Jahresbericht 2015

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Jahresbericht 2015
 Jahresbericht 2015 Der 37. Berliner CSD Das war der CSD Berlin 2015 – alle Hand in Hand und politisch wie noch nie Rund 750.000 Menschen haben am 27. Juni 2015 beim 37. Berliner CSD für LSBTI*­Menschenrechte demonstriert. Bereits bei der Eröffnung am Ku’damm versprach die Energie der Anwesenden, dass dies ein ganz besonderer CSD werden würde. Aufteilung des Zuges als gelungenes Experiment Deutlich spürbar war nicht nur ein neues Wir­Gefühl, ein gemeinsames Aufatmen nach den Community­internen Reibereien des vergangenen Jahres, sondern auch ein neuer Fokus: Der Plan, durch den beruhigten ersten Block eine breiteres Spektrum an Demonstrierenden anzuziehen, ging voll auf. Niemals zuvor hatte es eine solch große Beteiligung von Teilnehmer*innen zu Fuß gegeben, die in festen Gruppen oder lockerem Verbund demonstrierten. Allein hinter dem ersten Wagen zog zeitweise eine Menschentraube von mehreren Hundert Metern Länge durch die Straßen. Die Aufteilung des Zuges in “leise” und “laut” darf als gelungenes Experiment betrachtet werden, das sicher im kommenden Jahr so oder ähnlich fortgesetzt werden sollte. Führungswagen mit echtem Demo­Wagen­Feeling Auch der Führungswagen des Berliner CSD e.V. hatte dieses Jahr eine deutlich andere Gestalt: Neben mitreißenden Live­Performances von Florian Ludewig, Wilhelmine Schneider, Lili Sommerfeld, Lucy van Org, Magnus von Keil, Keye Katcher und Jutta Haasmann gab es hier die umfangreichen CSD­Forderungen und etliche politische Reden anderer Aktivist*innen zu hören, u.a. von Enough is Enough, dem LSVD Berlin­Brandenburg, der Berliner Aids­Hilfe, der Initiative “Ehe für Alle”, TransInterQueer und der Lesbenberatung/LesMigraS. Danke an alle, die mit ihrem Engagement zum echten Demo­Wagen­Feeling beigetragen haben! An der Abschlusskundgebung im Bereich des Brandenburger Tores nahmen etwa 150.000­200.000 Menschen teil – ebenfalls ein Rekord. Die meisten trotzten auch einem kurzen, sintflutartigen Regenguss und feierten hinterher unter einem realen, extragroßen Regenbogen am Himmel weiter. Live­Acts und DJs verzichten auf Gage Neben politischen Reden gab es beim Finale auch Live­Acts und viele DJs, die zugunsten des CSD e.V. allesamt auf ihre Gage verzichtet haben. Wir bedanken uns dafür bei: Laing, Tubbe, Rabajah, Caró, Keye Katcher, Estelle van der Rhône & Donato Plögert, One Heart, Marla Blumenblatt, Jayrôme C. Robinet, Zhala, Ipek feat. Mz Sunday Luv, Thomas Schumacher, dem Moderationsteam Eybe Ahlers und Karen Scholz, der Bürgermeisterin Dilek Kolat, den SoSA­Preisträger*innen Laura Méritt, Klaus Wowereit, Ebru Kırancı, Hospizdienst Tauwerk e.V. und Jugendnetzwerk Lambda Berlin­Brandenburg e.V., den Laudator*innen Gabi Decker, Ute Hiller, Holger Wicht, Selmin Çalışkan, Stephan Cooper und Alfonso Pantisano sowie den DJs der Café­Fatal­Bühne, der pure­fm­Bühne und der Electric Avenue. Ausdauer und tatkräftiges Zupacken Selbstverständlich steckt in einer so großen Veranstaltung auch jede Menge Arbeit: Für die Planung und Durchführung des Events bedanken wir uns bei den unermüdlichen Betreuer*innen des Familien­ und Sport­Bereichs, dem gesamten CSD­Team sowie den vielen professionellen und ehrenamtlichen 1/13 Helfer*innen, ohne deren Ausdauer und tatkräftiges Zupacken diese bewegende Veranstaltung nicht möglich gewesen wäre. Finanzierung durch Sponsor*innen und