Leseprobe - bookshouse Verlag

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Leseprobe - bookshouse Verlag
Bea Lange
Gib dich nie mit weniger zufrieden
Das Buch:
Die Erkenntnis sprang ihr wie ein heller Blitz in den Kopf. Er spielte eine
Szene aus ihrem letzten Roman.
Frech grinsend strich er ihr mit der Hand betont sanft die Haare aus der
Stirn, während er mit dem anderen Arm weiterhin den Weg versperrte. „Bist
du jetzt böse? Andere Frauen finden das erotisch.“
Unaufhaltsam stürzt das Kartenhaus zusammen, das Hanna um sich
herum aufgebaut hat, um ihr Leben zu schützen. Schuld ist dieser
Journalist, der sie bloßstellt, wütend macht und auf unerklärliche
Weise magisch anzieht.
Kann sie Simon trauen, den sie liebt, der sie belogen hat, der sie
nun retten will?
Die Autorin:
B Lange ist das Pseudonym, unter
Bea
d
dem
Sabine Bruns Romane veröffentl
licht.
Jahrgang 1962, EDV-Kauffrau,
D
Dozentin
in der Erwachsenenbild
dung,
Fachjournalistin und Autorin
v Fachbüchern. Sie lebt mit Mann,
von
P
Pferden,
Hunden und Katzen in
e
einem
kleinen Dorf in Norddeutschl
land.
www.bea-lange.b-vp.de
© Kiki Beelitz
Bea Lange
Roman
Kostenlose XXL-Leseprobe
Besonders langes Lesevergnügen zum Reinschnuppern:
Die bookshouse XXL-Leseproben umfassen
etwa 20 bis 25 % des Buchinhaltes.
Gib dich nie mit weniger zufrieden
Bea Lange
Copyright © 2014 at Bookshouse Ltd.,
Villa Niki, 8722 Pano Akourdaleia, Cyprus
Umschlaggestaltung: © at Bookshouse Ltd.
Coverfotos: www.shutterstock.com
Satz: at Bookshouse Ltd.
Druck und Bindung: CPI books
Printed in Germany
ISBNs:
978-9963-52-662-8 (E-Book .mobi)
978-9963-52-661-1 (E-Book .epub)
978-9963-52-913-1 (E-Book .pdf)
www.bookshouse.de
Urheberrechtlich geschütztes Material
Prolog
a für ein Schwachsinn!« Simon warf das Buch auf
as
den Tisch. »Ein Leben für die Liebe, von Romy Scott«,
d
»
zzitierte er in die leere Wohnung hinein, »schade
gute Papier.« Und schade, dass Jana seine vor Ironie
um das g
triefende Stimme nicht mehr mitbekam. Am Nachmittag
hatte sie ihm dieses Buch an den Kopf geworfen, die Koffer
gepackt und war aus der Wohnung ausgezogen. Pah!
Er solle es mal lesen, dann würde er vielleicht kapieren,
warum ihre Ehe gescheitert sei.
»Romy Scott, ich möchte gern wissen, ob dir überhaupt
klar ist, was für einen hirnrissigen, unrealistischen Mist
du da veröffentlichst.« Er trank einen Schluck aus seinem
Weinglas und starrte auf das Buch. Wahrscheinlich war die
Autorin eine alte Schachtel, die nie in ihrem Leben Liebe
in der Realität erlebt hatte. Man sollte mal eine deftige
Reportage über die Tante schreiben. Wird Millionärin und
anderer Leute Ehen gehen kaputt wegen solch trivialer
Volksverblödung.
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Kapitel 1
ie wird hier auch nie richtig dazugehören, ist eben was
Besseres.« Die Stimme der älteren, etwas dicklichen
»
Frau hinter dem Tresen triefte vor Herablassung.
Ihr Gegenüber nickte zustimmend. »Manche Leute
passen einfach nicht zu uns. Die hätte mal lieber in der
Stadt bleiben sollen.«
Hanna nahm das Getuschel wahr, beachtete es aber
nicht. Sie war es gewohnt, dass die Leute im Dorf sie als
fremde, nicht dazugehörende Person einordneten und
sie unternahm auch nichts, um sich besser zu integrieren.
Die alte Frau Lehmann, Inhaberin des Gemüseladens,
hatte ihr gerade einen Apfel mit einer faulen Stelle einpacken wollen. Ein kleiner Disput war die Folge und als
Ergebnis wechselte man mal wieder nicht gerade freundliche Blicke. Aber im Grunde war ihr das ganz recht. Sie
wollte eine Außenseiterin sein. Sie hatte Ruhe, Einsamkeit und Anonymität gesucht, als sie nach Nordstrand
gezogen war.
So wanderte sie auch jetzt unbeeindruckt weiter die
Regale in dem Dorfladen entlang und erledigte ihren Einkauf, ohne länger auf die beiden Frauen zu achten.
Die beiden Einkaufstüten schnitten ihr in die Finger, als
sie mit der Schulter die Ladentür nach außen aufstieß. Obwohl Frau Lehmann in der Nähe stand, machte sie keine
Anstalten, ihr die Tür aufzuhalten. Dafür fegte der Sturm
eine Ladung nasser Blätter bis zwischen die Regale. Hanna
hatte Mühe, ein breites Grinsen zu unterdrücken.
Sie beeilte sich, in ihr Fahrzeug zu kommen.
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Jedes Mal, wenn sie bei Sturm die Hauptstraße entlangfuhr und neben dem Ortsschild »Nordstrand« in den
schmalen, gepflasterten Weg abbog, der zu ihrem Häuschen führte, dachte sie an den Tag, an dem sie zum ersten
Mal in das Küstenörtchen hineingefahren war. Und jedes
Mal atmete sie tief durch und wünschte sich, niemals
wieder dem Menschen gegenüberzustehen, vor dem sie
hierher geflüchtet war.
Heute empfand sie die Erinnerung besonders intensiv,
denn es war wieder Herbst, der Himmel bedeckt, Blätter
und Gräser bräunlich-gelb. Die Sturmböen wühlten das
Meer auf, genau wie an dem Tag, an dem sie angekommen
war. Sie umklammerte das Lenkrad fester.
»Heute ist Dienstag, damals war es ein Freitag.« Unwillkürlich fasste Hanna an die Stelle an ihrem linken Schlüsselbein, an der die Kleidung die Narbe verbarg, die damals noch
frisch und von einem großen Pflaster bedeckt gewesen war.
Entschlossen schüttelte sie die Erinnerungen ab und
lenkte den Wagen zügig die kurvenreiche Straße entlang.
Es war eigentlich nur ein schmaler, gepflasterter Weg. Er
führte zu drei kleinen Ferienhäusern mit Blick über den
Deich auf das Wattenmeer und den Strand. Zwei waren
im Sommer wochenweise vermietet, eins hatte sie gekauft,
nachdem sie eine Weile darin gewohnt und sich täglich
immer wohler gefühlt hatte. Zwischen den drei Häusern
gab es jeweils fast hundertfünfzig Meter breite Wiesen und
Waldstreifen, sodass man das Gefühl hatte, ganz einsam
zu wohnen.
Um diese Jahreszeit standen die Ferienhäuser leer.
Plötzlich trat Hanna abrupt auf die Bremse. Sie streckte
die Arme durch, umkrampfte das Lenkrad und wappnete
sich vor dem Aufprall. Direkt hinter der Kurve parkte ein
Auto halb auf der Straße.
Es schepperte und mit einem Ruck blieb Hannas Wagen stehen.
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»Verdammt noch mal!« Sie riss die Tür auf. »Welcher
Esel parkt denn so bescheuert?« Sie betrachtete kurz den
Schaden. Ihre Stoßstange hatte eine Beule in den Kotflügel des anderen Wagens gedrückt, nicht schlimm, aber
ärgerlich. Und noch ärgerlicher war es, dass der Besitzer
offensichtlich ausgeflogen war.
Hanna stemmte sich gegen den Wind und sah sich um.
Auf der einen Seite bogen sich meterhoch gewachsene Gräser und Büsche im Sturm, über die sie freien Blick über den
Deich bis auf das Meer hatte, auf der anderen Seite grenzte
ein kleiner, lichter Wald aus Birken und Kiefern an. Kein
Mensch war zu sehen. »Mist, verfluchter.« Sie schlug gegen
den Türrahmen. Sie kannte den großen Kombi nicht. Das
Kennzeichen war fremd. Anscheinend hatte sich trotz des
Wetters doch noch ein Tourist nach Nordstrand verirrt.
Sie setzte sich wieder in ihren Wagen und wollte den
Notruf wählen, da sah sie im Rückspiegel einen Mann die
Straße entlangkommen. Sie warf ihr Handy zurück auf
den Beifahrersitz, steckte zur Sicherheit das Pfefferspray
in ihre Jackentasche und stieg wieder aus.
Mit verschränkten Armen lehnte sie sich an ihr Auto
und musterte den Fremden, während er näher kam. Er war
mindestens zehn Zentimeter größer als sie und schlank,
trug eine verwaschene Jeans, Turnschuhe und eine graue
Windjacke. Um seinen Hals hing eine teuer wirkende Spiegelreflexkamera mit langem Objektiv. Kurze haselnussbraune Haare gaben ihm ein eher seriöses, strenges Aussehen, das nicht zu seiner legeren Kleidung passte. Er hielt
den Kopf gesenkt, um sich gegen den Sturm zu schützen,
sodass Hanna seine Gesichtszüge erst erkennen konnte,
als er nah vor ihr stehen blieb und sie zu ihm aufschaute.
Unerwartet starrte sie in zwei dunkelbraune durchdringende Augen, die sie dazu brachten, reflexartig den Blick
zu senken. Erschrocken und verärgert sah sie sofort wieder hoch, musste aber wie unter einem seltsamen Zwang
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seinem Blick erneut ausweichen. »Ist das Ihr Auto?«, fragte
sie mürrisch und mit lauter Stimme, um den Wind zu übertönen und ihre Unsicherheit zu verstecken.
Der Fremde nickte.
»Wie kann man nur so bescheuert parken?«
Sichtlich irritiert musterte er sie, wandte langsam den
Kopf und erkannte offenbar erst jetzt, was passiert war. In
aller Ruhe betrachtete er den Schaden, blickte kurz über
die Straße zurück und schien zu begreifen. Er blickte sie
an und sofort spürte Hanna abermals den Drang, ihm auszuweichen. Ihre Unterlippe zuckte, während sie auf eine
Antwort wartete.
»Wohl etwas eilig die Kurve geschnitten?«, fragte er
schließlich trocken.
Sie dachte, sie hätte sich verhört, weil nun gerade eine
neue Sturmböe durch die Bäume neben ihnen fegte. »Was?«
Er fasste sie am Arm und schob sie in Richtung Auto.
»Steigen Sie ein.«
Ehe Hanna darüber nachdenken konnte, ob sie seiner
Aufforderung folgen wollte, saß sie schon auf dem Sitz
und er schlug die Tür hinter ihr zu. Kurz darauf öffnete
er die andere Seite und ließ sich auf den Fahrersitz fallen.
»Mann, was für ein Lärm. Ist das hier öfter so stürmisch?«, brummte er in die plötzliche Stille.
»Das ist hier die Nordsee, was denken Sie denn, was da
im Herbst für ein Wetter sein sollte?«
»Können Sie mal einen Gang zurückschalten?«, fragte
er trocken. »Vielleicht so in den Tonfall der … Zivilisation?« Seine Stimme triefte vor Gelassenheit und Ironie, was
sie noch aggressiver stimmte.
»Vielleicht hätten Sie mal zivilisierter parken sollen«,
zischte sie und starrte böse in seine Richtung.
Belustigt zog er die Brauen hoch. »Äh …, also eigentlich
stehe ich hier ziemlich korrekt. Wenn Sie auf Ihrer Seite geblieben wären, hätten Sie mein Auto auch heil gelassen.«
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»Das hier ist ein Privatweg, da haben Sie überhaupt
nichts zu suchen!« Eigentlich war sie eher wütend auf sich,
weil sie wusste, dass er recht hatte. Sie versuchte, sich zu
beruhigen. »Ist auch egal, ich bezahle natürlich den Schaden, geben Sie mir Ihre Adresse, damit ich mich melden
kann«, fügte sie versöhnlicher hinzu.
»Die nächsten drei Wochen wohne ich in dem vorletzten Haus an dieser Straße. Mein Name ist Simon Vorfeld.«
»Okay, ich sage meiner Versicherung Bescheid.« Hanna meinte, sie hätten damit alle wichtigen Informationen
ausgetauscht und fasste an den Türgriff.
»Nicht so schnell.« Er griff nach ihrem Arm und hielt
sie auf. »Wer sind Sie denn überhaupt?«
Hanna zuckte zusammen. Sofort zog er seine Hand
zurück.
Sie atmete aus und registrierte, dass sie überreagiert
hatte. Er musste sie für ziemlich seltsam halten. »Ich wohne hier, das letzte Haus, Hanna Winter.«
Gleichgültig warf er ihr einen Blick zu. »Das macht die
Sache einfach. Ich lasse den Wagen reparieren und melde
mich dann.«
»Gut, … äh, ja, melden Sie sich. Wiedersehen.«
Schnell öffnete sie die Tür und lief zu ihrem Wagen
hinüber. Sie startete den Motor und fuhr in großem Bogen
an ihm vorbei, ohne noch einmal zur Seite zu blicken.
Zu Hause angekommen verstaute sie die Lebensmittel und
warf die Kaffeemaschine an. Nachdem sie anschließend
die Jeans gegen eine bequeme Jogginghose getauscht hatte, setzte sie sich an ihren Schreibtisch. Ihr Blick schweifte
durch das Fenster nach draußen, während sie darauf wartete, dass ihr Laptop startete.
Das tief nach unten gezogene Reetdach warf einen
langen Schatten in den Garten. Hanna liebte dieses Häuschen und die kleine Anhöhe, auf der es stand. Sie hatte
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von hier aus einen fantastischen Blick auf das Meer, den
sie stundenlang genießen konnte.
Das Haus bestand nur aus drei Räumen. Ein etwas
größeres Wohnzimmer mit integrierter Küchenecke und
Tresen, ein kleines Schlafzimmer und ein Kinderzimmer,
das sie als Abstellkammer benutzte.
Vom Wohnzimmer aus führte eine gläserne Doppeltür
auf eine geflieste Terrasse. Schräg davor stand ihr Schreibtisch, an dem sie saß, wenn sie ihre Geschichten schrieb.
