pdf-Download - Kulturwissenschaftlerin.de

Transcrição

pdf-Download - Kulturwissenschaftlerin.de
Magisterarbeit im Magisterstudiengang Europäische Ethnologie der Otto‐Friedrich‐Universität Bamberg Bamberg bloggt Das Nationalgefühl zur Fußball‐WM 2006 in Weblogs Verfasserin: Nina Paulus Betreuerin: Prof. Dr. Bärbel Kerkhoff‐Hader Zweitgutachterin: Prof. Dr. Heidrun Alzheimer Inhalt
1
Forschungsvorhaben und Überblick
3
2
Weblogs – Eine Einführung
6
3
2.1
Volkskunde und Internet: Quellenlage
2.2
Grundlagen
5
10
2.2.1
Begriffsdefinitionen
10
2.2.2
Entstehung
11
2.2.3
Vom Empfänger zum Sender. Brechts Radiotheorie und Web 2.0
12
2.2.4
Inhalte und Typen von Weblogs
14
2.3
Daten und Zahlen über die weltweite Blogosphäre
16
2.4
„Wie ich blogge?!“ - Soziodemografisches Nutzerprofil
17
Weblogs in kulturwissenschaftlicher Betrachtung
19
3.1
Kulturwissenschaftliche Technikforschung
20
3.2
Tagebücher und Weblogs als Quellen
23
3.2.1
Der Faktor ‚Öffentlichkeit‘ bei Tagebüchern und Weblogs
25
3.2.2
Umgang mit Öffentlichkeit in Weblogs
27
3.3
4
7
Quellenkritik
30
Das Nationalgefühl der Deutschen – ein ewiges Dilemma?!
32
4.1
Quellenlage
34
4.2
„Du bist Deutschland!“
34
4.2.1
„Wer sind die Deutschen?“ – Definitionsversuche
35
4.2.2
Die „verspätete Nation“
40
4.3
„Imagined communities“: Fußball und Nationalgefühl
42
4.4
Die WM 2006 als Barometer nationaler Befindlichkeiten
43
Methodisches Vorgehen
45
5.1
Qualitative Forschung vs. quantitative Forschung
46
5.2
Charakteristika qualitativer Forschung
48
5.2.1
Unterschiedliche Forschungsperspektiven
49
5.2.2
Adäquate Forschungsmethode für diese Arbeit
50
I
6
Auswertung der Weblogs
6.1
Beschreibung der verwendeten Weblogs
53
6.1.1
Blogs und Blogger
54
6.1.2
Soziodemographie der Bamberger Blogosphäre
55
6.2
Vorüberlegungen zur quantitativen und qualitativen Auswertung
56
6.3
Quantitativer Überblick
57
6.4
Qualitative Analyse
59
6.4.1
Symbolik
59
6.4.2
Soziales
64
6.4.3
Deutsches (Selbst-)Bewusstsein und Patriotismusdebatte
67
6.4.4
Jubel und Trauer – Emotionen während der WM
71
6.4.5
„Wir“ werden Weltmeister! - Identifikation und Unterstützung
75
6.4.6
Fanfeindschaften
80
6.5
7
52
Patriotismusdiskussion
82
6.5.1
„Stolz sein auf dieses Deutschland? Nein.“
85
6.5.2
Kommentare
89
Fazit
96
Literatur
100
Internetseiten
103
Abbildungen und Tabellen
i
Anlagen
II
1
Forschungsvorhaben und Überblick
An der Dachterrasse vom Haus gegenüber hängt eine Deutschlandfahne. Inzwi-
schen seit über einem Jahr. Das vormals kräftige Gelb ist einem pastellig-dreckigen Gelbton gewichen, von Wind und Wetter gegerbt. Sie ist Zeuge des vergangenen Sommers,
im dem Deutschland sein „Sommermärchen“1 erlebte. Und auch ein Jahr nach der Euphorie wirkt sie wie die ‚Trutzburg‘ eines anhaltenden Patriotismus, wie ein ‚Mahnmal‘, das
von einem weitgehend positiv belegten Nationalgefühl erzählt, dem „guten Nationalgefühl
der Deutschen“ ohne die deutsche „Großmannssucht“, wie es Bundespräsident Horst
Köhler unlängst verkündete.2
„Schwarz – rot – geil!“ So formulierte letztes Jahr nicht nur die BILD-Zeitung3 das
neu erwachte Nationalgefühl der Deutschen. Der Slogan der BILD-Zeitung ist längst zum
geflügelten Wort zur Beschreibung von Fan-Sein bzw. Unterstützung nationaler Sportler
oder Mannschaften geworden, mehr noch: zum Lebensgefühl. Keinem, und sei er noch so
fußballdesinteressiert, können die Fahnenmeere im Frühsommer letzten Jahres entgangen sein. „Fanmeile“ wurde 2006 von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum „Wort
des Jahres“ gewählt: Mit diesem Schlagwort „wurden Orte bezeichnet, die während der
WM in Deutschland Fußballbegeisterte aus aller Welt zu Hunderttausenden aufsuchten,
um dort ihrem ganz besonderen Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen.“4 Auf Platz 10 landete erwähntes „schwarz-rot-geil“, definiert als „die Grundstimmung der Bevölkerung in
Deutschland während der WM“ (ebd.).
Noch ein Jahr später zieht die Weltmeisterschaft 2006 die Menschen in ihren Bann
und auf die Straßen, wie die Live-Veranstaltung „SCHWARZ ROT GOLD - Der FußballRausch! Ein Jahr nach der WM“ des Bayerischen Fernsehen am Samstag, 09.06.2007,
bewies. Tausende Menschen bevölkerten die Münchner Leopoldstraße, verwandelten sie
wieder einmal in eine schwarz-rot-goldene Fanmeile aus Fahnen, Trikots, Schals und Hüten und jubelten auf der Bühne u.a. ‚Kaiser‘ Franz Beckenbauer zu. Der WM-Hype der
deutschen Bevölkerung richtete sich nicht nur auf Spieler und Trainer der deutschen Na-
1
„Deutschland – ein Sommermärchen“, Titel des Dokumentarfilmes von Sönke Wortmann über die Fußball-
2
In der letzten Sendung der Talkshow „Sabine Christiansen“ am 24.06.07 in der ARD; vgl.: http://www.spiegel.de/politik
3
Z.B. 13.06.2006, http://www.bild.t-online.de/BTO/news/aktuell/2006/06/13/schwarz-rot-geil/schwarz-rot-geil.html (Stand:
Weltmeisterschaft 2006.
/deutschland/0,1518,490441,00.html (Stand: 15.07.07).
29.05.07).
4
Gesellschaft für deutsche Sprache e.V.: Pressemitteilung vom 15. Dezember 2006: Wörter des Jahres 2006,
http://www.gfds.de/index.php?id=143 (Stand: 05.06.07).
3
tionalmannschaft, sondern auf jeden, der seinen Beitrag zur rundum gelungenen Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Lande leistete.
Der überwiegend positive Einfluss, den die Weltmeisterschaft auf die Stimmung in
der Bevölkerung hatte, ist evident. Natürlich rief die schwarz-rot-goldene Begeisterung
auch Kritiker auf den Plan, die das Risiko von unterschwelligen nationalistischen Äußerungen betonten. Und diesen wiederum traten diejenigen entgegen, die für sich ‚endlich‘
auch einen bisher ungekannten, weil negativ konnotierten, Nationalstolz proklamieren
können wollten. Viele dieser Diskussionen wurden abseits von Tagespresse, Fernsehen
oder Kneipenstammtisch geführt: zum Beispiel in Weblogs, den virtuellen Stammtischen
oder Rednerpulten des ‚Web 2.0‘. Dort wurden sowohl die Jubelschreie der Fanmeilen
wiedergegeben als auch negative Beobachtungen oder kritische Bemerkungen kundgetan
und anschließend in einer Art virtuell-öffentlichen Diskussion unterstützt oder angeregt
diskutiert.
Die zur Zeit der WM veröffentlichten Meinungen, Alltagsbeschreibungen, Beobachtungen und die daraus resultierenden, in Kommentaren niedergeschriebenen oder durch
Verlinkungen mit anderen Beiträgen entstandenen Diskussionen bieten die Datengrundlage für diese Arbeit. Durch die Archivierung im Internet können diese Textquellen auch
ein Jahr nach der Veröffentlichung ausgewertet werden. Ich beziehe mich bei der Analyse
auf eine Gruppe von Bamberger Bloggern, die sich im Gemeinschaftsblog „Bamberg entfesselt“ zusammengefunden hat und neben der virtuellen auch eine aktive real-soziale
Gemeinschaft ausbildet. Durch meine aktive Teilnahme an diesem Weblog habe ich sowohl einen genaueren Überblick über diese Gemeinschaft als auch einen Einblick in das
soziodemographische Profil dieser ‚Blogosphäre‘ und die dahinter stehenden Personen.
Den Einstieg in diese Arbeit bietet ein Überblick über die Verortung und die Verwendung des Internets in der Volkskunde (Kap. 2.1), bevor die wichtigsten Grundlagen
zum Verständnis der Weblogs (Kap. 2.2) sowie Daten und Zahlen zur weltweiten Blogosphäre (Kap. 2.3, 2.4) gegeben werden. Dies soll eine Abschätzung der Reichweite und
Verbreitung der Weblogs und ihre daraus resultierende Qualität als Quelle für Alltagsbeschreibungen ermöglichen.
Die Kulturwissenschaften zollten bisher nur den handschriftlichen, meist historischen Tagebüchern als Quelle für qualitative Auswertungen den nötigen Respekt. Zwar
gibt es eine Kulturwissenschaftliche Technikforschung, die sich zwar u.a. mit Weblogs beschäftigt, wie jedoch gezeigt werden wird, beschäftigt sie sich vornehmlich mit technischen Artefakten und der Durchdringung des, auch individuell biographischen, Alltags
durch das Technische (Kap. 3.1). Dabei ist die Verwandtschaft von Online-Tagebüchern
bzw. Weblogs und klassischen Tagebüchern in Buch- oder Heftform nach Betrachtung
4
der wichtigsten Charakteristika offensichtlich, wobei der Hauptunterschied zwischen klassischem Tagebuch und online geführtem Tagebuch, der Öffentlichkeitsfaktor, genauere
Betrachtung erfährt (Kap. 3.2). Eine quellenkritische Betrachtung des Mediums Weblog,
analog zum klassischen Tagebuch, soll den theoretischen Rahmen bezüglich der Weblogs abschließen (Kap. 3.3).
Die Problematik des Nationalgefühls der Deutschen steht im anschließenden Kapitel im Mittelpunkt. Neben einem kurzen Überblick über die umfangreiche Quellenlage
(Kap. 4.1) sollen anhand des Aufhängers der Kampagne „Du bist Deutschland!“ aus dem
Dickicht der Definitionsversuche für ‚Nation‘, ‚Nationalgefühl‘, ‚Patriotismus‘ etc. die für
diese Arbeit geeigneten Beschreibungen herausgearbeitet werden um anschließend herauszufinden, wer ‚die Deutschen‘ eigentlich sind (Kap. 4.2). Dabei trägt unter anderem
die Längsschnittstudie der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) „Wer sind die Deutschen?“ mit empirischen Daten ergänzend zu den vorangegangenen theoretischen Konzepten bei. Der kurze Abriss der Entstehungsgeschichte der deutschen Nation seit Bismarck soll einen Ansatz zur Klärung der Schwierigkeiten der Deutschen mit dem Thema
Nationalstolz oder Nationalgefühl liefern. Ein wichtiger Aspekt, um die Bedeutung des
Fußballs für die nationale Stimmung zu begreifen, ist das Konzept der „imagined communities“, die Fangemeinschaften, die sich im Stadion, auf Fanmeilen oder bei sonstigen
Sportgroßereignissen über soziale und ökonomische Grenzen hinweg bilden und über ein
eigenes Arsenal an Symbolen und Ritualen verfügen (Kap. 4.3). Abschließend soll erörtert
werden, ob ein Fußballgroßereignisses wie die WM die Macht hat, einen Einfluss auf die
allgemeine Stimmung eines Landes auszuüben oder ob es sich dabei lediglich um ein
„Barometer nationaler Befindlichkeiten“5 handelt (Kap. 4.4).
Kurz soll anschließend auf das methodische Vorgehen bei der Auswertung der
Weblogs eingegangen werden. Hierbei bietet sich aufgrund des Forschungsinteresses
weniger eine quantitative Auswertung als vielmehr eine qualitative Inhaltsanalyse der
Weblog-Texte an (Kap. 5.1). Die Vorteile und Einsatzgebiete der unterschiedlichen Ansätze qualitativer Analysen werden kurz dargelegt, bevor aus den verschiedenen Aspekten
die für diese Arbeit adäquateste Vorgehensweise eruiert wird (Kap. 5.2)
Der analytische Hauptteil dieser Arbeit beschäftigt sich – nach dem einführenden
methodisch-theoretischen Teil – mit der inhaltlichen Analyse der Weblogs bzgl. des Nationalgefühls während der Fußballweltmeisterschaft 2006 in der Bamberger Blogosphäre.
Dies geschieht zum Großteil mithilfe qualitativer Inhaltsanalysen. Die zur Analyse ver-
5
Scheuble, Verena und Michael Wehner: Fußball und nationale Identität, in: Der Bürger im Staat 56 (2006), Heft 1,
o.S.Online unter: http://www.buergerimstaat.de/1_06/identitaet.htm (Stand: 24.05.07).
5
wendeten Weblogs und deren Betreiber werden vorgestellt und die Soziodemographie der
Bamberger Blogosphäre betrachtet (Kap. 6.1), bevor ein quantitativer Überblick über die
Weblogs, die jeweiligen WM-bezogenen Texte sowie die Häufigkeit der darin kategorisierten Themen gegeben wird (Kap. 6.2, 6.3). Die Themen, die sowohl bereits theoretisch als
relevant für den Einfluss auf das Nationalgefühl herausgearbeitet wurden, als auch tatsächlich als häufig vorkommende Themen in den Weblogs gefunden wurden, werden im
ersten Teil der Analyse durch ausgewählte Beispiele analysiert (Kap. 6.4). Ein besonderer
Aspekt Weblogs, nämlich die Möglichkeit einer dynamischen Diskussion mithilfe der
Kommentarfunktion, soll anschließend exemplarisch dargestellt werden. Diese Art der
Kommunikation ist im zweiten Analyseteil von besonderer Bedeutung, da sich im Anschluss an einen patriotismuskritischen Blogeintrag eine hitzige Diskussion in den Kommentaren ergab. Diese soll genauer betrachtet werden (Kap. 6.5) um am Ende ein abschließendes Bild des Nationalgefühls zur Fußball-WM zu erhalten.
2
Weblogs – Eine Einführung
Weblogs sind im Internet, aber auch in den klassischen audiovisuellen und Print-
medien fast allgegenwärtig. Immer häufiger trifft man fast beiläufig auf sich selbst so bezeichnende ‚Blogger‘6, die ‚Bloggertreffen‘ abhalten um das soziale Netz der ‚Blogosphäre‘, der sie selbst angehören, auch außerhalb des virtuellen Raums zu stärken. Weblogs
sind also keineswegs mehr eine Randerscheinung, das Medium einer Jugend- oder Subkultur, sondern sind mit einer Zahl von inzwischen weit mehr als 50.000.000 Blogs weltweit7 zu einem beachtlichen und nicht ignorierbaren Massenphänomen geworden.
In diesem Kapitel soll zunächst, angeregt durch die spärliche Quellenlage in Bezug
auf Weblogs speziell in den Kulturwissenschaften, die bisherige Situation des Internet und
die Beschäftigung der Volkskunde damit betrachtet werden. Anschließend wird das Medium Weblog, seine Entstehung und seine Bedeutung genauer dargestellt, einige Grundbegriffe definiert, Typen und Inhalte von Weblogs kategorisiert sowie Fakten und Zahlen
zu Weblogs weltweit und, unter Zuhilfenahme der Umfrage „Wie ich blogge?!“, zur soziodemographischen Struktur der deutschsprachigen Blogosphäre gegeben.
6
Aus Gründen der Lesbarkeit wird in dieser Arbeit darauf verzichtet, immer die männliche und weibliche Form zu verwenden. Natürlich sind sowohl Blogger als auch Bloggerinnen, Autoren wie Autorinnen, Tagebuchschreiber und Tagebuchschreiberinnen etc. gemeint.
7
Laut Technorati-Bericht vom Oktober 2006, http://technorati.com/weblog/2006/11/161.html (Stand: 07.04.07).
6
2.1
Volkskunde und Internet: Quellenlage
Die Literatursuche in den einschlägigen Online-Katalogen oder Datenbanken der
Universitätsbibliotheken zeigt schnell, dass die kulturwissenschaftliche Quellenlage zu
Weblogs und Online-Tagebüchern äußerst dürftig ist. Die meisten Treffer, die bei der Suche nach dem Schlagwort ‚Weblog‘ geliefert werden,8 sind den Bereichen PR und Öffentlichkeitsarbeit, Marketing, Kommunikationssoziologie, Journalismus oder, aufgrund ihrer
Natur, der IT-Branche zuzuordnen. Auch die Recherche in den Zeitschriftenbeständen der
IBZ9, der Internationalen Bibliographie der geistes- und sozialwissenschaftlichen Zeitschriftenliteratur, liefert hauptsächlich Treffer aus dem Bereich des Journalismus, der
Technik, der Politik oder dem schulisch-medienpädagogischen Bereich. Die Internationale
Volkskundliche Bibliographie IVB10, die seit März 2007 über die Virtuelle Fachbibliothek
Ethnologie EVIFA11 online zugänglich ist, beinhaltet nur Veröffentlichungen bis zum Jahre
1998, was bei einem aktuellen Thema wie Weblogs, die erst nach dieser Zeit zum Massenphänomen avancierten, selbstverständlich keine Treffer liefert. Im Sachgebiet „Telekommunikation, Computer, Multimedia“ finden sich vornehmlich Veröffentlichungen zum
Schlagwort „Cyber-“12, was in den 1980er Jahren ein Thema war. Online-Tagebücher sind
noch kein Forschungsgegenstand.
Auch die Recherche in den Datenbanken von EVIFA macht deutlich, dass die Beschäftigung der Volkskunde und Kulturwissenschaften mit dem Medium Weblog noch
nicht weit gediehen ist, ja bisher regelrecht vernachlässigt wurde. Die Schlagwortsuche
nach ‚Weblog‘ bringt keinerlei Artikel oder Rezensionen, die auf eine Beschäftigung der
Forscher mit diesem Medium schließen lassen. Von Nutzen und Interesse kann hier aber
eine Auflistung von Weblogs sein, die von Anthropologen und Ethnologen geführt werden.
Aufgrund ihrer einfachen und häufigen Aktualisierbarkeit sowie der problemlosen, niederschwelligen Veröffentlichbarkeit von wissenschaftlichen Schriften (ohne Verlagssuche,
Druck etc.) bietet dieses Medium Kulturwissenschaftlern die Möglichkeit, ihren For-
8
http://bib.uni-bamberg.de/webOPAC/ (Stand: 16.07.07).
9
http://gso.gbv.de/LNG=DU/DB=2.4/ (Stand: 27.04.07).
10
http://www.evifa.de/cms/de/evifa_recherche/ivb_online/index.html?&L=0 (Stand: 26.04.07).
11
http://www.evifa.de (Stand: 26.04.07).
12
So z.B. das vermutlich bekannteste Wortkonstrukt „Cyberspace“. Der von dem Science Fiction-Schriftsteller William Gibson aus den englischen Worten „cybernetics“ und „space“ entwickelte und Mitte der 80er Jahre erstmals in Romanen
und Kurzgeschichten verwendete Begriff „beschreibt [...] einen globalen Raum von Datennetzen, bestehend aus unzähligen Rechnern, Leitungen, Transferknoten, Programmen und Datenpakten, einen Raum, der mit Hilfe spezifischer
Techniken vom menschlichen Bewußtsein wahrgenommen und in gewissem Sinne bereist werden kann“
(http://www1.uni-bremen.de/%7Emschet/sozialewelt.html
;
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23727/1.html ; Stand: 10.04.07).
7
Stand:
10.04.07;
siehe
auch:.
schungsstand, interessante gefundene Artikel oder sonstige relevante Netz-‚Fundstücke‘
zu präsentieren. Diese Weblogs werden als „Instrument des Wissensmanagements“13 genutzt, indem sie z.B. als Archiv für anthropologische und ethnologische Texte fungieren
und einen regelmäßig aktualisierten Überblick über Ethnologie- und sonstige relevante
deutschsprachige Blogs bieten.14 Manche liefern Rezeptionen ethnologischer Veröffentlichungen und Artikel15 oder dienen als Verbreitungsorgan für studentische, fachbezogene
Gedanken oder Seminararbeiten16. Diese Art von Nutzen, den Wissenschaftler aus dem
Netz ziehen, ist bislang die einzige Art von Beschäftigung der Kulturwissenschaften mit
dem Medium Internet. Auch der Beitrag von Thomas Hengartner über das „Forschen im,
mit dem und über das Internet“ in den „Methoden der Volkskunde“17 macht deutlich, dass
das Internet häufig lediglich als Rechercheinstrument und Informationslieferant für Literatur, Definitionen oder Datenbanken, zur Publikation von Fachschriften, zur fachlichen Diskussion via Weblogs oder Diskussionsforen oder zur internationalen Präsentation des Faches Volkskunde genutzt wird, inhaltlich aber noch nicht als Quellengattung eingestuft
wurde. Vom Material- und Informationsstandpunkt betrachtet bietet das Internet die Möglichkeit, zum Beispiel „durch direkte Recherchen in den elektronischen Beständen von
Bibliotheken und Bibliotheksverbünden […] fast endlos lange Literaturlisten zusammenzustellen“, deren Fülle anschließend durch kritische Sichtung reduziert werden muss
(Hengartner 2007: 191). Außer für Recherche sieht er das Internet für Datenerhebung mit
Hilfe von Umfragen als bedingt nützlich an, können doch bei einer Online-Umfrage die
eingegebenen Informationen gleich auf einem Computer gespeichert und nutzbar gemacht werden. Jedoch sind die Möglichkeiten schon aufgrund des Wegfallens der direkten face-to-face-Situation von Interviewer und Befragten eingeschränkt, nonverbale
Kommunikation kann – außer bei Interviews mittels Bildtelefonie – nicht berücksichtigt
13
Schmidt, Jan und Martin Wilbers: Wie ich blogge?! Erste Ergebnisse der Weblogbefragung 2005 (= Berichte der Forschungsstelle „Neue Kommunikationsmedien“ Nr. 06-01). Bamberg 2006, S.4.
14
http://www.antropologi.info/blog/index-de.php (Stand: 26.04.07).
15
http://www.antropologi.info/blog/ethnologie/ (Stand: 26.04.07).
16
„Blog der Studentin [Sybille Amber, Anm. d. Verf.] der Kultur- & Sozialanthropologie in Wien, die unter anderem Seminarmitschriften etc. zur Verfügung stellt.“ (Beschreibung: www.evifa.de, Stand: 26.04.07); Eigenbeschreibung der Blogbetreiberin: „Diese gesammelten Texte sollen meine wissenschaftliche Arbeit in der Kultur- und Sozialanthropologie illustrieren. A. L. J., kurz fuer Anthropo Logisches Journal, oder anthropo logic journal, zeigt nicht ueberarbeitete Texte in
Bezug zu allen mir interessanten Bereichen der Anthropologie, welche da sind: Disability Research/Diversity Research,
Anthropologie der Kunst, Ethnologie im WWII, Religions- und Bewusstseinsforschung, Ethnomusikologie, Ethnomedizin, anthropologische Friedensforschung, aber auch theoretisch - historische sollen beruecksichtigt werden.“
http://anthropologicdiary.blogspot.com/ (Stand: 26.04.07).
17
Hengartner, Thomas: Volkskundliches Forschen im, mit dem und über das Internet, in: Göttsch, Silke und Albrecht Lehmann (Hg.): Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie. 2. überarb. u.
erw. Aufl. Berlin 2007, S. 189-218.
8
werden. Auch kritisiert er eine zu enge thematische Beschränkung auf das Naheliegendste, Internet und Computer, und nur selten darüber hinausgehende Befragungen. Er erkennt, dass die Nutzungsmöglichkeit des Internets zur Datengewinnung noch zu wenig
ausgeschöpft sei (Hengartner 2007: 201f).
Von besonderem Interesse für die vorliegende Arbeit ist das Weblog „Kulturwissenschaftliche Technikforschung“ des gleichnamigen Forschungskollegs.18 Verantwortlich
dafür zeichnet Dr. Klaus Schönberger vom Institut für Volkskunde der Universität Hamburg, der mit seinen Mitarbeitern wichtige Neuigkeiten, Veranstaltungshinweise und Buchrezensionen veröffentlicht und auch auf online zugängliche, themenrelevante Artikel hinweist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch das “Journal für alte und neue Medien
aus soziologischer, kulturanthropologischer und kommunikationstheoretischer Perspektive“19 kommunikation@gesellschaft, das von Klaus Schönberger in Zusammenarbeit mit
Jan Schmidt, Kommunikationssoziologe an der Universität Bamberg, und Christian Stegbauer, Kommunikationssoziologe an der Universität Frankfurt, herausgegeben wird, sowie
das dazugehörige Weblog20 für aktuelle Ankündigungen, Kommentare und Diskussionen.
Das Online-Journal veröffentlicht Artikel, Aufsätze und Forschungsnotizen zur „Untersuchung der Nutzung von (alten wie neuen) Informations- und Kommunikationstechnologien“ und „stellt die Nutzung medienkultureller Artefakte durch das Subjekt in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit“21. Neben der technischen Seite der neuen Medien, ihrem
Entstehen und dem technischen sowie dem gesellschaftlichen Wandel, der ihr Eindringen
in das Alltagsleben, Beruf und Freizeit der Menschen begründet, stehen Gebrauchspraxen und Inhalte dieser Medien im Forschungsinteresse. Die aus diesem Forschungsvorhaben resultierenden Artikel bilden eine wichtige Grundlage des Weblog-Anteils dieser
Arbeit. Der zeitlich geringe Abstand zwischen Entstehen eines Artikels und dessen Online-Veröffentlichung ist für das Medium Weblog bzw. Internet am ehesten geeignet: Bücher, die oft einen monatelangen Entstehungsprozess durchlaufen haben, können bei einem schnelllebigen Forschungsobjekt wie dem Medium Internet zum Zeitpunkt ihres Erscheinens in Bezug auf Zahlen und Aktuelles leicht wieder veraltet sein. Wissenschaftliche Online-Artikel hingegen sind schnell und einfach zu editieren oder aktualisieren und
büßen, zumindest im vorliegenden Fall des Forschungskollegs „Kulturwissenschaftliche
Technikforschung“, nichts an ihrer wissenschaftlichen Relevanz im Vergleich zu klassi-
18
http://technikforschung.twoday.net/ (Stand: 26.04.07).
19
http://www.kommunikation-gesellschaft.de/ (Stand: 26.04.07).
20
http://cms-sprachlabor.split.uni-bamberg.de/kommunikation-gesellschaft/ (Stand: 26.04.07).
21
Selbstverständnis: http://www.kommunikation-gesellschaft.de/ (Stand: 26.04.07).
9
schen Printmedien ein.22
2.2
Grundlagen
Um sich mit der Materie der Weblogs genauer zu beschäftigen ist es hilfreich, sich
vorab mit bestimmten Begriffen, der historischen Entwicklung von der Mailbox zum Weblog sowie den technischen Voraussetzungen vertraut zu machen. Dieses Kapitel soll eine
kurze Einführung zu Begrifflichkeiten und Besonderheiten dieses Mediums geben sowie
zur Bedeutung der Möglichkeit für Blogbetreiber, eigenständig Texte im Internet veröffentlichen und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Abschließend sollen verschiedene Typen von Weblogs mit ihren spezifischen Inhalten vorgestellt werden.
2.2.1 Begriffsdefinitionen
Nach einvernehmlicher Definition mehrerer Wissenschaftler versteht man unter einem Weblog eine (mehr oder weniger) regelmäßig aktualisierte, dynamische Internetseite,
deren Einträge (sogenannte Postings oder kurz: Posts) in umgekehrt chronologischer Abfolge dargestellt werden, d.h. die neuesten Veröffentlichungen erscheinen an erster bzw.
oberster Stelle.23 Typisch für das Medienformat Weblog (ein von Jorn Barger Ende der
90er Jahre kreiertes Kunstwort, welches sich aus Web und Logbuch zusammensetzt24,
auch kurz Blog genannt, analog dazu bloggen, das Veröffentlichen von Blogtexten) ist,
dass es üblicherweise durch Kommentare der Leser sowie durch Links mit anderen Internet-Quellen verbunden ist. Ein Link, auch Hyperlink, ist ein Verweis von einer Internetseite, bzw. einem Web-Dokument, auf eine andere Seite oder eine andere Stelle im gleichen
Dokument.25 Das dichte Netzwerk an hypertextuellen und sozialen Verknüpfungen zwi-
22
Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle auf die Seite von Martin le Vrang und Markus Westner hingewiesen, ihres
Zeichens Gründer der Weblog-Community blogigo.de. Sie bieten darauf einen Überblick (soweit ihnen bekannt) über
bereits verfasste deutsche und englischsprachige Master-, Magister und Diplomarbeiten, die sich mit OnlineCommunities, Weblogs und neue Kommunikationstechnologien beschäftigen. Diese zeigen aber für volkskundliche
oder
kulturwissenschaftliche
Arbeiten
noch
keine
Treffer
(http://westner.levrang.de/cms/front_content.php?idcatart=27&lang=1&client=1; Stand: 02.05.07).
23
Siehe u.a.: Schmidt, Jan, Klaus Schönberger und Christian Stegbauer: Erkundungen von Weblog-Nutzungen. Anmerkungen zum Stand der Forschung, in: Dies. (Hg.): Erkundungen des Bloggens. Sozialwissenschaftliche Ansätze und Perspektiven der Weblogforschung. Sonderausgabe von kommunikation@gesellschaft, Jg. 6. Online-Publikation:
http://www.soz.uni-frankfurt.de/K.G/B4_2005_Schmidt_Schoenberger_Stegbauer.pdf (Stand: 19.04.07), S. 1.;
Schönberger, Klaus: Weblogs: Persönliches Tagebuch, Wissensmanagement-Werkzeug und Publikationsorgan, in:
Schlobinski, Peter (Hg.): Duden Thema Deutsch 7. Von hdl bis cul8r. Sprache und Kommunikation in den neuen Medien. Mannheim 2006, S.233-248, hier: 233.
24
Blood, Rebecca: Weblogs. A history and perspectives. http://www.rebeccablood.net/essays/weblog_history.html. Erstellt
25
Siehe z.B. http://www.itwissen.info (Stand: 18.04.07).
am 07.09.2000. (Stand: 29.04.07).
10
schen verschiedenen Blogbetreibern, den sogenannten Bloggern, durch Verlinkungen der
Weblogs aber auch durch reale, persönliche Treffen ermöglicht wird, bezeichnet man als
Blogosphäre (Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005: 1). Meist sind verschiedene andere
Blogger, die entweder dem Blogbetreiber persönlich bzw. über Online-Interaktion bekannt
sind oder deren Weblogs er liest und seinen Blogbesuchern empfiehlt, in der sogenannten
Blogroll verlinkt. Dies ist eine, meist am Rand der Website situierte Liste, deren Einträge
entweder alphabetisch oder willkürlich vom Blogbetreiber angeordnet werden.
2.2.2 Entstehung
In den 1980er Jahren entwickelte sich, aus dem Internetvorgänger ARPANET, das
seit den 70er Jahren vorwiegend von der US-Armee und Universitäten genutzt wurde und
Anfang der 80er Jahre in ein militärisches und ein öffentliches Netz aufgeteilt wurde,26
„von unten eine Mailboxszene, die Computerkommunikation über das allen zugängliche
Telefonnetz betrieb und mit ihren Diskussionsbrettern (Bulletin Boards, BBS) interessierte
Teilnehmerinnen und Teilnehmer erreichte.“27 Erstmals im großen Stil wurden diese Mailboxen nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl miteinander vernetzt. So konnten Informationen, z.B. bezüglich der Strahlungswerte, die von den klassischen Medien nicht
veröffentlicht wurden, allen zugänglich gemacht und täglich aktualisiert werden. „Durch
den Zusammenschluss von Mailboxen war es schon mehr als ein Jahrzehnt vor den Weblogs möglich, ungefilterte Nachrichten aus aller Welt in die lokale Mailbox geliefert zu bekommen“ (Tobler 2006: 679). Zum Massenmedium brachten die Mailboxen es jedoch
aufgrund langsamer Übertragungsraten und höherer Kosten im Vergleich zum Mitte der
90er Jahre aufkommenden World Wide Web28 mit seinen privaten Anbietern nie (Tobler
2007: 679f).
Die ersten Weblogs im hier gemeinten Sinne entstehen Mitte der 1990er Jahre
und wurden von den Entwicklern der jeweiligen Technologie betrieben. Gemeinsam war
ihnen dabei häufig ein politisches Engagement ihrer Betreiber: Stellvertretend für andere
26
27
http://www.itwissen.info (Stand: 18.04.07).
Tobler, Beatrice: Das Internet an den Graswurzeln packen … Zur Tragweite von Graswurzelbewegungen im Internet am
Beispiel von Weblogs, in: Hengartner, Thomas und Johannes Moser (Hg.): Grenzen & Differenzen. Zur Macht sozialer
und kultureller Grenzziehungen. 35.Kongress der DGV, 25.-28. September 2005 in Dresden (= Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, 17). Leipzig 2007, S. 675-683, hier: 679.
28
Obwohl heutzutage für gewöhnlich synonym verwendet, lässt sich die Abgrenzung der Begriffe „Internet“ und „World Wide
Web“ folgendermaßen definieren: „Der Unterschied zwischen World-Wide-Web und Internet besteht darin, daß sich der
Begriff des World-Wide-Web auf einen Dienst bezieht der im Internet läuft - das Internet sich auf die physikalische Seite
eines
globalen
Computernetzwerkes
bezieht
(eine
unvorstellbare
Masse
(http://www.in4mation.de/wwwservices/www.introduction.html Stand: 10.04.07).
11
an
Kabeln
und
Rechnern...).“
seien hier die US-Amerikaner Dave Winer und Cameron Barrett genannt. So stellte Dave
Winer im Jahr 1996 sein erstes Blog ins Netz, „eine Newsseite für das Projekt ‚24 Hours
of Democracy‘, eine Website, die sich der freien Meinungsäußerung im Internet verschrieben hatte“ (Tobler 2007: 678). Der Informatiker Cameron Barrett folgte im Jahr 1997
mit einem Weblog für seine Studierenden im Rahmen eines von ihm abgehaltenen HTMLSeminars. 2003 startete er begleitend zum Wahlkampf der US-Wahlen 2004 ein Weblog
mit dem Namen „Watchblog.com“, das Anhängern allen politischen Richtungen als Kommunikationsplattform diente. Die einfach zu bedienende Software, die Niederschwelligkeit
des Medium Weblogs sowie geringe Kosten trugen dazu bei, dass es noch vor der Jahrtausendwende jedem ermöglicht wurde, ein eigenes Webjournal anzulegen und aktiv zu
betreiben (Tobler 2007: 678f).29
Die Bedeutung und der Reiz des privaten Bloggens lassen sich mit der Metapher
der „Graswurzelbewegung“ ein Stück weit erklären: Als von einigen Autoren so genannte
„Graswurzeln“ stellen viele Blogger nicht sich sondern „die Authentizität der Berichterstattung (journalistische Blogs) oder die Alltagsnähe und Aktualität (Blogs im Tagebuch-Stil)
in den Vordergrund“ und richten sich somit gegen wenige Große, zum Beispiel Medienmonopole oder Verlagshäuser. „Denn viele Graswurzeln machen den Rasen aus“ (Tobler
2007: 680).
2.2.3 Vom Empfänger zum Sender. Brechts Radiotheorie und Web 2.0
Es gibt mehrere Möglichkeiten, einfach und problemlos zu einem kostenlosen
Weblog zu kommen.30 Spezielle Programmier- bzw. HTML-Kenntnisse sind so gut wie
nicht nötig um erste Texte oder Bilder im eigenen Weblog zu veröffentlichen. Damit ist ein
schneller, verhältnismäßig unproblematischer Einstieg in die Praktiken des Bloggens gegeben und „die Hürden zur Veröffentlichung eigener Texte, Bilder oder anderer multime-
29
Zur Unterscheidung von Weblogs und Internet-Tagebüchern sei angemerkt: Das ursprüngliche Internet-Tagebuch stellt
eine Subkategorie auf privaten Homepages dar, neben z.B. Fotogallerien und Profilseiten. Zum Erstellen der Homepage mit einer Tagebuchkategorie sind fundiertere HTML-Kenntnisse erforderlich, Weblogs hingegen sind schneller und
einfacher einzurichten und verlangen lediglich einen Computer mit Internetzugang. Die Kommentarfunktion, die charakteristisch für das Medium Weblog ist, wird bei Internet-Tagebüchern von Gästebüchern ersetzt. Diese ermöglichen dem
Leser ebenfalls, zu Texten und Inhalten eine eigene Meinung öffentlich wiederzugeben und damit in Interaktion mit dem
Tagebuchautor zu treten (Wolf 2002: 3f). Der Einfachheit halber werde ich im theoretischen Teil ‚Weblog‘ und ‚OnlineTagebuch‘ analog verwenden, da beide Typen die gleichen charakteristischen Aspekte – Öffentlichkeit, private Inhalte –
besitzen. Bei meiner qualitativen Auswertung werde ich allerdings nur ‚echte‘ Weblogs verwenden.
30
So gibt es im World Wide Web zahlreiche Weblog-Provider, also Dienstleister, die Webspace und graphische Oberfläche
für ein Weblog zur Verfügung stellen, oder Stand-Alone-Software, die als eigenständiges Programm zum Betreiben eines Weblogs dient. So seien z.B. twoday.net, myBlog.de und blog.de als Blog-Provider, Wordpress bzw. Serendipity als
Stand-Alone-Systeme genannt (Schmidt/Wilbers 2006: 2).
12
dialer Inhalte im Internet weiter gesenkt“ worden (Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005:
1). Ein Computer mit Internetzugang als einzige technische Voraussetzung, die Einfachheit der Bedienung und der Texteingabe sowie die geringen Kosten sind dafür verantwortlich, dass „Weblog-Betreiber tatsächlich zu (potenziell) ‚sichtbaren‘ Sendern“ werden können (Schönberger 2006: 242). Durch das Internet hat jeder Nutzer die Möglichkeit, seine
Meinung, Kommentare und Gedanken einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Diese Möglichkeit der Partizipation an der öffentlichen Meinungsäußerung und -bildung ist
essentiell für eine demokratische Gesellschaft.31
Der Wandel des Internetusers vom „Empfänger“ zum „Sender“ kann als Weiterführung der Radiotheorie von Bertolt Brecht gesehen werden (siehe z.B. Schönberger 2006:
242f). Nach Brecht wurde der Rundfunk zu einer Zeit erfunden, als „die Gesellschaft noch
nicht so weit war, ihn aufzunehmen“32, also eine Erfindung war, die von niemandem bestellt worden war und für die (noch) kein Bedarf bestand. „Man hatte plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen.“
(ebd.) Daher ist es Brecht durch seine Theorie ein Anliegen, „den Rundfunk so zu demokratisieren, daß ‚das Publikum nicht nur belehrt [wird], sondern auch belehren muß‘. Zu
diesem Ziel soll ein Hörfunk geschaffen werden, der nicht nur sendet, sondern auch empfängt; und die Hörer sollen sich bei Bedarf in 'Sender' verwandeln können.“33 Hier schließt
sich der Kreis zum Internet wieder, welches in der sogenannten zweiten Generation, dem
31
Welche Macht Blogger innehaben und welche potentielle Gefahr sie dadurch für undemokratische, repressive Systeme
darstellen, zeigt das Beispiel China, wo Weblogs einer rigiden Zensur unterworfen sind: Etwa 1.000 Begriffe führen,
wenn sie in einem Beitrag vorkommen, zur Zensur. Die größten und wichtigsten Provider helfen der Regierung durch
Einbauen der Filter bei dieser Unterdrückung der freien Meinungsäußerung. Teilweise wird der Zugang zu Weblogs
vorübergehend ganz gesperrt, etwa vor großen politischen Ereignissen, die eine Welle der Kritik in Weblogs auslösen
könnten
(vgl. dazu: Heimann, Uli: Weblog-Zensur in China. http://www.politik-digital.de/metablocker/archives/268-
Weblog-Zensur-in-China.html. Erstellt am 25.01.2005. Stand: 22.05.07; Norton, Quinn: China blocks LiveJournal.
http://www.wired.com/politics/onlinerights/news/2007/03/72872. Erstellt am 05.03.07. Stand: 22.05.07).
32
Brecht, Bertolt: Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks, in: Ders.: Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Sechster Band. Schriften 1920-1956. Frankfurt/Main 2005, S. 146-151, hier: 146.
33
O.A.: Bertolt Brecht. Radiotheorie (um 1930). http://www.uni-essen.de/literaturwissenschaft-aktiv/Vorlesungen/ausblick
/bre_radio.htm (Stand: 04.04.07); Hervorh. im Orig.
13
‚Web 2.0‘34, seinen Benutzern ebendiese Möglichkeit des „Sendens“, also Informationen
zu veröffentlichen, bietet.
Diese Analogie zwischen der Rundfunktheorie Brechts und dem Wesen des World
Wide Web, insbesondere dem Web 2.0, wurde auch schon von Bloggern aufgegriffen und
z.B. folgendermaßen beschrieben:
„Bertolt Brecht zu Web 2.0
‚Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat
zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, d.h., er würde es,
wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also
den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu
isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen. Der Rundfunk müßte demnach aus
dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren.‘
Bertolt Brecht: Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die
Funktion des Rundfunks (1932/1933).
Ersetzen wir ‚World Wide Web‘ für ‚Rundfunk‘ und wir haben eine schöne Beschreibung dessen, was Web 2.0 ausmacht.“35
Weblogs erfüllen also die Forderung Brechts sowie das Versprechen aus der Anfangszeit des WWW, „dass jeder Nutzer weltweit und jederzeit Texte, Meinungen usw.
publizieren und veröffentlichen könne.“(Schönberger 2006: 242).
2.2.4 Inhalte und Typen von Weblogs
„Weblogs bestehen aus kurzen Kommentaren, Fundstücken im Internet, Tagebucheinträgen, Bildern und Hyperlinks.“ (Schönberger 2006: 233) Der ursprünglichen Bedeutung des Web-Log-Buchs liegt die Idee zugrunde, dass der persönliche Weg durch
das Internet, mit Verlinkungen auf diverse Seiten und Fundstücke, in diesem virtuellen
Logbuch festgehalten wird. Dies hat sich allerdings mit der Verbreitung der Weblogs ge-
34
Das Schlagwort „Web 2.0“ beschreibt (gewollt unscharf) die veränderte Wahrnehmung und die neuen Charakteristika der
‚zweiten Generation‘ Internet, wobei der Anhang ‚2.0‘ in Anlehnung an eine neue, verbesserte Software-Version gewählt wurde. Der Begriff kam erstmals im Oktober 2004 bei der ersten „Web 2.0 Conference“ des Computerbuchverlags O‘Reilly auf. Das ‚Web 2.0‘ gestattet den Benutzern auch ohne umfangreiches (internet-)technisches Know-how
aktiv das Internet in seiner Erscheinungsform und seiner Nutzungsmöglichkeiten mitzugestalten. Charakteristische Bestandteile des Web 2.0 sind u.a. ‚Online Communities‘ oder ‚Messenger‘, die der sozialen und virtuellen Vernetzung
und der Kommunikation von Benutzern dienen, Online-Enzyklopädien (z.B. wikpedia.org), die von jedem Nutzer erweitert, ergänzt oder korrigiert werden können, Seiten wie flickr.com, die ein persönliches Internet-Fotoalbum ermöglichen,
oder eben Weblogs (Siehe zur Definition ‚Web 2.0‘: http://www.webthreads.de/2006/04/was-ist-web-20/, Stand
04.04.07,
http://www.empulse.de/archives/2005/08/was_ist_eigentl_1.html,
Stand
04.04.07,
http://www.ristau.de/blog/2006/04/01/web-20/, Stand 04.04.07).
35
http://grindblog.de/2006/08/12/bertolt-brecht-zu-web-20/; Magnus Niemann. Erstellt am 12.08. 2006 (Stand: 04.04.07).
