Alle Osho Diskurse sind als Originale publiziert worden und als
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Alle Osho Diskurse sind als Originale publiziert worden und als
Alle Osho Diskurse sind als Originale publiziert worden und als OriginalAudios erhältlich. Audios und das vollständige Text-Archiv finden sie unter der Online-Bibliothek „Osho Library“ bei www.osho.com ® MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen www.fsc.org FSC® C083411 Titel der Originalausgabe: In Love with Life – Reflections on Friedrich Nietzsche’s Thus Spake Zarathustra Selected Chapters from Zarathustra: A God That Can Dance, # 1, 2, 7, 9, 21 and Zarathustra: The Laughing Prophet, # 3, 5, 8, 14, 23 Neuauflage 2014 Umschlaggestaltung: Silke Bunda Watermeier, www.watermeier.net Übersetzung: Prem Nirvano Copyright© 1987, 2013 Osho International Foundation, Zürich, Schweiz www.osho.com/copyrights Copyright© 2014, Innenwelt Verlag GmbH, Köln Alle Rechte vorbehalten OSHO ist eine registrierte Handelsmarke der Osho International Foundation, www.osho.com/trademark Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags, www.innenwelt-verlag.de Druck: CPI books, Leck Printed in Germany ISBN 978-3-942502-29-0 INHALT Vorwort 7 1. Zarathustras Vorrede – Erstes Stück 11 2. Zarathustras Vorrede – Zweites Stück 35 3. Von den drei Verwandlungen 59 4. Vom Leben und von der Liebe | 85 Vom Krieg und Kriegsvolke 5. Von den Mitleidigen 117 6. Von den Gelehrten 139 7. Von der Erlösung 167 8. Der Wanderer 191 9. Von den drei Bösen 215 10. Vom Lachen und Tanzen 237 5 VORWORT ES IST DAS SCHICKSAL DES GENIES, MISSVERSTANDEN ZU werden. Wenn ein Genie nicht missverstanden wird, dann ist es auch kein Genie. Wenn die gemeine Masse es verstehen kann, heißt dies, dass der Betreffende die Durchschnittsintelligenz anspricht. Friedrich Nietzsche wird missverstanden, und dieses Missverständnis hat katastrophale Auswirkungen gehabt. Aber das ließ sich vielleicht nicht vermeiden. Um einen Mann wie Nietzsche zu verstehen, muss man zumindest dieselbe Bewusstseinsebene haben, wenn nicht eine höhere. Adolf Hitler ist so zurückgeblieben – einfach undenkbar, dass er verstehen kann, was Nietzsche gemeint hat! Doch ausgerechnet er machte sich zum Propheten von Nietzsches Philosophie. Und so zurückgeblieben, wie er war, interpretierte er ihn auch… interpretierte nicht nur, sondern setzte seine Interpretationen auch in die Tat um – und der Zweite Weltkrieg war das Ergebnis. Wenn Nietzsche vom „Willen zur Macht“ spricht, meint er damit nicht den Willen, andere zu unterwerfen, aber genau das haben die Nazis ihm unterstellt. Nietzsches „Wille zur Macht“ ist der diametrale Gegensatz eines Unterwerfungswillens. Unterwerfungswille beruht auf einem Minderwertigkeitskom7 plex: Wer andere untwerfen möchte, will sich nur selber beweisen, dass er nicht unter- sondern überlegen ist. Aber das muss er sich deshalb beweisen, weil er sich sonst minderwertig. fühlt. Und das muss er durch viele Beweise vertuschen, immer und immer wieder. Der wirklich überlegene Mensch braucht keinen Beweis, sondern ist einfach nur überlegen. Muss eine Rose etwa ihre Schönheit beweisen? Muss der Vollmond etwa seine Herrlichkeit beweisen? Wer überlegen ist, weiß es einfach und braucht es nicht erst zu beweisen. Folglich will er auch niemanden unterwerfen. Er hat zweifellos einen „Willen zur Macht“! Hier aber gilt es einen sehr feinen Unterschied zu machen … Sein Wille zur Macht heißt, dass er sich restlos zum