Der Sturm peitschte die schäumende Gischt über den
Strand, ließ die Flut zu einem wild brodelnden Ungeheuer
werden. Hanna liebte den Herbst. Wenn die Touristen den
Ort verlassen hatten, fühlte sie sich in ihrem kleinen Nest
ungestört und weitab der Welt.
Plötzlich sah sie im Geiste das Gesicht des Fremden vor
sich und spürte ein leises, sehnsüchtiges Ziehen. Ich heiße
Simon Vorfeld, hörte sie ihn sagen. Der Blick seiner dunklen
Augen in dem markanten, glatt rasierten Gesicht hatte sie
unweigerlich angezogen. Wie alt er wohl war? Der Gedanke an ihn regte Gefühle in ihr, die sie in der Realität schon
lange nicht mehr empfunden hatte, sondern lediglich ihren Romanfiguren zugestand.
Der Computer piepte arbeitsbereit. Sie öffnete eine
Datei und las die letzten Sätze, die sie am Abend zuvor
geschrieben hatte.
Moni entfernte sich einen Schritt in Richtung Tür.
»Halt, hiergeblieben«, befahl er und griff nach ihrem Arm,
»jetzt ist Schluss mit deiner Hinhaltetaktik.« Er schob sie zum
Bett, warf sie rücklings darauf, beugte sich über sie und drückte
ihre Hände rechts und links neben ihr auf die Matratze.
»Hey, was fällt dir ein?«, protestierte sie mit halber Kraft,
war sie doch insgeheim froh, dass er sie endlich anfasste.
»So gefällt mir das besser.« Er lächelte und genoss sichtlich
den Blick auf ihren sich unter ihm windenden Körper.
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Sie senkte die Lider, während sie mit klopfendem Herzen
darauf wartete, seine Lippen zu spüren.
»Na, möchtest du, dass ich dich loslasse?«
Ihre Wangen röteten sich. »Nein, verdammt noch mal, nein,
ich will nicht, dass du mich loslässt.«
»Okay.« Aufreizend langsam näherte er sich ihrem Gesicht
und berührte fast unmerklich ihre Lippen, sodass sie nicht
anders konnte, als sich ihm entgegenzustrecken, um mehr von
seinem Mund zu erobern.
Sie erlebte die Szene wie einen Film vor ihrem inneren
Auge und plötzlich sah ihr Romanheld Tom genauso aus
wie ihr derzeitiger Nachbar. Jetzt wurde sie verrückt! Sie
schüttelte den Kopf und stand auf, um sich einen neuen
Kaffee zu holen.
Hanna arbeitete an ihrem vierten Liebesroman. Sie
hatte das Schreiben begonnen, als sie nach Nordstrand gezogen war. Die Lektüre eines Buches, das andere Gäste in
dem Ferienhäuschen zurückgelassen hatten, war der Auslöser gewesen. Es hatte ihr gefallen, mit einem spannenden
Buch der Wirklichkeit zu entfliehen und der Entschluss,
selbst Geschichten zu schreiben, um die Erlebnisse aus der
Vergangenheit zu verdrängen, war schnell gefasst. Den
ersten Roman hatte sie innerhalb von wenigen Wochen
getippt, doch erst, nachdem sie sich per Fernkurs via Internet Grundlagen des Romaneschreibens angeeignet und
die Geschichte noch einmal gründlich überarbeitet hatte,
fand sie auch einen Verlag, der an der Veröffentlichung
interessiert gewesen war.
Die ersten Monate in Nordstrand hatte sie mithilfe ihres
Sparbuches gerade so überstanden. Mittlerweile sicherten
ihr die Einnahmen aus dem ersten Buch das dauerhafte
Einkommen für ihr neues Leben.
Das erste Buch verkaufte sich gut, das zweite noch
besser und das dritte entwickelte sich zu einem Bestseller.
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Nun fragte ihre Lektorin schon, wann die nächste Geschichte zu erwarten sei.
Je mehr Routine sie bekam, desto mehr liebte Hanna es,
Geschichten zu erfinden. Kaum formulierte sie den ersten
Satz eines Kapitels, schon war sie mittendrin in der Handlung. Es war, als würde sie in ihrem eigenen Kinofilm die
Hauptrolle spielen und faszinierende Szenen mit einem
Traummann erleben. Die Stunden des Tages vergingen wie
im Flug, wenn sie an einem Roman arbeitete. So wurde das
Wohnen in dem einsamen Häuschen am Meer nie langweilig.
Hanna veröffentlichte ihre Romane unter einem Pseudonym, so wusste niemand im Dorf und auch niemand
aus ihrem alten Leben in Hannover, wie sie ihren Lebensunterhalt verdiente, dass sie sich bereits das Häuschen davon gekauft hatte und nebenbei ein hübsches Sümmchen
auf ihrem Sparbuch zusammengekommen war.
Das Finanzielle interessierte sie nicht. Sie brauchte nur
wenig zum Leben. Das Geld auf dem Konto gab ihr lediglich
das sichere Gefühl, für den Notfall eine Reserve zu haben.
Die Stunden vergingen, während Hanna in ihre Arbeit
vertieft war. Sie konnte es kaum abwarten, dass Moni und
Tom nun endlich die erste richtige Liebesnacht verbringen
sollten, da riss das Klingeln der Türglocke sie aus ihrer
Fantasiewelt heraus.
Sie schreckte auf und sah auf die Uhr. Während des
Schreibens war ihr nicht aufgefallen, dass es bereits dunkel geworden war. Als sie das Licht einschaltete, klingelte
es bereits zum zweiten Mal. Genervt stand sie auf. Hanna
mochte es nicht, wenn unerwartet jemand an ihrer Tür
stand und sie in ihren alten, gemütlichen, schlabbrigen
Klamotten antraf.
»Guten Abend, ich hoffe, ich störe nicht.«
Ihr Herz klopfte schneller. Es war der Fremde, dessen
Auto sie kaputt gefahren hatte. Irritiert starrte sie ihn an.
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Noch gefangen in ihrem Roman hatte sie als ihre Hauptdarstellerin Moni gerade eben noch erlebt, wie Tom ihr
den BH ausgezogen und sie damit in einen Strudel der
Erregung gerissen hatte. O Gott, hoffentlich bemerkte er
nichts. »Doch, tun Sie, ich arbeite.«
»Oh, sorry, das wusste ich natürlich nicht, sonst hätte ich es niemals gewagt, an ihrer Tür zu klingeln.« Ironisch, übertrieben höflich, reagierte er auf ihre ruppige
Begrüßung.
Hanna presste die Lippen zusammen, wohl wissend,
dass ihr Benehmen unmöglich war. »Schon gut. Was wollen Sie?«, fragte sie schnell.
»Können Sie mir vielleicht etwas Kaffee leihen? Ich
habe leider vergessen, welchen zu kaufen, und nun hat der
Laden im Dorf schon zu.«
»Ach so, ja. Moment.« Sie ging hinter den Küchentresen
und griff nach der angefangenen Packung Kaffee unten im
Regal.
»Das ist nett«, hörte sie ihn plötzlich direkt hinter sich.
Sie zuckte zusammen und fuhr herum.
Er lächelte - oder war das eher ein spöttisches Grinsen?
»Sind Sie immer so schreckhaft?«
Ihr Magen verkrampfte sich. Er schien allein durch seine Körpergröße, die breiten Schultern und die gelassene
Ruhe seiner Bewegungen den Raum zu dominieren, in
Besitz zu nehmen, und sie kam sich neben ihm in ihrem
Wohnzimmer klein und ungelenk vor. Schnell hielt sie
ihm den Kaffee entgegen. »Hier, nehmen Sie.«
Er sah sich ungeniert um, bevor er sich ihr zuwandte
und nach der Packung griff. »Danke. Was arbeiten Sie?«
»Buchhaltungsservice.«
Er blickte noch einmal zu ihrem Computer und zurück
zu ihr. »Aha … interessant.«
»Meistens. Äh … ich muss jetzt auch weitermachen,
dringender Termin.«
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Wieder dieses arrogante Lächeln. »Dann will ich nicht
länger stören. Danke für den Kaffee. Ich bringe morgen
neuen vorbei.«
Sie nickte, begleitete ihn hinaus und schloss die Tür.
Ihr Herz klopfte laut und rasend. Was fiel ihm eigentlich
ein, einfach reinzukommen? Hanna setzte sich an den
Schreibtisch, doch es gelang ihr nicht mehr, sich auf ihren
Roman zu konzentrieren.
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Kapitel 2
ch, wie herrlich.« Entspannt lehnte sich Hanna zurück und streckte sich. Ihre Hauptdarsteller hatten
»
eine mehrseitige romantische Nacht verbracht und
damit einen der ersten Höhepunkte des Romans erlebt. Sie
spürte Monis Glück fast körperlich. Nur langsam fand sie
den Weg in die Realität. Ein Gefühl der Leere und Traurigkeit überfiel sie. Liebesgeschichten wie die ihrer Hauptdarsteller hatte sie nie erlebt und würde sie auch nie erleben.
Gedankenversunken legte sie eine Hand auf ihren Pullover und spürte darunter die Narbe, die hässliche, lange
Narbe, die von der Brust über das Schlüsselbein bis in die
Halsseite hineinragte.
Vier Jahre war es her, dass Dennis versucht hatte, sie
mit einem Messer zu erstechen an diesem Abend in Hannover. Aufgeschreckt vom Lärm in ihrer Wohnung hatten
die Nachbarn die Polizei gerufen und sie dadurch gerettet.
Dennis war, alarmiert durch das Martinshorn, geflüchtet,
und sie hatte man ins Krankenhaus gebracht, wo die Wunde genäht worden war. Am nächsten Tag hatte sie ihre
Koffer gepackt und war losgefahren, ein Aufbruch, der
den Beginn ihres neuen Lebens symbolisierte.
Unwillkürlich fühlte sie in der Erinnerung wieder die
Angst und Anspannung. Sie beschloss, eine Pause zu machen und später das neue Kapitel in ihrem Roman noch
einmal zu lesen.
Sie war eine Frühaufsteherin, so hatte sie auch an diesem Morgen bereits um halb sieben mit einem Becher Kaffee vor ihrem Laptop gesessen und einige Stunden konzentriert gearbeitet. Nun zeigte die Uhr auf zehn vor elf.
Der Sturm war vorbei. Die Sonne strahlte von einem fast
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klaren Himmel. Sie öffnete die Terrassentür, stellte sich
nach draußen, um sich nach dem langen Sitzen zu strecken
und die frische Seeluft einzuatmen.
Plötzlich stutzte sie. Was machte er denn da?
Hanna sprang einen Schritt zurück in das schützende
Halbdunkel ihres Wohnzimmers und lugte weiterhin hinaus. Der Fremde stand etwa dreißig Meter entfernt und
hielt seine Kamera auf ihr Haus gerichtet.
Sie verkrampfte sich und die Gedanken überschlugen
sich. Was wollte er? Wieso tat er das? Kannte sie ihn aus
Hannover? Hatte er mit Dennis zu tun?
Schnell schlug sie die Terrassentür zu und beobachtete,
wie er sich von dem Baum entfernte, den Deich entlangspazierte und ab und an zu ihrem Haus hinaufsah.
Hannas Kloß im Hals wuchs. Ihre Knie begannen zu
zittern. Sie setzte sich langsam auf den Stuhl vor ihren
Schreibtisch. Der Gedanke, ihr Exmann könnte sie ausfindig gemacht haben, raubte ihr fast den Atem. »Ganz ruhig,
vielleicht war das auch nur ein harmloser Zufall und er
wollte lediglich die urigen Ferienhäuser fotografieren.«
Eine Weile saß sie da und grübelte.
Sie beschloss, den Vorfall zu ignorieren.
Eine Stunde später klingelte es an ihrer Tür.
Hanna erwartete niemanden, und sofort fiel ihr die Begegnung vom Morgen ein.
Zögernd stand sie auf und öffnete. Tatsächlich, es war
dieser Typ. Im ersten Moment wollte sie die Tür panisch
zuwerfen, doch sie bremste sich und sah ihn fragend an.
»Jetzt störe ich Sie schon wieder.« Er lächelte.
Erwartete er etwa eine Antwort? Sie presste die Lippen
aufeinander und starrte ihn an. Sie hatte den Eindruck,
er würde auf sie hinabsehen und sich innerlich über sie
lustig machen. »Ich war spazieren, habe anscheinend
meinen Schlüssel verloren und komme nicht mehr in mein
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Haus … das Handy nicht dabei, wie immer, wenn man es
mal braucht. Kurz, können Sie für mich meinen Vermieter
anrufen?« Sein Blick war plötzlich genauso freundlich wie
der ihres Romanhelden.
Ein vibrierender Strom durchfuhr sie. Sie konnte nichts
sagen, nickte nur, wandte sich um und ging vor ihm her
ins Wohnzimmer. Ihr Herz klopfte so laut, dass er es bestimmt hören musste. Sie spürte geradezu körperlich seine
Nähe hinter ihrem Rücken.
Wie konnte sie ihn nur schon wieder hereinlassen?
Wenn er sie jetzt überfiel …
Im Wohnzimmer griff sie zum Telefon. Er war im Türrahmen stehen geblieben. Auf einmal wurde ihr bewusst,
dass sie noch kein Wort zu ihm gesagt hatte. Sie bemühte
sich, ruhiger zu atmen und hoffte, er würde das Zittern
ihrer Hände nicht bemerken. Sie wählte und nach kurzem
Klingeln hob Hans Minsen, der ehemalige Besitzer ihres
Hauses und sein Vermieter, ab. Sie schilderte ihm das Problem, und er versprach, gleich mit dem Ersatzschlüssel zu
kommen.
Sie legte auf. »Er kommt. Wohnt nicht weit weg. Dürfte
nicht mehr als fünfzehn Minuten dauern.«
»Danke.« Er lächelte. Sein Gesicht wirkte entspannt
und eher gleichgültig. Tätlich angreifen wollte er sie jedenfalls nicht, das hätte er schon getan.
Sie atmete tief durch und beschloss, ihn zu fragen. »Ich
habe Sie vor einer Stunde da draußen gesehen. Haben Sie
mein Haus fotografiert?«
»Oh, ja. Es sieht schön aus, Ihr Garten, das kleine Haus
und dahinter die hohen Bäume.« Er sah ihr in die Augen
und verzog die Mundwinkel, als würde es ihm Spaß machen, sie zu irritieren.
