Ein Beitrag zur Provenienz der Hauptvorwürfe

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Ein Beitrag zur Provenienz der Hauptvorwürfe
DAS »BAPHOMET-IDOL«
Ein Beitrag zur Provenienz der Hauptvorwürfe gegen den
Templerorden
VON ANKE KRÜGER
Der 1307 initiierte Prozeß gegen den Templerorden, der 1312 mit der
Aufhebung des Ordens durch päpstliche Provision endete, beschäftigt
die Wissenschaft und die Pseudowissenschaft gleichermaßen bis heute.
Neben der Schuldfrage genießt die Frage nach der Provenienz der
Anklagepunkte und ihr möglicher historischer Hintergrund größtes Interesse.
Eine vergleichende Analyse der Prozeßprotokolle konnte kürzlich
die Schuldfrage dahingehend beantworten, daß im Templerorden weder
eine Häresie noch manifeste unsittliche Mißbräuche existierten, und
daß die zwischen einigen Protokollen aufzufindenden Parallelen hauptsächlich Ergebnis der Verhörführung und Protokollredaktion sind.1
Weiterhin unklar und im Hinblick auf dieses Ergebnis besonders interessant ist jedoch die ideele Provenienz der gegen den Orden erhobenen
Vorwürfe sowie deren inhaltliche Ausgestaltung in den Geständnissen
der Zeugen.
1. Die gegen die Templer erhobenen Beschuldigungen
Das Mandat König Philipps IV. vom 14. September 1307, das die Verhaftung der Templer im französischen Königreich anordnet, beschuldigte die Ordensbrüder, bei ihrer Profeß das Kreuz durch dreimaliges
Bespucken zu schänden und dreimal Christus zu verleugnen (ter abnegant ac... ter in fadem spuunt ejus), unsittliche Küsse in posteriori parte
spine dorsi primo, secundo in umbilico et demum in ore auszutauschen,
sich mit ihrem Gelöbnis zu homosexuellen Praktiken zu verpflichten
und Gott verlassen und Dämonen geopfert zu haben.2 Diese Vorwürfe
bzw. ein auf ihrer Grundlage erstelltes Interrogatorium bildeten die
Grundlage für die ersten drei Verfahren des Prozesses: der Verhöre vor
den königlichen Beamten 1307, der anschließend unter Hinzuziehung
der Inquisition geführten Verhöre 1307 und 1308 sowie der vom Papst
1
Vgl. hierzu Anke Krüger, Schuld oder Präjudizierung, in: HJb 117 (1997), 340-377.
Der Text des Arrestationsbefehls ist ediert bei Georges Lizerand, Le dossier de l'affaire
des Templiers, Paris 1923,19f. Es heißt hier Dereliquit Deum factorem suum, recessit a Deo
salutari suo (...) oblita est Domini creatori sui, immolavit Demonüs (...) gens absque consilü
et sine prudentia.
2
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einberufenen Sonderkommission in Poitiers, die 1308 eine Anzahl vom
König überstellter Templer vernahm.
Ausführlicher ist das 1308 ausgearbeitete Interrogatorium, das dem
IV. Verfahren, geführt durch vom Papst autorisierte bischöfliche/erzbischöfliche Provinzialkommissionen, zugrunde gelegt wurde3. Einige
Varianten diversifizierten hier die Anklage der Kreuzschändung. Die
Artikel lauteten nunmehr quod faciebant illos, quos retipiebant, spuere
super crucem (...) quod ipsam crucem pedibus conculcari faciebant (...)
quod mingebant interdum (.. .)4. Aufgegliedert wurde auch der Vorwurf
der Verleugnung5. Ebenfalls mit Varianten in das Interrogatorium übernommen worden sind die Anklagepunkte der unsittlichen Küsse6 und
der homosexuellen Praktiken7. Bezüglich des Vorwurfs des Götzendienstes hieß es erstmalig konkreter quod ipsi fratres per singulas provincias habebant ydola, viz. capita, quorum aliqua habebant tres fades
et aliqua unam, et aliqua habebant craneum humanum, (...) quod illa
ydola vel illud ydolum adorabant, (...) quod venerabantur (...) ut
Deum (...) ut Salvatorem suum*.Auch magische Kräfte wurden dem
Idol zugeschrieben. Es könnte Reichtümer schaffen, den Samen keimen
und Bäume blühen lassen9. Ebenfalls zum ersten Mal tauchte die angebliche Verehrung eines Katers auf10. 1310 wurden diese Anklagepunkte
in das Interrogatorium der in Paris einberufenen Generalkommission
aufgenommen, die gegen den Gesamtorden inquirieren sollte.11
3
Das Interrogatorium beinhaltete 88 Anklagepunkte. Melanges historiques, choix des documents, Bd. II, ed. C. Port, Paris 1877, 441-445.
4
Artikel 9,10 und 12, Melanges historiques (wie Anm. 3).
5
Um den Inquisitoren eine Einordung der zu erfragenden Verbrechen in häresiologischer
Hinsicht zu ermöglichen, wurde diversifiziert zwischen der Verleugnung Christi oder der
Verleugnung Jesu oder des Gekreuzigten, der Zahl der jeweils schuldig gewordenen Or
densbrüder und der Häufigkeit der Tat. Auch nach den Hintergründen wurden die Zeugen
befragt: ob man ihnen gesagt habe, Christus sei kein wahrer Gott oder: er sei ein falscher
Prophet; Artikel 1-8, Melanges historiques (wie Anm. 3).
6
Angegeben werden die Varianten in ore, in umbilico, seu ventre nudo, et in ano, seu spina
dorsi (...) in virga virili; Artikel 30—33, Melanges histonques (wie Anm. 3).
7
Angegeben werden die Varianten, die gleichgeschlechtliche Betätigung sei den Ordens
brüdern erlaubt; sie müßten sie durchführen bzw. dulden; es sei keine Sünde; Artikel 40-45,
Melanges historiques (wie Anm. 3).
