sagt noch nichts über die Schwierigkeit der zu schreibenden Phänomene aus. Die Auswahl der Lupenstellen erfolgte unter verschiedenen Gesichtspunkten. Dazu gehört die Vermeidung von Wortstellen, die einer „Fehlerverlockung“ durch im Wort an anderer Stelle auftretende Phänomene (z.B. *Fehrnsehprogramm, *Vehrkehrsschild) unterliegen. Auch wird in einigen Wörtern die Aufmerksamkeit durch vor- bzw. nachgestellte Schwierigkeiten gebunden und von eigentlich „leichten“ Stellen „abgezogen“ (siehe Abschnitt 1.5.3). Die Häufigkeit, mit der die einzelnen Wortstellen in den Vergleichsgruppen richtig geschrieben wurden (sog. statistische Schwierigkeiten) sind den Tabellen ST 1 bis ST 5-9 im Anhang zu entnehmen. Die dort zusammengestellten Angaben können helfen, auch die Schreibungen jener Wortstellen zu interpretieren, die nicht als Lupenstellen für die Strategiewerte ausgewählt wurden. So ist es beispielsweise mit Hilfe der Angaben in den Tabellen „ST-GT ...“ möglich, die Sicherheit bei der Darstellung eines bestimmten orthographischen Phänomens (z.B. Kürzezeichen) in verschiedener Einbettung (intersilbisch: Kanne, am Stammende: Kamm, im Stamm mit weiteren Konsonanten: kannst) festzustellen. Dies kann helfen, den Lernerfolg nach einer entsprechenden Unterrichtseinheit in der Klasse einzuschätzen. 47 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE HSP Manual 1-9 1.5.6 Die Interpretation der Strategieprofile Wie im Abschnitt 1.5.1 ausgeführt, eignen sich die Kinder die Prinzipien der Schriftsprache schrittweise an, und üblicherweise bilden sich im Laufe der Lernentwicklung die hauptsächlichen Rechtschreibstrategien in der angegebenen zeitlichen Abfolge heraus. Wie Abbildung 1.5.4 zeigt, werden die weiterführenden Strategien bereits erprobt, noch bevor die alphabetische Strategie vervollkommnet ist.38 Diese Abfolge dominanter Strategien und ihre allmähliche Vervollkommnung gilt grundsätzlich für Schüler mit ganz unterschiedlichem schriftsprachlichen Lerntempo und Leistungsvermögen (vgl. die Schreibungen des Wortes „Fahrrad“ in Tabelle 1.5.1). In diesem Sinne sind leistungsschwächere Rechtschreiber in der Regel vor allem lernverzögerte Rechtschreiber, die sich die wichtigsten schriftsprachlichen Prinzipien erheblich langsamer, aber auf prinzipiell gleiche Weise und in derselben Abfolge aneignen wie gute Rechtschreiblerner.39 ABBILDUNG 1.5.4: Prozentuale Anteile richtig geschriebener Wortstellen, ent- sprechend den drei Rechtschreibstrategien „alphabetisch“ (A), „orthographisch“ (O) und „morphematisch“ (M), am Ende der ersten, zweiten und vierten Klasse 40 Richtige Lupenstellen in Prozent 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 A O M A Klasse 1 O Klasse 2 M A O M Klasse 4 Zwischen guten und schwachen Rechtschreiblernern gibt es jedoch nach den Ergebnissen zahlreicher Längsschnittuntersuchungen auch deutliche Unterschiede. Bei Kindern mit ungünstigen Lernvoraussetzungen, die im frühen (schrift-) sprachlichen Unterricht nicht genügend Grundlagen erworben haben, wenig Motivation 38 Verstöße gegen die alphabetische Schreibung kommen durchaus auch in höheren Klassenstufen noch vor, allerdings vorwiegend bei schwächeren Schreibern und natürlich weniger häufig als Fehler bei anderen Rechtschreibstrategien. 39 Siehe dazu ausführlicher May 1990, 1993. 40 Das Ausmaß der Beherrschung der drei Rechtschreibstrategien wurde anhand folgender zehn Wörter ermittelt, die in allen Klassenstufen der Grundschule erhoben wurden: Blätter, Briefmarke, Fahrrad, Handtuch, (Bank)Räuber, Spinne(nnetz), Staubsauger, Verkäuferin, Windmühle, Zähne. 