Ausdruck bringen möchte. Er vergleicht sich gar nicht erst mit anderen, ihm geht es einzig und allein um seine Individualität. Er möchte aufblühen, möchte all die verborgenen Blumen hervorbringen, die in ihm angelegt sind, möchte so hoch wie möglich in den Himmel wachsen. Weder vergleicht er sich noch will er sich über andere erheben – sein einziger Wunsch ist sein Potenzial voll zu entfalten. Sein „Wille zur Macht“ ist absolut individuell. Er möchte zum Zenith des Himmels tanzen, er möchte Zwiesprache halten mit den Sternen, ist aber nicht daran interessiert, andere als unterlegen hinzustellen. Er will weder mit anderen konkurrieren noch sich vergleichen Adolf Hitler und seine Anhänger, die Nazis, haben einen unvorstellbaren Schaden angerichtet, indem sie die Welt davon abhielten, Friedrich Nietzsche und seine wahre Botschaft zu verstehen. Und zwar nicht nur in diesem einen Punkt, sondern was seine Philosophie insgesamt betrifft – sie haben ihn durch und durch verfälscht. Was für ein trauriges Schicksal! Dergleichen ist vor Nietzsche 8 keinem großen Mystiker und keinem großen Dichter widerfahren. Dass man Jesus gekreuzigt oder Sokrates vergiftet hat, ist nicht so schlimm wie das Schicksal, das Friedrich Nietzsche ereilt hat – so gründlich verfälscht zu werden, dass Adolf Hitler es schaffen konnte, mehr als acht Millionen Menschen im Namen Friedrich Nietzsches und seiner Philosophie zu ermorden. Es wird eine Weile dauern … Erst wenn Adolf Hitler und die Nazis und der Zweite Weltkrieg vergessen sind, wird Nietzsche in seinem wahren Licht zurückkehren. Angefangen hat seine Wiederentdeckung bereits … Doch Friedrich Nietzsche muss erneut interpretiert werden, damit wir all den Unfug, mit dem die Nazis seine großartige Philosophie entstellt haben, endlich auf den Müll werfen können. Die Leute verstehen immer nur gemäß ihrem eigenen Horizont. Dass Nietzsche den Nazis in die Hände fiel, war reiner Zufall. Sie brauchten ein Ideal, für das sie kämpfen konnten, und da kam ihnen Nietzsches „Übermensch“ wie gelegen: Die nordische Rasse der germanischen Arier wurde ausersehen, Nietzsches neue Herrenrasse zu sein und seinen Übermenschen zu gebären. Sie wollten die ganze Welt beherrschen, und da war Nietzsche sehr hilfreich, da ihm zufolge der „Wille zur Macht“ die tiefste Sehnsucht des Menschen ist. Daraus machten sie einen „Unterwerfungswillen“. Jetzt hatten sie ihre ganze Weltanschauung: Die nordisch germanischen Arier sind die überlegene Rasse, denn sie wird den Übermenschen hervorbringen. Sie haben den Willen zur Macht und werden die ganze Welt beherrschen. Das ist ihre Bestimmung – über die minderwertigen Menschen zu herrschen. Ein simples, eingängiges Einmaleins: der Überlegene muss den Unterlegenen beherrschen. Schöne Ideale … 9 Nietzsche hätte sich im Traum nicht vorgestellt, dass sie dereinst so gefährlich werden und sich als ein solcher Menschheitsalptraum entpuppen würden. Aber niemand kann verhindern, missverstanden zu werden – dagegen ist kein Kraut gewachsen. Sobald etwas ausgesprochen ist, hängt alles davon ab, was andere daraus machen. Aber Nietzsche ist so ungeheuer wichtig, dass er von all der Jauche gereinigt werden muss, den die Nazis über seine Vorstellungen geschüttet haben … Wenn Nietzsche nichts anderes geschrieben hätte als Also Sprach Zarathustra, hätte er damit der Menschheit einen unschätzbaren, unersetzlichen Dienst erwiesen… mehr ist von keinem Menschen zu erwarten. Schließlich war der historische Zarathustra