8
Artikel 46-50, Melanges historiques (wie Anm. 3).
9
Artikel 54-57, Melanges historiques (wie Anm. 3).
10
Artikel 14 und 15, Melanges historiques (wie Anm. 3).
1
Das 128 Punkte umfassende Interrogatorium ist publiziert bei Jules Michelet, Proces
des Templiers, 2 Bde., Bd. I, Paris 1841, 90-96.
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2. Die Aussagen der Zeugen aus dem Templerorden
Die Detaillierung der Vorwürfe im Interrogatorium der Provinzialkommissionen griff auf bereits abgelegte Geständnisse zurück. Bei der
Auswertung der Angaben geständiger Zeugen muß deshalb unterschieden werden zwischen originären Aussagen aus den Verfahren vor der
Aufstellung des Interrogatoriums (1308) und Angaben, die nach der
Einfügung des entsprechenden Artikels in das Interrogatorium erfolgten. Letztere können für eine Untersuchung nur in bedingtem Maße
herangezogen werden.
Die meisten geständigen Zeugen machten - wenn auch widersprüchliche - Angaben zur Verleugnung, zur Kreuzschändung und zu den unsittlichen Küssen. Viele erklärten, zur Verleugnung illiu spropheti aufgefordert worden zu sein12, man habe Christus falsus propbeta genannt13
oder non verus Deus14.
Die Angaben zu den unsittlichen Küssen variieren sehr, sowohl in der
Anzahl, als auch in der Abfolge und der Durchführung.15 Hinsichtlich
des Idols erfolgten trotz entsprechender Insistenz16 nur sehr wenige genaue Aussagen. Ein Großteil der befragten Templer machte überhaupt
keine Angaben zu diesem Artikel, und ein weiterer Prozentsatz begnügte sich mit dem Hinweis, man habe sagen hören, es gäbe Idole in
den Gebieten ultra mare17 oder: man habe erst nach der Verhaftung von
derartigen Idolen gehört.18 Die Originäraussagen sprechen unterschied-
12
Originäraussagen: einige vor den königlichen Beamten 1307 in Cahors verhörte Temp
ler; Heinrich Finke, Papsttum und Untergang des Templerordens, Münster 1905, 2 Bde.,
Bd. 11,318-321.
13
Originäraussagen: der Visitator von Frankreich Godefrois de Charnay vor dem Inquisi
tor 1307; Lizerand (wie Anm. 2), 30f. und z.B. ein Zeuge im Verfahren der Inquisition
von Paris 1307, Michelet (wie Anm. 11), Bd. II, 384.
14
Originäraussagen: z.B. die Zeugen D. Jefet und R. Stephani vor der Sonderkommission
in Poitiers; Konrad Schottmüller, Untergang des Templer-Ordens, Berlin 1887, 2 Bde.,
Bd. II, 50 u. 67.
15
Alle Varianten aufzuführen ist an dieser Stelle nicht möglich. Hingewiesen sei auf die
Originäraussage von Jean Cassanhas de Montreal, verhört 1307 vor den königlichen Beam
ten in Carcassonne, der einen Kuß in ano zu Protokoll gibt; Finke (wie Anm. 12), 322 f.
Diese Form wird jedoch äußerst selten genannt.
16
Das Interrogatorium der Provinzialkommissionen schließt mit einer nochmaligen Frage
an den Zeugen nach den Idolen und ihrem Verbleib; Artikel 86 und 87, Melanges histonques (wie Anm. 3).
17
So in 29 von 40 Protokollen der geständigen Zeugen, die von der bischöflichen Kommis
sion in Clermont 1309 aufgenommen wurden. Die Protokolle der Clermonter Provinzialkommission wurden ediert von Roger Seve, Ann-Marie Chagny-Seve, Le proces des
Templiers d'Auvergne, Paris 1986.
18
So z.B. einige der vor der Sonderkommission 1308 verhörten Templer; Schottmüller
(wie Anm. 14), 21, 36 u. 43; einige der im November 1310 vor der Generalkommission ausHist. Jahrbuch 119 (1999)
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lieh von einem schwarzen und häßlichen Haupt in Form eines menschlichen Kopfes19, von einer schwarzen Statue20, einem weißen Haupt mit
Bart21, einem vergoldeten Haupt22, von einer Statue aus Messing23 ,
einem Haupt mit zwei Gesichtern24, einem Haupt mit drei Gesichtern25,
einem Idol mit vier Füßen26. In einigen wenigen Protokollen trägt das
Idol einen Namen. Hierbei ist die Bezeichnung »Baphomet« nur einigemale belegt27. Dennoch sorgte gerade sie ab dem 18. Jh. für die Ausbildung eines eigenen, noch immer sehr fruchtbaren, Mythos.28 Eine Kläsagenden Templer; Michelet (wie Anm. 11) Bd. I, 304, 314; einige der vor der Generalkommission im Frühjahr 1311 verhörten Templer; Michelet, Bd. I, 346.
19
Verhört von der Sonderkommission 1308; Schottmüller (s. Anm. 14), 28.
20
Verhört von der Sonderkommission 1308; Finke (wie Anm. 12), 354.
21
Verhört von der Sonderkommission 1308; Schottmüller (wie Anm. 14), Bd. II, 50.
22
Verhört von der Sonderkommission 1308; Finke (wie Anm. 12), Bd. II, 335. Die Aus
sage macht auch ein von der Inquisition 1307 in Paris verhörter Zeuge; Michelet (wie
Anm. 11), Bd. II, 300.
23
Verhört von den königlichen Beamten 1307 in Carcassonne; Finke (wie Anm. 12), Bd.
II, 322 f.
24
Verhört von den königlichen Beamten in Cahors 1307; Finke (wie Anm. 12), Bd. II,
322 f.
