der Arbeit

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der Arbeit
Gerhard Wahl
Matr.- Nr.: 032624
„Kultursensibilität“ als Voraussetzung einer integrativen
Jugendarbeit im städtischen Sozialraum
- ein Plädoyer für ein Netzwerk aus kooperativen Partnern
Diplomarbeit zur Erlangung des Grades eines
Diplom-Sozialarbeiters / Sozialpädagogen
an der
Alice- Salomon- Fachhochschule
für Sozialarbeit und Sozialpädagogik
eingereicht:
März 2008
Projektseminar:
Dialogische Qualitätsentwicklung
in der Sozialarbeit
Erstgutachter:
Prof. Dr. Theda Borde
Zweitgutachter:
Dipl. Soz. Päd. Kazim Yildirim
0. Gliederung...........................................................................................................02
1. Einleitung
1.1 Erkenntnisinteresse/ Fragestellung...................................................................04
1.2 Aufbau der Arbeit................................................................................................06
I. Thematisch-semantisches Grundkonstrukt
2. Einigkeit… und Vielfalt...................................................................................09
2.1 Kulturbegrifflichkeiten in Zeiten des Wandels....................................10
2.1.1 Das historische Kulturverständnis..................................................................10
2.1.2 Das Konstrukt einer „nationalen Kultur“.......................................................11
2.1.3 Das Konzept der Koexistenz von Kulturen – Multi-/Interkulturalität.........12
2.1.4 Die Sprengung des traditionellen Kulturbegriffes – Transkulturalität.......13
2.1.5 Umgang mit der Vielfalt – eine „Kultur der Integration“............................16
2.2 „Wohngemeinschaft Deutschland“..........................................................16
2.2.1 Statistiken..........................................................................................................17
2.2.2 Vom Ausländer zum „Deutschen mit Migrationshintergrund“....................18
2.2.3 Integration, Assimilationsdruck und Wertekanons......................................19
3. Die „Sturm und Drang“–Generation mit Migrationshintergrund.....23
3.1 Demographie....................................................................................................26
3.1.1 Demographische Entwicklung in Deutschland..............................................27
3.1.2 Ist – Zustand in westdeutschen Großstädten..............................................30
3.2 Sozialisationbedingungen...........................................................................32
3.2.1 Familie und Umwelt.........................................................................................32
3.2.2 Identitätsentwicklung......................................................................................35
3.3 Habitus der „Problemkinder“.....................................................................39
3.3.1 Sprache..............................................................................................................40
3.3.2 Selbst – und Fremdbild....................................................................................43
3.3.3 Sozialisationsagentur Strasse.........................................................................44
2
4. „Integrationsmaschine“ - städtischer Sozialraum................................46
4.1 Die „Krise“ der (sozialen) Stadt................................................................47
4.1.1 „Problemviertel“ - sozialräumliche Segregation...........................................50
4.1.2 Das Programm “Stadtteile mit besonderem
Entwicklungsbedarf – die Soziale Stadt”..........................................54
4.2 Integrationsmikrokosmos „Sozialraum“ und die
konzeptionelle „Orientierung“ der Jugendhilfe................60
4.2.1 Aneignung ihres Sozialraumes durch die Jugendlichen..............................62
4.2.2 Sozialraumorientierung – und budgetierung................................................65
4.2.3 Integration mittels Bildung – Schule und Jugendhilfe im Stadtteil...........67
II.Fazit und Ausblick
5. „Zukunftspartitur“ - Ein kultursensibles
Jugend im Kiez- Netzwerk..........................................................73
5.1 Kooperative Partnerschaft - die Idee eines „Lokal Compact“........77
5.2 Organisation einer Kooperativen Partnerschaft.................................81
5.2.1 Ansatz................................................................................................................82
5.2.2 Bürgerschaftliches Engagement.....................................................................85
5.2.3 Bürgerbeteiligung.............................................................................................87
5.2.4 Netzwerkgestaltung.........................................................................................90
5.3 Über Kultursensibilität als Voraussetzung
und „systemischer Pragmatismus“
5.3.1 Kultursensibilität...............................................................................................95
5.3.2 „Systemischer Pragmatismus“........................................................................99
5.3.3 Von kultursensiblem Integrieren und selbstaktiver Integration...............103
6. Quellen und Literatur.....................................................................................107
3
1. Einleitung
1.1 Erkenntnisinteresse / Fragestellung
„Drei Engel für Kreuzberg
Pädagogen und Polizei sind bereits gescheitert:
Nun sollen in Berlin drei Streetworker mit dunkler
Vergangenheit kriminelle Gangs zähmen.“
(Spiegel Nr.38:58)1
Unter dieser Headline berichtete der Spiegel im September 2007 über die Missstände in der Berliner Naunynstraße. Bei dem vom Referat „Soziale Stadt“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung initiierten Projekt sollen drei Ex-Kriminelle als „Kiezläufer“ die Gegend wieder sicherer machen und die lokalen „Gangs zähmen“.
Zwei Männer und eine Frau mit türkischem bzw. albanischem Hintergrund, sollen als
„Beobachter, Helfer“ und „Kontaktperson“ in der Gegend präsent sein. „Kiezläufer“ sind
also keine Polizisten oder Sozialpädagoge, sondern „ihre Qualifikation ist ihre Herkunft…
alle drei haben den Stallgeruch der Naunynstraße: Sie sind hier geboren und aufgewachsen“
(ebda.:58).
Laut einer Senatsanalyse ist die „no- go- area“ das Revier von Dealer, Hehler und
jugendlichen Gangs. Zum Alltag gehöre, dass Bewohner und Passanten angepöbelt
und abgezogen werden. Die Polizei betrete das Gebiet nur sporadisch und mit
klassischer Sozialarbeit würde man an die Jugendlichen nicht mehr heran kommen.
Das „letzte Aufgebot“, bekleidet mit schwarzen Jacken mit der Aufschrift „Streetworker
– Sprich mit uns“, ist ein Experiment, das mit einer 3monatigen Probezeit versucht,
mit zuhören und reden „auf Augenhöhe“, Veränderungen herbei zu führen. (ebda.:58)
Dass das Experiment nicht nur von den lokalen Pädagogen misstrauisch beäugt wird
liegt auf der Hand. Es bleiben viele offene Fragen. So stellt sich die Frage nach den
Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten. Das Bezirksamt von Kreuzberg und die
lokalen Jugendeinrichtungen wie die offene Jugendarbeit der „Naunyn- Ritze“ wurden
vom Senat nicht in die Planung mit einbezogen. Ist es daher ein Profilierungsversuch
1
Der Spiegel Nr.38, 17.9.2007
4
eines „Quartiersmanagers“, der für eine medienwirksame Verbreitung seines neuen
innovativen Weges sorgt? Oder ist es ein Versuch starre und festgefahrene
Strukturen der Jugendhilfe und deren anscheinend unwirksam gewordene Arbeit,
durch vorgeführte alternative Konzepte aufzubrechen?
Und noch grundsätzlicher gefragt: Existieren in Deutschland tatsächlich solche von
Polizei und Sozialarbeit aufgegeben städtische Gebiete, die Parallelen zu den
Banlieues in Paris befürchten lassen? Und wenn es solche Gebiete gibt, was sind die
Gründe dafür?
Im Detail wirft die Debatte über das Konzept der „Kiezläufer“ zudem folgende Fragen
auf: Was macht die Qualifikation der „drei Engel“ aus? Ist es allein die Tatsache, dass
sie
die
multiethnische-
und
kulturelle
Bevölkerungsstruktur
im
Kiez
eher
repräsentieren als die oftmals aus der deutschen Mittelschicht kommenden Akteure
der Polizei und Jugendarbeit? Wie sehen die Lebenswelten der Jugendlichen aus, die
Banden
bildend
die
Strassen
unsicher
machen?
Was
bedeutet
dabei
ihr
„Migrationshintergrund“ und wie wirkt sich dieser auf ihr Dasein in der Gesellschaft
aus? Wie sehen sie sich selbst und ihre Identität? Was hat es für die Diskussion um
„Problemkieze“
zu
bedeuten,
dass
es
Anfang
November
2007
auf
einer
Demonstration im Kiez um die Naunynstrasse zu gewaltsamen Ausschreitungen
zwischen Türken und Kurden kam? Ist darin die Entladung eines ethnischen
Konfliktes
zu
erkennen,
wenn
größtenteils
Jugendliche
der
2.
und
3.
Einwandergeneration, die gemeinsam in Deutschland aufgewachsen sind, mit
Macheten aufeinander losgehen? Und wie passt das alles in die aktuelle Politik und in
das dort modern gewordene Thema der Integration, insbesondere der Integration
von jungen Menschen mit Migrationshintergrund?
Die vorliegende Arbeit will diesen Fragen nachgehen.
Durch einen differenzierten Blick auf die in den Integrationsdebatten angesprochenen
Hauptakteure soll ein möglicher Weg aufgezeigt - ein „Utopia“ formuliert werden -,
wie die Zukunftsherausforderungen einer im Wandel befindlichen Gesellschaft
bezogen auf das Thema Integration angegangen werden könnten. Dabei soll von der
Hypothese ausgegangen und diese unterlegt werden, dass die Grundvoraussetzung
eines funktionierenden „integrativen Ansatzes“ einer Jugendarbeit im städtischen
Sozialraum, ein „kultursensibles“ agieren der Akteure ist.