48 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE zum Lesen und Schreiben entwickeln oder im außerschulischen Bereich zu wenig Anregungen finden, zeigen sich häufig auch umfassende Störungen der Lern- und Persönlichkeitsentwicklung, die nicht nur als Lernverzögerung zu verstehen sind.41 Als Anzeichen für Störungen der Lernentwicklung können vor allem folgende Phänomene interpretiert werden: • Sog. Pseudoschreibungen („willkürliche Schreibungen“), bei denen die Schreibung vermutlich nicht durch die Anwendung von schriftspezifischen Strategien zustande kommt, sondern eher als ein „So-tunals-ob“ zu interpretieren ist (z.B. *FUUTA für „Blätter“ oder perseverierte Buchstabenfolgen wie *kxkx). Solche Schreibungen, die allerdings in höheren Klassenstufen kaum noch vorkommen, signalisieren die psychische Notlage eines schreibversagenden Kindes, das gleichwohl etwas Vorzeigbares zu Papier bringen möchte (vgl. May 1990). • Häufige diffuse Verwendung orthographischer Elemente ohne Berücksichtigung struktureller Aspekte (z.B. *fherrckeuhffen für „Verkäuferin“, *varathschlohs für „Fahrradschloss“) bei gleichzeitig niedrigen Werten für „orthographisches“ und „morphematisches Schreiben“; dies können Zeichen für eine grundlegende Konfusion in Bezug auf das orthographische Regelsystem sein.42 • Eine Vielzahl von sog. Flüchtigkeitsfehlern, z.B. fehlende oder falsch platzierte Oberzeichen; darin können sich eine mangelnde Sorgfalt beim Schreiben (z.B. als Ausdruck einer geringen Wertschätzung des Schreibprodukts infolge von Motivationsverlust) oder auch eine misslingende Aufmerksamkeitssteuerung (z.B. infolge von Überforderung) ausdrücken. Störungen der Lernentwicklung lassen sich mit Hilfe der Hamburger Schreibprobe nicht direkt nachweisen, doch kann der Vergleich verschiedener Teilleistungen wichtige Hinweise auf eventuelle Störungen und deren mögliche Ursachen geben. Für die Gesamtleistung sowie die einzelnen Teilleistungen eines Kindes werden mit Hilfe der Tabellen im Anhang der betreffenden Anleitungshefte Vergleichswerte (Prozentränge und T-Werte) bestimmt und damit die Leistung des einzelnen Kindes zur Leistungsverteilung in der Vergleichsstichprobe in Beziehung gesetzt. Man 41 Siehe dazu Strehlow, U. et al. (1992), Esser & Schmidt (1993), Klicpera & Klicpera-Gasteiner (1995), May (2001). 42 Bei der Interpretation „überflüssiger orthographischer Elemente“ ist allerdings Vorsicht geboten, da es auch bei ungestörter Lernentwicklung häufig zu „Übergeneralisierungen“ von orthographischen Prinzipien kommt. Dies gilt vor allem für den Übergang vom weitgehend alphabetischen zum orthographischmorphematischen Schreiben (siehe Abschnitt 1.5.2). Deshalb müssen überflüssige orthographische Elemente stets im Verhältnis zu den anderen Strategiewerten betrachtet werden. 49 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE ermittelt also, ob die einzelnen Teilleistungen dem oberen, mittleren oder unteren Leistungsbereich der Vergleichsgruppe zuzuordnen sind. Aus dem Vergleich der einzelnen Teilleistungen miteinander lassen sich Hinweise auf mögliche Auffälligkeiten oder sogar Störungen gewinnen, die im Rahmen einer individuellen Förderung gezielt bearbeitet werden können. Aus dem Verhältnis der Werte für die verschiedenen Rechtschreibstrategien können sich verschiedene Kombinationen ergeben, die sich in einem Strategieprofil darstellen lassen. Beim fortschreitenden Schriftspracherwerb kommt es auf das Modifizieren und Überformen des alphabetischen Schreibens durch die Verwendung orthographischer Elemente und die Fundierung der Schreibung in einer morphematischen Durchgliederung der Wörter an. Deshalb wird bei der Interpretation von Strategieprofilen vor allem das Verhältnis des alphabetischen Schreibens einerseits zu den weiterreichenden Strategien des orthographischen bzw. des morphematischen Schreibens andererseits in den Blick genommen. Die möglichen Kombinationen der wortbezogenen Rechtschreibstrategien lassen sich zu drei Haupttypen zusammenfassen (siehe Kasten). Wenn anhand der Vergleichswerte für die einzelnen Rechtschreibstrategien ein „ausgeglichenes“ Strategieprofil ermittelt wird, bedeutet dies nicht, dass die Kinder die orthographische und morphematische Strategie ebenso sicher beherrschen wie die alphabetische Strategie. Die Tatsache, dass die Kinder in der Regel einen höheren Anteil der alphabetischen Wortstellen richtig schreiben (siehe Abbildung 1.5.4), geht in die Vergleichswerte ein. Deshalb ist genauer von einem relativ ausgeglichenen Strategieverhältnis zu sprechen. Beim Strategieprofil „alphabetische Dominanz“ herrscht das Verschriftlichen anhand der eigenen Artikulation vor; dagegen