25
Verhört von den königlichen Beamten in Cahors 1307; Finke (wie Anm. 12), Bd. II,
319; zwei von der Sonderkommission 1308 verhörte Zeugen; Schottmüller (wie
Anm. 14), Bd. II, 67 u. 69.
26
Hugues de Pairaud, Visitator von Frankreich, verhört von der Inquisition 1307 in Paris;
Lizerand (wie Anm. 2), 42; bei seinem Verhör vor der Sonderkommission 1308 sagt er al
lerdings nichts über das Aussehen des Idols; Finke (wie Anm. 12), Bd. II, 328.
27
Z. B. in einem Protokoll aus dem Verhör von Carcassonne 1307; Finke (wie Anm. 12),
Bd. II, 323 und in zwei Protokollen aus dem Verfahren der Sonderkommission 1308;
Schottmüller (wie Anm. 14), Bd. I, 257.
28
Der erste, der eine »Baphomet-Legende« zu finden glaubte und diese dann in Zusam
menhang mit der Freimaurertradition setzte (Die Tradition, daß die Templer des Mittelal
ters der Ursprung der Freimaurer seien, hat ihre Wurzel im sogenannten »Clermontschen
Kapitel«, einem Ende des 18. Jh.s gegründeten Freimaurerzweig. Vgl. hierzu GeorgSchuster, Geheime Gesellschaften, Verbindungen und Orden, Berlin 1905, Teil H, 50 f.), ist ver
mutlich J. A. Freiherr von Starck (1741—1816). In dem von ihm gegründeten Klerikal der
Tempelherren, einer okkulten Gesellschaft aus Elementen der Freimaurerei, Magie, Alchi
mie und Theosophie, mußte der Kandidat bei der Initiationszeremonie vor einen Altar tre
ten, auf dem eine Bibel und ein sogenannter »Baphomet« stand, eine nicht näher erläuterte
Figur; Peter Partner, The murdered magicians: the Tempiars and their myth, Oxford 1982,
121. Seit Starck wurde der »Baphomet« zum Zentrum aller Erklärungsversuche »Templeri
scher Häresie« und gleichzeitig zur Identifikationsfigur von Geheimgesellschaften und
Sekten. F. Nicolai, Mitglied der dem Freimaurertum nahestehenden Geheimgesellschaft
der Illuminaten, deutete mit Hilfe der griechischen Sprache »Baphomet« als Komposition
aus baphe & meti was er übersetzte mit »Taufe zur Klugheit«. Insgesamt ergab sich damit
die Vorstellung einer gnostischen Taufgottheit; Friedrich Nicolai, Versuch über die Be
schuldigungen, welche dem Tempelherrenorden gemacht werden und über dessen Ge
heimnis, Berlin, Stettin 1783. 1818 veröffentlichte J.Freiherr v. Hammer-Purgstall
(1774-1856) die lateinische Schrift Mysterium Baphometis revelatum seu fratres militiae
templi, in der er die These aufstellte, daß sich hinter dem zweiten Wortbestandteil die orHist. Jahrbuch 119 (1999)
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rung der Provenienz der gegen den Orden erhobenen Vorwürfe
erscheint unerläßlich, um derartige Spekulationen endgültig in das
Reich der Phantasie verweisen zu können.
3. Die Frage nach der Provenienz der Vorwürfe a)
Der häresiologische Ansatz
Einen hervorragenden Beitrag zur Untersuchung der Provenienz leistete M. Barber in seinem 1973 erschienen Artikel Propaganda in the
Middle Ages, der die gegen die Templer erhobenen Vorwürfe in eine häresiologische Tradition stellt. So konnte er für den Artikel der Anbetung eines Katers Parallelvorwürfe gegen häretische Gruppen eruieren,
die Walter Map in seiner um 1182 verfaßten Schrift De Nugis Curialium, und Papst Gregor IX. in seiner 1233 erlassenen Bulle Vox in Rama
berichteten.29 Der Kult der Ketzer - die warscheinlich fiktiv waren wurde in Vox in Rama folgendermaßen beschrieben: wird ein Neuling
bei ihnen aufgenommen, erscheint zunächst eine Art Kröte (Personifizierung des Teufels), die auf das Hinterteil und auf das Maul geküßt
wird; dann erscheint ein bleicher, magerer Mann mit schwarzen Augen
(Personifizierung des Teufels), den der Neuling ebenfalls küßt. Nach
diesem Kuß entweiche aus ihm die Erinnerung an den katholischen
Glauben. Es folgt eine Mahlgemeinschaft, in deren Anschluß die Anbetung einer Katze geschildert wird, die man ebenfalls »von hinten« küßt.
Eine allgemeine unzüchtige Orgie beschließe die häretische Versammphische Gottin Metis verberge; Joseph Frhr. v. Hammer-Purgstall, Mysterium Baphometis revelatum seu fratres militiae Templi, qua Gnostici et quidem Ophiani apostasiae,
idoluliae et impuntatis convicti per ipsa eorum monumenta, in: Fundgruben des Orients,
hg. W. Rzewusky, Bd. VI, Wien 1818. A. Crowley (1875-1947) der Führer des von ihm
gegründeten Ordo Templi orientis bezeichnete sich gar selbst als »Allmächtiger Baphomet«
und ließ sich als Inkarnation Satans verehren; vgl. hierzu Gregor A. Gregorius, Aleister
Crowleys Magische Rituale, bearb. von Friedrich Meyer, Berlin 1980. Neben diesen okkult-satanistischen Strömungen beschäftigten sich auch Historiker und Populärwissenschaftler weiterhin mit einer fundierten Deutung des »Baphomet«. J. Charpentier nimmt
an, die »Baphometbilder« der Templer seien nach dem Vorbild der antiken Janusköpfe gestaltet und - was auch der Name, eine Verschmelzung von Baptiste & Mahomet beweise ein Hinweis auf die versuchte Synthese von Christentum und Islam; John Charpentier,
Die Templer, Stuttgart 1965 (Orig. L'ordre des Templiers, Paris 1961), 157f. L. Charpentier
sieht im »Baphomet« ein condense de symboles alchimiques und pflichtet der Ansicht von
G. de Sede bei, »Baphomet« besage bafeous mete, und bedeute »den Mond färben«, also
Gold aus Silber herzustellen; Louis Charpentier, Les mysteres Templiers, Paris 1967,
232 f. Dabei fällt ihm nicht auf, daß Mond mene heißt. Literatur und Television rühmen
sich noch heute, das Geheimnis des »Baphomet« entschlüsselt zu haben; vgl. hierzu Gottfried Kirchner, Der Schatz der Tempelritter, in Terra-X , München 1997, 8-69. 29
Malcolm Barber, Propaganda in the Middle Ages: the Charges against the Templars, in:
Nottingham Medieval Studies 17 (1973), 42-57.