5
1.2 Aufbau der Arbeit
Die Arbeit kann grob gegliedert werden. Kapitel 1 – 4, das „thematisch –
semantische
Grundkonstrukt“,
dient
dazu
das
Thema
zu
erfassen
und
Begrifflichkeiten abzuklären. Kapitel 5, das „Fazit und Ausblick“, versucht mit
Zuhilfenahme der Erkenntnisse aus Kapitel 1 – 4 ein potentielles Modell für die
Zukunft zu entwerfen.
Zu Beginn (Kap.1) wird ausgehend von dem Faktum, dass Deutschland ein
Einwanderungsland ist und demzufolge eine gesellschaftliche Notwendigkeit besteht
sich über das Eigene und das Fremde auseinander zu setzten, auf die
Kulturbegrifflichkeit eingegangen. Ausgehend vom klassischen Kulturverständnis und
dem Mythos der „nationalen Kultur“ soll gezeigt werden, dass die Beschreibung von
heterogenen modernen Gesellschaften als „Multikulturalität“, der Realität nicht
entspricht. Die im Zuge von Globalisierungs- und Migrationsprozesse stattfindende
Vermischung von „Einzelkulturen“, in extremster Form im Begriff der „Weltkultur“
manifestierend, wird durch das alternative Konzept der Transkulturalität besser
beschrieben, denn es fordert im Umgang mit dieser „Hybridität“ eine „Kultur der
Integration“ ein.
Nach dem kurzen Kulturdiskurs geht die Arbeit direkt auf die aktuelle Situation der
„Wohngemeinschaft Deutschland“ (Kap.2) ein. Nach einer kritischen Beleuchtung von
„Ausländer- Statistiken“ und Zahlen zu „Menschen mit Migrationshintergrund“, wird
das aktuelle Staatsbürgerschaftsrecht im Hinblick auf Einbürgerung untersucht.
Anschließend wird die gegenwärtige Integrationsdebatte differenziert betrachtet. Die
Voraussetzungen
für
gelingende
Integration
werden
hinterfragt,
wie
Assimilationsdruck, Integrationswille und die Notwendigkeiten eines Wertekanons.
Daran folgt (Kap.3) eine genauere Untersuchung des „Klientel“ Jugendliche mit
Migrationshintergrund, eingerahmt von der aktuellen Jugendgewaltdebatte. Mit
einem Blick auf die demographische Entwicklung in Deutschland und dem IstZustand in westdeutschen Ballungsgebieten soll unterlegt werden, dass jenes
„Klientel“ nicht als Minderheit definiert werden kann, sondern als großer Anteil der
heutigen und besonders der zukünftigen Bevölkerungsstruktur immer mehr an
6
Relevanz gewinnt. Anschließend folgt eine nähere Untersuchung des Klientel. Diese
hat nicht den Anspruch vollständig zu sein, soll aber helfen die Komplexität des
Themas greifbar zu machen. Mit einem Blick auf die Sozialisationsbedingungen und
auf Familie und Umwelt, soll gezeigt werden, dass Zuschreibungen der Gesellschaft
wie „Fremdheitsgefühl“ und „zwischen den Kulturen“ lebend, nicht ohne weiteres
haltbar sind. Verallgemeinerungen sind nicht möglich, da jeder junge Mensch sein
individuelles Profil hat. Wenn überhaupt kann man nur von Tendenzen ausgehen,
insbesondere bei der Identitätsentwicklung. Hier soll gezeigt werden, dass es nicht
genügt Individuem und deren Komplexität nur mit ihren ethnischen oder kulturellen
Wurzeln
beschreiben
Identifikationsentwicklung
zu
wollen.
und
die
Das
daraus
ambivalente
Verhältnis
resultierenden
der
„multiplen“
Identifikationsmuster sollen dann anschließend an den Auswirkungen, am Habitus
der Zielgruppe für Interventionen, der „Problemkinder“ gezeigt werden. Über eine
Untersuchung der Sprache und der Sprachentwicklung und ein Porträt der Selbstund Fremdzuschreibungen, soll ein kritischer Blick auf die „Sozialisationsagentur
Straße“ geworfen werden. Hier schließt sich vorläufig der Kreis des Rahmens der
Jugendgewaltdebatte.
Nach der Untersuchung des „Klientel“ folgt eine analytische Betrachtung der Stadt als
„Raum der Integration“ (Kap.4). Hierbei wird von der These ausgegangen, dass in
der (Groß -) Stadt soziale, ökonomische, politische und kulturelle Prozesse der
Gesellschaft
in
komprimierter
Form
auftreten
und
somit
als
Fokus
für
gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, und deren Auswirkungen auf Gruppen oder
Individuen untersucht und analysiert werden können. Die „Krise“ der (sozialen)
Stadt, Marginalisierung und Segregation von Bevölkerungsschichten werden als
Indizien aufgeführt für das anscheinende Versagen der Integrationsfähigkeit des
städtischen Sozialraumes. Anschließend wird die Intervention von der staatlich
berufenen Institution Quartiersmanagement (das Programm „Soziale Stadt“) kritisch
beleuchtet, die den Tendenzen von „Ghettoisierung“ und „Parallelgesellschaften“ etc.
Einhalt gebieten sollen. Darauf folgt eine Betrachtung des Sozialraumes als
Aneignungsraum der Jugendlichen und der Sozialraumorientierung der Jugendhilfe.
Die Institution Schule wird danach im Bezug auf die Kooperation mit der Jugendhilfe
in Form der Schulsozialarbeit einem kritischen Blick unterzogen.
7
Das Fazit und der Ausblick (Kap.5) beginnen mit den vorläufigen Ergebnissen des im
Erkenntnisinteresse porträtierten „Kiezläuferprojekts“ in Kreuzberg.
Mit diesem Beispiel kann das Fazit aus Kapitel 4, die unzureichende Zusammenarbeit
und Vernetzung verschiedener „Ressorts“, unterlegt werden. Im Folgenden wird ein
Zukunftsmodell einer „Kooperativen Partnerschaft“ von verschiedensten Akteuren
entworfen. Mit zu Hilfenahme von auf weltgesellschaftlicher Ebene entworfenen
Ideen werden die Grundvoraussetzungen eines „Jugend im Kiez- Netzwerkes“
diskutiert. Hierbei steht die These im Mittelpunkt, dass in einem heterogenen
Quartier ein Zusammenleben nicht auf gemeinsamen Werten sondern auf
gemeinsam formulierten (Regeln-) Interessen beruhen müsste. Hier schließt sich ein
Entwurf der Organisation einer solchen kooperativen Partnerschaft an. Von der These
ausgehend,
dass
die
existenten
multiplen
Probleme
Problemlösungsfähigkeit
einzelner
Akteure
mittlerweile
der
Jugendarbeit
übersteigt,
die
werden
Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung, als engagierte Zivilgesellschaft, in einem
Jugendarbeitnetzwerk vorgestellt.
Anknüpfend an die Überlegungen über Kultur und kulturelle Identifikation aus Kapitel
2 und 3, wird folgend die Kompetenz der „Kultursensibilität“ inhaltlich erläutert, die
als Grundvoraussetzung eines solchen Netzwerkes angesehen werden kann.
Anschließend werden diese Überlegungen eines kultursensiblen und integrativen
Jugendarbeitnetzwerkes mit pragmatischen Bedenken und Gefahren bei der
Umsetzung abgeglichen.
8
2. Einigkeit… und Vielfalt
Deutschland ist ein Einwanderungsland.
Auch wenn diese Aussage in der öffentlichen Debatte inzwischen nicht mehr zur Disposition steht, und sie im Bewusstsein der Menschen angekommen zu sein scheint,
läuft die inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser Realität nur schleppend an.
Deutschland war ein Einwanderungsland.
Die Kinder der ehemaligen „Gastarbeiter“ sind in Deutschland aufgewachsen oder
wachsen hier auf. Die klassische Schublade „Ausländer“ wurde notwendiger Weise erweitert durch neue Begrifflichkeiten wie „Menschen mit Migrationshintergrund“ oder
ähnliches.
Deutschland wird ein Einwanderungsland bleiben.
Nicht nur aufgrund des Bedarfs der Wirtschaft an „hochqualifizierten Facharbeitern
aus dem Ausland“ und der EU-Binnenmigration, sondern auch durch vielfältige weitere, durch Globalisierungsprozesse ausgelöste Migrationsbewegungen, die ein Zusammenwachsen der „Weltgesellschaft“ bedingen, wird Deutschland sich in Zukunft differenzierter als bisher mit dem „Fremden“ und daraus folgend auch mit dem „Eigenen“
auseinandersetzen müssen.
Aber was ist das „Eigene“ und „Fremde“?
Bei dieser Frage wird gerne in der Antwort von „Kultur“ gesprochen. Sei es mit Begriffen wie „Leitkultur“ oder „nationale Kultur“, mit denen Kultur als homogene Einheit betrachtet wird, oder auch mit Begrifflichkeiten wie „multikulturell“ oder „kulturelle Pluralität“, als Versuch Vielfalt und Uneinheitlichkeit moderner Gesellschaften zu
beschreiben.