Spender*innen Last but not least bedanken wir uns bei unseren Sponsor*innen und den vielen Spender*innen, die die Finanzierung dieses CSD ermöglicht haben. Zum 27. Juni haben wir bereits über 10.000 Euro an Spenden eingenommen – alle Spender*innen haben mitgeholfen, diesen tollen, vielfältigen, politischen, gemeinsamen CSD 2015 auf die Beine zu stellen. CSD Demo 2015 – Wir sind alle anders. Wir sind alle gleich. Die Kult­Demo­Parade zum Christopher Street Day startete um 12 Uhr am Ku’damm, Ecke Joachimsthaler Straße, und erreichte gegen 16 Uhr den Final­Bereich am Brandenburger Tor. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller gab am 27. Juni 2015 den offiziellen Startschuss für die 37. Berliner CSD­Demo. Flankiert wurde er dabei von Staatsminister Michael Roth und diversen Botschafter*innen, u.a. von den Niederlanden, den USA, Frankreich, Slowenien, Israel und Mexiko, sowie von der Miss CSD 2015. Nach der Eröffnungszeremonie setzte sich der Demonstrationszug gegen 12:30 Uhr in Bewegung. Die Route führte über Wittenbergplatz, Nollendorfplatz, Lützowplatz und Siegessäule zum Brandenburger Tor, wo ab 16:30 Uhr das Programm auf der Hauptbühne startete. Luftballon­Aktion an der Urania An der Urania veranstalteten die Bezirksbürgermeister*innen der drei Bezirke, durch die der CSD verlief, gegen 13:30 Uhr zum ersten Mal eine gemeinsame Aktion: Angelika Schöttler (Tempelhof­Schöneberg), Dr. Christian Hanke (Mitte) und Reinhard Naumann (Charlottenburg­Wilmersdorf) ließen 1.000 bunte Luftballons als Zeichen der Vielfalt in den Berliner Himmel steigen. CSD 2015 – Politik oder Party? Wieso “oder”? Politik darf Spaß machen, Party kann politisch relevant sein. Der CSD Berlin ist traditionell eine Kombi aus klassischer Demo und fröhlicher Parade. Dadurch werden nicht nur die politischen Forderungen, sondern auch die Vielfalt, die Lebensfreude und das Selbstbewusstsein der LSBTI*­Communitys gezeigt. Seit einigen Jahren stärken wir gezielt die politischen Inhalte: Trucks müssen ihre Bannerflächen zu mindestens 70% für politische Botschaften nutzen; wir bieten Plakatmotive zum Download an; an der Demo­Spitze wird ein klassisches Banner getragen; kleinere Community­Gruppen werden bei der Suche nach Kooperationspartner*innen unterstützt. Nimmt man kleine Gruppen zwischen den großen Trucks denn überhaupt wahr? Zur besseren Wahrnehmung der Vielfalt haben wir 2015 eine Neustrukturierung vorgenommen: Den vorderen Teil der Demo haben wir für leisere Teilnehmende reserviert, wie Rikschas, Rolligruppen, Fußgruppen, Familien, Fahrzeuge mit kleinen Anlagen. Kleine Gruppen und Vereinen waren in diesem Block deutlich sichtbarer und hörbarer, statt wie in den Vorjahren zwischen den großen Paradewagen zu verschwinden. Braucht es im Jahr 2015 überhaupt noch einen CSD? 2/13 So lange eine Regierungspartei noch immer unbeweglich zwischen uns und der vollständigen rechtlichen Gleichstellung steht und es auf die Schelte vom Bundesverfassungsgericht ankommen lässt, brauchen wir einen kämpferischen CSD. So lange Prominente in Fernseh­Talkshows reaktionäre Weltbilder predigen und Menschen GEGEN sexuelle Selbstbestimmung auf die Straße gehen, brauchen wir einen diskussionsfreudigen CSD. So lange Anderssein als Bedrohung empfunden wird, brauchen wir einen liebevollen CSD! CSD ist das Aufbegehren Hunderttausender für gleiche Rechte, für Anerkennung und für einen selbstverständlichen Raum in der Gesellschaft. Zeigen