14
wandelt: die Inhalte und Typen sind vielfältiger geworden, von Filmkritiken über Kochrezepte, Urlaubsberichte, wissenschaftliche Artikel, Fragebögen und Diskussionsanstöße
findet sich so gut wie alles Thematische in Weblogs. Die selektive Veröffentlichung der
eigenen Gedanken, subjektiven Meinungen und Ideen ist heute charakteristisch für das
Medium Weblog. Neben den rein textbasierten Weblogs sind der Vollständigkeit halber
hier noch folgende Sonderformen zu nennen: Sogenannte Vlogs (Videoblogs), mit eingebundenen Videodateien, Filmen und unterstützendem Text, Moblogs (Mobilblogs), bei denen Fotos und (kürzere) Texte via Mobiltelefon direkt ins Internet online gestellt werden,
sowie die immer verbreiteter werdenden Podcasts, die Audiodateien jederzeit verfügbar
zum Download bereitstellen und damit den herkömmlichen Radiostationen durch die zeitliche Ungebundenheit beim Informationszugang den Rang ablaufen könnten (Schönberger 2006: 234).36
Je nach Absicht des jeweiligen Autors divergieren Weblogs inhaltlich und in ihrer
Zielgruppe: „So gibt es journalistische und politische Weblogs, 37 Fach-Weblogs, Literarische Weblogs, Corporate Blogs und last but noch least private Weblogs, welche die große Mehrheit ausmachen.“ (Tobler 2007: 676). Wissenschaftler können Weblogs zur
schnellen Veröffentlichung ihrer Gedanken und ihrer Forschungsstände nutzen, wie es ja
im Falle der bei EVIFA verzeichneten ethnologischen Weblogs geschehen ist, oder sie
dienen als Fundgrube für neue Gedanken. Die schnellen Veränderungen und Aktualisierungen in den Weblogs tragen außerdem zur wissenschaftlichen Nutzbarkeit bei: Ihr Charakter der „beschleunigte[n] Zeitschriften“ macht Weblogs „aktueller und schneller als jede
andere Publikationsform.“38 Ebenso können Wissenschaftler „Testballons“ aufsteigen lassen, unausgereifte Ideen, die von ihren Kollegen anschließend kritisiert und diskutiert
werden können. „Weblogs sollen schließlich nicht nur eine Informationsquelle, sondern
auch eine Kommunikationsplattform sein“, da diese in den Weblogs „echter, spontaner
und unmittelbarer“ sei (Köster 2005). Doch Wissenschafts- und Forschungsblogs sind vor
allem in Deutschland noch die Minderheit, wohingegen sie sich in Amerika längst einen
festen Platz in der Forschungskommunikation erobert haben (ebd).39
Den größten Teil der Weblogs machen die privaten Blogs aus. Und genau diese
36
www.itwissen.info (18.04.07).
37
So zum Beispiel Weblogs, die Berichte aus anderen, renommierten Medien auswerten, kommentieren und beobachten,
oder Weblogs mit ungeschönter Berichterstattung aus Krisengebieten.
38
Köster, Andreas: Tagebücher für die Forschung, in: duz Magazin 07 (2005), S.37.
39
Nach Klaus Schönberger liegt das Problem der mangelnden Akzeptanz bzw. Durchsetzungskraft der Forschungsblogs
und Weblog-Kommunikation daran, dass Forscher zur Perfektion neigen würden und „dass sie erst ans Publizieren
dächten, wenn sie sich ihrer Sache ganz sicher seien. ‚Denn Wissenschaftler sagen nicht gern etwas Unvernünftiges,
schon gar nicht in einem öffentlichen Raum‘.“ (Zit. bei: Köster 2005).
15
Mehrheit der tagebuchartig geführten Weblogs ist für die Kulturwissenschaften und die
Volkskunde von Interesse, obwohl – oder gerade weil?! – sie „im Geruch des Banalen und
Trivialen“ zu stehen scheinen (vgl. z.B. Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005). Diesem
Vorwurf sehen sich die privaten Weblog-Betreiber in der Diskussion, die gerade in den
klassischen Medien oder professionellen journalistischen Blogs häufig geführt wird, unter
anderem ausgesetzt:40 „Die Schreibenden seien exhibitionistisch motiviert, die Darstellung
alltäglicher Inhalte sei banal und somit uninteressant, außerdem stilistisch oftmals minderwertig.“41 Die Kritik am Schreibstil der Blogger wurzelt in der Vorstellung, das Recht,
etwas zu publizieren, stünde allein bestimmten, dem Schreiben verbundenen Berufsständen zu, etwa Journalisten, Autoren oder Wissenschaftlern (ebd.). Doch auch immer mehr
‚klassische‘ Medienformate wie Zeitschriften und Fernsehsendungen richten sich inzwischen ein Weblog ein, z.B. mit einer regelmäßigen Kolumne zu speziellen Themen oder
der Möglichkeit, kontroverse Ansichten per Videobeitrag zu diskutieren.42
2.3
Daten und Zahlen über die weltweite Blogosphäre
Um Weblogs für wissenschaftliche Analysen als Informationsquelle zu nutzen, be-
nötigt man relativ genaue Daten über Anzahl der Weblogs und die soziodemografische
Struktur der Blogosphäre. Genaue Zahlen über die Anzahl der aktiven und inaktiven Blogs
in einem Buch zu veröffentlichen wäre aufgrund des langen Entstehungsprozess eines
Buches und der daraus resultierenden Inaktualität von Fakten ineffizient. Aufgrund seiner
schnellen Aktualisierbarkeit ist daher das Medium Internet am ehesten geeignet, in kurzen
zeitlichen Abständen über die Zahl der Weblogs zu informieren. So gibt zum Beispiel die
Internetsuchmaschine Technorati, die sich auf Weblogs spezialisiert hat, in relativ regelmäßigen Abständen den „state of the blogosphere“-Report mit aktuellen Zahlen der welt-
40
Siehe dazu auch: Frackowiak, Henryk: Melle‘s Liste. http://www.nicola-doering.de/images/spiegel-diary.html. Erstellt am
13.11.2000 (Stand: 27.04.07). In diesem, für die Internet-Ausgabe des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL verfassten
Artikel echauffiert sich der Autor zum einen über Homepages, „auf denen die Autoren ihr Privatleben online stellen, ohne dass ein Redakteur die Zeilen korrigiert hätte“ (Frackowiak 2000). Dies verweist wieder auf die Annahme von Berufsjournalisten, sie hätten das alleinige Recht zum Veröffentlichen von Texten und Gedanken. Des Weiteren kritisiert er
sogenannte „Webringe“, die gemeinsam angeblich triviale Texte „ins Netz pressen“ würden um somit Aufmerksamkeit
auf die eigenen Homepages und Online-Tagebücher zu lenken. Kleine private Einblicke in ein fremdes Leben sollen
zum Besuch der Homepage verlocken. Die Art der Beiträge vergleicht er mit „ein-Personen-Seifenopern“.
41
Wolf, Anneke: Diaristen im Internet. Vom schriftlichen Umgang mit Teilöffentlichkeiten, in: kommunikation@gesellschaft 3
42
Z.B. der „polylog fightclub“, das Vlog der ARD-Sendung polylux, das wöchentlich zwei kontroverse Videobeiträge zu
(2002), Beitrag 6, S. 4. Online-Publikation: http://www.soz.uni-frankfurt.de/K.G/B6_2002_Wolf.PDF (Stand: 18.04.07).
einem Thema veröffentlicht (z.B. Dopingfreigabe, Organspende, Rente ab 70) und diese diskutieren lässt
(http://www.polylog.tv/fightclub/; Stand: 07.06.07).
16
weiten Blogs und ihrer Wachstumsraten heraus: Im Report von Oktober 200643 werden
mehr als 57 Millionen Weblogs weltweit genannt. Monatlich kommen etwa 3 Mio., täglich
etwa 100.000 neue Blogs hinzu. Beim graphisch dargestellten Wachstum (s. Anhang,
Abb.1) lässt sich erkennen, dass dieses zu Beginn der Messung bei Technorati ab März
03 noch relativ langsam und gleichmäßig zugenommen hat und seit dem Jahreswechsel
04/05 sprunghaft angestiegen ist. Etwa alle 240 Tage verdoppelt die gesamte Blogosphäre ihre Größe. Mehr als 1,5 Mio. Beiträge werden täglich veröffentlicht, das bedeutet fast
20 Beiträge pro Sekunde!
Im Hinblick auf die deutsche Blogosphäre ist es nicht so einfach, an genaue Zahlen wie im Technorati-Report zu gelangen. In seinem Weblog hat Jan Schmidt Zahlen
zwischen 1,4 Millionen und 1,7 Millionen Weblogs in Deutschland genannt, darunter etwa
500.000 aktiv geführte.44 Er bezieht sich bei seinen Angaben auf den “Digital Life Report
2006″ von TNS Infratest45 und erweitert diesen aufgrund seiner Überlegungen zur aktiven
Blogosphäre.
Auch wenn berücksichtigt werden sollte, dass viele Blogs nur wenige Wochen aktiv betrieben werden und nur zum ‚Ausprobieren‘ registriert wurden, zeigen diese Zahlen
doch deutlich, dass es sich bei Weblogs nicht nur um ein Kurzzeit- oder Einzelphänomen
handelt. Obwohl natürlich nicht vorhergesagt werden kann, wie sich das Wachstum und
die Nutzungshäufigkeit in den nächsten Jahren weiter entwickelt darf meines Erachtens
davon ausgegangen werden, dass eine große Anzahl an Blogs über mehrere Jahre hinweg betrieben wird. Eine ‚Betriebsdauer‘ von etwa 3-5 Jahren ist ja auch vielen handschriftlichen, nicht-öffentlichen Tagebüchern eigen, die z.B. während der Pubertät geführt
werden.
2.4
„Wie ich blogge?!“ - Soziodemografisches Nutzerprofil
Obwohl die Zahl der Weblogs in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen ist und
diese Zahlen auch relativ genau aufgelistet werden können, liegen über die soziodemografischen Merkmale der Blogger, ihre Beweggründe und ihre Blog-Praktiken kaum exakte empirische Daten vor. Um diese Wissenslücke ein Stück weit zu füllen sind, neben an-
43
http://technorati.com/weblog/2006/11/161.html (Stand: 07.04.07)
44
http://www.bamberg-gewinnt.de/wordpress/archives/556. Erstellt am 25.09.2006 (Stand: 22.05.07).
45
http://www.tns-infratest.com/03_presse/Presse/20060920_TNS_Infratest_Weblog_Lifereport.pdf (Stand: 22.05.07).
17
deren Forschungsstellen und Internetberatungsfirmen46, Jan Schmidt und Martin Wilbers
im Jahr 2005 in einer Umfrage mit dem Titel „‘Wie ich blogge?!‘ Die Weblog-Umfrage
2005“ folgenden Fragen nachgegangen: Welche Personengruppen nutzen Weblogs aus
welchen Gründen? Was zeichnet ihre Nutzungsweisen aus? Welche Erwartungen haben
sie an das Genre? (Schmidt/Wilbers 2006: 4).
Insgesamt nahmen fast 5.300 Personen an der deutschsprachigen Online-Umfrage teil,
die Mehrheit der Teilnehmer folgte dabei im Schneeballsystem den (graphischen) Hinweisen auf die Umfrage in Weblogs. Für die aktive deutschsprachige Blogosphäre47 sind die
Ergebnisse laut den Autoren durchaus aussagekräftig, auch wenn sie sonst keinen Anspruch auf statistische Repräsentativität erheben können. 84% der Umfrageteilnehmer führen aktiv ein oder mehrere Weblogs. Der typische Blogger dieser Gruppe ist etwa 30 Jahre alt, weist eine hohe formale Bildung auf (zu über 40% Abitur/Matura und zu knapp 30%
Fach- bzw. Hochschulabschluss) und befindet sich häufig noch in schulischer oder studentischer Ausbildung. Das Geschlechterverhältnis bei den aktiven Bloggern ist recht
ausgeglichen, wobei bei den Bloggern unter 20 Jahren Frauen einen höheren Anteil als
Männer ausmachen.
Die am häufigsten genannten Gründe des Weblogbetreibens sind reiner Spaß,
Freude am Schreiben, das Festhalten von Geschehnissen und Einfällen, gefolgt vom Austausch mit anderen über Ideen und Erlebnisse sowie „Gefühle von der Seele zu schreiben“. Kontaktpflege und -aufnahme mit Freunden, Verwandten oder anderen Bloggern
sind auch noch häufig genannte Gründe, seltener sind berufliche oder sonstige Gründe.
Der Grund der Kontaktpflege, begünstigt durch die Möglichkeit, Beiträge zu kommentieren48, schlägt sich auch dahingehend nieder, dass knapp 70% der Blogbetreiber angeben
zu wissen, dass ihre Freunde ihr Weblog lesen.
46
Zahlen und Fakten über die europäische Blogosphäre (Stand: Juni 2005) finden sich unter anderem auf
http://www.eu.socialtext.net/loicwiki/index.cgi?the_european_blogosphere; andere Statistiken listen häufig lediglich
Blogs mit bestimmten Voraussetzungen auf, z.B. RSS-Verfügbarkeit (ein Nachrichtenformat, welches das Abonnieren
von Blogs bzw. deren Einträgen ermöglicht), z.B. www.blogstats.de. Meist kann man auf den Internetseiten der Weblog-Anbieter sehen, wie viele Blogs aktuell von dem jeweiligen Host gestützt und betrieben werden (z.B.
http://www.20six.de/ mit 37.092 Mitgliedern oder http://www.myblog.de/ mit 483.024 Mitgliedern; Stand: 31.07.07).
47
Unter den Teilnehmern waren insgesamt gut 80% aus Deutschland, knapp 10% aus Österreich, knapp 6% aus der
48
Fast 97% der Blogbetreiber gestatten ihren Lesern das Recht auf diese Art der Interaktion, 2/3 der Blogger verlangen
Schweiz und etwa 4% aus anderen Ländern.
dazu keine vorherige Registrierung. Allerdings wird diese Möglichkeit, nach Einschätzung eines durchschnittlichen Wertes durch den Blogbesitzer, nur selten wahrgenommen. Nur bei Blogs, die bereits länger als ein Jahr betrieben werden,
werden Beiträge tendenziell häufiger kommentiert. Lediglich ein kleiner Teil der Blogger reagiert nicht auf Kommentare.
Die meisten jedoch nutzen die Möglichkeit, auf andere Kommentare zu reagieren oder nachträglich ihre Beiträge durch
einen eigenen Kommentar zu ergänzen oder zu editieren.
18
Deshalb sind die meistgenannten Beiträge auch dem Privatleben zuzuordnende
Anekdoten (72%), Bilder und Fotos (55%), Berichte aus Studium, Schule oder Beruf
(55%) sowie kommentierte Netz-’Fundstücke’ (48%). Aktuelle politische oder berufsbezogene Themen sowie fremde Texte, Gedichte und Liedtexte sind ebenfalls mit jeweils rund
30% noch angegeben. Lediglich 2-3% nutzen die Möglichkeit des Einstellens von Filmoder Audiodateien.
Die Themen ‚Anonymität‘ und ‚Privatsphäre‘, auf die im folgenden Kapitel noch
näher eingegangen wird, beschäftigen Blogger natürlich. Fast 70% der Blogger können
immerhin angeben, dass ihnen persönlich unbekannte Personen ihre Beiträge lesen. Jedoch versteckt sich lediglich ein knappes Drittel der Blogger hinter einem Pseudonym
oder bloggt anonym. Gut 70% geben indirekt in ihren Texten oder direkt auf einer sogenannten „about me“-Profilseite Hinweise auf ihre Identität. Die systematische Auswertung
einer an die Frage nach der Anonymität angeschlossenen offenen Frage nach den Gründen für Offenheit bzw. Anonymität ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse noch nicht erfolgt.
3
Weblogs in kulturwissenschaftlicher Betrachtung
Weblogs werden häufig auch als Internet- oder Online-Tagebücher bezeichnet.
Die Verwandtschaft von einem handschriftlich in einem gebundenen Buch oder Heft geführten Tagebuch und einem virtuellen, online öffentlich zugänglichen Weblog wird beim
Blick auf den Inhalt evident, der zu großen Teilen, wie in Diskussionen kritisiert, aus Privatem und Banalem besteht. Private Tagebücher der letzten Jahrhunderte, Reiseaufzeichnungen, Notiztagebücher, Bekenntnis-/ Reflexions- bzw. Meditationstagebücher sowie
kalendarisch geführte Geschäftstagebücher49 sind schon seit Längerem in den Kanon der
volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Forschung eingegangen, ob als Quelle für die Erforschung des Alltags oder als Forschungsgegenstand per se. Aufgrund ihrer weiten Verbreitung, des massenphänomenhaften Charakters und des Eindringens der (Internet)Technik in den Alltag des „industrialisierten Menschen“50 ist es wichtig, dass auch Weblogs sowohl quantitativ als auch qualitativ ausgewertet und als volkskundliche Quellen he-
49
Henning, Eckart: Selbstzeugnisse, in: Beck, Friedrich und Eckart Henning (Hg.): Die archivalischen Quellen. Eine Einfüh-
50
Hengartner, Thomas: Zur „Kultürlichkeit“ von Technik. Ansätze kulturwissenschaftlicher Technikforschung, in: Schweizeri-
rung in ihre Benutzung. Weimar 1994, S.107-114, hier: 107f.
sche Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (Hg.): Technikforschung: Zwischen Reflexion und Dokumentation. Tagung der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften vom 12. und 13. November 2003 in
Bern. Bern 2004, S.39-57, hier: 39.
19
rangezogen werden.
In diesem Kapitel soll zunächst die Kulturwissenschaftliche Technikforschung im
Hinblick auf Internet bzw. Weblogs dargelegt werden. Im Anschluss daran wird die Entwicklung des Weblogs bzw. des Internet-Tagebuchs skizziert sowie kurz die Analogien
zum klassischen Tagebuch erörtert. Der eklatanteste Unterschied zwischen On- und Offline-Tagebüchern, die Gegenwart einer (Teil-)Öffentlichkeit und die damit einhergehenden
speziellen Praktiken der Blogger, z.B. das Anonymisieren von Einträgen bzw. Weblogs,
wird genauer beleuchtet, bevor Weblogs auf ihren Quellenwert untersucht werden und die
dabei nötige Quellenkritik geübt wird.
3.1
Kulturwissenschaftliche Technikforschung
Beim Forschungsbereich „Technik“ liegt es nahe, an Wissenschaften zu denken,
die per definitionem mit Technik verbunden sind, so alle Fächer mit „-technik“ im Namen;
doch diese Zuordnung ist inzwischen veraltet und zu begrenzt. Mit den technischen Rahmenbedingungen der Weblogs und internettechnischen Neuerungen beschäftigt sich z.B.
die Informatik; die Veränderungen der deutschen Sprache, bedingt durch den Wandel der
interpersonalen Kommunikation mittels Neuer Medien, Mobiltelefone und Email analysieren speziell Germanisten und Linguisten. Die Markt- und Sozialforschung erforscht ihrerseits weniger den technischen oder kommunikativen Wandel als vielmehr die Person
„Internetuser“, zum Beispiel zu wirtschaftlichen und produktionsorientierten Zwecken.51
Obgleich die Beschäftigung speziell mit Weblogs in der Volkskunde und ihrer verwandten Disziplinen unter den Kulturwissenschaften, wie sich anhand der sehr geringen
Literaturauswahl andeutet, noch sehr gering ausfällt, scheint doch die generelle Forderung, die Technikforschung in den Themenkanon aufzunehmen, überflüssig (Hengartner
2004: 39). So hat sich zum Beispiel bereits der Deutsche Volkskunde-Kongress 1991 den
„industrialisierten Menschen“52 zum Thema seiner Vorträge erwählt: Den Menschen, der
während der dritten großen Industrialisierungswelle53 lebt und dessen Leben geprägt ist
vom Ein- und Durchdringen der Technik in seinen Alltag: Vom technologischem Wandel in
51
„Qualitative Methoden haben einen festen Platz in der Erforschung der Internetnutzung, in der Evaluation von Webauftritten und in der Produktentwicklung von Applikationen.“ Badran, Jacqueline und Ina Hedwiger: Qualitative Methoden in
der User-Forschung – Plädoyer für ein verkanntes Untersuchungsdesign, in: Verband Schweizer Markt- und Sozialforscher (Hg.): Jahrbuch 2006. Cham 2006, S.52-55. Online unter: http://blog.nutzbar.ch/files/Artikel_Badran_Hedwiger_
2006-07-03.pdf (Stand: 02.05.07).
52
"Der industrialisierte Mensch", 28. Deutscher Volkskundekongress, 7.-11. Oktober 1991 in Hagen.
53
Als erste und zweite Industrialisierungswelle gelten allgemein die Erfindung der Dampfmaschine sowie der Siegeszug der
Mechanik bzw. des Elektromotors.
20
Beruf und Verkehr, den Veränderungen der Faktoren Zeit und Kommunikation, der Verstädterung und der geforderten persönlichen Mobilität, die ein langes Verweilen an einem
Ort, ein sesshaft Werden, erschwert. Auch dieser Aspekt der Industrialisierung müsse zu
einem Forschungsgegenstand der Volkskunde und Kulturwissenschaften werden, „wenn
wir Industrialisierung als einen gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozess begreifen
wollen, der den Alltag und die Verhaltens- und Denkmuster von Menschen nachhaltig
verändert hat“54.
Doch trotz dieser Forderung nach Beobachtung der Einflüsse der Industrialisierung
sowie der Technisierung auf das Individuum und sein gesellschaftliches wie privates Leben wurde die „Beobachtung der wachsenden Verflechtungen von Mensch und Technik“,
die nach Hengartner den Ausgangspunkt einer Technikforschung durch die Kulturwissenschaften darstellt, bisher weitgehend vernachlässigt. Statt ihrer wurde sich bisher bevorzugt mit technischen Artefakten beschäftigt. Aber „Mensch und Technik stehen sich längst
nicht mehr gegenüber; im Gegenteil: Technik hat sich in Kultur, Gesellschaft und den
Menschen regelrecht eingeschrieben [...]“ und den Menschen dazu gebracht, ihr Werthaltungen und Verhaltenscodes zuzuschreiben (Hengartner 2004: 39f.). Die Technik und das
Technische hat sich in den Alltag der Menschen, seine Wissens-, Handlungs-, Orientierungs- und Kommunikationssysteme eingeflochten und ist daraus kaum mehr wegzudenken, wie das Beispiel des Telefons, in der heutigen Zeit sogar seines Nachfolgers, des
Mobiltelefons, verdeutlicht. Das Kommunikationsverhalten hat sich dadurch in den letzten
Jahren gravierend geändert: Jugendliche kommunizieren vermehrt schriftlich, per SMS55,
Email oder Instant Messenger56 am heimischen PC miteinander, bevor sie telefonieren
oder gar persönlich, Auge in Auge, miteinander reden.57 Diese „computermediierte Kommunikation“ (Hengartner 2007) bietet fruchtbaren Forschungsboden für eine Volkskunde,
54
Lipp, Carola: Der industrialisierte Mensch. Zum Wandel historischer Erfahrung und wissenschaftlicher Deutungsmuster,
in: Dauskart, Michael und Helge Gerndt (Hg.): Der industrialisierte Mensch. Vorträge des 28. Deutschen VolkskundeKongresses in Hagen vom 7. bis 11. Oktober 1991 (= Forschungsbeiträge zu Handwerk und Technik, Bd. 5). Münster
1993, S. 17-43, hier: 18.
55
Kurze Textmitteilungen die per Mobiltelefon verschickt werden.
56
Instant Messenger wie icq oder msn bieten schriftliche Echtzeit-Kommunikation durch Textnachrichten, die mit Hilfe der
57
Diese neue Form von indirekter Kommunikation, die sich zum Beispiel durch SMS inzwischen nicht nur in der Teenager-
Messaging Systeme zwischen zwei Computern übermittelt werden (siehe z.B. www.itwissen.info )
Generation etabliert hat, hat zu enormen Veränderungen der Sprache geführt, was Akronyme wie hdl, cul8r etc. deutlich
machen, die zum Teil bereits Eingang in den deutschen Wortschatz gefunden haben. ‚hdl‘ steht für die aneinander gereihten Anfangsbuchstaben des Ausdrucks „hab dich lieb“, ‚cul8r‘ entspricht dem englischen Ausdruck „see you later“,
wobei die Zahl 8 der englischen Aussprache gemäß die Buchstabenfolge „ate“ ersetzt. Diese Art von Ausdrücken findet
sich sowohl in den erwähnten Kurzmitteilungen per Mobiltelefon als auch in diversen Chatrooms oder Internetforen.
Siehe für weitergehende Informationen: Schlobinski, Peter (Hg.): Duden Thema Deutsch 7. Von hdl bis cul8r. Sprache
und Kommunikation in den neuen Medien. Mannheim 2006.
21
die sich mit Internetforschung beschäftigen mag und zum Beispiel „geschlechtsspezifisches Kommunikationsverhalten in Computernetzen“ untersucht (Hengartner 2007: 207).
Daraus leitet Hengartner für die kulturwissenschaftliche Technikforschung folgende Fragestellung ab (Hengartner 2004: 41ff): sie müsse „untersuchen, wie (d.h. zunächst
etwa auf welchen Wegen), wie sehr, insbesondere aber auch mit welchen Konsequenzen
und Folgen sich Technik in die Art und Weise der Lebensgestaltung eingeschrieben hat
und weiterhin einschreibt (etwa hinsichtlich Handlungspotenzialen, -anforderungen und –
dispositiven).“ Ihm reicht es nicht, wenn sich eine Technikforschung mit technischen Objekten bzw. Komplexen oder dem Umgang des Menschen mit technischen Artefakten beschäftigt, vielmehr müsse sich „dem ‚Sitz der Technik im Leben‘“ zugewandt werden, der
sich durch den Einfluss des Technischen in alle Bereiche des menschlichen Lebens offenbart. „Technik als kulturelle Erfahrung“ stehe im Mittelpunkt einer kulturwissenschaftlichen Technikforschung. Diese erschließt sich erstens über die Analysen sowohl des Auftretens von technischen Neuerungen im Laufe und Wandel der Zeit, der Aufnahme dieser
Technik im Alltag der Menschen, den Umgang damit, der sich in auszuhandelnden Nutzungskonventionen niederschlägt. Außerdem durch Untersuchung der nach und nach geschehenden Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche durch die Technik, „wie es als
Signatur der Moderne beschrieben werden kann“. Diesen Prozess der technischen
Durchdringung des Alltags, „den leisen Sog, sich tiefer auf Technik einlassen zu müssen“,
bezeichnet Hengartner als „Gewohntsein“ und spricht diesem Aspekt einen gewissen äußeren „Zwang zur Internalisierung“ zu. Zweitens steht nach Hengartner die „innere Technisierung“ des Menschen, sein biographischer Umgang mit neuen Techniken, im Mittelpunkt der Forschung, seine Aneignungs-, Umgangs-, Bewertungs- und Bewusstseinsformen, die Veralltäglichung des Technischen. Diese innere Technisierung vergleicht er mit
dem Begriff der „Gewöhnung“ nach Hermann Bausingers Klassiker zur „Volkskultur in der
technischen Welt“ den er dem Gewohntsein zur Seite stellt. Er verspricht sich vom analytischen Zugriff „auf Vermittlungs-, Verstehens- und Lernprozesse wie auf Deutungsmuster
von Technischem, zum Beispiel Sozialisations-, Generations-, Technikstil-, aber auch
Genderfragen erfassen zu können.“ (ebd.).
Auch der Hamburger Forschungskreis um Klaus Schönberger widmet sich der Untersuchung von ‚Gewohntsein‘ und ‚Gewöhnung‘ wie bei Hengartner zitiert: „Während es
im ersten Teilbereich darum geht, anhand von lebens- und alltagsnahen Quellen die Erfahrungsgeschichte der Technik in und seit der Moderne nachzuzeichnen, widmet sich
der zweite Teilbereich im Anschluss daran der rezenten biographischen Erfahrung von
Technik in multiplen Modernen.“ (Hengartner 2004: 54). Oder anders formuliert: „Im kulturwissenschaftlichen Sinne stehen also die Akteure und ihr jeweiliger Umgang mit dem
22
Medium im Zentrum der Betrachtung“ (Wolf 2002: 5). Eine Weblogforschung, die in der
Volkskunde bzw. den Kulturwissenschaften verortet ist müsse sich letztendlich „mit der
Einbettung von Nutzungspraxen in den Alltag sowie den generellen Veränderungen von
soziokulturellen Handlungs- und Kommunikationsmustern, die mit distinkten WeblogNutzungen verbunden sind“ befassen (Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005: 3). Dabei
sind besonders die „alters- und/oder geschlechtsspezifischen Ausgestaltungen des
Aneignungsprozesses und von Umgangsformen mit dem Internet“ von Interesse (Hengartner 2007: 206). Die kulturwissenschaftliche Technikforschung könne damit neben anderem „einen substanziellen Beitrag zur Abschätzung der Folgen von Technik – nämlich
jener für Mensch und Kultur – liefern.“ (Hengartner 2004: 54). Geschehen ist dies allerdings bis zum jetzigen Zeitpunkt so gut wie nicht, obwohl Thomas Hengartner bereits
2001 zu erkennen glaubte, dass sich
„zumindest in Ansätzen, Umrisse eines ‚Forschungsfeldes Internet‘
ab[zeichnen], wobei die Beschäftigung mit der Thematik bis heute weitgehend die
Domäne jüngerer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu sein scheint –
wohl nicht zuletzt in Verlängerung populärer Muster, wonach Kompetenz in Sachen Umgang mit Computer und Internet a priori Jüngeren zugeschrieben und von
diesen gleichzeitig auch erwartet wird.“ (Hengartner 2001: 202).
Dieser Forderung kommen ‚die jungen Wilden‘ wie Jan Schmidt und Anneke Wolf
bereits nach und es ist davon auszugehen, dass ihnen noch weitere folgen werden.
3.2
Tagebücher und Weblogs als Quellen
Tagebücher wurden bereits früh von verschiedenen Disziplinen als Analyseobjekte
gewählt. Während die (Jugend-)Psychologie sich bereits seit den 1920er Jahren mit,
überwiegend von weiblichen Jugendlichen verfassten, Tagebüchern beschäftigt, begann
eine empirische Auswertung von Tagebüchern erst in den 80er Jahren, allen voran die
„Shell-Jugendstudie“ von 1985.58 Die volkskundlich-kulturwissenschaftliche Forschung
hingegen beschäftigte sich ab der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts eingehender mit
Selbstzeugnissen und ihrem Wert als historische Quellen. In den 1950er Jahren erhob der
Volkskundler Hermann Bausinger die Forderung, das alltägliche, individuelle Erzählen
neben den bereits länger erforschten Gattungen wie Sage und Märchen in den Kanon der
58
Winterhager-Schmid, Luise: Mädchen als Trägerinnen der Kulturpubertät? Das Tagebuch als Ort der Selbstdeutung und
der Selbstverständigung, seine Bedeutung für die Erforschung der weiblichen Adoleszenz, in: Neue Sammlung 32
(1992), S.3-16, hier: 6f.
23
Volkserzählungen aufzunehmen.59 Denn seit dem zweiten Weltkrieg hatten Tagebücher,
neben Akten, Urkunden, Bildern und ähnlichen Zeugnissen, als „Gedächtnis“ der Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewonnen.60 In den 70er und 80er Jahren erlebten sie
mit anderen autobiographischen Quellen, Memoiren, Autobiographien und Briefen, eine
Renaissance auf breiterer Basis in den Geisteswissenschaften (Kalinke 2000: 9).
„Quellen nennen wir alle Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann.“61 Im Gegensatz zur Gruppe der um Objektivität bemühten Quellen, wie der Geschichtsschreibung wissenschaftlicher Autoren,
sind „Selbstzeugnisse“ wie Tagebücher, Autobiographien und Memoiren rein individuell
und subjektiv verfasst, unterscheiden sich aber von der (fiktiven) Literatur schon allein
durch die Intention ihres Verfassers, das Geschehene wahrheitsgetreu darzulegen (Henning 1994: 107). „Tagebücher (...) dienen der Niederschrift von Alltagsbegebenheiten und
Erfahrungen, Empfindungen und Gedanken etc., die mit der Person des Tagebuchführenden in einem – wie auch immer gearteten – Zusammenhang stehen“ (Henning 1994:
107). Ihren Wert als Quelle erhalten die Tagebuchaufzeichnungen aus ihren lebhaften
und farbigen Beschreibungen im Gegensatz zur trockenen Geschichtsschreibung. „Die
Farbigkeit, Frische und Spannung mancher Darstellung, der Wechsel von Belehrung und
Unterhaltung, die Atmosphäre des Privaten oder das Fluidum des Sensationellen, Anekdoten, präzise Situationsschilderungen, Sentenzen usw. machen den mitunter hohen literarischen Reiz dieser Quellen aus.“ (Henning 1994: 113; Hervorh. i. Orig.).
Unter die Definition von Paul Kirn fallen somit auch Weblogs, da es sich bei ihnen,
vergleichbar den literarischen Tagebüchern, um Texte handelt, mit deren Hilfe wir Kenntnis über in (näherer) Vergangenheit liegende Ereignisse gewinnen können. Ein großer
Vorteil der Weblogs, die als Quelle zur Untersuchung aktueller Ereignisse und ihrer Aufnahme, Wirkung, Diskussion in der Gesellschaft herangezogen werden ist, dass sie be-
59
Nach: Kalinke, Heinke M.: Zur Geschichte und Relevanz autobiographischer Quellen, in: ders. (Hg.): Brief, Erzählung,
Tagebuch. Autobiographische Dokumente als Quellen zu Kultur und Geschichte der Deutschen in und aus dem östlichen Europa. Referate der Tagung des Johannes-Künzig-Instituts für ostdeutsche Volkskunde vom 8./9. September
1999 (= Schriftenreihe des Johannes-Künzig-Instituts, Bd. 3). Freiburg 2000, S. 7-22, hier: 12.
60
Beck, Friedrich: Vorwort, in: Beck, Friedrich und Eckart Henning (Hg.): Die archivalischen Quellen. Eine Einführung in ihre
Benutzung. Weimar 1994, S.9-11, hier: 9.
Beispiele für Forschungen mithilfe von Tagebüchern sind: Becker, Siegfried: Dienstherrschaft und Gesinde in Kurhessen. Das Tagebuch des Johann Heinrich Stingel zu Niederwalgern als Quelle zur Geschichte der Lebens- und Arbeitswelt unterbäuerlicher Schichten im 19. Jahrhundert. Kassel 1991, sowie: Feldkamp, Ursula: Von "deutschen Indianern",
"häßlichen Negerschnuten" und einem "fixen Aesculap". Das Tagebuch der Geschwister Schreiber von 1852 an Bord
des Auswandererseglers "Goethe". Bremerhaven 1991. (Quelle: www.evifa.de).
61
Kirn, Paul: Einführung in die Geschichtswissenschaft (= Sammlung Göschen, Bd. 270). Berlin 1947, S. 28.
24
reits – quasi wie in öffentlich zugänglichen Archiven62 – vorliegen und nicht erst in langwierigen Interviews und Befragungen erhoben werden müssen. 63
Da regelmäßig geführte Weblogs ein sehr aktuelles Medium sind und meist eine
sehr kurze Zeitspanne zwischen Erlebtem und Niederschrift liegt, eignen sich Blogs gut,
um eine Rezeption von Ereignissen, „Events“, politischen Geschehnissen oder auch Trivialem wie Kinofilmen und Büchern in der Gesellschaft (der Blogger) zu erhalten. Gerade
Ereignisse wie große Sportveranstaltungen oder politische Machtwechsel werden gern
und zahlreich von der Blogosphäre kommentiert und, mit Hilfe der Kommentarfunktion,
auch häufig mit anderen Bloggern oder Lesern diskutiert. Durch Verlinkungen mit anderen
Blogs, die sich zu einem gleichen Thema zustimmend oder kontrovers geäußert haben,
entsteht eine regelrechte Konversation oder Diskussion, die weder im gleichen physischen Raum, noch zeitgleich geführt, dagegen aber auch nach längerer Zeit noch nachvollzogen und ausgewertet werden kann.
3.2.1 Der Faktor ‚Öffentlichkeit‘ bei Tagebüchern und Weblogs
Neben der inhaltlichen Ähnlichkeit von klassischem Tagebuch und Weblog – meist
private Anekdoten – ist eine weitere Gemeinsamkeit, dass die einzelnen Niederschriften
„schubweise in einer Serie einzelner Neuanfänge“ erfolgen und sich deutlich voneinander
differenzieren lassen (Henning 1994: 107). Handschriftliche Tagebücher in Buch- oder
Heftform sind zwar kein reines ‚Kind der Aufklärung‘, jedoch sind sie seit diesem Zeitalter
„als persönliches Dokument im Sinne eines Selbstzeugnisses“ (Wolf 2002: 1) vermehrt
aufzufinden. In dieser von Vernunft und Mut zur geistigen Emanzipation geprägten Epoche ging der Mensch als persönliches, sich selbst begreifendes Individuum aus dem bis
dato gültigen Konzept „bei dem [...] der einzelne als Bestandteil einer umfassenden göttli62
Tagebucharchive gibt es etwa seit den 1980er Jahren in ganz Europa und ermöglichen Wissenschaftlern und auch Privatleuten einen Einblick in frühere Zeiten sowie umfangreiches Forschungsmaterial. Besonders hervorzuheben wären hier
das Kempowski Archiv für europäische Tagebücher (etwa 7.000 Positionen und 300.000 Alltagsfotografien, seit 2006 in
der Akademie der Künste in Berlin zu finden), das Archivio Diaristico Nazionale in der italienischen Kleinstadt Pieve
Santo Stefano, die sich stolz „Città del diario“ (Stadt des Tagebuchs) nennt und seit 1984 über 4.500 Dokumente angesammelt hat, sowie das 1998 gegründete Deutsche Tagebucharchiv e.V. in Emmendingen, das ebenfalls 4.500 Objekte
vorweisen kann (vgl. Gabrielli, Patrizia: Tagebücher, Erinnerungen, Autobiografien. Selbstzeugnisse von Frauen im
Archivio Diaristico Nazionale in Pieve Santo Stefano, in: L‘Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft
15
(2004),
Heft
1,
S.
345-352.;
http://kempowski.de/archiv.htm
(Stand:
29.04.07);
http://www.archiviodiari.it/tedesco.html (Stand: 29.04.07); http://www.tagebucharchiv.de/ (Stand: 29.04.07)). Auf der
Seite des Archivio Diaristico Nazionale finden sich ebenfalls Informationen über die Associazione Europea per l'Autobiografia (Aea), die Europäische Vereinigung für Autobiographien (eig. Übersetzung), die ihren Sitz im französischen
Carcassonne hat.
63
Ältere Posts werden in vielen Blogs in der Kategorie „Archiv“ gespeichert und sind über diese mittels eines Links zugänglich, ähnlich wie ältere Artikel in der Datenbank einer Zeitung oder Zeitschrift, die im Internet zugänglich ist.
25
chen Ordnung begriffen wurde“ und sich nach Kant64 nicht seines eigenen Verstandes ohne die Leitung anderer bedienen konnte hervor (Wolf 2002: 1). Dieser gesellschaftliche
Wandel, durch den der Mensch sich zum ersten Mal selbst bewusst wurde, schlägt sich in
einem gesteigerten Aufkommen von privaten, persönlich verfassten Dokumenten wie Tagebücher, Briefkorrespondenzen oder Autobiographien nieder. Besonders in schwierigen
politischen und gesellschaftlichen Zeiten ist es Menschen über die Jahrhunderte ein Bedürfnis gewesen, sich wenigstens ihrem Tagebuch gefahrenlos anzuvertrauen, wie das
berühmte Beispiel der Tagebücher der Anne Frank zeigt. Die so über die Jahre entstandenen Selbstzeugnisse unterschiedlichster Art – z.B. private Tagebücher, Reiseaufzeichnungen, Notiztagebücher, kalendarisch geführte Geschäftstagebücher u.a. (Henning
1994: 107f) – haben verdientermaßen Einzug in den sogenannten volkskundlichen Kanon
gefunden als Quelle für die Erforschung des Alltags, individueller Biographien oder die
Praxis des Tagebuchschreibens per se.
Das Tagebuch ist gemäß seiner Natur der Niederschrift des Privaten und Intimen
an den Verfasser selber gerichtet und war zu Beginn seiner gesellschaftlichen Verbreitung
nicht für eine wie auch immer geartete Öffentlichkeit gedacht. Ausnahmen von dieser Regel sind solche Tagebücher, die von vornherein an einen bestimmten Adressaten geschrieben wurden, z.B. Nachkommen, Verwandte oder einen abwesenden Ehe- oder Lebenspartner. Außerdem Tagebücher, die bereits mit der Intention, sie später veröffentlichen zu lassen, geschrieben werden, vorwiegend von Personen des öffentlichen Interesses (Wolf 2002: 2.), was zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufkam und das klassische Tagebuch aus der Verbindung mit der Privatsphäre des Verfassers löste. 65
Hierin lässt sich das Hauptkriterium zur Unterscheidung des klassischen, privaten
Tagebuchs und des virtuellen Tagebuchs bzw. Weblogs sehen: eine mehr oder weniger
64
Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, in: Berlinische Monatsschrift, Dezember-Heft (1784),
65
An Beliebtheit gewann das nach dem Tod des Verfassers veröffentlichte Tagebuch deshalb, „weil es als Dokument die
S.481-494. Online unter: http://www.uni-potsdam.de/u/philosophie/texte/kant/aufklaer.htm (Stand: 17.04.07).
anthropologische Beobachtung gewährte. Das absichtlich verfasste Tagebuch hat durch die Absichtlichkeit den Charakter des echten Dokuments eingebüßt und wechselt dadurch als Diskurstyp in einen anderen Status über. Dieser ist
nicht mehr alleine von einer Wahrnehmung und deren ich-bezogener Aufzeichnung bestimmt, sondern, wie jeder literarische Text, von Strategien der Kommunikation und Leserbeeinflussung.“ (Picard, Hans Rudolf: Das Tagebuch als Gattung, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 138 (1986), S.17-25, hier: 20f.).
Diese Beschreibung liefert sowohl den Hauptunterschied des modernen Online-Tagebuchs zum privaten Reflexionstagebuchs, als auch die Hauptgemeinsamkeit des Online-Tagebuchs zum literarischen Tagebuch.
26
große, teilweise unbekannten Lesergruppe, die Zugang zu dem Werk hat.66 Dieser Gruppe
ist sich der Verfasser des Weblogs bewusst. Dies widerspricht den Assoziationen von Intimität, Privatsphäre und Geheimhaltung, die beim klassischen Tagebuch geweckt werden
(Wolf 2002: 4). Verfasser von Weblogeinträgen sind sich also von vornherein im Klaren
darüber, dass ihre Texte, Meinungen, Fundstücke und Bilder von einer unabsehbar großen Öffentlichkeit wahrgenommen werden können. Zwar kann der Blogger aufgrund von
Reaktionen auf seine Texte, z.B. Kommentare oder Gästebucheinträge, einen Teil der
Öffentlichkeit, die seine Veröffentlichungen liest abschätzen, die Dunkelziffer ist jedoch
auch mit sogenannten ‚Countern‘, die die Besucher der Seite zählen, nur zu erahnen. Je
nach ‚Aktionsradius‘ des jeweiligen Bloggers sieht er sich nach einer gewissen Zeit drei
Arten von Besuchern und Lesern des Blogs gegenüber: Reale Bekannte, Freunde, Verwandte, die von der Seite wissen, Personen aus der Blogosphäre oder ähnlichen virtuellen Gemeinschaften sowie letztendlich noch anonyme, unbekannte Leser (Wolf 2002:
5f).67 Diese Diskrepanz zwischen einem gewollten Leserkreis und der „lesenden ‚Öffentlichkeit an sich‘“ (Wolf 2002: 4) erfordert „von den Schreibenden Praxen, die sich zwischen dem Spannungsfeld bekannter Leserkreise und prinzipiell Jedermann bewegen“
(Wolf 2002: 5). Diese sollen im Folgenden näher beleuchtet werden.
3.2.2 Umgang mit Öffentlichkeit in Weblogs
Die Diskussion um das Veröffentlichen von privaten, persönlichen und in gewisser
Weise intimen Themen im öffentlich zugänglichen Medium Internet ist ein wichtiger und
raumeinnehmender Teil der allgemeinen Diskussion um Online-Tagebücher und Weblogs. Das Öffentlichkeitsverständnis, das dieser Diskussion zugrunde liegt, ist mehrere
hundert Jahre alt und stammt aus dem Zeitalter der Aufklärung, welche „eine klare dualistische Trennung zwischen einer öffentlichen und einer privaten Sphäre als Idealtypus annimmt“ (Wolf 2002: 16). Häufig werden Blogger in der Kritik um Privatleben und öffentliche
Selbstdarstellung in einem Atemzug mit Fernseh-Talkshows und Reality-Soaps genannt,
66
‚Öffentlichkeit‘ ist im Internet zwangsläufig gegeben, da alle Inhalte, wenige passwortgeschützte Seiten ausgenommen,
öffentlich zugänglich sind. Dennoch sind private Homepages zu Anfang „in der Datenmasse einigermaßen versteckt“
(Hengartner 2001: 204). und werden daher meist eher spärlich besucht. Weblogs werden jedoch fast ausschließlich dazu geführt werden, private Meinungen, Erfahrungen, Kritiken, Lebensbeschreibungen, wissenschaftliche Unterlagen,
Gedanken etc. den Lesern, seien es Freunde, Familie, Kollegen oder Fremde, zugänglich zu machen. Daher ist es essentiell, im Internet Aufmerksamkeit zu erregen um bei einer größeren Öffentlichkeit – oder zumindest dem gewünschten Leserkreis – Beachtung zu finden. Eine effektive Möglichkeit dafür ist das Kommentieren in fremden Weblogs oder
Gästebüchern und das Hinterlassen der eigenen Web-Adresse.
67
Bestimmte Elemente der Öffentlichkeit, die enger mit dem Blogbetreiber vertraut oder bekannt sind und ebenfalls eine
Homepage oder ein Weblog betreiben, können durch Aufnahme in die Blogroll oder durch Verlinkung innerhalb eines
Textes Mitglied des „Inner Circles“ (Wolf 2002: 13), eines ‚elitären‘ Kreises der betreffenden Öffentlichkeit werden.
27
in denen Menschen ihr Seelenleben einer mehr oder weniger großen, unbekannten Öffentlichkeit präsentieren (Wolf 2002: 16) – ob diese Öffentlichkeit das alles wissen oder
sehen will, sei dahin gestellt. Der Vorwurf der Trivialität, Banalität und Irrelevanz wird häufig in den klassischen Medien, besonders von Journalisten und sich selbst so empfindenden ‚echten‘ Autoren laut.