All diese Beschreibungen sind jeweils mit unterschiedlichsten inhaltlichen Interpretationen und Wertungen verbunden. Und sie unterliegen in einer Mediengesellschaft
wie der unserer einer Aufmerksamkeit, die sich zwischen inflationärer Benutzung und
antiquierter Beschreibung bewegt.
9
2.1 Kultur(begrifflichkeiten) in Zeiten des Wandels
Um eine inhaltliche Differenzierung vornehmen zu können scheint es vonnöten diese
Kulturbeschreibungen genauer zu untersuchen, denn:
„Die Vorstellung, dass menschliche Kulturen homogene und voneinander unabhängige Einheiten sind, schlägt das politische und pädagogische Denken seit mehr als zwei Jahrhunderten in ihren Bann“ (Seitz 2005:51).1
2.1.1 Das historische Kulturverständnis
Hierzu erst mal ein kleiner Exkurs in die Geschichte und die Verwendung der
„traditionellen“ Begrifflichkeit „Kultur“ und die semantische Entwicklung seitdem.
Nach Welsch hat sich „’Kultur’ als Generalbegriff, der nicht nur einzelne, sondern sämtliche
menschlichen
Lebensäußerungen
umfasst,
(…)
erst
im
späten
17.
Jahrhundert
herausgebildet. Er wird in diesem Verständnis erstmals 1684 von dem Naturrechtslehrer
Samuel von Pufendorf verwendet.
Bis zu diesem Zeitpunkt war Kultur ein relativer, sich auf einzelne Tätigkeiten beziehender
Ausdruck“ (Welsch 1995:1).2
Durch Putendorf wurde der Begriff „Kultur“ zu einem autonomen Begriff, „…zu einem
Kollektivsingular, der nun - in einer kühnen Vereinheitlichung - sämtliche Tätigkeiten eines
Volkes, einer Gesellschaft oder einer Nation zu umfassen beanspruchte.“ (Welsch 1995:1)
100 Jahre später habe bei Johann Gottfried Herder, insbesondere in dessen von 1784
bis 1791 erschienenen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ der
Begriff „Kultur“, seine heutige Bedeutung erhalten.
Hierbei sind für den Kulturbegriff drei Dimensionen charakterisierend und zwar
-die ethnische Fundierung,
die als prägendes Element einer Gesellschaft „jede Handlung und jeden
Gegenstand zu einem unverwechselbaren Bestandteil gerade dieser Kultur machen“,
-die soziale Homogenisierung,
als
„…Kultur eines bestimmten Volkes…, das auf dem Weg der Kultur sein
spezifisches Wesen zur Entfaltung bringt.“ Dies beinhalte eine
1
Seitz, Klaus „Verhängnisvolle Mythen – Nationale Identität und kulturelle Vielfalt“ in Datta, Asit „Transkulturalität und Identität“ IKOVerlag Frankfurt/London 2005
2
Welsch, Wolfgang, „Transkulturalität“ Institut für Auslandsbeziehungen (Hrsg.): Migration und Kultureller Wandel, Schwerpunktthema der
Zeitschrift für Kulturaustausch, 45. Jg.,Stuttgart 1995
10
-Abgrenzung nach außen,
da die starke Bindung einer Gesellschaft an einer bestimmte Kultur zur
Unterscheidung von anderen Völkern und deren Kulturen führt.
(Welsch 1995:1)
Herder beschreibt sein Bild von homogenen „völkischen“ Kulturen als eine Metapher,
als Kugeln oder autonome Inseln, die im übertragenen Sinne nur miteinander
interagieren können, indem sie sich abstoßen, aneinander reiben oder nur
„oberflächlich“ in (Berührungs-) Kontakt kommen. Der Begriff „Kultur“ steht hierbei in
enger Verbindung mit der Begrifflichkeit „Volk“ als eine Ansammlung von Menschen,
die der Kugel innewohnen. Diese „Einheit“ findet ihren Ausdruck in territorialen und
sprachlichen Abgrenzungen nach außen, der Nation.
2.1.2 Das Konstrukt einer „nationalen Kultur“
Diese Vorstellung einer „homogenen Nationalkultur“ war, nach Ansicht von Seitz, vor
allem in Deutschland verbunden mit der „Konstruktion einer nationalen Identität“, die
dem Aufbau der europäischen Nationalstaaten voran ging (Seitz 2005:51). Wie es in
der Hinsicht in Deutschland weiter ging, hat die Geschichte ja gezeigt, denn
„…tatsächlich aber wurde dabei die sprachliche, kulturelle und ethnische Vielfalt der
gewachsenen Gesellschaft ignoriert. Kulturelle Minderheiten wurden von einer nationalen
Dominanzkultur unterdrückt…“(ebda.:51).
Hierbei wurde vor allem das staatliche Bildungswesen instrumentalisiert, um den
„Mythos der homogenen Nationalkultur“ in die Gesellschaft einzubetten, mit noch heute
spürbaren Nachwirkungen auf das (Bildungs-) System, insbesondere in der Form, „…
dass die Integration einer Gesellschaft vor allem über gemeinsam geteilte kulturelle Werte
vermittelt werden muss…“ (ebda.:51).
Diese „mentalen Modelle“ (vgl. Argyris/Schön 1996)1 sind allerdings nicht nur in der
deutschen Pädagogik spürbar, sondern auch aktuell in der deutschen Gesellschaft.
Deutschland nimmt hierbei allerdings keine Sonderrolle ein, denn „…dergleichen
Trugbilder über den Zusammenhang zwischen kultureller Identität und staatlichen
1
Argyris, Chris; Schön, Donald „Die lernende Organisation. Grundlagen, Methode, Praxis“ (1996) Verlag Klett-Cotta. Stuttgart. (1999). 2.
Auflag. 2002.
11
Zusammenhalt…“ bestimmt in weiten Teilen der Welt die Politik (Seitz 2005:57). Die
Berufung auf ethnische und kulturelle Identität ist der Nährboden für weltweite
Separatismen und damit auch für Kriege (Welsch 1995:1).
2.1.3 Konzepte der Koexistenz von Kulturen – Multi-/Interkulturalität
„…Dass sich Kulturraum, Wirtschaftsraum, Sprachgemeinschaft und ein durch gemeinsame
ethnische Herkunft charakterisiertes ‚Volk’ auf einem politisch verfassten Territorium zur Deckung bringen ließen…“ (Seitz 2005:58), hat sich in besonderem Maße im Angesicht
von modernen Gesellschaften und deren heterogenen Konstellationen als Trugbild,
Mythos oder Fiktion herausgestellt. Sogar in Deutschland hat sich inzwischen nach
langem zähem Ringen die Einsicht eingestellt, dass die Vorstellung der traditionsverhafteten homogenen deutschen Eigenkultur, kaum einer offensichtlich viel bunteren
und multipleren Bevölkerungsstruktur überstülpen lässt.
Dieser Tatsache versuchte man in den 90ern semantisch gerecht zu werden, indem
man das Nebeneinander oder die Koexistenz von verschiedenen (homogenen) Kulturen innerhalb eines territorialen Raumes, in Deutschland vor allem in westdeutschen
Großstädten, mit dem „In“- Wort „Multikulturalität“ bezeichnete. Allerdings nicht nur
als Begrifflichkeit, sondern auch als Konzept. Denn durch das Aufeinanderprallen von
unterschiedlichen Lebensformen ist der multikulturelle „Raum“ auch eine Konfliktgemeinschaft.
Das Konzept der „Multikulturalität“ greift diese Probleme auf und versucht durch Toleranz, Verständigung, Konfliktvermeidung oder – therapie das Zusammenleben zu
harmonisieren. (Welsch 1995:2)
Das verfeinernde Konzept der „Interkulturalität“ geht noch einen Schritt weiter und
versucht durch den Dialog der Kulturen gegenseitiges Verständnis und Anerkennung
zu erreichen.
An beiden Konzepten oder schlicht den Begrifflichkeiten kann man das Festhalten am
„… Status des traditionellen Kulturverständnisses“ kritisieren (ebda.:2). Beide behalten
das klassische separierende und inselartige „Kultur“ - Konzept von Herder bei. Die
Probleme
der
„multikulturellen“
Gesellschaft
werden
zwar
gesehen
und
angesprochen, könnten aber nicht gelöst werden, da dieses Festhalten in den
12
klassischen Denkmustern von Kulturbeschreibungen und dadurch das Abgrenzende
beibehalten wird. Probleme, die sich durch die Koexistenz und den Versuch der
Kooperation von Kulturen ergeben, lassen sich auf dieser theoretischen Grundlage
nicht lösen, da von homogenen und separierten Kulturen heute nicht mehr
ausgegangen werden kann. Die Konzepte der Inter – bzw. Multikulturalität sind daher
nur oberflächliche Kosmetik. (ebda.:2)
Auf die „neue Art der Vermischung“ von Kulturen versprechen die „In“ - Worte des
neuen
Jahrtausend,
„Transkulturalität“
und
„Hybridisierung“
semantisch
und
konzeptionell einzugehen.