Hanna ärgerte sich über sein freches Grinsen, aber
sie konnte sich nicht dagegen wehren, dass sie mit dieser
dumpfen Sehnsucht auf ihn und diese verdammten Augen
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reagierte, mit dieser tiefen, erotischen Spannung, die ihr
vor Jahren bereits zum Verhängnis geworden war. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und ihrer Stimme
einen unverbindlichen, freundlichen Ton zu geben. »Kein
Problem. Möchten Sie einen Kaffee?«
»Das Angebot ist sehr nett, aber Sie brauchen das nicht
zu tun, ich kann auch draußen warten.« Sein Blick streifte
ihren Computer. »Sie arbeiten, oder? Da störe ich doch bestimmt wieder.«
»Ja, äh … kein Problem. Bin heute nicht so in Eile.« Sie
wandte sich der Küchenecke zu und zeigte auf einen der
Barhocker am Tresen. »Möchten Sie sich setzen? Zucker?
Milch?« Wieso bot sie ihm Kaffee an, obwohl er doch schon
freiwillig das Haus verlassen wollte? Hanna ärgerte sich,
dass sie ihren gefährlichen Gefühlen nicht widerstehen
konnte. Sie griff nach einem Becher und füllte Kaffee hinein.
»Einfach schwarz, bitte.«
Sie stellte ihm den Becher hin, holte vom Schreibtisch
ihren eigenen und klappte dabei den Laptop zu.
Er sah sich um. »Sieht genauso aus wie bei mir drüben.«
»Ja, die drei Häuser sind alle gleich eingerichtet.«
Sein Blick fiel auf das Bücherregal, in dem neben dem
Duden, einigen Reiseführern und abgegriffenen Romanen
auch ihre drei fertigen Bücher standen. Hanna hatte den
Eindruck, dass er den Titeln einen Tick zu viel Aufmerksamkeit widmete. Schließlich waren es normale Frauenromane, die ein Mann in der Regel nicht beachtete.
Er sagte aber nichts, sondern wandte ihr den Kopf zu.
So nah vor ihr traf sie sein Blick bis ins Mark. Sie hob ihren
Kaffeebecher an den Mund. Krampfhaft überlegte sie, was
sie sagen könnte. Sie war es nicht mehr gewohnt, über belanglose Themen mit fremden Menschen zu sprechen, und
je länger sie schwiegen, desto unangenehmer wurde ihr
die Situation. Ihm schien die Stille zwischen ihnen nichts
auszumachen. Hanna hatte das Gefühl, seinen Blick wie
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Röntgenaugen auf sich zu spüren. Sie hielt es nicht mehr
aus. »Ist irgendwas an mir nicht in Ordnung?«
Er stutzte, hob dann grinsend seine Kamera. »Oh, sorry, ich habe Sie angestarrt. Das ist mein Beruf. Gesichter
sind sehr interessant. Ich bin Fotograf.«
»Arbeiten Sie für eine Zeitung?«
»Nein, für eine Presseagentur. Wir verkaufen fertige
Artikel an alle möglichen Zeitschriften. Aber hier bin ich
rein privat im Urlaub.«
»An mir gibt’s nichts Besonderes.«
Er antwortete nicht.
Sie ärgerte sich. Er hätte ihr wenigstens aus Höflichkeit
widersprechen können. Anscheinend durchschaute er sie,
denn schon wieder umspielte dieses spöttische Lächeln
seinen Mund.
»Soll ich Sie fotografieren?«
»Nein.«
Er grinste. »Alle Frauen wollen von mir fotografiert
werden, wenn sie erfahren, dass ich Fotograf bin.«
Sie wollte gerade eine deftige Antwort geben, da hörten sie von Weitem den Motor eines Autos. »Das ist Herr
Minsen mit Ihrem Schlüssel.« Erleichtert stand sie auf und
blickte aus dem Fenster.
Als sie allein war, spürte sie den Schweiß auf ihren Händen. Wer war dieser Typ? Litt sie schon so schlimm unter
einem Verfolgungswahn, dass sie harmlose Urlauber für
gefährlich hielt, oder hatte sie recht mit ihrer Angst und ihr
Exmann war ihr auf der Spur?
Ruhelos wanderte sie in ihrem kleinen Häuschen auf
und ab. Sie überdachte noch einmal alle Begegnungen mit
dem Fremden. Schließlich setzte sie sich an ihren Schreibtisch. Verdammt, jetzt war aber Schluss. Er war harmlos. Sie
sah Gespenster, weil sie schon viel zu lange so einsam lebte.
20
Kapitel 3
imon lag in seinem Ferienhaus quer über dem Bett. Der
Kachelofen im Wohnraum verbreitete Wärme, sodass
er das Hemd bis auf die untersten Knöpfe aufgemacht
hatte. Neben ihm stand der eingeschaltete Laptop. Er hatte
begonnen, die ersten Notizen über seine Recherchen zum
Pseudonym Romy Scott zu verarbeiten. Was für ein glücklicher Zufall, dass er ausgerechnet dieses Haus gemietet
und ihm genau die Person, die er suchte, eine Beule ins
Auto gefahren hatte.
Erst, nachdem er die Besitzerin des Dorfladens über
die Frau in seinem Nachbarhaus ausgefragt hatte, war ihm
der Verdacht gekommen, dass Hanna Winter die gesuchte
Schriftstellerin sein könnte. Der Blick auf ihren Laptop
hatte seine Vermutung gestützt. Außerdem noch die drei
Bücher in ihrem Regal und ihre völlig unglaubwürdige
Aussage, sie lebe von einem Buchhaltungsservice – mehr
Hinweise brauchte er nicht. »So eine vertrocknete, missmutige, alte Schachtel schreibt also diesen Schund. Ob die
überhaupt schon mal jemals normal mit einem Mann Sex
gehabt hat?«
Das Handy klingelte und er ging ran. »Vorfeld. – Hallo
Mike! Na, vermisst ihr mich in der Redaktion?«
»Nee, hier vermisst dich keiner, genieß deinen Urlaub.
Wollte bloß mal wissen, wie es so läuft.«
»Hey, das ist hier kein Urlaub, sondern schwierige
Recherche, und ich war erfolgreich. Die berühmte Romy
Scott wohnt im Nachbarhaus.«
»Tatsächlich? Wie hast du das so schnell herausgefunden?«
»Zufall. Sie hat mir das Auto kaputt gefahren.«
Mike lachte. »Was hat sie?«
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Schnell erzählte er von seinem ersten Zusammentreffen mit Hanna, und dass er danach bereits zweimal unter
einem Vorwand bei ihr gewesen war, um sicherzugehen,
an der richtigen Adresse gelandet zu sein.
»Und wie ist sie so?«
»Langweilig, hässliche Klamotten, keine richtige Frisur, nicht geschminkt, verklemmt, ständig nur schlecht gelaunt und unfreundlich. Ich kann nicht mal schätzen, wie
alt sie ist.«
»Und was hast du nun vor?«
»Weiß ich noch nicht. Im Moment recherchiere ich über
ihre Vergangenheit. Sie schreibt erst seit vier Jahren. Was
war vorher? Im Internet findet man nichts über eine Hanna Winter – das ist ihr richtiger Name.«
»Ich kann für dich in den Zeitungsarchiven stöbern.«
»Ja, mach das. Ich beobachte sie noch ein bisschen,
mach ein paar Fotos und schau mal ab und zu in ihren
Briefkasten. Mal sehen, was für Kontakte sie so hat.«
Hanna ging spazieren. Sie hatte automatisch den Weg
gewählt, der am Deich entlang in Richtung des anderen
Ferienhauses führte, des Hauses, in dem sich der Fremde
eingemietet hatte. Der Gedanke an diesen Mann ließ ihr
keine Ruhe. Bei seinem Anblick verspürte sie jedes Mal
dieses tiefe, sehnsüchtige Ziehen im Unterleib, während
gleichzeitig die Angst an ihr nagte, er könnte für sie gefährlich sein. Sie konnte sich nicht daran erinnern, nach
Dennis jemals mit einem Mann zu tun gehabt zu haben,
bei dem sie sich sexuell erregt gefühlt hätte. Nur ihre Fantasiefiguren, die Männer ihrer Romane, waren so, dass sie
sich in sie verlieben konnte. Manchmal träumte sie nachts
von einem Romanhelden und wachte voller Sehnsucht
nach Liebe, Wärme und Geborgenheit auf.
22
Während ihre Gedanken kreisten, näherte sie sich dem
Haus. Das Auto war nicht da. Hanna zögerte. Ob sie mal
durchs Fenster blicken sollte? Sie trat an zwei Gartenstühlen
vorbei zur Terrassentür und versuchte, durch die Scheiben
etwas zu erkennen. Plötzlich bewegte sich die Tür.
Sie stutzte und sah genauer hin. Tatsächlich, die Tür
war nur angelehnt. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Sollte
sie die Chance nutzen und sich drinnen umsehen?
Zögernd zog sie die Tür auf und blickte hinein. Auf
dem Küchentresen lag die Kamera mit dem Objektiv. Daneben stand ein benutzter Kaffeebecher. Auf dem Couchtisch lagen ein paar Zeitschriften und über einem Sessel
hing unordentlich ein Sweatshirt.
Auf dem Boden sah sie eine geöffnete Fototasche mit
einer weiteren Kamera, diversen Objektiven und vielem
Zubehör.
»Okay, sieht jedenfalls nicht nach einem Killer aus.« Sie
setzte einen Fuß in den Raum. Sie würde nachsehen, was
für Fotos er gemacht hatte, und wenn sie da nicht drauf
war, sofort wieder verschwinden. Hanna atmete tief durch
und trat schnell an den Küchentresen. Sie suchte nach
der richtigen Taste, um sich Bilder anzeigen zu lassen, da
sprach er sie von hinten an.
»Suchen Sie etwas Bestimmtes?«
Sie zuckte zusammen und wandte sich mit der Kamera
in der Hand um. Er lehnte lässig in der Tür zum Schlafzimmer und hatte die Arme vor der Brust verschränkt.
»Die Tür war offen«, stieß sie nach einer gefühlt stundenlangen Schrecksekunde hervor.
»Ach so, und das ist in diesem komischen Dorf hier
eine Einladung zum Diebstahl, oder was?«
»Ich stehle nichts!«
»Nein, die Kamera ist Ihnen draußen entgegengelaufen und Sie haben ihr den Weg nach Hause gezeigt. Alles
klar.« Seine Stimme triefte vor Ironie.
23
Hannas Wangen wurden heiß. Sie wollte etwas entgegnen, doch als sie den Mund öffnete, hob er schon eine Hand.
»Geben Sie her, bevor Sie sie noch fallen lassen.«
Sie kniff die Lippen zusammen und gab ihm die Kamera. Er begutachtete mit kritischem Blick die hintere
Abdeckung.
»Keine Sorge, nichts passiert.« Sie wollte hinauslaufen,
doch er war schneller. Gleichzeitig erreichten sie die Terrassentür. Bevor sie reagieren konnte, hatte er schon von
hinten den freien Arm um ihre Taille gelegt und sie mühelos zurückgehalten. Mit einem Satz sprang sie von ihm
weg. Panik und Wut breiteten sich in ihr aus. »Was soll
das? Lassen Sie mich gehen.«
Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, ja, schien die
Situation zu genießen. Er schloss betont langsam die Tür
und legte die Kamera wieder auf den Tresen. »Ich hätte
gern eine Erklärung.«
»Sie haben mein Haus fotografiert, und ich wohne hier
allein. Da ist es ja wohl berechtigt, dass ich wissen will,
ob Sie wirklich ein normaler Urlauber sind.« Sie schaffte
es nicht, seinem durchdringenden Blick standzuhalten,
und als er nun einen Schritt auf sie zu machte, stieg nackte
Angst in ihr auf. »Nicht!« Panisch zog sie das Pfefferspray
aus der Tasche und bedrohte ihn damit.
Er blieb stehen und runzelte ärgerlich die Stirn. »Denken Sie, ich tu Ihnen was?«
Sie schluckte, begann zu zittern und konnte nicht mehr
klar denken.
»Setzen Sie sich hin. Sie sind ja ganz bleich, nicht dass
Sie mir hier noch umkippen.« Er wies in Richtung Sessel.
Hanna rührte sich nicht. Kalter Schweiß bildete sich
auf ihrer Stirn, in ihren Ohren rauschte es und ihre Knie
wurden weich wie Gummi. Panisch suchte sie Halt. Er
nahm ihr das Spray aus der Hand und schob sie mit starken Armen zum Sessel.
24
»Hinsetzen hab ich gesagt!«, grollte er und schüttelte
den Kopf. Er begutachtete mit gerunzelter Stirn die Spraydose und ließ sie achtlos auf ihren Schoß fallen. Prüfend
beobachtete er ihr Gesicht.
Langsam beruhigte sie sich. Das Blut zirkulierte wieder
und das Zittern wurde weniger. Sie wusste, sie hatte sich
blamiert. Fast erleichtert entspannte sie sich in der Resignation. »Sie haben recht, ich hätte nicht hier hereinkommen dürfen. Es tut mir leid.«
Simon betrachtete sie. Die Arroganz und die Verkniffenheit
waren aus ihrer Körperhaltung verschwunden, stattdessen
wirkte sie auf seltsame Art entspannt, fast, als wäre sie froh,
sich zu … ergeben? Das Wort kam ihm in den Sinn und gleichzeitig genoss er es, sie als reuige Sünderin vor sich zu haben.
»Wieso haben Sie nicht einfach geklingelt und gefragt?«
»Ihr Auto war nicht da. Ich dachte, Sie sind weg und
die Terrassentür stand auf.« Er wartete und sie sprach weiter. »Es war dumm, es tut mir leid.«
Eine Weile stand er an den Schrank gelehnt da und
blickte sie nachdenklich an. Dann nahm er die Kamera,
drückte auf einige Knöpfe und hielt sie ihr hin. Er zeigte
auf einen kleinen Knopf neben dem Display. »Da, auf den
drücken, um zum nächsten Bild zu kommen.«
Überrascht sah Hanna zu ihm auf und griff zögernd
nach der Kamera.
»Lassen Sie sich Zeit und ziehen Sie die Jacke aus. Kein
Wunder, dass Ihnen der Schweiß ausbricht. Ich hole mal
was zu trinken.«
Sie blickte ihm nach.
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Er war barfuß, trug eine Jeans und ein dunkles Hemd,
das nur mit zwei Knöpfen notdürftig geschlossen war.
Darunter erkannte man ausgeprägte Muskeln. Sie musste
an ihren Romanhelden denken. Erregung erwachte in ihr.
Schnell wandte sie den Blick ab, schälte sich aus ihrer Jacke
und begann, die Bilder auf der Kamera zu sichten.