„Das natürliche Bedürfnis, sich gegenüber der fremden anonymen Masse zu
schützen, scheint mit dem Wunsch nach der Bekanntmachung des Privaten zu ringen.“
(Frackowiak 2000). Dieser Wunsch, nicht erst postum durch Biographien oder im hohen
Alter veröffentlichte Memoiren wahrgenommen und bekannt zu werden, ist nicht unähnlich
dem Ansinnen derjenigen, die ihre Tagebücher noch zu Lebzeiten in Archiven zugänglich
machen: „Vor jeder Person, die ihren Text für die Lektüre zur Verfügung stellt, öffnet sich
eine neue Möglichkeit von ziviler Freiheit zur Befriedigung eines primären und realen Bedürfnisses: demjenigen, seine eigene Identität über das physische Leben hinaus dauern
zu lassen.“68
Um mit diesen Teilöffentlichkeiten, denen sie ihre privaten Details zugänglich machen, umzugehen, stehen Bloggern spezielle Praxen zur Verfügung. Den „exhibitionistischen Offenbarungen“ (Wolf 2002: 4), die den Bloggern in der öffentlichen Kritik vorgeworfen werden, können diese auch entgegenwirken bzw. sie entkräften: Z.B. durch Verschweigen und Auslassen bestimmter Bereiche ihres Privatlebens, ihres Namen, ihrer
Herkunft und anderer Hinweise, die auf ihre „reale“ Identität hinweisen können. Diese
„Verschleierungstaktik“ wird gelegentlich direkt in den Blogposts thematisiert bzw. begründet. Wie allerdings bereits in der Umfrage „Wie ich blogge?!“ herausgefunden wurde,
nutzen nur wenige Blogger diese Möglichkeit, die meisten von ihnen stehen offen zu ihren
Texten indem sie Hinweise direkter oder indirekter Art auf ihre Identität geben.
Auch besondere stilistische Praktiken, die den Umgang mit mehr oder weniger bekannten (Teil-)Öffentlichkeiten und die daraus resultierenden Spannungen regeln und zu
handhaben helfen, können bei Weblogeinträgen beobachtet werden. So gibt z.B. der Vokativ, die direkte Anrede der Leser oder deren Verabschiedung am Ende des Textes Aufschluss darüber, dass sich der Autor deren virtuelle Anwesenheit bewusst ist und somit
einen Dialog oder eine direkte Unterhaltung simuliert (Wolf 2002: 9). „Durch das generelle
Eingehen auf den Leser durch sprachliche Mittel wie die direkte Anrede, wird das Bewusstsein über eine Öffentlichkeit seitens des Schreibers wiederum an eben jene kommuniziert. Der Leser weiß, dass der Schreiber weiß, dass er beobachtet wird.“ (Wolf 2002:
9f). Noch bewusster mit dem Spannungsfeld zwischen Öffentlichkeit und Intimität spielen
68
http://www.archiviodiari.it/tedesco.html (Stand: 29.04.07).
28
diejenigen Homepagebesitzer, die mit der Installation einer Webcam gleichsam ein „virtuelles Schlüsselloch“ zu ihrer Privatsphäre schaffen (Hengartner 2001: 204). Trotzdem
haben sie selber in der Hand, welchen Ausschnitt aus ihrem Leben sie den Besuchern
ihrer Seite zeigen wollen.
Die Tatsache, dass sich die Weblogs im Blickpunkt der Öffentlichkeit befinden,
bringt natürlich auch eine gewisse Erwartungshaltung von Seiten dieser Öffentlichkeit mit
sich. Der Weblog-Autor ist ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung seiner Texte einer öffentlichen Leserschaft ausgesetzt und gezwungen entsprechend zu agieren. ‚Das Internet‘, personifiziert durch die Gemeinschaft derer, die Zugang zum Weblog findet, stellt eine gewisse normative Anforderungs- und Erwartungshaltung an jeden Einzelnen, der Texte oder Ähnliches produziert und online veröffentlicht. Angefangen bei der graphischen
und inhaltlichen Gestaltung seiner Homepage oder seines Weblogs, welche bestimmten
Erwartungen der Leser unterliegt69, hauptsächlich jedoch bei der Wortwahl der Texte können kritische Stimmen laut werden, denn „da das Internet ein weitgehend textbasiertes
Medium ist, sollte die Fähigkeit des schriftsprachlichen Ausdrucks von Vorteil sein.“ (Wolf
2002: 3).
Hinweise auf und Einblicke in das Privatleben des Bloggers, Anteilnahme an seinen Gedanken, Problemen und Plänen, ebenso wie die bereits erwähnte Aufnahme in die
Blogroll des Bloggers, konstituieren ein Zugehörigkeitsgefühl der Leser zu einer exklusiven Teilöffentlichkeit, ein Gruppengefühl. Verweise auf bestimmte Beiträge, die in anderen Weblogs veröffentlicht wurden, bestärken die Existenz einer Bloggergemeinschaft und
ermöglichen auch das gemeinsame vernetzte Thematisieren eines Aspekts von mehreren
Blogs aus.70 „Durch eine gemeinsame Thematisierung und Bewertung des Ereignisses
erfolgt eine gegenseitige Bestätigung, welche die Teilnehmenden aneinander bindet und
eine Grenzziehung nach außen ermöglicht.“ (Wolf 2002: 14). Im realen Leben sind die
verschiedenen sozialen Gruppen, innerhalb derer man sich bewegt mit denen man intera-
69
Diese normativen Erwartungen beziehen sich zum Beispiel auf graphische Gestaltung, Inhalte, Bedienbarkeit etc. Diese
Erwartungsschwelle, die bei Homepages gewisse HTML-Kenntnisse zum Gestalten erfordert, ist bei Weblogs sehr niedrig, da fast alle Weblog-Hosts ihren Usern eine große Zahl von sogenannten Templates oder Design-Vorlagen bieten.
Werden diese Erwartungen vom Weblogbetreiber nicht erfüllt, werden sie nicht selten durch Einträge im Tagebuch oder
direkte Emails von den Besuchern ihrer Seite darauf hingewiesen.
70
Eine weitere Möglichkeit, gemeinsam in der Gruppe Texte zu veröffentlichen und den Gruppencharakter, die Zusammengehörigkeit eines exklusiven Teils der Blogosphäre zu demonstrieren, ist das Einrichten eines Gruppen- oder Gemeinschaftsblogs, das verschiedenen Autoren gleichberechtigt das Veröffentlichen von Beiträgen innerhalb einer Internetseite gestattet. Gelegentlich zu einem bestimmten Themenbereich wie eine gemeinsame Heimatstadt (siehe z.B.:
http://www.bamberg-entfesselt.de/, ein Gemeinschaftsblog von Bamberger Bloggern zu Bamberg-spezifischen Themen).
29
giert, räumlich voneinander getrennt, z.B. Familie, Beruf, Freunde. Im Internet hingegen
befinden sich alle diese Gruppen in einem gemeinsamen, nicht ohne weiteres (z.B. mit
Hilfe von Passwörtern als Zugangsvoraussetzung) abzutrennenden Raum, was eine
künstliche, jedoch lediglich symbolische, Grenzziehung innerhalb der Blogosphäre oder
der Gästebücher, als Interaktionsraum nötig macht. Ein weiterer entscheidender Unterschied zwischen klassischem Tagebuch und Online-Tagebuch ist, dass die Ausgestaltung
des Online-Tagebuchs von der Interaktion der Leser mit dem Betreiber sowie der Vernetzung von Tagebüchern untereinander abhängt: „Es ist öffentlich verhandelbar und nicht
zuletzt in höherem Maße ein Dokument Vieler als das eines Einzelnen.“ (Wolf 2002: 17).
Dieser Aspekt wird auch bei der folgenden qualitativen Auswertung zum Tragen kommen.
In dieser wird die interaktive Kommunikation, die mittels Kommentaren und Verlinkungen
für virtuelle Diskussionsrunden sorgt, eine Rolle spielen.
3.3
Quellenkritik
Wie alle Quellen, so z.B. die handschriftlichen, klassischen Tagebücher, müssen
Weblogs, bevor sie als Quelle zur Beschreibung von Ereignissen, Zeitepochen oder privater Alltagsführung herangezogen werden, kritisch hinterfragt werden. Doch während für
die Kritik historischer Quellen der letzten Jahrhunderte diverse wissenschaftliche Schriften
einzelne Kritikpunkte und spezielles Vorgehen angeben (vgl. Henning 1994; Kirn 1947),
gibt es für die Kritik am Quellenwert, der Aussagekraft, und der Korrektheit von Weblogs
noch keine renommierten Standard- oder auch nur Erstwerke und „herkömmliche Kriterien
und Standards der Quellenkritik respektive zur Beurteilung von Informationen [sind] nur
bedingt oder gar nicht anwendbar“ (Hengartner 2007: 193). Daher werde ich in diesem
Abschnitt die für die Kritik an (hand-)schriftlichen Quellen bereits herangezogen Punkte
auf ihre Anwendbarkeit im Zusammenhang mit Weblogs als Quellen überprüfen und eigene Gedanken zur Quellenkritik bei Weblogs darlegen.
Kann bei handschriftlichen Tagebüchern noch anhand von Schreib- oder Papiermaterialien der ungefähre zeitliche Entstehungsrahmen eingeschätzt werden und per
Handschriftenanalyse die Echtheit, bzw. das wirkliche verfasst Sein vom vermuteten oder
angegebenen Autor überprüft werden, so ist dies beim Weblog deutlich schwieriger. Auch
wenn die (meist ohnehin gesellschaftlich weitgehend unbekannten) Weblog-Autoren ihre
Identität freiwillig preisgeben kann nicht überprüft werden, ob auch wirklich sie selber einen Text online gestellt haben und nicht eine zweite Person, die sich, mit oder ohne Wissen des Besitzers, Zugang zum Weblog-Account verschafft hat. Auch die Angabe eines
Verfassernamens zu einem Text kann irreführend sein, „kann sich doch theoretisch jede
Person im Internet eine (bzw. beliebig viele) Existenz(en) zulegen und/oder sich zu jedem
30
Thema in ihrer Fasson äußern.“ (Hengartner 2007: 193). Dieser harschen Kritik am möglichen Wahrheitsgehalt von Internetinformationen lässt Hengartner zum Glück noch eine
Relativierung folgen: „Deswegen aber grundsätzlich jeden Informationsgehalt von Daten
aus und auf dem Internet anzuzweifeln, ginge indessen zu weit“ (ebd.).
Die bereits thematisierte Öffentlichkeit, der sich Weblog-Autoren gegenüber sehen, dürfte die Formulierung und den Inhalt ihrer Texte am meisten beeinflussen. So besteht zum Beispiel die Gefahr der ‚sozialen Erwünschtheit‘, dass sich also Blogger bei der
Veröffentlichung ihrer Meinung selbst zensieren um nicht negativ aufzufallen und kritische
Diskussionen in den Kommentaren oder durch Verlinkung auf anderen Weblogs zu entfachen. Das gleiche Problem kann aber auch bei anderen empirischen Erhebungsmethoden, zum Beispiel bei nichtstandardisierten Interviews und offenen Fragen bestehen. Allerdings muss bedacht werden, dass gerade die Anonymität im Internet Hemmschwellen
senken kann und „den Zugang zu sensiblen thematischen Bereichen erleichtern oder
emotionale Grenzen und Schranken als weniger wichtig erscheinen lassen.“ (Hengartner
2007: 201). Bei Internet-Texten besteht, im Gegensatz zu handschriftlichen Texten, die
Möglichkeit, unbemerkt von zukünftigen Lesern nachträglich bereits veröffentlichte Texte
noch zu redigieren und ihnen z.B. eine völlig neue Aussage zu verpassen. Es ist meist
nicht möglich, die wirkliche Meinung der Blogger mit ihrer geäußerten Meinung zu vergleichen.71 Daher ist es nötig, zwischen den Zeilen zu lesen um erahnen zu können, ob Informationen zurückgehalten oder geschönt wurden. Ebenfalls ist es möglich, dass ein Blogger mit seiner Meinung polarisieren möchte um mit extremen Äußerungen absichtlich
Kommentatoren auf den Plan zu rufen. Wie bei den handschriftlichen Tagebüchern besteht auch bei Weblogs die Gefahr des sich selbst Überschätzens oder –überhöhens
durch den Autor: Da sich die Weblog-Autoren im Internet einer breiten Öffentlichkeit präsentieren, wäre es durchaus möglich, dass sie sich interessanter und eloquenter darstellen oder ungerechtfertigter Weise vorgeben, bei bestimmten Ereignissen dabei gewesen
zu sein. Extreme, polarisierende oder ungewöhnliche Äußerungen in Weblogs müssen
also mit gesteigerter Vorsicht betrachtet und analysiert werden. Wenn möglich sollten sie
mit anderen Beiträgen des Autors verglichen werden, um z.B. eine politisch-extreme Gesinnung zu bestätigen oder stattdessen auszuschließen und einen Artikel als ‚polarisierend‘, ‚aufrüttelnd‘ oder ‚ironisch‘ einordnen zu können. Aber es könnte im Gegenteil auch
hinterfragt werden, ob ein Weblog-Autor überhaupt Grund hätte zu ‚Lügen‘, also Informa-
71
Diese Schwierigkeit besteht allerdings auch bei mehr oder weniger standardisierten oder Leitfaden-Interviews. Die Möglichkeit des Verschweigens, Relativierens oder Verdrehens von Tatsachen durch den Interviewten ist immer gegeben
und kein spezielles, qualitätsminderndes Charakteristikum von Tagebüchern oder Weblogs.
31
tionen ohne jeglichen Wahrheitsgehalt von sich geben sollte, etwa über einen nie unternommenen Urlaub in fernen Ländern. Wie auch immer: Große Sorgfalt muss auf jeden
Fall bei der qualitativen Analyse von Weblog-Texten vom Forscher an den Tag gelegt
werden. Dies sieht auch Thomas Hengartner so: Weblogs und private Homepages, die
als Quellen dienen sollen „eignen sich zwar vorzüglich – unter anderem – zur Untersuchung von Formen der (Selbst)Darstellung oder von Imagebildung und/oder –pflege, bieten aber den größten Unsicherheitsfaktor hinsichtlich der Verlässlichkeit der darauf enthaltenen Informationen.“ (Hengartner 2007: 200). Deshalb müssten sie, wenn möglich, neben einer quellenkritischen Untersuchung ebenfalls dem Vergleich mit Offline-Ressourcen
unterzogen werden.
Analog zur Quellenkritik von historischen Tagebüchern lässt sich auch für Weblogs
sagen, „dass die Brauchbarkeit der Selbstzeugnisse als Quellen zur Tatsachenerkenntnis
zwar unterschiedlich, im ganzen aber zweifelhaft ist. Ihr Gehalt an Wahrheit im Sinne
nachprüfbarer Richtigkeit ist gering; die Ursache dafür liegt in dem gesteigerten Subjektivismus, der allen autobiographischen Formen eigen ist.“ (Henning 1994: 113). Anstatt alles für bare Münze hinzunehmen und unreflektiert zu glauben, sollte Kritik in den eben
genannten Punkten an der Quelle geübt werden (ebd.). Ihr spezifischer Nutzen in Hinblick
auf die Beschreibung von Alltagsgegebenheiten aus der Sicht der ‚kleinen Bürger‘ ist jedoch unzweifelhaft.
4
Das Nationalgefühl der Deutschen – ein ewiges Dilemma?!
Im Sommer 2006 spielten sich auf den Straßen und in den Wohnzimmern in
Deutschland Szenen wie sonst nur in der ‚fünften Jahreszeit‘ ab: Alt und jung, Mann und
Frau in Deutschland-Fahnen, -T-Shirts, -Blumenketten, -Schweißbänder, -Trikots gewandet, mit schwarz-rot-goldener Schminke bemalt und mit bunt gefärbten Haaren oder Perücken. Dieses farbenfrohe Phänomen befiel Menschen von Konstanz bis Kiel und von Aachen bis Görlitz. „Deutschland – Ein Sommermärchen“72 betitelte der Regisseur Sönke
Wortmann diesen nationalen Freudentaumel während der Fußball-Weltmeisterschaft in
Deutschland, der auch durch das Ausscheiden der deutschen Fußballnationalmannschaft
72
So der Titel des Kino-Dokumentarfilms von Sönke Wortmann , der die deutsche Fußballnationalmannschaft vor und während der Weltmeisterschaft 2006 zeigt sowie die Fans als auch die allgemeine Stimmung im Lande eindrucksvoll festgehalten hat.
32
nicht so schnell verstummte. Deutschland feierte in diesem Sommer nicht nur die elf
Freunde auf dem Rasen, nicht nur die Trainerbank und jeden einzelnen Auswechselspieler. Deutschland feierte sich selbst – und fand sich sehr schnell in einer Diskussion über
die Angemessenheit des neu erwachten „Nationalstolzes“ wieder.
Die Freude am Deutschsein ist nämlich keineswegs selbstverständlich und vertraut, ‚die Deutschen‘ sind nicht dafür bekannt, mit ihrer Nationalität ‚hausieren‘ zu gehen
oder sich auch nur stolz über jedwede Errungenschaften ihres Vaterlandes zu äußern.
Obwohl Ende der 90er Jahre knapp 75% der westdeutschen Bürger mindestens überwiegend stolz darauf waren, Bürger/in der BRD zu sein, ist der Nationalstolz der Deutschen
im internationalen Vergleich eher gering ausgeprägt.73 Anders als junge Briten und Amerikaner, die Union Jack bzw. Stars-and-Stripes-Banner aufgedruckt auf Tasche, T-Shirt
oder Bikini zu allen Gelegenheiten tragen, ist es für die meisten deutschen Jugendlichen
noch ungewohnt, ein schwarz-rot-gelbes Bekenntnis offen zur Schau zu stellen.
Während auf der einen Seite immer noch rege die Diskussion über das angebracht
Sein eines deutschen Patriotismus betrieben wird, wird von anderer Seite die Forderung
nach einem unverklemmten, einem ‚normalen‘ Bekenntnis zum deutschen Nationalstaat
und zur deutschen Identität für uns Bundesbürger laut.74 Ebenso wird die Wichtigkeit des
Patriotismus angedeutet, sei er doch „die unverzichtbare Grundlage des die Gesellschaft
zusammenhaltenden Staatsbewusstseins [und könne es] nur damit […] gelingen, die
Deutschen zu neuer Solidarität und zu einem neuen Aufbruch zu motivieren.“ (ebd.).
Woran liegt dieses verschämte Understatement der Deutschen überhaupt? Wieso
tun sich die 18-35jährigen, die ja mindestens die zweite Generation nach der sogenannten Tätergeneration sind, immer noch so schwer damit zu sagen: „Ich bin stolz, deutsch
zu sein“. Ist es immer noch ein Minderwertigkeitsgefühl nach der Niederlage von 1945?
(Blank 1997: 39). Oder vielmehr noch Scham über die deutsche Schuld an den Gräueln
des Krieges? Muss Patriotismus beziehungsweise Nationalstolz immer mit dem negativ
konnotierten Nationalismus gleichgesetzt werden? Haben die Deutschen (noch) keine
Identität? Und wer sind sie überhaupt, ‚die Deutschen‘?
73
Blank, Thomas: Wer sind die Deutschen? Nationalismus, Patriotismus, Identität – Ergebnisse einer empirischen Längs-
74
Molt, Peter: Dolf Sternberger und die aktuelle Debatte. Abschied vom Verfassungspatriotismus?, in: Die Politische Mei-
schnittstudie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 47 (1997), H. 13, S. 38-46, hier: 38f.
nung (2006), Nr. 435, S. 29-36, hier: 29; Online unter: http://www.kas.de/db_files/dokumente/die_politische_meinung/7_
dokument_dok_pdf_7897_1.pdf (Stand: 30.05.07).
33
4.1
Quellenlage
Seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, bzw. seit Bestehen der Bundesre-
publik, sind unzählige Publikationen zu den Themen ‚Nation‘, ‚Nationalgefühl‘ oder ‚nationale Identität‘ erschienen, daher gestaltet sich eine gründliche Literaturrecherche mühsam
und fast aussichtslos. Die meisten Texte sind auf Seiten der Politikwissenschaften erschienen, die sich mit der jungen Bundesregierung und ihrem Volk beschäftigten, der Verfassung, auf die man nach dem Erlassen sehr stolz war und dem damit einhergehenden
sogenannten Verfassungspatriotismus, der nicht auf historischen Errungenschaften sondern auf der Verfasstheit eines Landes, seiner Regierung und Gesetzen basiert.75 Die Gesellschafts- und Sozialwissenschaften sowie die Psychologie thematisierten ab den achtziger Jahren zunehmend die Frage nach der deutschen Schuld im Nationalsozialismus,
besonders verkörpert durch die Generation der Eltern: „‘Oral history‘ und ‚Alltag im Nationalsozialismus‘ sind das unzertrennliche Forschungstandem, auf dem sich die beschwiegene Generation der Achtundsechziger seither als Forscher und Lehrer abgestrampelt
hat, um endlich Auskunft darüber zu erhalten, wer ‚wir‘ denn nun wirklich seien.“76 Dabei
wurde sich sowohl vermehrt mit den Biographien der Elterngeneration als auch wissenschaftlich mit den individuellen Lebensgeschichten beschäftigt. Den Anstoß dazu gab das
vehemente Schweigen, wenn nicht sogar Tabuisieren, der Elterngeneration in Bezug auf
die jüngste Vergangenheit, mit dem sie es in den ersten Jahrzehnten nach dem Ende des
Krieges vorzogen, „den Problemen der eigenen nationalen Identität auszuweichen.“77 Dies
sollte soweit als kurzer Abriss über die verschiedenen Forschungsansätze und die Quellenlage genügen. Ich werde in diesem Kapitel großenteils auf politische und soziologische
Literatur zur Definition der verwendeten Schlagworte und auf vorliegende empirische Ergebnisse zur gesellschaftlichen Bewertung dieser Begriffe zurückgreifen. Zur Erklärung
des Phänomens der „späten Nation“ Deutschland und der lediglich schwach ausgeprägten Verbindung der Deutschen zu ihrer Nation dient Literatur aus den Geschichtswissenschaften.
4.2
„Du bist Deutschland!“
Eine Imagekampagne, die mehrere Monate vor der WM bereits gestartet wurde,
gab die Antwort auf eine, bis dato wohl von den wenigsten gestellte Frage: „Du bist
75
Siehe z.B. die Debatte bei Molt, Peter: Abschied vom Verfassungspatriotismus (a.a.O.).
76
Schneider, Christian: Ich und mein Selbst. Über deutsche Identität und die Konjunktur biographischer Selbstverständigung, in: Kursbuch (2002), 148, S. 41-53, hier: 46.
77
Mommsen, Wolfgang J.: Probleme der nationalen Identität. Festvortrag am 8. Oktober 1981 in Regensburg anläßlich der
67. Fortbildungstagung für Ärzte. Regensburg 1981, hier: 5.
34
Deutschland!“ Eine überparteiliche und unpolitische „Mutmacher-Kampagne“78, die vom
26.September 2005 bis zum 31.Januar 2006 lief und mit ihren Plakaten und TV-Spots
wohl keinem entgangen sein dürfte. Der Slogan „Du bist Deutschland“ hatte sich schnell
in den Wortschatz eingeschlichen und laut der Verantwortlichen der Kampagne – und einer GfK-Umfrage – etwa 10 Mio. Bundesbürger motiviert. Erschien diese Bestätigung,
eins mit dem Land zu sein, in dem viele geboren und aufgewachsen waren, anfangs noch
recht befremdlich und aufdringlich, wurde diese Tatsache im Mai letzten Jahres offenkundig: Der Fußballfan war Deutschland und auch diejenigen, die bisher kein Spiel in voller
Länge gesehen und außer Oliver Kahn keinen Spieler beim Namen nennen konnten, ließen sich vom Hype anstecken.
Doch schon im Jahr 1997, lange also bevor die Kampagne das Thema der nationalen Identität wieder in den Mittelpunkt der Debatten rückte, befasste sich der Soziologe
Thomas Blank in einer Längsschnittstudie, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), mit Fragen nach den Begriffen „Nation“, „Nationalismus“, „Patriotismus“, „Identität und Identifikation“ sowie mit Fragekomplexen zum Verhältnis von Individuum und Nation.79 Deren Ergebnisse sollen im Folgenden einen Überblick und Einstieg in
die nicht unproblematische Thematik des ‚Nationalen‘ geben, die anschließend kurz historisch beleuchtet werden soll.
4.2.1 „Wer sind die Deutschen?“ – Definitionsversuche
Geht es um deutsche Symbole wie die Fahne oder die Hymne wird schnell mit den
Begriffen ‚Nationalismus‘ bzw. ‚Patriotismus‘ um sich geworfen. Während ersteres schon
allein aufgrund der Nähe des Begriffs zum Nationalsozialismus einen negativen Beiklang
hat, schwingen mit ‚Patria‘, ‚Heimat‘, versöhnlichere Klänge mit. Eine scharfe Definition
beider Begriffe – und noch anderer zu diesem Thema – ist jedoch unerlässlich, um die
Frage nach Nationalstolz, -identität, -gefühl, etc. beantworten zu können. Daher bedarf es
an dieser Stelle der Definition, bzw. des Versuchs der Definition bestimmter Begriffe.
Oder, wie Scheuble und Wehner fragen: „Was ist eine Nation und wo liegen die Wurzeln
dessen, woran wir unsere – positiven wie negativen – Emotionen nationaler Zugehörigkeit
koppeln?“ (Scheuble/Wehner 2006) Die Suche nach einer allgemeingültige Definition von
‚Nation‘ gestaltet sich, auch mit den Worten von Bleek und Bala, schwierig: „Es gibt keinen allgemein anerkannten und eindeutigen Begriff der Nation, noch weniger der dt. Nati-
78
http://www.du-bist-deutschland.de (Stand: 14.05.07).
79
Bei dieser Befragung wurden 1993 1.357 erwachsene Bundesbürger erstmals repräsentativ für die deutschen Staatsbürger befragt, Folgebefragungen fanden mit denselben Befragten in den Jahren 1995 und 1996 statt.
35
on.“80 Egal für welchen Begriff als Definition von ‚Nation‘ man sich entscheide: „stets überschneidet oder deckt er sich mit anderen Begriffen, wie dem der Nationalität als einer ethnischen Einheit oder des Volkes als einer kulturellen Gemeinschaft.“ (ebd.) Nach dem
Historiker Otto Dann entsteht eine „Nation […] erst mit der Bildung von Nationalbewußtsein innerhalb einer Bevölkerung.“81 Wie problematisch sich aber die Erklärung von nationalbezogenen Gefühlen bzw. Emotionen erweist, beschreiben Scheuble und Wehner anhand der ‚nationalen Identität‘: „Auf wissenschaftlicher oder analytischer Ebene sind Art
und Ausprägung dessen, was als nationale Identität beschrieben werden kann, nur
schwer darzustellen. Die ‚gefühlte‘ Einheit bzw. emotionale Verbundenheit mit dem eigenen
Land
entzieht
sich
gesellschaftswissenschaftlichen
Untersuchungsansätzen.“
(Scheuble/Wehner 2006). Klar ist lediglich laut Dann, dass das „charakteristische Merkmal der nationalen Identität […] die Verbundenheit mit einem politischen Territorium [ist],
das als Vaterland verstanden wird.“ (Dann 1993: 12).
Zu all diesen Definitionsversuchen kommt, dass die Nationskonzepte selbst zu
verschiedenen Zeiten unterschiedlich waren. Sie alle wiederzugeben wäre so formatsprengend wie unübersichtlich. Ich werde also einen sehr kurzen und subjektiv ausgewählten Überblick über verschiedene bestehende Definitionsversuche geben, die meiner
Meinung nach so für die vorliegende Arbeit nützlich und verständlich sein können und
versuchen, diese zusammenzufügen um so ein Gefühl oder Verständnis für diese Konzepte zu schaffen. Hilfreich ist hierbei die Verwendung der erwähnten Längsschnittstudie,
da so die individuellen Einstellungen der befragten Bundesbürger mit in die Definition einfließen können – eine Ergänzung der theoretischen Konzeption durch die praktische Auslebung.
Nach einer gängigen Definition des Sozialwissenschaftlers Bernd Estel kann Nation objektivistisch und subjektivistisch gesehen werden.82 Objektivistisch wird zwischen
Abstammungsnation (bei von Bredow83: Volksnation), das heißt ethnische Herkunft, Kulturnation – Voraussetzung wäre hier zum Beispiel gemeinsame Sprache, Religion oder
Geburtsland – oder Staatsbürgernation, basierend auf dem Staatangehörigkeitsrecht, unterschieden. Bleek/Bala unterscheiden zwischen der Staatsnation als unspezifisch cha-
80
Bleek, Wilhelm und Christian Bala: Nation, in: Andersen, Uwe und Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen
Systems der Bundesrepublik Deutschland. 5., aktual. Aufl. Opladen 2003. Online-Version : www.bpb.de.
81
Dann, Otto: Nation und Nationalismus in Deutschland. 1770-1990. München 1993, S.12 (Hervorh. i. Orig.).
82
Estel, Bernd: Grundaspekte der Nation, in: ders. / Tilman Mayer (Hg.): Das Prinzip Nation in modernen Gesellschaften.
Länderdiagnosen und theoretische Perspektiven. Opladen 1994, S. 13-82, hier: S. 20ff.
83
von Bredow, Wilfried: Nation / Nationalstaat / Nationalismus, in: Nohlen, Dieter (Hg.): Wörterbuch Staat und Politik. Bonn
1995, S. 453-456.
36
rakterisierter Nationsvorstellung, die lediglich auf das Vorhandensein von Verbandsordnungen und staatlicher Verfasstheit hinweist und der Staatsbürgernation, die auf Gleichheitsrechten der Bürger und deren demokratischer Legitimation basiert. In der subjektivistischen Definition wird von Bewusstseins- oder Willensnationen gesprochen, also entweder vereint „ein intersubjektiv geteiltes Bewußtsein über gemeinsame Traditionen oder
gemeinsame Ziele“ die Menschen, oder der „Aspekt, sich zu Gruppen zusammenzuschließen und gemeinsame Ziele verfolgen zu wollen“ (vgl. Estel 1994: 27ff; Blank 1997:
39; von Bredow 1995: 453).84
Den Aspekt verschiedener ethnischer Gruppen, also Menschen „mit einer besonderen kulturellen kollektiven Identität, die mit anderen ethnischen Gruppen in einem Staat
zusammenleben“ als mögliche Definition für eine Nation erwähnt zum Beispiel Friedrich
Heckmann (hier nach von Bredow 1995: 454). Desweiteren entspricht die Vorstellung einer Nation im Wortsinn (von lat. natio = Geburt), also „eine ethnisch homogene Gruppe“,
dem Nationsverständnis des späten 18. und 19. Jahrhunderts (Bleek/Bala 2003). Als zusätzliches wichtiges Begriffsmerkmal von Nation ist nach Hobsbawm (nach Bleek/Bala
2003) „die Gemeinsamkeit der Erinnerung und Erfahrung der Vergangenheit […], auf der
das Selbstverständnis und Handeln der Nationsangehörigen in der Gegenwart und Zukunft beruht.“ Dieses Band, das aus Erinnerungen und Erfahrungen über Generationen
hinweg gewoben wird und verbindet, existiert bei den drei erwähnten Nationstypen gleichermaßen: der Volks- bzw. Abstammungsnation, der Kulturnation und der Staatsnation.
Dass hierbei nicht nur positive Erinnerungen, etwa an eine geglückte Revolution ‚von unten‘, die zum Umstoßen der Herrschaftsstrukturen geführt hat, über Generationen hinweg
die Verbindung zur Nation prägen, wird am Beispiel der Deutschen und ihrer ‚tradierten
Schuld‘ am Zweiten Weltkrieg deutlich.
Unter Einbeziehung der DFG-Ergebnisse kann zum Konzept ‚Nation‘ gesagt werden, dass es sich in den Köpfen der Bürger nicht als abstraktes Gebilde darstellt, „sondern mittel- und langfristig als das Handlungsergebnis von Individuen.“ Soziologisch betrachtet besteht demnach eine Nation „aus Individuen, die sich aus unterschiedlichsten
Gründen zu einer Gruppe zusammenfinden, gemeinsame Handlungs- und Kommunikati-
84
Das Problem bei diesen Definitionen: Zum einen wird davon ausgegangen, dass „innergesellschaftlicher Konsens darüber besteht, welches die zentralen Merkmale der Nation sind“ (Blank 1997: 39), zum anderen werden auch lediglich
formal zugehörige Mitglieder einer Nation automatisch mit dieser identifiziert. Die Frage, ob nicht die Identifikation zu einem Land wesentlich mehr zur Definition von Nation beitragen könnte als die formal-objektive Mitgliedschaft, würde
aber laut Blank weitreichende Konsequenzen haben: Somit könnten in Deutschland aufgewachsene und sozialisierte
Ausländer der zweiten oder dritten Generation, die bereits häufig eine Art Heimatgefühl zu Deutschland entwickelt haben, auch zur deutschen Nation gehören (ebd.).
37
onsregeln vereinbaren (Nation?), Organisationsformen ausbilden (Staat) und Stellvertreter
bestimmen (Regierung).“ (Blank 1997: 40). Die nationale Identität drückt sich daher in der
Einstellung des Einzelnen gegenüber der Nation, wie auch immer sie definiert sein mag,
aus.
Die Einstellungen des Einzelnen gegenüber der Nation werden als Identifikation,
Nationalismus, Patriotismus oder Nationalbewusstsein bezeichnet. Letzeres „beschreibt
die kognitiven Repräsentationen eines Nationskonzeptes“, worunter z.B. genaue Kenntnis
bestimmter nationaler Symbole und deren Bedeutung fällt, ebenso bestimmte Vorstellungen über Kriterien zur Zugehörigkeit und Ähnliches. Die Identifikation mit einem Land hingegen geht über diese Kenntnisse und Vorstellungen hinaus und meint im psychologischen Sinne „daß die Gruppennormen, gruppenspezifische Verhaltensweisen zum Bestandteil der eigenen Persönlichkeit und des individuellen Verhaltens gemacht werden.“
(Blank 1997: 41). Aus ihr heraus entsteht auch die Motivation zur Teilnahme am politischen Leben oder generell zur Einhaltung von Regeln (ebd.) – auch am Beispiel der WM
festzustellen, worauf später bei der Analyse der Weblogs eingegangen wird. Eine Unterscheidung von Nationalbewusstsein und Identifikation ist nach Blank aus theoretischer
Hinsicht deshalb wichtig, weil die Unterstützung eines Individuums für ein System damit
verknüpft ist. „Anreize für das Individuum, die Nation durch sein individuelles Verhalten zu
unterstützen, entstehen erst bei Vorliegen einer subjektiven Identifikation mit ihr, was die
Anerkennung nationaler Aufgaben und Ziele beinhaltet.“ Identifikation führt dazu, dass
sich ein Individuum die Leistungen und Erfolge seiner Gruppe selber zuschreiben kann
und davon mit verbessertem persönlichem Selbstwertgefühl profitiert. Wegweisend für die
vorliegende Arbeit ist der Vergleich, den Blank im Hinblick auf seine Aussagen zieht: „Ein
aktuelles Beispiel ist der Gewinn der Fußball-Europameisterschaft [1996, d. Verf.] durch
eine kleine Gruppe von Sportlern und die daraus resultierenden Wir-sind-(wieder)-WerGefühle unter deutschen Fußball-Fans.“ (Blank 1997: 42). Die Unterscheidung von Identifikation zur Identität kann laut Blank dahingehend gezogen werden, dass Identität vielmehr bezogen ist auf das Ergebnis von Identifikationsprozessen.85
„Nationalismus und Patriotismus können als nationsbejahende Einstellungen bezeichnet werden, die das Individuum gegenüber seiner Nation hat.“ (Blank 1997: 42) Voraussetzung beider Konzepte ist die Identifikation des Einzelnen mit der Nation. Der Nationalismus hat als Hintergrund die Idee der Kulturnation, es wird Homogenität der Herkunft,
85
Gefragt wurde „Eine innere Bindung zu Deutschland zu haben, bedeutet mir:….“ mit einer Antwortskala von 1 „überhaupt
nichts“ bis 7 „sehr viel“. Mit 1 antworteten zu den beiden Zeitpunkten in Ost und West zwischen 2,3 (Ost 1995) und 6%
(West 1993), den Wert 7 gaben zwischen 25,4% (West 1993) und 18,7% (Ost 1995) an. (Blank 1997: 41).
38
Sprache oder Religion angestrebt, was in der Verbindung mit dem Rassismus im Dritten
Reich zum Chauvinismus, dem Glaube an die Überlegenheit des eigenen Volkes und der
eigenen Leistungsfähigkeit, führte.86 Daher rührt die auch heute noch häufig mit dem Begriff verbundene negative Assoziation. Ursprung des Wunsches nach Assimilierung von
Fremden ist die Vorstellung, dadurch die Nation in ihrem Inneren konsolidieren und nach
außen „als souveräne Größe“ beständig machen zu können (Scheuble/Wehner 2006).
Nationalismus führt also zur Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen und Nationen und
begünstigt so „Fremdgruppenabwertung und Antisemitismus“ (Blank 1997: 46). Im positiven Gegensatz dazu steht der Patriotismus, der „keine idealisierenden Überbewertungen
der eigenen Nation [hat], sondern […] ein positiv-kritisches Verhältnis ihr gegenüber“
pflegt und ihr bei Absprache von konstruktiven Zielen sogar die Loyalität verweigern kann
(Blank 1997: 42). Der Patriotismus strebt nach Heterogenität in Bezug auf kulturelle und
religiöse Aspekte, korreliert positiv mit Wertvorstellungen wie Individualismus, Gleichheit,
Humanismus, Toleranz und zeigt sich solidarisch mit innergesellschaftlichen Minderheiten“ (Blank 1997: 42ff) 87 Bezogen auf die unterschwellig fast ständig präsente Thematik
der Ausländerfeindlichkeit in Deutschland und die positive Korrelation von Nationalismus
und Ressentiments gegen Ausländer würde dies bedeuten: je stärker der Patriotismus ist
desto geringer dürfte die Ablehnung von Fremdgruppen beziehungsweise Ausländern
ausfallen. Diese Einschätzung wird durch die empirischen Daten auch bestätigt, ohne Unterschiede zwischen Ost und West.
Abschließend lässt sich anhand der Definitionen und der empirischen Belege sagen, dass unter den (befragten) Bundesbürgern Uneinigkeit darüber herrscht, wer zur
86
Döhn, Lothar: Nationalismus, in: Drechsler, Hanno, Wolfgang Hilligen und Franz Neumann (Hg.): Gesellschaft und Staat.
87
Um beide Einstellungen darstellen zu können maß die DFG-Umfrage zum einen den „Stolz auf die deutsche Geschichte“
Lexikon der Politik. 9. überarb. u. erw. Aufl. München 1995, S. 557-561, hier: 558.
(Nationalismus) sowie den „Stolz auf die demokratischen Institutionen Deutschlands“ (Patriotismus). Als „sehr positiv“
bewerteten etwa 15% der Westdeutschen (in Ostdeutschland etwas weniger) die deutsche Geschichte, was laut Blank
auch in etwa dem geschätzten nationalistischen Potential in Deutschland entspricht. „Gerade im Hinblick auf das Dritte
Reich kann ein hoher Stolz auf die deutsche Geschichte auch eine implizit positive Bewertung des Dritten Reichs und
des Holocaust bedeuten.“ (Blank 1997: 43). Der Stolz auf die Verfassung und die demokratischen Institutionen in
Deutschland ist insgesamt höher als der Stolz auf die Geschichte, in Westdeutschland ist er signifikant stärker als in
Ostdeutschland, was aber mit der längeren „Gewöhnungszeit“ der Westdeutschen beziehungsweise den Erfahrungswerten zutun haben dürfte.
Es ist also eine insgesamt eher patriotistische Orientierung der Befragten festzustellen. Der Stolz auf die demokratischen Institutionen und die deutsche Verfassung wird oft als „Verfassungspatriotismus“ beschrieben und soll „das überkommene patriotische Denken auf die Grundwerte der demokratischen Verfassung lenken.“ Gleichsam ein ‚Hintertürchen‘ des skeptisch betrachteten Patriotismus. (Vgl.: Neumann, Franz: Patriotismus, in: Drechsler, Hanno, Wolfgang
Hilligen und Franz Neumann (Hg.): Gesellschaft und Staat. Lexikon der Politik. 9. überarb. u. erw. Aufl. München 1995,
S.621.).
39
deutschen Nation gezählt wird. „Insofern erscheint es durchaus fragwürdig, von der nationalen Identität oder der deutschen Nation zu sprechen.“ (Blank 1997: 46; Hervorh. i. Orig.)
Positiv kann, zumindest für das Ende der 90er Jahre, festgestellt werden, dass in
Deutschland eher eine patriotistische Einstellung denn eine nationalistische vorherrscht.
Als Fazit zieht Blank aus seinen Analysen: „Nationale Identität ist nicht zwangsläufig mit
der Abwertung von Fremdgruppen verknüpft. Die theoretische Unterscheidung zwischen
Nationalismus und Patriotismus ist somit wichtig und möglich.“ (Blank 1997: 46). In Anbetracht der Tatsache, dass die Angst vor dem Vorwurf nationalistischer Tendenzen oder
Ausländerfeindlichkeit noch in vielen Köpfen auch der jüngeren Generationen sitzt und
möglicherweise ein offenes Bekenntnis für Deutschland verhindern, stimmen diese Ergebnisse versöhnlich.
4.2.2 Die „verspätete Nation“
Um das schwierige Verhältnis der Deutschen zu ihrer Nation zu verstehen, ist ein
kurzer Abriss des historischen Entstehens der Deutschen Nation bzw. des Deutschen
Staates und seine Entwicklung bis zur Wiedervereinigung nötig. „Die Herausbildung von
modernen Nationen und Nationalstaaten ist eines der bedeutendsten Phänomene des 18.
und 19. Jahrhunderts.“ (Scheuble/Wehner 2006). Aber verglichen mit den anderen westeuropäischen Nationalstaaten hat die deutsche Nation eine lange Zeit nur in kultureller
Gemeinsamkeit verbunden verbracht, bevor 1871 Otto von Bismarck ihr mit der Gründung
des Deutschen Reichs auch staatliche Einheit brachte (vgl. dazu u.a.: Bleek/Bala 2003;
Dann 1993).88 Wenn auch nicht im vollen Sinne der nationalen und konstitutionellen
Selbstbestimmung der europäischen Völker, die „seit der Französischen Revolution zum
Begriff der modernen Nationalstaatsbildung“ gehörten.89 Allerdings, und das wirkt der
deutschen Nation aus Sicht einiger Wissenschaftler bis heute negativ nach, geschah die
Reichsgründung nicht, wie zum Beispiel im Anschluss an die – vom Volk initiierte – französische Revolution in Frankreich durch eine bürgerliche Umwälzung bestehender Zustände. Mit der Revolution von 1948/49 gab es zwar bereits den Versuch, „‘Einheit und
Freiheit‘ zu erringen“, jedoch „beruhte die Gründung des Bismarck-Reiches nicht auf einer
nationalen und demokratischen Massenbewegung, sondern auf dem obrigkeitsstaatlichen
Einigungsbeschluss der Fürsten“ und glich daher eher einem „Zwangskonstrukt“ (vgl. u.a.
Bleek/Bala 2003; Scheuble/Wehner 2006). Daher konnte und kann die Gründung nicht
vom Volk als einendes und verbindendes Ereignis in einer gemeinsamen Geschichte an88
Schulze, Hagen: Was ist deutsche Identität? in: politische Studien 57 (2006), H. 407, S. 50-75, hier: 50.
89
Thamer, Hans-Ulrich: Deutschland (vor 1945), in: Andersen, Uwe und Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 5., aktual. Aufl. Opladen 2003. Online unter :www.bpb.de.
40
gesehen werden. Anders z.B. in Frankreich, wo die Revolution aus dem Volk heraus geschah und bis heute in der Metapher der „Grande Nation“ und dem Symbol der Trikolore
den Freiheitsgeist und eine demokratische Grundordnung versinnbildlicht (Scheuble/Wehner 206). Aufgrund dieser Tatsachen wird von der deutschen Nation häufig als
„verspäteter Nation“ gesprochen (z.B. Thamer 2003).
Diese Nation hatte zudem von vornherein mit innerstaatlichen Problemen und Dissonanzen zu kämpfen. So wurde z.B. nur aus einem Teil des bisherigen großen deutschen Reichs ein Nationalstaat geschaffen, Deutsch-Österreicher jedoch außen vor gelassen. Diese bildeten aber in den Folgejahren auch außerhalb des Deutschen Reichs
„volksdeutsches“ Selbstverständnis im ethnischen Sinne (Bleek/Bala 2003) also basierend auf einer gemeinsamen Herkunft. Auf der anderen Seite wurden Ethnien in den Staat
integriert, „deren Zugehörigkeit zur dt. Nation in Frage gestellt wurde und die sich aufgrund der oftmals repressiven Politik nicht oder nicht mehr zu dieser bekennen konnten“
(ebd.). Dieser Mangel an demokratischen Grundsätzen und die Instabilität des Territoriums wuchsen sich zum aggressiven und imperialistischen wilhelminischen Machtstaat
aus, der in der Niederlage des Ersten Weltkriegs und der anschließenden territorialen Reduzierung gipfelte. Im Anschluss an die sich wenig später ereignende Machtübernahme
der Nationalsozialisten sollte das Deutsche Reich sich weit über seine Grenzen ausdehnen und seinen Nachbarn- und anderen europäischen Regionen zumindest die staatliche
Existenz rauben, „wenn [es] nicht gar deren physische Existenz durch Völkermord auslöschen wollte[n].“ (Bleek/Bala 2003). So schien nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und
der Niederlage der Deutschen bzw. des Dritten Reichs auch das Ende der Deutschen Nation und der Idee eines deutschen Nationalstaats gekommen.