2.1.4 Die „Sprengung“ des herkömmlichen Kulturbegriffes Transkulturalität
„Eine Kultur ist immer im Werden, immer im Prozess“ (Datta 2005:71)1.
Die Zeiten sind im Wandel.
Bedingt durch weltweite Globalisierungs- und Migrationsprozesse finden tiefgreifende
gesellschaftliche Umwälzungsprozesse statt. Der Versuch diese „modernen Gesellschaften“ mit traditionellen Kulturbegrifflichkeiten beschreiben zu wollen, muss an
der inneren Differenziertheit und Komplexität, sprich der Vielzahl unterschiedlicher
Lebensformen und Lebensstile innerhalb eines territorialen Raumes, scheitern.
(Welsch 1995:2)
Darüber hinaus ergeben sich über nationale Grenzen hinweg Vernetzungen und Abhängigkeiten. Das „global village“ ist nicht mehr nur eine Zukunftsvision, sondern
herkömmliche nationale Einzelkulturen oder Lebensformen, falls es sie in der Form je
gegeben hat, finden grenzübergreifend Kontakt und Austausch. Die Fortschritte der
Technologien, insbesondere im Informations- und Kommunikationsbereich und die
erhöhte Mobilität der Menschen haben zu einer immensen Zunahme von transnationalen Interaktionen geführt.
Die „Verteidigung der deutschen rechtsstaatlichen Demokratie am Hindukusch“ beispielsweise, kann in der Fernsehberichterstattung hautnah verfolgt werden und an1
Datta, Asit „Kulturelle Identität in der Migration“ in Datta, Asit „Transkulturalität und Identität“ IKO-Verlag Frankfurt/London 2005
13
schließend mit einer Gegenberichterstattung auf den Internetseiten der Taliban verglichen werden. Der Austausch und die Verflechtungen von Informationen durch diese weltweiten Kommunikationssysteme werden durch personelle Verflechtungen, in
Form von Migrationsprozessen verstärkt. Als Beispiel, sei passend zum Thema der Arbeit, die konkrete Situation von Schulen in Berlin- Neukölln erwähnt, mit einem hohen Prozentsatz an Schülern, die oftmals allerdings keinen Migrations-, sondern
Fluchthintergrund haben. Aus Bürgerkriegsgebieten oder Flüchtlingscamps stammend, und damit aus zerrütteten Familienzusammenhängen mit kaum zu überwindenden Traumata, sind sie nicht nur Teil der seit Jahrzehnten alltäglich wiederholten
Berichterstattung aus dem Nahen- Osten, sondern diese Konflikte finden ihre unmittelbare Auswirkung auf den Strassen nicht nur in Berlin- Neukölln. (vgl.4)
Die hochgradige Verflechtung und Durchdringung von Kulturen zeigt sich aber vor allem in den weltweiten ökonomischen Abhängigkeiten und deren „kulturellen“ Auswirkungen. Durch das Begegnen der Weltgesellschaft im „global village“ sind z.B. Tendenzen zu Beobachten, die als Herausbildung einer „Globalkultur“ oder einer neuen
„…deterritorialisierten und pluralistischen Weltkultur…“ (Seitz 2005:51) bezeichnet werden
können. Das oft als „McDonaldisierung der Welt“ (Datta 2005:71) bezeichnete Phänomen, das durch die weltweite Angleichung von Dienstleistungen (Fast-Food, Bankwesen, Telekommunikation)charakterisiert ist, erfährt durch Formen von „kulturellen
Dienstleistungen“ für viele Kritiker eine besorgniserregende Steigerung, denn „…durch
die Dominanz der US- amerikanischen Kulturindustrie sind zunehmend ähnliche Konsumgüter, Lebensentwürfe, Symbole und Leitbilder weltweit präsent“ (Seitz 2005:62).
Einzelne Lebensformen- und entwürfe sind dadurch nicht mehr nur innerhalb der
Grenzen von fiktiven Nationalkulturen zu finden, sondern sind auch in anderen Kulturen grenzüberschreitend auszumachen.
Was bedeutet dies für das Individuum und die Gesellschaften?
Für das einzelne Individuum bedeutet dies, dass es einem Potpourri von lokalen und
globalen Einflüssen bei der Identifikations- und Bewusstseinsbildung unterliegt und
dadurch auch nicht mehr einzelnen Kulturen und kulturelle Identitäten zuzuordnen
ist. „Für die meisten unter uns sind, was unsere kulturelle Formation angeht,
mehrfache kulturelle Anschlüsse entscheidend. Wir sind kulturelle Mischlinge“
(Welsch 1995:3)
14
Für das Individuum ist entscheidend, die unterschiedlichsten Komponenten des
„Potpourri“ wahrzunehmen und im Hinblick auf die Identitätsbildung die Fähigkeiten
zu entwickeln diese zuzuordnen und zu einer Gesamtheit, dem Ich, zu verbinden.
Dies ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass sich eine autonome und souveräne
Persönlichkeit entwickeln kann (vgl.3.2.3).
Nach Welsch ist es eine Grundbedingung von funktionierenden modernen Gesellschaften, diese „…transkulturelle Binnenverfassung der Individuen“ zu entdecken und zu
akzeptieren, um mit der anscheinend unüberschaubaren Vielfalt an Lebensformen
und (Trans)Kulturen umgehen zu können. Denn „…im Innenverhältnis einer Kultur, zwischen ihren diversen Lebensformen, existieren heute tendenziell ebenso viele Fremdheiten
wie im Außenverhältnis zu anderen Kulturen“ (Welsch 1995:3).
Für Gesellschaften ist es demnach im Zeitalter der weltweiten Globalisierungs- und
Migrationsprozesse „… das Lernen des Umgangs mit den Anderen lebensnotwendig geworden.“ (Datta 2005:72)
„Die Kultur der Moderne ist im Kern eine Kultur des Umgangs mit Differenzen“.
(Meyer 2002:25 in Datta 2005)
Im übertragenen Sinne heißt das, dass in dem Migrationsprozess sich nicht nur die
Migranten sondern auch die aufnehmende Gesellschaft der veränderten Situation
stellen und anpassen muss. Für die Menschen in der Migration sind Anpassungsprozesse gar lebensnotwendig, denn:
„Nur wer sich mit der neuen Realität arrangiert, wer sich an der neuen Lebenswelt orientiert,
wer die neue Realität verarbeitet und fähig ist, darüber zu reflektieren, wird in der Lage sein,
sich in der Diaspora zurecht zu finden“ (Datta 2005:74).
Diese weltweiten Austauschprozesse, dieses Entstehen von kulturellen Mischformen
(Transkulturalität, Hybridität, Cross-over-culture), sprengt demzufolge die einleitende
kategoriale Frage nach dem Eigenen und dem Fremden.
Die Definition von eindeutiger „Eigenheit“ oder „Fremdheit“ ist nicht mehr möglich
oder falls doch, nur als ein instrumentalisiertes Konstrukt oder als Mythos.
15
2.1.5 Umgang mit der„unüberschaubaren Vielfalt“ - Eine „Kultur der
Integration“
„Es ist an der Zeit, dass wir uns von den Mythen, die kollektive Identität, staatliche Einheit
und kulturelle Vielfalt in Widerspruch zueinander setzen, verabschieden“ (Seitz 2005:67).
Demnach erscheint es vonnöten, sich von dem klassischen Kulturverständnis zu lösen. Da Kulturbegrifflichkeiten nicht nur beschreiben sondern auch „…operative Begriffe“ sind, d.h. aktiv auf die Umwelt einwirken und Handlungen bestimmen, wären bei
einer Kultur mit einem definierten und gewollten „Homogenitätsanspruch“ die „gebotenen Zwänge und Ausschlüsse“ handlungsleitend. Definiert sich eine Kultur hingegen
durch Heterogenität und Transkulturalität sind „Integrationsleistungen“ ein natürlicher
Teil von ihr (Welsch 1995:4).
„Das Konzept der Transkulturalität zielt auf ein vielmaschiges und inklusives, nicht auf ein
separatistisches und exklusives Verständnis von Kultur“ (ebda.:4).
Integration statt Ausgrenzung (vgl.Kapitel 4). Welsch geht davon aus, dass bei einem
Aufeinandertreffen von noch so unterschiedlichen und scheinbar inkompatiblen
kulturellen Komponenten immer auch „Anschlussmöglichkeiten“ bestehen (ebda.:4).
Soviel zur idealistischen Abstraktion.
Doch wo steht Deutschland momentan, insbesondere in Bezug auf die für eine
„Kultur der Integration“ maßgeblich bestimmenden und entscheidenden „mentalen
Modelle“ der Akteure in Politik und Gesellschaft?
2.2 „Wohngemeinschaft Deutschland“1
Spätestens bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts 1998 zeigte sich, dass die
Ansichten über „die neue Vielfalt“, Einwanderung und Integration, zwischen Parteien
und innerhalb der Gesellschaft weit auseinander gehen.