wir unsere Vielfalt und unsere Forderungen, verbreiten wir unsere Lebensfreude und unsere Liebe! Das war nicht nur 2015 so, sondern gilt genau so auch im Hinblick auf 2016. CSD Demo 2015 – die Teilnehmer*innen Teilnehmer*innen/Gruppen mit motorisierten Fahrzeugen ● Berliner CSD e.V. ● Miss CSD 2015 ● Berliner Aids­Hilfe e.V. ● Die Linke – Landesverband Berlin ● Botschaft der USA ● Annemieke van der Neuk & Beatrice van Kampen ● Pandoras­Espresso­Oldtimer ● LSVD Berlin­Brandenburg e.V. ● Quarteera e.V. ● CROSSundQUEER Verein "different people e.V. Chemnitz" ● VelsPol Berlin­Brandenburg e.V. ● pure Medien Network pMN GmbH / pure.fm – Berlins Dance Radio ● Mann­O­Meter e.V. & Magic Mike XXL ● Bündnis 90/Die Grünen Berlin – LAG QueerGrün ● LSU Berlin ● Botschaft der Republik Slowenien ● Hirschfeld­Eddy­Stiftung & Rainbow­Group des Auswärtigen Amtes & BleuBlancRose ● Piratenpartei Deutschland Berlin ● Deutsche Aids­Hilfe e.V. – ICH WEISS WAS ICH TU ● BerlinaFürTechno ● "Dosen"­Brummi by Sandro & Micha ● SAP SE ● Lesben und Schwule in der BVG ● Berlin Song Contest ● Jugend gegen AIDS e.V. ● blu media network & gayParship ● blu media network & Daimler ● District Pride by GMF, Melt!, blu ● queer:seite! (Axel Springer SE) ● Junge Liberale Berlin ● Katte e.V. & gaybrandenburg.de ● dbPride (Deutsche Bank AG) ● Botschaft der Niederlande ● LSBT­Arbeitskreis im DGB – Bezirk Berlin­Brandenburg 3/13 ●
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Vivantes Netzwerk für Gesundheit Schwulenberatung Berlin gGmbH Gemeinsam mehr e.V. & Radio QueerLive & Puffbar Siemens LGBTI*­Netzwerk railbow netzwerk Botschaft von Großbritannien & Botschaft von Kanada Insomnia QueerSozis – SPD Landesverband Berlin Förderverein Hauptstadt CSD e.V. & prideFESTIVAL & Brasileuro Förderverein Hauptstadt CSD e.V. & Young Boy Angemeldete Fußgruppen (Vorabanmeldung freiwillig) ● Make Love Not War ● BRILLIANT IN MITTE ● Berlin Bruisers e.V. ● LIFAD – Liebe ist für alle da ● Rammstein fans against homo­ & transphobia ● Stefan Böhme – King of Passion ● "CSD mit Herz" ­die SIEGESSÄULE­Fußgruppe ● ENOUGH is ENOUGH! OPEN YOUR MOUTH ● Verein AktivistA und Freund_innen ● Mann­O­Meter e.V. ● BerlinBear ● Young­Action ● Musik liegt in der Luft ● Fuck for Forest ● Aktion Sühnezeichen Friedensdienste CSD Finale 2015 – Pride Village & Abschlusskundgebung Pride Village am Samstag, 27. Juni 2014, 14 bis 24 Uhr am Brandenburger Tor (Straße des 17. Juni bis jenseits der Yitzhak­Rabin­Straße) Während die Demo noch in vollem Gange war, öffnete bereits ab 14 Uhr das Pride Village auf der Straße des 17. Juni, um die ersten Demoteilnehmer*innen zur Abschlusskundgebung zu empfangen. Hier gab es viele Info­ und Gastro­Stände, Bühnen und Attraktionen wie etwa Bungee Jumping oder einen Sport­ und Familien­Bereich. Auf der Hauptbühne ging es wie gewohnt um 16:30 Uhr los; um 17:30 Uhr erfolgte die offizielle Eröffnung des Final­Programms durch Integrationssenatorin Dilek Kolat. Moderatorin Eybe Ahlers führte die Hunderttausenden Besucher*innen wieder souverän durch den Abend ­ dieses Jahr verstärkt durch Karen Scholz,. Auf dem Programm stand die bewährte Mischung aus Unterhaltung und Politik. Die Tanz­ und Feierfreudigen erwartete eine große musikalische Vielfalt von Folk bis Poptronics, von 60s bis Ethno­House. Vorständin Angela Schmerfeld freute sich außerdem “über die starke Präsenz von Lesben und anderen Weiblichkeiten auf allen Bühnen”. Den Auftakt machten Rabajah, Caró, Keye Katcher, Estelle van der Rhône & Donato Plögert, One Heart und Marla Blumenblatt. Dazwischen gab es kurze Redebeiträge sowie die Verleihung der ​