Dieser politische und auch emotionale Bruch sowie die ernüchternden Erfahrungen der Nation durch die Kriegsniederlage waren der Anfang vom Neubeginn eines deutschen Nationalstaats, an dessen Idee alle deutschen Politiker festhielten. Doch die Teilung Deutschlands „verhinderte indes eine gesamtdeutsche Neuschaffung nationaler
Identitätsmuster“, stattdessen bleibt das „‘kulturelle Gedächtnis‘ der Deutschen und der
Rückblick auf die gemeinsame nationale Geschichte […] immer am historischen Fluchtpunkt des Nationalsozialismus hängen“ und die Debatten über die Nationalidentität drehen sich „trotz Wirtschaftswunder, Westbindung, Wende und Wiedervereinigung zumeist
allein um die Schuldbekenntnisse in Bezug auf die historischen Belastungen der NS-Zeit“
(Scheuble/Wehner 2006).
Diese historische Problematik – hier nur ganz kurz umrissen – kann als Grundproblem der Deutschen mit einem Nationalgefühl gesehen werden und gipfelt immer wieder in Rechtfertigungsdiskussionen bezüglich eines mehr oder weniger angebrachten
41
Stolzes auf das Vaterland. So auch im Zusammenhang mit der Flut schwarz-rot-goldener
Fanaccessoires, die ein neu erwachtes Selbstbild der Deutschen symbolisierten, natürlich
aber auch Ressentiments und erhobene Zeigefinger produzierten.
4.3
„Imagined communities“: Fußball und Nationalgefühl
„Nichts trägt“, u.a. nach Dirk Schümer, „mehr zur Bildung einer schichtenübergrei-
fenden Gemeinschaft, die ‚vom Kanzler bis zum Penner‘ alle einigt, bei und nichts beeinflusst die (politische) Stimmungslage mehr als Fußballweltmeisterschaften.“ (nach:
Scheuble/Wehner 2006). Dieses Zitat verbildlicht den, trotz der scheinbaren Banalität des
Sportereignisses, nicht zu unterschätzenden Einfluss des Fußballs auf das Nationalgefühl, denn „sportliche Großereignisse […] machen die Mechanismen nationaler Identifikationsstrukturen besonders deutlich.“ (ebd.). Das Konzept der „imagined community“, der
vorgestellten Gemeinschaft, das Scheuble und Wehner mit der modernen Nationsbildung
in Vergleich bringen, welches die Nivellierung und Homogenisierung von Unterschieden
bezüglich sozialer, wirtschaftlicher oder auch politischer Interessen ermöglicht, zeigt sich
auf kleinerer Ebene durch die Fankultur in den Fußballstadien. Die Zuschauer werden zu
ebendieser „imagined community“ und heben dadurch „individuelle soziale oder politische
Differenzen zumindest für gut 90 Minuten auf“. Die Herkunft ist irrelevant, das verbindende Element, das Menschen über Klassengrenzen hinweg in kollektiven Taumel verfallen
lässt ist die Begeisterung für eine Mannschaft und der erhoffte Sieg. Und genau dieses
Erlebnis in der großen, eigentlich anonymen Masse, lässt sogar sonst zurückhaltende,
unauffällige Mitbürger zu grölenden und freudig-erregt Fahnen schwenkenden Menschen
werden. Dabei entwickelt sich auch eine besondere Kommunikationsform. Sie beinhaltet
Fangesange und Parolen, die wiederum auf bestimmten, für jeden Fan unabhängig seiner
Herkunft verständlichen „Codes“ basieren. Ebenso sind die typischen nationalen Symbole, das Singen der Nationalhymne, das Schwenken der Flaggen sowie das Tragen aller
möglichen Fan-Accessoires in Nationalfarben Teil dieser Kommunikations- bzw. Ausdrucksform. Abseits des Platzes, auf den Rängen des Stadions „findet die für die ‚gefühlte‘ Einheit der Nation so wichtige nationale Symbolik einen Platz; sie wird stellvertretend
zum ‚Plebiszit‘ der Bevölkerung für ihre Nation“, zeigt also indirekt der nationalen Politik
ihre Zustimmung. Neben dieser impliziten plebiszitären Bestätigung der momentanen politischen Lage durch die Fußballfans hat die Identifikation mit der Mannschaft und das
„community“-Gefühl auch positive Wirkungen auf die Fan-Seele: Fußball „ist notwendiges
Ventil und Vehikel für menschliche Bedürfnisse (z.B. nach Identifikation und Abgrenzung),
Aggressionen und archaische Verhaltensmuster des ‚Kräftemessens‘ und ‚Siegens‘“, kann
aber bei ausbleibender Leistung auch schnell zur Ausgrenzung bestimmter ‚Schuldiger‘
oder, im Falle von zu geringer öffentlicher Beachtung zum Beispiel durch ausbleibende
42
Berichterstattung, zu marginaler Würdigung erbrachter Leistungen führen. Diese Tatsache
der Bestrafung bei Leistungsausbleiben kann insofern kritisch betrachtet werden, als der
Fußball „durch sein Identitätsangebot und starres Regelwerk mit Befehl, Gehorsam und
Bestrafung ein Präsentationsfeld für konventionelle, patriarchale Wertvorstellungen und
autoritäre Charaktere [liefert]. Durch das ihm zugrunde liegende männliche Weltbild verstärkt er autoritäre Charakterstrukturen, Nationalismus, Rassismus, Gewalt, Identitätsdenken, Chauvinismus, Sexismus“90 und kann dadurch zu extremen Äußerungen des FanSeins führen: gewaltbereitem Hooliganismus und rassistischer Übergriffe auf andere Nationen und Fans. Nicht nur deshalb ist es nötig, die emotionalen Äußerungen der Fußballfans während einer WM nicht gänzlich positiv und „ohne Hintergedanken, sozusagen
naiv“91 zu sehen, sondern objektiv darzulegen und kritisch zu hinterfragen (vgl. Scheuble/Wehner 2006).
4.4
Die WM 2006 als Barometer nationaler Befindlichkeiten
Zur Zeit der WM 2006 befand sich Deutschland seit längerem in einer Phase ho-
her Arbeitslosigkeit sowie gefühlter Perspektivlosigkeit in vielen Regionen, die besonders
schwer vom Arbeitsplatzmangel betroffen waren. Die vorgezogene politische Neugestaltung im Herbst 2005 und die skeptisch beäugte große Koalition, erstmalig mit einer Frau
an der Spitze der Regierung, trugen maßgeblich zu öffentlichen Zweifeln und gesellschaftlich-emotionaler Krisenstimmung bei. Die Weltmeisterschaft und auch die Vorbereitung
darauf deutete einen Stimmungsumschwung an, und möglicherweise „ist gerade für die
identitätstraumatisierten Deutschen der spielerische Umgang mit nationalen Sentiments
ein wichtiges Ventil für das Ausleben unserer unterdrückten, gebändigten Stimmungen
und Kompensation für politisch korrekte Ersatzhandlungen.“ (Scheuble/Wehner 2006).
Die große Last des Nationalsozialismus ermöglicht bis heute keinen ungehemmten Umgang mit den nationalbezogenen Emotionen der Deutschen und führt zu vermehrter
Flucht aus der Nationalität in die Regionalität bzw. zu europäischer Identität: Scheuble
und Wehner sehen es in Anbetracht der deutschen Geschichte als einfacher an „das
Badnerlied zu singen als die deutsche Nationalhymne, und mit der Europaflagge tut man
sich leichter als mit Schwarz-Rot-Gold.“ (ebd.). Was aber nicht bedeutet, dass man nicht
gleichzeitig, quasi überlagernd, nationale, regionale und europäische Identität innehaben
kann. Die Weltmeisterschaft 2006 hat mit der Einschätzung, Deutsche identifizierten sich
90
Chlada, Marvin und Gerd Dembowski: Und täglich drückt der Fußballschuh. Ausgewählte Standardsituationen . Erstellt
am 08.01.2000, http://www.eurozine.com/articles/2000-01-08-chlada-de.html (Stand 25.05.07).
91
Heinrich, Arthur: Drei zu Zwei. Bern 1954 und die Selbstfindung in der Bundesrepublik, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 49 (2004), Heft 7, S. 871-881.
43
lieber regional oder gleich europäisch, meines Erachtens allerdings weitgehend aufgeräumt, indem sie das ganze Land in eben jenes nationale Schwarz-Rot-Gold tauchte und
die deutsche Hymne aus vielen Kehlen laut und ohne Ressentiments erschallte. Und gerade das Singen der Hymne, häufig im Rahmen eines feierlichen Zeremoniells von
Orchestern oder Streichern begleitet, wird von Zuschauern (auch vor dem Fernsehgerät)
häufig mit Patriotismus oder Nationalgefühl verbunden.92
Zwar wurden, nach Lösche, häufig thematisierte, umfassende und tiefgreifende
gesellschaftliche Veränderungen, zum Beispiel im Anschluss an das legendäre „Wunder
von Bern“, lediglich nachträglich in die Fußballgeschichte hinein interpretiert, gingen aber
stattdessen von Politik und Gesellschaft aus: „Fußball [ist] eher Ausdruck, nie Anlass für
gesellschaftlichen Wandel“ sonst wäre es für Regierung und Parlament recht einfach, den
„nationalen Taktschlag“ mit Hilfe eines Fußballspieles zu bestimmen (zit. nach Scheuble/Wehner 2006). Und in der Tat: Wirtschaftlich betrachtet bewirkte die Weltmeisterschaft
2006 keine Wunder, ja konnte sie nicht einmal die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen,
der erhoffte Konjunkturboom blieb weitgehend aus.93 Unbestritten ist aber, dass sportliche
Großereignisse wie die Fußball-WM die Bürger eines Landes, vor allem des Gastgeberlandes, mitreißen und ihnen, wenn auch nur vorübergehend, ein gesteigertes Selbstwertgefühl und -bewusstsein geben können. Dies zeigt sich deutlich in der, von der Financial
Times Deutschland (FTD) beim Meinungsforschungsinstitut Ipsos in Auftrag gegebenen,
repräsentativen Umfrage zum Stand des kollektiven Bewusstseins in Deutschland nach
der Weltmeisterschaft.94 Darin äußern sich 62% der Deutschen auch ein Jahr nach der
WM überzeugt, dass das Fußballgroßereignis ihr Nationalbewusstsein gestärkt habe, fast
alle, die einen gestiegenen Stolz auf ihr Land wahrgenommen haben, bewerten diesen
auch positiv. Allerdings sind nicht zu ignorierende Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen festzustellen: Die Mehrheit der Menschen, die ein positives gestiegenes Nationalbewusstsein bejahten sind bessergebildete und -verdienende Westdeutsche. Im Osten
stimmt nur eine knappe Mehrheit zu, dass die WM einen Einfluss auf das Nationalgefühl
92
Schwier, Jürgen: Die Welt zu Gast bei Freunden – Fußball, nationale Identität und der Standort Deutschland, in: Schwier,
Jürgen und Claus Leggewie (Hg.): Wettbewerbsspiele. Die Inszenierung von Sport und Politik in den Medien. Frankfurt/Main 2006, S. 79-104, hier: 85f.
93
Brönstrup, Carsten: Dritter Platz, sonst nichts. Die Fußball-WM 2006 hat die Konjunktur nicht beflügelt – trotz der hohen
Erwartungen, in: Der Tagesspiegel vom 18.04.2007. Online unter: http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/archiv/
18.04.2007/3208281.asp (Stand: 25.05.07).
94
Ehrlich, Peter: Umfrage: WM stärkt dauerhaft das National-Bewusstsein, in: Financial Times Deutschland. Erstellt am
26.05.2007,
http://www.financial-times.de/politik/deutschland/:Umfrage%20WM%20Nationalbewusstsein/204791.html
(Stand: 27.05.07).
44
hatte und noch habe.95 Hans-Peter Drews von Ipsos sieht einen Zusammenhang von steigendem Nationalbewusstsein und steigendem Selbstbewusstsein und bezieht den gefühlten Stolz der Deutschen auf das, was zur Fußball-WM „auf die Beine gestellt“ wurde.96
Dennoch verwundert es die Meinungsforscher laut FTD selbst, dass der Aufschwung der
nationalen Befindlichkeit so lange nach dem Großereignis noch anhält. Trotz der anderslautenden Auswirkungen der WM auf die Konjunktur sind sich die Befragten zu über 40%
sicher, dass sich durch die WM die finanzielle Lage verbessert habe und auch noch werde – kurz nach der WM waren sich die Befragten in diesem Punkt deutlich weniger sicher.
In Anbetracht der kritischen Äußerung Lösches bezüglich des Einflusses des Fußball auf das nationale Wohlgefühl sowie der einen völlig anderen Eindruck vermittelnden
Ergebnisse der Ipsos-Umfrage muss „eine kritische Analyse des Zusammenhangs von
Fußball und nationaler Identität […] [auf jeden Fall] die positive Funktion dieser Symbiose
darstellen“ (Scheuble/Wehner 2006). Denn „nachdem Religionen, Weltanschauungen und
Gebräuche in der Erlebnisgesellschaft ihre Verbindlichkeit verloren haben und die Menschen der unterschiedlichen Milieus und Gehaltsklassen in streng voneinander getrennten
Lebensbereichen zu Hause sind, eint sie alle – vom Kanzler bis zum Penner – nur mehr
der Fußball“ (Schümer 1995, nach Scheuble/Wehner 2006) – und dieser dient ebenso als
„Barometer nationaler Befindlichkeiten“ (ebd.), als Gradmesser für die Stimmungslage im
Lande. Denn „zweifelsohne vermag gerade der Fußballsport mit seinen Legenden, seinen
Erzählungen über ewige Rivalitäten, den Duellen zwischen großen Favoriten und kleinen
Außenseitern sowie seinen historischen und aktuellen Heldenfiguren zur Bestätigung kollektiver Identitäten, nationaler Werte und Stereotypen oder sogar zur Massenloyalität beizutragen.“ 97 (Schwier 2006: 85, Hervorh. i. Orig.).
5
Methodisches Vorgehen
Während die Kulturwissenschaftliche Technikforschung den Eingang bestimmter
neuer Techniken in den gesellschaftlichen Alltag und in einzelne Lebensverläufe untersucht, soll dieser Aspekt in der vorliegenden Arbeit weitgehend ausgeklammert werden.
Die gesellschaftliche Akzeptanz und Verbreitung der Weblogs zeigt sich anhand der ein-
95
Vgl. dazu auch: Ipsos GmbH: Nachhaltigkeit der Fußball-WM - Mai 2007, unter: www.ipsos.de.
96
Zitat nach Financial Times Deutschland.
97
Auf die Rolle, die die Medien bei der Übertragung großer Sportereignisse zur Bildung einer nationalen Identität oder zur
Tradierung von Stereotypen bzw. eines bevorzugten Selbstbildes eines Landes spielen, soll an dieser Stelle nicht näher
eingegangen werden. Weiterführend sei hier u.a. das bereits angeführte Werk von Schwier, Jürgen und Claus Leggewie (Hg.): Wettbewerbsspiele. Die Inszenierung von Sport und Politik in den Medien. Frankfurt/Main 2006 genannt.
45
gangs gezeigten statistischen Daten über die Blogosphäre weltweit bereits sehr gut. Nun
soll die qualitative Forschung die Weblogs als Produkt dieser technischen Entwicklung zu
nutzen versuchen, indem sie sie als Quelle für Informationen über aktuelle Ereignisse von
allgemeinem Interesse betrachtet und analysiert.
Eine qualitative Analyse von Weblog-Beiträgen zu bestimmten, die Gesellschaft
und nicht nur den Einzelnen betreffenden Ereignissen, liegt bis zum jetzigen Zeitpunkt
nach meinem Kenntnisstand und meinen Recherchen noch nicht vor. Doch die Wichtigkeit, technische Neuerungen und deren textuelle Äußerungen nicht nur im Hinblick auf
ihre Akzeptanz und Ausbreitung in, sowie auch auf ihre Durchdringung der Gesellschaft
hin quantitativ zu untersuchen, sondern diese technikbedingten Äußerungen qualitativ zu
befragen, zu deuten und zu verstehen, sie als Quelle für die detailreiche Beschreibung
des Alltags und besonderer Begebenheiten zu nutzen, ist auch in den Kulturwissenschaften bereits erkannt worden: „Qualitative Methoden sind vor allem für einen praxistheoretischen Zugang, sei er volkskundlich-kulturwissenschaftlich, kommunikations- oder sozialwissenschaftlich orientiert, ein unabdingbares und dem Gegenstand angemessenes
Handwerkszeug, weil sie geeigneter als standardisierte und quantitative Verfahren sind,
den Sinn von Praktiken verstehend zu rekonstruieren.“ (Schmidt/Schönberger/Stegbauer
2005: 10). Vergleichbar kann man die Forderung des für die Entwicklung einer qualitativen Forschung mit bedeutenden Sozial- und Kulturwissenschaftlers Clifford Geertz auffassen, der die Aufgabe der Ethnologen darin sieht, „die Bedeutung sozialer Ereignisse zu
erfassen und dies auf der Basis der Beobachtung einfacher Handlungen zu tun“.98 Diese
Beobachtungen hat Geertz in seinen Feldforschungen ‚dicht‘ beschrieben, also exakte
Aufzeichnungen des Geschehens, der Beteiligten, der Gesten und Bräuche vorgenommen.
Im Folgenden soll ein Überblick über die Qualitative Forschung gegeben werden,
ihre Eigenheiten, Charakteristika sowie ihren besonderen Nutzen gegenüber der quantitativen Forschung.
5.1
Qualitative Forschung vs. quantitative Forschung
In den verschiedensten Fächern und wissenschaftlichen Disziplinen hat sich die
qualitative Forschung in unterschiedlichen methodischen Ausprägungen neben der quan-
98
Wolff, Stephan: Clifford Geertz, in: Flick, Uwe, Ernst von Kardorff und Ines Steinke: Qualitative Forschung. Ein Handbuch.
Hamburg 32004, S. 84-96, hier: 87. Hervorh. im Orig.
46
titativen Forschung als eigenständiger Bereich etabliert und behauptet.99 Als empirische
Forschungsmethode dient sie vor allem Sozialwissenschaftlern, Psychologen, Kultur- und
Wirtschaftswissenschaftlern zur Informationsgewinnung bei komplexen, bislang unerforschten Themenbereichen. Sie „hat den Anspruch, Lebenswelten ‚von innen heraus‘ aus
der Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben“ (Flick/von Kardorff/Steinke 2004:
14) und ermöglicht daher, Sachverhalte und die soziale Wirklichkeit besser verständlich
zu machen.
Das quantitative Herangehen an das Medium Weblog wurde bereits in Form der
Umfrage „Wie ich blogge?!“ von Jan Schmidt und Martin Wilbers thematisiert. Für empirisch-statistische Untersuchungen, wie sie für diese Umfrage intendiert waren, eignen sich
quantitativ-standardisierte Fragen und Fragebögen zweifellos. Doch die qualitative Forschung bietet im Gegensatz zur quantitativen Forschung auf dem kulturwissenschaftlich
bisher noch weitgehend unerforschten Gebiet der Webloginhalte vor allem dadurch Vorteile, dass sie offen, unstandardisiert und unvoreingenommen an die Thematik herangeht.
Sie ist dadurch ‚näher dran‘ als quantitative Forschung, die sich von vornherein durch
standardisierte Fragebögen und Erhebungsinstrumente auf bestimmte Fragen und Aspekte festgelegt hat, und Unvorhergesehenes dadurch, methodisch bedingt, meist außen vor
lässt. Plastische, genau beschriebene und detailreiche Bilder des Alltags und bestimmter
Begebenheiten ergeben sich häufig besser durch offene Fragen und leitfadengestützte
Interviews, aus Biographien oder persönlichen Erzählungen sowie eigenen ethnographischen Beschreibungen (Flick/von Kardorff/Steinke 2004: 17). Die Notwendigkeit zu exakten und dichten Beschreibungen bestimmter Situationen, Riten oder Ereignisse ergibt sich
durch den kontinuierlichen Wandel des sozialen Lebens, der Forscher vor immer neue
und unerforschte Lebenssituationen stellt, zu denen eben noch keine standardisierten Zugänge und Erfahrungen vorliegen, ja noch nicht einmal konkrete Vorstellungen des Gegenstandes existieren. Das theoretische Konzept der qualitativen Forschung „orientiert
sich an der Alltagskommunikation und deren Deutungen der sozialen Realität und ist
grundsätzlich offen für Modifikationen“ (Atteslander 1995: 226). Die qualitative Methode ist
eben jeglichem Neuen im Altbekannten offen und ist vor allem in Interviews flexibler, um
auf Unvorhergesehenes zu reagieren und sich dem individuellen Verlauf anzupassen.
Als ein wichtiges Werkzeug der qualitativen Methoden gilt die ‚dichte Beschreibung‘, die auf Clifford Geertz zurück geht, und sich auch für diese Arbeit anbietet. Der
99
Vgl. dazu: Flick, Uwe, Ernst von Kardorff und Ines Steinke: Was ist qualitative Forschung? Einleitung und Überblick, in:
dies. (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Hamburg 32004, S. 13-29; Atteslander, Peter: Methoden der empirischen Sozialforschung. 8.bearb. Aufl. Berlin/New York 1995.
47
amerikanische Forscher sieht die Aufgabe der Ethnologen darin, „die Bedeutung sozialer
Ereignisse zu erfassen und dies auf der Basis der Beobachtung einfacher Handlungen zu
tun.“ (Wolff 2004: 87; Hervorh. im Orig.) Dabei ist es auch im Hinblick auf die vorliegende
Arbeit relevant, dass Geertz „mikroskopisch“ vorgeht, „d.h. sich auf einzelne, vergleichsweise überschaubare soziale Phänomene konzentriert.“ (Wolff 2004: 89; Hervorh. im
Orig.). Die von ihm getätigten Feldforschungen und die daraus resultierenden Beobachtungen wurden besonders exakt, eben „dicht“, aufgeschrieben, um ein möglichst umfassendes Bild bestimmter Gegebenheiten zu erhalten. Ziel der Auswertung dieser Beschreibungen ist es für Geertz – und auch Ziel der hier folgenden Analysen – „aus einzelnen
dicht beschriebenen Gegenständen analytisch gehaltvolle Schlussfolgerungen zu ziehen.“
(Wolff 2004: 91). Als Ergebnis erwartet er keine allgemeingültigen Aussagen sondern betrachtet immer nur den Einzelfall, den er zu erklären und deuten sucht, „um beim Auftauchen neuer sozialer Phänomene Theorien liefern zu können, also deduktives Vorgehen.“100 Im vorliegenden Fall tätigen die Blogger selbst die Beobachtungen und liefern
mehr oder weniger dichte Beschreibungen, die anschließend ausgewertet und gedeutet
werden.
Qualitative Forschung empfiehlt sich immer dann als Vorgehensweise, wenn der
zu untersuchende Wirklichkeitsbereich noch weitgehend wenig erforscht ist. Mit dem „Einsatz von ‚naturalistischen‘ Methoden, wie teilnehmender Beobachtung, offenen Interviews
oder Tagebüchern, lassen sich erste Informationen zur Hypothesenformulierung für anschließende, standardisierte und repräsentative Erhebungen gewinnen“ (Flick/von Kardorff/Steinke 2004: 25). Oder, im umgekehrten Fall, liefern qualitative Forschungen die
mögliche Erklärung für durch quantitative Erhebungen gefundene statistische Zusammenhänge.
5.2
Charakteristika qualitativer Forschung
Nach Flick, von Kardorff und Steinke können zwölf Charakteristika qualitativer For-
schung genannt werden, da es DIE qualitative Methode so eigentlich gar nicht gäbe und
es sich vielmehr um ein „methodisches Spektrum unterschiedlicher Ansätze, die je nach
Fragestellung und Forschungstradition ausgewählt werden können“ handle (vgl. Flick/von
Kardorff/Steinke 2004: 22ff; Hervorh. im Orig.). Daraus ergibt sich „die Gegenstandsangemessenheit von Methoden“: Während z.B. in der Psychologie oft von Forschungen
ausgeschlossen werde, was mit dem verfügbaren Arsenal an bestimmten Methoden nicht
100
Klinke, Harald: Kulturbegriff heute. Clifford Geertz: Dichte Beschreibung, Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, S.
11. http://www.stud.uni-karlsruhe.de/~um9t/sa/docs/GEERTZ2_ende.PDF (Stand: 21.07.07).
48
untersucht werden könne, suche die qualitative Forschung extra für den Gegenstand und
die an ihn gestellten Fragen eine passende Methode und entwickle diese notfalls neu.
Von besonderer Bedeutung für die vorliegende Untersuchung erweist sich das Charakteristikum der starken Alltagsorientierung, bzw. der Beschäftigung mit dem Alltagswissen
und den Alltagserfahrungen der Untersuchten. Wichtig ist ebenfalls eine kontextbezogene
Analyse. Das heißt: „Daten werden in ihrem natürlichen Kontext erhoben und Aussagen
im Kontext einer längeren Antwort oder Erzählung […] analysiert.“ Die jeweiligen unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten sind ebenso zu berücksichtigen wie die Reflexivität des Forschers, der sich im Falle einer offenen Feldforschung bzw. Beobachtung oder
Befragung immer als Beeinflussung sehen und dies bei seinen gewonnenen Erkenntnissen bedenken muss. Dieser möglicherweise problematische Aspekt kann in der vorliegenden Arbeit allerdings weitgehend ausgeschlossen werden, da keine Feldforschung,
weder verdeckt noch offen, vorliegt. Zum Zeitpunkt der WM wussten die Blogger noch
nicht, dass sie einmal zu „Forschungsobjekten“ werden sollten. Als Erkenntnisprinzip der
qualitativen Forschung nimmt das Verstehen von komplexen Zusammenhängen eine herausragende Stellung ein und richtet sich „im Sinne des ‚methodisch kontrollierten Fremdverstehens‘ auf den Nachvollzug der Perspektiven des anderen.“101 Bereits erwähnt wurde
der Vorteil des Prinzips der Offenheit bei der Datenerhebung, die offenen Fragestellungen
und die offene Beobachtung, was dazu beiträgt, der Perspektive des Gegenüber einen
möglichst großen Spielraum einzuräumen. Bei der Analyse geht die qualitative Forschung
meist vom Einzelfall aus, der analysiert und rekonstruiert wird, bevor in einem zweiten
Schritt Vergleichsfälle herbeigezogen und diese anschließend zusammengefasst oder
gegenübergestellt werden. Grundlage der qualitativen Forschung ist nach Flick/von Kardorff/Steinke die Konstruktion der Wirklichkeit, und trotz der steigenden Bedeutung von
Fotos und Filmen als visuelle Datenquellen überwiegt das Medium Text als Quellengrundlage, etwa transkribierte Interviews oder Notizen aus der ethnographischen Feldforschung. Die Zielsetzung der qualitativen Forschung sei das Entdecken des Neuen in den
Daten, woran sich „häufig die Entwicklung von Theorien aus der Empirie als Großziel“ anschließe.
5.2.1 Unterschiedliche Forschungsperspektiven
Das erwähnte methodische Spektrum der qualitativen Forschung ermöglicht mehrere Forschungsansätze, die je nach „theoretischen Annahmen, […] Gegenstandsverständnis und [ihrem] methodischen Fokus“ differieren (Flick/von Kardorff/Steinke 2004:
101
Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1976 nach: Flick/von Kardorff/Steinke 2004: 23.
49
18). In Verbindung mit einer jeweils geeigneten Datenerhebungsmethode, einer Interpretationsmethode sowie spezifischen Anwendungsfeldern ergeben sich drei Ansätze, die
wie folgt zu charakterisieren sind (vgl. Flick/von Kardorff/Steinke 2004: 18ff):
Zugänge zu subjektiven Sichtweisen werden über die theoretischen Bezugspunkte
des symbolischen Interaktionismus sowie der Phänomenologie ermöglicht. Die Datenerhebung erfolgt dabei durch Leitfaden-Interviews oder narrative Interviews, also offene
Fragestellungen im Gegensatz zu den standardisierten Interviews. Als Interpretationsmöglichkeiten bieten sich bei diesem Ansatz das theoretische Codieren, die qualitative
Inhaltsanalyse, narrative Analysen sowie hermeneutische Verfahren an. Geeignete Anwendungsbereiche sind die Biographieforschung und die Analyse von Alltagswissen.
Die Beschreibung von Prozessen der Herstellung sozialer Situationen gelingt auf
dem theoretischen Hintergrund der Ethnomethodologie und des Konstruktivismus. Mit Hilfe von Gruppendiskussionen, Ethnographie, teilnehmender Beobachtung, Dokumentensammlung sowie der Aufzeichnung von Interaktionen werden Daten erhoben und anschließend einer Konversations-, Diskurs-, Gattungs- oder Dokumentenanalyse unterzogen. Zur Analyse von Organisationen, Institutionen und Lebenswelten, der Erforschung
von Evaluationen und Cultural Studies ist dieser Ansatz prädestiniert.
Eine hermeneutische Analyse tiefer liegender Strukturen ermöglicht die qualitative
Forschung mit Hilfe theoretischer Grundlagen der Psychoanalyse und des Strukturalismus. Fotografien, Filme sowie aufgezeichnete Interaktionen liefern die Datenquellen, die
anschließend objektiv-hermeneutisch, tiefenhermeneutisch oder mit Aspekten der hermeneutischen Wissenssoziologie interpretiert werden. Angewendet wird dieses Verfahren
besonders bei der Erforschung von Familien-, Biographien-, Generationen- sowie in der
Genderforschung.
5.2.2 Adäquate Forschungsmethode für diese Arbeit
Für dieses Forschungsvorhaben empfiehlt sich eine Kombination von Elementen
aus den Ansätzen. Die Datenerhebung geschieht im vorliegenden Fall durch die Betrachtung der Blogeinträge, die in einem bestimmten Zeitraum in ausgewählten Weblogs veröffentlicht wurden. Dementsprechend handelt es sich bei der Gewinnung der Texte bzw.
Daten um die Sammlung von (Internet-)Dokumenten. Da nur die Blogeinträge betrachtet
werden, die auch einen thematischen Bezug zur WM haben, läge der Vergleich mit einem
narrativen Interview nicht fern, bei dem der Interviewte Gedanken zur FußballWeltmeisterschaft 2006 frei äußern sollte. Als Analysevorgehen bietet sich im vorliegenden Fall besonders die qualitative Inhaltsanalyse der Blogposts an. Da mit der Auswahl
der Bamberger Blogger ein abgegrenzter Rahmen vorhanden ist, ist es jedoch auch mög50
lich, einige quantitative Auswertungen am Rande einfließen zu lassen, etwa bezüglich der
Häufigkeit erwähnter Themen oder absolute Zahlen der Blogposts. Der theoretische Hintergrund des symbolischen Interaktionismus ist für ein Massenkommunikationsmedium,
wie es Weblogs sind, geeignet. Es soll die Thematisierung der Fußball-Weltmeisterschaft
2006 in der Blogosphäre untersucht werden. Diese zielt, betrachtet man gemeinschaftliche Fanaktivitäten und Symbole, unter anderem auf einen Wandel des sozialen, gemeinschaftlichen und kollektiven Handelns und damit verbundene Auswirkungen auf das menschliche Zusammenleben. Es sollen auch Diskussionen, die innerhalb eines Weblogs zu
einem bestimmten, die WM betreffenden Thema stattfanden herausgesucht und die Dynamik dargelegt werden, womit die Interaktionen des dritten Ansatzes einfließen.
Die qualitative Inhaltsanalyse dient, wie auch andere Verfahren, als Erhebungsmethode dem Entdecken von sozialen Zusammenhängen, bietet aber eine Reihe von Vorteilen (vgl. Atteslander 1995: 246f): Dadurch, dass die qualitative Inhaltsanalyse nicht aktiv
und direkt in den zu untersuchenden Wirklichkeitsbereich eingreift, ist sie nichtreaktiv. Sie
kann auch unstrukturiertes Material, um das es sich bei autobiographischem Material zum
Beispiel Tagebüchern handelt, verwenden, „weil durch das Prinzip der Offenheit in jedem
Untersuchungsschritt Änderungen im Analyseinstrument möglich sind.“ (Atteslander 1995:
246; Hervorh. i. Orig.). Das Vorgehen der Inhaltsanalyse bei der Datenerhebung ist also
die Auswertung eines Textes, der „die geronnene Information eines vorausgegangenen
Kommunikationsprozesses darstellt, der von einem Bearbeiter nach wissenschaftslogischen Regeln analysiert wird und so Schlußfolgerungen auf die soziale Wirklichkeit außerhalb des Textes erlaubt.“ (Atteslander 1995: 225). Allerdings lässt die Inhaltsanalyse
nicht den direkten und eindeutigen Schluss „vom Text […] auf den hochkomplexen Prozeß der Kommunikation selbst“ zu, lediglich auf den Verfasser des Textes, den angesprochenen Empfänger oder Rezipienten sowie deren soziale Situation (Atteslander 1995:
237), was für den Zweck dieser Arbeit ausreicht.
Bei der Auswertung mache ich mir die angesprochene „‘dichte Beschreibung‘ der
jeweiligen subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen (Alltagstheorien, Biographien, Ereignisse usw.) und deren Verankerung in kulturellen Selbstverständlichkeiten“ (Flick/von Kardorff/Steinke 2004: 21) zunutze. Diese genauen Beschreibungen „liefern gegenstandsbezogene inhaltliche Informationen über subjektiv bedeutsame Verknüpfungen von Erleben
und Handeln, über Auffassungen zu Themen wie […] inneres Erleben und Gefühle.“
(Flick/von Kardorff/Steinke 2004: 22). So eignet sich die Methode gut, um die in Weblogs
geäußerten Gefühle bezüglich des ‚Fanhypes‘ und die Erlebnisse während der Weltmeisterschaft 2006 objektiv zu beschreiben (Atteslander 1995: 236). Dabei werde ich, entgegen der von Berelson und Lazarsfeld erhobenen Forderung bei der Inhaltsanalyse „nur
51
den manifesten Inhalt von Texten zum Gegenstand der Analyse zu machen, also nicht
zwischen den Zeilen zu lesen“ genau dies tun, um „die soziale Wirklichkeit in Teilaspekten
zu beschreiben“ (Atteslander 1995: 237).
6
Auswertung der Weblogs
Bei der Auswahl der zu untersuchenden Weblogs mache ich mir mein involviert
Sein und meine Kenntnisse der Bamberger Blogosphäre zunutze. Vor gut einem Jahr haben sich einige aktive Bamberger Blogger in einem Gemeinschaftsblog102 zusammengeschlossen um über Bamberg betreffende Themen zu bloggen. Über die Berichterstattung
bzw. Erwähnung dieses Gemeinschaftsblogs in den privaten Blogs, sowie gezielte Einladungen kamen nach und nach weitere Blogger dazu. Zum jetzigen Zeitpunkt sind an dem,
in der jüngsten Vergangenheit eher selten aktualisierten Weblog 13 Autorinnen und Autoren beteiligt, von denen einige inzwischen aber nicht mehr in Bamberg wohnen.
Ein großer Vorteil, sich mit den Weblogs bekannter Blogger zu beschäftigen besteht darin, dass der Faktor Öffentlichkeit einschätzbarer wird. Die Bamberger Blogger
sind sich zumindest eines bestimmten übersichtlichen Kreises an Lesern bewusst, kennen
diese meist persönlich und Reaktionen oder Diskussionen nach der Veröffentlichung von
Texten sind keine Seltenheit, meist sogar gewollt. Das führt möglicherweise zu überlegteren Äußerungen und Formulierungen als ‚unreflektiertes‘ Bloggen, wenn keine Elemente
der Öffentlichkeit bekannt sind und Kommentare, wenn überhaupt, nur sporadisch abgegeben werden. Das Bewusstsein der Öffentlichkeit zeigt sich hier entweder durch persönliches Ansprechen der anderen Blogger, namentliche Erwähnung oder Bezugnahme auf
gemeinsam erlebte Begebenheiten sowie häufiges Verweisen per Hyperlink auf die anderen Weblogs.
Die Weltmeisterschaft 2006 fand vom 9. Juni bis zum 9. Juli statt. Dementsprechend habe ich zur Auswertung nur WM-bezogene Beiträge aus den Monaten Juni und
Juli 2006 herangezogen – mit einer Ausnahme bei Blogger Matthias, um ihm damit zwei
Beiträge zum Thema zu ermöglichen. Durch die Archivierung der älteren Beiträge in den
Weblogs konnte ich die entsprechenden Texte extrahieren, mit dem Stand vom 10. Juni
2007 separat sichern und damit vor weiteren möglichen Veränderungen oder gar Löschen
schützen. Insgesamt werden die Weblogs von neun Bamberger Bloggern zur Auswertung
102
http://www.bamberg-entfesselt.de/ (Stand: 12.06.07). Zum jetzigen Zeitpunkt sind ein paar mehr Blogger in diesem Gemeinschaftsblog verzeichnet, als es noch zum Zeitpunkt der WM der Fall war. Ein Blogger, der während der WM in
Neuseeland unterwegs war, hat zwar Beiträge zur WM verfasst, jedoch sind diese jetzt nicht mehr zugänglich.
52
herangezogen.103 Den Einstieg in die Auswertung soll eine Vorstellung der Blogs und
Blogger darstellen, bevor Aspekte und Themen, die analog zu den Fakten aus Kapitel 4
und dem darin erörterten Konzept der „imagined community“ Einfluss auf die Einstellungen und Gefühle zur Fußball-WM haben und daher besonders in der Blogosphäre erwähnt werden dürften, dargelegt werden. Daran schließt sich ein kurzer quantitativer
Überblick über die Häufigkeit und Vielfalt der erwähnten Themen innerhalb der Blogosphäre an, bevor diese Themen systematisch qualitativ analysiert werden. Anhand eines
ausgewählten Blogbeitrags – der die häufigsten Kommentare erhielt – soll beispielhaft die
mögliche Dynamik innerhalb der (Bamberger) Blogosphäre dargestellt werden. Der zweite
Teil der Auswertung wird sich speziell mit diesem Beitrag beschäftigen, der die Thematik
„Patriotismus vs. Nationalismus“ behandelt und eine kontroverse Diskussion entfacht hat.
6.1
Beschreibung der verwendeten Weblogs
Durch mein Wissen bezüglich der Bamberger Blogosphäre ist es mir, im Gegen-
satz zur Analyse von fremden Weblogs und Bloggern, möglich, die Soziodemographie der
verwendeten Weblogs herauszuarbeiten: Alter, Bildungsniveau, sowie ursprüngliche
geographische Herkunft der Blogger und Bloggerinnen.104 Außerdem soll die die ungefähre ‚Betriebsdauer‘ des jeweiligen Weblogs angegeben werden um unterschiedliche Nutzungsformen herauszufinden. Besonders die regionale Herkunft der Blogger könnte, vor
allem in weiterführenden Arbeiten, interessante Hinweise bezüglich des möglicherweise
unterschiedlichen Nationalgefühls oder –stolzes geben. Ein Überblick über die für die
Analyse verwendeten Weblogtexte, die angesprochenen Themen sowie die Anzahl der
Kommentare findet sich im Anhang (Tab. 1-9). Es werden dabei lediglich die Beiträge in
die Analyse einbezogen, die der jeweilige Blogger auch tatsächlich auf seinem persönli-
103
Mein eigenes Weblog, durch das ich ebenfalls im Gemeinschaftsblog vertreten bin, möchte ich aus Objektivitätsgründen
aus der Auswertung herausnehmen. Kommentare, die ich in anderen Weblogs abgegeben habe fließen in die Analyse
ein, allerdings ohne, dass ich mich als deren Autorin kenntlich mache.
104
Die Praxis des Anonymisierens der Weblogs zur Wahrung der Privatsphäre ist auch in der Bamberger Blogosphäre vertreten. Nur wenn die Blogger in ihrem Weblog ihren richtigen Namen angeben werde ich diesen Namen hier angeben,
sonst werde ich natürlich ihre Privatsphäre wahren. Angaben zu Alter und Studiengang möchte ich aber auch dann machen, wenn diese Fakten eigentlich nicht im Weblog angegeben sind. Damit wird ein genauerer Überblick über Altersstruktur, Geschlechtsverteilung sowie geographische Herkunft möglich.
Es kommt vor, dass Blogger, die ihren echten Namen zwar im Blog angeben, Kommentaren unter Angabe eines ‚Nicknamen‘ abgeben. Da mir sowohl die Pseudonyme als auch die wirklichen Namen bekannt sind und diese oft Teil der
Webadresse, also nicht geheim sind, gebe ich bei der Vorstellung beide Namen an.
53
chen Weblog veröffentlichte.105
6.1.1 Blogs und Blogger
Animas Blog106: Die Bamberger Germanistikstudentin betreibt ihr Weblog seit Mai
2006. Sie ist Anfang 20 und kam, nach eigener Aussage, aus der „Provinz“ in Thüringen
nach Bamberg.107 Ihr Weblog begann sie im Rahmen eines Weblog-Seminars an der Universität Bamberg, führte es jedoch auch darüber hinaus als privates Tagebuch, ein halbes
Jahr sogar als Reisetagebuch während ihres Aufenthalts in Kambodscha.
Coyotes Blog108: Der Wirtschaftspädagoge aus Bamberg bloggt seit April 2006. Er
ist Ende 20 und veröffentlicht in seinem Weblog überwiegend private Beiträge, darunter
zahlreiche TV- bzw. Kinokritiken sowie diverse Netz-‚Fundstücke‘.
Jans Blog109: Der wohl fleißigste aktive Blogger der Bamberger Blogosphäre ist der
bereits erwähnte Dr. Jan Schmidt. In seinem Blog berichtet er neben wissenschaftlichen
Tagungen, Konferenzen und wissenschaftlichen Fakten zum Praxis des Bloggens, Internet und Kommunikation auch über private Themen. Sein Blog existiert seit März 2004 und
damit gut zwei Jahre länger als die der anderen Blogger. Jan Schmidt ist Anfang 30, als
Kommunikationssoziologe an der Universität Bamberg tätig sowie stellvertretender Leiter
der Forschungsstelle "Neue Kommunikationsmedien"..
Jürgens (Jay) Blog110: Der Informatiker und Wirtschaftspädagoge begann sein
(englischsprachiges) Weblog als Reisetagebuch während seines halbjährigen Aufenthalts
in Malaysia etwa im März 2005. Seit seiner Rückkehr veröffentlicht der Endzwanziger
darauf weiterhin private Texte, wissenschaftliche Artikel und Informationen, z.B. bezüglich
seiner beruflichen und privaten Interessensgebiete ‚Social Software‘ und ‚Web 2.0‘. Zusätzlich umfasst sein Weblog eine integrierte umfangreiche Fotogalerie zu privaten Reisen und Unternehmungen.
105
Die Blogger Jan und Jürgen waren während der Fußball-WM jeweils einige Tage in Berlin, in der „we all speak football“WG: Das „we all speak football“-Projekt war eine vom Coca-Cola-Konzern unterhaltene Wohngemeinschaft in Berlin.
Fußballfans aus aller Herren Länder konnten sich einige Tage kostenfrei dort einmieten, die Weltmeisterschaft in Berlin
erleben und darüber in einem projekteigenen Gemeinschaftsblog berichten: http://www.weallspeakfootball.com/ (Stand:
12.06.07). Die Blogeinträge, die sie auf dem dortigen Blog veröffentlichten werden nicht in die Auswertung mit aufgenommen, da sie einer anderen, völlig uneinschätzbaren Öffentlichkeit ausgesetzt waren und daher nicht unbedingt vergleichbar sind.
106
http://anima.twoday.net/ (Stand: 12.06.07).
107
Anima: „Deutschland, Deutschland“, 20.06.06 (http://anima.twoday.net/stories/2204701/; Stand: 10.06.06).
108
http://coyote-knows-best.blogspot.com/ (Stand: 10.06.07).
109
http://www.bamberg-gewinnt.de/wordpress/ (Stand: 10.06.07).
110
http://www.maljaysia.de/ (Stand: 10.06.07).
54
Martins Blog111: Der norddeutsche Soziologiestudent hat als wissenschaftliche
Hilfskraft mit Jan Schmidt bereits die Umfrage „Wie ich blogge?!“ durchgeführt und ausgewertet. Er ist Mitte 20 und führt sein Weblog seit Ende 2005 sowohl mit privaten, tagebuchähnlichen Einträgen als auch mit wissenschaftlichen Beiträgen zu Tagungen und der
Arbeit am FONK, der Forschungsstelle „Neue Kommunikationsmedien" der Universität
Bamberg.
Matthias Blog112: Der Soziologe betreibt sein Weblog seit April 2006 eher sporadisch, anfangs noch zur Dokumentation des Entstehungsprozesses seiner Diplomarbeit
zum Thema „Politische Blogs in Deutschland“. Er war während seines Studiums ebenfalls
wissenschaftliche Hilfskraft am FONK und daher auch wissenschaftlich mit Weblogs beschäftigt.
Sabines (Bee) Blog113: Die ehemalige Bamberger Studentin der Europäischen
Wirtschaft begann mit dem Bloggen im April 2005 und ist eine der fleißigsten Bloggerinnen. Damit untermauert sie das bereits bei der Erforschung von klassischen Tagebüchern
häufig laut gewordene Vorurteil, Tagebuch- oder sonstiges privates Schreiben sei eher
Frauensache.Seit Oktober schreibt die knapp 30jährige gebürtige Ostwestfälin ihre Beiträge mit fast ausschließlich privaten Inhalten nicht mehr in Bamberg sondern in München.