Als er mit Mineralwasser zum Tisch zurückkehrte, bemerkte sie es kaum. Sie klickte von Bild zu Bild. Es waren
alles Naturaufnahmen, Bäume, Blumen, das Meer bei Flut
und das Watt bei Ebbe, einige Vögel und von Weitem war
auch ihr Haus auf einigen Fotos zu erkennen. Nachdem sie
alles betrachtet hatte, legte sie die Kamera vorsichtig auf
den Tisch. »Das sind schöne Bilder. Tut mir leid, dass ich
Sie verdächtigt habe.«
Er hielt ihr ein Glas entgegen. »Trinken Sie.«
Sie gehorchte und wich seinem Blick aus.
Eine Weile war es ruhig.
Er lächelte sie an. »Irgendwie war unser Kennenlernen
etwas unglücklich. Ich schlage vor, wir fangen noch mal
von vorn an. Ich heiße Simon, bin zweiundvierzig Jahre alt,
wohne in Münster, seit Kurzem ziemlich frisch getrennt.«
Sie sah sein Lächeln und fühlte ein Prickeln am ganzen
Körper. Verlegen senkte sie schnell den Kopf und hoffte
inständig, er würde ihr nichts anmerken. »Hanna«, erwiderte sie leise und versuchte, ebenfalls ein Lächeln zustande zu bringen.
»Okay, Hanna, was willst du von mir wissen?«
Sie überlegte einen Moment. »Warum machst du um
diese Jahreszeit hier allein Urlaub?«
»Meine Frau hat sich vor vier Monaten von mir getrennt. Ich wollte raus, suchte Einsamkeit und ich mag diese Landschaft. Und du? Warum lebst du hier ganz allein?«
Hanna zögerte. Dass er auch eine Gegenfrage stellte,
gefiel ihr nicht, aber es wäre wohl unhöflich, sie nicht zu
beantworten. »Ich war auch eigentlich nur zum Urlaub
26
hier und bin geblieben.« Sie lächelte verlegen. »War auch
nach der Trennung von meinem Mann.«
Er grinste. »Dann scheint dieses Nest wohl Scheidungsopfer anzuziehen.«
Sie musste auch grinsen. »Ja, sieht so aus. Wie lange
bleiben … äh … bleibst du?«
»Ich weiß noch nicht. Habe erst mal zwei Wochen Urlaub
angemeldet, aber vielleicht verlängere ich auch. Ist immerhin
auch ein bisschen Arbeit, was ich hier mache. Vielleicht kann
ich das eine oder andere Bild als Postkarte verkaufen.«
»Ach ja, du bist Fotograf, nicht wahr?«
Er nickte. »Wie lange lebst du hier schon so allein?«
»Vier Jahre.«
»Wird das nicht langweilig?«
»Nein, ich mag die Einsamkeit.«
»Wo hast du vorher gewohnt?«
Ihre inneren Alarmglocken schrillten. »Ich muss gehen.
Danke für das Wasser und noch mal … Entschuldigung.
So was«, sie deutete zur Tür, »mache ich eigentlich nicht.«
Schnell schlüpfte sie in ihre Jacke, steckte die Spraydose in die Tasche und lief zum Eingang.
Er stand ebenfalls auf und folgte ihr.
Sie drückte auf die Klinke, doch bevor sie die Haustür öffnen konnte, stellte er sich neben sie und legte seine
Hand auf ihre. Bei der Berührung zuckte sie zusammen,
und ihr Herz begann wild zu hämmern. Er hatte einen
muskulösen Unterarm, auf dem Sehnen und Adern deutlich hervortraten. Der Druck seiner Hand vermittelte Wärme, Kraft und einen starken Willen. Überdeutlich registrierte sie die Berührung.
Er schien das nicht zu bemerken und ließ seine Hand
ganz selbstverständlich warm und mit weichem Druck auf
ihrer liegen. »Gehen wir morgen zusammen spazieren?
Vielleicht kannst du mir ein paar gute Landschaftsmotive
zeigen?«
27
Sie sah zu ihm auf. Seine dunklen Augen schienen warme Strahlen direkt in ihr Herz zu senden. Er stand so dicht
vor ihr, wie schon lange kein Mann mehr vor ihr gestanden hatte, erst recht nicht mit so weit geöffnetem Hemd.
»Ich … ich … ich weiß nicht, ob ich Zeit habe.« Sie zwang
sich, nicht auf seine nackte, muskulöse Brust zu starren.
Er lächelte. »Ich komme am Nachmittag bei dir vorbei
und hole dich ab.«
Sie schluckte und konnte nicht anders, als einfach nur
zu nicken. Mit einer langsamen, streichelnden Bewegung
nahm er seine Hand von ihrer. Sie schlüpfte schnell hinaus. Ihr fiel wieder auf, dass sein Wagen nicht da war.
Er schien ihre Gedanken lesen zu können und grinste.
»Mein Wagen ist in der Werkstatt. Deshalb bist du mir in
die Falle gegangen.«
Simon blieb noch einen Moment stehen und sah ihr nach,
bevor er die Tür schloss und sich mit einem breiten Grinsen rückwärts gegen das Holz lehnte. »Bingo, alter Junge,
das hast du gut gemacht.« Fast hätte er ihr die Wahrheit
gesagt, als sie da plötzlich in seinem Wohnzimmer vor
ihm stand, doch es reizte ihn, noch eine Weile länger den
unschuldigen Urlauber zu spielen.
Amüsiert erinnerte er sich an ihre Unsicherheit. Noch
zwei Tage lang flirten und sie erzählte ihm alles. Wer so
aussah, war froh, überhaupt mal von einem Kerl angefasst
zu werden, dachte er und ließ sich pfeifend in einen Sessel
fallen.
28
Kapitel 4
u Hause angekommen setzte sich Hanna an ihren
Computer und gab Simon Vorfeld in die Internetsuchmaschine ein. Sofort wurden ihr jede Menge Ergebnisse angezeigt, die mit seinem Namen zu tun hatten, und sie
erfuhr, dass er tatsächlich als Fotograf und Journalist für
eine Presseagentur arbeitete.
Keine Hinweise auf Hannover oder ihren Exmann.
Konnte sie beruhigt sein? Auch wenn er nichts mit Dennis
zu tun hatte, würde er ihr gefährlich werden, wenn er veröffentlichte, dass sie die erfolgreiche Autorin Romy Scott
war. War es wirklich Zufall, dass ausgerechnet ein Journalist neben ihr das Ferienhaus gemietet hatte? Um diese
Jahreszeit? Allein?
Sie war hin- und hergerissen. In der einen Minute beschloss sie, den Kontakt sofort abzubrechen, in der anderen wollte sie ihn unbedingt wiedersehen. Sie redete sich
ein, dass das nichts mit seiner erotischen Anziehungskraft
auf sie zu tun hätte, sondern lediglich dazu dienen sollte, sicherzugehen, dass er nichts über sie für irgendeine
Zeitung schreiben würde.
In der Nacht träumte sie von ihm. Als sie am Morgen erwachte, waren ihr Romanheld Tom und der Fremde aus
dem Ferienhaus zu einer Figur geworden. Buchereignisse und reale Ereignisse hatten sich vermischt, Fiktion und
Wirklichkeit waren kaum zu unterscheiden.
Wenn sie vor ihrem inneren Auge sein Gesicht sah,
fühlte sie in ihrem Herzen ein loderndes Feuer. Das sehnsüchtige Ziehen schmerzte in der Brust. Sie spürte immer
noch die Wärme seiner Hand. Immer wieder erinnerte sie
29
sich an diesen Moment, in dem er seine Hand kaum merklich, und doch mit solcher Intensität, in dieser streichelnden Geste von ihrer gelöst hatte.
Wie lange hatte sie kein Mann mehr berührt.
Scham überfiel sie bei der Erinnerung daran, wie sie sich
aufgrund von erotischer Anziehungskraft von ihrem Ex hatte
ausnutzen lassen. Nie wieder sollte ihr so etwas passieren.
Ob sie Simon trauen konnte? Bildete sie sich ein, dass
er interessiert an ihr war? War er vielleicht nur nett, und
sie interpretierte viel mehr hinein, weil sie den Umgang
mit attraktiven Männern nicht mehr gewohnt war?
Im Laufe des Vormittags steigerte sich ihre Unruhe.
Sie konnte sich nicht auf ihre Arbeit konzentrieren. Mittags hatte sie das Bedürfnis, etwas Netteres als den obligatorischen dunklen Rollkragenpullover und die weiten,
bequemen Jeans anzuziehen. Sie stöberte im Schrank und
fand schließlich eine engere Hose, eine hellblaue Bluse
und eine gemusterte Strickjacke. Sie zog sich um, knotete
zum Schluss noch einen Schal um den Hals, der die Narbe zuverlässig verdeckte, und setzte sich wieder an ihren
Computer.
Vor sich hin pfeifend ging Simon den Weg entlang. Es war
zwar kalt, aber der Wind wehte nur mäßig und zwischen
den Wolken kam immer wieder die Sonne mit wärmenden Strahlen durch. Bei Hanna angekommen klingelte er.
Recht schnell öffnete sie die Tür. »Hallo Nachbarin«, grüßte er sie und registrierte, dass sie anders gekleidet war.
Sie grüßte zurück und er trat kurz mit ein, um zu warten, bis sie ihren Computer ausgeschaltet und die Jacke
angezogen hatte. Sein Blick glitt über ihren Körper. Sie
hatte eine gute Figur, wenn sie sich mal was Vernünftiges
anzog.
30
Sie gingen los, am Haus vorbei, einen schmalen Weg entlang, parallel zum Deich und Meer. Es war Ebbe. Man konnte weit in das Watt hineinblicken. Nebeneinander verließen
sie den Weg und gingen am Waldrand weiter, während sie
sich über belanglose Dinge unterhielten. Simon plauderte
locker dahin und stellte immer wieder unverfängliche Fragen, sodass Hanna allmählich aufgeschlossener wurde.
Ab und zu berührte er sie an den Schultern oder fasste
sie unbekümmert am Arm, um ihr etwas zu zeigen oder sie
kurz zu stützen, während sie über einen umgekippten Baumstamm stiegen. Nach einer Weile wechselten sie die Richtung
und spazierten zurück zu den Häusern. Auf einmal hielt er
sie am Arm zurück, deutete mit dem Zeigefinger auf dem
Mund Schweigsamkeit an und zeigte auf eine kleine Lichtung vor ihnen, auf der mehrere Rehe in aller Ruhe ästen.
Er stellte sich hinter sie und legte seine Hände warm
auf ihre Schultern. Sie gab dem leichten Druck nach,
lehnte sich leicht an ihn und schien das Gefühl der körperlichen Nähe durch die dicke Jacke hindurch zu genießen.
Plötzlich hoben die Rehe die Köpfe und starrten zu ihnen
hinüber, nur um aus dem Stand loszuspringen und in das
tiefe Dickicht hinein zu verschwinden.
Simon lachte. »Nun haben sie uns doch bemerkt.«
Als sie am Haus angekommen waren und Simon sie auf
einen Kaffee einlud, willigte sie ein.
»Mach es dir gemütlich, ich setze mal die Kaffeemaschine in Gang«, rief er, während er sich aus der Jacke
schälte und in Richtung Küchenzeile ging.
Hanna betrat das Wohnzimmer, setzte sich auf einen
Sessel und sah ihm zu, während er an der Kaffeemaschine
hantierte, frisches Holz in den Ofen schob und sich schließlich schräg neben sie in eine Ecke der Couch fallen ließ.
»Ist dir nicht zu warm?« Er deutete auf den Schal, den
sie immer noch um den Hals trug.
31
Sie schüttelte den Kopf und fasste nervös hin, um ihn
zurechtzurücken.
»Musik?«, fragte er und sie nickte erleichtert.
Er stand auf, schaltete das Radio ein und suchte einen
Sender mit angenehmer, romantischer Musik. Bald war
auch der Kaffee fertig und schließlich hielten sie die Becher in der Hand, tranken, hörten die Musik und schwiegen eine Weile.
Irgendwann sah er sie an. »Und, war es so schlimm?«
Irritiert zog sie die Augenbrauen hoch. »Was?«
Er schmunzelte. »Das Spazierengehen.«
Verlegen zuckte sie mit den Achseln und errötete schon
wieder. Er musterte sie und fühlte wieder diese seltsame
Befriedigung. Er hatte auf eigenartige Weise Macht über
sie, weil sie so arrogant und zickig war und sich dennoch
so schnell von ihm verunsichern ließ. Das gefiel ihm, ja,
es bereitete ihm Genugtuung, denn schließlich war sie es,
die mit diesen dämlichen Romanen emanzipierte Frauen
durcheinanderbrachte und Ehen zerstörte.
Sie trug die Schuld daran, dass seine Frau ihn verlassen
hatte. Dass ausgerechnet diese berühmte Romy Scott sich
so leicht nervös machen ließ, war Balsam für seinen Zorn
und er freute sich auf den deftigen Artikel, den er über sie
schreiben würde. »Wie lange warst du verheiratet?«
Sie zog die Stirn wie unter Schmerz zusammen, sodass
sich eine Falte zwischen ihren Augen bildete. »Vier Jahre.«
»Bei uns waren es drei Jahre.«
»Du hast keine Kinder?«
»Nein, ich … ich hatte mit zweiundzwanzig eine Fehlgeburt und habe mich danach sterilisieren lassen.« Er wartete, dass sie mehr erzählte, doch sie redete nicht weiter,
sondern blickte in Erinnerungen versunken geradeaus
zum Fenster hinaus, als könnte man in der fortgeschrittenen Dämmerung noch etwas sehen.
»Warum ist deine Ehe gescheitert?«
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Seine Frage holte sie in die Gegenwart zurück. »Das
lässt sich mit zwei Sätzen nicht erklären und … ich glaube,
ich muss langsam wieder nach Hause.«
Später am Abend saß Simon vor seinem Laptop und
notierte sich Stichworte zu ihrem gemeinsamen Nachmittag. Er klickte mit der Maus auf ein Verzeichnis und
betrachtete die Bilder, die er an den ersten beiden Tagen
heimlich von ihr gemacht und längst auf dem Computer
abgespeichert hatte. Er musste grinsen. Wie beruhigt sie
gewesen war, nachdem er sie auf die Kamera hatte blicken lassen. »Tja, Mädel, schlecht, wenn man keine Ahnung von Teleobjektiven und Speicherkarten hat«, sagte
er laut in den leeren Raum hinein und klickte weiter von
Bild zu Bild.