praktisch vergessen. Erst Nietzsche hat ihn zurückgeholt und ihm zur Wiedergeburt, zu seiner Wiederauferstehung verholfen. Also Sprach Zarathustra wird die Bibel der Zukunft sein. 10 1. Kapitel ZARATHUSTRAS VORREDE Erstes Stück 11 Als Zarathustra dreißig Jahre alt war, verließ er seine Heimat und den See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoß er seines 1 Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahre nicht müde. Endlich verwandelte sich sein Herz —, und eines Morgens stand er mit der Morgenröte auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr also: „Du großes Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht die hättest, welchen du leuchtest! Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Höhle: du würdest deines Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler und meine Schlange. FRIEDRICH NIETZSCHE IST VIELLEICHT DER GRÖSSTE PHILOSOPH, Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen dir deinen den die Welt je gesehen hat. Er ist auch in einer anderen Dimension noch groß – von der viele Philosophen keinerlei Ahnung haben: Er ist ein geborener Mystiker. Seine Philosophie kommt nicht nur aus dem Kopf, sondern ist tief im Herzen verwurzelt, und ein paar Wurzeln reichen sogar bis tief hinunter in den Kern seines Seins. Sein Pech ist nur, dass er im Westen geboren wurde. Darum ist er auch nie einer Mysterienschule begegnet. Seine Kontemplation ging tief, aber er hatte absolut keine Ahnung von Meditation. Seine Gedanken haben manchmal die Tiefe eines Meditierers, manchmal den Höhenflug eines Gautam Buddha; aber diese Dinge scheinen ihm spontan zuzufallen. Er weiß nichts von den Wegen der Erleuchtung, von dem Pfad, der zum eigenen Sein hinführt. Von daher rührt die furchtbare Zerrissenheit seines Daseins. Seine Träume greifen nach den Sternen, aber sein Leben bleibt sehr platt. Ihm fehlt die Aura, die aus der Meditation kommt. Seine Gedanken sind für ihn nicht wie Blut, Mark und Knochen. Sie sind ungemein schön, aber irgendetwas fehlt, und zwar das Leben selbst. Seine Worte sind tot – sie atmen nicht. Da schlägt kein Herz. Überfluss und segneten dich dafür. Siehe! Ich bin meiner Weisheit überdrüssig wie die Biene, die des Honigs zuviel gesammelt hat, bedarf ich der Hände, die sich ausstrecken. Ich möchte verschenken und austeilen, bis die Weisen unter den Menschen wieder einmal ihrer Torheit und die Armen wieder einmal ihres Reichtums froh geworden sind. Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends tust, wenn du hinter das Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du überreiches Gestirn! Ich muss, gleich dir, untergehen, wie die Menschen es nennen, zu denen ich hinab will. So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein allzugroßes Glück sehen kann! Segne den Becher, welcher überfließen will, dass das Wasser golden aus ihm fließe und überallhin den Abglanz deiner Wonne trage! Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will wieder Mensch werden.“ … Also begann Zarathustras Untergang. 