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hing.30 Auch auf den Einfluß der zeitgleich zu den Verfahren gegen die
Templer laufenden Prozesse gegen Papst Bonifazius VIII., der unter anderem des Götzendienstes und der Häresie31, und Bischof Guichard
von Troyes, der des Teufelsbündnisses und der Hexerei beschuldigt
wurde32, weist er hin.
Die Darstellung Barbers bereitet jedoch in einigen Punkten Schwierigkeiten, l. taucht der spezifische Vorwurf der Anbetung eines Katers
erst im Interrogatorium der Provinzialkommissionen auf, daß heißt,
nachdem bereits drei Verfahren - das der königlichen Beamten und der
Inquisition 1307/8 und der Sonderkommission 1308 - geführt worden
waren, in denen dieser Anklagepunkt nicht erscheint; und erst ab dieser
Aufnahme in das Interrogatorium erfolgen einige Aussagen über die
Anbetung einer Katze, die jedoch eine Randerscheinung bleiben.33 2. ist
weder in den Anklagen noch in den Aussagen der Zeugen von Erscheinungen des Teufels die Rede, die in Vox in Rama einen großen Stellenwert haben. Lediglich die Angabe über die Praxis der Küsse hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den Vorwürfen der ersten Verfahren gegen die
Templer. Zu beachten ist allerdings, daß Vox in Rama von Küssen an
den Teufel, bzw. die Katze spricht, nicht von Küssen, die die Häretiker
untereinander austauschen.
Einen Einfluß dieses häresiologischen Gedankengutes auf die Ausformulierung der Vorwürfe gegen die Templer ist daher zwar nicht auszuschließen, kann aber schon aufgrund der späten Übernahme der Topoi in
die Interrogatorien nicht ursprüngliche und ausschließliche Quelle sein.
Ein Untersuchung der inhaltlichen Vorbilder von Vox in Rama34 zeigt,
daß die Tradition eines Katzenkultes offenbar klerusintern überliefert
30
Der Text der Bulle ist ediert in Monumenta Germaniae Historiae (MGH), Epp. XIII
saec., vol l, Nr. 537,1.
31
Der Prozeß dauerte von 1303 bis 1312; vgl. hierzu Tilman Schmidt, Der Bonifazprozess, Verfahren der Papstanklage in der Zeit Bonifatius VIII. und Clemens V, Köln-Wien
1989, 59.
32
Barber (wie Anm. 29), 44.
33
Sie tauchen in einer südfranzösischen Protokollreihe auf, die nach der Einfügung des
Artikels in das Interrogatorium entstand; Finke (wie Anm. 12) Bd. II, 345, 347, 348ff, 354,
357,361.
34
Direktes Vorbild für die Schilderung der Papstbulle ist wohl der Bericht des Zisterzien
sers Alanus ab Insulis (gest. 1203) über angebliche Katharerriten, in: Jacques P. Migne, Patrologiae cursus completus, Series latina (PL), Bd. 210, 366; oder die ähnlich lautende Schil
derung des englischen Domherrn Walter Map's über die Patarini; Walter Map, De Nugis
Curialium, hg. M. R. James, C. N. L. Brooke, R. A. B. Mynors, Oxford 1983, 120. Der
Franziskaner David von Augsburg (gest. 1272) klagte die Waldenser an, eine Katze anzube
ten, Joseph Hansen, Zauberwahn, Inquisition und Hexenprozess im Mittelalter, München
- Leipzig 1900, 232 f. Zur häresiologischen Tradition s. auch die neue Aufarbeitung der
Problematik in: Bernd-Ulrich Hergemöller, Krötenkuss und schwarzer Kater. Ketzerei,
Götzendienst und Unzucht in der inquisitorischen Phantasie des 13. Jh.s, Warendorf 1996.
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wurde. Auch das Verfahren gegen Papst Bonifazius VIII. bringt keine
hinreichende Erklärung der Templervorwürfe. Bonifazius wurde eindeutig beschuldigt, Porträtstatuen aufstellen zu lassen, um die göttliche
Verehrung der eigenen Person zu erlangen35; eine Selbstvergöttlichung
wird den Templern jedoch in keiner Weise vorgeworfen. Auch das Verfahren gegen Bischof Guichard leistet keinen substantiellen Beitrag,
denn den Templern wurde keine Hexerei vorgeworfen. Eine primäre
Derivation gerade der Hauptanklagepunkte36 Kreuzschändung, Verleugnung Christi, unsittliche Küsse, Götzendienst und homosexuelle
Praktiken aus diesen Quellen erscheint mir nicht praktikabel.