Als sie am Nachmittag kurz von der Fehlgeburt gesprochen hatte, war er sich sicher gewesen, mehr zu erfahren, doch bereits bei der nächsten Frage war sie wieder
unfreundlich und reserviert geworden. Je länger er die
Bilder ansah und über ihr Benehmen nachdachte, desto
wütender wurde er auf sie. »Die muss mit diesen Büchern
schon mindestens fünfhunderttausend Euro verdient haben, wieso zieht sie sich an wie ein armes Mäuschen und
tut so hilflos und schüchtern, dass man Mitleid bekommen
muss. Das ist doch eine Masche von der. Die spinnt. Wahrscheinlich laufen ihr alle Männer nach ein paar Wochen
weg, aus Angst, sie müssten sich benehmen wie in diesen
wilden Geschichten.« Immerhin hatte seine Frau so etwas
vorgeschlagen und ihm das letzte Romy Scott-Buch vor
die Füße geworfen als Antwort auf seine Frage, was er
denn falsch gemacht habe.
Nein, er würde nicht auf das schüchterne Gehabe dieser Frau hereinfallen, er würde genau das machen, was er
sich vorgenommen hatte: Sie aushorchen und einen schönen, gepfefferten Artikel schreiben.
33
Kapitel 5
ie Autobahn war zu dieser frühen Morgenstunde leer,
und Simon kam gut voran. Er unterbrach seinen Aufenthalt in Nordstrand, um seine geschiedene Frau zu
besuchen. »Um zwölf bin ich da, das passt gut«, überlegte
er mit Blick auf die Anzeigen des Navigationsgeräts.
Jana war zu ihren Eltern gezogen. Sie hatte ihn gebeten,
zu kommen, um noch einige abschließende Formalitäten
zu ihrer Scheidung zu besprechen. Nach diesem Besuch
wollte er nach Nordstrand zurückkehren.
Auf der Autobahn hatte er Zeit, nachzudenken. Während des letzten Jahres ihrer Ehe war ihm nicht aufgefallen,
dass irgendetwas nicht in Ordnung sein könnte, doch da
musste Jana bereits lange unzufrieden gewesen sein. Warum hatte sie nicht früher etwas gesagt? Als es zum richtigen Bruch kam, hatte Jana ihm mit so viel aufgestauter
Wut ihre Vorwürfe entgegengeschleudert, dass er erschrocken war, nicht bereits viel eher etwas gespürt zu haben.
Tief in Gedanken und Erinnerungen versunken brachte er die Fahrt hinter sich und parkte schließlich vor dem
großen Haus seiner Schwiegereltern.
Er klingelte und Jana öffnete. »Hallo Simon.«
Sie umarmten sich kurz und er küsste sie auf die
Wange. Zum Glück hatten sie es geschafft, sich einen fast
freundschaftlichen Umgang anzugewöhnen.
Sie traten ein und er blickte sich um. »Sind deine Eltern
nicht da?«
»Nein, sie besuchen Freunde, damit wir in Ruhe reden
können.«
Im Wohnzimmer hatte Jana Kaffeebecher und eine
Thermoskanne auf den Tisch gestellt. Er setzte sich zu ihr.
34
»Was machst du in diesem Kaff, wie hieß das noch,
Nordstrand?«, fragte sie beiläufig.
»Ich recherchiere für eine Story.«
»Oh, ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass da
was interessant sein könnte.«
»Da wohnt Romy Scott.«
»Die Schriftstellerin?«
»Genau die.«
»Ach, um die wird doch ein Geheimnis gemacht. Niemand kennt ihren richtigen Namen oder weiß, wie sie
aussieht.«
»Stimmt. Ich habe sie gesucht und in Nordstrand
gefunden.«
»Interessant. Und wie ist sie so?«
»Langweilig, unfreundlich, hässlich.«
Jana lachte. »Ehrlich?«
»Ja.« Simon sah seine Frau an. Sie sah heute gut aus,
trug die langen blonden Haare offen und ihr Gesicht wirkte selbstbewusst, entspannt und zufrieden. »Du bist richtig
froh, dass wir nicht mehr zusammen sind, oder?«
Sie warf ihm einen langen Blick zu. »Ja, ich bin froh.
Es ging einfach nicht mehr. Das weißt du auch, wenn du
ehrlich bist.«
»Ich frage mich immer wieder, warum es mit uns so bergab gegangen ist, und warum wir es nicht früher gemerkt
haben. Vielleicht hätten wir das Ruder noch herumreißen
können. Du hast nie gesagt, dass du nicht glücklich bist.«
Jana lehnte sich zurück und musste lachen. »Nichts
gesagt? Du wolltest nichts hören!«
»Wie meinst du das?«
»Ich habe dir immer wieder gesagt, dass es ätzend
war, wenn du immer so spät nach Hause gekommen bist,
dass ich es vermisst habe, von dir gestreichelt zu werden,
weil du abends noch ewig am Laptop gehockt hast, oder
wie schade ich es fand, dass wir nicht mehr abends mal
35
romantisch essen gegangen sind. Ach, ich könnte jede
Menge Beispiele aufzählen.«
Simon erinnerte sich an so manchen Vorwurf im Alltag, jedoch hatte er damals nicht begriffen, dass es bereits
um seine Ehe ging. »Ich habe nie verstanden, wie unglücklich du warst. Du hättest es deutlicher sagen müssen.«
»Nein, mein Lieber, wenn dir unsere Ehe wichtig gewesen
wäre, hättest du mal von selbst mehr nachdenken müssen.«
»Ich dachte, du bist eine emanzipierte Frau, die sagt,
was sie will.«
»Das hat doch nichts mit Emanzipation zu tun. Das hat
was mit Liebe zu tun.«
Er dachte an die letzte große Szene, die sie ihm vor ihrem Auszug gemacht hatte, als sie ihm das Buch von Romy
Scott an den Kopf geworfen hatte. »Ich habe übrigens die
Bücher dieser Scott inzwischen gelesen. Hättest du dir unsere Ehe wirklich so gewünscht?«
»Was meinst du mit ‚so’?«
»Diese Männer in diesen Büchern, solche Machos, solche Sexszenen, hättest du dir gewünscht, dass ich so bin?
Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.«
»Es geht doch in diesen Büchern nicht um die Sexszenen. Es geht um … Romantik und um … Achtsamkeit.
Frauen wollen spüren und erleben, dass sie geliebt und begehrt werden.«
»Das ist doch total unrealistisch und nicht
alltagstauglich.«
Traurig blickte Jana ihn an. »Ja, leider.« Eine Weile
schwiegen sie, schließlich räusperte sie sich. »Also, warum ich dich um ein Gespräch gebeten habe … Ich … liebe
einen anderen Mann und gehe mit ihm nach London. Ich
möchte deshalb, dass wir alles, was unsere Ehe angeht,
vollständig und endgültig regeln.«
»Was?«
»Ich habe da ein gutes Jobangebot.«
36
Simon starrte sie an. »So schnell lässt du dich auf einen
neuen Mann ein? Und gehst gleich mit dem ins Ausland?«
Jana schwieg und blickte betreten auf ihren Kaffee.
»Du kennst den schon länger.«
Sie nickte.
»Wie lange?«
»Das ist doch egal.«
»Sag nicht, du hattest schon was mit dem, als wir noch
zusammen waren?«
Sie reagierte nicht.
Er lachte ungläubig auf. »Du hast mich betrogen und
dich wegen eines anderen von mir getrennt?«
»Ich habe mich nicht wegen des anderen von dir getrennt. Ich habe mich verliebt, weil unsere Ehe nicht funktionierte. Das spielt doch nun wirklich keine Rolle mehr.«
Simon zwang sich, ruhig zu bleiben, doch der Zorn tobte
in ihm. Beherrscht und reserviert besprach er mit Jana, was
es an Formalitäten noch zu regeln gäbe, dann verabschiedete er sich und raste viel zu schnell über die Autobahn.
Am Nachmittag kehrte Simon nach Nordstrand zurück.
Den ganzen Sonntag lang verließ er das Haus nicht. Er
war traurig und wütend, frustriert und beleidigt. Der Vorwurf seiner Frau, er hätte merken müssen, dass es ihr nicht
gut ging, traf ihn tief. Nun auch noch zu erfahren, dass er
belogen und hintergangen worden war, schmerzte noch
viel mehr. Der Zorn tat immer noch fast körperlich weh.
37
Kapitel 6
a, das ist eine gute Idee.« Als wollte sie sich selbst
Mut zusprechen, bestätigte sich Hanna nun bereits
zum dritten Mal, dass ihre Entscheidung, in die
»
Stadt
tadt zu fahren und endlich mal ein paar neue Hosen,
Blusen und Pullover zu kaufen, richtig gewesen war. Das
ganze Wochenende über hatte sie an ihrem Roman geschrieben und war an beiden Tagen nachmittags spazieren
gegangen. Aus unerfindlichen Gründen hatte sie darauf
gewartet – oder gehofft? –, diesen Mann wiederzusehen,
und plötzlich fühlte sie das Bedürfnis, ihr Leben irgendwie
zu ändern.
Nun war Montag.
Hanna blickte aus dem Zugfenster auf die vorbeirasende Landschaft. Sie hatte ihr Auto am kleinen Nordstrander Bahnhof stehen gelassen und war in den Zug
gestiegen, um für einen Stadtbummel nach Bremen zu
fahren. Es war das erste Mal seit ihrem Umzug nach
Nordstrand, dass sie den Weg in eine große Stadt wagte.
Ein seltsames Gefühl.
Vom Hauptbahnhof aus wanderte sie in eine Fußgängerzone, um zu den großen Kaufhäusern zu gelangen. Die
vielen um sie herumhastenden Menschen waren ihr unheimlich. Wurde wirklich Zeit, dass sie mal wieder unter
Leute kam. Sie benahm sich wie eine alte Oma, die zum
ersten Mal ihr Dorf verließ. Furchtbar. Tief durchatmend
versuchte sie, sich auf die Auslagen in den Schaufenstern
zu konzentrieren und betrat schließlich ein Kaufhaus, um
unentschlossen durch die Gänge mit Kleiderständern zu
irren.
»Kann ich Ihnen helfen?«
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Hanna wandte sich um und blickte in das freundliche Gesicht einer jungen Verkäuferin. »Ja, ich suche eine
schlichte, normale Jeans. Haben Sie da was?«
Die Verkäuferin blickte einmal abschätzend auf ihre
Beine. »Klar, kommen Sie mit, hier entlang.«
Sie folgte erleichtert.
»Probieren Sie die mal, die müsste passen.«
»Meinen Sie? Die sieht so eng aus?« Zweifelnd hielt
Hanna die Hose vor sich.
Die Verkäuferin grinste. »Sie sind doch schlank, probieren Sie mal.«
Hanna betrat eine Kabine und zog die Jeans an. Sie
hatte in den letzten Jahren nur weite und unförmige Hosen gekauft. Nun fühlte sie sich seltsam in der modernen,
engen Jeans, die ihre schlanken Beine sehr zur Geltung
brachte. Zögernd trat sie draußen vor den Spiegel, wo die
Verkäuferin bereits wartete.
»Wow, die steht Ihnen wirklich gut.«
»Meinen Sie wirklich? Bin ich nicht zu alt für so eine
Hose?«
»Zu alt? Wie kommen Sie denn auf die Idee?«
Sie schmunzelte. Die junge Verkäuferin mit ihrer sorglosen fröhlichen Art gefiel ihr. »Na gut, okay, dann nehme
ich die«, entschied sie. »Ich brauche auch ein, zwei Blusen
und Pullover, nicht so modisch, eher normal, nicht so …
auffällig?«
»Haben wir. Warten Sie, ich hole mal ein paar passende
Sachen her.«
Schon lief die junge Frau zielstrebig los, und Hanna
blieb vor dem Spiegel stehen, um sich weiter kritisch in
der neuen Hose zu betrachten.
»Ich finde, die steht dir ausnehmend gut«, lobte plötzlich eine Männerstimme aus dem Hintergrund.
Hanna zuckte zusammen, fuhr herum und stand Simon gegenüber. Sie fühlte Hitze in sich aufsteigen.
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Er lehnte lässig mit seiner Kamera um den Hals an einem Kleiderständer, betrachtete ungeniert ihre Beine und
grinste sie an.
»Äh … hallo, das ist ja eine Überraschung. Was machst
du hier?« Ihre Stimme klang nicht gerade begeistert.
Unbeeindruckt trat er näher. »Bin auch heute auf die
Idee gekommen, ein bisschen einzukaufen. Habe allerdings noch keine so gut passende Hose gefunden wie du.«
Hanna wollte im Erdboden versinken. Sie hatte das Gefühl, sich ihm schamlos zur Schau zu stellen und spürte seine
Blicke fast körperlich. »Ich ziehe mich mal schnell wieder
um«, stieß sie hervor und wollte in die Kabine verschwinden.
Doch da kam die junge Verkäuferin schon wieder und brachte einen ganzen Stapel an Blusen, Pullovern und Blazern mit.
»Ah.« Simon grinste. »Das wird hier ein Großeinkauf.
Ich bin dir gern bei der Auswahl behilflich.«
Hanna fluchte innerlich. Schlimm genug, sich nach so
vielen Jahren in einem neuen, modernen Stil auszuprobieren. Nun auch noch Simon als Zeugen dabei zu haben,
war ihr schrecklich unangenehm.
Er schien es selbstverständlich zu finden, sich auf einen
Stuhl zu setzen und darauf zu warten, dass sie sich in neuen Sachen präsentieren würde.
Sie wäre am liebsten davongelaufen, wusste aber, dass
sie sich mit einer solchen Aktion ziemlich lächerlich machen würde. So ergab sie sich in ihr Schicksal.
»Die Bluse sieht gut aus, aber dieses Tuch passt nicht
dazu«, kommentierte er und zeigte auf ihren Hals.
»Ich habe Halsschmerzen.«
Die Verkäuferin kam und hielt triumphierend ein anderes Halstuch in der Hand. »Hier, nehmen Sie das, das
passt besser zu Ihrem neuen Outfit.«
»Danke.«
Simon hielt ihr die Hand entgegen. »Gib her, ich nehme das so lange.«
40
»Nicht nötig«, presste sie hervor und stürzte panisch
an ihm vorbei. Erstaunt zog er die Augenbrauen in die
Höhe, sagte aber nichts.
Schnell wechselte Hanna das Tuch und kam erneut
hinter dem Vorhang hervor. Sie starrte in den Spiegel.