werden orthographische und/oder morphematische Regeln und Strukturen nicht genügend beachtet. Während eine „alphabetische Dominanz“ des Schreibens zu Beginn des Schrifterwerbs zu erwarten ist, können sich im weiteren Verlauf des Erwerbsprozesses ernsthafte Störungen des Aneignungsprozesses ergeben, wenn ein Kind in dieser Strategie verharrt. Bei Strategieprofilen mit „orthographisch-morphematischer Dominanz“ operiert der Schreiber offenbar bereits vielfach mit orthographischen Elementen bzw. beachtet morphematische Aspekte, ohne dass das alphabetische Schreiben entsprechend entwickelt ist bzw. kontrolliert wird. Dieser Profiltyp verweist fast immer auf eine frühe Störung des Aneignungsprozesses, da das alphabetische Verschriftlichen die elementare Form des Schreibens darstellt. Grundlegende Verstöße gegen alphabetische Prinzipien bei gleichzeitig durchschnittlichen bis guten orthographisch-morphematischen Leistungen können z.B. auf einen Sprachfehler oder eine andere grundlegende Störung hinweisen, die bis dahin unentdeckt bzw. unbehandelt geblieben ist und die den weiteren Lernprozess beeinträchtigen kann. 50 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE (1) Ausgeglichenes Strategieverhältnis: Die Punktsumme für das alphabetische Schreiben ergibt annähernd denselben Vergleichswert (Prozentrang bzw. T-Wert) wie für das orthographische und morphematische Schreiben. Hier ist – bezogen auf den erreichten Stand des Rechtschreibkönnens – die Integration der verschiedenen Rechtschreibstrategien gelungen. (2) Alphabetische Dominanz: Der Wert für das alphabetische Schreiben ist deutlich höher als der Wert für orthographisches und/oder für morphematisches Schreiben. Innerhalb des Strategieprofils mit „alphabetischer Dominanz“ können sich folgende Konstellationen ergeben: • ausgeprägt alphabetische Dominanz: Der Wert für die alphabetische Strategie ist deutlich höher als die Werte für die beiden anderen Strategien. • alphabetisch-orthographische Dominanz: Die Werte für alphabetisches und orthographisches Schreiben sind deutlich höher als der Wert für morphematisches Schreiben. • alphabetisch-morphematische Dominanz: Die Werte für alphabetisches und morphematisches Schreiben sind deutlich höher als der Wert für orthographisches Schreiben. (3) Orthographisch-morphematische Dominanz: Die Werte für orthographisches und/oder morphematisches Schreiben sind deutlich höher als der Wert für alphabetisches Schreiben. Innerhalb dieses Profiltyps können sich folgende Konstellationen ergeben: • orthographische Dominanz: Der Wert für orthographisches Schreiben ist deutlich höher als die Werte für die beiden anderen Strategien. • orthographisch-morphematische Dominanz: Die Werte für das orthographische und morphematische Schreiben sind deutlich höher als der Wert für alphabetisches Schreiben. • morphematische Dominanz: Der Wert für morphematisches Schreiben ist deutlich höher als die Werte für die beiden anderen Strategien. 51 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE HSP Manual 1-9 Mit Ausnahme der besten Schreiber, bei denen sich schon wegen der geringen Fehlerzahl die Strategiewerte kaum unterscheiden, sind die verschiedenen Strategieprofile auf allen Leistungsniveaus vorzufinden (siehe dazu Abschnitt 2.4). Da die verschiedenen Strategiewerte miteinander korrelieren, ist zu erwarten, dass bei den meisten Schülern die Werte für die einzelnen Strategien sowie der Gesamtpunktwert eine annähernd gleiche Höhe haben. Sollten sich bei einzelnen Schülern deutliche Unterschiede zwischen den Prozenträngen für die verschiedenen Strategien zeigen, so ist dies stets als ein Hinweis auf eine individuelle Besonderheit zu werten, der sorgfältig geprüft werden sollte. Bei der Interpretation muss allerdings beachtet werden, dass sich Strategiewerte erst dann statistisch voneinander unterscheiden, wenn die Differenz mindestens 10 TWerte beträgt.43 Die entsprechenden T-Werte finden Sie ebenfalls in den Vergleichstabellen der Anleitungshefte für die einzelnen HSP-Versionen. Dort finden Sie für eine graphische Interpretation der Strategieprofile im Anhang eine Kopiervorlage, in die Sie die einzelnen Strategiewerte des Schülers abtragen und so das Verhältnis der einzelnen Strategien zueinander „sichtbar“ machen können. 