Soul of Stonewall Awards (SoSA):​
Preisträger*innen 2015 4/13 waren Laura Méritt, Klaus Wowereit, Ebru Kırancı und der Hospizdienst Tauwerk e.V.; auch ein Publikumspreis wurde in diesem Rahmen an einen Community­Verein vergeben: Preisträger war das Jugendnetzwerk Lambda Berlin­Brandenburg e.V. Höhepunkt am Brandenburger Tor war um 19:30 Uhr der Auftritt von Laing (“Morgens immer müde”, “Zeig deine Muskeln”), die mit ihrer unverkennbaren Mischung aus Minimal­Elektro, Pop und R’n’B wieder ordentlich Power in die demogeplagten Füße trieben. Auch danach war auf der Straße des 17. Juni an Ausruhen nicht zu denken: Um 20:20 Uhr nahm die Party mit den Synthie­Popper*innen von Tubbe (“5 Minute Love”, “Liebe.Fertig”) noch mal ordentlich Fahrt auf, bevor bei den DJ­Acts Zhala, Ipek und Thomas Schumacher dann endgültig niemand mehr stillstand. Vorständin Monique King: “Wir sind unendlich dankbar, dass sämtliche Acts an diesem Tag zur Unterstützung des Vereins auf ihre Gage verzichten und damit eine so tolle vielfältige Abschlusskundgebung überhaupt möglich machen. Nicht zu vergessen: ein riesiges Danke an Gastspielreisen Rodenberg​
, ​
Audiolith Booking, Melt! Booking​
und ​
pure fm ​
für ihre fabelhafte Unterstützung bei der Künstler*innen­Vermittlung.” Bunt ging es auch auf den anderen Bühnen zu: Von der Café­Fatal­Bühne schallte der berühmt­berüchtigte 80er90erRockPopSchlagerDiscoDirtyDancingSpaß­Partymix, aufgelegt von Mario N., derMicha und Monique. Für Fans der elektronischen Musik war der pure­fm­Truck mit Sets von M.A.N.D.Y., Simon von andhim und vielen anderen die richtige Adresse. 5/13 Die Soul of Stonewall Awards 2015 LOKAL: Hospizdienst TAUWERK e.V. Gegründet und geleitet von einem Franziskanerorden, arbeiten die Schwestern und Ehrenamtlichen von TAUWERK seit mehr als 17 Jahren in einem wenig beachteten, aber existenziellen Bereich der Community: Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen zu begleiten, die an AIDS erkrankt im Sterben liegen. Durch die Offenheit und Fürsorge der Schwestern finden die Betroffenen, die in ihrer gesunden Lebenszeit der Kirche oft kritisch gegenüberstanden, in ihren schwersten Stunden Unterstützung durch einen beispielhaft weltoffenen Arm dieser Institution. Laudatio: Holger Wicht (Pressesprecher Deutsche AIDS­Hilfe e.V.) NATIONAL: Klaus Wowereit Sein Satz "Ich bin schwul und das ist auch gut so" ist das wohl nachhaltigste Coming­out des neuen Jahrtausends und hat die politische Landschaft der Republik entscheidend geprägt. Seit jenen Wochen im Jahr 2001 ist die sexuelle Orientierung kein Thema mehr, wenn es um hohe politische Ämter geht. Klaus Wowereit war damit Vorreiter für Ole von Beust, Guido Westerwelle und nicht zuletzt für Barbara Hendriks oder Jens Spahn. In der Regierungszeit Wowereits entwickelte sich Berlin zum liberalen und weltoffenen Hotspot, der maßgeblich zum positiven Bild Deutschlands in der Welt beitrug. Laudatio: Gabi Decker (Kabarettistin) WIDERSTAND: Ebru Kırancı Ebru Kırancı wurde in den letzten Jahren zur Gallionsfigur der türkischen Trans*­Bewegung: Die Transfrau gründete nicht nur den Trans*Pride in Istanbul, sondern ist mit ihrer Organisation LGBTT Istanbul auch Gründerin des ersten Trans*Gästehauses. Hier haben Trans*Menschen