Die in den öffentlichen Debatten geführte Auseinandersetzung hat sich schnell von
dem Begriffsverständnis von „Multikulturalität“ als einer schwärmerischen, positiv
1
Thema der Integrationswoche im ZDF , 5.11.-11.11.2007
16
Bezeichnung für einen bunten Nationalitäten -und Kulturenmix á la „Karneval der
Kulturen“ verabschiedet. Die real existierenden Probleme und Konflikte der „Vielfalt“
sind in den Vordergrund gerückt. Wenngleich die Differenzierung der (Multi-)
Kulturbegrifflichkeiten nicht soweit geht, Voraussetzungen zu schaffen, für einen
gesellschaftlichen Dialog, indem die Vorstellung des Kulturbegriffes „…sich auf
sämtliche, auch die politischen und/oder religiösen Vorstellungen vom Leben erstreckt und
akzeptiert, dass Kollisionen und Auseinandersetzungen vorprogrammiert sind“
(Scherer 2003).1
Hierzu zunächst ein paar Zahlen und „Fakten“ zu der existenten Vielfalt von
„Kulturen“.
2.2.1 Statistiken
Das Nachfolgende Schaubild zeigt die 10 häufigsten Staatsangehörigkeiten der
ausländischen Bevölkerung am 31.12.2006:
Solche amtlichen Statistiken sind allerdings wenig geeignet das „multikulturelle“
Deutschland zu beschreiben. Ausländer sind lediglich die, die keine deutsche
Staatsangehörigkeit besitzen.
Um wirklich zu halbwegs aussagefähigen Zahlen zu gelangen ist es nötig von
Menschen mit Migrationshintergrund zu sprechen.
Diese „…können folglich Ausländer oder Deutsche, zugewanderte oder in Deutschland
geborene Ausländer, Spätaussiedler, Eingebürgerte mit persönlicher Migrationserfahrung
sowie auch deren Kinder“ sein, „die selbst über keine unmittelbare Migrationserfahrung
1
Scherer, H.. (2003): Kulturelle Segregation - Zweisprachigkeit - Integration - Assimilation (Begriffe, kontroverse Ansätze, pädagogische
Konflikte)
17
verfügen“ (HWWI 2007:3).1
Daten zur Anzahl der Bevölkerung mit Migrationshintergrund werden in Deutschland
erst
seit
2005
erhoben.
Da
vorher
nur
Inländer
von
Ausländern
nach
Staatsangehörigkeit differenziert wurden, stehen daher erst seitdem verwertbare
Zahlen zur Verfügung.
So bestand die Einwandererbevölkerung in Deutschland 2005 aus 15,3 Mio.
Menschen. Auf die gesamte Bundesrepublik bezogen entspricht das 19 % der
Bevölkerung. Zu dem prozentualen Anteil, der regional und insbesondere in
westdeutschen Großstädten, stark variiert, später mehr.
Demnach besitzt über die Hälfte der 15,3 Mio. (die linke Hälfte der Grafik) die deutsche Staatsbürgerschaft.Hierzu zählen 23% der Einwanderungsbevölkerung, zusammengesetzt aus Spätaussiedlern, Deutschen, bei denen mindestens ein Elternteil
Spätaussiedler, Eingebürgerter oder Ausländer ist, sowie „Eingebürgerte“.
2.2.2 Vom Ausländer zum „Deutschen mit Migrationshintergrund“
Deutschland macht es, im internationalen Vergleich gesehen, Ausländern nicht
einfach „Inländer“ zu werden. So setzt das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG)2 trotz
der Reform aus dem Jahr 2000 immer noch hohe Hürden vor der Einbürgerung.
Demnach haben Ausländer nach 8 Jahren „rechtmäßigem und dauerhaftem Aufenthalt“
Anspruch auf Einbürgerung. Des Weiteren wird ein „…Nachweis ausreichender
deutscher
1
2
Sprachkenntnisse,
Straflosigkeit,
Verfassungstreue
und
die
selbständige
„Focus Migration – Länderprofil Deutschland“, Nr.1 Mai 2007, Herausgeber: Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut (HWWI),
Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), Stand 19.8.2007
18
Finanzierung des Lebensunterhalts“ verlangt (HWWI 2007:4).
Als größte Hürde erweist sich allerdings die Entscheidung die alte Staatsbürgerschaft
aufzugeben.
Doppelte
Staatsbürgerschaft
schließt
das
Gesetz
aus.
Kinder
ausländischer Eltern müssen sich zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr zwischen der
Nationalität der Eltern oder der der „neuen Heimat“ entscheiden. Aus der
Einbürgerungsstatistik geht allerdings hervor, dass Mehrstaatlichkeit durchaus nicht
nur in Ausnahmefällen gewährt wird. „So konnte 2005 fast jeder zweite Eingebürgerte
(47 %) seine frühere Staatsangehörigkeit beibehalten“ (ebda.:4).
Vielleicht hilft ein Blick über die Grenzen den Blick auf das Staatsbürgerschaftsrecht
zu erweitern. In Russland sind bis heute, wahrscheinlich als Überbleibsel des
Vielvölkerstaates Sowjetunion, in den Pässen zwei Eintragungen aufgeführt,
Staatsbürgerschaft und Nationalität, z.B. Staatsangehörigkeit "Russische Föderation",
Nationalität
"tschetschenisch".
In
den
deutschen
Pässen
gibt
es
diese
Unterscheidung nicht, folglich werden diese beiden Begriffe auch gleichbedeutend
eingesetzt. Es soll hier nicht eingefordert werden Pässe zu verändern, sondern die
Hürde „Staatsbürgerschaft“ bei der Einbürgerung, als rein formalen Integrationsakt
zu thematisieren. Loyalitätsfragen ergeben sich, da die Bindung zur alten Heimat und
damit ein Teil der Identität zumindest begrifflich gekappt werden (vgl. Kapitel 3).
„Der unbändige Wunsch nach Zulassung einer doppelten Staatsbürgerschaft…ließe sich
vielleicht mindern, wenn wir es schaffen könnten, nicht von jedem Staatsbürger gleich zu
verlangen, mit Haut und Haaren Deutscher zu sein“ (Scherer 2003).
2.2.3 Integration, Assimilationsdruck und Wertekanons
Es gibt wenige Themen momentan, mal abgesehen von ökonomischen Debatten, die
innenpolitisch so medienpräsent sind wie das Thema Integration:
Bundeskanzlerin Merkel lädt zum Integrationsgipfel nach Berlin;
Integrationsbeauftragte Böhmer stellt einen Integrationsplan auf;
Bundespräsident Köhler besucht eine vorbildliche integrative Schule;
Außenminister Steinmeier rappt mit „Ghettokids“;
das ZDF strahlt eine Integrationswoche aus, (…) etc.
19
Was ist das Neue und Interessante an diesem „modernen“ Thema?
Dazu erst mal ein Blick in die Geschichte, die sich vorab gesagt inhaltlich stellenweise
bis in die Gegenwart weiter zieht.
Integration war in den Wirtschaftwunderjahren kein Thema. Gastarbeiter wurden als
temporäre „Gäste“ angesehen. Doch die Gastarbeiter richteten sich ein, holten ihre
Familien nach und bekamen Kinder. Das alles wirkte auf den „deutschen Nachbarn“
allerdings irgendwie „eingeschleiert“, undurchsichtig und dadurch fremd und
bedrohlich.
Erst als es sich abzeichnete, dass ein großer Anteil der angeheuerten Gastarbeiter
hier blieb, stellte sich die Frage des dauerhaften Umganges mit den „Fremden“.
Dabei wurde Integration, ausgehend von dem Verständnis einer homogenen
Nationalkultur, gleichgesetzt mit der Forderung nach Assimilation. Die junge
Demokratie der Bundesrepublik nach dem Kriege war noch stark geprägt durch das
im 3. Reich propagierte Konstrukt der einzigartigen deutschen nationalen Identität.
Die Meinung zu den neuen Mitbürgern war zwar undifferenziert, in der Tat aber
einheitlich.
„Im Volksmund hieß das dann, die Ausländer hätten, wenn sie schon bleiben wollten, auf
ihre eigentümlichen, zu Deutschland nicht passenden Sitten zu verzichten und sich gefälligst
anzupassen;…“ (Cohn-Bendit/Schmid 1993:161).1
Dieser Assimilationsdruck forderte sozusagen die Annahme der „Kultur der
Deutschen“ und demzufolge der Aufgabe ihrer ethnischen Minderheitenkultur und
dadurch auch den Verlust ihrer ethnischen Identität.
Solche Vorstellungen von Integration haben sich, wie auch das von Park in den
U.S.A. entwickelte Konzept des „Melting Pot“ bei dem spätestens über wenige
Generationen
hinweg
alle
Ethnien
miteinander
verschmelzen,
als
Illusion
herausgestellt (vgl. Esser 1980).2
Es hat sich, mal abgesehen von wenigen rechtskonservativen Ansichten, das
Bewusstsein soweit herausgebildet, dass nicht mehr von einem Endzustand
auszugehen
ist,
bei
dem
zugewanderte
Minderheiten
vollständig
in
die
Mehrheitsgesellschaft aufgehen.