Da der Ausgangspunkt der Anklage gegen die Templer in Laienkreisen zu suchen ist37, muß vielmehr auch im Erfahrungshorizont der
Laien nach der Provenienz des ersten Anklagenkomplexes gefragt werden. Und hier müssen auch die Assoziationen gesucht werden, die die
variierenden Aussagen der Zeugen bestimmten, und aus denen die folgenden detaillierteren Interrogatorien der Provinzialkommissionen
aufgestellt wurden.
b) Parallelen der Vorwürfe gegen die Templer und der Zeugenaussagen
mit antiislamischer Polemik
Fähig zu einer weiten Verbreitung in laikalen Kreisen waren naturgemäß volkssprachliche Texte. Unter diesen nehmen die Chansons de geste einen besonderen Platz ein. Daß sie sich großer Popularität erfreuten, zeigt allein die häufige Neuaufnahme bereits literarisch bearbeiteter
Themen, deren Ausbau und die Zusammenstellung ganzer ChansonZyklen vom l1-16. Jahrhundert.38 Die Volkstümlichkeit, aber auch das
35
Heinrich Finke, Aus den Tagen Bonifaz VIIL, Münster 1902, 254f.
Eine klare häresiologische Herleitung findet sich demgegenüber bei anderen Vorwürfen
wie der Praxis der Laienbeichte und der Leugnung der Sakramente, sowie einiger Detaillie
rungen der Grundvorwürfe, die ab dem Interrogatorium der Provinzialkommission auf
tauchen. Gerade diese »theologischen« Anklagepunkte werden kaum verfolgt, bzw. erhal
ten kein Geständis im Sinne der Anklage.
37
Hingewiesen sei auf die Rolle des berühmten Denunzianten Esquieu de Floyran; Finke
(wie Anm. 12), Bd. II, 45 ediert Floyrans Brief an den König von Aragon. Auch die gezielte
Verbreitung von entsprechenden Gerüchten durch Agenten des französischen Königs, auf
die ein Zeuge vor der Generalkommission hinweist, kann als sicher gelten; Michelet (wie
Anm. 11), Bd. 1,168.
38
Die Zyklen des Karlskreises: Geste du Roi (enthält u.a. die Pelerinage de Charlemagne
und das Chanson de Roland), Geste de Guillaume d'Orange (enthält u. a. Aimeri de Narbonne und Aliscans), Renaud de Montauban; außerhalb des Karlskreises existierten weitere
Erzählungen, so die Geste des Loberains; Raoul de Cambrai und schließlich der Cycle de la
Croisade (enthält u.a. das Chanson d'Antiochie, das Chanson des Cbetifs), der noch 1356
neugefaßt und mit Bereicherungen versehen wurde. Die Ausstrahlung dieser Literatur
reichte über Frankreich hinaus. Im 12. und 15. Jh. wurde in Deutschland das Chanson de
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hohe Ansehen der Chansons beweist die Übernahme bestimmter Themen in andere literarische Gattungen. So wurde in der um 1300 in provengalischer Sprache fertiggestellen Vida de Sant Honorat^ das Leben
des Heiligen aus dem 5. Jh. in das 8. Jh. verlegt und mit Teilen des Karlskreises verknüpft. In dieser Heiligenvita finden sich nun einige im Hinblick auf die Templeranklagen wie auf die Templeraussagen sehr interessante Darstellungen antiislamischer Polemik.40 Hier heißen die von den
Nichtchristen41 verehrten Götter Bafum e Travagan42, Mahom e Tergvanant43. Für den Verfasser der Vita ist Islam, Heidentum und Häresie
eines. Als die heregia vorgestellt werden soll, in der der spätere Heilige
aufwächst, ist zunächst von Ley de Payania = Heidentum die Rede, die
Götter Apollo, Jupiter und Ischtar werden genannt, dann hinzugefügt e
Mauhom lur Messaje = und Mohammed ihr Abgesandter.44 Der Heilige
warnt seinen Bruder Non cresa Bafumet ni la sia heregia = glaube nicht
an Bafumet und seine Häresie.45 Daß »Baphumet » Mohammed meint,
ist deutlich, da von Bafumet de Mecha = aus Mekka die Rede ist.46 Ein
Einzelfall? Keineswegs.
Daß die Sarazenen »Baphomet« verehrten, behauptete bereits der
Kreuzfahrer Anselm de Ribaumont in seinem Brief, den er 1098 aus Antiochia schrieb.47 Raimond d'Aigulhers nannte in seiner Historia Francorum, die 1096 bis 1100 geführt wurde, die Moscheen bafumarias48.
Auch in der Dichtung Simon de Puille, die vor 1235 entstand49, heißt
einer der sarazenischen Götzen Bafumetz50. »Baphomet« ist also nichts
weiter als der okzitanische Name für den Propheten Mohammed, bzw.
Roland und Aliscamps übersetzt; in den Niederlanden im 12. Jh. zum Beispiel Les Loherains; auch ins Schwedische und Dänische wurden die Karlslegenden im 13. Jh. übersetzt.
Weit verbreitet waren die Chansons auch in Italien; Charles-Marc des Granges, Histoire
illustree de la Litterature Francais, Paris 1930, 32, 53.
39
Raimon Feraud, La vida de Sant Honorat, ed. Antoine-Leandre Sardou, Nizza 1874,
Neuauflage Genf 1974.
40
Barber wies auf die Zuschreibungen von Vorstellungen einer moslemischen Götzenver
ehrung hin, ohne dies aber weiter auszuführen, Barber (wie Anm. 29), 50. Deutlicher jetzt
Hergemöller (wie Anm. 34), 360 u. 382f.
41
Historisch war es das spätantike Heidentum, in dem Honorat aufwuchs.
42
Cap. I, Sardou (wie Anm. 39), 4.
43
Cap. II, ebenda, 6.
44
Cap. VII, ebenda, 18.
45
Cap. X, ebenda, 25.
46
Cap. XIII, ebenda, 28, und Cap. XXIII, ebenda, 48.
47
Recueil des Historiens des Croisades, Historiens occidentaux, (RHC), Bd. III, Paris
1866, 893.
48
Ebenda, 243.
49
Zur Frage der Abfassungszeit vgl. Simon de Puille, hg. von Denis J. Conlon, Frankfurt
- Berlin - New York 1987, 37.
50
Simon de Puille, Cap. LXIV, ed. Jeanne Baroin, Genf 1968, 153.