und Sexworker*innen z.B. die Möglichkeit, nach einem Überfall und kurzzeitiger Arbeitsunfähigkeit ein Heim zu finden. Kırancı nimmt auch homosexuelle Männer in dem Haus auf, um der Diskriminierung innerhalb der Szene entgegenzuwirken. Sie betreibt ein Überfall­ und Hilfetelefon unter schwersten Voraussetzungen und scheut nicht die Gefahr, in die sie ihr öffentliches Engagement immer wieder bringt. Der SoSA in der Kategorie Widerstand wird in Kooperation mit Queeramnesty Berlin, einer Gruppe von Amnesty International, vergeben. Die persönliche Übergabe des Preises wird durch freundliche Unterstützung von MANEO ermöglicht. Laudatio: Selmin Çalışkan (Generalsekretärin Amnesty International Deutschland) und Stephan Cooper (Gruppensprecher Queeramnesty Berlin) LEBENSWERK: Dr. Laura Méritt Méritt ist SexAktivistin, Autorin, Lachforscherin und promovierte Kommunikationswissenschaftlerin. “Wissen macht sexy”: Laura Méritt engagiert sich seit den 80er Jahren als Vertreterin des sexpositiven Feminismus für einen freien Zugang aller zu sexuellen Informationen, insbesondere für die sexuelle 6/13 Bildung von Frauen, für alternative Pornografie, die emanzipative Betrachtung von Sexarbeit und die Gleichstellung von LSBTI*. Mit geballtem Wissen, bestechender Offenheit und ganz viel Humor sorgt die Initiatorin des PorYes­Awards in ihren Vorträgen und Workshops dafür, dass Frauen ihre Körper kennen und lieben lernen. “Viva la Vulva!” Laudatio: Ute Hiller (Vorständin Lesbenberatung e.V.) SONDERPREIS (Publikumspreis): Jugendnetzwerk Lambda Berlin­Brandenburg e.V. Bis zum 26. Juni konnte die Community bei Facebook abstimmen, wer im Rahmen des CSD Finales mit dem Publikumspreis ausgezeichnet werden sollte. Nominiert waren Szeneverbände, die in diesem Jahr Jubiläen feierten; neben Lambda waren dies Mann­O­Meter e.V., der Lesben­ und Schwulenverband in Deutschland e.V., das und die Berliner Aids­Hilfe e.V. Laudatio: Enough is Enough – Open your Mouth (Gewinner Publikumspreis 2014) 7/13 Die Forderungen 2015 Dies waren die Forderungen für den ​
Berliner Christopher Street Day 2015​
, die große Demonstration für LSBTI*­Menschenrechte. LSBTI* steht für ​
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ntersexuelle; das Sternchen [*] steht für Menschen, die sich durch ähnliche Aspekte von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden, die vorgenannten Kategorien jedoch ablehnen. 1. Ehe und Familie: Wir wollen keine Sonderrechte, sondern gleiche Rechte! Vor 14 Jahren wurde die Eingetragene Lebenspartnerschaft in Deutschland eingeführt. Viele Rechte wurden lesbischen und schwulen Paaren dabei vorenthalten und müssen zum Teil noch immer gerichtlich erstritten werden. Lesben und Schwule stehen jedoch genau wie Heterosexuelle in ihren Beziehungen füreinander ein; homosexuelle und transidente Eltern sorgen sehr gut für ihre Kinder. Die Politik der kleinen Schritte ist vorbei – alles andere als Gleichstellung ist und bleibt Diskriminierung! ● Für homosexuelle Bürgerinnen und Bürger darf real wie symbolisch kein minderes Recht gelten: Wir fordern die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule! ● In Berlin und überall in Deutschland wachsen immer mehr Kinder in Regenbogenfamilien auf: Wir fordern die gleichberechtigte Teilhabe dieser Familien in allen Lebensbereichen! ● Gleiche Rechte bei der Familienplanung: Schluss mit der Diskriminierung beim Zugang zur Reproduktionsmedizin! ● Gleiche Rechte bei der Elternschaft: Schluss mit der Diskriminierung bei der gemeinschaftlichen Adoption. ● Automatische Anerkennung der Elternschaft des nicht gebärenden Elternteils in eingetragenen Lebenspartnerschaften. ● Rechtliche Anerkennung von Regenbogenfamilien mit mehr als zwei Elternteilen. 