Das Konzept der Integration hat sich etabliert, um die Herausforderung der
1
Cohn-Bendit, Daniel; Schmid, Thomas „Heimat Babylon – Das Wagnis der multikulturellen Demokratie“ Hamburg: Hoffmann und
Campeverlag, 1993
2
Esser, Hartmut „Aspekte der Wanderungssoziologie“Darmstadt, Neuwied: Hermann Luchterhand Verlag, 1980
20
„multikulturellen“ Gesellschaft anzugehen. Kulturelle Eigenheiten von Minderheiten
sollen respektiert werden und die vollständige Übernahme von Kultur und
Werthaltungen nicht mehr eingefordert werden.
Kritiker werfen dem Konzept „Integration“ vor, eine Mogelpackung zu sein.
„Vollständige Anpassung“ wird zwar nicht eingefordert aber da das Konzept aus dem
Blickwinkel
der
Aufnahmegesellschaft
entworfen
ist,
impliziert
es
eine
unausgesprochene Forderung nach einer möglichst konfliktfreien Eingliederung.
Eingliederung als eindeutig einseitige Aufgabenverteilung zulasten der Zuwanderer.
Die Aufnahmegesellschaft begnügt sich lediglich damit, die von ihr definierten
Variablen der bisherigen Integrationsleistung abzuprüfen. Erfüllt das Individuum die
Normen
und
Werte?
Integration
funktioniert
aber
nur
dann,
wenn
die
Aufnahmegesellschaft sich aus der passiven Rolle löst, sich öffnet, und gemeinsam
mit den Migranten, die Probleme angeht.
„Eine der spannendsten Fragen, die sich unserer Gesellschaft gegenwärtig stellt ist, ob es
uns gelingt, ein Dach zu formulieren, unter dem sich alle hier lebenden Menschen – egal
welchen kulturellen, ethnischen oder religiösen Hintergrund sie haben – wieder finden können“ (Özdemir 2005).1
Dieses „Dach“ bedarf stabiler und tragender Säulen. Ein nebeneinander der Kulturen
und Ethnien á la „multikulti“ ist hierfür nicht genug. Ohne ein gutes Fundament, wird
dies nicht funktionieren. Ob das allerdings ein „…für alle verbindlicher Wertekanon“ sein
muss, wie ihn Cohn-Bendit einfordert, erscheint mit Hinblick auf die transkulturelle
Verfassung von modernen Gesellschaft fraglich. Das Paradigma, „…dass die Integration
einer Gesellschaft vor allem über gemeinsam geteilte kulturelle Werte…“ erreicht werden
muss, ist angesichts „…unserer pluralistischen sozialen Wirklichkeit…“ (Seitz 2005:51)
nicht mehr haltbar.
„Nicht über das Bekenntnis zu geteilten Werten und Traditionen…“, sondern über Beteili-
gung kann soziale Integration gewährleistet werden (ebda.:66). Das „gute Fundament“ könnte daher eher über Beteiligung und Mitwirkung von Bürgern und die Verständigung auf gemeinsame Regelinteressen in Form gegossen werden (vgl. 5.1).
Dass das „Dach“ momentan über alles andere als über stabile und tragende Säulen
verfügt, zeigt sich insbesondere darin, dass viele Kinder der ehemaligen Gastarbeiter
sich heute ihren ethnischen Wurzeln zuwenden, oft in radikalster Form. Gründe hier1
Özdemir, C. (2005): "Visionen einer multikulturellen Gesellschaft“
21
für mag es viele geben aber ein Zeichen für gelungene Integration sind diese Tendenzen nicht. Aufgabe einer Integration befürwortenden Aufnahmegesellschaft muss
sein, Zuwanderern zu ermöglichen an diesen gemeinsamen Regelinteressen mitzuarbeiten. Von vornherein z.B. von einer Unvereinbarkeit von der „westlich-christlichen
Wertegemeinschaft“ mit dem Islam zu sprechen blockiert produktive Lösungen schon
im Ansatz. Fundamentalismus ist hierbei, sowohl der deutsche wie auch der islamische, der größte Feind der nicht zur Disposition stehenden rechtsstaatlichen Demokratie.
Birand Bingül veranschaulichte am 8.11.07 im Kommentar zu den Tagesthemen in
der ARD die Integrationsdebatte sehr treffend:
„Die Integration ist nicht gescheitert, sondern die Desintegration, das Ausgrenzen und Zurückziehen,
die Methode Verdrängen, Ducken, Wegkucken, die Deutsche und Zugewanderte jahrzehntelang
praktiziert haben. Die Einen Mainstream, die Anderen in ihren Nischen. Ein Integrationskiller. Aber
Randgruppe war gestern. Endlich werden Probleme scharf diskutiert und nicht ignoriert oder
weggeschmust, Islamismus und Ehrenmord auf der Einen, Benachteiligungen aller Art auf der
Anderen Seite. Doch dass Desintegration gescheitert ist, heißt nicht automatisch, dass Integration
gelingen muss. Die Verhältnisse sind neu zu justieren, zum Teil auch Machtstrukturen. Die Erkenntnis
ist da, die Umsetzung nicht. Die Regierung muss Doppelidentitäten durch einen echten Doppelpass
anerkennen. An Haupt- und Sonderschulen versauern Jugendliche mit ausländischen Wurzeln weiter
ohne Perspektive, fehlende Chancengleichheit. Wer ständig schlechter benotet und behandelt wird als
verdient, hat Grund sich abzuwenden. Ebenso muss der Islam sich einpassen um Akzeptanz zu finden
und die Zuwanderer kapieren, dass sie keine Kuschelintegration brauchen, sondern faire Chancen und
den Willen dazu zu gehören. Den haben nicht alle, aber schon sehr viele Zuwanderer. Eine
Erfolgsgeschichte, über die wir Journalisten zu selten berichten. Die größte Hürde aber ist, dass es
keiner Partei gelingt die Skeptiker auf beiden Seiten ausgewogen und passend anzusprechen. 'Lern
deutsch und leg keine Bomben', 'dein Freund ist von heute an Ausländer' das funktioniert nicht. Es
fehlt bisher der Gefühlskitt, der Deutschland zum entspannten Integrationsland machen könnte“
(Birand Bingül 2007).1
Aber was ist der „Gefühlskitt“ von dem Birand Bingül spricht?
„Gefühl“ ist subjektives Empfinden, Wahrnehmen, affektives Erleben…
„Kitt“ ist dazu da, Löcher zu stopfen, Übergänge zu glätten, Fugen zu dichten…
1
Birand Bingül, 8.11.07, Kommentar zu den Tagesthemen in der ARD
22
In dem „entspannten Integrationsland“ agieren demnach Akteuren, deren Sichtweise,
Denken und Handeln, integrativ sind. Voraussetzung hierfür scheint es zu sein, in
Anlehnung an das Transkulturalitätskonzept, die eigene innere Transkulturalität zu
erkennen.
„Was hat mich zu dem gemacht was ich jetzt bin und wie ich denke und
wahrnehme?“ Durch diese Selbstexploration wird der Einzelne in die Lage versetzt
anscheinend ethnisch-kulturell Fremdes und Fremde anzuerkennen, vorurteilsfrei und
offen. „Was hat den anderen zu dem gemacht was er ist, wie denkt er und nimmt
wahr?“ Denn nicht die eine Kultur prägt den Menschen, sondern im Hinblick auf die
transkulturelle und heterogene Verfassung von Gesellschaften, uneindeutige viele
kulturelle Komponenten. Dies ist in besonderem Maße bei Migranten zu beobachten,
insbesondere bei deren Nachkommen. Nicht in der alten Kultur lebend, nicht in der
Neuen, auch nicht dazwischen sondern vielleicht etwas Drittes, eine „Kultur der
Migranten“ lebend?
Die Metapher „Gefühlskitt“ könnte demnach dafür stehen, durch kultursensibles (vgl.
Kapitel 5.3) agieren der Akteure in der Lage zu sein, den Weg zur Integration ohne
Risse, Schlaglöcher, Barrieren, Umleitungen etc. zu gestalten.
Aber nun ein genauerer Blick auf die jungen Menschen mit Migrationshintergrund. Als
Aufhänger dient hierbei die aktuelle Jugendgewaltdebatte.
3. Die „Sturm und Drang“ – Generation mit Migrationshintergrund
Deutschland im Januar 2008:
Ein Rentner wird Ende des Jahres 2007 in der Münchner U-Bahn von zwei
Jugendlichen (17 und 20 Jahre), griechischer und türkischer Herkunft, brutal
zusammengeschlagen. Er hatte die beiden zuvor auf das Rauchverbot hingewiesen.
Überwachungskameras sorgten dafür, dass der Vorfall eine medienwirksame
Verbreitung fand.
Die von dem im Wahlkampf befindlichen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch
daraufhin losgetretene Debatte über jugendliche gewaltbereite Ausländer zieht seine
Kreise.
23
Die Forderungen nach einem härteren Strafrecht, „Warnschussarrest“, Abschiebung
von ausländischen Straftätern etc., wird durch eine daraufhin folgende „anhaltende
Gewalt“ – Berichterstattung, bestärkt. Mit Statistiken und „Fakten“ wird versucht, die
aktuelle Debatte zu unterlegen. So wünsche sich z.B. Hans-Dieter Schwind
(Opferschutz-Organisation Weißer-Ring)
„…’deutlich mehr Einsicht’. Tatsache sei, dass türkische Jugendliche dreimal so oft straffällig
würden wie deutsche“ (Frankfurter Rundschau 12/1/08:5).1
Erklärungsmodelle wurden schnell gefunden, wie z.B. „…den zivilisatorisch unabgearbeiteten Tribalismus der islamischen Welt, der in Machismo und männlichem Kampfgeist hohe
Werte erkennt...“ (Frankfurter Rundschau 12/1/08:31)2 und die dementsprechenden
Erziehungsstile etc..