Simon stand auf und stellte sich hinter sie. Zärtlich
legte er seine Hände auf ihre Schultern. »Du machst ein
Gesicht, als ob einkaufen wehtut. Dabei siehst du in diesen
Sachen sexy aus.«
Hanna bekam eine Gänsehaut. Sie sah im Spiegelbild
sein Gesicht neben ihrem und seine Stimme klang so sanft,
weich und überzeugend, wie sich seine Hände auf ihren
Schultern anfühlten. Sie räusperte sich. »Meinst du?«
»Ja, das meine ich.«
Sie lächelte. »Okay, dann bist du schuld, dass ich wie
ein bunter Pfau herumlaufe.«
»Die Schuld nehme ich gern auf mich.«
Endlich zog sie wieder ihre alten Sachen an. Simon hatte
sie immer wieder fröhlich dazu gebracht, noch weitere neue
Outfits auszuprobieren, sodass nun eine bunte Auswahl an
neuen Klamotten vor ihr lag, für die sie sich entschieden
hatte. »Das reicht für die nächsten zwanzig Jahre«, stöhnte
sie und war gleichzeitig glücklich über den Tag, den Zufall,
Simon getroffen zu haben, und die Sachen, die wieder Farbe
und Licht in ihr Leben bringen würden.
»Nach so viel einkaufen brauchen wir eine Pause. Gehen wir Kaffee trinken? Oder ein Eis essen? Ich lade dich
ein.«
Hanna war einverstanden. Sie wanderten die Fußgängerzone entlang auf der Suche nach einem Café.
»Du bist nicht oft unterwegs, oder?«, fragte er.
»Warum?«
»Du wirkst irgendwie so, als würdest du dich nicht
wohlfühlen.«
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»Stimmt, tu ich auch nicht. Ich mag diese Hetzerei und die
vielen Menschen nicht mehr.« Fragend blickte er sie an, aber
sie hatte nicht die Absicht, weitere Erklärungen abzugeben.
Was spielte sie ihm hier für eine Show vor, dieses kleine,
falsche Biest? Simon saß Hanna im Zugabteil gegenüber
und betrachtete ihr Gesicht, während sie mit leerem Blick
aus dem Fenster in die Dunkelheit starrte und anscheinend mit ihren Gedanken weit weg war.
Natürlich war es kein Zufall gewesen, dass sie sich getroffen hatten. Er war ihr zum Bahnhof gefolgt, ebenfalls in
den Zug gestiegen und hatte sie schließlich fotografiert, als
sie in der Fußgängerzone die Auslagen betrachtete. Er freute sich schon darauf, diese Bilder zu veröffentlichen. Die
Frau, die ihre Romanheldinnen so schick und sexy anzog,
lief in Kleidung durch die Stadt, die nicht mal achtzigjährige Frauen tragen würden, und das, obwohl sie garantiert
so viel Geld auf dem Konto liegen hatte, dass sie modernste
Designermode kaufen könnte. Während ihrer Kleideranproben hatte sie wie umgewandelt gewirkt, schlank, jung
und drahtig. Der Blick auf ihre nicht zu großen Brüste und
den strammen, wohlgerundeten Po hatte ihn nicht kalt gelassen. Es passte einfach nicht, dass sich eine Frau mit einem
so perfekten Körper dermaßen unvorteilhaft anzog.
Wahrscheinlich war sie krankhaft geizig. Er beschloss,
bei Gelegenheit mal einen heimlichen Blick in ihren Kleiderschrank zu werfen. Er würde dafür sorgen, dass er ihren
Hals zu sehen bekam. Er musste einfach wissen, warum sie
den versteckte. Bestimmt ein hässliches Tattoo … oder ein
peinliches … und das bekam er auch noch aufs Foto.
Simon grinste in sich hinein. Er war nicht umsonst
Journalist und hatte schon einige Ideen, wie er seine Neugierde befriedigen wollte.
42
Kapitel 7
m nächsten Tag konnte sich Hanna nicht auf ihre Arbeit konzentrieren. Sie versuchte, zu schreiben, doch
die Gedanken schweiften immer wieder zu ihrem
neuen Nachbarn auf Zeit ab.
Es war seltsam gewesen, wieder in die Stadt zu fahren,
so viele Menschen um sich herum zu sehen und vor allem
von so vielen Menschen gesehen zu werden. Ob die Zeit der
freiwillig gewählten Einsamkeit nun ein Ende hatte? Oder
war es nur ein kurzes Aufflackern normalen Lebens, das
ihr gerade die Ruhe raubte? Ein Aufflackern, das erlöschen
würde, wenn Simon seinen Urlaub in Nordstrand beendete.
Am Nachmittag hielt sie es drinnen nicht mehr aus. Sie
zog eine alte Jeans, einen ihrer Rollkragenpullover und darüber eine dicke Weste an. Sie radelte los und wählte den
Weg ins Dorf, um ihre Post zum Briefkasten zu bringen
und im Laden einige Kleinigkeiten einzukaufen.
Simon hatte sein Auto aus der Werkstatt abgeholt und beschlossen, noch einige Kleinigkeiten einzukaufen, bevor
er wieder in sein Feriendomizil zurückkehren würde.
Nachdem er den kleinen Dorfladen verlassen und wieder
in sein Auto gestiegen war, sah er Hanna mit dem Fahrrad
näher kommen. »Oh, die ist aber mutig.« Dunkle Wolken
kündigten einen ordentlichen Schauer an. Im ersten Moment wollte er aussteigen und ihr anbieten, sie mit zurückzunehmen, doch es war eine gute Gelegenheit, die
Recherchen voranzubringen. Er wartete ab, bis sie ihr Rad
abgestellt und den Laden betreten hatte.
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Simon stieg aus, blickte sich noch mal um und schlug
mit seinem Taschenmesser ein kleines Loch in den Reifen,
sodass die Luft bei Belastung schnell entweichen würde.
Er stieg zurück in sein Auto und wartete. Da er hinter
einem anderen Wagen parkte, konnte sie ihn beim Herauskommen nicht sehen, sondern würde auf einem Rad
losradeln, das langsam einen platten Reifen bekäme. Mit
etwas Glück begänne es ordentlich zu gießen, sodass er sie
durchnässt und frierend retten könnte. »Wer durchnässt
ist und friert, muss sich umziehen und dabei wird meine
Kamera zuschauen. Irgendwie bekomme ich das schon
hin.« Grinsend lehnte er sich in seinem Autositz zurück.
Nachdem sie losgefahren war, wartete er noch eine
Weile. »Wollen wir dich mal nicht zu früh retten, sonst bist
du noch nicht nass genug.« Fröhlich pfiff er mit der Radiomusik mit.
Hanna fluchte, als sie die ersten Regentropfen abbekam.
»Was für eine blöde Idee, an so einem Tag mit dem Rad
loszufahren!«
Schnell befestigte sie den Einkaufskorb auf dem Gepäckträger und radelte los. Kurze Zeit später spürte sie
das Ruckeln im Reifen. »Auch das noch. Na Klasse.«
Sie nahm die Luftpumpe und versuchte, den Reifen
wieder aufzupumpen, doch das leise Pfeifen der heraustretenden Luft ließ sie erkennen, dass ihre Bemühungen
vergeblich waren. Nun wurde auch der Regen schlimmer,
und ihr blieb nichts anderes übrig, als zu schieben.
Als sie in den kleinen Weg abbog, der zu den drei
Ferienhäusern führte, war sie schon bis auf die Knochen
durchnässt und zitterte vor Kälte.
Da hörte sie einen Motor hinter sich. Sie blickte sich um
und erkannte Simon. Er hielt an und öffnete die Klappe
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zum Kofferraum. »Steig ein«, rief er und griff nach dem
Rad, ohne lange zu fragen, ob ihr das auch recht sei, was ihr
in diesem Fall allerdings auch definitiv nichts ausmachte.
Glücklich ließ sie sich auf den Sitz fallen, während er
das Rad hinten verstaute.
Er stieg ein und startete den Motor. Mitleidig musterte
er sie. »Hey, du bist ja total durchnässt.«
»Ja, mein Reifen ist platt und ich hatte kein Regenzeug
dabei. Danke für die Rettung, aber ich fürchte, ich versaue
dir gerade das Auto.«
»Gern geschehen. Die Beule ist raus, da kann nun der
Sitz dran glauben.« Er grinste.
Hanna verdrehte peinlich berührt die Augen. Die nassen Haare hingen in Strähnen an ihrem Gesicht hinunter
und sie zitterte.
»Du musst dich zu Hause sofort umziehen, sonst holst
du dir den Tod.«
Sie nickte.
Er hielt vor ihrem Haus. Sie stellte sich unter das Vordach und suchte in der Hosentasche nach dem Schlüssel,
während er den Kofferraum öffnete. Der Regen hatte
glücklicherweise nachgelassen. Er stellte ihr den Korb vor
die Füße und zog das Rad aus dem Auto.
»Mist, mein Schlüssel ist weg.«
»Dann kommst du jetzt eben mit zu mir und wir suchen nachher gemeinsam den Weg ab.« Widerstrebend
ließ sie sich wieder ins Auto schieben, und er schlug die
Tür hinter ihr zu.
Als sie in seinem Häuschen standen, öffnete er gleich
die Badezimmertür und zeigte hinein. »Zieh alles aus und
schlüpf in meinen Bademantel.«
»Ist nicht so schlimm, ich brauche nichts ausziehen.
Schon gut.«
Er drückte mit Daumen und Zeigefinger den Ärmel ihres
Pullovers. »Durchnässt! Das kannst du nicht anbehalten.«
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Zögernd zog sie die Weste aus, weigerte sich aber vehement, auch den Pullover überzuziehen. Sie versuchte
krampfhaft, ihr Kältezittern zu verbergen.
Kopfschüttelnd beobachtete er sie. »Bist du so prüde,
dass du dir lieber eine Lungenentzündung holst, als im
Bademantel vor einem Mann zu stehen?«
Hanna kniff die Lippen zusammen.
Unbeeindruckt griff er ungeduldig nach ihrem Arm.
»Komm. Du holst dir ja den Tod.« Er zerrte sie in das Schlafzimmer, öffnete den Schrank und holte einen Rollkragenpullover und eine Jogginghose heraus. »Zieh das an! Mir
wird schon kalt, wenn ich dich nur zittern sehe. Wenn du
nicht in fünf Minuten umgezogen bist, übernehme ich das.«
Er warf die Sachen auf das Bett, verließ den Raum und
schloss mit einem Knall die Tür hinter sich.
Aufatmend zog sie sich um.
Simon unterdrückte die Idee, durchs Schlüsselloch zu
spähen. Stattdessen ging er in die Küchenecke und setzte
Wasser auf, um einen Tee zu kochen. Als sie in seinen Sachen wiederkam, verdrehte er innerlich die Augen. Sie sah
aus wie ein kleines, geprügeltes Kind in den viel zu großen
Klamotten und den immer noch in nassen Strähnen herunterhängenden Haaren.
Er verkniff sich das Lachen, fasste sie an den Schultern
und schob sie in Richtung Badezimmer. Dort stellte er sie
vor den Spiegel und griff nach dem Fön. »Hey!«, protestierte sie, doch er befahl »Stehen bleiben«, steckte den Stecker ein und schaltete das Gerät an.
Hanna bewegte sich nicht. Sie hielt still, als wäre sie
zur Salzsäule erstarrt und zog die Schultern so konstant
hoch, als hätte sie Angst, er wollte sie mit dem Kabel des
Föns erwürgen.
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Schließlich trat er zurück. »So, fertig. Setz dich im Wohnzimmer auf den Sessel am Ofen, da wirst du schnell wieder
warm.«
Sie gehorchte und sah zu, wie er Teekanne und Becher
auf den niedrigen Couchtisch stellte.
Während sie tranken, beobachtete er sie unauffällig. Seine stolze, emanzipierte Frau hatte die Bücher von diesem
naiven, lächerlichen Mädchen gelesen, die anscheinend
überhaupt keine Ahnung hatte, wie Ehe und Liebe im modernen Leben funktionieren. Nicht mal ausziehen konnte
sie sich vor ihm. Es ärgerte ihn, dass sein Plan nicht funktioniert hatte und er hier nun seine Zeit mit so einem verklemmten Etwas verbrachte, ohne weitere Erkenntnisse zu
gewinnen.
Er hatte ihr sogar die Haare geföhnt, um einen Blick unter ihren Rollkragen zu erhaschen, aber nicht mal das war
möglich gewesen, weil sie so verkrampft gewesen war.
Plötzlich kam ihm eine gemeine Idee.
Hanna saß in Simons dicken, gemütlichen Sachen am Ofen
und wurde langsam wieder warm. Als er ihr die Haare geföhnt hatte, hätte sie sich fast an ihn gelehnt. Sie hatte jede
Berührung seiner Hände an ihrem Kopf und im Nacken
so intensiv gespürt, als würden aus seinen Fingern sanfte
Wellen durch ihre Haut fahren und Wärme und Wohlbehagen tief in ihrem Inneren verbreiten. Sie fühlte sich so
geborgen und versorgt wie seit ihrer Kindheit nicht mehr.
Er brachte ihr sogar Tee, und sie wünschte, dieser Nachmittag würde niemals enden.
Jetzt stand er auf, trat an den Schrank und schaltete
sein iPad ein. Es erklang eine romantische, alte Rockballade. Simon sah aus dem Fenster. »Oh, wie schön! Komm
mal her, das musst du sehen!«
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Er winkte ihr begeistert zu. Neugierig stand sie auf und
trat neben ihn. Suchend wanderte ihr Blick den Horizont
ab, konnte jedoch nichts Besonderes entdecken. Irritiert
sah sie zu ihm auf.
Er schmunzelte, drängte sie frech seitlich gegen die
Wand und stützte sich gegen die Tapete ab, sodass ihr der
Rückweg versperrt war. »So fängt man Mädchen.«
Ihr Herz klopfte schneller. Die Situation kam ihr irgendwie bekannt vor, als hätte sie sie schon einmal erlebt.
»Hey!« Verlegen legte sie ihre Hände auf seine Brust in
dem halbherzigen Versuch, ihn wegzudrängen.
»Was bietest du für deine Freiheit?«
Nervös spielte sie an seinen Hemdknöpfen.
Amüsiert zog er die Augenbrauen hoch. »Oh, willst du
mich schon ausziehen?«
»Nein!« Peinlich berührt drückte sie gegen seinen Arm,
um sich zu befreien.
»So wird das nichts. Wie wäre es mit einem klitzekleinen Kuss?«
Hannas Herz schlug bis zum Hals. Sie spürte seine
Kraft und fühlte tief in ihrem Unterleib die Wellen der
sexuellen Erregung. Nun fasste er mit einer Hand in ihren Nacken und strich sanft mit dem Daumen über ihre
Wange. Da kam ihr die Erkenntnis wie ein heller Blitz. Er
spielte eine Szene aus ihrem letzten Roman nach. War das
Absicht oder einfach Zufall?