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für das den Moslems zugeschriebene, ihn darstellende Idol. Bezeichnenderweise erklärte ein Templer in seiner Aussage zur Verehrung des
Idols, man habe dieses Magometus genannt51 und ein anderer meinte,
die Anbetung des Idols in figuram haffometi sei mit Yalla erfolgt, einem
»Wort der Sarazenen«.52 Die Gleichsetzung von Islam mit Heidentum
und die damit möglich gewordene Zuschreibung von vorhandenen antiken Götterbildern ist sehr alt. Bereits der Anonymus von Piacenza berichtete im 6. Jh. von einem -wohl noch vorislamischen- Kult der Sarazenen um ein weißes Steinidol, das sich bei Neumond schwarz
färbe.53Andere Quellen stellten die Muslime als Abkömmlinge Kaiser
Neros dar.54 Fulcher von Chartres schrieb in seiner Historia Francorum,
die während des ersten Kreuzzuges begonnen und bis 1127 fertiggestellt
wurde, von einem Idol im Felsendom, ebenso der Fortsetzer der Historia per egrinor um. 55 Geschichtsschreibung und Chansons de geste beeinflußten sich wechselseitig. Die Historia Turpini des Codex Calixtinus,
eine um 1150 entstandene Erzählung über den Kampf Karls d. Großen
in Spanien gegen die Sarazenen, beschreibt, wie Karl d. Große ydola et
simulacra der Moslems zerstörte.56 Die Götzen Mahum e Appolin wurden in dem bereits 1066 bekannten Rolandslied genannt57, aber auch in
dem im 13. Jh. verfaßten Chanson Aiol58. Von Mahum et Tervagan ist
die Rede in den Ende des 12. Jh.s gedichteten Chanson des Chetifs59 und
Chanson d'Aye d'Avignon60. Im gesamten Cycle de la Croisade wurden
über 30 Götzennamen gezählt, darunter heidnische wie Apollo und Jupiter, aber auch Lucifer, Beelzebub und Antichrist.61 In letzteren Be51
Finke (wie Anm. 12), 343.
Finke (wie Anm. 12), 323.
53
Antonini Placentini Itinerarium, Cap. 38, 2, Corpus Christianorum Series latina
(CCSL), Bd. 175, Turnholt 1965, 148.
54
Eine franz. Handschrift macht Mohammed sogar zum Zeitgenossen des römischen Kai
sers Titus; William W. Comfort, The literary role of the saracens in the french epic, in: Publications of the modern language Association of America 55 (1940), 628f. Vgl. auchErnest
Langlois, Table des noms propres de toute nature contenus dans les chansons de geste imprimes, Paris 1904, 418 u. 488.
55
Historia Francorum, RHC, Historiens occidentaux Bd. III (wie Anm. 47), 357; Tudebodus imitatus et continuatus Historia peregrinorum; ebenda, 222.
56
Historia Turpini, Cap. IV, Faksimileausgabe, ed. Millän Bravo Lozano, Madrid 1993, f.
166.
57
La Chanson de Roland, Cap. XXXII, ed. Joseph Bedier, Alfortville 1974, 36. Zum Alter
s. Des Granges (wie Anm. 38), 36.
58
Aiol, St. 4066, 4079, ed. Jacques Normand, Gaston Raynaud, Paris 1877, 119.
59
Les Chetifs, St. 195, ed. Geoffrey M. Myers in: The old french Crusader Cycle, Bd. V,
Alabama 1981, 7.
60
Aye d'Avignon, Cap. LXVIII, St. 1772, ed. Samuel J. Borg, Genf 1967, 221.
61
Victor Chauvin, Bibliographie des ouvrages arabes ou relatifs aux Arabes, Liege 1909,
Bd. XI, 222 f.
52
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Das »Baphomet-Idol«
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Zeichnungen ist eine völlige Dämonisierung des Islam vollzogen, die
auch in nicht-literarischen Quellen auftaucht62. In diese Richtung zielt
auch das mit der Idolatrie in Bezug gesetzte Betreiben der Magie durch
die Muslime. Bereits in der Historia de Mahumete des Hildebert von
Tours, verfaßt zu Beginn des 12. Jh.s, heißt es über Mohammed, daß er
sich durch magicas fraudes Ansehen verschaffen wollte63, und in der
Historia Turpini werden die magischen Kräfte des Idols ausgemalt.64
Beschrieben wird das mohammedanische Götzenbild unterschiedlich.
Die Historia Turpini spricht von einem ymago de auricalco obtimo in effigie hominis operata superpedes suos erecta, fadem tenens meridiem65,
Das Chanson d'Antiochie erzählt Ende des 12. Jh.s von der aus Gold
und Silber gefertigten Statue des Mohammed-Idols.66 Auf eine Weise,
die der klerikalen häresiologischen Tradition von Vox in Rama nahesteht, wird im Aiol die Konversion zur Idolatrie beschrieben: lipaien U
amenent un auferant grenu: si le baise en la bouche, que ne se targaplus;
et crache contremont el despit de Jesu , et puis me baiseras en ml le treu
del cul; ehe ert senefianche qu'a moi t'eres rendus, s'aras Dieu renoie et la
soie vertu - zuerst erfolgt ein Kuß auf das Maul des Pferde(idols?), dann
ein Ausspucken in Verachtung Jesu, und schließlich ein Kuß auf das
Hinterteil des Heiden als Zeichen der Verleugnung Gottes und der Ergebung in die Idolatrie.67
Auch die lateinische Heiligenlegende des Bischofs Thiemo von Salzburg, zu Beginn des 12. Jh.s verfaßt, griff den Topos der Götzenverehrung im Islam auf. In einer Form der Passio wird berichtet, wie der Heilige auf dem Kreuzzug gefangengenommen wird und ein Götzenbild
restaurieren soll. Dieses wird beschrieben als monstrum diaboli (...) nefandissimum idolum, Macbmit nominatum.68 In einer anderen Fassung,
die Abt Heinrich von Breitenau zugeschrieben wird, ist ein vierfüßiges
sarazenisches Idol erwähnt.69 Die Gleichsetzung von Islam mit Häresie
hat ebenso eine lange Tradition. Sie entstammt Legenden über das Leben Mohammeds. In der Historia des Hildebert von Tours wird Mo62
So setzt Papst Innozenz III. in seinem Kreuzzugsaufruf 1213 Mohammed mit dem Tier
der Apokalypse gleich; PL Bd. 216, Paris 1891, 817-822.