1.5.7 Beispiele für die Interpretation von Strategieprofilen44 LENA schreibt in der HSP 2 140 Grapheme von 148 möglichen richtig. Der entsprechende Prozentrang beträgt 78, d.h., Lena schreibt besser als drei Viertel aller Zweitklässler. Die nebenstehenden Werte für die einzelnen Rechtschreibstrategien weisen ebenfalls recht gute Ergebnisse aus (Prozentränge zwischen 63 und 94, T-Werte zwischen 53 und 60). Lena: HSP 2, Ende Klasse 2 Lupenstellen PR T-Wert A 19 63 53 O 12 79 58 M 8 84 60 GT 140 78 58 Zwischen den Werten für die alphabetische, orthographische und morphematische Strategie bestehen keine signifikanten Unterschiede, denn dazu müsste die Differenz zwischen ihnen mindestens 10 T-Werte betragen. Dieses ausgewogene Verhältnis der wortbezogenen Strategien belegt, dass Nina die Integration der einzelnen Rechtschreibstrategien bereits auf hohem Niveau gelingt. Sie kann beim Rechtschreiben der Wörter auf vielfältige und differenzierte Verfahren zurückgreifen und diese angemessen aufeinander beziehen. 43 Zur Erläuterung dieser „kritischen Diffe- renz“ siehe Abschnitt 3.4.1. 44 Zu ausführlichen Interpretationen von Schreibungen und Strategieprofilen siehe die Fallbeispiele in Kapitel 4. 52 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE TINA erzielt in der dritten Klasse mit 181 von 191 möglichen Graphemtreffern eine durchschnittliche Gesamtleistung in der HSP 3, die einem Prozentrang von 53 entspricht. Die differenzierte Auswertung ihrer Schreibungen nach den Werten für die einzelnen Rechtschreibstrategien ergibt folgendes Ergebnis: Tina schreibt alle 20 alphabetischen Lupenstellen richtig. Der betreffende Strategiewert entspricht dem PR 77 und liegt demnach im hohen Leistungsbereich. Auf ihre Leistungen in der orthographischen und der morphematischen Rechtschreibstrategie (PR 29 bzw. 38, T-Werte 44 bzw. 47) trifft dies jedoch nicht im gleichen Maße zu. Tinas Werte für die orthographische und morphematische Strategie liegen im unteren Durchschnittsbereich. Tina: HSP 3, Ende Klasse 3 Lupenstellen PR T-Wert A 20 77 57 O 11 29 44 M 7 38 47 GT 181 53 51 Tinas Strategieprofil PR T-Wert 99,4 99,2 98,9 98,6 98,2 97,7 97 96 95 95 93 92 90 89 86 84 82 79 76 73 69 66 62 58 54 50 46 42 38 35 31 27 24 21 18 16 14 12 10 8 7 6 4,5 3,6 2,9 2,3 1,8 1,4 1,1 0,8 0,6 75 74 73 72 71 70 69 68 67 66 65 64 63 62 61 60 59 58 57 56 55 54 53 52 51 50 49 48 47 46 45 44 43 42 41 40 39 38 37 36 35 34 33 32 31 30 29 28 27 26 25 Im Vergleich zum Wert für die alphabetische Strategie sind diese beiden TWerte um 10 und mehr Punkte niedriger. Damit weist das Verhältnis der Rechtschreibstrategien auf eine alphabetische Dominanz hin. Die Verschriftlichung der eigenen Artikulation gelingt Tina schon sehr gut, wohingegen sie orthographische Elemente und morphematische Strukturen noch weniger beachtet. Diese Unausgewogenheit der Rechtschreibstrategien könnte ihre Ursache darin haben, dass Tina sich beim Rechtschreiben vorwiegend auf den A O M Grundsatz „Schreibe, wie du sprichst“ stützt. Dagegen hat sie bisher vermutlich zu wenige Verfahren erprobt, um zu klären, wo orthographische Elemente zu markieren sind und wie Wörter in Bausteine (Morpheme) zu gliedern sind. Tina sollte verstärkt angeregt werden, Wörter auf sprachsystematische Prinzipien hin zu analysieren. 53 HSP Manual 1-9 MIRCO schreibt in der HSP 4/5, die zu DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE Mirco: HSP 4/5, Anfang Klasse 5 (alle Schulformen) Beginn des 5. Schuljahres im Rahmen einer Lernausgangserhebung durchgeLupenführt wird, 262 von 277 Graphemen stellen PR T-Wert richtig. Seine Leistung entspricht nach A 19 8 36 der Tabelle für alle Schularten einem O 18 60 53 Prozentrang von 36. Dieses insgesamt durchschnittliche Ergebnis ist bei Mirco M 14 72 56 mittels der Strategiewerte zu differenWÜ 13 24 43 zieren, denn die Vergleichswerte für die orthographische und morphematische GT 262 36 47 Strategie liegen deutlich höher als derjenige für die alphabetische