Grinsend musterte er ihr Gesicht. »Hast du
Lampenfieber?«
Auch dieser Satz stand in ihrem Buch. Das konnte kein
Zufall sein. Sie runzelte die Stirn. Was sollte das?
Er grinste frech weiter, strich ihr nun betont sanft die
Haare aus der Stirn und über die steile Falte zwischen ihren Augen, während er mit dem anderen Arm weiterhin
den Weg versperrte. »Bist du jetzt böse? Andere Frauen
finden das erotisch.«
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Sie räusperte sich und wollte ihn zur Rede stellen,
doch er näherte sich ihrem Gesicht, gab ihr einen leichten,
hauchzarten Kuss auf die zusammengekniffenen Lippen
und ließ sie schmunzelnd los.
»Ich fürchte, weitere Spielchen müssen wir auf einen
anderen Zeitpunkt verlegen, wenn wir deinen Schlüssel
noch im Hellen suchen wollen.«
Irritiert stand sie da und fühlte sich wie ein dummes,
naives, kleines Kind. Unsicher und gleichzeitig sauer auf
sich selbst, weil sie sich von ihm so in Verlegenheit hatte
bringen lassen, ging sie in den Raum zurück und räusperte sich. »Ja, unbedingt.«
Draußen meinte Simon, er wolle doch noch mal im Auto
suchen, bevor sie den ganzen Weg zurückfahren würden
und tatsächlich lag der Schlüssel unter dem Teppich der
Ladefläche. So konnte er sie ohne weitere Umwege nach
Hause fahren.
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Kapitel 8
m Vormittag des nächsten Tages stand Hanna vor
dem Spiegel in ihrem Schlafzimmer und probierte
die neuen Sachen an. Immer wieder sah sie statt
ihres Spiegelbildes sein Gesicht vor ihrem inneren Auge
und träumte davon, zärtlich in seine Arme zu sinken. Er
hatte das Gesicht von Simon, doch den Charakter ihres
Romanhelden, und ihr Herz klopfte schneller bei dem Gedanken, sie könnte ihre Fantasien von Liebe und Hingabe
real erleben. Diese Vorstellung erregte sie, bis sie die Hitze
zwischen ihren Beinen kaum noch ertragen konnte.
Sie nahm seinen Pullover und hielt ihn sich vor das Gesicht. Er roch nach Aftershave. Sie erinnerte sich, wie er sie
an die Wand gedrängt gefangen genommen hatte, fühlte
seine Stärke und die Zärtlichkeit seiner streichelnden Finger und wieder wuchs die Erregung. In ihre Fantasien versunken stand sie vor dem Spiegel, knöpfte die Bluse auf
und strich mit einer Hand sachte über eine Brustwarze, so
wie es ihre Romanhelden in fast allen Geschichten immer
wieder taten. Sofort fühlte sie die Feuchtigkeit in ihrem
Slip und das Pulsieren in den tiefen Muskeln ihrer Vagina.
Sie sank aufs Bett, öffnete die Hose und verhalf sich mit
geübtem Fingerspiel zu einem Orgasmus.
Stöhnend erhob sie sich anschließend wieder. Sie
musste sich zusammenreißen und sich diesen Typen aus
dem Kopf schlagen.
»Wenn du Nein sagst, muss ich das alles allein verzehren,
das kann ich unmöglich schaffen.«
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Mit einem entwaffnenden Lächeln hielt er ihr in der einen Hand die großen Pizzapackungen entgegen, während
er in der anderen Hand eine Flasche Rotwein schwenkte.
Hanna öffnete die Tür, damit er eintreten konnte.
Als es so spät am Abend geklingelt hatte, war sofort der
Wunsch, er möge es sein, ihr erster Gedanke gewesen. Ihr
Herz schlug Purzelbäume, als er tatsächlich vor ihr stand.
Sie stellte Teller und Gläser auf den kleinen Küchentresen, während er sich aus seiner Jacke schälte und die
Kamera auf den Wohnzimmertisch legte. »Du hast eine
der neuen Blusen an. Steht dir gut.«
Das Kompliment verfehlte seine Wirkung nicht. Verlegen senkte sie den Kopf. »Danke. Hast du eigentlich
immer deinen Fotoapparat dabei?«
Er grinste. »Ich habe immer Angst, dass mir ausgerechnet, wenn ich mal ohne Kamera unterwegs bin, das Motiv
des Jahrhunderts begegnet.«
Sie zog eine Schublade auf und griff nach dem
Korkenzieher.
»Lass mich das machen.« Er lächelte und berührte
leicht ihre Hand, als er ihr den Flaschenöffner abnahm.
Während sie aßen, wurde Hanna immer fröhlicher. Er
verstand es, sie in eine lockere Plauderei über belanglose
Themen zu ziehen, der Wein wirkte entspannend und die
gemütliche Atmosphäre in dem kleinen Häuschen tat ihr
Übriges.
Nachdem sie gegessen hatten, gingen sie hinüber ins
Wohnzimmer. Im Vorbeigehen zog Simon den zuletzt
von Romy Scott veröffentlichten Roman aus dem Regal
und ließ sich damit auf einen Sessel fallen. »Meine Frau
hat das auch gelesen. Sag mir, was findet ihr an solchen
Geschichten?«
Hanna war innerlich zusammengezuckt, als er nach
dem Buch gegriffen hatte, beruhigte sich wieder und setzte sich ihm gegenüber auf die Couch. Nein, er hatte keine
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Ahnung. »Es sind einfach schöne Bücher für gemütliche
Abende.«
Nachdenklich blickte er auf das Cover. »Wollt ihr die
Männer wirklich so … machohaft?«
Sie lächelte. »Na ja, kann schon anregend sein – natürlich nur, wenn es derjenige ist, bei dem man das auch will,
also nicht ein Fremder oder so.«
Simon blätterte in dem Buch, als ob er eine bestimmte
Seite suchen würde. Sie spürte ein nervöses Kribbeln in
ihrem Bauch.
»Hier, da ist so eine Stelle«, begann Simon. »Er versperrte ihr die Tür, sodass Ina in dem kleinen Raum gefangen war. Ihr
Herz klopfte schneller. »Lass mich durch! Was soll das!«, fauchte
sie ihn an.
In aller Ruhe betrachtete er sie in dem engen, kurzen Rock
und der weißen fast durchsichtigen Bluse. Er trat einen Schritt
näher, und sie hob die Hände, um sich gegen ihn zu wehren, doch
bevor sie wirklich realisierte, was geschah, hatte er sie mit festem
Griff an den Handgelenken gepackt und schob sie langsam rückwärts zum Bett. Sie versteifte sich, doch er ließ sich nicht beirren.
»Hör auf, dich zu wehren, du wartest doch schon lange darauf, dass ich das endlich wahr werden lasse«, hörte sie seine
sonore Stimme.
Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass er sie durchschaut hatte. Immer wieder hatte sie sich vorgebetet, dass sie kein Interesse
an einem derart arroganten und frechen Typen hätte und doch
konnte sie sich nicht dagegen wehren, sich danach zu sehnen,
von ihm angefasst zu werden.
Gegen seinen festen Griff war sie wehrlos. Jeder Versuch
einer Befreiung war nur Kraftverschwendung, und so ergab sie
sich und ließ sich widerstandslos auf das Bett drücken. Er legte
sich neben sie, stützte sich auf und hielt dabei lässig, locker ihre
Hände über ihrem Kopf fest. Mit der anderen Hand öffnete er
die ersten Knöpfe ihrer Bluse. Er zog kaum spürbar Linien und
Kreise auf den Ansätzen ihrer Brüste. Ina fühlte die Berührungen
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wie heiße Blitze, und augenblicklich zogen sich ihre Brustwarzen
zusammen und verrieten schamlos ihre Erregung.
»Oh, wie schön«, lobte er und lächelte. Sanft, fast beiläufig, berührte er eine der harten Knospen, die sich deutlich durch
den Stoff der Bluse drückten, und Ina stöhnte unwillkürlich
auf. »Du bist ein bisschen schüchtern, nicht wahr? Das macht
nichts. Sag mir nur einmal, dass ich weitermachen soll, und ich
zeige dir, wie schön es sein kann, sich einem Mann vorbehaltlos
hinzugeben.«
Ina wehrte sich noch einmal, doch er hielt sie gnadenlos fest.
Scham und Lust stiegen gleichermaßen in ihr auf, und plötzlich
war alles egal. »Ja, bitte mach weiter«, flüsterte sie und hob ihre
Brüste lüstern seinen Händen entgegen.«
Simon grinste. Sein Blick wanderte unverhohlen zu
ihren Brüsten, als ob er die Härte ihrer Brustwarzen bereits durch den Stoff des Pullovers gesehen hätte. Hanna
rutschte auf der Couch hin und her. Sie versuchte, eine
unbeteiligte Miene zu machen, doch ihre Körpersprache
verriet ihre Unruhe.
»Also, meine Frau ist intelligent, emanzipiert und steht
mit beiden Beinen fest im Leben. Ich wäre im Traum nicht
darauf gekommen, so mit ihr umzugehen, und wenn ich
es gewagt hätte, wäre ich hochkant aus der Wohnung
geflogen, und sie hätte mich wahrscheinlich wegen Vergewaltigung angezeigt. Aber diese Bücher hat sie verschlungen. Warum? Kannst du mir das erklären?«
Hanna zuckte die Achseln. »Ich kenne deine Frau nicht.«
Simon grinste. »Nein, aber du liest auch diese Bücher.«
Während er auf eine Antwort von ihr wartete, beobachtete er sie. Nachdem sie im Laufe des Abends locker und
fröhlich geworden war, ließ sie sich wieder von ihm verunsichern. Sie wusste nicht, dass er wusste, dass sie diese
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Zeilen geschrieben hatte. Wie würde sie wohl reagieren,
wenn er jetzt …
Sexuelle Erregung wuchs in ihm. Die Macht, sie so leicht
in die Enge zu treiben, gemischt mit der Wut über seine kaputte Ehe, verursachten eine seltsame Art von Zorn und Lust.
Er wollte das Buch zuklappen und das Thema wechseln,
doch irgendetwas zwang ihn, die Situation nicht zu beenden.
Er beobachtete fasziniert, wie Hanna verlegen nach
einer Antwort suchte. In ihren neuen Sachen wirkte sie
jung und ziemlich sexy. Wusste sie, dass sie ihn mit ihrem
albernen, frechen Gehabe, das die Schüchternheit nicht
verbergen konnte, erst recht reizte? Plötzlich wollte er sie
unbedingt fotografieren und griff nach der Kamera.
»Nein.« Erschrocken starrte sie ihn an.
Er hob die Kamera vor sein Gesicht. Sie sprang auf und
wandte sich ab. «Hör auf, ich möchte nicht fotografiert
werden.«
Simon verfolgte ihren Weg durch die Linse und zielte
weiter auf sie. »Dreh dich um«, lockte er.
»Nein, leg das Ding weg.«
»Dreh dich um, komm schon, ein Foto tut nicht weh.«
»Bitte hör auf, ich meine das ernst. Ich möchte das
nicht.« Aus ihrer Stimme hörte er wachsende Panik heraus
und der Drang, sie weiter zu reizen, wurde übermächtig.
Sie lief durch den Raum in die Küchenecke. Er sprang
auf und folgte ihr, bis hinter den Tresen. Sie wandte ihm
den Rücken zu, und er versperrte ihr den Weg.
»Jetzt sitzt du in der Falle.« Er grinste und beobachtete,
wie sich ihre Schultern verkrampften. Plötzlich hatte er
Lust, richtig gemein zu werden. »Okay, du bist gefangen,
und ich habe Zeit. Ich warte so lange – und glaub mir, als
Fotograf ist man Warten gewohnt –, bis es dir zu langweilig wird, den Schrank anzustarren, und dann mache ich
ein schönes Foto von dir. Vorher nehmen wir noch dieses
blöde Halstuch ab.«
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Fasziniert bemerkte er, wie sie erstarrte und sich ihre
Hände krampfhaft in die Kante des Schrankes krallten.
»Na, was ist?« lockte er leise und wartete gespannt. Sie
schenkte ihm wieder diesen Moment der Wandlung, den
er bereits an dem Tag, an dem er sie mit der Kamera in
der Hand in seiner Wohnung erwischt hatte, seltsam aufreizend und erregend gefunden hatte.
Alle Spannung fiel von ihr ab. Sie wandte sich langsam
zu ihm um und blickte ihn in dieser seltsamen Mischung
aus Resignation und Hingabe an. Sie ergab, nein, sie unterwarf sich ihm. Langsam trat er dicht vor sie und legte
die Kamera beiseite. Er zog leicht an ihrem Tuch, sodass
der Knoten nach vorn rutschte. Er öffnete ihn, und als das
Tuch hinabfiel, legte er seinen Finger unter ihr Kinn, sodass sie den Kopf hob und ihn ansah.
Sein Blick fiel auf die Narbe. Er drehte ihr Gesicht ein
wenig zur Seite und hob die Haare an. Nun war der Blick
auf ihren Hals vollständig frei.
Sie rührte sich nicht, stand einfach da, blickte zur Seite
und wartete. Er betastete die Narbe und schob den Kragen
ihrer Bluse beiseite, um auch den Rest zu sehen.
»Wie ist das passiert?«, fragte er leise.
»Ein Messer.«
»Wer?«
»Mein Mann.«
Sie stand da wie ein Häufchen Elend. Simon wollte
Mitleid empfinden, aber es machte ihn zornig, dass sie
keinen Widerpart für seine Wut bildete, sondern ihm auch
noch ein schlechtes Gewissen verursachte.
Er wollte sich umdrehen und sie in Ruhe lassen, doch
wie unter Zwang blieb er vor ihr stehen. Durch den dünnen
Stoff ihrer Bluse hindurch konnte er die Konturen des BHs
erkennen. Ihre Brustwarzen drückten hart gegen den Stoff.
Wie hypnotisiert fuhr er leicht darüber. Sie zuckte zusammen
und atmete hörbar schneller, wehrte ihn jedoch nicht ab.
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Er griff in ihre Haare und zog sie langsam zu sich heran. Willig überließ sie ihm die Führung. Wieso wehrte sie
sich nicht? Zögernd begann er, sie zu küssen, und sie öffnete bereitwillig die Lippen. Es erregte ihn immer mehr,
sie so passiv zu halten.
Okay, wenn sie es nicht anders wollte.