12 13 Aber ich spreche aus einem ganz bestimmten Grund über ihn, und zwar weil er der einzige Philosoph in West oder Ost ist, der die höchsten Höhen des menschlichen Bewusstseins zumindest gedacht hat. Er mag sie nicht erfahren haben … Er hat sie ganz gewiss nicht erfahren. Und er hat auch nicht versäumt, wieder Mensch zu werden. Auf diese Idee, wieder von den Höhen niederzusteigen zum Marktplatz, von den Sternen niederzusteigen zur Erde, ist außer ihm noch kein Mensch gekommen. Er hat etwas von Gautam Buddha – vielleicht unbewusst mitgebracht aus früheren Leben –, und er hat etwas von Alexis Sorbas. Beiden fehlt etwas; aber er ist der einzige Beweis, dass sich Buddha und Sorbas begegnen können, dass alle, die die höchsten Gipfel erklommen haben, nicht dort zu bleiben brauchen. Sie dürfen auch gar nicht dort bleiben. Sie schulden der Menschheit etwas. Sie schulden der Erde etwas. Sie wurden unter Menschen geboren; sie haben in der gleichen Dunkelheit und im gleichen Unglück gelebt. Und jetzt, wo sie das Licht gesehen haben, ist es ihre Pflicht, auch alle die zu wecken, die fest schlafen, ihnen die gute Nachricht zu bringen, dass die Dunkelheit nicht alles ist, dass unsere Unbewusstheit selbstgewählt ist. Sobald wir beschließen, bewusst zu werden, kann alle Unbewusstheit und alle Dunkelheit verschwinden. Aus eigener Wahl leben wir in den dunklen Tälern. Sobald wir beschließen, auf den sonnenbeglänzten Gipfeln zu leben, kann uns das niemand verwehren, denn auch das ist in uns angelegt. Aber die Menschen, die die sonnenbeglänzten Gipfel erklommen haben, vergessen völlig die Welt, aus der sie kommen. Gautam Buddha ist nie hinabgestiegen, Mahavira ist nie hinabgestiegen. Sie haben sich bemüht die Menschheit wachzurütteln, aber sie riefen nur von ihren sonnenbeglänzten Gipfeln herab. 14 Der Mensch ist so taub, so blind, dass er Leute, die von höheren Bewusstseinsebenen herab reden, praktisch unmöglich verstehen kann. Er hört zwar das Rufen, aber der Sinn dringt nicht bis zu ihm durch. Nietzsche ist in dieser Hinsicht einmalig. Er hätte ein außergewöhnlicher, sehr übermenschlicher Philosoph bleiben können. Aber er lässt keinen Augenblick den gewöhnlichen Menschen aus den Augen. Das ist seine Größe. Obwohl er nie die höchsten Gipfel erreicht hat und er nie die größten Mysterien erfahren hat, treibt ihn dennoch das Verlangen, seine Erfahrungen mit seinen Mitmenschen zu teilen. Sein Wunsch, mit andern zu teilen, ist ungeheuer. Ich habe beschlossen, über ein paar Passagen zu sprechen, die euch vielleicht bei eurem spirituellen Wachstum helfen können. Nietzsche selbst hatte sich Zarathustra zu seinem Sprachrohr gewählt; und so müssen zunächst ein paar Dinge klargestellt werden, die Zarathustra betreffen. Nietzsche hat sich in Zarathustra – unter Tausenden von großen Mystikern, Philosophen, Erleuchteten – einen sehr unbekannten, von der Welt fast vergessenen ausgesucht. Die Anhänger Zarathustras leben heute auf einen sehr engen Raum beschränkt in Bombay. Sie waren aus Persien nach Bombay gekommen, als die Moslems die Perser zwangen, sich entweder zum Islam zu bekehren oder sich töten zu lassen. Tausende wurden getötet; Millionen wurden aus Angst Moslems, aber ein paar wagemutige Seelen konnten aus Persien fliehen und landeten in Indien. Das sind die Parsen von Bombay, vielleicht die kleinste Religion der Welt. Und man fragt sich staunend, wieso Nietzsche sich dermaßen für Zarathustra interessierte, dass er das Buch „Also Sprach Zarathustra“ schrieb. Die erwähnten Passagen stammen aus diesem Buch. Er entschied sich aus dem gleichen Grund für Zarathustra, wie 15 ich mich für ihn entschied: Zarathustra ist unter allen Religionsgründern der einzige lebensbejahende, nicht lebensfeindliche, der eine Religion der Lebensfreude, der Dankbarkeit gegenüber der Existenz lehrt. Er ist nicht gegen die Genüsse des Lebens, und er hält nichts davon, der Welt zu entsagen. Im Gegenteil, er verlangt geradezu, sich