Strategie. Während sein Ergebnis beim morphematischen Schreiben (PR 72) von nur 28 Prozent seiner Altersgruppe übertroffen wird, zeigen in diesem Alter nur 8 Prozent der Schüler eine noch schwächere Leistung in der alphabetischen Strategie. Mircos Stärke insbesondere beim morphematischen Durchgliedern der Wörter und (etwas weniger ausgeprägt) beim Beachten orthographischer Regelungen steht eine Schwäche bei der alphabetischen Verschriftlichung gegenüber. Die bei Mirco zu beobachtende Diskrepanz zwischen den Rechtschreibstrategien ist in diesem hohen Ausmaß relativ selten und deutet meist auf besondere Schwierigkeiten beim Rechtschreiblernen oder eine Störung bei der Aneignung hin. Bei Mirco könnte die Ursache für die großen Unterschiede zwischen den verschiedenen Strategieleistungen darin liegen, dass er Deutsch als Zweitsprache erworben hat. Er findet in seiner Artikulation noch nicht genügend sichere Anhaltspunkte zum alphabetischen Erschließen und zur Kontrolle seiner Schreibungen. Ein anderer Grund für eine derartige Unausgewogenheit des Strategieprofils könnte eine frühe Störung bei der Aneignung des alphabetischen Prinzips der Schriftsprache sein. Es sollte beispielsweise überprüft werden, ob Hör- oder Sprachfehler vorliegen, die sich auf die Artikulation auswirken könnten. 54 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE HANNES besucht eine Gesamtschule und erzielt in der sechsten Klasse 320 von 339 möglichen Graphemtreffern in der HSP 5-9 B, was nach der Vergleichstabelle für sechste Klassen (Haupt-, Real- und Gesamtschulen) einem Prozentrang 49 und damit einer durchschnittlichen Leistung entspricht. Um Hannes’ orthographisches Können differenzierter zu analysieren, werden seine Werte für die einzelnen Rechtschreibstrategien in das Profilschema eingetragen. Die Prozentränge für die alphabetische, orthographische und morphematische Strategie liegen ebenfalls im Durchschnittsbereich und zwischen ihnen bestehen keine signifikanten Unterschiede. Dieses ausgeglichene Verhältnis der wortbezogenen Strategien besagt, dass Hannes die Integration der einzelnen Rechtschreibstrategien auf dem erreichten Niveau seines Könnens gut gelingt. Er kann beim Rechtschreiben der Wörter offenbar auf genügend differenzierte Verfahren zurückgreifen und diese angemessen aufeinander beziehen. Hannes: HSP 5-9 B, Klasse 6, (Haupt-, Real- und Gesamtschulen) Lupenstellen PR T-Wert A 28 44 49 O 21 57 52 M 17 56 51 WÜ 12 14 39 GT 320 46 49 Hannes’ Strategieprofil PR T-Wert 99,4 99,2 98,9 98,6 98,2 97,7 97 96 95 95 93 92 90 89 86 84 82 79 76 73 69 66 62 58 54 50 46 42 38 35 31 27 24 21 18 16 14 12 10 8 7 6 4,5 3,6 2,9 2,3 1,8 1,4 1,1 0,8 0,6 75 74 73 72 71 70 69 68 67 66 65 64 63 62 61 60 59 58 57 56 55 54 53 52 51 50 49 48 47 46 45 44 43 42 41 40 39 38 37 36 35 34 33 32 31 30 29 28 27 26 25 A O M WÜ Im Unterschied dazu trifft Hannes nur 12 der 20 Lupenstellen für die wortübergreifende Strategie. Dieses Ergebnis entspricht einem Prozentrang von 14, wird also von 86 Prozent seiner Altersgenossen übertroffen. Die Differenz zwischen seinem T-Wert für die „wortübergreifende Strategie“ und seinen T-Werten für die wortbezogenen Rechtschreibstrategien übersteigt die kritische Differenz von 10, wonach bei ihm eine Dominanz der wortbezogenen Strategien festzustellen ist. Ein Grund könnte sein, dass Hannes sich auch beim Schreiben von Sätzen noch vorwiegend auf die Rechtschreibung der einzelnen Wörter konzentriert, ohne die Einbettung der Schreibungen in den Satzzusammenhang genügend zu beachten. Es könnte auch sein, dass er noch nicht genügend Kenntnisse über satzabhängige orthographische Regelungen hat. 55 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE 1.6 Weitere Kennwerte der HSP 1.6.1 Überflüssige orthographische Elemente Als „überflüssige orthographische Elemente“ bezeichnen wir Buchstaben und Buchstabenkombinationen, die an anderer Stelle als orthographische Elemente korrekt verwendet werden und dort auch vorgeschrieben, an der betreffenden Stelle jedoch fehlplatziert sind. Dazu gehören in erster Linie überflüssige Längezeichen (z.B. *Vehrkehrsschield, *Tohrwart, *schiempft) und