Vroni(ka)s Blog114: Die studierte Sozialpädagogin und gebürtige Bayerin betreibt ihr
Weblog seit April 2006, ist Ende 20 und lebt in Bamberg. Ihr Weblog beinhaltet fast ausschließlich private Themen.
Wuschels Blog115: Der mittzwanzigjährige, fränkische Politikstudent bloggt seit Juli
2005 über Privates, Kulturelles aber auch bevorzugt über hochschul- und sonstige politische Themen. Mit seiner politischen Meinung trägt er entscheidend zum Entstehen der
Diskussion bezüglich des Nationalstolzes bei.
6.1.2 Soziodemographie der Bamberger Blogosphäre
Vergleicht man die von mir ausgewählten Weblogs mit den Ergebnissen der zu
Beginn dieser Arbeit erwähnten Umfrage „Wie ich blogge?!“ wird deutlich, dass die Bam-
111
http://www.inderzwischenzeit.de/ (Stand: 10.06.07).
112
http://derganznormalewahnsinn.twoday.net/ (Stand: 10.06.07). Seine Beiträge (und die meisten Kommentare) sind zwar
mit ‚Paetzolt79‘, seinem Account-Namen bei twoday.net, gekennzeichnet, jedoch erwähnt er seinen richtigen Vornamen
gelegentlich in Kommentaren. Daher ‚zerre‘ ich ihn nicht ungewollt an die Öffentlichkeit.
113
http://bee-to-bee.blogspot.com/ (Stand: 10.06.07).
114
http://vronikaskleinewelt.blogspot.com/ (Stand: 10.06.07).
115
http://www.wuschelswelt.blogspot.com/ (Stand: 10.06.07).
55
berger Blogger-Soziodemographie mit der von Schmidt/Wilbers für die deutschsprachige
Blogosphäre herausgefundenen annähernd übereinstimmt. Die Bamberger Blogger sind
zwischen 20 und 30 Jahre alt, wobei die Mehrheit die 25 bereits erreicht oder überschritten hat. Eine hohe formale Bildung, also Abitur oder Vergleichbares, weisen sie alle auf,
die meisten haben zudem ihre Universitätsausbildung inzwischen beendet. Es muss allerdings bedacht werden, dass das Gemeinschaftsblog „Bamberg entfesselt“, das die aktive
Bamberger Blogosphäre für diese Arbeit darstellt, von Studenten ins Leben gerufen wurde. Damit wurde es in deren jeweiliger, vermutlich vom gemeinsamen Studium oder Bekanntschaft geprägten, Blogosphäre bekannt gemacht und verbreitet. Nichtstudentische
Bamberger Blogger, die zweifelsohne vorhanden sind, hatten somit eine geringere Chance, in das Gemeinschaftsblog und die Auswahl zu dieser Analyse zu gelangen. Allerdings
war und ist es ein öffentliches Weblog, dem auch Nicht-Studenten beitreten könnten, wie
in jüngster Zeit auch geschehen. Ein Zusammenhang zwischen den Teilnehmern des
Gemeinschaftsblogs, den hier analysierten Blogs und dem gemeinsamen Bildungshintergrund ist nicht von der Hand zu weisen. Es ist für die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit
jedoch nicht wesentlich abträglich, da es ja laut Schmidt/Wilbers ohnehin dem typischen
Blogger entspricht, einen durchschnittlich höheren Bildungsgrad zu haben. Das Geschlechterverhältnis ist bei den analysierten Bloggern mit 1:2 weniger ausgeglichen als
aufgrund der Umfrage für die deutschsprachige Blogosphäre angenommen. Auf sechs
Blogger kommen lediglich drei Bloggerinnen.
6.2
Vorüberlegungen zur quantitativen und qualitativen Auswertung
Bei der Herausarbeitung bestimmter wichtiger Aspekte aus den Weblogbeiträgen,
die die Ausprägung des Nationalgefühls, die WM, den Fußball sowie das Gemeinschaftsgefühl betreffen, gibt es zwei Möglichkeiten: Zum einen können aus den bereits herausgefundenen Fakten bzw. Determinanten des Nationalgefühls in Kapitel 4 bestimmte Symbole und Codes, wie Fangesänge, Hymnen und Fanaccessoires gefiltert und deren Erwähnung in den Weblogs gezielt herausgesucht werden. Zum anderen liefert auch ein unvoreingenommener Blick in die Blogeinträge und die darin beschriebenen WM-Erlebnisse
eine reiche Auswahl an Erwähnungen von Fan-Utensilien, Ritualen und gemeinsam erlebten Anekdoten. Diese können kategorisiert, analysiert und mit den Aspekten aus Kapitel 4
verglichen werden.
Ich werde beide Möglichkeiten verbinden und im Folgenden sowohl die Aspekte,
die einen Einfluss auf die Ausbildung und Ausprägung einer „imagined community“ haben,
als auch weitere, von den Bloggern als wichtig zu erwähnen erachtete Fakten bezüglich
des Nationalgefühls und des persönlichen Erlebens der WM herausarbeiten. Diese sollen
56
anschließend in ihrer positiven oder negativen Einschätzung gegenüber gestellt und,
wenn förderlich, in Verbindung mit den dazugehörigen Kommentaren analysiert werden.116
So sind dies allen voran nationale Symbole wie die Fahne, die Nationalfarben auf Accessoires oder als Fanbemalung, das Singen der Hymne oder auch Lieder, die die Nationalhymne an Bedeutung für das Einheitsgefühl bisweilen ersetzen. So wichtig wie die Symbole ist das gemeinsame Erleben der WM, das soziale Beisammensein beim ‚public viewing‘, auf Fanfesten und –meilen, bei Grillparties im heimischen Garten. Emotionen, der
offene Ausdruck der Gefühle nach einem errungenen Sieg der Mannschaft oder auch
nach einer schmerzhaften Niederlage, sind in Form von Autokorsos, Jubelfeiern oder teilweise regelrechten (Trauer-)Zeremonien ein wichtiger Teil des gelebten WM-Gefühls und
aufgrund der daran beteiligten Fahnen und des Fanschmucks Teil des gelebten Nationalgefühls. Die Identifikation mit der Nationalmannschaft als ‚Verkörperung‘ Deutschlands,
das Phänomen des „WIR werden Weltmeister“ und die im Blog geäußerten Unterstützungsbekundungen für die Mannschaft sind ebenfalls Aspekte, die analysiert werden. Abschließend soll kurz auf alteingefahrene ‚Fanfeindschaften‘ eingegangen werden, da diese per se ein interessantes Forschungsobjekt hergäben und durch die deutliche Abgrenzung zu anderen Nationen ebenfalls Teil des Nationalgefühls sind.117
6.3
Quantitativer Überblick
Für einen kurzen quantitativen Überblick über die Weblogs wurden die jeweils be-
handelten Aspekte und Themen aus den einzelnen Beiträgen herausgearbeitet (siehe
Anhang, Tab.1-9)118 Aus diesen Ergebnissen konnten die absoluten Häufigkeiten, etwa der
Themenbereiche ‚Symbolik‘ oder ‚Soziales‘, festgestellt und nach Vorkommen – also der
unbewusst von den Bloggern durch Häufigkeit der Erwähnung eingeschätzten Relevanz –
116
Bei der Wiedergabe der Blogeinträge bzw. der Kommentare werde ich keine Korrektur der Texte vornehmen, seien es
Rechtschreibfehler oder die individuelle Schreibart der einzelnen Blogger. So ist der typische Schreibstil eines manchen
Bloggers z.B. konsequente Kleinschreibung oder das Schreiben in fränkischem (oder anderem) Dialekt. Diese Eigenheiten werde ich hier wiedergeben. Originalzitate aus den Weblogs sind kenntlich gemacht.
117
Natürlich ist es nicht immer eindeutig, welcher meiner Kategorien ein Element eines Beitrags zugeordnet werden muss
oder kann. Daher wurde immer Wert auf den erklärenden Nutzen des Aspekts gelegt und so teilweise z.B. symbolische
Elemente bei der Analyse der Emotionen eingebaut.
118
Themen, die erst in den Kommentaren neu dazukamen, werden in der Tabelle nicht aufgeführt. Sie werden später, wenn
relevant, in der qualitativen Analyse hinzugezogen. Ebenso wurden Themen wie Spielberichte oder Tippspiele, die zwar
WM-Bezug aber keine Relevanz für das Nationalgefühl besitzen, außen vor gelassen um den Rahmen der Arbeit nicht
zu sprengen.
57
aufgelistet werden (Tab.11 und Abb.3).119 Ebenfalls angegeben ist die Zahl der Kommentare, um einen Eindruck von der Dynamik zu bekommen, die in der Bamberger Blogosphäre herrscht. Dabei ist nicht gesagt, dass diese Kommentare automatisch einen Bezug
zum Thema WM haben. Wie später bei einem kurzen Blick auf die „Interaktion in Weblogs“ deutlich wird, wird die Kommentarfunktion auch gerne zur Kommunikation mit dem
Blogger oder anderen Lesern genutzt.
Nachdem die relevanten Themen und Aspekte der Weblogeinträge kategorisiert
und nach ihrer Häufigkeit aufgelistet wurden, können auch die vermutlich wichtigsten und
gängigsten Schlagworte zum Nationalgefühl aber auch zur Symbolik gesucht und quantitativ dargestellt werden. Dazu wurden die Blogeinträge jeweils nach den Begriffen ‚Fahne‘, ‚schwarz-rot-gold‘, ‚nation-‘, ‚stolz‘ und ‚Hymne‘ durchsucht (siehe Anhang; nach
Bloggern: Tab. 1a-9a; Zusammenfassung: Tab.10 und Abb.2).120
Es fällt auf, dass die Aspekte ‚Symbolik‘, ‚Soziales‘ sowie ‚Emotionen‘ weit häufiger
thematisiert wurden als etwa nationalbezogene Themen oder eine explizite Identifikation
mit der Mannschaft oder Deutschland. Vergleicht man diese Auflistung der Themenhäufigkeiten mit den absoluten Häufigkeiten bestimmter, auf das Nationalgefühl abzielender
Begriffe, wird deutlich, dass die Worte ‚Fahne‘ oder ‚Hymne‘ in manchen Weblogs so gut
wie gar nicht vorkommen. Inhaltlich werden aber die schwarz-rot-goldenen Symbole,
Fanartikel etc., zusammengefasst unter ‚Symbolik‘, sehr umfassend thematisiert und dargestellt, teilweise durch Fotos ohne Begleittext, die aber eindeutig ein Fahnenmeer oder
einen Autokorso mit schwarz-rot-goldener Dekoration zeigen. Das Thema ‚Symbolik‘ ist
also wesentlich wichtiger als es die Begriffe ‚Fahne‘ oder ‚Hymne‘ per se sind. Möglicherweise wurden diese ursprünglichen ‚alten‘ nationalen Symbole auch von ‚jüngeren‘, moderneren und weniger historisch belasteten abgelöst, wie hier z.B. von schwarz-rot-gelben
Schals, Hüten und Fangesängen. Genauer kann dies die qualitative Auswertung verdeutlichen.
119
Dabei wurden die Äußerungen zu „Nationalgefühl“, „Patriotismus(debatte)“ und „Nationalismus“ zum Überbegriff „Nationales“ zusammengefasst, die „Unterstützung“ für „unsere Jungs“ wurde zur „Identifikation“ mit der Mannschaft, dem
verbreiteten „WIR werden Weltmeister“ hinzugefügt. Themen, die lediglich ein oder zweimal auftauchten, z.B. „Regionalismus“, „Fanfeindschaften“ oder ein „Gender“-Aspekt wurden unter „spezielle Themen“ gefasst. Erwähnte Aspekte, wie
etwa ein Tippspiel oder Spielberichte, die in der Einzelbetrachtung der Weblogs noch unter „Sonstiges“ zusammengefasst wurden, wurden nicht in diese Tabelle aufgenommen und fallen auch, aufgrund mangelnder Relevanz, aus der
Auswertung.
120
Vgl. dazu Anhang. Es wurden hierbei lediglich die Blogeinträge, jedoch nicht die Kommentare durchsucht. Es ging darum
herauszufinden, ob die Blogger die ausgewählten Schlagworte verwenden oder nicht, was bei Einbeziehung der Kommentare nicht mehr eindeutig ersichtlich wäre. Der Begriff „nation“ steht dabei für mehrere mögliche – sinnvolle – Wortkombinationen, z.B. für „Nation“, „Nationalismus“ oder „national“, gleiches gilt für das Wort „stolz“.
58
6.4
Qualitative Analyse
In der qualitativen Analyse sollen die ausgewählten Themen anhand geeigneter
Blogbeiträge oder Kommentare exemplarisch dargelegt werden. Dabei sollen natürlich
auch kontroverse Ansichten sowohl verschiedener Blogger als auch der Kommentatoren
mit in die Auswertung einfließen um ein umfassendes Bild davon zu erhalten, wie die
Bamberger Blogosphäre die Weltmeisterschaft 2006 erlebt hat.
6.4.1 Symbolik
Nationale Symbole, allen voran natürlich die Landesflagge sowie das Singen der
Nationalhymne, haben die Kraft, Gemeinschaften zu schaffen, diese nach innen zu kräftigen und nach außen hin abzugrenzen, sowohl auf virtueller als auch auf realer regionaler,
nationaler oder europaweiter Basis. Für eine „imagined community“ im Rahmen eines
Fußballspiels oder –turniers sind folgende Symbole unter anderem wichtige Faktoren:
Das Singen der Hymne vor einem Länderspiel, das Schwenken von Fahnen, das Tragen
von Nationalmannschafts-Trikots sowie Fan-Accessoires in Landesfarben. All diese nach
außen sicht- und hörbaren Symbole fanden sich bereits im Vorfeld und natürlich während
der WM, im Stadion, auf den Fanmeilen und auch im heimischen Wohnzimmer wieder.
Und auch wenn die quantitative Analyse bereits deutlich gemacht hat, dass ‚die Fahne‘
und ‚die Hymne‘ so gut wie nicht erwähnt wurden, war die mehr oder weniger kreative
Fanbemalung und –verkleidung sowie der Schmuck von Häusern und Autos doch ein
häufig erwähntes Thema in der Bamberger Blogosphäre – wenn auch nicht einheitlich als
unterstützenswerter Beitrag zur WM erachtet.
So schrieb der Blogger Matthias eher genervt denn begeistert bereits Ende Mai
unter dem Titel „WM im ÜBERfluss“121 über das zum Verkauf angebotene „Fan-Allerlei“:
„Angefangen bei der Deutschland-Fahne über den klassisch gehaltenen
Deutschland-Hut, die allzeit beliebten Deutschland-Pantoletten bis hin zur
Deutschland-Irokensen-Fan-Perücke ist für jeden ein Stück Konsumirrsinn dabei“
Als illustrative Verstärkung dient ihm die Abbildung eines Discounter-Prospekts, in
dem zahlreiche Hüte, Fahnen, Wimpel und sonstiges Fanutensil in schwarz-rot-gelb feilgeboten wurden. Er findet es, gemessen am Zeitpunkt etwa zwei Wochen vor WMBeginn, allerdings „übertrieben und irgendwie lächerlich“, eine begründete Kritik in Bezug
auf etwaige nationalistische Symbole wird von ihm allerdings nicht laut. Er bekennt sich
zwar generell als sportbegeistert, fragt jedoch leicht ironisch, ob es sich bei diesen Artikeln wirklich um „Dinge“ handle, „die einfach jeder Mann haben sollte“. Ein tieferer Sinn,
121
Matthias: „WM im ÜBERfluss“, 23.05.06 (http://derganznormalewahnsinn.twoday.net/stories/2058255/; Stand: 10.06.07).
59
etwa die mit dem Tragen solcher Artikel verbundene offen gezeigte Unterstützung der Nationalmannschaft, scheint sich ihm nicht zu zeigen. In den Kommentaren zu diesem Eintrag findet anschließend eine kurze Diskussion statt: Unterstützung in seiner Ablehnung
findet der Blogger vom Kommentator Wildwuchs, der den Überfluss an allgegenwärtigen
Fußbällen schon vor der WM ebenfalls „übertrieben und nervig“ empfindet. Kommentatorin paule hingegen bekennt sich als „dem wahnsinn verfallen“ sowie „hype-süchtig“ und
zählt ihre bisherige Accessoire-Ausbeute auf: „schweißbänder, ne fahne“ sowie „a hemdla
mit germany und aufnäherle drauf“. Des weiteren erwähnt sie, dass sie sich auf die WM
freue und „stolz drauf“ sei, wobei nicht klar erkenntlich ist, ob sie stolz auf ihre Accessoires ist, auf die Tatsache, ihre Unterstützung für Deutschland mit dem Tragen eines TShirts deutlich machen zu können oder allgemein auf die WM im eigenen Land. Als Reaktion auf ihren Kommentar werden ihre genannten Accessoires von Matthias immerhin als
„vollkommen O.K.“ abgesegnet. Allem voran die Tatsache, dass ihre Deutschlandfahne
bereits seit der Europameisterschaft 2004 als „Fernbedienung“ fungiert, wird als besonders legitimierend deklariert. Es entsteht der Eindruck, als würden Fan-Artikel, die ihrem
ursprünglichen Bedeutungszusammenhang entrissen und ‚zweckentfremdet‘ eingesetzt
werden, von diesem Blogger eher akzeptiert als typische nationale Symbole zur Unterstützung: Eine Fahne, die statt einer politischen, nationalen Bedeutung eine praktische zugewiesen bekommt, ist eher akzeptabel. Eine Woche später muss Matthias schließlich,
trotz anfänglicher Zurückhaltung, zugeben: 122 „Es hat mich auch erwischt“, auch wenn er
sich immer noch nicht „so nen dämlichen Irokesenhelm“ aufsetzen würde und Fans, die
dies täten, trotzdem „albern“ finde. Seine WM-Teilnahme beschränke sich lediglich auf
das Ansehen der Spiele der deutschen Nationalmannschaft, „wahrscheinlich wieder mit
ordentlich Bier und Enthusiasmus“ und, wie sich aus einem anderen Weblog123 herausfinden lässt, bei einem ‚public viewing‘ in der Bamberger Gastronomie.124 Trotz des von ihm
eingestandenen „Enthusiasmus“ bezüglich der Spiele kann er sich nicht überwinden,
deutschlandbezogene Fanaccessoires zu tragen. Ob es ihm jedoch lediglich um ein möglicherweise peinliches Aussehen geht oder ob er es ablehnt, nationale ‚Farbe‘ zu bekennen, bleibt ungeklärt.
Besonders begeistert von schwarz-rot-goldenem Fanschmuck zeigt sich hingegen
die Bloggerin Sabine, die weder Kosten noch Mühen scheute und gemeinsam mit einigen
122
Matthias: „WM aktuell“, 16.06.06 (http://derganznormalewahnsinn.twoday.net/stories/2185635/; Stand: 10.06.07).
123
vgl. Martin: „Deutschland-Polen 1:0“, 15.06.07 (http://www.inderzwischenzeit.de/?p=73; Stand: 10.06.07).
124
In einer Blogosphäre, die über virtuelle Konnektivität hinaus auch reale Verbindungen hat, können auch von einem Blogger unerwähnte Ereignisse an das Licht der Öffentlichkeit gelangen und somit das dargebotene Bild der Realität komplettieren.
60
Freunden Fan-T-Shirts bedrucken lies: Vorne prangt, als Reminiszenz an den damaligen
schwäbischen Bundestrainer Jürgen Klinsmann, der Spruch „Mir sind die wo gwinne wellet“125, auf dem Rücken steht der jeweilige Name in schwarz-rot-gelben Buchstaben und
das Jahreskürzel ‚06‘. Allerdings erweckt sie mit ihrem Blogeintrag absichtlich den Eindruck, weniger ernsthaft Fußballfan zu sein („…und was echte Fans (husthust) sind, die
statten sich auch ordentlich aus“) bzw. sich vom ‚richtigen‘ Fan distanzieren zu wollen
oder sich ihm nicht ‚ebenbürtig‘ zu fühlen. Sie scheint, sich einer gewissen normativen
Kraft ausgesetzt zu fühlen, die es für „echte Fans“ unerlässlich mache, sich mit schwarzrot-goldenen Symbolen zu schmücken. Eine gewisse Distanzierung von ‚richtigen‘ Fußballfans zeigt sich auch durch das Setzen des Wortes ‚wir‘ in Anführungszeichen, sobald
es um die Identifikation mit der Nationalmannschaft geht („…schaffen ‚wir‘ es auch durch
die Vorrunde“). Andere Blogger gehen weitaus weniger kritisch mit dieser Identifizierung
um, dazu später mehr. Im Laufe der WM verfeinert sich Sabines Fan-Outfit weiter: So
stellt sie eingangs ihres Eintrags „Germania“126 die – rhetorische – Frage, wieso sie während des Achtelfinales gegen Brasilien als selbige bezeichnet wurde. Zur Klärung fügt sie
ein Bild an, das sie im weißen T-Shirt, mit einer schwarz-rot-gelber Blumenkette wie einen
Lorbeerkranz um den Kopf gewunden und mit schwarz-rot-gelber Bemalung auf beiden
Wangen eine Fahne schwenkend zeigt: Der Vergleich mit einer germanischen Schutzpatronin scheint nicht von so weit her geholt. Allerdings geht sie nicht weiter auf diese – eindeutig Deutschland bezogene – Betitelung ein und lässt daher keine Schlüsse zu, ob sie
dem positiv oder eher neutral gegenüber steht. Aber allein aufgrund ihrer sicherlich freiwillig und ungezwungen vorgenommenen Kostümierung kann davon ausgegangen werden,
dass der eindeutige Deutschlandbezug gewollt und daher positiv angesehen wird.
Obwohl es für die Herausbildung des Gemeinschaftsgefühls angeblich essentiell,
ja quasi Grundlage sei, wird das Singen der Nationalhymne vor einem Spiel in der Bamberger Blogosphäre nur marginal thematisiert, wie sich in der quantitativen Auflistung der
absoluten Häufigkeiten der Schlagworte andeutete. So z.B. lediglich in einem Blogeintrag
von Sabine, allerdings wertungsfrei und nur im Rahmen einer ironischen ‚Bewunderung‘
für die Spieler, die auch nach dem anstrengenden Singen noch 90 Minuten spielen können müssten.127 Ein Hinweis auf die Bedeutung, die der Hymne eigentlich innewohnen
sollte, wird hier nicht gegeben, sie wird als einem Fußballspiel zugehörig empfunden.
Statt der Nationalhymne, die zwar im Stadion gelegentlich auch nach Beginn des
125
Sabine: „Fußball fördert Fölkerferbindung“, 10.06.06 (http://bee-to-bee.blogspot.com/2006/06/fuball-fdert-flkerferbindung1.html; Stand: 10.06.07).
126
Sabine: „Germania“, 01.07.06 (http://bee-to-bee.blogspot.com/2006/07/germania.html; Stand: 10.06.07).
127
Sabine: „Olé olé olé“, 14.06.06 (http://bee-to-bee.blogspot.com/2006/06/ol-ol-ol.html; Stand: 10.06.07).
61
Spieles gesungen wurde (wie bei den Übertragungen gut hörbar war), haben andere, extra für die WM oder die deutsche Nationalmannschaft komponierte Popsongs einen wichtigen Stellenwert bei den Fußballfans eingenommen. So zum Beispiel der wohl, neben
den offiziellen Erkennungsmelodien, bekannteste Hit der WM, das Lied „’54, ’74, ’90,
2006“ der „Sportfreunde Stiller“ (Liedtexte: s. Anhang). Dieser Gassenhauer findet sich in
vielen Weblogbeiträgen unterschiedlicher Autoren wieder. So z.B. bei Jürgen, der in seinem Nachbericht über das Eröffnungsspiel128 beim public viewing erwähnt, als für die musikalische Untermalung Verantwortlicher häufig gebeten worden zu sein, genanntes Lied
oder das ebenfalls beliebte „Schwarz und Weiß“ des Comedian Oliver Pocher zu spielen.
Auch für fatalistische Berechnungen bezüglich eines unvermeidlichen WM-Sieges war
das Lied der Sportfreunde Stiller geradezu perfekt, ergibt doch das Produkt von 54 mal 74
minus 1990 exakt 2006, wie auch Blogger Martin schließlich herausfindet.129 Fast noch
größere Bedeutung für die arg gebeutelte Fanseele nach dem Ausscheiden der Deutschen aus dem Turnier hat allerdings die gleich darauf veröffentlichte Nachfolgeversion
des Liedes, „’54, ’74, ‘90, 2010“, zur Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika: „Am Cup der
guten Hoffnung probieren wir's nochmal“130. Diese Version findet Erwähnung sowohl bei
Sabine (als letzten Arbeitsschritt beim Backen eines Fußballkuchens nach dem bereits
erfolgten Ausscheiden der Deutschen empfiehlt sie, „den Kuchen […] mit laut gegröltem
‚54, 74, 90, 2010‘“131 auf das ‚kleine‘ Finale einzustimmen) als auch bei Blogger Coyote,
der den Link zum Download des Liedes von der Homepage der Band anbietet132. Und
auch Bloggerin Anima richtet sich und andere durch die Erwähnung dieses Titels mental
wieder auf mit der optimistischen Erwähnung: „son Weltmeistertitel, das wär schon was...
naja 54,74,90,2010“.133
Popsongs statt der Nationalhymne als Mittel zur Selbstbestätigung der FanCommunity sind zur WM 2006 häufig anzutreffen, aber auch zur Abgrenzung von anderen
Fans und Nationen. Neben dem allseits bekannten und beliebten „football’s coming home“, das inzwischen nicht nur das eigentliche Mutterland des Fußballs, England, für sich
proklamiert sondern – in textlich neutralisierter Version ohne die für England symboli-
128
Jürgen: „Soccer Worldcup Opening Party“, 17.06.06 (http://www.maljaysia.de/index.php?/archives/356-Soccer-WorldcupOpening-Party.html; Stand: 10.06.07).
129
Martin: „Schicksal: Deutschland MUSS Weltmeister werden!“, 26.06.06 (http://www.inderzwischenzeit.de/?p=79; Stand:
10.06.07).
130
Zeile aus dem Lied „’54, ’74, ’90, 2010“ der Sportfreunde Stiller.
131
Sabine: „Der Tag danach“, 09.07.06 (http://bee-to-bee.blogspot.com/2006/07/der-tag-danach.html; Stand: 10.06.07).
132
„’54 ’74 ’90 2010“, 07.06.06 (http://coyote-knows-best.blogspot.com/2006/07/misc-54-74-90-2010.html; Stand: 10.06.07).
133
Anima: „zweimal laut gelacht… und trotzdem nicht fröhlich“, 06.07.06 (http://anima.twoday.net/stories/2300188/; Stand:
10.06.07).
62
schen „three lions on the shirt“ – von Fans aus aller Fußball Länder mitgegrölt wird, gibt
es eine reiche Auswahl an Fangesängen. Ob man nun mit seiner Mannschaft nach zum
Finale nach „Berlin! Berlin!“ fährt, Stuttgart, der Ort des kleinen Finales „viel schöner als
Berlin“ ist, die andere Mannschaft und deren Fans „nach Hause fahr‘n“ können – die
Kreativität kennt keine Grenzen. Besonders nach dem Sieg über eine andere Mannschaft
wird diese vor Schmähliedern kaum geschont, wie das Beispiel des Bloggers Coyote verdeutlicht, der nach dem Ausscheiden der Engländer genanntes „football’s coming home“
in abgeänderter Version als „England’s going home“134 veröffentlicht – allerdings findet
sich diese Version so, oder so ähnlich, auf vielen weiteren Internetseiten, wie eine Internet-Suche zeigt. Ob es sich also um eine Eigenkreation oder –dichtung des Bloggers
handelt bleibt ungeklärt.
Zwischenfazit
Auch in der Bamberger Blogosphäre sind exotische Accessoires wie IrokesenPerücken, überdimensionale Hüte oder Hawaii-Blumenketten in den Nationalfarben während der WM ein Thema gewesen, so gut wie jeder Blogger erwähnte ein- oder mehrmals
Fanartikel. Während von einigen diese Symbole als notwendig erachtet wurden, um „ein
richtiger Fan“ zu sein und sie dementsprechend auch begeistert, und mit einiger Kreativität, getragen wurden, empfanden andere das inflationäre Aufkommen dieser Dinge als
‚nervig‘ ja sogar ‚peinlich‘. Auf Seiten der Befürworter macht es meines Erachtens keinen
großen Unterschied, ob es sich beim Träger um einen ‚echten‘, eingefleischten Fußballfan
handelt, der auch sonst Spiele seiner Lieblingsmannschaft verfolgt, oder ob es Fans waren, die dem ‚Ereignis Weltmeisterschaft‘, der sozialen Dynamik der anderen Fans, erlegen sind. Diese Symbole vereinten Fans jeglicher regionaler Herkunft und jeglichen fußballerischen Hintergrundwissens. Es erweckt den Eindruck, dass mit dem Tragen solcher
Symbole das Gefühl der „imagined community“ erst möglich wird, dass man erst durch sie
zum dazugehörigen ‚richtigen‘ Fan wird. Ein gewisser normativer Druck ist nicht von der
Hand zu weisen: Wer für Deutschland ist sollte das auch offen zeigen, wie sich das eben
gehört. Sich offen als Deutschland-Fan zu zeigen wurde entweder als selbstverständlich
gesehen wie im Falle von Sabine, oder es wurde höchstens aufgrund der optischen Lächerlichkeit einer Irokesenperücke abgelehnt.135 Obwohl ‚die Fahne‘ fast nie Erwähnung
fand, ist sie häufig auf Fotos und implizit gegenwärtig, wie beim Aspekt der ‚Emotionen‘
134
Coyote: „England draußen!“, 01.07.06 (http://coyote-knows-best.blogspot.com/2006/07/misc-england-drauen.html;
Stand: 10.06.07).
135
Eine begründete Kritik an nationalen Symbolen wie der Deutschlandfahne wurde nur von Blogger Wuschel geübt. Diese
wird gesondert im zweiten Teil der Analyse betrachtet.
63
noch deutlich wird. Anders als bei der Hymne, die von anderen, inhaltlich völlig anderen
Liedern abgelöst wurde, ist die Fahne zwar immer noch sichtbar vorhanden, ihre Farben
sind jedoch inzwischen auch auf allen möglichen anderen Textilien oder Accessoires zu
finden und laufen ihr an Popularität den Rang ab.
Wie die quantitative Auswertung bereits angedeutet hat, wird das Singen der Nationalhymne so gut wie nicht thematisiert, was möglicherweise auf ihre geringere Bedeutung für das Gemeinschaftsgefühl schließen lässt. An die Stelle der Nationalhymne sind
hingegen Deutschland- oder WM-bezogene, deutschsprachige Fußballlieder gerückt, die
aufmunternd von dem „langen Weg aus der Krise und aus der Depression“136 künden –
dem Fan bleibt dabei selbst überlassen, ob von der sportlichen Krise oder einer gesamtgesellschaftlich-politischen Krise die Rede ist. Oder es wird die Nationalmannschaft in
„Schwarz und Weiß“, die von den „Fans als zwölfter Mann“137 unterstützt wird, in den Mittelpunkt gerückt. Die lautstarke Selbstvergewisserung der Fans ist in jedem Fall ein wichtiger Aspekt bei der Fußballweltmeisterschaft gewesen, ob als Mittel der Selbstbestätigung untereinander oder als Abgrenzung zu anderen Ländern bzw. Schmähung der anderen Mannschaften und Fans.
Es bliebe herauszufinden, ob bestimmte Popsongs wirklich dabei sind, an die Stelle der Nationalhymne zu treten und welche Gründe dafür verantwortlich sind. Möglicherweise sind diese Lieder – weil viel jünger – weniger national ‚belastet‘ als die Hymne und
machen es deshalb den Fans leichter, sie lauthals mitzusingen. Des Weiteren wäre es in
einer anschließenden Studie interessant herauszufinden, ob Unterschiede in der Begeisterung für Fanartikel geschlechtsspezifisch, altersabhängig oder anderweitig bedingt sind.
6.4.2 Soziales
Ein wichtiges Phänomen der Fußball-WM 2006 war mit Sicherheit das sogenannte
‚public viewing‘: Öffentlich aufgestellte Großbildleinwände in Städten und an exponierten
Lagen, die ein gemeinschaftliches Erleben der Fußballpartien ermöglichten. Obwohl dieses Geschehen an sich keine neue Erfindung war, ist der durchschlagende Erfolg und das
Eingehen dieses Anglizismus138 in den Alltagssprachgebrauch ein Indiz für die Bedeutung
dessen im Rahmen der WM. Neben den Leinwänden, die von den Städten aufgestellt
wurden gab es, um beim Beispiel Bamberg zu bleiben, auch mehr oder weniger private
136
Zeile aus dem Lied „’54, ’74, ’90, 2006“ der Sportfreunde Stiller.
137
Zeile aus dem Lied „Schwarz und Weiß“ von Oliver Pocher.
138
Initiiert wurde der Begriff jedoch nicht von den Fans selber, sondern von den Organisatoren, um international verständliche Schlagworte für die wichtigsten Orte und Praktiken der WM zu schaffen.
64
Organisatoren oder Gastronomien, die eine Leinwand aufstellten.
Dass ‚Public viewing‘durch seinen Sog und das stimmungsvolle Erleben eines
Spiels inmitten von gleichgesinnten Fans dazu beitragen kann, sogar vormals NichtFußballfans zu begeisterten Anhängern zu machen, zeigt sich unter anderem bei der
Bloggerin Anima und ihrem ersten WM-Beitrag:139 Darin lässt sie erahnen, nicht generell
fußballbegeistert zu sein sondern macht dies jeweils vom Stattfinden einer Weltmeisterschaft abhängig und bezeichnet sich daher „erfasst von einer alle 4 Jahre wiederkehrenden Fußballbegeisterung“, was sich in begeistertem „Grölen und Fahne-Schwenken“ äußert. Das von einer Bamberger Studenten-Community organisierte ‚public viewing‘ des
Eröffnungsspiels trug bei ihr den nötigen Anteil zur Begeisterung bei, trotz sonnenbedingter schlechter Sicht. Somit freut sie sich: „das geht ja jetzt noch ein paar Wochen so weiter“. Damit ist der zeitliche Rahmen ihres Fußballenthusiasmus implizit zeitlich begrenzt.
Bloggerin Vroni erwähnt die für sie anscheinend ‚leidige‘ WM zwar nur am Rande,
kann aber ebenfalls als Beispiel für den ‚Bann‘, der von ihr ausgeht, zitiert werden:140 Zwei
Tage nach der Eröffnung gibt sie noch an, sie habe „mit Fußball […] nicht viel am Hut,
auch nicht, wenn die WM in Deutschland stattfindet“, und könne sich daher „zu der Minderheit zählen, die in den nächsten Wochen Zeit hat und nicht ständig vor dem Fernseher
oder irgendwelchen (angeblichen) Großbildleinwänden hängt“. Relativ spät im Verlauf der
Weltmeisterschaft – aber immerhin – muss sie jedoch auch bekennen:
„Unglaublich, aber wahr
Ich, ausgerechnet ich, schau mir ein ganzes Fußballspiel an. Ganz von alleine,
ohne Anstoß von außen!!!! Wer hätte das jemals gedacht? Und ich finde es auch
noch super spannend und habe für das Spiel meinen Sonnenplatz im Garten aufgegeben.“141
Aus ihren Äußerungen geht aber nicht hervor, ob sie durch eine äußere Gruppendynamik den Geschmack am Fußballschauen gefunden hat oder von sich aus darauf gekommen ist. Trotzdem stellt sie ausgangs ihres Beitrags ohne weitere Erklärungen fest:
„Ja, das hätte es früher nie gegeben....“.
Bei manchen ehemaligen Nicht-Fans trägt der Sog des gemeinsamen Erlebnis
beim ‚public viewing‘ sogar dazu bei, dass diese erwägen, die Spiele der Deutschen ihrer
eigentlich (für sie persönlich) wichtigeren Arbeit vorziehen, wie sich bei Blogger Martin
139
140
Anima: „Fußball rollt!“, 10.06.06 (http://anima.twoday.net/stories/2148381/; Stand: 10.06.07).
Vroni(ka): „Stressig, aber erlebnisreich…“, 11.06.06 (http://vronikaskleinewelt.blogspot.com/2006/06/stressig-abererlebnisreich_11.html; Stand: 10.06.07).
141
Vroni(ka): „Unglaublich, aber wahr“, 30.06.06 (http://vronikaskleinewelt.blogspot.com/2006/06/unglaublich-aberwahr.html; 10.06.07).
65
nachlesen lässt.142 Er fragt sich
„völlig überrascht: Warum zum Teufel denke ich darüber nach die WM
meiner Hausarbeit vorzuziehen“ und findet auch Argumente für Fußball: „1. Es ist
die WM. […] 2. Ich bin in ausgezeichneter Gesellschaft was das Spiel heute Abend
betrifft […] 3. Das Wetter ist verdammt nochmal viel zu genial, um am Schreibtisch
zu sitzen […]“.
Nichtsdestotrotz schließt er seine Überlegungen mit dem Stoßseufzer „Oh wow,
wie gut, dass das in vier Wochen wieder vorbei ist 'grins'“, was andeutet, dass ihm dieses
Schleifenlassen von studentischen Pflichten sowie die ständigen Entscheidungsprozesse
nicht leicht fallen und auch er wie Anima nur zeitlich begrenzter ‚Fan‘ ist. Jan und Flo, beides Freunde und Mitarbeiter von Martin, äußern sich in den Kommentaren amüsiert über
seine Gedankenspiele, da er wohl bisher eher ein Fußballkritiker war und über den „Fußballexpertenstammtisch im FONK“ gelästert habe. Dass es nicht nur bei Gedankenspielen
und beim Abwägen der Argumente blieb wird beim Blogeintrag des nächsten Tages und
der darin enthaltenen Rekapitulation des gemeinschaftlich und öffentlich erlebten Spiels
deutlich.143
Als Steigerung zum gemeinsamen Spielerlebnis bei einem ‚public viewing‘ kann
vermutlich nur noch der Besuch in einem Stadion während eines WM-Spiels gelten. So
erlebte dies – obwohl ja eigentlich nur ‚Fan auf Zeit‘ – die Bloggerin Anima, die das Spiel
Ghana gegen die USA in Nürnberg live sehen konnte – eine Tatsache, womit sie, wie sie
sich sicher ist, „jetzt einige Neider provoziere“.144 Neben lobender Erwähnung der Organisation in Form von Hinweisschildern und ‚Volunteers‘, zeigt sie sich begeistert von ihrem
Platz im Ghanafanblock, in dem „richtig Party gemacht [wurde], mit Trommeln und Fahnen und (deutschen) Fangesängen“. Diese Aussage wäre interessant zu hinterfragen:
Handelte es sich bei den ‚Sängern‘ um – wie eben Anima – deutsche Besucher oder um
Ghanaer, die sich das deutsche ‚Fan-Liedgut‘ angeeignet hatten. Als hätte es sie überrascht erwähnt sie neben dem reibungslosen Ablauf und der guten Stimmung noch die
Tatsache, dass es „keine Kloppe“ während und nach dem Spiel gegeben habe: „die einzigen Kontakte von Amis und Ghanaern waren Fotoumarmungen und Handschläge nach
dem Spiel *gähn*“. Die abschließende Interjektion145 *gähn* lässt vermuten, dass sie stattdessen eher mit Rangeleien oder Handgreiflichkeiten gerechnet, ja diese sogar gespannt,
142
Martin: „Und was es sonst so gibt…“, 14.06.06 (http://www.inderzwischenzeit.de/?p=72; Stand: 10.06.07).
143
Martin: „Deutschland-Polen 1:0“, 15.06.06 (http://www.inderzwischenzeit.de/?p=73; Stand: 10.06.07).
144
Anima: „Steh auf, wenn du für Ghana bist“, 23.06.06 (http://anima.twoday.net/stories/2226901/; Stand: 10.06.07).
145
Das Setzen der Interjektion „gähn“, die in diesem Fall wohl Langeweile (je nach Zusammenhang auch Müdigkeit) andeuten soll, in Sternchen ist eine Eigenheit des Netzjargons, wie er in Chaträumen vorzufinden ist aber auch für Blogtexte
durchaus üblich ist.
66
möglicherweise mit einem gewissen sensationsgierigen Voyeurismus, erwartet hatte.
Zwischenfazit
Wie vermutet ist das gemeinsame Erleben eines WM-Spiels, beim „public viewing“
auf einem öffentlichen Platz, im Garten eines Restaurants oder gar mit tausenden anderen Fans im Stadion, ein wichtiger Faktor zur Ausbildung einer schichtenübergreifenden
„imagined community“. Dabei ist es manchmal sogar irrelevant, ob die Mannschaft des
Heimatlandes gerade die übertragene Partie bestreitet oder ob man mit Fans aus anderen
Ländern mitfiebert und feiert. Gelegentlich ist der Sog, den diese sozialen Ereignisse produzieren, so stark, dass bisherige Prioritäten in den Hintergrund geraten. Deutlich wird
dies, wenn man in den Weblogs den Entscheidungsprozess eines Bloggers miterleben
kann, ob er denn wirklich die universitäre Arbeit für ein Fußballspiel im Kreise seiner Bekannten und Freunde vernachlässigen könne. Der Fußball, den der eine oder andere
Blogger am Anfang der Weltmeisterschaft noch als notwendiges Übel quasi über sich ergehen lassen wollte, zog schon nach wenigen Spieltagen jeden der hier vertretenen Blogger in seinen Bann, ob mit tatkräftiger Unterstützung anderer Fans und das dadurch entstehende soziale Leben, oder ganz von alleine.
Diese positiven Äußerungen bezüglich des ‚Erlebnisses WM‘ und auch die Auswirkungen auf das tägliche Leben (Stichwort: Pflichtbewusstsein gegenüber der Arbeit oder
Universität) legen nahe, dass diese Effekte auch förderlich für die Stimmungslage sind,
und dies nicht nur in der Blogosphäre sondern möglicherweise in der Gesellschaft allgemein. Somit wäre die Stimmung während der WM zwar nicht Auslöser eines gesamtgesellschaftlichen Umbruchs in Deutschland, aber, anders als das Postulat von Lösche, zumindest vielmehr als der bloße Ausdruck eines verbesserten Gemeingefühls. Zumindest
in den hier betrachteten Einzelfällen wirkte sich die allgemeine äußere Stimmungslage
positiv auf die persönliche, die z.B. durch Berufspflichten beeinträchtigt war, aus. So wurde im Freundes- oder Bekanntenkreis vier Wochen lang gefeiert und schlechte Stimmungen und Probleme häufig verdrängt.
6.4.3 Deutsches (Selbst-)Bewusstsein und Patriotismusdebatte
Ein wichtiger Aspekt ist natürlich das neu erwachte bzw. positiv veränderte
(Selbst-)Bewusstsein der Deutschen durch die WM das bereits vor dem eigentlichen Beginn des Turniers die Menschen ergriff. Dieses Thema ist ebenfalls in der Blogosphäre
angeregt diskutiert worden. Der wohl wichtigste Eintrag von Wuschel zu diesem Thema,
samt zugehöriger kontroverser Diskussion, wird im zweiten Teil der Auswertung separat
analysiert werden. An dieser Stelle wird aber bereits auf andere Beiträge zur Patriotis67
musdebatte eingegangen.
Obwohl er vorher das Thema ‚Nationalhype‘, also die exzessiven Jubelfeiern und
die betonte Unterstützung Deutschlands – vertreten durch die Nationalmannschaft – nicht
explizit thematisiert hatte, befasst sich Blogger Martin am Ende der WM intensiver mit der
Frage, was wohl übrigbliebe vom Hype, wenn die Weltmeisterschaft ein paar Monate vorbei sei.146 Bei diesem Thema wirft er zuerst der Kanzlerin und ihrer Regierung mehr oder
weniger ernstgemeint vor, während der WM regelrecht „sturmfrei“ gehabt zu haben und
ihrer Arbeit nicht ordentlich nachgegangen zu sein.147 Jedoch würden die Kritiker nach der
WM wieder auf den Plan treten und so gab er sich „mal gespannt, was wir spätestens am
Dienstag wieder so in unseren Zeitungen lesen dürfen“. Fundierte Vorwürfe über Pflichtverletzungen oder ‚schlechte‘ Politik hat er allerdings nicht anzubringen, so scheint diese
Behauptung eher neckisch zu sein und auf die häufig zu beobachtende Anwesenheit der
Kanzlerin im Stadion und ihre unverhohlene Freude ob guter Leistungen der Mannschaft
abzuzielen. Wichtiger ist ihm jedoch eine Bemerkung Merkels, „dass sie es ganz hervorragend findet, wie die Deutschen nach dem langem Trauma (wenn man das so nennen
will) wieder etwas mehr Farbe bekennen“. Dies könne er nur unterstützen und begrüßen.
Sein relativierender Einschub bezüglich des „Trauma“ lässt vermuten, dass er über diese
Wortwahl nicht so glücklich ist, sie anscheinend als übertrieben empfindet. Er scheint einer der jungen Erwachsenen zu sein, die die Schuld der früheren Generationen und ihrer
Vorfahren am Nationalsozialismus zwar auf keinen Fall leugnen, jedoch ihre Generation
als daran unschuldig erachten und für sich persönlich nicht mehr von ‚traumatischen‘ Zuständen im Hinblick auf Deutschland sprechen. Einen „schmalen Grat zwischen Patriotismus und Nationalismus“ erkennt und erwähnt er trotzdem – leicht belehrend und mahnend anmutend – und gibt sich gespannt, welche Spuren des „veränderten deutschen
(Selbst-)Bewusstsein[s]“ auch nach der WM noch wahrgenommen werden können.148
Des Weiteren gibt er sich in seinem Blog interessiert an einem Thema, das auch
für die Europäische Ethnologie – und andere Fächer, die den Blick ins Ausland oder vom
Ausland auf Deutschland ins Zentrum ihrer Studien rücken – von besonderem Interesse
sein sollte: Das Bild der Deutschen während der WM im Ausland, natürlich besonders bezogen auf den neu erwachten Nationalstolz und das offene Bekenntnis der Bürger zu ih-
146
Martin: „Tor! Tor! Tor!“, 09.07.06 (http://www.inderzwischenzeit.de/?p=84; Stand: 10.06.07).