Simon nahm fordernd von ihrem Mund Besitz. Er löste
sich von ihr, und sie wollte ihre Hände auf seine Brust
legen. Doch er griff nach ihren Handgelenken und führte
ihre Arme auseinander. Als ob sie wüsste, was ihm gefallen würde, stützte sie sich auf der Arbeitsplatte hinter ihr
ab, sodass sie sich ihm anbietend entgegenbog.
»Bleib so stehen«, flüsterte er.
Sie gehorchte, resigniert, willig, sah ergeben zu ihm
auf. Fasziniert begann er die Bluse aufzuknöpfen. Er befreite sie von ihrem BH und betrachtete ihre Brüste, deren
Knospen sich ihm hart und fordernd entgegenstreckten.
Ihre gehorsame, passive Haltung erregte ihn immer mehr.
»Du hast einen sehr schönen Körper.«
Sie war verlegen.
Er griff in ihren Nacken. Sofort legte sie wieder willig
den Kopf zurück. Nun begann er, ihren Hals entlang nach
unten und über eine Brust zu streicheln. Sie bebte, legte
ihre Hände an seine Hüften, um sich Halt zu geben und
streckte ihm ihre Brüste noch weiter entgegen, obwohl
die Stellung bereits ziemlich unbequem sein musste. Als
wollte er ausprobieren, wie lange sie dieses Spiel so hingebungsvoll mitspielen würde, begann er mit Daumen
und Zeigefinger ihre Brustwarzen erst sanft, dann mit
langsam steigendem Druck zu kneten. Sie stöhnte, zuckte
und seufzte, versuchte jedoch nicht, sich ihm zu entziehen.
Auch als er schließlich eine Brustwarze langsam schmerzhaft verdrehte, stöhnte sie und streckte sich ihm nur noch
williger entgegen.
»Gefällt dir das?«, flüsterte er an ihrem Hals.
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»Ja.«
»Möchtest du, dass ich weitermache?«
»Ja.«
Ihre geflüsterte, uneingeschränkte Zustimmung erregte
ihn so sehr, dass er alles wollte. Er schob sie nach hinten, sodass sie gegen den Küchenschrank lehnte, und öffnete ihre
Hose. Einen Moment genoss er den Anblick. »Zieh sie aus.«
Langsam, mit zitternden Händen zog Hanna die Hose
samt Slip hinunter, stieg hinaus und richtete sich wieder
auf. Sie stand nun vollkommen nackt, mit hochgezogenen
Schultern und gesenktem Kopf vor ihm.
Er fasste sie im Nacken. »Lass uns rübergehen.« Widerstandslos ließ sie sich in Richtung Wohnzimmer schieben.
Er konnte den Blick nicht von ihr lassen. Im Wohnzimmer
trat er dicht hinter sie und umarmte sie, sodass seine Hände ihre Brüste umfassten. Sie lehnte sich an ihn und schloss
die Augen. Während eine Hand weiter auf ihrer Brust lag,
wanderte er mit der anderen zu ihrem Schoß und fühlte
ihre Nässe und Erregung. Ja, sie wollte genau das, was er
mit ihr tat. Wieder kniff und verdrehte er ihre Brustwarze.
Sie zuckte, stöhnte auf. Er begann, mit Daumen und Zeigefinger ihre Schamlippen weit zu öffnen und daran zu
ziehen, während ihre Brust weiter leiden musste. Sie bebte
und wand sich in seiner Umarmung und machte keinen
Versuch, ihn abzuwehren. Er versank in ihrer Feuchtigkeit, die ihm noch einmal bestätigte, dass sie dieses Spiel
aus Schmerz und Gehorsam wirklich wollte und erregte.
Simon gab ihr einen Moment Pause und sie beruhigte
sich. »Geh vor«, befahl er heiser.
Sie gehorchte. Er fasste sie an den Armen und schob
sie weiter in den Raum. »Beug dich vor, über den Sessel.«
Er drückte gegen ihren Nacken, sodass sie sich über die
Lehne des Sessels beugte. Einen Moment blieb er einfach
stehen und sah auf sie hinab. »So ist es gut, und nun mach
die Beine breit.« Während seine Hand sie daran hinderte,
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sich aufzurichten, drückte er mit einem Oberschenkel ihre
Beine auseinander. Es musste sehr unbequem für sie sein.
Trotzdem wirkte sie vollkommen willig. Ihr Po wölbte sich
ihm rund und prall entgegen. Während eine Hand weiter
auf ihrem Rücken lag, strich er mit der anderen darüber
und wanderte zwischen ihre Beine. Sie seufzte und öffnete
sich noch weiter. Er teilte ihre Schamlippen und stimulierte ihre Klitoris. Ihr Atem ging schneller, während er ihren
Eingang suchte. Dann stieß er mit zwei Fingern hart in sie
hinein.
Der Angriff kam für Hanna überraschend, und sie
bäumte sich gegen seine Hand auf ihrem Rücken, doch
sofort ließ sie sich willig wieder sinken. Der Blick auf ihren
über den Sessel gebeugten Körper und diese so deutliche
Geste der Unterwerfung, trieben ihm einen neuen Schauder der Erregung über den Rücken.
Gekonnt massierte er ihre tiefen Muskeln und ihre Klitoris und trieb sie unnachgiebig und fordernd fast bis zu
einem Orgasmus. Er lächelte. »Einen Moment musst du
noch warten.« Er zog seine Finger zurück und sie seufzte
enttäuscht auf.
Er öffnete seine Hose. Sie wartete unbeweglich über
dem Sessel. Ihre Unterwürfigkeit und dieser Gehorsam
faszinierten ihn immer mehr. Er drängte seinen nun endlich befreiten Penis zwischen ihre Beine, und sie öffnete
sich bereitwillig noch weiter, während sie sich auf dem
Polster abstützte, um ihm uneingeschränkt zur Verfügung
zu stehen.
Er spreizte ihre Schamlippen, platzierte seine Eichel
und drang hart in sie ein. Sie wimmerte auf, und er zwang
sich, zu warten. Als er fühlte, dass sie sich entspannte
und weicher wurde, stieß er mehrmals fest zu, bis er sie
ganz ausfüllte. Hanna keuchte. Sie bewegte sich nicht. Es
musste sich für sie anfühlen, als hätte er sie aufgespießt. Er
strich ihr über den Rücken.
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Schwer atmend wartete er, bis ihre Muskeln dehnbarer
wurden und begann schließlich, sich in ihr zu bewegen.
Als er sicher war, dass es ihr nicht zu viel werden würde, verstärkte er seine Stöße und fühlte, wie sie ihm nun
ekstatisch, rhythmisch entgegenkam, bis schließlich ihre
tiefen Muskeln in den Wellen des Orgasmus’ seinen Penis
umschlossen. Mit einem animalischen Stöhnen stieß er
noch einige Male tief zu und entleerte sich zuckend in ihr.
Erschöpft hielt er sich an ihrer Taille aufrecht.
Sie brauchten einen Moment, um sich zu beruhigen.
Langsam richtete er sich auf und zog sich aus ihr zurück.
Hanna lehnte weiter über der Sessellehne, als wäre sie immer noch in ihrer Rolle gefangen.
»Du wirst ganz kalt«, flüsterte er heiser, strich über ihre
nackten Arme und zog sie hoch. Er griff nach der Wolldecke, die über dem anderen Sessel lag, und wickelte sie
darin ein. Plötzlich fühlte er die Ernüchterung und erschrak, zu was er sich gerade hatte hinreißen lassen. Er
nahm sie fest in die Arme, streichelte ihren Rücken hinunter und verbarg sein Gesicht an ihrem Hals. »Bist du
okay?« Sie nickte und lehnte sich an ihn. Er führte sie zur
Couch. »Setz dich. Ich hole was zu trinken.«
Langsam begann ihr Verstand, wieder zu arbeiten. Das
böse Gefühl des Misstrauens stieg wie eine dunkle Wolke
am Himmel drohend in ihr auf. Sie hatte sich ihm hingegeben und ihr tiefstes Geheimnis, ihre Schwäche, preisgegeben. Würde er sie nun ausnutzen? Verraten? Verachten?
Erschöpft sank sie auf die Couch und zog die Beine an,
als wollte sie sich in der Decke verkriechen.
Als er mit einer Flasche Wasser und Gläsern zurückkehrte, versuchte sie, in seinem Gesicht zu lesen. Sie sah
nur Zärtlichkeit und Wärme.
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Er setzte sich neben sie und legte den Arm um ihre
Schultern. »Hey, alles in Ordnung?« Sie nickte, doch er sah
ihr an, dass sie zweifelte. »Nein, nicht alles in Ordnung,
nicht wahr?« Sanft strich er ihre Haare zurück.
Sie lehnte sich an ihn. »Ich bin nur etwas durcheinander.
Ich … hab nicht damit gerechnet, dass so etwas passiert.«
»Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass so etwas
passiert.« Prüfend musterte er sie. »Ich hätte das nicht tun
dürfen, nicht auf diese Art. Ich habe es ausgenutzt, dass
du … nicht Nein sagen konntest.«
Schnell schüttelte sie den Kopf. »So ist das nicht. Ich
wollte es genauso wie du. Ich bin nun mal so …« Verlegen
lächelte sie ihn an.
Er goss ein, gab ihr ein Glas und sah schweigend zu,
wie sie trank. »Nein, du bist nicht glücklich darüber, dass
es passiert ist. Lüg mich nicht an.«
Einen Moment lang starrte sie still auf ihr Glas. »Wenn
man so ist wie ich, kann ein Mann das ausnutzen, mein
Mann hat das getan, und es hat lange gedauert, bis ich es
geschafft habe, mich gegen ihn zu wehren. Seitdem habe
ich immer Angst, mich noch einmal so … manipulieren
zu lassen. Heute war es mir zum ersten Mal egal, und ich
wollte genau das, was du getan hast.«
Auf einmal überfielen ihn die Schuldgefühle mit ganzer
Macht. Er war in böser und niederträchtiger Absicht gekommen. Es war Teil seines Planes gewesen, sie zu verunsichern, indem er ihr Buch aufgeschlagen und daraus
vorgelesen hatte, doch dass ihre Art, sich ihm so zu unterwerfen, diese unerwartete Erregung in ihm ausgelöst
hatte, dass er alles vergessen und nur noch den Moment
so intensiv mit ihr erlebt hatte, war nicht geplant gewesen.
Sollte er ihr die Wahrheit sagen? In was für einen Abgrund
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würde sie stürzen? Nie wieder würde sie ihm oder irgendeinem anderen Mann glauben können.
»Komm her, leg dich hin.« Er drückte sie an sich, sodass sie die Beine auf das Polster legte und sich zur Seite
sinken ließ. Er bettete ihren Kopf auf seinen Schoss und
ordnete sorgfältig die Decke über ihr. Dann begann er,
langsam und gleichmäßig über ihre Haare zu streichen.
»Ich bin noch nie so mit einer Frau umgegangen und hätte
mir auch nie träumen lassen, dass ich das einmal mache.
Es hat mich einfach überrannt, unerwartet. So wie du …
hat sich noch nie eine Frau mir gegenüber benommen.«
Sie antwortete nicht, und eine Weile hingen sie still
ihren Gedanken nach.
»Mach dir nicht selbst was vor«, sagte sie nüchtern.
»Wie meinst du das?«
»Du hast garantiert solche Fantasien gehabt und auch
schon den Reiz gespürt. So was kommt nicht plötzlich
über einen.«
Er schmunzelte. »Okay, erwischt. Manchmal bitten mich
hübsche Frauen, die mit mir flirten wollen, sie zu fotografieren, und dann macht es mir manchmal Spaß, sie in aufreizende, aber auch unbequeme Posen zu dirigieren. Dann blicke
ich durch meine Kamera und zögere das Foto noch eine Weile hinaus. Ich gebe zu, das macht mir manchmal Spaß …« Er
betonte übermäßig jedes ‚manchmal‘ und sie kicherte.
»Du bist wahrlich der geborene Sadist.«
»Aber«, er wurde wieder ernst, »wenn ich mit einer
Frau schlafe, möchte ich nicht, dass es ihr wehtut. Ich
möchte, dass sie es genießt.«
»Du hast es eben genossen, mir wehzutun.«
Nachdenklich nickte er. »Es war einfach wahnsinnig
geil, dass du es wolltest, es so angeboten hast. Das war …
es hat mir den Verstand geraubt.« Nachdenklich strich er
über ihre Schulter. »Warum machst du das? Warum hast
du dich so benommen? Erregt dich … Schmerz?«
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Sie drehte sich auf den Rücken, sodass sie ihm in die
Augen blicken konnte. »Nicht der Schmerz, dann müsste
ich ja auch jeden blauen Fleck toll finden, es ist die Situation. Es erregt mich, wenn der Mann es«, sie grinste und
ahmte ihm nach, »wahnsinnig geil findet, wenn ich ihm
alles erlaube, was ihm in den Sinn kommt.«
»Lässt du es ihn wirklich freiwillig tun?«
Sie wich seinem Blick aus und suchte nach einer
Antwort.
Er fasste ihr Kinn und zog ihr Gesicht wieder zu sich
heran. »Hättest du vorhin Nein sagen können?«
»Hättest du denn aufgehört?«
»Ja, natürlich, sofort.«
Sie lächelte. »Ich wollte nicht Nein sagen.«
Hanna lag mit dem Kopf auf seinem Schoß und genoss es,
seine streichelnden Hände in ihren Haaren zu fühlen. Sie
dachte, es wäre alles in Ordnung, bis er auf einmal ankündigte, nach Hause gehen zu wollen.
»Warum bleibst du nicht?« Sie lächelte ihn an. Im selben Moment erkannte sie die Zweifel und das schlechte
Gewissen in seinem Gesicht. Schlagartig fühlte sie sich, als
ob ihr jemand ein Messer in den Magen rammen würde.
Er war nicht verliebt in sie, er hatte Sex mit ihr gehabt, weil
sie sich ihm so angeboten hatte. Es bedeutete nichts. Er
wollte sie nicht.
Sie setzte sich auf. Mit zitternden Händen hielt sie die
Decke fest und rutschte von ihm weg.
»Hey, es tut mir leid.«
»Schon in Ordnung. Keine Sorge.«
Er stand zögernd auf und blickte unschlüssig auf sie
herab.
Sie sah ihn nicht an. »Gute Nacht.«
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Er wollte ihr über das Haar streicheln, doch sie zuckte
zurück und hob abwehrend den Arm. »Nimm deine Sachen mit und vielen Dank fürs Leihen.«
Ohne ein weiteres Wort verließ er sie und nahm beim
Rausgehen die Kleidung mit, die er ihr geliehen hatte.
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