63
Hildebert Turonensis, Historia de Mahumete, St. 1346, PL Bd. 171, Paris 1893,1343ff.
64
Historia Turpini, Cap. IV (wie Anm. 56), f. 166-166v: Tradunt sarraceni quod ydolum
istud mahummet que ipsi colunt (...) arte magica in ea sigittavit: que etiam tanta fortitudine
illud ydolum obtinent, quod annulo umquam frangi nequivit. Cum enim aliquis Christia
nus ad illud appropinquat statim periclitatur; cum aliquis sarracenus causa adorandi vel deprecandi mahummet accedit, illi incolumis recedit.
65
66
67
68
69
Ebenda.
La Chanson d'Antioche, Cap. CCXXII, ed. Suzanne Duparc-Quioc, Paris 1976, 271.
Aiol, St. 9640-9647, Normand (wie Anm. 58), 282.
PL Bd. 148, Paris 1853, 895-904.
RHC, Historiens occidentaux Bd. V, Paris 1895, 203 f.
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Das »Baphomet-Idol«
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Die Parallelen zwischen diesen teils historischen teils legendären Vorwürfen gegen die Muslime und den Anklagen gegen die Templer sind
nicht zu übersehen. Ich halte es daher aufgrund der Verbreitung der
Chansons de geste wie auch älterer Kreuzzugsberichte und aufgrund
von Augenzeugenkenntnis der Ereignisse in Palästina (zum Zeitpunkt
der Prozeßinitiierung 1307 lag die Preisgabe des letzten christlichen
Stützpunktes im Heiligen Land 16 Jahre zurück) für sehr warscheinlich,
daß die Hauptanklagepunkte gegen den Orden hauptsächlich aus der
antiislamischen Polemik übernommen wurden. Hier rindet sich das Anklagenbündel: Erzwungene Verleugnung Christi, Kreuzverunehrung
durch Bespucken (und ggf. andere Arten der Schmähung), Anbetung eines Idols und Betreiben der Homosexualität. Einen Sonderplatz nimmt
der Vorwurf der unsittlichen Küsse ein, dem offenbar die gleichen
volkstümlichen Vorstellungen als Grundlage dienten, die sowohl in Vox
in Rama und ihren inhaltlichen Vorbildern, als auch im Chanson d'Aiol
verarbeitet wurden. Zentralgehalt dieser Vorstellungen ist wohl eine mit
diabolischen Bezügen versehene Analogiebildung zu dem in der liturgischen wie laikalen Praxis geübten Mundkuß, die unter Umständen aus
Traditionen von Karnevalsriten stammt.78 Einen derb-komischen
Aspekt dieses Volksglaubens überliefert ein in der zweiten Hälfte des
13. Jh.s verfaßtes Gedicht von Rutebeuf.79 Vereinzelt gibt es auch ikonographische Zeugnisse einer Offrande anale als Zeichen des Bündnisses mit dämonischen Mächten, die Blütezeit derartiger Darstellungen
liegt jedoch im 15.7 16. Jh.80
Nicht nur die Anklagen weisen Parallelen zu antiislamischer Polemik
auf. Befragt nach Praktiken, die nicht stattfanden, und Dingen, die nicht
existierten, griffen auch die Templer im Verhör auf die ihnen geläufigen
Chansons de geste, die Kreuzzugspropaganda und Heiligenlegenden81
zurück. Das zeigt die Bezeichnung von Christus als falsus prophetus
und dieVerwendung des Namens Baphomet für das angebliche Idol einschließlich dessen Beschreibung. So erklärte der Zeuge J. Cassanhas de
78
Eine wesentliche Aufgabe der Karnevalsriten war transmuer le sacre en farce, Franc.ois
Caradec, La farce et le sacre, Tournai 1977, 19. Ein zweifelsfreier Schluß läßt sich hier je
doch nicht ziehen, da das Alter entsprechender karnevalistischer Bräuche kaum zu ermit
teln ist.
79
Das Fabelgedicht tituliert Le pet au vilain, Claude Gaignebert/Jean-Dominique Lajoux, Art profane et religion populaire au moyen age, Paris 1985, 218.
80
Ein frühes Beispiel findet sich auf einem Schlußstein der Kathedrale St. Pierre von
Troyes, 12. Jh.; spätere Darstellung z.B. am Chorgestühl der Kathedrale St. Pierre von
Saint-Claude, 15. Jh., Lajoux (wie Anm. 78), 216f.
81
Es ist anzunehmen, daß die südfranzösischen Ordensbrüder die Vida de Sant Honorat
kannten; eine solche volkssprachhche Vita eignete sich gut zur Verwendung in der Tischle
sung für größtenteils lateinunkundige Laien.