Kürzezeichen (*Winndmühlle, *Fammillie, *Lehrerrin), die sowohl in „legaler“ Position (*schimmft, *Verkäuhferrin) als auch in „illegaler“ Position (z.B. *Vehrkehrsschild, *sietzt) vorkommen45, sowie die Verwendung seltener Grapheme anstelle der üblichen Grapheme für die Bezeichnung derselben Phoneme, z.B. überflüssige v- oder ph-Schreibung (*Vahradschloss, *Phernsehprogram), y-Schreibung (*Windmyle, *Frystyck) oder ß-Schreibung (*Verkehrßschild). Grundsätzlich nicht als „überflüssige orthographische Elemente“ sind solche Buchstaben und Buchstabenverbindungen zu werten, die lediglich eine Hinzufügung alphabetisch zu schreibender Elemente darstellen. Beispiele dafür sind Lauthinzufügungen wie bei *Bankreuiber oder *Compjuter sowie Wortveränderungen wie *Fernsehnprogramm, *Briefeträger oder *Rolltschuhe, bei denen die Regeln für die Kompositumbildung nicht beachtet werden, oder sinnverändernde Wortergänzungen wie *Frühstückstisch und *Strumpfhosen. Des Weiteren werden solche Schreibungen nicht in die Kategorie „überflüssige orthographische Elemente“ aufgenommen, an denen ein gefordertes orthographisches Element durch ein falsches ersetzt wird (z.B. *Gihßkanne, *Giesskanne, *Leererin, *Faarradschloss, *Nüße).46 45 Die von Brinkmann & Brügelmann (1992, S. 14) vorgeschlagene Unterscheidung zwischen „illegalen“ Rechtschreibmustern, die eine „Verletzung ihrer konventionellen Anwendungsbedingungen“ darstellen, und „legalen“ Übergeneralisierungen wird in der Auswertung der HSP nicht getroffen, da diese Gegenüberstellung sich in der Testanalyse als diagnostisch wenig trennscharf erwiesen hat. Bei der Einzelanalyse kann diese Differenzierung dennoch relevant sein. 46 Wenn derartige Schreibungen häufiger vorkommen – beim einzelnen Kind oder in der Klasse – , sollten diese aufmerksam registriert und unterrichtlich aufgegriffen werden, da solche Schreibungen ebenfalls zeigen, dass der Umgang mit orthographischen Elementen noch unsicher ist. 56 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Aus Gründen der Auswertungsobjektivität beziehen sich die in den Vergleichstabellen der HSP-Anleitungshefte angegebenen Vergleichswerte für „überflüssige orthographische Elemente“ ausschließlich auf Elemente der folgenden Kategorien: • überflüssige Länge- und Kürzezeichen, einschließlich unzulässiger Wortstellen für diese Elemente, und • überflüssige v-Schreibung. ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Überflüssige orthographische Elemente sind meist Anzeichen für eine noch unsichere Anwendung der orthographischen Strategie bzw. deren unzureichende Einbindung in morphematische Strukturen (siehe Kasten „h-Schreibung“). Beim Übergang vom vorwiegend alphabetischen Schreiben zum orthographisch überformten Schreiben kommen solche überflüssig verwendeten orthographischen Elemente relativ häufig vor (siehe Abschnitt 1.5.2), weil die Lerner noch unsicher bei der Anwendung orthographischer und morphematischer Prinzipien sind. Dass solche Schreibungen in dieser Zeit keineswegs als Anzeichen für eine Lernstörung, sondern im Gegenteil meist als produktive Erprobungsversuche zu interpretieren sind, zeigt die Beobachtung schnell lernender Kinder, die „überflüssige orthographische Elemente“ schon im ersten Schuljahr schreiben, während langsamer lernende Schreiber erst später damit experimentieren. Die Interpretation dieser Elemente muss daher stets unter Berücksichtigung des gesamten Lernstandes erfolgen. Im weiteren Verlauf der Lernentwicklung weist ein hoher Wert für „überflüssige orthographische Elemente“ meist auf eine unsystematische und unzureichende Aneignung von orthographischen Prinzipien hin und signalisiert eine Störung des Lernprozesses. Dies v.a. dann, wenn die Werte für die orthographische und morphematische Strategie gleichzeitig relativ niedrig ausfallen. Die Interpretation der „überflüssigen orthographischen Elemente“ ist dann relativ leicht, wenn die Genese der Schreibung (lern-) logisch nachvollziehbar erscheint. Beispiele dafür sind: • Bei den überflüssigen Längezeichen ist dem Kind die Schreibung des Stammes nicht bekannt und es setzt für lang gesprochene Vokale ein Längezeichen ein (*Tohrwart, *Famielie). • Ein an anderer Stelle des zu schreibenden Wortes gefordertes orthographisches Element bewirkt eine Fehlerverlockung, so dass auch (oder nur) dort ein solches Element geschrieben wird, wo es fehlplatziert ist (*Fehrnsehprogramm, *Vehrkehrsschild). • Das Kind hat eine zu einfache Vorstellung von der Regel über die Konsonantenverdopplung und schreibt an einer Stelle, an der ein weiterer Konsonant im Wortstamm folgt, einen doppelten Konsonanten (*Winndmühle, *schimmpft, *Bannkräuber). 