2. Für eine Positive Welt ohne Diskriminierung und Ausgrenzung! Krankheiten dürfen weder in der Allgemeinbevölkerung noch innerhalb der Community zu Ausgrenzung und Diskriminierung führen. Das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe im kulturellen und sozialen Leben muss individuell leistbar sein können und ist nicht verhandelbar. Chronische Erkrankungen dürfen nicht zu Armut führen. ● Wir fordern die sofortige Löschung des stigmatisierenden “ANST”­Kennzeichens für “ansteckend” von HIV­Positiven sowie des “GKR”­Kennzeichens für “geisteskrank” aus polizeilichen Datenbanken. ● Wir fordern Gleichberechtigung und Akzeptanz von HIV­Positiven, Hepatitiden­Positiven sowie weiterer chronisch erkrankter Menschen in der Gesellschaft, insbesondere am Arbeitsplatz und im Gesundheitswesen; dazu fordern wir eine verstärkte Aufklärungs­ und Antidiskriminierungsarbeit gegen Stigmatisierungen. ● Wir fordern die anonyme Chipkarte und Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle! ● Wir fordern eine menschenwürdige Grundabsicherung jenseits der Armutsgrenze und einen an die individuelle Leistungsfähigkeit angepassten Arbeitsmarkt mit entsprechenden Hinzuverdienstmöglichkeiten. ● Angemessener Wohnraum im Herzen der Stadt für Menschen mit Behinderungen und chronisch Kranke muss bezahlbar bleiben: Kein Zwangsumzug aus dem sozialen Umfeld! ● Wir fordern, dass die unangemessene Praxis, in Bewerbungsverfahren oder auch während des laufenden Arbeitsverhältnisses einen HIV­Test zu verlangen oder auch nur anzubieten, rechtlich unterbunden wird. 8/13 3. Akzeptanz bilden! Nur durch die Förderung und ausreichende Finanzierung von Bildung sowie Aufklärung kann Akzeptanz gegenüber anderen Lebensentwürfen schon ab der Schule entstehen. Die umfassende Information aller Menschen unserer Gesellschaft ist zwingend notwendig, um einen Rollback zu verhindern und den Bestrebungen fundamentalistischer Kräfte entgegenzuwirken, andere Lebensentwürfe in Frage zu stellen. Wir fordern: ● Schulen und andere Bildungseinrichtungen müssen diskriminierungs­ und gewaltfreie Orte des Lernens sein! ● Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt sind Querschnittsthemen und müssen verbindlich in den Rahmenlehrplänen der Schulen verankert sein! ● Die “Initiative sexuelle Vielfalt” (ISV) muss ausgebaut, fortgeführt und für die Zukunft gesichert werden. 4. Vielfalt sichtbar machen, Vielfalt wertschätzen – auch innerhalb der Community! Sowohl in der Gesamtgesellschaft als auch in den LSBTI*­Communitys finden Diskriminierung und Ausgrenzung statt. Wir alle gehören vielen unterschiedlichen Gruppen gleichzeitig an und können gleichzeitig – auch mehrfach – in einigen Bereichen diskriminiert werden und in anderen privilegiert sein. Homophobie, Rassismus, Sexismus, Trans­, Inter­, Bi­ und Lesbenfeindlichkeit, Diskriminierungen aufgrund von Alter, Sero­Status, Behinderungen, Aussehen, sozialem Status oder aus anderen Gründen müssen gesamtgesellschaftlich wie subkulturell thematisiert und überwunden werden. ● Die Vielfalt von Lebensentwürfen ist nicht nur eine kulturelle Bereicherung, sondern auch Ausdruck der Grundwerte