147
Sie hätten demnach unbehelligt von Kritikern und Öffentlichkeit „im Bundestag das Grillen anfangen, dazu bescheuerte
Papphüte tragen, völlig stoned im Kanzleramt Telefonstreiche ausleben oder eine mehr fragwürdige Gesundheitsreform
verabschieden" können (Martin, 09.07.06).
148
An diesem Punkt kann treffenderweise auf die bereits in Punkt 4.4 erwähnte Ipsos-Umfrage verwiesen werden, die genau dieser Frage nachgegangen ist.
68
rem Land. Er erwähnt eine „positive Resonanz“, die er bislang bereits erfahren habe. Die
deutsche Euphorie und die Behauptung, sie hätten „‚die beste WM, die je gespielt wurde‘“
organisiert und ausgetragen, würde ihm jedoch – ohne sich bis dato in ausländischen
Weblogs über die Sicht des Auslandes auf die Qualität der WM informiert zu haben – ein
wenig übertrieben erscheinen. Nichtsdestotrotz sei ihm bekannt, dass Engländer und
Franzosen „reichlich überrascht“ gewesen wären. Angesichts der Tatsache, dass diese
beiden Nationen sich nicht selten deutschlandkritisch äußern, dürfte diese Aussage
schmeichelnd und positiv überraschend aufzufassen sein. Ob er diese Informationen aufgrund der Lektüre englischer sowie französischer Presseerzeugnisse, Internetseiten oder
Weblogs erlangt hat oder im persönlichen Gespräch z.B. mit ausländischen Studierenden
oder Gästen an seinem Arbeitsplatz, wird aus seiner Aussage nicht klar. Er beschließt
seinen Beitrag mit einem Satz, der sowohl ungläubig als auch selbst-bestätigend anmutet
und die sowohl unerwartete als auch positive Resonanz aus dem Ausland ein Stück weit
zu erklären sucht: „Jaja, Deutschland kann sogar schöner sein, als so mancher Deutsche
selbst glaubt.“ Ob sich diese ‚Schönheit‘ jetzt auf ästhetisches Gefallen bezieht, auf subjektiv empfundene Höflichkeit oder Gastfreundschaft gegenüber Fremden oder auf das
Organisationstalent während der WM wird leider nicht ersichtlich.
Ebenfalls mit der, von ihr so genannten, „Patriotismusdebatte“ beschäftigt sich
Anima.149 Ihrer Meinung nach ist diese Debatte allerdings bereits „abgeschlossen“, dabei
erwähnt sie weder, worauf sich diese Einschätzung stützt, noch was genau der Inhalt dieser Debatte gewesen sei.150 Angesichts des nachgefügten Einschubes, ihrer Meinung sei
„das eh nur ein zeitlich begrenzter Hype […], der nach der WM sofort wieder abflauen
wird“ kann davon ausgegangen werden, dass sie die Diskussion über die Legitimierung
des ausgelebten ‚Nationalstolzes‘, das Fahne Schwenken und das Tragen der Nationalfarben als Fanbemalung und in Form von Accessoires, als die „Patriotismusdebatte“ betrachtet. Diese Debatte scheint aber für sie weniger von Interesse zu sein – zumal sie ja
angeblich bereits abgeschlossen sei – und wird lediglich kurz abgehandelt. Von wesentlich größerem, schon wissenschaftlich anmutendem Interesse ist aber eine Frage, die sie
quasi an ihre Leserschaft richtet: „Wieso hängen bei mir zuhause keine (bzw. kaum) Fahnen draußen?“ Als mögliche Erklärungsversuche liefert sie zum einen den Hinweis, dass
ihr Heimatort 9.000 Einwohner habe und dementsprechend ihrer Ansicht nach „Provinz“
sei, zum anderen die Überlegung, es könne „da doch Unterschiede zwischen Ost und
149
„Deutschland, Deutschland“, 20.06.06 (http://anima.twoday.net/stories/2204701/; Stand: 10.06.07).
150
Eine Woche nach diesem Eintrag stellt Anima im Eintrag „Deutschland, Deutschland II“ fest, dass die „Patriotismusdebatte“ noch keineswegs abgeschlossen sei und verweist an dieser Stelle auf den später noch genauerbetrachteten Eintrag
von Blogger Wuschel.
69
West“ geben, da sie aus Thüringen komme und wohl aus Bamberg oder anderen Städten
im Westen ein höheres Fahnenaufkommen gewohnt ist. Sie macht dadurch allerdings
auch deutlich, dass sie Fahnen eine höhere Bedeutung für die Unterstützung Deutschlands zumisst, als das bei den anderen Bloggern und der vorangegangen Analyse der
Symbole der Fall war. Zwei Kommentatoren melden sich zu diesem Thema zu Wort: der
Berliner Blogger King Fisher erwähnt, dass es in seiner Straße151 sehr wohl Fahnen gäbe,
allerdings kaum deutsche, diese „befinden sich eher auf den Autodächern…“. Dies kann
mit dem generell verhältnismäßig hohen Ausländeranteil in Berlin zusammenhängen.
Wieso allerdings die Fahnen an den Autos eher schwarz-rot-golden sind wird dadurch
nicht geklärt. Kommentatorin Alexx zählt ihren Wohn- oder Heimatort auch der ‚Provinz‘
zugehörig, allerdings „ist hier alles voll Fahnen - Gärten, Autos, Balkone etc etc.“. Demnach dürfte es keinen nennenswerten Unterschied zwischen Stadt und Land geben.
Kurze Zeit später, in Bezug auf die Veröffentlichung des Beitrags von Wuschel,
eröffnet Anima die „Patriotismusdebatte“ in ihrem Blog jedoch neu.152 Wuschels ganzheitliche Kritik am neu erwachten Nationalstolz könne sie ganz und gar nicht unterschreiben,
vielmehr ginge ihr „dieser Pessimismus auf den Sack“ und sie fragt an Wuschel oder ihre
Leser gerichtet:
„Wieso muss das denn jetzt noch einen bitteren Beigeschmack haben, die
schwarz-rot-goldene Fahne zu schwenken und endlich mal auf sein Land stolz zu
sein?“
Vermutlich auf Wuschels Kritik an den bestehenden sozialen und politischen Zuständen bezogen gibt sie zu, dass es sicherlich „einiges zu meckern“ gäbe, trotzdem sei
Deutschland aber „super“, „weil ich alles tun kann, was ich möchte, und ich hab das auch
schon anders erlebt (und trotzdem waren die Menschen dort stolzer auf ihr Land, als wir
Deutschen es sind)“. Mit „dort“ meint Anima zweifelsohne die DDR, wo sie ihre Kindheit
verbrachte. Die von Wuschel erwähnten Neonazis in Bamberg und die damit zusammenhängenden nationalistischen Ressentiments bezeichnet sie als „NS-Sache“, die für sie
„Geschichte“ sei, „nicht mehr und nicht weniger!“ Die vier Kommentatoren, die sich zu ihrem flammenden Plädoyer für einen gesunden Patriotismus äußern, stimmen ihr uneingeschränkt zu und äußern sich u.a. genervt von Menschen „mit ner pessimistischen Grundeinstellung“, die „in allem was schlechtes sehen“ (Jürgen) oder „aus allem ein Problem
machen“ (Coyote). Stattdessen wollen sie sich „am Leben und am Fußball und an unserem Land, das ganz normal und eben freiheitlich und rechtstaatlich ist“ freuen (Kommentator 404) und „endlich mal exzessiven stolz aufs heimatland zeigen […] können (dürfen)“
151
Laut Impressum seines Weblogs die Schlüterstraße in Berlin-Charlottenburg.
152
Anima: „Deutschland, Deutschland II“, 28.06.06 (http://anima.twoday.net/stories/2254762/; Stand: 10.06.07).
70
(paule).
Zwischenfazit
Nicht erst nach Ablauf des Turniers wurde der Einfluss der WM auf die nationale
Stimmung und das neue sich-selbst-bewusst-Sein der Deutschen deutlich. Dass dies ein
relativ ungewohntes Gefühl auch für die Blogger war, und nicht als selbstverständlich hingenommen wurde, merkt man schon daran, dass sich einige noch im Verlauf des Turniers
Gedanken darüber machten, wie viel von diesem „Hype“ wohl auch in den Monaten danach noch zu spüren sei – dabei beschieden sie diesem Hochgefühl allerdings nur eine
kurze Lebensdauer. Dass das positive Nationalgefühl außerdem nicht von allen Bürgern
unkritisch oder ‚naiv‘ aufgefasst würde, war z.B. Anima bewusst, die zwar den ‚Patriotismus‘ als diskutierenswert erkannte, diese Debatte aber auch etwas verfrüht als beendet
erklärte. Von weiterführendem Interesse ist aber gerade ihre als Frage getarnte, regionalanalytische Beobachtung die sich auf die Häufigkeit, respektive das Nichtvorkommen von
Fahnen in ihrem Heimatort bezieht. Es wäre durchaus eine interessante Frage, ob wirklich
noch Unterschiede in der Identifikation mit Deutschland zwischen Ost- und Westdeutschen bestehen153 und, in Anbetracht des Kommentars des Berliner Bloggers, ob
Deutsche ausländischer Herkunft deutsche Fahnen hissen oder sich eher noch, trotz
langjährigem Aufenthalt in Deutschland und deutscher Staatsbürgerschaft, ihrem Ursprungsland verbunden fühlen und dies zumindest während der Zeit der WM auch offen
zeigen. Animas Bezug auf den patriotismuskritischen Beitrag von Wuschel macht, verstärkt durch die Kommentatoren, deutlich, dass der Wunsch nach einen gesunden und
positiven Patriotismus, nach Legitimation des Nationalstolzes und Unterstützung des
Heimatlandes zumindest in der Generation zwischen 20 und 30 Jahren stark vorhanden
ist. Die deutsche Vergangenheit soll dabei nicht geleugnet oder vergessen werden sondern als das angesehen werden, was sie sei: Geschichte.
6.4.4 Jubel und Trauer – Emotionen während der WM
Bei der Erinnerung an die Weltmeisterschaft dürften wohl am ehesten die Fahnenmeere auf den Fanmeilen sowie die ausgelassenen Jubelfeiern nach den Siegen der
deutschen Nationalmannschaft vor dem inneren Auge auftauchen. Obwohl fast ein Novum für deutsche Fans, hat sich der Autorkorso als eindrucksvollstes Mittel zum Ausdruck
153
Tendenzen einer stärkeren Verbundenheit der Westdeutschen zu den Errungenschaften der Deutschen seit dem zweiten
Weltkrieg wie die Verfassung und demokratische Grundsätze wurden bereits im Kapitel 4 angesprochen. Da die angesprochene Umfrage zwischen 1991 und 1996 stattfand wäre es interessant herauszufinden, ob sich die Einstellungen
zehn Jahre später nicht doch bereits merklich verbessert haben, etwa aufgrund der längeren Gewöhnungszeit.
71
von Siegestaumel etabliert, Kolonnenfahrten mit Kfz, Motorrad oder Kleinbussen die meist
in Nationalfarben dekoriert sind und durch hupen für eine unüberhörbare Geräuschkulisse
sorgen. Ohne weiteren Kommentar dokumentiert Coyote den Autokorso in Bamberg nach
dem Spiel Deutschland gegen Argentinien mit einem Foto, aufgenommen aus seinem
Fenster heraus.154 Zu sehen sind zwei geschlossene Reihen von aneinander vorbeifahrenden Autos in einer relativ kleinen Bamberger Seitenstraße, viele davon haben eine
oder mehrere Deutschlandfahnen aus dem Fenster hängen oder anderweitig am Auto befestigt. Bambergkenner, oder jemand der weiß, wo Blogger Coyote lebt, könnten erkennen, dass zumindest dieser Autokorso nicht auf die Bamberger Innenstadt oder die dortige „Lange Straße“ beschränkt war. Oder es gab mehrere kleine Korsos, die nach Spielende spontan in den Wohngebieten gestartet wurden und sich später zu einem großen in
der Innenstadt vereinten.
Weitere Fotos und sogar einen selbstgedrehten Film von einem Korso nach dem
Sieg der Deutschen über Polen stellte Jürgen auf sein Weblog.155 Er beschreibt allerdings
auch noch die dazugehörigen Impressionen wie die Geräuschkulisse, das Hupen der Autos und den von Fahrzeuginsassen und Zuschauern am häufigsten gegrölten Schlachtruf
„‚Berlin, Berlin . wir fahren nach Berlin‘“, den Austragungsort des Finales. Sein Foto und
das Video zeigen den Autokorso in der Langen Straße sowie eine jubelnde Menschenmasse am Straßenrand. Auch von der Jubelfeier nach dem erfolgreichen Spiel gegen
Schweden veröffentlicht er, statt „zu vieler Worte über die gestrige Feier“156 ein Foto und
setzt einen Link zum seinem dazugehörigen privaten Online-Fotoalbum.157
Dass sie solch exaltierte Gefühlsausbrüche gerade den Franken nicht zugetraut
hätte, verdeutlicht Sabine, deren ursprüngliche Heimat nicht in Franken sondern weit im
Nordwesten liegt. Den von Coyote bereits erwähnten Autokorso nach dem Sieg gegen
Polen kommentiert sie trocken mit der Äußerung, es seien „sogar die Franken völlig aus
dem Häuschen gewesen und haben gefeiert, was das Zeuch hielt (erschütternd).“158 Ob
154
Coyote: „Deutschland 5 – 3 Argentinien“, 30.06.06 (http://coyote-knows-best.blogspot.com/2006/06/misc-deutschland-5-
155
Jürgen: „Germany vs. Poland – Some impressions“, 16.06.06 (http://www.maljaysia.de/index.php?/archives/355-
3-argentinien.html; Stand: 10.06.07).
Germany-vs.-Poland-Some-impressions.html; Stand: 10.06.07).
156
Übersetzt aus dem Englischen.
157
Jürgen „Germany vs. Sweden – CELEBRATION!“, 25.06.06 (http://www.maljaysia.de/index.php?/archives/362-Germanyvs.-Sweden-CELEBRATION%21.html; Stand: 10.06.07). Dieses Album bietet eine reiche Auswahl an Fotos, die die
Emotionen und verwendeten Fanartikel der deutschen Fans in Bamberg nach dem Sieg dokumentieren. Da es sich jedoch nicht um Weblogtexte handelt sondern mit einer Fotoanalyse im Rahmen einer visuellen Anthropologie untersucht
werden könnten, sollen sie hier nicht weiter analysiert werden.
158
Sabine „Das Wandern ist des Julis Lust“15.06.06 (http://bee-to-bee.blogspot.com/2006/06/das-wandern-ist-des-julislust.html; Stand: 10.06.07).
72
sie das allerdings wirklich so „erschütternd“ findet steht zu bezweifeln, eher versucht sie
wohl das verbreitete Vorurteil zu unterstreichen, ‚der Franke an sich‘ sei eher unterkühlt
und zurückhaltend im Umgang mit Emotionen. Sabine verweist in ihrem Blogeintrag auf
einen Beitrag zu ebendiesem Korso in Jans Weblog. Auch er betont die ‚Außergewöhnlichkeit‘ eines Korsos in Bamberg, sage man „uns Franken ja manchmal nach, behäbig
und träge zu sein, schwer zu begeistern noch dazu.“159 Diese Bemerkungen, zum einen
von einer ‚Zugezogenen‘, zum anderen von einem bekennenden Franken machen deutlich, dass zumindest in den Köpfen Unterschiede zwischen verschiedenen deutschen Regionen und deren Temperamente präsent sind, ja sogar erwartet werden. Auch an dieser
Stelle böten sich weiterführende Untersuchungen an z.B. bezüglich unterschiedlichem
Fanverhaltens von Nord- und Süddeutschen.
Doch in kaum einem anderen Bereich liegen wie im Sport Sieg und Niederlage,
Jubel und Trauer so nah beieinander. Wenn wie bei der Weltmeisterschaft 2006 der
Traum vom Titelgewinn so kurz vor dem Ziel platzt müssen diese Emotionen ebenfalls
verarbeitet werden. Dies kann entweder im Stillen und der Privatsphäre geschehen, oder
öffentlich ausgelebt werden. Schließlich sei der Fußball, glaubt man einer verbreiteten
Spöttelei, die einzige Sache, die Männer dazu brächte, öffentlich Tränen und Schwäche
zu zeigen, wie auch Anima meint. Die Niederlage der Deutschen hatte für sie damit etwas
Positives inne: „Wenigstens das hat die verpatzte WM gebracht: öffentlich weinende
Männer...“.160 Es stellt sich die Frage, ob nach dem gemeinsamen Jubel und dem Feiern
auch der Schmerz über die Niederlage in der „imagined community“ gemeinsam erlebt
und verarbeitet wird oder ob das Ausscheiden der Mannschaft zum Zerbrechen dieser
Gemeinschaft führt und der Fußball bzw. die WM doch nicht so stark als einigende Kraft
wäre.
Ihre Aussage bezüglich der weinenden Männer untermauert Anima mit einem Bild,
das zwei deutsche Nationalspieler zeigt, die sich umarmen und gegenseitig trösten, sowie
mit der Erwähnung, dass in ihrer „LieblingsWG“, in der sie anscheinend das Halbfinale
Deutschland – Italien gesehen hat, die Bewohner nach dem Spiel jeder für sich saßen
und „eine einsame Träne ihre Wangen herab“ gerollt sei. Bereits zu Beginn ihres Eintrags
erweckt sie mit ihrem einleitenden Satz „für alle die trauern“ den Eindruck, dass ihrer Meinung nach das Ausscheiden eine schwere Stunde für viele Fans sein müsse. Zudem beschreibt sie die Atmosphäre, in der sich die Szenen nach der Niederlage der deutschen
159
Jan: „Erster WM-Autokorso in Bamberg“, 15.06.06 (http://www.bamberg-gewinnt.de/wordpress/archives/498; Stand:
10.06.07).
160
Anima:„zweimal laut gelacht… und trotzdem nicht fröhlich“, 06.07.06 (http://anima.twoday.net/stories/2300188/; Stand:
10.06.07).
73
Nationalmannschaft abgespielt haben, mit der „Stimmung wie auf einer Beerdigung“, die
geherrscht habe, während die Bewohner der Wohngemeinschaft im Rahmen „einer Zeremonie […] ihren WM-Schmuck abgenommen und verstaut“ hatten. Diese „Zeremonie“
erinnert an das Einholen der Fahne bei militärischen oder politischen Veranstaltungen und
verstärkt so die Assoziation mit dem Sakralen oder Militärischen, das bisweilen dem FanSein und den damit verbundenen Emotionen innewohnt. Aber auch eine gewisse Akribie
wird offensichtlich, mit der, zumindest bei diesen Fans, der Umgang mit den Fanaccessoires gepflegt wird. Anima geht davon aus, dass es Fans gibt, die bereits am Tag nach der
Niederlage „auch schon die Fahnen weggepackt […] und keinen Bock mehr auf Fussball“
hätten. Anders erscheint das allerdings bei Kommentatorin paule.161 Auf Martins Beitrag
zum Ausscheiden der Mannschaft kontert sie: „meine flagge bleibt erstma ausm fenster
hängen :) weil ich auch stolz auf unsere buam bin!“.
Quasi zum Trösten der Trauernden weist Anima in ihrem Beitrag noch auf einen
Eintrag in der erwähnten Community-WG „we all speak football“ in Berlin hin („ihr seid
nicht allein“).162 Dieser ist insofern interessant, und soll daher kurze Erwähnung finden, als
dass in ihm ein niederländischer Blogger den Deutschen den Sieg gewünscht hätte, um
die laut ihm gute Stimmung in der Blogger-WG und auf den Straßen Berlins zu bewahren.
Wie später beim Aspekt der ‚Fanfeindschaften‘ noch erläutert werden wird, ist dies für einen niederländischen Fußballfan keineswegs selbstverständlich und gleicht gewissermaßen einem ‚über-seinen-Schatten-Springen‘. Jürgen, der jener Zeit in besagter WG weilte,
kann allerdings keine Trauer der dortigen Blogger und Deutschland-Fans verkünden. Niedergeschlagenheit wohl, aber „Tränen sind hier keine geflossen. Noch nichtmal von unserem Fußball-Freak Franz.“163
Andere Blogger gehen weit pragmatischer und weniger melodramatisch mit dem
Ausscheiden der Nationalmannschaft um. Während sich Sabine, eher ironisch, freut,
„endlich wieder in Ruhe Diplomarbeit schreiben“164 zu können und sie das „ewige Fußballgucken […] ja auch genervt“ habe, vom „ständige[n] Biertrinken schon nachmittags um 5“
ganz zu schweigen, sieht Martin die Niederlage sportlich und nicht unverdient und lobt die
Entwicklung der deutschen Mannschaft während des gesamten Turniers: „Wir waren gut.
Um nicht zu sagen super.“165 Trotzdem geht er, wie auch Anima und passend zu seinem
161
Kommentar zu: Martin: „Schade, aber dennoch“, 05.07.06 (http://www.inderzwischenzeit.de/?p=82; Stand: 10.06.07).
162
Gabeb: „Worldcup Drama“, 05.07.06 (http://www.weallspeakfootball.com/gabeb/videostories/866/; Stand: 05.07.07).
163
Anima:„zweimal laut gelacht… und trotzdem nicht fröhlich“, 06.07.06 .
164
Sabine: „Endlich wieder in Ruhe Diplomarbeit schreiben“, 04.07.06 (http://bee-to-bee.blogspot.com/2006/07/endlichwieder-in-ruhe-diplomarbeit.html; Stand: 10.06.07).
165
Martin: „Schade aber dennoch“, 05.07.06 (http://www.inderzwischenzeit.de/?p=82; Stand: 10.06.07).
74
bereits vermuteten schnellen Abflauen des Hypes166, davon aus, dass auch die Fahnen
nur im Erfolgsfall gehisst, geschwenkt und an Autos befestigt würden. Nach der Niederlage der Nationalmannschaft gegen Italien meint er: „jetzt werden wir sehen, wie schnell die
Zeit der Fahnen und Farben nachlässt ...“. Für ihn scheinen die sichtbare Unterstützung
Deutschlands und der frei ausgelebte Nationalstolz eng mit dem Erfolg der Nationalmannschaft verbunden und nicht von langer Dauer zu sein. Der Fußball und das Erlebnis der
WM wären demnach wirklich nicht mehr als ein bloßes Barometer der nationalen Befindlichkeit und keineswegs Förderer eines neuen Selbstbewusstsein der Deutschen.
Zwischenfazit
Ausgelebte Emotionen nach den Spielen, im optimalen Fall natürlich nach einem
Sieg, waren auch in der Bamberger Blogosphäre ein Thema. Dabei betätigten sich manche Blogger quasi journalistisch, indem sie die Emotionen anderer Fans, ob nach einem
Sieg oder nach dem Ausscheiden, beschrieben – häufig auch mit dokumentarischem
Bildmaterial. Dass solch heftige emotionale Äußerungen wie ein Autokorso und die Innenstadt bevölkernde Menschenmassen keineswegs üblich für Bamberg, oder gar für ‚die
Franken‘ war, wird anhand einiger Beiträge deutlich. Es scheint zumindest für einige
Blogger regionaltypische Verhaltensmuster im Umgang mit Emotionen zu geben, denen
noch gezielter nachgegangen werden könnte. Doch auch der Umgang der Fans mit der
Trauer nach Niederlagen, bzw. der einzigen Niederlage die auch gleich das Ausscheiden
aus dem Turnier bedeutete, wurde thematisiert. Dabei wurden auch sakrale oder militärische Elemente im rituellen Umgang mit den Emotionen festgestellt. Ein Weblog wurde
nach dem Ausscheiden der Deutschen von der Bloggerin als Medium genutzt, um den
Lesern und anderen Bloggern Trost und die Beteuerung des mentalen Beistands zukommen zu lassen. Andere Blogger fassten die Niederlage hingegen weniger schlimm auf,
betonten und lobten stattdessen die spielerische Leistung und Entwicklung der Mannschaft. Trotzdem entsteht aufgrund des von einigen Bloggern vermuteten baldigen Abflauens des Fahnenmeers und des ‚Hypes‘ die Vermutung, der neu erwachte Nationalstolz wäre wirklich nur auf einen Erfolg der Nationalmannschaft ausgerichtet und kein
Gradmesser für ein neues Selbstverständnis der deutschen Bürger.
6.4.5
„Wir“ werden Weltmeister! - Identifikation und Unterstützung
Die Identifikation mit der deutschen Fußballnationalmannschaft – den sportlichen
Vertretern Deutschlands – ist auch in der Blogosphäre meist dergestalt, dass im Falle des
166
Martin: „Tor! Tor! Tor!“, 09.07.06 (http://www.inderzwischenzeit.de/?p=84; Stand: 10.06.07).
75
deutschen Teams von ‚den Deutschen‘ gesprochen wird und gefordert sowie gehofft wird,
dass ‚wir‘ den Titel holen, da ‚wir‘ ja eine so gute Mannschaft wären. Der sogenannte und
viel beschworene ‚zwölfte Mann‘, der Fan, der sonst üblicherweise auf der Tribüne steht
und seine Mannschaft anfeuert, fand sich während der WM auf Fanmeilen, Terrassen, in
Kneipen, Wohnzimmern, beim ‚public viewing‘ oder vor dem Fernseher. Den ‚zwölfte
Mann‘ verkörperten gefühlte 80 Mio. Menschen in Deutschland. Und so liest sich auch in
den betrachteten Weblogs an vielen Stellen besagtes ‚wir‘, ebenso sind verschiedenste
Anfeuerungs- und (Selbst-)Bestätigungsfloskeln zu finden, die die Verbundenheit zur
deutschen Mannschaft und manchmal sogar zu Deutschland selbst ausdrücken.
Dabei unterscheiden sich die einzelnen Blogger dahingehend voneinander, dass
einige sich ohne große Umschweife quasi in die Nationalmannschaft einreihen und wie
selbstverständlich verkünden: „Denn wir werden ja WELTMEISTER!!!“167. Oder: „Und achja: Wir werden Weltmeister!!!“168. Andere verpacken diese Identifikation mit der Mannschaft
in ein sachverständiges Sportwissen („ich sag nur: ‚Go, Germany, Go!‘. Wir haben eine
tolle National-Elf und einen guten Trainer“169), wieder andere aber wahren eine gewisse
skeptische Distanz oder Zurückhaltung („…solange die Jungs 4 Tore pro Spiel schießen,
schaffen ‚wir‘ es auch durch die Vorrunde“170) was sich durch das Setzen des „wir“ in Anführungszeichen zeigt. Es ist aber zu vermuten, dass sich die wenigsten Blogger Gedanken darüber machen, was sie mit ihrer Aussage zwischen den Zeilen vermitteln; der Satz
„wir schaffen das“ oder „wir werden Weltmeister“ ist eine ritualisierte Phrase geworden,
die mehr den Verfasser selber bestätigen und in seiner Hoffnung bekräftigen soll als die
Spieler bzw. die Mannschaft.
Der ritualhafte Charakter, dass nicht hinterfragt wird, warum etwas getan wird weil
es ‚einfach dazugehört’, bzw. ‚sich‘ einfach so gehört, findet sich auch in anderen Aussagen. Dass die emotionale und oft lautstarke Unterstützung der deutschen Mannschaft
teilweise gleichsam dem normativen Druck der „imagined community“ entspringt, dem
man sich nicht entziehen kann oder will, wird von Martin angedeutet, indem er schreibt, er
habe „mitgefeiert und mitgefiebert. So wie sich das gehört.“171 Ein theoretischer Ansatz zur
Erklärung dieses Verpflichtungsgefühls wurde bereits bei einer psychologischen Erklärung
167
Anima: „Muss das ne Party gewesen sein, gestern…“, 01.07.06 (http://anima.twoday.net/stories/2270986/; Stand:
10.06.07).
168
Coyote: „intelligent design“, 20.06.06 (http://coyote-knows-best.blogspot.com/2006/06/misc-intelligent-design.html;
Stand: 10.06.07).
169
Martin: „Viertelfinale!“, 25.06.06 (http://www.inderzwischenzeit.de/?p=78; Stand: 10.06.07).
170
Sabine: „Fußball fördert Fölkerferbindung“, 10.06.06 (http://bee-to-bee.blogspot.com/2006/06/fuball-fdert-flkerferbindung-
171
Martin: „Viertelfinale!“, 25.06.06 (http://www.inderzwischenzeit.de/?p=78; Stand: 10.06.07).
1.html; Stand: 10.06.07).
76
der Identifikation gefunden, welche laut Blank bedeute, „daß die Gruppennormen, gruppenspezifische Verhaltensweisen zum Bestandteil der eigenen Persönlichkeit und des
individuellen Verhaltens gemacht werden.“ (Blank 1997: 41). Die Gruppe ist in diesem Fall
die „imagined community“, also die Gesamtheit der anderen Fans, seien sie auf der Fanmeile, beim ‚public viewing‘ oder nur virtuell anwesend als unsichtbare aber gegenwärtige
Blogleser, die ebenfalls normative Erwartungen an den Blogger, z.B. Anfeuerungen und
den Glauben an die Mannschaft, richten. Das gemeinsame Ziel aller Unterstützer, Fans
und natürlich Spieler ist der Gewinn des Weltmeisterpokals. Darin manifestiert sich eines
der von Blank so genannten „nationalen Ziele“, das von allen gemeinsam verinnerlicht
wird und damit die „Anreize für das Individuum, die Nation durch sein individuelles Verhalten zu unterstützen“ gibt. Diese Art der Identifikation führt also auch dazu, dass sich das
Individuum – in diesem Fall der Fußballfan – die Leistungen und Erfolge seiner Gruppe
bzw. der Mannschaft selber zuschreiben kann und davon mit verbessertem persönlichem
Selbstwertgefühl profitiert. (Blank 1997: 41f.) Im vorliegenden Fall wäre der Erfolg: „Wir
sind Weltmeister!“172 Ob man statt aktiv auf dem Platz vielmehr daheim im Fernsehsessel
dazu beigetragen hat spielt eine untergeordnete Rolle.
Neben der fast selbstverständlichen Deutschland-Identifikation und Unterstützung
der deutschen Nationalmannschaft durch die Blogger gibt es ‚Ausreißer‘, die auch mit anderen Nationen fiebern und feiern. So zeigt Sabine, dass sie nicht nur Deutschlandfan ist,
sondern, begründet durch einen längeren Auslandsaufenthalt, die Schweiz und Frankreich ebenfalls emotional unterstützt: „heute morgen im Baumarkt hätte ich fast eine
Schweizer Flagge erworben […]...“173 – allerdings nur „fast“, was ihre Prioritätensetzung
zugunsten Deutschlands verdeutlicht. Die Unterstützung bestimmter Nationen bei einer
WM durch das Tragen von Symbolen hängt also nicht nur von der eigenen Nationsangehörigkeit ab, auch andere Faktoren wie schöne Erinnerungen oder ein längerer Aufenthalt
in einem anderen Land können ein Verbundenheitsgefühl entstehen lassen, das in einem
offenen Bekenntnis zu diesem Land gipfelt. Vermutlich ist auch hier wieder das „imagined
community“-Konzept ausschlaggebend: Auch mit einer anderen Staatsangehörigkeit oder
eine anderen Muttersprache können das gemeinsame Mitfiebern bei einem Länderspiel
und das Schwenken anderer Nationalfahnen – kurz: die entsprechenden Codes – über
172
Vgl. dazu die beliebte BILD-Kampagne mit der Schlagzeile „Wir sind Papst!“ nach der Wahl Kardinal Ratzingers zum
katholischen Kirchenoberhaupt. Auch hier sollte es durch Identifikation mit einer Person, bzw. einiger ihrer Eigenschaften (Konfession, Nationalität bzw. Herkunft aus dem gleichen Bundesland oder gar Regierungsbezirk) dem Individuum
ermöglicht werden, an ihren Leistungen zu partizipieren und dadurch das Selbstwertgefühl zu steigern.
173
Sabine: „Hopp Schwyz!“, 13.06.06 (http://bee-to-bee.blogspot.com/2006/06/hopp-schwyz.html; Stand: 10.06.07). Statt
der Schweizer Fahne hat sie sich dann allerdings für einen nicht näher erklärten Blumentopf entschieden.
77
Nationalitätsgrenzen hinweg verbinden und ein Gemeinschaftsgefühl entstehen lassen.
Ein Hype, der nicht nur in der Blogosphäre während der WM grassierte war die Begeisterung für das krasse Außenseiterteam aus Trinidad & Tobago. Allerdings basiert deren
überwältigende Fangemeinde nicht nur in Deutschland vermutlich hauptsächlich auf einer
Marketingstrategie des Internetauktionshauses eBay.174 In der Blogosphäre folgte Martin,
wenn auch möglicherweise unbewusst und aus eigenem Antrieb aufgrund von überzeugender Spielleistungen, diesem Trend: „Ich brauche dringend ein Trinidad-Tobago Shirt,
denn diese Mannschaft hat all meine Sympathie.“175 Wenngleich er auch realistisch erkennen muss, dass „sie vermutlich schon bald rausfliegen.“ Diese Unterstützung basiert allerdings vermutlich weniger auf den oben genannten psychologischen Aspekten wie gemeinsamen nationalen Zielen und Aufwertung des Selbstwertgefühls durch Erfolge der
Mannschaft. Vielmehr handelt es sich meines Erachtens hier um versuchten Individualismus als Fan eines Exoten und Außenseiters.
Bemerkenswert war allerdings bei dieser WM – wenn die psychologischen Aspekte der Identifikation betrachtet werden, die ja auf Erfolg und eigene Aufwertung ausgerichtet sind – dass auch nach dem Ausscheiden der Deutschen die große Begeisterung und
Unterstützung fast nicht nachließ. Ein Indiz dafür ist z.B., dass das ‚große‘ Finale, das
Spiel zwischen Frankreich und Italien, kaum Erwähnung fand, das ‚kleine‘ Finale zwischen Deutschland und Portugal stattdessen zum eigentlichen Event hochstilisiert wurde,
„wobei man vermutlich nicht vergessen darf, dass es ‚nur‘ um den dritten Platz ging“176 Besonders zelebriert hat „das einzige, das wahre, das schönste Finale dieser Fußball-WM“
Bloggerin Sabine.177 Sie antizipiert das Spielgeschehen auf einem Blechkuchen mit ‚Rasenglasur‘ und Gummibärchenspielern und fragt abschließend, rein rhetorisch: „Wen
interessiert da noch das blaue Finale zwischen Italien (Azzurri) und Frankreich (les
Bleus)?“ Und auch, wenn es mit dem Weltmeistertitel diesmal nicht geklappt habe meint
sie: „die einzigen, die wahren, die Weltmeister (gefühlt), das sin mir! Sehr fein, sehr
fein...“178. Gemäß Blanks Theorie würde im Falle eines Verfehlens des nationalen Ziels
‚Weltmeistertitel‘ auch keine Belohnung für den Einzelnen in Form eines gesteigerten
Selbstwertgefühls eintreten. Trotzdem kann meiner Meinung nach schon in den einzelnen
174
Als offizieller Partner des Teams wollte eBay „die größte Fangemeinde weltweit mobilisieren“ und bot neben einer virtuellen Fangemeinde mit Fan-Webseite auch viele Aktionen sowohl im Internet als auch „bei diversen Meet and GreetVeranstaltungen“ mit der Mannschaft des Karibikstaats (http://www2.ebay.com/aw/de/200603.shtml#trinidad; Stand:
12.07.07).
175
Martin: „Und es geht weiter…“, 12.06.06 (http://www.inderzwischenzeit.de/?p=71; Stand: 10.06.07).
176
Martin: „Tor! Tor! Tor!“, 09.07.06 (http://www.inderzwischenzeit.de/?p=84; Stand: 10.06.07).
177
Sabine: „Finaaaale, ohooo...“, 08.07.06 (http://bee-to-bee.blogspot.com/2006/07/finaaaale-ohooo.html; Stand: 10.06.07).
178
Sabine: „Der Tag danach“, 09.07.06 (http://bee-to-bee.blogspot.com/2006/07/der-tag-danach.html; Stand: 10.06.07).
78
Siegen und dem Erreichen der nächsten Runde jeweils ein kleiner Sieg und damit ein erreichtes Ziel gesehen werden. Außerdem kann die attestierte gute Leistung der Mannschaft trotz des Ausscheidens auch als eine Art Erfolg gesehen werden, da das Erreichen
des Halbfinales der Mannschaft vorher wohl nicht zugetraut wurde. Damit ist mehr geschafft als erwartet hätte werden können und somit quasi das Ziel und die Selbstwertsteigerung doch erreicht worden.
Ein schönes Beispiel, dass selbst nach dem Ausscheiden der Deutschen die Begeisterungsfähigkeit auf weitere Personen gerichtet wurde, findet sich bei Blogger Coyote.179 Sein letzter Beitrag zur WM enthielt lediglich ein Foto, das vermutlich nach der Siegerehrung der deutschen Mannschaft für den dritten Platz aufgenommen wurde. Darauf
ist Jürgen Klinsmann von hinten zu sehen, wie er gerade herzlich von Bundeskanzlerin
Angela Merkel umarmt wird. Die Kommentare zu diesem Bild sprechen Bände, finden es
doch sowohl Solange wie auch Alexx und Anima „süß“, die Kanzlerin und den Bundestrainer in inniger Umarmung zu sehen. Von den so häufig geäußerten – oft unsachlichen –
Kritiken bezüglich Merkels Auftreten, ihrer Frisur oder jeglichen politischen Ressentiments
ist nichts mehr zu spüren.
Zwischenfazit
Die Identifikation mit der Nationalmannschaft, das „wir werden Weltmeister“Phänomen, welches auf psychologischer Basis mit dem Erreichen von nationalen Zielen
und der damit verbundenen Steigerung des persönlichen Selbstwertgefühls erklärt werden kann, ist in der Blogosphäre häufig thematisiert worden. Wenn auch vermutlich oft
unbewusst und eher einer subjektiv empfundenen Norm entsprechend. Die kleinen Ziele –
das Erreichen der nächsten Runde, unerwartet gute spielerische Leistungen, die den
Spielern u.a. auch von Sportreportern und Experten anderer Länder attestiert wurden –
führten innerhalb der „imagined community“ zu ständiger Selbstbestätigung, die sich in
den vorangehend dargelegten Aspekten der Jubelfeiern, weiterer Unterstützung und gesteigertem Selbstbewusstsein äußerten. Diese Hochstimmung, die durch die WM entstanden ist, lies sich auch durch die Niederlage nicht völlig trüben, vielmehr wurde das
trotzdem Erreichte gebührend gefeiert. Und diese positive Einstellung hat sich bis heute
gehalten, wie die ipsos-Umfrage der Financial Times ja zeigte und wie auch z.B. bei der
Feier des Bayerischen Rundfunks ein Jahr nach der WM zu sehen war als Tausende
Menschen die Leopoldstraße in München in ein schwarz-rot-goldenes Meer tauchten.
179
Coyote:
„Knutschfleck“,
09.07.06
(http://coyote-knows-best.blogspot.com/2006/07/misc-knutschfleck.html;
10.06.07).
79
Stand:
Des Weiteren konnte festgestellt werden, dass neben einer zweifelsohne kräftigen
emotionalen Unterstützung der deutschen Mannschaft auch Sympathien für andere Nationalmannschaften existieren können. Diese basieren jedoch im seltensten Fall auf dem
psychologischen Effekt des belohnt Werdens durch gemeinsames Erreichen eines Zieles,
da die Integration in eine „imagined community“ meist nicht im erforderlichen Maße gegeben ist. Das Tragen eines Trikots einer exotischen Mannschaft allein auf weiter Flur integriert noch nicht in eine große Fangemeinde die vielleicht am anderen Ende der Welt lebt.
Anders sieht es möglicherweise bei der Unterstützung von Ländern aus, mit denen mehr
verbunden wird, sei es aufgrund familiärer Herkunft, oder resultiere es aus einem längeren Aufenthalt in diesem Land. An die Identifikation mit dem Heimatland dürfte es jedoch
nicht heranreichen.
6.4.6 Fanfeindschaften
In vermutlich keinem Sport sind zwischen bestimmten Ländern, aber auch auf regionaler und nationaler Ebene, so starke Animositäten festzustellen wie im Fußball. Natürlich will keine Mannschaft verlieren und sich auch nicht die Blöße geben müssen, von den
Fans anderer Länder verhöhnt zu werden. Doch der bestärkende Zusammenhalt einer
Gruppe nach innen bewirkt automatisch auch immer eine gewisse Abgrenzung und Abwehrhaltung nach außen. Dies äußert sich im Fußball generell in Form von Feindseligkeiten gegenüber anderen Mannschaften und deren Fans, gegen bestimmte Länder jedoch
besonders. Diese Fanfeindschaften sind auch in den Weblogs zu finden, hauptsächlich
dann, wenn ein Blogger oder Kommentator sich ‚lauthals‘ über den Sieg seiner Mannschaft freut. Eine recht humorlos geführte Diskussion zu diesem Thema lässt sich in den
Kommentaren des – eigentlich diplomatisch verfassten – Beitrags von Jürgen feststellen:180 Während Jürgen lediglich sachlich über die Siegesfeier der Fans in Bamberg berichtet – hupende Autos und jubelnde Menschen – fragt Kommentator Brotzapfen, was
„Nach Haus! Nach Haus! Wir fahren etz nach Haus“ auf polnisch hieße, kennzeichnet diese Frage allerdings als ‚augenzwinkernd‘. Seine Äußerung wird von Kommentator Pole
recht beleidigt aufgefasst, der seinerseits gleich alle deutschen Fans über einen Kamm
schert und ihnen eindeutig sarkastisch eine „tolle“ Einstellung vorwirft: „du bist aber witzig... tolle einstellung seitens der deutschen fans, aber mehr ist von euch nicht zu erwarten. einfach nur arm“. An dieser Stelle greift Jürgen moderierend ein und wünscht „keinen
Streit“. Er gibt sich diplomatisch und meint, jeder würde den polnischen „Nachbarn“ einen
180
Jürgen: „Germany vs. Poland – Some impressions“,16.06.06 (http://www.maljaysia.de/index.php?/archives/355Germany-vs.-Poland-Some-impressions.html; Stand: 10.06.07).
80
Sieg gönnen – mit der ebenfalls augenzwinkernden Relativierung „solang es net durch
nen Sieg gg. die eigene Mannschaft passiert“.
Doch solche offenen Streitigkeiten, die geschlichtet werden müssen weil eine Seite
bereits beleidigt reagiert, sind während der WM zumindest in der Bamberger Blogosphäre
glücklicherweise selten. Häufiger, wie ja auch in der Realität, sind ‚Feindschaften‘, die im
Idealfall auf einer spielerischen Ebene bleiben. Die ‚gepflegtesten‘ Feindschaften dieser
Art herrschen wohl zwischen Deutschland und England, Deutschland und den Niederlande sowie, nichtsdestotrotz, Deutschland und Polen. Meist äußern sie sich bei Spielen in
bestimmten Fangesängen gegen die andere Mannschaft und deren Fans, selten, und
wenn dann nur von gewaltbereiten Gruppierungen, kommt es auch zu Krawallen und
Übergriffen vor oder nach dem Spiel. Spielerische Anfeindungen, in Erinnerung rufen bestimmter Niederlagen bzw. das klassische ‚den Finger in die Wunde legen‘ sind eher an
der Tagesordnung. Auch in den betrachteten Weblogs sind internationale Streitigkeiten –
wenn auch auf sachlicher, ja sogar freundschaftlicher Ebene – vorzufinden. So zeigt sich
ein österreichischer Kommentator in Jans Blog181 nach dem ersten Spiel der Deutschen
wenig begeistert vom Sieg der Deutschen über Costa-Rica und gab an, sich nur über die
zwei costa-ricanischen Tore inklusive der Fangesänge der Südamerikaner gefreut zu haben. Jan verbittet sich höflich – wenn auch spürbar ironisch – zukünftige deutschlandkritische Kommentare in seinem Blog, hält Philipp aber das Verwenden einer Wortkreation
(„genetzt“ als Bezeichnung für das Torschießen) zugute. Philipp verweist seinerseits auf
die angebliche „deutsch-österreichische Fußballfreundschaft“ – meint damit aber eher das
Gegenteil – als würde dies gebieten, sich gegenseitig weder Tore noch einen Sieg zu
gönnen. Als Vorschlag zur Güte meint er: „ihr könnt ruhig Weltmeister werden“, dafür
würde Österreich bei der Europameisterschaft 2008 im eigenen Land zuschlagen. Solche
Animositäten zwischen Nachbarländern sind bei Fußballturnieren gang und gäbe. Dabei
finden die Feindschaften zwischen Deutschen und Niederländern allerdings auf eher
gleich starkem fußballerischem Niveau statt als zwischen den weniger erfolgreichen Österreichern und dem dreimaligen Weltmeister Deutschland. In Anbetracht dessen sind
Philipps Sticheleien ohne haltbare Argumente und wohl auch nicht wirklich ernst gemeint.