57 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE • Die morphologische Struktur des Wortes wird vom Kind nicht erfasst, oder/und es weiß noch nicht, dass Kürzezeichen (fast immer) nur im Wortstamm geschrieben werden (*Verkäuferrin, *beckommt). • Das Kind vermutet aufgrund der Buchstabenanordnung eine Analogie zu einem bekannten Wortbaustein (*Vernsehprogramm, *Verkäuverin). • Das Kind artikuliert das zu schreibende Wort anders – häufig aus dem Bestreben heraus, besonders prägnant zu artikulieren –, sodass eigentlich kurze Vokale lang gesprochen und infolgedessen mit einem Längezeichen versehen werden (*schiempft, *Spienenetz, *Giskahne). Schwieriger zu beurteilen sind Schreibweisen mit solchen Buchstabenfolgen, die wie orthographische Elemente aussehen, aber ebenso auf Aufmerksamkeitsfehler (z.B. in Form einer Handlungswiederholung, eine sog. Perseveration) zurückgeführt werden könnten. Dazu gehören beispielsweise Konsonantenverdopplungen an Wortstellen, an denen es nach den orthographischen Grundprinzipien keine Verdopplung geben darf (z.B. *Schmmetelin, *knnakt). Gerade am Beginn der Phase, in der die Kinder auf orthographische Elemente aufmerksam werden und diese schreibend erproben, kommt es häufiger vor, dass sie solche Elemente auch an unzulässigen Stellen verwenden. Bei der Beurteilung, ob solche zusätzlichen Zeichen als „überflüssige orthographische Elemente“, als Fehler infolge mangelnder Aufmerksamkeit und Kontrolle oder als diffus geschriebene Buchstaben zu werten sind, sollte daher stets der individuelle Lernstand des einzelnen Kindes berücksichtigt werden. Probleme bei der Beurteilung bereiten auch solche Buchstaben, die an dieser Stelle infolge einer vermeintlichen Auslautverhärtung – also infolge einer wortstammbezogenen Operation – geschrieben worden sein können (z.B. *Torward, *Quargkuchen), jedoch ebenso eine Verwechslung der Phonem-Graphem-Zuordnung bedeuten können. Im ersten Fall wären diese Schreibungen als eine falsche Anwendung der morphematischen Strategie zu bewerten, im zweiten Fall dagegen als Fehler beim alphabetischen Schreiben. Hier sollte man zur Beurteilung auch auf andere Schreibungen des Kindes zurückgreifen, das Kind befragen, wie es auf die konkrete Schreibung gekommen ist und es strukturell ähnliche Wörter schreiben lassen. 58 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE Zutreffende und überflüssige „h“-Schreibung 47 Der Anteil der Kinder, die in „Fernseher“ das „h“ an der richtigen Stelle bezeichnen, steigt von einem knappen Drittel gegen Mitte des zweiten Schuljahres auf 95 Prozent am Ende der Grundschule. Lässt man die Kinder allerdings „Fernsehprogramm“ schreiben, sinkt der Anteil Ende der vierten Klasse auf 80 Prozent (siehe Tabelle). Ein Teil der Kinder gewinnt demnach die „h“-Schreibung nicht aus der Erkenntnis, dass Wortstämme im Prinzip stets gleich geschrieben werden („sehen“ → also auch „Fernseher“ und „Fernsehprogramm“), sondern schreibt es nur dann, wenn es als silbentrennendes Zeichen „hörbar“ gemacht werden kann (sehen und Fernseher, aber *Fernseprogramm). Ist ein direkter Zugriff auf die Artikulation nicht möglich, so erkennen diese Kinder in /fernse:/ nicht das „sehen“ wieder. Ähnliche Beobachtungen kann man bei Morphemkombinationen in flektierten Verben und Adjektiven machen (z.B. knacken, aber *knakt oder *knagt; merken, aber *mergt). Diese Schreibungen stehen für eine nicht genügend ausgebildete Morphembewusstheit. Anders ist die Entwicklung beim Wortteil „fern“: Gegen Mitte des zweiten Schuljahres beträgt der Anteil jener Kinder, die fälschlicherweise ein „h“ im Wortteil „fern“ schreiben (Fehrnseher o.