einer dynamischen demokratischen Gesellschaft. ● Auch innerhalb der Community ist Vielfalt ein Gewinn: Miteinander statt gegeneinander! ● Die Interessen von Identitäten jenseits des weißen, schwulen, gender­konformen Mannes müssen in der politischen Arbeit stärker berücksichtigt werden. ● In der medialen Darstellung von Homosexualität müssen lesbische und bisexuelle Frauen sowie LSBTI* of Color stärker in den Vordergrund rücken. ● Wir müssen gemeinsam aktiv gewaltfreie und diskriminierungsarme Räume schaffen. ● Trans*­Sein muss entpsychopathologisiert, das Transsexuellengesetz unter Einbeziehung von Trans*­Menschen überarbeitet werden. ● Geschlechtsnormierende Operationen an Intersexuellen vor deren Einwilligungsfähigkeit sind gesetzlich zu verbieten. 5. Keine Altersdiskriminierung! Unterschiedliche Altersgruppen in der LSBTI*­Community sehen sich unterschiedlichen Herausforderungen ausgesetzt. Die gemeinsame Aufgabe ist, voneinander zu lernen, füreinander einzustehen und dem Vergessen der Geschichte entgegenzuwirken. Wir fordern darüber hinaus eine gesetzliche und politische Basis, auf der es sich den Anforderungen jüngerer und älterer LSBTI* entsprechend gut leben lässt. ● Begegnungen zwischen Jung und Alt schaffen: Wir müssen den Austausch zwischen älteren und jungen LSBTI* verstärken, queere Medien und Publikationen für das Thema gewinnen und über Gewerkschaften und Parteien eine breite Öffentlichkeit finden. ● Die nach § 175 des Strafgesetzbuchs Verurteilten sind zu rehabilitieren und zu entschädigen. ● Jugendarbeitslosigkeit von LSBTI* bekämpfen: Wir fordern, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) publik zu machen und verstärkt einzusetzen sowie eine diskriminierungsfreie Öffnung des Arbeitsmarktes. ● Altersarmut insbesondere von LSBTI* bekämpfen: Auskömmliche Rente für alle! 9/13 6. Refugees welcome! Lesbische, schwule, bisexuelle, trans* und inter* Flüchtlinge sind oft in einer besonders prekären Lage und brauchen unsere Unterstützung. ● Es muss sicherer Wohnraum für lesbische, schwule, bisexuelle, trans* und inter* Flüchtlinge geschaffen werden. ● Die medizinische, psychologische und psychosoziale Versorgung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus ist dauerhaft sicherzustellen. ● Für Anhörungen vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge müssen kostenfreie Sprachmittler*innen zur Verfügung stehen, die in LSBTI*­Belangen geschult und sensibel sind. ● Alle Menschen, die mit Flüchtlingen arbeiten (in Flüchtlings­Wohnheimen, Behörden usw.), müssen in LSBTI*­Belangen sensibilisiert und geschult sein. ● Die Regelungen zu sogenannten “sicheren” Herkunftsländern müssen im Hinblick auf Sicherheit für LSBTI* und Frauen im Allgemeinen sowie im Hinblick auf eine notwendige medizinische Versorgung (z.B. von HIV­Positiven) überarbeitet werden. 10/13 Der Verein Mitgliedersituation: Der Berliner CSD e.V. hat derzeit (Stand 18.1.2016) 133 Mitglieder. Vom 1.1.2015 bis zum 18.1.2016 sind 16 Mitglieder eingetreten (eins davon in 2016). Im gleichen Zeitraum sind 15 Mitglieder ausgetreten. Vorstand: ●
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Monique King (gewählt auf 1 Jahr von der MV am 1.10. 2014) ●