Allerdings bietet das generelle Vorkommen solcher Nickligkeiten Raum für weiterführende
Studien über die eingefahrenen Fußballfeindschaften bestimmter Länder respektive Fans,
ihr Entstehen sowie die entsprechenden Ausprägungen.
Dazu würde auch die Beobachtung der Ex-Bloggerin Solange passen, die sie als
181
„Jetzt geht’s los!“ 09.06.06 (http://www.bamberg-gewinnt.de/wordpress/archives/493; Stand: 10.06.07).
81
Kommentar zu einem von Wuschels Beiträgen veröffentlicht:182 Beim Halbfinalspiel zwischen Deutschland und Italien fiel ihr der deutsche Spottgesang „‚Ihr seid nur ein Pizzalieferant‘" in Richtung der Italiener auf, was sie „eher peinlich“ fand. Die meisten Fangesänge, die gegen andere Mannschaften gerichtet sind, orientieren sich an existierenden Klischees oder Charakterisierungen der betreffenden Länder oder Regionen: sei es das
Land der Pizza und Pasta, die französische Vorliebe für Baguette oder die unschmeichelhafte Bezeichnung „Fischköpfe“ für Norddeutsche. Auch diese Beobachtung bietet einen
Ausgangspunkt für weiterführende Studien über sportliche Fangesänge, ihren Ursprung in
Stereotypen bestimmter Länder und Regionen.
Zwischenfazit
Fanfeindschaften gehören aufgrund der Gruppenabgrenzungen nach außen, die
erst eine innere Festigung bewirken können, zum Fußballalltag dazu. Diese mehr oder
weniger ausgeprägten und eingespielten Animositäten zwischen den Anhängern verschiedener Mannschaften äußern sich z.B. in speziellen Schmähliedern, die je nach
Spielgegner an dessen Charakteristika oder Stereotype angepasst werden. Häufig sind
solche ritualisierten Streitigkeiten zwischen Nachbarländern wie Deutschland und Österreich aber auch den Niederlanden aufzufinden, besonders natürlich bei direkten Duellen
auf dem Fußballplatz. Im Idealfall geschieht dies auf unaggressiver, eher spielerischer
Basis, Hooligan-Ausschreitungen sollen nicht zu ‚normalen‘ Fanfeindschaften gezählt
werden. Auch in der Blogosphäre wurden – jedoch eher beiläufig in Kommentaren – die
Feindschaften zwischen Deutschland und Österreich oder Frankreich thematisiert, auf neckender, spielerischer Ebene. Lediglich die spöttische Bemerkung eines deutschen Kommentators über die Niederlage der Polen gegen die Deutschen wurde von einem vermutlich polnischen Fan gekränkt aufgefasst, bevor der Blogbetreiber beschwichtigend einschritt. Als weitergehende Forschungsvorhaben böte sich die Analyse von Inhalten besagter Schmährufe an, die meist auf regional- oder nationaltypische Vorurteilen oder Stereotypen basieren und von denen in Fankreisen bereits ein breites Arsenal verfügbar und sicher in offenen Interviews in den entsprechenden Kreisen auffindbar ist.
6.5
Patriotismusdiskussion
Bisher wurden nur die Faktoren betrachtet, die sich förderlich auf das Nationalge-
fühl auswirken können und in ihrer sowohl positiven, als auch, z.B. bei den Fanaccessoires, ambivalent bis kritischen Bewertung durch die Blogger dargestellt. Die Kritik am un-
182
„Melt the walls“, 04.07.06 (http://wuschelswelt.blogspot.com/2006/07/melt-walls.html; Stand: 10.06.07).
82
gewohnten Nationalstolz und dem begeisterten Tragen der Nationalfarben folgte allerdings auch in der Realität auf dem Fuße. Heikle Vergleiche mit Neonazis und Hinweise
auf die bloß nicht zu vergessende Vergangenheit und die Rolle der Deutschen im Zweiten
Weltkrieg waren die Schlagworte, mit denen die Bedenkenträger des Fahnenmeeres
mahnend den Zeigefinger erhoben – und dies nicht erst seit der WM. Das Dilemma der
Deutschen mit ihrem Nationalgefühl, der Vergangenheit und ständig ‚aufgewärmter‘
Schuldkomplexe über Generationen hinweg machte es auch zur WM geradewegs unmöglich, sich unbehelligt und ohne eingeredetes schlechtes Gewissen offen zu Deutschland
und der deutschen Mannschaft zu bekennen. Die Blogosphäre macht im Hinblick auf diese Kritik keine Ausnahme, in diesem Fall allerdings nur vertreten durch einen Blogger.
Dieses Missverhältnis zwischen den Befürwortern des Patriotismus und den Mahnern ist
meines Erachtens für die hier vertretene Generation der höher gebildeten 20- bis 30Jährigen repräsentativ. Die Fahnenmeere und umfassende Deutschland-Dekoration machen schließlich deutlich, dass mehr Menschen für als gegen diese Art der Patriotismusbezeugung waren.
Der patriotismuskritische Blogeintrag „Olé, olé, Super Deutschland, Olé“183 von
Blogger Wuschel ist in zweierlei Hinsicht von besonderer Wichtigkeit für die Analyse. Zum
einen drückt Wuschel darin inhaltlich umfangreich und sehr deutlich seine Empfindungen
bezüglich des neu erwachten Nationalstolzes der Deutschen aus, auch im Hinblick auf
eine Beobachtung von Neonazis in Bamberg. Er legt also seine Sicht dessen dar, was
z.B. bei Anima unter dem Schlagwort ‚Patriotismusdebatte‘ bereits als abgehakt galt. Zum
anderen ist dieser Beitrag ein Musterexemplar für die Dynamik innerhalb der Weblogs
(Abb.4) und die Möglichkeit, angeregte Diskussionen mit mehreren Beteiligten ohne
Grenzen von Zeit und Raum zu führen. Der in gewisser Weise provozierende Beitrag
wurde 17 Mal kommentiert, darunter auch von Wuschel selbst der damit auf fremde
Kommentare antwortete.
Abbildung 4 soll die Dynamik innerhalb der Bamberger Blogosphäre exemplarisch
sichtbar machen. Dabei wurden die Kommentare zum Text „Olé, olé, Super Deutschland,
Olé“ von Wuschel sowie die Blogs, die auf diesen Eintrag verweisen graphisch dargestellt.
Diese Darstellung verstärkt den bereits geäußerten Eindruck, Weblogs wären durch ihre
Kommentarfunktion, die Menschen an unterschiedlichen Orten und zu verschiedenen Zeiten an einer Diskussion teilnehmen ließ, wie virtuelle Stammtische.
183
Wuschel: „Olé, olé, Super Deutschland, Olé“, 24.06.06 (http://wuschelswelt.blogspot.com/2006/06/ol-ol-superdeutschland-ol.html; Stand: 10.06.07).
83
Abb. 4: Dynamik in der Bamberger Blogosphäre184
Exemplarisch dargestellt anhand der Reaktionen auf den Beitrag
„Olé, olé, Super Deutschland, Olé“ von Wuschel, 24.06.06
Wuschel
„200!“
10.07.06
paule
„i love petit“
09.07.06
Anima
„Deutschland,
Deutschland II“
28.06.06
Jürgen
1x
coyote
2x
Sabine
1x
Wuschel
2x
Bamberg entfesselt
„Wochenrückblick“
25.06.06
„Bamberger Rundschau: es
war viel los!“
03.07.06
Solange
1x
Wuschel
„Olé, olé, Super Deutschland,
Olé“ 24.06.06
liz
4x
Anonym
3x
Sebastian
1x
besucherin
1x
Anna
1x
Legende
Kommentar bei Wuschel
Link von einem anderen
Blog zu Wuschels Beitrag
bzw. Link von Wuschel zu
diesem anderen Beitrag
184
Erläuterungen: Die Kommentatoren Coyote, Wuschel, Sabine und Jürgen sind die gleichnamigen Bamberger Blogger.
Solange war kurze Zeit ebenfalls Bloggerin aus Bamberg, die ihr Weblog inzwischen aufgelöst hat. Sebastian ist ein
Soziologiestudent aus Frankfurt/Main, wie anhand seiner angegebenen Blogadresse (http://blog.sebastianscholl.de/;
Stand: 10.06.07) herausgefunden werden kann. „Liz“, „Anna“ sowie die „besucherin“ sind nicht näher identifizierbar,
„Anonym“ war ein – möglicherweise auch bis zu drei verschiedene - nicht registrierter Kommentator. Die Zahl unter dem
Namen gibt die Anzahl der Kommentare die zu diesem Beitrag abgegeben wurden an. Das Weblog von paule, die auf
Wuschels Beitrag verlinkte, wurde aus der Analyse aus Objektivitätsgründen herausgelassen, nur ihre Kommentare
wurden verwendet. Der Vollständigkeit halber soll aber ihre Verlinkung erwähnt werden. Kommentare zu den Beiträgen,
die Wuschels Beitrag erwähnen, zitieren oder darauf verlinken, sind hier der Übersichtlichkeit halber nicht angegeben.
84
Man sieht, dass die Dynamik zu diesem Beitrag sich über mindestens drei Ebenen
erstreckt. Zuerst der Eintrag selber, der von mehreren Besuchern kommentiert wurde. Die
zweite Ebene sind Weblogs, wie hier Animas und paules, die den Beitrag erwähnen oder
ihn in ihrem Blog kommentieren, ihn zumindest aber verlinken. Dadurch wären ebenfalls
Kommentare, indirekt zu Wuschels Beitrag, möglich. Die dritte Ebene ist Wuschels Erwähnung, dass sein ursprünglicher Text in anderen Weblogs zitiert wurde. Einer dieser
Weblogs – der von Bloggerin paule – wurde wiederrum von Wuschel verlinkt womit sich
der Kreis theoretisch schließt.
In diesem Abschnitt möchte ich erst den Beitrag sezieren und inhaltlich auswerten.
Anschließend werden die verschiedenen Kommentare betrachtet um eine Tendenz pro
oder contra Patriotismus herauszufinden aber auch die verschiedenen Argumente der jeweiligen Seiten darzulegen.
6.5.1 „Stolz sein auf dieses Deutschland? Nein.“
Wuschels Beitrag185 entstand im Anschluss an den Sieg der deutschen Mannschaft
über die Schweden. Eingangs des Textes zeigt er sich noch erfreut über den Sieg der
Deutschen und ihren Einzug ins Viertelfinale, durch den er sich „sogar zu euphorischem
Ratscheschwenken hinreißen lassen und ein bißchen Olé gesungen“ hätte, um gleich
darauf zu seinem eigentlichen Anliegen zu kommen und zu fragen: „Aber bin ich der Einzige, der Bauchschmerzen bekommt, wenn um mich herum hunderte Menschen
‚Deutschland, Deutschland!‘ schreien?“ Das von vielen Fans und Bürgern während der
WM begeistert ausgelebte „Deutsch sein“ bezeichnet er als „Trend“, was gleich eine distanzierte wenn nicht sogar leicht abwertende Haltung dem neuen Nationalgefühl gegenüber ausdrückt: Ein Trend, der nur kurz anhalten werde und dem nur deshalb soviele Bürger folgen würden, weil es eben gerade ‚in‘ sei, „riesige Deutschlandfahnen, Deutschlandschminke und alles, was sich in Schwarz-Rot-Gold produzieren“ ließe zu tragen.
Besonders ausschlaggebend für seine folgende Kritik am neu erwachten Patriotismus und Nationalstolz scheint die Teilnahme einer Gruppe von von ihm als „Nazis“ erkannten und bezeichneten Menschen an den Jubelfeiern in Bambergs Straßen, was angeblich keinen der anderen Anwesenden gestört, seine Freude aber – wohl euphemistisch ausgedrückt – „ ein bißchen getrübt“ habe. Man habe „sich in den Arm genommen,
gemeinsam ‚Deutschland, Super Deutschland‘ gesungen, ein paar vorbeilaufende
Schwedenfans gemeinsam mit ‚Ihr könnt nach Hause fahrn!‘ begrüßt, und alle hatten sich
185
Wuschel: „Olé, olé, Super Deutschland, Olé“, 24.06.06 (http://wuschelswelt.blogspot.com/2006/06/ol-ol-superdeutschland-ol.html; Stand: 10.06.07).
85
furchtbar lieb.“ Illustriert wird seine Beobachtung durch zwei Fotos, die etwa 5 Männer
und eine Frau auf der Straße innerhalb anderer Fußballfans zeigen – Interaktion mit anderen Fans ist nicht zu erkennen. Ihr äußeres Erscheinungsbild scheint – zumindest für
Kenner der rechten Szene – wenig Zweifel an deren Zugehörigkeit zur Neonaziszene zu
lassen: Glatze bzw. militärisch kurzer Bürstenschnitt mit weit hochrasierten Seiten- und
Nackenpartien und Springerstiefel gelten als bevorzugte und typische Erkennungsmerkmale dieser Gruppierung. Dabei tragen sie, wie allerdings auch die anderen, wohl nicht
rechtsgerichteten Fans auf den Bildern, große Deutschlandfahnen. Außerdem erwähnt
Wuschel einen T-Shirt-Aufdruck, den er ebenfalls als typisch für Neonazis deutet: „Ruhm,
Ehre, Vaterland - dieser Spruch lief später auch auf einem T-Shirt in der Polonaise mit.“
Mit einem recht aggressiv wirkenden „Willkommen in der Mitte Deutschlands, ihr Schweine“ steigt er anschließend in die Begründung seines Unmuts und seiner Eingangsfrage
ein und bekennt zuallererst:
„Ganz ehrlich: Ich kann mir ein Deutschland vorstellen, für das auch ich gerne fahnenschwenkend und "Deutschland, Deutschland" - singend durch die Straßen ziehen möchte. Ein Deutschland, das mit sich und der Welt im Reinen ist und
sein kann. Ich seh es nur nicht.“
Als Erklärung dafür, warum er nicht stolz auf Deutschland sein könne oder wolle,
stattdessen bestimmte Zustände monieren müsse, liefert er soziale, politische, wirtschaftliche und die fast unvermeidlichen historischen Argumente. So kritisiert er die evidenten
Bildungsungleichheiten von Kindern aufgrund des elterlichen Einkommens, sowie die generellen, pekuniär bedingten „Chancen, die man im Leben bekommt“. Er fragt, warum
„man“ nichts gegen die „Soziale Selektion“ mache sondern sich stattdessen geradezu
bemühe, „diese Unterschiede zu zementieren“. Ebenfalls in sozialpolitischer Hinsicht wirft
er implizit der deutschen Regierung vor, dass „Arbeitslosigkeit nicht bekämpft, sondern
verwaltet wird“. Er sieht die hohe Arbeitslosigkeit im Zusammenhang zu „Konzerngewinnen und Arbeitsplatzabbau“, firmenpolitische Entscheidungen die er – und laut ihm noch
andere – nicht nachvollziehen könne. Auch das Verhältnis Deutschlands zu Ausländern
sieht er als verbesserungswürdig. So zitiert er die sogenannten „No-Go-Areas“, die „traurige Realität“ wären. Analog zum Motto der WM konstatiert er: „Das weltoffene Deutschland, das die Welt zu Gast bei Freunden hat, hat leider einen ungeliebten Zwillingsbruder.“
Im Anschluss an diese sozial- und innenpolitische Kritik an Deutschland kommt
Wuschel, analog zur ausschlaggebenden Beobachtung der Nazis, zur historischen Komponente:
„Ich könnte stolzer auf Deutschland sein, wenn es nicht dasselbe Deutschland wäre, dass die Welt vor knapp 70 Jahren in einen blutigen Weltkrieg gestürzt
hat. Wenn Deutschland nicht das Land wäre, das den Holocaust an Millionen von
86
Juden zu verschulden hat.“
Er gibt beschwichtigend zu, diese historische Tatsache mit seinem Gewissen vereinbaren zu können, wären Entschädigungszahlungen für die Überlebenden und Hinterbliebenen des Holocaust ohne jahrelange Prozesse gewährt worden „und wenn man heute sagen könnte: In Deutschland gibt es keine Nazis mehr, so dumm ist hier keiner mehr.
Wir haben aus unseren Fehlern gelernt.“ Doch dies ist seiner Meinung nach nicht der Fall.
Deshalb wirft er „uns“ vor, „unsere unbequeme Geschichte und die Millionen von Toten,
die unsere Vorfahren mit zu verantworten haben“ zu vergessen. Ebenso die Verantwortung, die die Gründungsväter der Republik in dem Augenblick übernommen hätten, als es
nach der Niederlage hieß: „Wir probieren es nochmal mit Deutschland.“ Der ökonomische
Wohlstand, den Deutschland bis heute erreicht hätte, ließe die Deutschen sich bequem
ausruhen und währenddessen vergessen, „dass es deutsche Waffen sind, die heute in
den Händen afrikanischer Kindersoldaten, irakischer Widerstandskämpfer und Soldaten
zahlreicher Armeen (darunter auch die Bundeswehr) Leben nehmen.“
Nach diesem Rundumschlag gegen Wirtschaft, Politik und Sozialstaat Deutschlands schließt er, bezugnehmend auf die Eingangsthematik, etwas konsterniert seinen
Beitrag:
„Und heute sind die Nazis wieder da, singen ihre Lieder, verbreiten ihr
rechtes Gedankengut, und anscheinend stört es niemanden mehr. Stolz sein auf
dieses Deutschland? Nein.“
Zwischenfazit
Wuschel zieht zur Erklärung seiner „Bauchschmerzen“ bei den vielen „Deutschland, Deutschland!“-Rufen der Fußballfans während der WM verschiedene Faktoren heran. Neben den häufig von Kritikern des neu erstarkten Nationalgefühls erwähnten historischen ‚Altlasten‘ der Deutschen sind dies bei ihm soziale, politische sowie wirtschaftliche
Aspekte. Bei der Kritik des Bildungssystems schwingt zwar klar seine linkspolitische
Orientierung mit, jedoch sind die Effekte, die der elterliche soziale und ökonomische Status auf die Bildungsaspiration der Kinder hat, sozialwissenschaftlich erwiesen.186 Seine
Bemerkung bezüglich firmenpolitischer Entscheidungen, Arbeitsplätze abzubauen um
Gewinn zu maximieren, ist aus sozialdemokratischer Sicht sicher berechtigt. Sein Vorwurf
in Richtung Regierung, die hohen Arbeitslosenzahlen eher zu „zementieren“ denn zu be-
186
So weist einer der wichtigsten Entscheidungstheoretiker Deutschlands, Hartmut Esser, darauf hin, dass „trotz aller Reformen des Bildungswesens […] in den westlichen Gesellschaften […] die unteren Schichten der Bevölkerung ihre Kinder weniger auf Einrichtungen der weiterführenden Bildung schicken als die mittleren oder gar die oberen Schichten.“
Esser, Hartmut: Soziologie – Spezielle Grundlagen. Band 1: Situationslogik und Handeln. Frankfurt / Main 1999, S.265.
87
seitigen, entbehrt aber zumindest aufgrund der damals schon rückgängigen Arbeitslosenzahlen einer fundierten Grundlage und kann aus heutiger Sicht mit dem weiteren Rückgang der Arbeitslosenzahlen zusätzlich entkräftet werden.187 Sein Hauptargument gegen
ein – möglicherweise nicht generelles aber gegen ein nicht hinterfragtes – Nationalgefühl
bezieht sich auf die historische Dimension, die Schuld der Deutschen am Zweiten Weltkrieg und den Holocaust. Zwar könne er mit diesem Wissen leben, die Tatsache, dass
Rechtsradikalismus in Deutschland immer noch vorkomme, ließe ihn den Nationalstolz
jedoch generell ablehnen. Tatsache ist, dass die rechtsradikalen Übergriffe auf Ausländer
überwiegend in den neuen Bundesländern keineswegs geleugnet oder relativiert werden
können.188 Die sogenannten „No-Go-Areas“ wurden nach ausländerfeindlich motivierten
Übergriffen im Vorfeld der WM in Ostdeutschland von Politikern verschiedener Parteien
proklamiert: So wurde die Empfehlung geäußert, als Schwarzer oder Mensch mit anderer
Hautfarbe kleine und mittlere Städte in den neuen Bundesländern generell zu meiden.189
Die Debatte über die „No-Go-Areas“ vor der WM hat zudem viele Bürger aufgerüttelt und
die Problematik der zunehmenden rechtsradikalen Gewalt in den neuen Bundesländern
wieder mehr in den Mittelpunkt des öffentlichen und auch politischen Interesses gerückt.
Die von Wuschel genannten Problemfelder sind keineswegs nur symptomatisch
für Deutschland. Ob notwendige bildungs- oder sozialpolitische Verbesserungen, Arbeitsplatzverlagerungen ins günstigere Ausland – die meisten westeuropäischen Länder müssen sich mit diesen Aspekten beschäftigen. Und auch Neonazis existieren inzwischen in
viel mehr Ländern als ‚nur‘ in Deutschland. Ob also die sozial- und wirtschaftspolitischen
Vorwürfe an die deutsche Regierung sowie die Existenz von Rechtsradikalen als Gründe
ausreichend sind, generell nicht stolz auf Deutschland sein zu können, wird in den folgenden Kommentaren hinreichend diskutiert.
187
Im Vergleich zum Zeitpunkt des Blogeintrags sind die Arbeitslosenzahlen in einem Jahr um gut 700.000 gesunken (Quelle: Bundesagentur für Arbeit; http://www.arbeitsagentur.de/nn_27030/zentraler-Content/Pressemeldungen/2007/Presse07-045.html; Stand: 24.07.07).
188
Im ersten Halbjahr 2006 sind in den neuen Bundesländern insgesamt 391 Fälle von rechtsmotivierten Gewalttaten bei
den Opferberatungsstellen registriert worden (Quelle: AMAL – Hilfe für Betroffene rechter Gewalt: http://www.amalsachsen.de/news.php?article=302; Stand: 25.07.07).
189
Siehe z.B. Focus Online: Reisewarnung. Auch SPD und Grüne sehen Gefahr für Ausländer. http://www.focus.de/politik/
deutschland/reisewarnung_nid_29185.html. Erstellt am 19.05.06 (Stand: 25.07.07).
88
6.5.2 Kommentare
Als erster Kommentator ergreift Blogger Coyote das Wort.190 Er befindet Wuschels
Kritikpunkte und Einwände als soweit stimmig, fragt jedoch, „warum […] man denen das
weite Feld überlassen“ solle und nicht „auch mal zur Abwechslung *für* sein Land ohne
*gegen* jemand anderen zu sein?“ In dieser Differenzierung sieht er „den Unterschied in
diesen Tagen“. Seiner Meinung nach war es abzusehen, dass nicht nur rechte sondern
auch linke Gruppierungen die Bühne der WM nutzen würden, „um Öffentlichkeit zu kriegen (und nicht nur irgendwo aufm Dorfplatz rumbrüllen zu müssen)“. Er unterscheidet jedoch insoweit zwischen Rechten und Linken, als er den Linken „ihre ganz eigene, liebenswerte Weise“ zuerkennt – möglicherweise ist diese leicht überspitzte Bemerkung eine Reminiszenz an die linkspolitische Orientierung Wuschels. Diese beiden „hässlichen“
extremistischen Lager sieht er als zu Deutschland gehörig. Er wolle den „Chaoten“ allerdings nicht soviel Macht einräumen, den Erfolg der Deutschen und „das Wir-Gefühl beim
Fußballschauen“ zu schmälern oder gar zu verbieten und schließt mit der feinsinnigen
Bemerkung: „Und ironischerweise bejubeln sie ein Deutschland, das demokratisch und
pluralistisch ist. Auch wenn ihnen das vermutlich gar nicht bewußt ist.“ Schließlich widerspricht gerade das Charakteristikum des Pluralismus mit seiner Koexistenz von Menschen
unterschiedlicher Herkunft dem Ansinnen nationalistischer Gruppierungen, wie es in Kapitel 4 als Gegensatz zum Patriotismus definiert wurde.
Bloggerin Solange sind die von Wuschel erwähnten Rechtsradikalen ebenfalls
aufgefallen und sehr auf die Stimmung geschlagen, was sie allerdings als gutes Zeichen
wertet, da sie damit noch nicht zum Alltagsbild gehören. Allerdings ist ihre Wortwahl etwas weniger drastisch, als sich Wuschel ausdrückte. So empfände sie es lediglich als
„schade, wenn Neonazis wirklich gut ins Bild passen würden.“ Als passende musikalische
Untermalung liefert sie einige Zeilen aus einem Lied der Punkrockband „Die Ärzte“:
"Scheint die Sonne auch für Nazis? Ich könnt’s nicht verstehen.Dürfen Faschos auch verreisen? Das wär ungerecht. Können Rassisten etwa auch den
blauen Himmel sehen? Scheint die Sonne auch für Nazis? - wenn’s nach mir geht,
tut sie’s nicht: ich will ‚nen Sommer nur für mich"
190
Um die sichtbare Struktur der Blogdynamik beizubehalten werde ich, anders als in den vorangegangen Auswertungen,
nacheinander die einzelnen Kommentare analysieren. Dabei wird deutlich, welche Einzelaspekte genannt wurden aber
auch, wer auf welchen bereits erwähnten Punkt eines anderen Bloggers Bezug nimmt. So bleibt der Charakter einer
Diskussion mit mehreren Teilnehmern gewahrt. Andere Weblogs, die diesen Artikel zitiert haben, werden an dieser Stelle nicht mit in die Analyse gezogen, da sie außerhalb der hier eingegrenzten Diskussion stattfanden.
89
Ein anonymer Kommentator relativiert Wuschels Beobachtung indem er191 es als
nicht richtig empfindet, „wenn man sich überall nach den/dem schlechtesten richtet“. Er
setzt diese vier von ihm ebenfalls gesehenen Personen, die er nicht eindeutig der von
Wuschel behaupteten Gruppierung zuordnen könne, in Relation mit „ein paar 100“ anderen anwesenden Menschen und lässt erahnen, dass das für ihn zahlenmäßig nicht genug
Extreme waren, um sich darüber aufzuregen. Wichtig ist allerdings die Überlegung in Bezug auf die äußeren Erkennungsmerkmale dieser kleinen Gruppe, was er als Denkanstoß
an Wuschel richtet: „Soll heißen, ja es waren Leute da die wie Nazis aussahen, aber was
erwartest Du jetzt von den Leuten? Sollen zukünftig alle Leute mit Glatze verprügelt werden?“ Er schiebt diesen Fragen sofort rechtfertigend hinterher, dass er „KEINESFALLS
Nazis irgendwie in Schutz nehmen“ oder deren rechtsextremes Gedankengut akzeptieren
wolle und sieht es, wie schon Coyote, eher fatalistisch, dass „es diese Leute eben leider
gibt“. Den richtigen „Ansatzpunkt“ für die von Wuschel angeregte Debatte sieht er allerdings nicht im Rahmen der Fußball-WM. Stattdessen lobt er die „erstklassige Arbeit“ der
Polizei die dafür gesorgt habe, dass alles „friedlich und auch im Rahmen ablief“. Nach
diesen Gedanken bezüglich der Neonazis kommt der Kommentator zu einem zweiten
Punkt, dem „*Mode*Patreotismus“. Dessen Ursprung sieht er in der, laut ihm, „aggressiven ProDeutschland Kampagne“ der BILD-Zeitung, die mit „Schwarz-Rot-Geil!“Aufklebern gegen „Nörgler“ und „Miesmacher“ zu Felde ziehen wollte.192 Das in dieser
Kampagne seiner Meinung nach geforderte und geförderte Schönreden der von Wuschel
ebenfalls erwähnten sozialen und wirtschaftlichen Probleme hält er „für ziemlichen Unsinn“, da sie bekannt seien und behoben werden müssten, „aber alles schlecht zu machen ist meiner Meinung nach keinen Deut besser.“ Im Gegensatz zu Wuschel relativiert
er dessen ‚über einen Kamm scheren‘ der angeblich profitgierigen Konzerne und auch die
Tatsache, dass es in Deutschland Nazis gebe: „Nur weil es ein paar Vollidioten gibt […]
sind die ALLERmeisten in Deutschland doch immernoch keine Nazis und lehnen diese
ab.“ Abschließend betont er erneut die Wichtigkeit der Relationen sowie die Gefahr, alles
schlecht zu reden, da man damit „auch die Leute die sich Mühe geben [demotiviert], die
Ihr bestes geben.“. Und diese könnten ihren Halt stattdessen bei rechtsextremen Gruppierungen suchen.
191
Es ist natürlich auch möglich, dass eine Frau an dieser Stelle kommentiert hat. Der Lesbarkeit halber werde ich allerdings, wie in der bisherigen Arbeit, auf die weibliche Form verzichten, gemeint ist natürlich der Kommentator bzw. die
Kommentatorin.
192
Eine kurze Erklärung zu dieser Kampagne unter: Schirmbeck, Samuel: Geht die Party weiter? Ein Analytiker legt die
Deutschen auf die Couch. (Titel Thesen Temperamente vom 09.07.2006 (HR)) http://www.daserste.de/kultur
/thema_dyn~id,6z06o1ixuifexy3f~cm.asp (Stand: 26.07.07).
90
Kommentator Sebastian, Soziologiestudent und Blogger aus Frankfurt/Main, äußert sich noch extremer gegen den „Nationalstolz“ als Wuschel, wobei seine heftige Kritik
gegen „die Wirtschaft und ihre Schergen in der Politik“ vermutlich aus seiner aktiven Mitgliedschaft bei „[’solid]“ resultiert.193 Obwohl fußballbegeistert stoße ihm „dieser ‚gesunde
Patriotismus‘, der uns ja sooooo gefehlt hat“ sauer auf und auch dessen Nutzen sei ihm
nicht klar: „Außer […] dass die Leute sich dann aus "Vaterlandsliebe" oder so etwas bereitwillig den Lohn kürzen lassen.“ Er hält ein positives Verhältnis zu Deutschland anscheinend überflüssig, empfand Deutschland vor dem Erwachen des „Nationalstolzes“
fortschrittlicher als andere Länder und behauptet: „Nur wer sein Land liebt, kann andere
hassen.“ Auch eine eindeutige, seiner extrem linkspolitischen Orientierung entspringende
Kapitalismuskritik ist in seinem Kommentar nicht zu übersehen und so schlägt er für ein
wirtschaftliches Vorankommen Deutschlands sarkastisch vor, man könne „ja den Solidarstaat abschaffen, neue Atomkraftwerke bauen, Lohn kürzen, Ansprüche senken, Genügsam werden... Damit wir wieder besser werden als alle anderen auf der Welt!“ Es wird
deutlich, dass er Nationalismus und Patriotismus analog negativ versteht: Abgrenzung
und Ablehnung nach außen, Konsolidierung nach innen. Im Gegensatz zu Wuschel zählt
er keine konkreten Punkte auf, die ihn daran hindern würden, stolz auf Deutschland zu
sein, außer eines polemischen Rundumschlags gegen alles, was nicht mit seiner sozialistischen Ideologie übereinstimmt.
Auf diese Welle der Kritik hin wendet sich Coyote an Sebastian direkt und fragt:
„Also ist kein Nationalstolz etwas, worauf man stolz sein kann?!?!“ (Hervorh. i. Orig.)
Schließlich würde die Liebe zum Vaterland laut Sebastian nur zu Hass oder Überlegenheit
anderen Ländern gegenüber führen – was nach meiner Definition in Kapitel 4 einer
Gleichsetzung von Patriotismus und Nationalismus gleichkäme. Zudem vertritt Coyote die
Meinung, man dürfe die Geschichte Deutschlands, die seiner Meinung nach „eigentlich
eine europäische ist“, nicht auf das Jahrzehnt des Nationalsozialismus beschränken.
Kommentatorin Anna gibt zwar im Bezug auf Wuschels Eingangsfrage an, auch an
„Bauchschmerzen“ zu leiden und seine Äußerungen „unterschreiben“ zu können. Jedoch
bezieht sie sich in ihrem Kommentar lediglich auf die Tatsache, dass sie – als fußballuninteressiert – „den Hype nicht begreifen kann“ und daher der Meinung ist: „Es sollte nur mal
bisschen langsamer gemacht werden.“ Für den Fall des WM-Sieges der Deutschen erwartet sie den totalen Zusammenbruch Deutschlands. Sie beobachtet daher „das allgemeine Szenario mit Argwohn“, allerdings nur aufgrund der Tatsache, dass Fußball nicht
193
Der Blogger ist, wie aus seinem Weblog hervorgeht, Mitglied des Landessprecher/innenrates von „[’solid] - die sozialistische jugend“ Hessen. http://blog.sebastianscholl.de/ (Stand: 26.07.07).
91
ihre „Welt“ sei – der von Wuschel angesprochene Aspekt der Neonazis bleibt hier völlig
unberücksichtigt. Es scheint also auch andere Ressentiments gegen den Nationalhype zu
geben als die Angst vor nationalistischen Tendenzen.
Die wichtige Unterscheidung zwischen den Begriffen „Patriotismus“ und „Nationalismus“ zieht die Kommentatorin Besucherin, vermutlich angeregt durch Sebastians Beitrag: „‘Patriotismus ist, wenn man sein Land liebt. Nationalismus ist, wenn man andere
hasst.‘“ Diese Differenzierung passt – anders als bei Kommentator Sebastian – zur wissenschaftlichen Definition der Begriffe. Die Kommentatorin ist ein gutes Beispiel für das
kritische Hinterfragen des ‚Nationalhypes‘ auf der einen Seite, und das positive Bewerten
der Euphorie auf der anderen, gesteht sie doch, sonst „eigentlich auch zu den Bedenkenträgern, was überbordenden Nationalstolz betrifft“ zu gehören. Trotzdem findet sie die
Fahnenmeere und das neue Nationalgefühl „schön und nicht im geringsten bedrohlich“.
Auch sie will, wie Coyote, den Nazis nicht die Macht geben, die gute Laune, die Feiern
und vor allem „die Leichtigkeit […] die wir so dringend nötig haben“ zu zerstören. Als geeignetes Vorgehen meint sie allerdings kein „naives Ignorieren der Gefahr“, vielmehr fordert sie die Blogleser – stellvertretend für andere – auf: „lasst uns nach Berlin fahren, es
ist UNSERE Hauptstadt - nicht ihre!!“ Womit sie diese Aussage begründet bleibt allerdings
unerwähnt – schließlich war Berlin, Austragungsort des Finales, auch zu Zeiten des Nationalsozialismus die deutsche Hauptstadt.
Zum ersten Mal heftig kritisiert wird Wuschel durch die Kommentatorin Liz. Obwohl
sie sich auch zu ‚den Linken‘ zählt wirft sie ihm vor, „ein verkopfter linker, wie er im buche
steht“ zu sein und sie sei „ein bissl sauer, ehrlich gesagt“. Seine mahnende Erinnerung an
die NS-Zeit befürwortet sie zwar, seine Argumentation, aufgrund von hohen Arbeitslosenzahlen nicht feiern zu dürfen, bezeichnet sie als „mist“, den sie ablehne. Schließlich seien
diese sozialen und wirtschaftlichen Probleme für jedermann offensichtlich und würden
auch „24 stunden am tag, 365 tage im jahr“ diskutiert – nur im Moment seien eben andere
Themen eher an der Tagesordnung, was sie aber wohl nicht als verkehrt empfindet. Politische Verbesserungen respektive das Verhindern von Verschlechterungen bezeichnet sie
als ständige „bürgerInnenpflicht“ die aber wohl auch nicht durch die WM aufgehoben würden. Für den Fall, dass Deutschland bald ausscheide, schlägt sie Wuschel noch zynisch
vor, er könne sich dann „wieder mit vielen anderen linken […] in eine stille ecke setzen
und heulen, weil alles so schlecht ist.“
Einen Tag später ergänzt Liz ihren ersten Kommentar noch um die Feststellung,
dass es verschiedene Formen gäbe, „seine verbundenheit mit d[eutschland, d. Verf.] auszudrücken (wenn man diese hat) und dazu muss man sich nicht an die stolzgeschwellte
brust klopfen.“ Die Reduzierung auf diese eine Nuance wirft sie Wuschel damit vor.
92
Mit der Problematik der Deutschen, ihr Nationalgefühl auszudrücken und zu zeigen, beschäftigt sich der zweite anonyme Blogger. Anfangs scheint es, als wäre er kein
Deutscher, da er sich fasziniert davon zeigt, „wie die Deutschen ihre Fussballmannschaft
feiern.“ Seine folgenden Äußerungen bezüglich des Nationalstolzes legen jedoch zumindest die Vermutung nahe, dass er deutscher Bürger ist, von sich (und anderen) jedoch in
der dritten Person spricht. Er meint, dass dieses Thema zu anderen Zeiten lieber umgangen worden wäre, da „man es ja sonst gewohnt war jeglichen Stolz auf sein Land zu verbergen. Es war verpöhnt..vielleicht sogar peinlich?“ Mit der Begründung „es sind doch
schließlich nur die Neonazis, die die Deutschlandfahne aus den falschen Gründen
schwenken“ kommt er zu der Einstellung, man solle „den Fussballfans ruhig ihren Patriotismus und ihre Freude lassen“. Angesichts seiner Eingangsbemerkungen stellt sich aber
meines Erachtens die Frage: wieso nur den Fußballfans?
Nach diesen vielen kontroversen Meinungen meldet sich Wuschel erstmals zu
Wort, allerdings habe er sich „lange überlegt, ob ich die Kommentare einfach so stehen
lassen soll oder ob ich nochmal irgendwie drauf reagiere.“ Zudem hat er das Gefühl, „ab
und zu ein bisschen missverstanden worden zu sein.“ An Liz gewandt meint er, es ginge
ihm bei seinem Beitrag nicht um die schlechte Situation Deutschlands generell, sondern
vielmehr um die Frage, ob er die „Fahne dieses Landes voller Begeisterung schwenken
[…] oder die Farben dieses Landes voller stolz tragen“ könne, was er mit „Nein“ beantworten müsse. Die Identifikation mit Deutschland, die er durch das Tragen der Fahne ausdrücken würde, habe und wolle er nicht. Zudem bekennt er sich frei zu ihrem Vorwurf, „ein
verkopfter Linker“ zu sein, der auch während der WM zu seinen Überzeugungen stehe. Er
bestätigt die von ihr erwähnte Vorbelastung des Ausdrucks „‘stolz sein‘ auf Deutschland“.
Deshalb fragt er in Bezug auf ihre Aussage, dieser Stolz könne ja in verschiedenen Formen ausgedrückt werden: „Aber was drückt ein fahnenschwenkender Deutscher/eine fahnenschwenkende Deutsche denn sonst aus?“ Auf Coyotes Meinung bezüglich der deutschen Geschichte Bezug nehmend zählt Wuschel alle historischen Verfehlungen
Deutschlands seit den 1870er Jahren auf, erwähnt aber in einem Nebensatz, dass auch
andere Länder in der Vergangenheit keine reine Weste gehabt hätten. Die Tatsache der
positiven Errungenschaften Deutschlands lässt er (allerdings in Klammern gesetzt) nicht
unerwähnt, jedoch möchte er diese mit den Verfehlungen „nicht einfach gegeneinander
aufrechnen.“ Das Understatement der Deutschen in ihrem Nationalstolz sieht er als positives Beispiel für andere Länder wie Spanien, die USA oder Russland, die seiner Meinung
nach mehr Zurückhaltung im Nationalstolz im Hinblick auf ihre Geschichte üben sollten:
„Denn differenzierte Meinung und ekstatisches Feiern des eigenen Landes - das geht für
mich nicht zusammen.“
93
An dieser Stelle schaltet sich Sabine in die Diskussion ein und fragt, warum man
sich denn nicht freuen dürfen solle, da der Hype nach der WM doch wahrscheinlich „leider“ wieder abebben werde. Ansatzweise Bezug nehmend auf Wuschels Generalkritik an
den deutschen Zuständen meint sie noch: „Und wenn es sonst nix oder nicht viel zu feiern
gibt...“ Zum Umgang mit den „vermeintlichen“ Rechtsextremisten empfiehlt sie, ihnen
durch Ignorieren den Wind aus den Segeln zu nehmen und die erhoffte „Aufmerksamkeit
[…] durch reine Anwesenheit“ nicht zu ermöglichen. Wuschel fordert sie direkt angesprochen auf, „den Deutschen und all ihren mitfeiernden Gästen doch die Freude und auch
den (neuen) Mut, sich wieder zu ihren Nationalfarben zu bekennen“, zu lassen und „wieder nach vorne [zu] schauen statt immer nur zurück“. Sie vermutet, dass die meisten ohnehin bereits aus der Geschichte gelernt hätten, gesteht aber trotzdem, sich „beim ersten
Schwenken des Winkelements in den Nationalfarben“ komisch gefühlt zu haben. Wobei
sie sich allerdings fragt, ob das ihr eigenes Problem mit der deutschen Fahne sei, schließlich trage sie die „Schweizer Flagge […] ja auch gerne und offen und ohne Hintergedanken auf der Brust.“ Als Anspielung auf seinen Ruf als „verkopfter Linker“ weist sie ihn abschließend darauf hin, dass er die Welt auch nach dem Turnier noch retten könne.
Wesentlich prägnanter äußert Jürgen seine Meinung zu Wuschels Kritik: „Hab ich
eigentlich schon mal erwähnt, dass mich Pessimismus aufregt? Naja. Jedem das Seine.“
Anbei fügt er den Text des Liedes „Weltmeister“ der „Toten Hosen“, in dem es um die
‚schlimmen‘ Zustände in Deutschland geht die nur gebessert werden könnten, „wenn wir
erst wieder Weltmeister sind“.
Wuschel ergreift wieder das Wort und erwidert auf Sabines Vorschlag, die Nazis
zu ignorieren, dass dies zwar nicht die optimale Lösung sei, am betreffenden Tag zudem
allerdings eher Integration als Ignorieren betrieben wurde. Und das sei definitiv nicht der
richtige Weg. Er betont, persönlich zum Feiern kein „Schwarz-Rot-Goldenes Fahnenmeer“
zu benötigen und fordert weniger „Unreflektiertheit“ im Umgang mit der deutschen Vergangenheit. Er befürchtet die emotionale Aufgeladenheit im Umgang mit diesem Thema
und auch den Mangel an Überzeugungskraft seiner Argumente. Durch Jürgens Eintrag
des Liedtextes fühlt er sich – wobei er der Band „eine gehörige portion ironie“ unterstellt –
in seinen Ansichten bestätigt.
Abermals meldet sich auch Liz zu Wort und verkündet, dass sich Wuschel „vermutlich keinem staat der welt nahe fühlen“ könne, da es keinen Staat gäbe, der seinem
Ideal entspräche. Sie hinterfragt das Wort „nationalstaat“ dahingehend, „ob wir wirklich
mal alle von einer sippe abstammten“ und betont die Schwierigkeit, in der heutigen Zeit in
keinem Staat organisiert zu sein. Zum eigentlichen Thema befindet sie, dass bei Wuschel
„eine überbewertung der ganzen sache und infolgedessen auch ein aufgeblähter überle94
gungsprozeß“ vorliege. Zwar befürwortet sie sein Engagement für Gerechtigkeit in der
Welt; doch „im endeffekt sind es ein paar leute, die mit fahnen rumlaufen. diese fahne repräsentiert den staat, das organisierte gemeinwesen, die demokratie! in der wir leben.“ Einige Stunden später fügt sie noch eine Erklärung bezüglich ihrer Vorstellung der Definition
von „gemeinwesen“ an.
Als letzten Diskussionsbeitrag beendet ein weiterer anonymer Kommentator die
Debatte sarkastisch:
"Und so können wir uns doch alle zufrieden zurücklehnen und dankbar
feststellen, daß die WM uns allen doch etwas bietet: die einen freuen sich über
deutsche Siege, die anderen leiden gern beim Anblick deutscher Fahnen - es ist
für alle was dabei."
Zwischenfazit
Die in der Öffentlichkeit häufig ausgetragene Diskussion des deutschen Nationalgefühls mit ihren Pros und Contras, Befürwortern und Bedenkenträgern lebte auch in der
Bamberger Blogosphäre. Besonders aktiv wurde sie im Anschluss an diesem Beitrag von
Blogger Wuschel geführt, zu der 17 Kommentare auch von auswärtigen Bloggern beigetragen wurden. Während die meisten Kommentatoren Wuschels Bedenken im Hinblick auf
die Anwesenheit von Neonazis verstehen konnten, waren die Reaktionen auf sein vehementes und generelles Ablehnen eines deutschen Nationalstolzes wesentlich kritischer.
Die allgemeine Tendenz ging eindeutig in Richtung eines ‚gemäßigten, positiven Patriotismus‘, der keineswegs zu verurteilen sondern vielmehr zu begrüßen sei, auch wenn natürlich keiner die deutsche Vergangenheit vergessen machen wollte. Manche Blogger zeigen sich genervt ob des anhaltenden Pessimismus in Deutschland und das ständige Hinterfragen positiver Stimmungslagen. Es wurde dabei aber auch deutlich, dass es selbst in
der heutigen Generation der über Zwanzigjährigen nicht selbstverständlich sei, sich offen
für das deutsche Vaterland zu bekennen und dies auch noch durch Fahne Schwenken
deutlich zu machen. Vielmehr wird deutlich, dass es wohl nicht wenigen noch bis vor der
WM ‚peinlich‘ war, sich im Ausland als deutsch bekennen zu müssen. Diese ‚Scham‘ resultiert meines Erachtens immer noch in der tradierten Schuld des Nationalsozialismus.
Ob dabei die Schuldzuweisungen und das in Erinnerung rufen der Geschichte nur aus
dem eigenen Land kommen oder ob kritische Stimmen auch aus dem Ausland laut werden, ist aus diesen Beiträgen nicht zu erkennen.