Die Reaktionen der „political correct“ – Gesellschaft auf die selbsternannte „Stimme
der Schweigenden Mehrheit“ von Roland Koch erscheinen allerdings wenig hilfreich.
Denn weder Tabuisierung von Themen, noch oberflächliche Betrachtungen geben
Ansatzpunkte für Lösungen; „Denn eine Ethnisierung des Problems hilft uns nicht weiter“
(Frankfurter Rundschau 12/1/08:2).3
Nicht die Zahlen mit denen hantiert wird sind fraglich sondern die Interpretation.
Warum sind jugendliche Straftäter mit Migrationshintergrund führend in Kriminalstatistiken? Ein differenzierter Blick gibt hierbei schnell plausible Antworten. Neben einer
Reihe von weniger ausschlaggebenden Parametern stechen hier zwei hervor. Zum
einen die soziale Schichtung. „Denn anders als die Gesamtpopulation der jungen Deutschen stammt die Teilmenge der delinquenten jugendlichen Ausländern oft aus subproletarischen Verhältnissen, in denen auch unter den Deutschen die Kriminalitätsbelastung höher
liegt“ (Cohn-Bendit/Schmid 1993:294).
Zum anderen, insbesondere in westdeutschen Großstädten, die demographische Entwicklung, durch die der Anteil von Migrationshintergründlern bei den bis 21- jährigen
ständig wächst. Verbindet man beide Punkte und geht man davon aus, dass ein
überwiegender Anteil der Straftaten in Großstädten verübt wird, sind die Zahlen einleuchtend.
1
Pitt von Bebenburg: „Schwarz-Gelb ohne Mehrheit“ Frankfurter Rundschau, 12.1.08
Michael Rutschky: „Jugend ist Gewalt“ Frankfurter Rundschau, 12.1.08
3
Desniz Yücel im Interview mit Emine Demir-Büken-Wegner(CDU) „Wählt CDU trotz Koch!“ TAZ, 12.1.08
2
24
Schaut man dann noch den oben geschilderten Fall genauer an, beide Täter gehören
zu dem überrepräsentierten Anteil von Schulabbrecher mit Migrationshintergrund und
den dementsprechenden Zukunftsperspektiven, ist man schnell wieder bei der Integrationsdebatte. Allerdings ist Desintegration als einziges Erklärungsmodell oder
„Entschuldigung“ nicht ausreichend die immense Gewaltbereitschaft der Jugendlichen
zu verstehen (vgl. 3.3.3).
Nicht erst seit dem Vorfall in der Münchner U-Bahn hat sich bei der Integrationsfrage
der Fokus der Aufmerksamkeit von den inzwischen in die Jahre gekommenen Gastarbeitern auf ihre Nachkommen konzentriert.
Das mag daran liegen, dass „Kinder die Zukunft sind“ und in Metaphern gesprochen
„lieber dem Kind helfen, dass noch nicht in den Brunnen gefallen ist, als dem schon
am Boden liegenden“, weil: „Diesmal klappt die Integration!“.
Das mag auch an der demographischen Entwicklung in Deutschland liegen und der
Einsicht, des Bedarfs der Gesellschaft an den „Ausländerkinder“ und das nicht nur als
Klientel für die Jugendhilfe und die Justiz, sondern auch als Steuer bezahlende
Arbeitnehmer.
Doch die Gesellschaft tut sich offensichtlich schwer dem „Kind“ einen Namen zu
geben und zu beschreiben.
Hierbei gibt es von den seit den 70ern aufblühenden Sozialwissenschaften
Unterstützung, nicht nur semantisch, sondern auch inhaltlich, mit Erklärungen und
Beschreibungen. Zum Thema „Jugendliche mit Migrationshintergrund“ oder wie die
postmoderne Kreation „NDH“ (Nicht-Deutscher-Herkunft) gibt es in der deutschen
Literatur eine Vielzahl von Publikationen. Allein die im Folgenden aufgeführte
Auswahl von Titeln sagt einiges über die Haltung der Autoren zu diesem Thema aus.
„’Das
verhaltensgestörte
Gastarbeiterkind’
(Malecha),
‚Die
tickende
soziale
Zeitbombe’ (Geißler/Marißen), ‚Jugend ohne Zukunft’ (Allerbeck/Hoag), ‚Zwischen Ghetto
und Knast’ (Autorengruppe), ‚Wanderer zwischen zwei Kulturen’ (Abali/Widmann) etc.“
(Nussbaumer in Viehböck/Bratic 1994:6).1
Nicht das offene Ansprechen von Problemen erscheint hierbei fragwürdig, sondern
die defizitäre Betrachtungsweise dieser „verlorenen Generation“.
1
Josef Nussbaumer: Vorwort in Eveline Viehböck, Ljubomir Bratic : „Die Zweite Generation“ Innsbruck: Österr. Studienverlag, 1994
25
Um
zu
einem
differenzierteren
Bild
zu
kommen,
wie
das
Beispiel
der
Jugendgewaltdebatte zeigt, scheinen einfache Erklärungsmodelle nicht ausreichend
und vor allem den Beschriebenen nicht gerecht zu werden. Das fängt schon damit
an, dass „Jugendliche mit Migrationshintergrund“ alles andere als eine homogene
Gruppe
darstellen.
Gemeint
hierbei
sind
nicht
die
unterschiedlichsten
Herkunftsländer, sondern der Zeitpunkt bei dem sie in der deutschen Gesellschaft
auftauchen
und
damit
ihre
unterschiedlichsten
Sozialisationsbedingungen.
Variationen kann es davon viele geben.
So können z.B. Kinder schon mit ihren Eltern zusammen eingereist sein, oder als
Kinder ausländischer Eltern in Deutschland geboren sein oder auch in der
Generationsfolge als Enkel der ersten Gastarbeiter inzwischen die sogenannte
„3.Generation“ darstellen.
Hierzu erst mal wieder Daten und „Fakten“.
3.1 Demographie
Demographische Entwicklung ist ebenso wie Integration ein Thema welches sehr
aktuell die gesellschaftspolitischen Debatten bestimmt. Allerdings werden diese
beiden
Themen
oftmals
nur
als
zwei
separate
Themen
behandelt.
Um
wahrscheinliche Prognosen über die zukünftige Bevölkerungsstruktur vornehmen zu
können, scheint es aber vonnöten beide Themen zu verbinden.
Der subjektive Blick des einzelnen Bürgers nimmt es so wahr: Deutsche
reproduzieren sich anscheinend deutlich weniger als Migrationshintergründler und
damit scheint die zukünftige Bevölkerungsstruktur vorhersehbar. Im Mai 2007
veröffentlichte das Statistische Bundesamt erstmals einen ausführlichen Bericht zur
Größe und Struktur der Bevölkerungsgruppe „Menschen mit Migrationshintergrund“.
Die Schlussfolgerungen daraus beleuchten die Integrationsdebatte unter einem
neuen und dringlich anderem Licht.
Es soll im Folgenden zuerst die demographische Entwicklung in Deutschland und
anschließend der Ist-Zustand in westdeutschen Ballungsgebieten und Großstädten
dargestellt werden um die „Zukunftsprognosen“ an einer schon existenten Realität zu
veranschaulichen.
26
3.1.1 Demographische Entwicklung in Deutschland
Bis zur Präsentation des Mikrozensus 2005 und insbesondere die Studie „Bevölkerung
mit Migrationshintergrund - Ergebnisse des Mikrozensus 2005“ gab es wenige valide
Zahlen in Bezug auf die wahrscheinliche Entwicklung des Bevölkerungsverhältnisses
von Einheimischen und Menschen mit Migrationshintergrund.
Zahlen lieferte z.B. die Demographische Projektionsrechnungen für die Rentenreform
2000 von Birg und Flöthmann im Jahre 2001:
Bevölkerungsentwicklung der vier Teilpopulationen von 1998 bis 2050 (in Mio.)
Mio.
1998
%
59,6
Mio.
2030
%
49,9
Mio.
2050
%
39,5
Deutsche/alte
Bundesländer
Zugewanderte/alte
7,1
Bundesländer
Deutsche/neue
15,0
Bundesländer
Zugewanderte/neue
0,3
2,0
1,1
8,1
1,6
14,4
Bundesländer
Deutsche gesamt
74,6
91,0
62,3
80,4
49
72,1
Zugewanderte gesamt
7,4
9,0
15,2
19,6
19,0
27,9
Deutschland gesamt
82,1
10,6
14,1
22,0
12,4
77,5
17,4
30,6
9,5
68,0
Quelle: Birg, H.; Flöthmann, E.-J. (2001): Demographische Projektionsrechnungen für die Rentenreform 2000. Methodischer Ansatz und
Hauptergebnisse. Bielefeld. S. 216. Darstellung und eigene Berechungen: Inga Uhlenbrock
So betrug „…1998… der Anteil der "Personen mit Migrationshintergrund"“…“nach den
Angaben von Birg und Flöthmann noch 9,0% (7,4 Mio.), bis 2030 werde er nach
Berechungen der Forscher auf 19,6% (15,2 Mio.) und bis 2050 auf 27,9% (19 Mio.)
ansteigen.