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Lutz Ermster (gewählt auf 2 Jahre von der MV am 1.10. 2014, zurückgetreten am 8.1.2016) Angela Schmerfeld (gewählt auf 1 Jahr von der MV am 1.10. 2014) David Staeglich (gewählt auf 1 Jahr von der MV am 1.10. 2014) Vom aktuellen Vorstand zurückgetreten: Dr. Sissy Brucker, ehem. Kraus (gewählt auf 2 Jahre von der MV am 1.10. 2014, zurückgetreten am 4.7.2015) Team: Als Teammitglieder, die den CSD 2015 organisiert haben, waren insgesamt ca. 30 Personen aktiv. Sechs davon haben für einen Teil ihrer Tätigkeiten Honorare erhalten; der größte Teil der Arbeit wurde von allen Beteiligten ehrenamtlich geleistet. Am Tag des CSD haben außerdem rund 20 Volunteers mitgeholfen, den Event zu stemmen. Es gab keine fest angestellten Arbeitskräfte. 11/13 Finanzen CSD 2015: Mittelherkunft: ●
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rund 100.000 € durch Sponsoring ●
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rund 20.000 € für Verwaltung rund 9.000 € durch Mitgliedsbeiträge rund 15.000 € durch Spenden rund 90.000 € durch Standeinnahmen rund 30.000 € durch Wagenumlagen → insgesamt rund 244.000 € Mittelverwendung: rund 28.000 € für Honorare/Provisionen rund 1.000 € für Aufwendungen Künster*innen rund 105.000 € Aufwand Demo und Finale → insgesamt rund 154.000 € Überschuss: rund 90.000 € Schuldensituation: Stand 01.01.2015: rund 203.000 € in 2015 getilgt: rund 92.000 € Stand 31.12.2015: rund 111.000 € Der mittlerweile bekannte Schuldenstand zum 01.01.2015 liegt damit noch einmal erheblich über der Summe, die dem Verein am 12.3.2015 als Forderungen bekannt waren (in der damals bezifferten Gesamthöhe von 178.792,­ €, siehe Maßnahmen zur Sicherung des Berliner CSD e.V./Info zur außerordentlichen MV am 30.3.2015). Wir gehen davon aus, dass mittlerweile auch die letzten Altlasten zutage gefördert werden konnten. Der Überschuss von ca. 90.000 € konnte nur durch die strikte Implementierung vieler der o.g. Maßnahmen erreicht werden: durch eine strenge Sparpolitik bei der Umsetzung des CSD (Streichung einer Bühne, Verzicht der Künstler*innen auf Gagen, Streichung von kostenintensiven Printprodukten oder Sonderveranstaltungen etc.) und vor allem durch ein außerordentliches Maß an ehrenamtlicher Arbeit, die die gestrichenen 1,5 festen Personalstellen ersetzt hat und in dieser Form nur ein Ausnahmephänomen sein kann. 12/13 Ausblick 2016 “Danke für nix” Mit einem kämpferischen Motto für den CSD 2016 gehen wir ins neue Jahr: “Danke für nix.” 25 Motto­Vorschläge, eingebracht von verschiedenen Organisationen und Einzelpersonen, lagen auf dem Tisch, als das öffentliche Forum des Berliner CSD e.V. bereits im Dezember 2015 gemeinsam über den Schlachtruf des kommenden Jahres entscheiden durfte. Selten gab es in der Geschichte des CSD eine Motto­Diskussion, die schon nach wenigen Minuten einen so klaren Favoriten erkennen ließ, auch weil dieser so polarisiert. “Endlich mal kein Kuschelkurs” und “Schluss mit der Dankbarkeit für Brotkrumen” waren nur zwei der vielen begeisterten Wortbeiträge aus der Runde. Und dies zu Recht: Man braucht lediglich einen Blick in die Forderungen des CSD 2015 zu werfen, um ernüchtert festzustellen, dass von diesen Punkten nicht einer erfüllt wurde. Eheöffnung, Adoption für alle, Rehabilitierung der nach § 175 Verurteilten? Danke für nix ­ dem ist nichts hinzuzufügen. Wir sind uns bewusst, dass dieses Motto polarisiert und für viel Gesprächsstoff sorgen wird. Aber auf genau diese Diskussion freuen wir uns, da sie dem CSD gut tun und seine politische Wirkung in diesem Wahljahr verstärken wird. 13/13 

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