Wuschels Kritik an den bestehenden politischen und sozialen Zuständen wurde
von den wenigsten Kommentatoren als ausreichend empfunden, Deutschland die Anerkennung und einen gewissen Stolz generell zu verweigern. Besonders interessant im
Hinblick auf die vorangehende Auswertung ausgewählter Aspekte des Nationalgefühls ist
die Tatsache, dass bei der Thematik ‚Nationalismus‘ lediglich von schwarz-rot-goldenen
95
Fahnen die Rede war, die von den Nazis getragen wurden und daher auch im Zusammenhang mit anderen, ‚normalen‘ Fans einen faden Beigeschmack hinterließen. Anderer
Schmuck in Nationalfarben, der ja zur WM in großer Menge und Ausprägung zu finden
war, wird nicht erwähnt, als wären Fahnen das einzige Symbol, das den Nationalismus
verkörpert oder negative Gefühle wachrufe. Die meines Erachtens wichtige Differenzierung zwischen Patriotismus und Nationalismus – beides ursprünglich nationsbejahende
Einstellungen deren wichtigster und prägendster Unterschied in der Bejahung bzw. strikten Ablehnung fremder Nationalitäten und Kulturen besteht – wird nicht von allen Kommentatoren deutlich gezogen. Vielmehr wird Patriotismus, die Identifikation mit der eigenen Nation, die zusätzlich nach Heterogenität in der Gesellschaft und Toleranz gegenüber
Minderheiten strebt oft noch gleichgesetzt mit einem Nationalismus, der die Nation nach
außen abgrenzen will und nach Homogenität im Inneren strebt. An dieser Stelle ist meines Erachtens gesellschaftliche Aufklärung über die feine Nuancierung beider Begriffe
notwendig, ohne die ein patriotisches Nationalgefühl der Deutschen, aufgrund des sonst
mitschwingenden negativen Beigeschmacks, nicht möglich ist. Und es wurde deutlich,
dass genau dieser positiv konnotierte Patriotismus von nicht wenigen – zumindest der hier
untersuchten Generation – gewünscht wird.
Im Großen und Ganzen können die Meinungen in diesem ‚Mikrokosmos Weblog‘
meines Erachtens als repräsentativ für die entsprechende Gruppe außerhalb der Weblogs
gesehen werden: Den höhergebildeten 20- bis 30-Jährigen. Extrem linke Positionen, die
sich vehement gegen das neue Nationalgefühl stellen, sind in der Minderheit, rechtsradikale Meinungen zum Thema Nationalismus oder auch nur rechte Tendenzen sind nicht zu
finden. Die Mehrheit der – politisch völlig unterschiedlich positionierten Kommentatoren –
begrüßt den positiven Stimmungsaufschwung, der während der WM Deutschland erfasste, ja fordert sogar ein positiveres Nationalgefühl und einen gewissen Stolz auf Deutschland.
7
Fazit
Weblogs sind Internet-Journale, die je nach Autor unterschiedliche Inhalte und
Funktionen besitzen. Die Mehrzahl der privat geführten Weblogs entspricht dem Typ des
klassischen Tagebuchs. In ihnen schreiben ihre Autoren persönliche Anekdoten, Erlebnisse und Gedanken nieder. Der Hauptunterschied zum ursprünglichen Tagebuch in
Buchform besteht in dem Faktor Öffentlichkeit, dem die Weblogs im Internet zwangsläufig
ausgesetzt sind und der bestimmte Praxen von den Weblogautoren erfordert. Aber auch
vom Blogforscher wird somit eine sorgfältige Quellenkritik nötig. Während sich Kulturwis96
senschaftler bislang mit dem technischen Aspekt des Internets beschäftigt haben, dem
Eindringen des Mediums in den Alltag des ‚industrialisierten Menschen‘, den distinkten
Nutzungsformen und technischen Artefakten, blieb eine qualitative Auswertung der Weblogs bislang noch aus. Weblogs können aber wie klassische Tagebücher und andere autobiographische Dokumente als Quelle für Beschreibungen des alltäglichen Lebens aus
der Sicht ‚einfacher‘ Bürger dienen. Sie bieten einerseits eine reiche Auswahl an oft detailreichen Alltagsbeschreibungen, die schon für sich Analysen ermöglichen können. Außerdem können sie, wie leitfadengestützte oder offene Interviews, Informationen liefern, die
zu weiterführenden Studien Anstoß geben können. Im Gegensatz zur quantitativen Analyse, bei der die Untersuchungsaspekte bereits vor dem Erstellen eines Fragebogens festgelegt werden, bietet die qualitative Methode die Möglichkeit, auf unvorhergesehene Aspekte und Wendungen spontan zu reagieren und die Analysewerkzeuge dem Thema entsprechend anzupassen. Dieser Vorteil der qualitativen Analyse machte sie zur adäquaten
Methode für diese Forschung. Doch auch quantitative Auswertungen können zu einem
gewissen Grad vorgenommen werden, etwa im Hinblick auf Themenhäufigkeiten in den
Weblogs.
Bloggern wird von ‚echten‘ Autoren häufig eine gewisse Trivialität oder Banalität ihrer Beitrage vorgeworfen. Nichtsdestotrotz liefert gerade diese persönliche Betrachtung
von aktuellen Themen wie z.B. der Fußball-WM 2006 häufig detailierte und ‚dichte ‘ Beschreibungen wie sie von Ethnologen selbst gefordert und angefertigt werden. Diese Texte bergen im vorliegenden Fall Informationen zu Themen wie nationalen Symbolen, dem
sozialen Leben während der WM, dem neuen Selbstbewusstsein der Deutschen oder
auch der Kritik an eben diesem positiv bewerteten Nationalgefühl. Des Weiteren wurden
von den Bloggern nicht selten auch Aspekte angesprochen, die mir aufgrund theoretischer Vorüberlegungen wohl entgangen wären, die aber Anstoß zu anschließenden Forschungen geben können: Etwa in Bezug auf regionale Unterschiede im Nationalgefühl
zwischen Ost und West oder Stadt und Land, Hintergründe und Ausprägungen von Fanverhalten und Fanfeindschaften sowie Ursprünge und Bedeutung von Fangesängen.
Einen weiteren Vorteil gegenüber klassischen Tagebüchern besitzen Weblogs in
der Kommentarfunktion die jedem Leser ermöglicht, seine Meinung zu einem Beitrag
kundzutun und mit anderen eine Diskussion zu führen. In dieser Hinsicht ähneln Weblogs
virtuellen Stammtischen, mit dem Vorteil, dass diese Diskussionen nicht auf einen Zeitpunkt oder einen realen Raum festgelegt sind und auch nach längerer Zeit wieder archiviert vorgefunden werden können. Ein besonders angeregt diskutierter Beitrag wurde im
zweiten Teil der Auswertung genauer betrachtet und dient als exemplarisches Beispiel für
die Dynamik in der Bamberger Blogosphäre.
97
Das Nationalgefühl der Deutschen ist seit jeher ein heikles und vieldiskutiertes
Thema. Meist begründet durch die über Generationen tradierte ‚Schuld‘ am Nationalsozialismus und dem Holocaust fällt es selbst den 20- 30-jährigen Bloggern, die dritte Generation nach der vielzitierten „Tätergeneration“, noch schwer, sich offen für Deutschland zu
bekennen und ohne Ressentiments oder Schamgefühle die deutsche Fahne zu tragen.
Sportliche Großereignisse wie die WM hingegen können zu einem gesteigerten ‚Wir‘Gefühl in der Gesellschaft beitragen, das auf gemeinsame Erfolge und den Stolz auf das
Geleistete abzielt. Die im Rahmen eines Sportereignisses stattfindende Bildung einer „imagined community“, einer schichtenübergreifenden Gemeinschaft der Fans, basiert auf
bestimmten verbindenden ‚Codes‘ wie dem Singen der Nationalhymne und dem Tragen
der Nationalfarben. Im Spannungsfeld zwischen der historischen Schuld und dem Fahne
Schwenken der Fans in der „imagined community“ befand sich Deutschland während der
WM 2006.
Das Ziel dieser Arbeit war herauszufinden, wie das deutsche Nationalgefühl, das
zur Fußball-WM 2006 ein ungeahntes Hoch erfahren sollte, von den Bamberger Bloggern
in ihren Weblogs thematisiert, dargestellt und auch kritisiert wurde. Dazu wurden zum einen bestimmte Aspekte, die für eine Bildung der „imagined community“ ausschlaggebend
sind, in den ausgewählten Weblogtexten extrahiert und analysiert. Dies sind allem voran
nationale Symbole wie die Nationalhymne und die Nationalflagge. Während Fanaccessoires in schwarz-rot-gold von fast jedem Blogger mehr oder weniger positiv erwähnt wurden, ist die Nationalhymne an sich hingegen kaum thematisiert worden. An ihre Stelle traten Popsongs, die extra für die WM oder die Nationalmannschaft komponiert wurden und
die Emotionen der Fans ausdrücken sollten. Das klassische Fanaccessoire ‚Fahne‘ wurde
zwar häufig getragen oder zierte Autos und Häuser, wurde jedoch ergänzt um unzählige
schwarz-rot-goldene Artikel wie Irokesenperücken, Hüte, Schals und Blumenketten. Es
entsteht somit der Eindruck, als schaffe sich die jüngere Generation ihre eigenen, unvorbelasteten nationalen Symbole, die frei von jeglichen politisch-historischen ‚Altlasten‘ sind
und daher ohne negativen Beigeschmack eingesetzt werden können.
Doch auch die hier repräsentierten höher gebildeten Mittzwanziger konnten sich
nicht ausnahmslos über das neu erwachte Nationalgefühl der Deutschen freuen oder es
unreflektiert hinnehmen. Ebenso wie in der Gesellschaft wurde auch in Weblogs Kritik an
einem ‚naiven‘ Umgang mit der Geschichte laut und die Gefahr eines rechten Nationalismus hervorgehoben. Allerdings geht die Tendenz in dieser Generation eindeutig hin zu
einem erwünschten positiven und gesunden Patriotismus in einer demokratischen und
pluralistischen Gesellschaft, in der man stolz auf die Errungenschaften Deutschlands und
natürlich seine Fußballnationalmannschaft sein kann und vor allem darf. Die positiven
98
Äußerungen von ausländischen Fans über die WM und die Stimmung in Deutschland, die
an einigen Stellen laut wurden, dürften ebenfalls einen großen Teil dazu beitragen, dass
das gesteigerte Selbstwertgefühl der Deutschen weiter besteht. Und trotz der Niederlage
Deutschlands im Halbfinale überwog die Freude ob der gezeigten Leistung und das nationale Stimmungshoch hält, wie eine Ipsos-Umfrage vom Mai 2007 zeigt, auch ein Jahr
nach der WM noch an, ja ist sogar im Steigen begriffen.
Schließen möchte ich deshalb mit den Worten einer Bloggerin, die wohl am besten
die positive und optimistische Stimmungslage kurz nach der WM verdeutlichen:
„Nächstes Mal holen wir den Titel! Und jetzt bleibts mir einfach als richtig
spannende, emotionsgeladene, schöne Zeit in Erinnerung, diese WM 2006 in
Deutschland. […] Danke Deutschland!“194
194
Anima: „achter und letzter Fußballbeitrag“, 09.07.06 (http://anima.twoday.net/stories/2315316/; Stand: 10.06.07).
99
Literatur
Tagebücher und Weblogs
Badran, Jacqueline und Ina Hedwiger: Qualitative Methoden in der User-Forschung –
Plädoyer für ein verkanntes Untersuchungsdesign, in: Verband Schweizer Marktund Sozialforscher (Hg.): Jahrbuch 2006. Cham 2006, S.52-55. Online unter: http:
//blog.nutzbar.ch/files/Artikel_Badran_Hedwiger_2006-07-03.pdf (Stand: 02.05.07).
Beck, Friedrich: Vorwort, in: Beck, Friedrich und Eckart Henning (Hg.): Die archivalischen
Quellen. Eine Einführung in ihre Benutzung. Weimar 1994, S.9-11.
Blood, Rebecca: Weblogs. A history and perspectives. http://www.rebeccablood.net
/essays/weblog_history.html Erstellt am 07.09.2000. (Stand: 29.04.07).
Brecht, Bertolt: Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des
Rundfunks, in: Ders.: Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Sechster Band.
Schriften 1920-1956. Frankfurt/Main 2005, S. 146-151.
Frackowiak, Henryk: Melle‘s Liste. http://www.nicola-doering.de/images/spiegel-diary.html
Erstellt am 13.11.2000 (Stand: 27.04.07).
Gabrielli, Patrizia: Tagebücher, Erinnerungen, Autobiografien. Selbstzeugnisse von Frauen im Archivio Diaristico Nazionale in Pieve Santo Stefano, in: L‘Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 15 (2004), Heft 1, S.
345-352.
Heimann, Uli: Weblog-Zensur in China. http://www.politik-digital.de/metablocker/archives
/268-Weblog-Zensur-in-China.html Erstellt am 25.01.2005 (Stand: 22.05.07).
Hengartner, Thomas: Volkskundliches Forschen im, mit dem und über das Internet, in:
Göttsch, Silke und Albrecht Lehmann (Hg.): Methoden der Volkskunde. Positionen,
Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie. Berlin 2001, S. 187-211.
Hengartner, Thomas: Volkskundliches Forschen im, mit dem und über das Internet, in:
Göttsch, Silke und Albrecht Lehmann (Hg.): Methoden der Volkskunde. Positionen,
Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie. 2. überarb. u. erw. Aufl. Berlin 2007, S. 189-218.
Hengartner, Thomas: Zur „Kultürlichkeit“ von Technik. Ansätze kulturwissenschaftlicher
Technikforschung, in: Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (Hg.): Technikforschung: Zwischen Reflexion und Dokumentation. Tagung der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften vom
12. und 13. November 2003 in Bern. Bern 2004, S.39-57.
Henning, Eckart: Selbstzeugnisse, in: Beck, Friedrich und Eckart Henning (Hg.): Die
archivalischen Quellen. Eine Einführung in ihre Benutzung. Weimar 1994, S.107114.
Kalinke, Heinke M.: Zur Geschichte und Relevanz autobiographischer Quellen, in: ders.
(Hg.): Brief, Erzählung, Tagebuch. Autobiographische Dokumente als Quellen zu
Kultur und Geschichte der Deutschen in und aus dem östlichen Europa. Referate
der Tagung des Johannes-Künzig-Instituts für ostdeutsche Volkskunde vom 8./9.
September 1999 (= Schriftenreihe des Johannes-Künzig-Instituts, Bd. 3). Freiburg
2000, S. 7-22.
Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, in: Berlinisch Monatsschrift, Dezember-Heft (1784), S.481-494. Online unter: http://www.uni-potsdam.
de/u/philosophie/texte/kant/aufklaer.htm (Stand: 17.04.07).
Kirn, Paul: Einführung in die Geschichtswissenschaft (= Sammlung Göschen, Bd. 270).
Berlin 1947.
Köster, Andreas: Tagebücher für die Forschung, in: duz Magazin 07 (2005), S.37.
Lipp, Carola: Der industrialisierte Mensch. Zum Wandel historischer Erfahrung und wissenschaftlicher Deutungsmuster, in: Dauskart, Michael und Helge Gerndt (Hg.):
Der industrialisierte Mensch. Vorträge des 28. Deutschen Volkskunde-Kongresses
in Hagen vom 7. bis 11. Oktober 1991 (= Forschungsbeiträge zu Handwerk und
100
Technik, Bd. 5). Münster 1993, S. 17-43.
Norton, Quinn: China blocks LiveJournal. http://www.wired.com/politics/onlinerights/news
/2007/03/72872 Erstellt am: 05.03.2007 (Stand: 22.05.07).
o.A.: Bertolt Brecht. Radiotheorie (um 1930). http://www.uni-essen.de/literaturwissen
schaft-aktiv/Vorlesungen/ausblick/bre_radio.htm (Stand: 04.04.07.
Picard, Hans Rudolf: Das Tagebuch als Gattung, in: Archiv für das Studium der neueren
Sprachen und Literaturen 138 (1986), S.17-25.
Schmidt, Jan und Martin Wilbers: Wie ich blogge?! Erste Ergebnisse der Weblogbefragung 2005 (= Berichte der Forschungsstelle „Neue Kommunikationsmedien“ Nr.
06-01). Bamberg 2006.
Schmidt, Jan, Klaus Schönberger und Christian Stegbauer: Erkundungen von WeblogNutzungen. Anmerkungen zum Stand der Forschung, in: Dies. (Hg.): Erkundungen
des Bloggens. Sozialwissenschaftliche Ansätze und Perspektiven der Weblogforschung. Sonderausgabe von kommunikation@gesellschaft, Jg. 6. OnlinePublikation: http://www.soz.uni-frankfurt.de/K.G/B4_2005_Schmidt_Schoenberger
_Stegbauer.pdf (Stand: 19.04.07).
Schönberger, Klaus: Weblogs: Persönliches Tagebuch, Wissensmanagement-Werkzeug
und Publikationsorgan, in: Schlobinski, Peter (Hg.): Duden Thema Deutsch 7. Von
hdl bis cul8r. Sprache und Kommunikation in den neuen Medien. Mannheim 2006,
S.233-248.
Tobler, Beatrice: Das Internet an den Graswurzeln packen … Zur Tragweite von Graswurzelbewegungen im Internet am Beispiel von Weblogs, in: Hengartner, Thomas
und Johannes Moser (Hg.): Grenzen & Differenzen. Zur Macht sozialer und kultureller Grenzziehungen. 35.Kongress der DGV, 25.-28. September 2005 in Dresden
(= Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, 17). Leipzig 2007, S.
675-683.
Winterhager-Schmid, Luise: Mädchen als Trägerinnen der Kulturpubertät? Das Tagebuch
als Ort der Selbstdeutung und der Selbstverständigung, seine Bedeutung für die
Erforschung der weiblichen Adoleszenz, in: Neue Sammlung 32 (1992), S.3-16.
Wolf, Anneke: Diaristen im Internet. Vom schriftlichen Umgang mit Teilöffentlichkeiten, in:
kommunikation@gesellschaft 3 (2002), Beitrag 6. Online-Publikation: http://www.
soz.uni-frankfurt.de/K.G/B6_2002_Wolf.PDF (Stand: 18.04.07).
Nationalidentität, Nationalgefühl, Nationalstolz
Blank, Thomas: Wer sind die Deutschen? Nationalismus, Patriotismus, Identität – Ergebnisse einer empirischen Längsschnittstudie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 47
(1997), H. 13, S. 38-46.
Bleek, Wilhelm und Christian Bala: Nation, in: Andersen, Uwe und Wichard Woyke (Hg.):
Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 5., aktual.
Aufl.
Opladen
2003.
Online
unter:
http://www.bpb.de/wissen
/09191901662830400195611470162156,0,0,Nation.html (Stand: 10.07.07).
Brönstrup, Carsten: Dritter Platz, sonst nichts. Die Fußball-WM 2006 hat die Konjunktur
nicht beflügelt – trotz der hohen Erwartungen, in: Der Tagesspiegel vom
18.04.2007.
Online
unter:
http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/archiv/18.04.2007/3208281.asp
(Stand:
25.05.07).
Chlada, Marvin und Gerd Dembowski: Und täglich drückt der Fußballschuh. Ausgewählte
Standardsituationen
.
Erstellt
am
08.01.2000,
http://www.eurozine.com/articles/2000-01-08-chlada-de.html (Stand 25.05.07).
Dann, Otto: Nation und Nationalismus in Deutschland. 1770-1990. München 1993.
Döhn, Lothar: Nationalismus, in: Drechsler, Hanno, Wolfgang Hilligen und Franz Neumann (Hg.): Gesellschaft und Staat. Lexikon der Politik. 9. überarb. u. erw. Aufl.
München 1995, S. 557-561.
Ehrlich, Peter: Umfrage: WM stärkt dauerhaft das National-Bewusstsein, in: Financial Ti101
mes Deutschland. Erstellt am 26.05.2007, http://www.financial-times.de/politik
/deutschland/:Umfrage%20WM%20Nationalbewusstsein /204791.html (Stand:
27.05.07).
Estel, Bernd: Grundaspekte der Nation, in: ders. / Tilman Mayer (Hg.): Das Prinzip Nation
in modernen Gesellschaften. Länderdiagnosen und theoretische Perspektiven. Opladen 1994, S. 13-82.
Heinrich, Arthur: Drei zu Zwei. Bern 1954 und die Selbstfindung in der Bundesrepublik, in:
Blätter für deutsche und internationale Politik 49 (2004), Heft 7, S.871-881.
Molt, Peter: Dolf Sternberger und die aktuelle Debatte. Abschied vom Verfassungspatriotismus?, in: Die Politische Meinung (2006), Nr. 435, S. 29-36. Online unter:
http://www.kas.de/db_files/dokumente/die_politische_meinung/7_dokument_dok_p
df_7897_1.pdf (Stand: 30.05.07).
Mommsen, Wolfgang J.: Probleme der nationalen Identität. Festvortrag am 8. Oktober
1981 in Regensburg anläßlich der 67. Fortbildungstagung für Ärzte. Regensburg
1981.
Neumann, Franz: Patriotismus, in: Drechsler, Hanno, Wolfgang Hilligen und Franz Neumann (Hg.): Gesellschaft und Staat. Lexikon der Politik. 9. überarb. u. erw. Aufl.
München 1995, S.621.
Scheuble, Verena und Michael Wehner: Fußball und nationale Identität, in: Der Bürger im
Staat
56
(2006),
Heft
1,
o.S.
Online
unter:
http://www.buergerimstaat.de/1_06/identitaet.htm (Stand: 24.05.07).
Schneider, Christian: Ich und mein Selbst. Über deutsche Identität und die Konjunktur
biographischer Selbstverständigung, in: Kursbuch (2002), 148, S. 41-53.
Schulze, Hagen: Was ist deutsche Identität? in: politische Studien 57 (2006), H. 407, S.
50-75.
Schwier, Jürgen: Die Welt zu Gast bei Freunden – Fußball, nationale Identität und der
Standort Deutschland, in: Schwier, Jürgen und Claus Leggewie (Hg.): Wettbewerbsspiele. Die Inszenierung von Sport und Politik in den Medien. Frankfurt/Main
2006, S. 79-104.
Thamer, Hans-Ulrich: Deutschland (vor 1945), in: Andersen, Uwe und Wichard Woyke
(Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland.
5., aktual. Aufl. Opladen 2003. Online unter: http://www.bpb.de/wissen
/07348659188035874332730185737201,0,0,Deutschland_%28vor_1945%29.html
#art0 (Stand: 10.07.07).
von Bredow, Wilfried: Nation / Nationalstaat / Nationalismus, in: Nohlen, Dieter (Hg.): Wörterbuch Staat und Politik. Bonn 1995, S. 453-456.
Methodik
Atteslander, Peter: Methoden der empirischen Sozialforschung. 8.bearb. Aufl. Berlin/New
York 1995.
Flick, Uwe, Ernst von Kardorff und Ines Steinke: Was ist qualitative Forschung? Einleitung
und Überblick, in: dies. (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Hamburg
3
2004, S. 13-29.
Klinke, Harald: Kulturbegriff heute. Clifford Geertz: Dichte Beschreibung, Beiträge zum
Verstehen kultureller Systeme. http://www.stud.uni-karlsruhe.de/~um9t/sa/docs
/GEERTZ2_ende.PDF (Stand: 21.07.07).
Wolff, Stephan: Clifford Geertz, in: Flick, Uwe, Ernst von Kardorff und Ines Steinke: Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Hamburg 32004, S. 84-96.
Qualitative Auswertung
Esser, Hartmut: Soziologie – Spezielle Grundlagen. Band 1: Situationslogik und Handeln.
Frankfurt / Main 1999.
102
Internetseiten
Einleitung
•
•
•
Gesellschaft für deutsche Sprache: Pressemitteilung vom 15. Dezember 2006:
Wörter des Jahres 2006, http://www.gfds.de/index.php?id=143 (Stand: 05.06.07).
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,490441,00.html
(Stand: 15.07.07).
WM-Gäste begeistert von unserem Land: Ihr Deutschen seid Schwarz-Rot-Geil.
Erstellt am: 13.06.2006. http://www.bild.t-online.de/BTO/news/aktuell/2006/06/13
/schwarz-rot-geil/schwarz-rot-geil.html (Stand: 29.05.07).
Tagebücher und Weblogs
• http://anthropologicdiary.blogspot.com (Stand: 26.04.07).
• http://bib.uni-bamberg.de/webOPAC/ (Stand: 26.04.07).
• http://blog.nutzbar.ch/files/Artikel_Badran_Hedwiger_2006-07-03.pdf
(Stand: 02.05.07).
• http://cms-sprachlabor.split.uni-bamberg.de/kommunikation-gesellschaft/
(Stand: 26.04.07).
• http://grindblog.de/2006/08/12/bertolt-brecht-zu-web-20/ (Stand: 18.04.07).
• http://gso.gbv.de/LNG=DU/DB=2.4/ (Stand: 27.04.07).
• http://kempowski.de/archiv.htm (Stand: 29.04.07).
• http://technikforschung.twoday.net/ (Stand: 26.04.07).
• http://technorati.com/weblog/2006/11/161.html (Stand: 07.04.07).
• http://westner.levrang.de/cms/front_content.php?idcatart=27&lang=1&client=1
(Stand: 02.05.07).
• http://www.20six.de/ (Stand: 31.07.07).
• http://www.antropologi.info/blog/ethnologie/ (Stand: 26.04.07).
• http://www.antropologi.info/blog/index-de.php (Stand: 26.04.07).
• http://www.archiviodiari.it/tedesco.html (Stand: 29.04.07).
• http://www.bamberg-gewinnt.de/wordpress/archives/556 (Stand: 22.05.07).
• http://www.blogstats.de (im Umbau!).
• http://www.empulse.de/archives/2005/08/was_ist_eigentl_1.html (Stand: 04.04.07).
• http://www.eu.socialtext.net/loicwiki/index.cgi?the_european_blogosphere
(Stand: 07.04.07).
• http://www.evifa.de (Stand: 10.05.07).
• http://www.evifa.de/cms/de/evifa_recherche/ivb_online/index.html?&L=0
(Stand: 26.04.07).
• http://www.evifa.de/cms/de/suchzugnge/details/index.html?ressid=6652
(Stand: 26.04.07).
• http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23727/1.html (Stand: 10.04.07).
• http://www.in4mation.de/wwwservices/www.introduction.html (Stand: 10.04.07).
• http://www.itwissen.info/definition/lexikon//__hyper%20link_hyperlink.html
(Stand: 18.04.07).
• http://www.itwissen.info/definition/lexikon//__podcasting_podcasting.html
(Stand: 18.04.07).
• http://www.itwissen.info/definition/lexikon//_arpanetarpanet_arpanetadvanced%20r
esearch%20projects%20agency%20networkarpanet_arpanet.html
(Stand: 18.04.07).
• http://www.itwissen.info/definition/lexikon//_imim_iminstant%20messagingim_imins
103
•
•
•
•
•
•
•
•
•
tant-messaging.html (Stand: 07.05.07).
http://www.itwissen.info/definition/lexikon//_vlogvlog_vlogvloggingvlog_vlogvloggin
g.html (Stand: 18.04.07).
http://www.kommunikation-gesellschaft.de/ (Stand: 26.04.07).
http://www.myblog.de/ (Stand: 31.07.07).
http://www.polylog.tv/fightclub/ (Stand: 07.06.07).
http://www.ristau.de/blog/2006/04/01/web-20/ (Stand: 04.04.07).
http://www.tagebucharchiv.de/ (Stand: 29.04.07).
http://www.tns-infratest.com/03_presse/Presse/20060920_TNS_Infratest_Weblog_
Lifereport.pdf (Stand: 22.05.07).
http://www.webthreads.de/2006/04/was-ist-web-20/ (Stand: 04.04.07).
http://www1.uni-bremen.de/%7Emschet/sozialewelt.html (Stand: 10.04.07).
Nationalidentität, Nationalgefühl, Nationalstolz
• Ipsos: Nachhaltigkeit der Fußball-WM – Mai 2007. http://knowledgecenter.ipsos.de
/docdetail.aspx?c=1021&sid=67F6B1C4-CC4A-4636-A948-1860CB7A00B1&did=
63162228-b3b6-456e-b2df-2f1fc5fb1d2b (Stand: 27.05.07).
• http://www.du-bist-deutschland.de (Stand: 14.05.07).
Qualitative Auswertung
• Focus Online: Reisewarnung. Auch SPD und Grüne sehen Gefahr für Ausländer.
http://www.focus.de/politik/deutschland/reisewarnung_nid_29185.html. Erstellt am
19.05.06 (Stand: 25.07.07).
• http://www.amal-sachsen.de/news.php?article=302 (Stand: 25.07.07).
• http://www.arbeitsagentur.de/nn_27030/zentraler-Content/Pressemeldungen/2007
/Presse-07-045.html (Stand: 24.07.07).
• http://www.golyr.de (Stand: 10.07.07).
104
Abbildungen und Tabellen
Anlagen
105
Abbildungen und Tabellen
Abbildung 1: Graphische Entwicklung des Weblog-Wachstums ............................. ii
Tabellen 1 – 9: Themenhäufigkeit und Schlagworte nach Weblogs ....................... iii
Tabelle 10: Absolute Häufigkeit der Schlagworte insgesamt ................................. ix
Abbildung 2: Häufigkeiten der Schlagworte ........................................................... ix
Tabelle 11: Themenhäufigkeiten ............................................................................. x
Abbildung 3: Themenhäufigkeiten ........................................................................... x
Liedtext: Sportfreunde Stiller - 54,74,90,2006 ........................................................ xi
Liedtext: Sportfreunde Stiller - 54,74,90,2010 ....................................................... xii
Liedtext: Oliver Pocher - Schwarz und Weiß ........................................................ xiii
Erklärung
i
Abbildung 1: Graphische Entwicklung des Weblog-Wachstums
Quelle: http://technorati.com/weblog/2006/11/161.html (Stand: 16.07.07).
ii
Tabellen 1 – 9: Themenhäufigkeit und Schlagworte nach Weblogs
Tab.1: Anima (http://anima.twoday.net)
Kommentare
Datum
Titel
Themen
10.06.06
„Fußball rollt“
Symbolik, Soziales
2
20.06.06
„Deutschland, Deutschland“
Patriotismusdebatte, regionale
Unterschiede
2
23.06.06
„Steh auf, wenn du für Ghana
bist“
Soziales, (Symbolik)
1
28.06.06
„Deutschland, Deutschland II“
Patriotismusdebatte, Bezug zu
Wuschels Eintrag
4
30.06.06
„Jungs, ihr packt das!“
Unterstützung
1
Identifikation
3
Emotionen, Unterstützung,
Fanfeindschaft, Symbolik
1
01.07.06
06.07.06
09.07.06
„Muss das ne Party gewesen
sein, gestern…“
„zweimal laut gelacht… und
trotzdem nicht fröhlich“
„Achter und letzter
Fußballbeitrag“
1a: Häufigkeiten bestimmter Schlagworte
Fahne
5
schwarz-rot-gold bzw. –geil
2
nation-
0
stolz
2
Hymne
0
iii
Emotionen, Patriotismus
Tab.2: Bee (http://www.bee-to-bee.blogspot.com)
Kommentare
Datum
Titel
Themen
10.06.06
„Fußball fördert
Fölkerferbindung“
13.06.06
„Hopp Schwyz!“
Symbolik, Soziales,
Identifikation
Symbolik, Unterstützung
(Schweiz!)
14.06.06
„Olé olé olé!“
Symbolik
1
15.06.06
„Das Wandern ist des Julis
Lust“
Emotionen, Regionales
8
18.06.06
„Dreamteam Netzer & Delling“
Soziales
2
18.06.06
„Umfrage“
Soziales, Blogosphäre
5
20.06.06
„WM: Deutschland – Ecuador“
Symbolik, Soziales, Emotionen
1
23.06.06
„Mein Tip fürs Finale:
Deutschland – Schweiz, und
warum es genau so kommen
wird“
Symbolik, Nationalgefühl
3
26.06.06
„Murks“
Sonstiges, Symbolik (Schweiz)
27.06.06
„Murks geht in die
Verlängerung und ins
Elfmeterschießen“
Symbolik, Emotionen
(„Devotionalien“, sakral)
01.07.06
„Germania“
Symbolik, Soziales
02.07.06
03.07.06
04.07.06
„Nach Argentinien nun
Brasilien“
„Warum die Italiener morgen
leider verlieren müssen“
„Endlich wieder in Ruhe
Diplomarbeit schreiben“
3
2
Emotionen
Soziales, Blogosphäre,
Patriotismus
Soziales, Emotionen
6
„Finaaaale, ohooo…“
Emotionen, Soziales, Symbolik
7
09.07.06
„Der Tag danach“
Emotionen, Begeisterung,
Symbolik
09.07.06
„Wortspielhölle“
Sonstiges
3
09.07.06
„WM-Resumée“
Sonstiges
7
08.07.06
2a: Häufigkeiten bestimmter Schlagworte
Fahne
0
schwarz-rot-gold
0
nation-
3
stolz
0
Hymne
1
Aber: „Fußballnation Österreich“ sowie „Bamberger Nation“ erwähnt!
iv
Tab.3: Coyote (http://www.coyote-knows-best.blogspot.com)
Kommentare
Datum
Titel
Themen
16.06.06
„Geklaut, aber einfach gut“
Sonstiges
20.06.06
„intelligent design“
Symbolik, Gender, Identifikation
30.06.06
„Deutschland 5 – 3
Argentinien“
Emotionen
01.07.06
„England draußen!“
Symbolik
02.07.06
„Und Brasilien auch!“
Sonstiges
4
05.07.06
„Schiedsrichterleistung“
Emotionen (Schiebung)
6
07.07.06
„’54 ’74 ’90 2010“
Symbolik
1
09.07.06
„Knutschfleck“
Nationalgefühl
3
2
3a: Häufigkeiten bestimmter Schlagworte
Fahne
0
schwarz-rot-gold
1
nation-
0
stolz
0
Hymne
0
Tab.4: Jan (http://www.bamblog.de)
Datum
Titel
Themen
Kommentare
06.06.06
„Pimp my bike“
Symbolik
6
09.06.06
„Jetzt geht’s los!“
Symbolik, Soziales
(Fanfeindschaft in Kommentar)
7
10.06.06
„WM-Kalauer“
Sonstiges
2
„Argentinien vs.
Elfenbeinküste“
„Erster WM-Autokorso in
Bamberg“
„Premiere: Katzencontent (und
WM)“
Soziales, Nationen (andere),
Sonstiges
4
Emotionen, Regionales
7
Soziales
2
„WM in Berlin“
Soziales
2
11.06.06
15.06.06
23.06.06
26.06.06
v
4a: Häufigkeiten bestimmter Schlagworte
Fahne
0
schwarz-rot-gold
0
nation-
0
stolz
0
Hymne
0
Tab.5: Jürgen (http://www.maljaysia.de)
Datum
13.06.06
16.06.06
17.06.06
Titel
Themen
„How to follow the Worldcup
without a TV“
„Germany vs. Poland – Some
impressions“
„Soccer Worldcup Opening
Party“
Kommentare
Soziales
Soziales, Symbolik, Nation
(Kommentar!)
5
Soziales, Symbolik
19.06.06
„Fans lost their trousers“
Sonstiges (Symbolik), Soziales
25.06.06
Germany vs. Sweden –
Celebration
Emotionen, Symbolik (nur
Fotos)
26.06.06
„Bye, bye, Oranjes :(“
Symbolik, Emotionen
4
28.06.06
„Berlin, Berlin, ich fahre nach
Berlin“
Community, Blogosphäre
3
01.07.06
„Bye, bye Argentina“
Sonstiges (Spiegel-Artikel)
04.07.06
„Hitting the road to Berlin“
Community, Blogosphäre
10
05.07.06
„Un‘ Estate Italiana“
Symbolik, Internationales
4
5a: Häufigkeiten bestimmter Schlagworte (ins Englische übersetzt)
Fahne (flag / banner)
schwarz-rot-gold (black-redgold)
nation-
0
stolz (proud)
0
Hymne (hymn / anthem)
0
0
1
vi
0
Tab.6: Martin (http://www.inderzwischenzeit.de)
Kommentare
Datum
Titel
Themen
09.06.06
„Jetzt geht’s los! Jetzt geht’s
los!“
Symbolik, Emotionen, Sonstiges
12.06.06
„Und es geht weiter…“
Identifikation
14.06.06
„Und was es sonst so gibt“
Soziales
3
15.06.06
„Deutschland – Polen 1:0“
Soziales, Emotionen
6
25.06.06
„Viertelfinale“
Identifikation, Emotionen
26.06.06
„Schicksal: Deutschland
MUSS Weltmeister werden!“
Symbolik
03.07.06
„Ganz schön geschlaucht“
Soziales, Emotionen, Symbolik
05.07.06
„Schade, aber dennoch“
09.07.06
„Tor! Tor! Tor!“
Emotionen, Nationalgefühl,
Symbolik
Identifikation, Nationalgefühl,
Patriotismusdebatte
1
6a: Häufigkeiten bestimmter Schlagworte
Fahne
1
schwarz-rot-gold
0
nation-
3
stolz
1
Hymne
0
Tab.7: Matthias (http://www.derganznormalewahnsinn.twoday.net)
Datum
Titel
Themen
Kommentar
23.05.06
„WM im ÜBERfluss“
Symbolik
4
16.06.06
„WM aktuell“
Symbolik, Emotionen, Soziales
1
7a: Häufigkeiten bestimmter Schlagworte
Fahne
1
schwarz-rot-gold
1
nation-
0
stolz
0
Hymne
0
vii
Tab.8: Vroni(ka) (http://www.vronikaskleinewelt.blogspot.com)
Datum
Titel
Themen
Kommentare
11.06.06
„Stressig, aber
erlebnisreich…“
Sonstiges
2
30.06.06
„Unglaublich, aber wahr“
Begeisterung
2
8a: Häufigkeiten bestimmter Schlagworte
Fahne
0
schwarz-rot-gold
0
nation-
0
stolz
0
Hymne
0
Tab 9: Wuschel (http://www.wuschelswelt.blogspot.com)
Kommentare
Datum
Titel
Themen
20.06.06
„Hurra Patriotismus(polizei)“
Nationalgefühl
20.06.06
„Autokorso“
Soziales
6
24.06.06
„Olé, olé, Super Deutschland,
Olé!“
Patriotismus, Nationalismus
17
04.07.06
„Melt the walls“
Nationales
1
10.07.06
„200!“
Soziales, Emotionen,
Nationalgefühl
4
10.07.06
„Fußballknowledgerocker“
Sonstiges
9a: Häufigkeiten bestimmter Schlagworte
Fahne
2
schwarz-rot-gold
1
nation-
2
stolz
2
Hymne
0
viii
Tabelle 10: Absolute Häufigkeit der Schlagworte insgesamt
Fahne
9
nation-
9
schwarz-rot-gold
5
stolz
5
Hymne
1
Zu „nation-“: 2 Erwähnungen bezogen sich auf die „Fußballnation Österreich“ bzw. die „Bamberger Nation“ (bei Sabine)
Abbildung 2: Häufigkeiten der Schlagworte
Hymne
stolz
Fahne
schwarz-rot-gold
nation-
ix
Tabelle 11: Themenhäufigkeiten
Thema
absolute Häufigkeit
Symbolik
29
Soziales
24
Emotionen
22
Nationales (deutsch)
13
Nationales (andere Länder)
4
Identifikation
8
Spezielle Themen
5
Blogosphäre / Community
5
Abbildung 3: Themenhäufigkeiten
Blogosphäre
Spezielle Themen
Identifikation
Symbolik
Nationales (andere
Länder)
Nationales
Soziales
Emotionen
x
Beim ersten mal war es ein Wunder,
Liedtext: Sportfreunde Stiller -
Beim zweiten mal war es Glück,
54,74,90,2006
Beim dritten mal der verdiente Lohn
Und diesmal wird’s ne Sensation!
1 und 2 und 3 und 54, 74, 90, 2006
ja so stimmen wir alle ein.
1 und 2 und 3 und 54, 74, 90, 2006
Mit dem Herz in der Hand und der
ja so stimmen wir alle ein.
Leidenschaft im Bein
Mit dem Herz in der Hand und der
werden wir Weltmeister sein
Leidenschaft im Bein
werden wir Weltmeister sein.
Wir haben nicht die höchste Spielkultur.
Sind nicht gerade filigran.
54, 74, 90, 2006
Doch wir haben Träume und Visionen
ja so stimmen wir alle ein.
und in der Hinterhand 'nen Master Plan.
Mit dem Herzen in der Hand und der
Für unseren langen Weg aus der Krise
Leidenschaft im Bein
und aus der Depression,
werden wir Weltmeister sein.
lautet die Devise: Nichts wie rauf auf den
Fußballthron!
(Quelle: http://www.golyr.de; Stand: 10.07.07)
1 und 2 und 3 und 54, 74, 90, 2006
ja so stimmen wir alle ein.
Mit dem Herz in der Hand und der
Leidenschaft im Bein
werden wir Weltmeister sein.
Die ganze Welt greift nach dem goldenen
Pokal,
doch nur einer hält ihn fest,
so ist das nun einmal.
Die ganze Welt spielt sich um den
Verstand,
doch der Cup bleibt in unserem Land.
1 und 2 und 3 und 54, 74, 90, 2006
ja so stimmen wir alle ein.
Mit dem Herz in der Hand und der
Leidenschaft im Bein
werden wir Weltmeister sein.
xi
Beim 1.Mal war's 'n Wunder
Liedtext: Sportfreunde Stiller -
beim 2.Mal war es Glück
54,74,90,2010
beim 3.Mal der verdiente Lohn
und´s nächste Mal wird's 'ne Sensation
Eins und zwei und drei und
54, 74, 90, 2010
ja so stimmen wir alle ein,
Eins und zwei und drei und
mit dem Herz in der Hand
54, 74, 90, 2010,
und der Leidenschaft im Bein
ja so stimmen wir alle ein,
werden wir Weltmeister sein!
mit dem Herz in der Hand
und der Leidenschaft im Bein
werden wir Weltmeister sein!
Wir haben nicht die höchste Spielkultur,
sind nicht gerade filigran,
doch wir haben Träume und Visionen
54, 74, 90, 2010,
und in der Hinterhand 'nen Masterplan
ja so stimmen wir alle ein,
mit dem Herz in der Hand
Für uns´ren langen Weg aus der Krise
und der Leidenschaft im Bein
und aus der Depression
werden wir Weltmeister sein!
lautet die Devise:
(Quelle: http://www.golyr.de; Stand: 10.07.07)
nichts wie rauf auf den Fußballthron
Eins und zwei und drei und
54, 74, 90, 2010,
ja so stimmen wir alle ein,
mit dem Herz in der Hand
und der Leidenschaft im Bein
werden wir Weltmeister sein!
Die ganze Welt greift nach dem goldenen
Pokal
am Cup der guten Hoffnung
probieren wirs nochmal
Wir als Gast in Südafrika
wird unser Traum dann endlich wahr
Eins und zwei und drei und
54, 74, 90, 2010,
ja so stimmen wir alle ein,
mit dem Herz in der Hand
und der Leidenschaft im Bein
werden wir Weltmeister sein!
xii
Liedtext: Oliver Pocher - Schwarz
(Wir tragen)
und Weiß
Schwarz und Weiss
Deutschland,Deutschland,
Wir stehn auf eurer Seite
Deutschland,Deutschland,
Und wir hol'n den Sieg mit Euch
Deutschland,Deutschland,
Und wir hol'n den Sieg mit Euch
Deutschland,Deutschland
Jetzt geht’s los!
am Ball, er hat den Ball,
Schwarz und Weiss
verloren Dietmar,
Wir stehn auf eurer Seite
gegen Schäfer,Schäfer nach innen geflankt
Und wir hol'n den Sieg mit Euch
...Kopfball...abgewehrt...
aus dem Hintergrund müsste Rahn
Und wir hol'n den Sieg mit Euch
schießen...
Jetzt geht’s los!
Rahn schießt...
(Matthäus Traumpass Völler )
ToooorTooorToorToor
Und was gibt er?? Er gibt Elfmeter!! Er gibt
Elfmeter!!
Flanke, Kopfball, Tor
Brehme gegen den Elfmetertöter
So stelln wir uns unsere Mannschaft vor
Goycochea
Favoriten, das sind wir
Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!
Schwarz, Rot, Gold, wir stehn zu dir
*Tor für Deutschland 1 zu 0
Auf den Rängen schallt es im Chor:
Jawoll, aus, das Spiel ist aus!
"Deutschland vor!"
Deutschland ist Fußballweltmeister!
(Wir tragen)
(Wir tragen)
Schwarz und Weiss
Schwarz und Weiss
Wir stehn auf eurer Seite
Wir stehn auf eurer Seite
Und wir hol'n den Sieg mit Euch
Und wir hol'n den Sieg mit Euch
Und wir hol'n den Sieg mit Euch
Und wir hol'n den Sieg mit Euch
Jetzt geht’s los!
Jetzt geht’s los!
Schwarz und Weiss
Schwarz und Weiss
Wir stehn auf eurer Seite
Wir stehn auf eurer Seite
Und wir holn den Sieg mit Euch
Und wir hol'n den Sieg mit Euch
Und wir holn den Sieg mit Euch
Und wir hol'n den Sieg mit Euch
Jetzt geht’s los!
Haut ihn rein!
Als Turniermannschaft bekannt
lala
Holten wir den Pokal schon oft ins Land
lalalala
Und wir Fans als zwölfter Mann
lalalala
Zeigen, was man vereint erreichen kann!
lalala (Tor...Tor...Tor...)
Wir stehen auf und singen unser Lied
(Quelle: http://www.golyr.de; Stand: 10.07.07)
Das unsere Mannschaft wieder siegt!
xiii