an der Welt zu erfreuen, da außer diesem Leben und dieser Welt alles nur hypothetische Ideologie ist – Gott, Himmel und Hölle. Das alles sind Projektionen des menschlichen Hirns, keine authentischen Erfahrungen. Es sind keine Realitäten. Zarathustra wurde zur gleichen Zeit geboren, als auf der ganzen Welt eine große Renaissance stattfand. In Indien standen Gautam Buddha, Mahavira, Goshalok, Sanjay Bilethiputta, Ajit Keshkambal und andere auf dem gleichen Gipfel der Erwachtheit. Das ist fünfundzwanzig Jahrhunderte her. In China waren es Konfuzius, Menzius, Laotse, Tschuangtse, Liehtse und viele andere. In Griechenland Sokrates, Pythagoras, Plotinus, Heraklit – und im Iran Zarathustra. Welch seltsamer Zufall, dass plötzlich eine Bewusstseinsflut über die Welt hereinbrach und viele Menschen erweckte. Oder existiert auch eine Kettenreaktion der Erleuchtung? Wann immer erleuchtete Menschen auftreten, provozieren sie auch in anderen die gleiche Revolution. Die Anlage dazu hat jeder. Man braucht nur einen gewissen Anstoß, eine Herausforderung; und wenn man sieht, wie so viele Menschen zu so schönen Höhen der Anmut aufsteigen, kann man nicht bleiben, wo man ist. Plötzlich regt sich auch in dir ein ungeheurer Drang: „Irgendetwas muss passieren. Während ich mein Leben verplempere, haben andere ihre eigentliche Bestimmung erfüllt und alles Erkennenswerte erkannt, die höchste Glückseligkeit und Ekstase erfahren … Und was mache ich? Sammle Muscheln am Strand!“ 16 Aus all diesen Menschen ragt Zarathustra unverwechselbar heraus. Er ist als einziger nicht lebensfeindlich, für das Leben. Sein Gott steckt nicht sonstwo, sein Gott ist nichts weiter als ein anderer Name für das Leben selbst. Nur darauf beruht alle Religion: total zu leben und voller Freuden zu leben, so intensiv wie möglich zu leben. Mich verbindet eine tiefe Wahlverwandtschaft mit Zarathustra. Aber vielleicht fand er ja nur deshalb nicht viele Anhänger, weil er lebensbejahend und nicht lebensverneinend war. Dies gehört zu den seltsamen Zügen des Menschen – dass er alles, was leichtfällt, nicht genug schätzt, um es sich zum Ziel zu setzen. Sein Ziel muss schwer und hart sein! Dahinter steckt unser Egoismus, das Ego will immer das Unmögliche. Denn nur mit dem Unmöglichen kann es überhaupt existieren. Du wirst nie dein Verlangen erfüllen können, aber das Ego wird dich immer mehr in diese Richtung treiben – mehr Gier, mehr Macht, mehr Geld, mehr Härte, mehr Spiritualität, mehr Disziplin. Bedenkt, wo immer ihr dem „mehr“ begegnet, hört ihr die Sprache des Ego. Und man kann das Ego unmöglich zufriedenstellen: Es fordert immerzu mehr. Der ganze Ansatz Zarathustras gleicht dem Tschuangtses: „Leicht ist richtig. Richtig ist leicht.“ Erst wenn du vollkommen entspannt bist, dich wohl und zu Hause fühlst – so entspannt, dass du sogar vergessen hast, wie wohl du dich fühlst, dass du vergessen hast, wie richtig du liegst, und du so unschuldig geworden bist wie ein Kind – bist du angekommen. Aber das interessiert das Ego nicht. Dieser ganze Prozess ist eine Art Selbstmord des Ego. Und so ist es zu erklären, dass ausgerechnet diejenigen Religionen, die dem Ego schwierige Aufgaben, unbezwingbare Wege, unnatürliche Ideale empfohlen haben, Millionen von Menschen an sich gezogen haben. Zarathustras Anhänger kann man an den Fingern abzählen. 