ä.), nur 6 Prozent. Aber dieser Anteil steigt auf 33 Prozent in der Mitte des vierten Schuljahres (in „Fernsehprogramm“ 35 Prozent), um dann in der Sekundarstufe allmählich zurückzugehen. „Fernseher“ „Fernsehprogramm“ Kl. 2 Mitte Kl. 2 Ende Kl. 3 Mitte Kl. 3 Ende Kl. 4 Mitte Kl. 4 Ende Kl. 4 Ende Kl.5 Kl. 7 Kl. 9 Fernseh... ohne „h“ 64 44 31 22 9 5 20 12 6 1 Fernseh... mit „h“ 6 13 17 26 33 30 35 34 19 13 Warum ist der Wortteil „fern“ so schwierig, der als Einzelwort wenig Schwierigkeiten bereiten dürfte? Die Schüler, die *Fehrnseher schreiben, haben eine noch diffuse Vorstellung, wo das „h“ stehen muss, weil sie in dem komplexen Wort „Fernsehprogramm“ nicht die Grundform von „sehen“ rekonstruieren, aber durch häufiges Lesen von Wortverbindungen mit „Fernseh..“ um die Existenz des „h“ wissen. In dieser unsicheren Entscheidungssituation wird das Teilwort „Fern“ nicht als konstantes Morphem (also als feste Einheit, als Superzeichen) in die Analyse einbezogen, sondern ebenfalls für die Positionierung des „h“ disponiert. Wenn die Schüler dann das zu bezeichnende „h“ schon in Fehrn“ platziert haben, ist es bei vielen Schreibern gedanklich sozusagen erledigt und wird dann nicht mehr an der vorgeschriebenen Stelle aufgegriffen: Das Ergebnis ist eine Variante von *Fehrnseprogramm. 47 Aus: May (1993). Die Daten für dieses Bei- spiel entstammen dem Projekt „Herausbildung von orthographischer und textualer Kompe- tenz“, das mit Schülern der Klassenstufen 1 bis 9 aus Hamburg und anderen Städten durchgeführt wurde. 59 HSP Manual 1-9 DIE KONZEPTION DER HAMBURGER SCHREIBPROBE Eine didaktische Konsequenz aus diesen Beobachtungen wäre, die Schüler zunächst solche Wörter schreiben zu lassen, in denen die eigenständigen Bedeutungseinheiten transparenter erscheinen (im Falle von „fern“ z.B. Wörter wie „Ferne“, „Fernglas“, „Fernsehturm“), schreiben zu lassen. Mit der Bewusstheit für semantische Einheiten werden sie das Morphem „fern“ dann auch in „Fernsehprogramm“ suchen, wo das „in die Ferne sehen“ wegen der Vertrautheit mit dem Gesamtwort nicht so leicht in das Blickfeld gerückt werden kann. Ähnliche Beobachtungen kann man bei der Schreibung von „Verkehrsschild“ machen, wo die Variante *Vehr ... etwa dreimal häufiger vorkommt als beim Wort „Verkäuferin“, in der die „eh“-Schreibung nicht durch nachfolgende Wortstellen provoziert wird. Erst wenn die Konstantschreibung von Morphemen als tragendes Prinzip der Orthographie vertraut ist, wird das Schreiben solcher Präfixe wie „ver“, „ge“ usw. nicht mehr durch nachfolgende Längezeichen beeinträchtigt. Nach dem Kennenlernen der gängigen orthographischen Regelungen besteht demnach ein wesentlicher Lernschritt darin, die orthographischen Elemente in bedeutungstragende Einheiten, d.h. der Stamm-Morpheme, einzubetten sowie generell Wörter morphematisch zu durchgliedern. 1.6.2 Fehler bei Oberzeichen Das Setzen von Oberzeichen (i-Punkte, t-Striche, Umlautzeichen) ist für die meisten Kinder schon ab dem zweiten Schuljahr kein Problem mehr. Treten hier weiterhin Fehler auf, so hat dies im Allgemeinen wenig mit der orthographischen Kompetenz im engeren Sinne zu tun.48 Fehlende und falsch platzierte Oberzeichen sowie Satzpunkte deuten eher auf ein „Performanz“-Problem hin: Die Kinder beachten eine ihnen eigentlich vertraute Regel nicht und verzichten auf eine Kontrolle ihrer Schreibung. Hohe Werte für Oberzeichenfehler zeigen meist eine zu geringe Sorgfalt beim Schreiben oder eine mangelnde Aufmerksamkeitskontrolle an. Als Ursachen sind sowohl ungenügende Motivation und Werthaltung (z.B. weil dem Schreiber das Produkt gleichgültig ist) als auch Störungen der kognitiven Prozesse (z.B. weil das Beachten der orthographischen Prinzipien bereits alle Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hat) in Betracht zu ziehen. 48 Nach unseren Untersuchungen korrelieren Fehler bei Oberzeichen nur relativ gering mit der Rechtschreibleistung. Sie kommen aber häufiger bei schwächeren Rechtschreibern vor und Jungen machen hier durchschnittlich deutlich mehr Fehler als Mädchen (vgl. May 1994a).