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Anke Krüger
Montreal, verhört 1307 in Carcassonne: (.. .)preceptor (...) recepit quoddam ydolum de auricalco in figura bominis, indutum quasi dalmaticam
(...)82, wie auch die Historia Turpini von einem ymago de auricalco obtimo in effigie bominis operata spricht83. Der Zeuge Hugues de Pairaud
beschrieb 1307 vor der Inquisition ein vierfüßiges Idol84, wie es die
zweite Fassung der Vita Tbiemonis darstellt.85
c) Ikonographische Assoziationsmöglichkeiten der Zeugen
Was das Idol betrifft, boten neben den Chansons in erster Linie Reliquienschreine weitere Ausgestaltungsmöglichkeiten der Aussagen. Die
bekannte Form von Hauptreliquiaren schlägt sich wohl in der Benennung des Idols als caput nieder. Assoziationen ermöglichten auch die
zum Repertoire romanischer Kunst gehörigen Monster und Fabelwesen, wie sie in zahlreichen Kirchen unter den Konsolen von Heiligenfiguren oder an Kapitellen zu finden sind. Auch der zweigesichtige antike
Janus war den mittelalterlichen Menschen als Monatssymbol durchaus
geläufig. Vom Hl. Augustinus überliefert86 fand er sich am Portal der
Kathedralen von Chartres sowie von Strasbourg und Amiens, der Pariser St. Denis-Basilika und auch in den Miniaturen zahlreicher Handschriften. 87 Mit einem dreifachen Gesicht wurde in Anlehnung an den
Januskopf die Zeit dargestellt88. Nach antikem Vorbild gestaltet und in
ganz Europa verbreitet waren sogenannte Gryllen, die ein drei- oder
viergesichtiges Wesen in Kleeblattform89 oder mit nebeneinandergesetzten Köpfen90 zeigen. Dreieinigkeitsdarstellungen in dieser Form
sind verhältnismäßig selten.91 In Analogie zur göttlichen Dreieinigkeit
gab es auch den Typus der teuflischen Trinität, die ebenfalls mit drei
82
S. Anm. 23.
S. Anm. 64.
84
S.Anm.26.
85 S. Anm. 69.
86
Aurelius Augustinus, De civ. Dei VII, 4, CCSL Bd. 47, Turnholt 1955, 189. Vinzenz
von Beauvais deutet den Januskopf als Symbol für den Ein-und Ausgang des Jahres, Speculum naturale XV, 80, Nachdruck 1624, Sp. 1141.
87
Ferdinand Piper, Mythologie der christlichen Kunst, 1851, Neudruck 1972, Bd. I, Abt.
2, 380ff.
88
Ebenda, 394 f.
89
So auf einem Fresko einer Kirche in Kärnten; Jurgis Baltrusaitis, Das phantastische
Mittelalter, Frankfurt - Berlin - Wien 1985, 49.
90
Das Siegel König Theobalds von Navarra von 1245 zeigt ein in drei Gesichter gespalte
nes Haupt, auf dem ein viertes liegt; Baltrusaitis (wie Anm. 89).
91
Eine befindet sich in der 1226 entstandenen Bible moralisee. Auch in der Bauplastik ist
dieser Typus noch anzutreffen, Gerd Heinz-Mohr, Lexikon der Symbole, Freiburg - Ba
sel - Wien 1991, 80f. Die Anfang des 16. Jh.s entstandenen Gewölbefresken der Kathedrale
von Albi zieren ebenso eine dreigesichtige Trinität.
83
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Köpfen abgebildet wurde. Beispiele zeigen die Siegel des Erzbischofs
Roger von York von 1154 und des Grafen Henry von Lancaster, ebenfalls aus dem 12. Jh.92, und das Tympanon der Kirche von Etampes93.
Mit in Betracht gezogen werden muß auch die praktische Ausgestaltung
götzendienerischer Themen in den Mysterienspielen.94 Diese Bestandteile des ikonographischen Programms waren den Templern sicherlich
geläufig. Daß sie hierauf bei den Verhören zurückgriffen, läßt vermuten,
daß der Sinngehalt entsprechender Abbildungen von ihnen - und wohl
auch von den meisten Zeitgenossen - mit Mißtrauen betrachtet wurde.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die gegen die Templer erhobenen Vorwürfe keine Häresieanklage im eigentlichen Sinne darstellen.
Erst nach der Eröffnung eines kirchlichen Verfahrens (1308) bemühten
sich die Untersuchungskommissionen, mittels entsprechender Interrogatorien eine dogmatische Häresie herauszukristallisieren, indem Anklagepunkte wie Laienabsolution, Leugnung der Sakramente und detaillierte Fragen nach Substanz, Dauer und Verbreitung aller vorgeworfenen Irrtümer in den Fragenkatalog aufgenommen wurden.95 Auch als
Vorläufer der Hexenprozesse kann der Templerprozess aufgrund seiner
Schuldzuweisungen nicht betrachtet werden. Was man den Ordensbrüdern vorwarf, war vielmehr, daß sie sind, wofür man die Muslime im allgemeinen hielt.96 Eine Häresieanklage ist dies nur insofern, als auch der
Islam als eine Häresie angesehen wurde.
Die ausschmückenden Schilderungen einiger Zeugen orientieren sich
an denselben Quellen antiislamischer Polemik und an verschiedenen
ikonographischen Vorbildern und stellen somit keine verdächtigen
Zeugnisse dar. Im Grunde wurde der Orden damit das Opfer der
Kreuzzugspolemik, die einst zu seinem Entstehen geführt hatte.
92
Baltrusaitis (wie Anm. 89), 53.
Annales archeologiques I (1844), 275.
94
Interessant wäre z.B. die Art der Darstellung des Teufels im Drame d'Adam (12. Jh.)
oder des Mohammedaneridols Tervagant im Jeu de Saint Nicolas (13. Jh.). Mangels entspre
chender Quellen muß es vorerst auch hier bei einer Spekulation bleiben.
95
Vgl. Anm. 4.
96
Dabei war — zumindest in klerikalen Kreisen — zur fraglichen Zeit längst bekannt, daß
die Muslime keine Götzen anbeten. Das beweist die Kritik Ottos von Freising an der Thiemo-Vita, RHC, Historiens occidentaux, Bd. V (wie Anm. 69), 215. Auch Fidenzo von Padua sagt eindeutig: Sarraceni multum abhorrent ymagines. Gerade deshalb verunehrten sie
die Kreuze der Christen; Cap XV, Golubovich (wie Anm. 76), 21.
93
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