17 Und so hat natürlich kein Hahn nach Zarathustra gekräht. Erst nahezu vierundzwanzig Jahrhunderte später fand plötzlich Nietzsche etwas an Zarathustra. Er war gegen Jesus Christus und er war gegen Gautam Buddha; aber er war für Zarathustra. Das zu verstehen ist ausgesprochen wichtig. Wieso war derselbe Mann, der gegen Jesus Christus war, der gegen Gautam Buddha war – für Zarathustra? Weil Nietzsche dieselbe Einstellung, denselben Lebensansatz hat. Er hat gesehen, dass all diese Religionen, diese großen Religionen, immer nur noch mehr Schuldgefühle erzeugen, die Menschheit immer nur noch mehr ins Unglück stürzen, Kriege anzetteln und andere bei lebendigem Leibe verbrennen, dass sie allen möglichen Unsinn reden, für den sie keinerlei Beweise oder Anhaltspunkte haben; dass sie die ganze Menschheit in Dunkelheit und Blindheit leben lassen. Denn ihre Lehren verlangen Glauben. Und Glaube ist Blindheit. Jeder Glaube ist blind. Denn ein Mensch mit Augen glaubt nicht, dass es Licht gibt, er weiß es. Er braucht es nicht zu glauben. Nur der Blinde glaubt an das Licht, das er nicht kennt. Glaube setzt Unwissenheit voraus. Und weil alle Religionen, außer ein paar Ausnahmen wie Zarathustra und Tschuangtse, die weder große Anhängerschaften finden noch große Traditionen stiften konnten – allesamt Glauben verlangen, mit anderen Worten Blindheit verlangen. Nietzsche hasste sie. Sein Symbol für den Osten war Gautam Buddha, sein Symbol für den Westen war Jesus Christus. Gegen diese Leute war er – aus dem einfachen Grund, weil sie lebensfeindlich waren, und weil sie gegen alle Menschen waren, die sich mit einfachen Dingen begnügten, Menschen, die spielerisch leben, die lachen, Menschen, die Sinn für Humor haben, statt tierischen Ernst, Menschen, die gern singen und 18 musizieren, und Menschen, die gern tanzen und lieben. Nietzsche fühlte sich von Zarathustra angezogen, weil er als einziger erkannte, dass in der gesamten Geschichte nur dieser eine Mann nicht gegen das Leben war, nicht gegen die Liebe war, nicht gegen das Lachen war. In diesen Passagen werdet ihr ungeheuer bedeutsame Aussagen finden, und sie können die Grundlage für eine lebensbejahende Religion werden. Ich bin absolut für das Leben. Es gibt nichts, wofür man das Leben opfern darf. Wohl aber darf man alles für das Leben opfern. Alles darf Mittel zum Zweck des Lebens sein, aber das Leben ist ein Zweck in sich. Hört genau zu, denn Friedrich Nietzsche schreibt in sehr komprimierter Form. Er ist kein Prosaiker. Er schreibt in Aphorismen. Wo andere ein ganzes Buch geschrieben hätten, schreibt Nietzsche nur einen Absatz. So gedrängt ist sein Stil, dass man ihn leicht missversteht, wenn man ihm nicht sehr genau zuhört. Man darf ihn nicht wie einen Roman lesen. Diese Passagen sind fast so gedrängt wie die Sutras der Upanishaden. In jedem einzelnen Sutra, jedem einzelnen Aphorismus steckt so viel, so viele Nebenbedeutungen … und ich möchte gern auf all diese Feinheiten eingehen, damit ihr Nietzsche nicht missversteht; denn er ist einer der missverstandensten Philosophen der Welt. Und der Grund, warum er missverstanden wurde, war der, dass er einen so komprimierten Stil hatte. Er hat nie erklärt, er ging nie detailliert auf alle denkbaren Nebenbedeutungen ein. Er ist ein Mann der Symbole; und er ist deshalb so symbolhaft, weil er so zum Bersten voll von neuen Einsichten war, dass er nicht genug Zeit hatte zum erklären oder Abhandlungen zu schreiben. Es gab so viel mitzuteilen und zu geben … und das Leben ist so kurz. Aber da er sich dermaßen komprimiert und kristallisiert ausdrückte, verstanden ihn erstens die meisten gar 19 nicht und zweitens missverstanden ihn die wenigen, die ihn verstanden. Drittens fanden sie ihn unlesbar. Sie wollten alles erklärt haben, und Nietzsche schrieb nicht für Kinder. Er schrieb für reife Menschen. Aber Reife ist etwas sehr Seltenes – bei einem geistigen Durchschnittsalter des Menschen von kaum mehr als vierzehn Jahren! Bei einer solchen „geistigen Reife“ verkennt man Nietzsche mit Sicherheit. Seine Gegner verkennen ihn, seine Anhänger verkennen ihn. Denn alle sind unreif. Als Zarathustra dreißig Jahre alt war, verließ er seine Heimat und den See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Ihr müsst wissen, dass Gautam Buddha, als er neunundzwanzig Jahre alt war, seinen Palast verließ. Jesus begann zu lehren, als er dreißig Jahre alt war. Zarathustra ging ins Gebirge, als er dreißig Jahre alt war. Denn mit dem Alter so um die Dreißig herum hat es so seine Bewandtnis; genauso wie man mit vierzehn sexuell reif wird … Wenn wir einmal von einem normalen Durchschnittsleben von siebzig Jahren ausgehen, dann kommt es alle sieben Jahre – das haben diejenigen entdeckt, die das Leben bis in die Wurzeln erforscht haben – zu einer Veränderung, einem Wendepunkt. Die ersten sieben Jahre sind unschuldig. Die zweiten sieben Jahre ist man vor allem damit beschäftigt viel zu lernen und neugierige Fragen zu stellen. Vom vierzehnten bis zum einundzwanzigsten Jahr tritt die Sexualität in den Vordergrund. Ihren absoluten Höhepunkt erreicht die Sexualität, ihr werdet staunen, bei ca. achtzehn oder neunzehn Jahren. Und die Menschheit hat seit je her alles unternommen, um diese Phase zu umgehen – mithilfe von Erziehungsprogrammen, Hochschulen, Universi20 täten und indem man Jungen und Mädchen getrennt hielt. Dabei ist genau das die Zeit, da ihre Sexualität und ihre sexuelle Energie zum Höhepunkt kommt. In diesen sieben Jahren, von vierzehn bis einundzwanzig, hätten sie ohne weiteres die Erfahrung des sexuellen Orgasmus machen können. Und der sexuelle Orgasmus ist ein Lichtblick, der den Drang nach seligeren Reichen in euch wecken kann; denn im sexuellen Orgasmus verschwinden zwei Dinge: Erstens das Ego, und zweitens das Denken – und für ein paar Sekunden steht die Zeit still. Aber diese drei Dinge sind die wesentlichen. Zwei Dinge verschwinden völlig: Du bist kein Ich mehr. Du bist zwar noch da, aber ohne Ich-Gefühl. Dein Geist ist da, aber ohne alle Gedanken. Eine tiefe Stille … Und plötzlich steht – weil das Ich verschwindet und die Gedanken verschwinden – auch die Zeit still. Denn um die Zeit zu erfahren, sind die wechselnden Gedanken des Geistes erforderlich; anders ist die Bewegung der Zeit nicht zu erfahren. Stellt euch einfach zwei Züge vor, die gleich schnell nebeneinander herfahren. Durch das Fenster seht ihr den anderen Zug, das gleiche Fenster, das gleiche Abteil –, und man hat das Gefühl stillzustehen. Genauso werden die Fahrgäste im anderen Zug das Gefühl von Stillstand haben. Seine Bewegung nehmt ihr nur deshalb wahr, weil die Bäume stehen, während euer Zug fährt, weil die Häuser stehen und sich nicht bewegen. Bahnhöfe und Bahnsteige kommen und gehen. Nur weil rechts und links alles statisch ist, merkt ihr im Vergleich dazu, merkt ihr an dieser Relation, dass euer Zug sich bewegt. Und vielleicht habt ihr schon einmal diese bizarre Erlebnis gehabt: Dein Zug steht am Bahnsteig, auf der anderen Seite steht ein anderer Zug. Dein Zug setzt sich in Bewegung, und du hast den Eindruck, als würde sich der andere Zug in Bewegung setzen … es sei denn, 21