Die einheimische Bevölkerung hätte danach bis zum Jahr 2050 um rund 26 Mio. Personen
abgenommen und die zugewanderte Bevölkerung um rund 11 Mio. zugenommen“
(Birg/Flöthmann 2001). 1
1
„Bevölkerungsentwicklung: Umbruch nach 2012“ von Birg, H.; Flöthmann, E.-J. (2001): Demographische Projektionsrechnungen für die
Rentenreform 2000. Methodischer Ansatz und Hauptergebnisse. Materialien des Instituts für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik (IBS)
der Universität Bielefeld, Band 47a, Bielefeld.
27
Obwohl diese Berechnungen damals auch schon mit beeindruckenden Zahlen hantierten, sind die aktuelleren Zahlen des Mikrozensus 2005 noch deutlicher.
Dies ist natürlich davon abhängig, wie der sogenannte „Migrationshintergrund“ definiert wird:
„Im Wesentlichen lässt sich die Definition des Migrationshintergrundes im Mikrozensus 2005
so zusammenfassen:
1. Ausländer/-innen,
2. (Spät)Aussiedler/-innen (seit 1950 zugewandert),
3. Eingebürgerte,
4.
Kinder
(auch
erwachsene),
von
denen
mindestens
ein
Elternteil
unter
die
Personengruppen 1. bis 3. fällt“
(Berliner Integrationskonzept 2007:100).1
Der Mikrozensus unterlegt auch die „subjektive Wahrnehmung des einzelnen Bürgers“. Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist deutlich jünger als die deutsche
Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Jeder zweite Einwohner mit Migrationshintergrund ist jünger als 34,2 Jahre (Focus Migration- Newsletter 5/2007)2.
Die nachfolgende Tabelle zeigt, dass in der Altersgruppe der unter 5-jährigen jeder
dritte Einwohner zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund gehört.
Quelle: Studie „Bevölkerung mit Migrationshintergrund - Ergebnisse des Mikrozensus 2005. Fachserie 1 Reihe 2.2, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Statistisches Bundesamt: Wiesbaden 2007“ Tabelle 3, S.38
Diese Zahlen beziehen sich auf das gesamte Bundesgebiet. Da aber 98 % der Bevölkerung mit Migrationshintergrund im früheren Bundesgebiet und in Berlin leben(Focus Migration- Newsletter 5/2007), ergibt sich für westdeutsche Ballungsgebiete ein
viel drastischeres Bild und besonders im Hinblick auf die davon ableitbare absehbare
Bevölkerungsstruktur in der Zukunft.
1
2
"Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken" Das Berliner Integrationskonzept - Handlungsfelder, Ziele, Leitprojekte 2007
Focus Migration „Bericht zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund“ NEWSLETTER Migration & Bevölkerung AUSGABE 5 / 2007
28
Die nachfolgende Grafik zeigt den prozentualen Anteil der unter 10-jährigen in den
kreisfreien Städten und Landkreisen in der Bundesrepublik im Jahr 2005.
Quelle: Studie „Bevölkerung mit Migrationshintergrund - Ergebnisse des Mikrozensus 2005. Fachserie 1 Reihe 2.2, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Statistisches Bundesamt: Wiesbaden 2007“ Schaubild 6, S.19
29
3.1.2 Ist- Zustand in westdeutschen Großstädten
Die nachfolgende Grafik zeigt den Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund
in ausgewählten Großstädten:
Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund bei den unter 5-Jährigen liegt
hierbei in sechs Städten über 60 %, so in Nürnberg (67 %), in Frankfurt/Main (64,6
%), in Düsseldorf (63,9 %) und in Stuttgart (63,6 %).
Hier bestätigt sich auch die „Reproduktionsthese des Normalbürgers“, denn:
„Eine wichtige Ursache dieser Situation ist die in den letzten Jahrzehnten anhaltend geringe
Kinderzahl der Deutschen ohne Migrationshintergrund. Der hohe Anteil von Vorschulkindern
mit Migrationshintergrund in den genannten Städten wird in den kommenden Jahren noch
stärker die Situation an den Schulen beeinflussen als bisher“ (Newsletter Migration2007).
Die nachfolgende Darstellung des Sozialraum I in Berlin Kreuzberg zeigt, dass der
dortige
prozentuale
Gesamtdeutschland
Anteil
zu
von
Ausländern
erwartenden
heute
vergleichbar
schon
ist.
mit
Damit
dem
wird
in
die
Herausforderungen für Politik, Gesellschaft und (insbesondere der integrativen,
kultursensiblen) Jugendarbeit klar unterlegt.
Berlin unterteilt im Zuge der Sozialraumorientierung der Jugendhilfe die einzelnen
Ortsteile in Segmente, die sogenannten Sozialräume (ab 2008:Regionalräume).
Die nachfolgende Statistik unterscheidet lediglich zwischen „deutsch“ und „nicht
deutsch“. Die Zahlen sprechen allerdings auch ohne die Differenzierung in „mit
Migrationshintergrund“ und „Ausländer“ eine deutliche Sprache.
30
Demographische Struktur der für Kinder- und Jugendhilfe bedeutsamen Altersgruppen Einwohner im
Sozialraum I / Stichtag 31.12.2005:
Solche „Kieze“ gibt es in Westdeutschland in jeder größeren Stadt. Angesichts
derartiger Zahlenverhältnisse müssten, auf die Integrationsfrage bezogen, eigentlich
auch die Gegner einer liberaleren Einbürgerungspraxis zur Erkenntnis gelangen, dass
es vonnöten ist, die Vorgaben zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft der
existenten und prognostizierten Demographie anzupassen.
Der Sozialraum I hat auch für Berliner Verhältnisse einen hohen multiethnischen
Anteil, insbesondere in der für die Jugendhilfe relevanten Altersklasse. Um zu einem
integrativen und kultursensiblen Ansatz zu kommen erscheint es erst einmal wichtig
die Zielgruppe genauer anzuschauen. Die Zahlen belegen eindeutig, dass die Gruppe
„Jugendliche mit Migrationshintergrund“ nicht eine Minderheit ist, wie es in der
öffentlichen Debatte oft heißt, sondern einen großen Anteil der heutigen und
besonders der zukünftigen Bevölkerungsstruktur darstellt.
Die nachfolgende „nähere Untersuchung des Klientel“ hat nicht den Anspruch
vollständig zu sein, soll aber helfen die Komplexität des Themas greifbar zu machen.
Denn „Jugendliche mit nicht deutscher Herkunft“ erscheinen in ihrer sozialen Umwelt
als unmittelbare Akteure, als „…eine Art Brückenbauer zu verschiedenen Kultur- und Sozialwelten“ (Nussbaumer in Viehböck/Bratic 1994:6).
31
3.2 Sozialisationbedingungen
Diese Kultur- und Sozialwelten sind allerdings von staatlicher oder gesellschaftlicher
Seite
nicht
einfach
definierbar
und
dadurch
voneinander
abgrenzbar.
Die
Zuschreibung der Migrantenjugendlichen als „Zwischengänger“ der verschiedenen
Welten basiert auf falschen Grundlagen.
Die Zuschreibungsbemühungen sowohl von Gesellschaft als auch die, ihrer eigenen
Familien werden den Jugendlichen meistens nicht gerecht, denn „...nicht das vermeintliche Fremdsein schafft ihnen Probleme, sondern das Verwehren der Chance, sich selbst entwickeln zu können“ (ebda.:6).
Die normalen Schwierigkeiten des Heranwachsen werden verstärkt, durch die nicht
selbst gewählte aber unumgängliche Rolle des „Brückenbauers“. Das heißt, zusätzlich
zum in Sozialisationsprozessen stattfindenden Konflikten „…kommt erschwerend hinzu,
dass hier Generationen- und Kulturkonflikt miteinander gekoppelt sind“
(Uslucan/Fuhrer 2007:15).1
3.2.1 Familie und Umwelt
Um die Sozialisationsbedingungen von Migrantenkinder verstehen zu können, darf
nicht außer Acht gelassen werden, dass die Kinder im Kontext einer gesamtfamiliären
Akkulturation sozialisiert werden. Bedingt durch die Migration finden auch bei den
Eltern
Sozialisationsprozesse
statt
und
das
nicht
nur
bei
der
ersten
Einwandergeneration. Demnach sind „…Alle Personen der Familie (…) gezwungen, ihr
Verhaltensrepertoire zu erweitern, zu ändern und umzuorganisieren“
(Viehböck/Bratic 1994:85/86).2
Das Verhältnis von Integration in die Aufnahmekultur und Bewahrung von kulturellen
Eigenheiten erzeugt Spannungen. Sowohl außerhalb, wie auch innerhalb der Familie.
Inkompatibilitäten oder gar Widersprüche, insbesondere von kulturell bedingten
Werten, sind nach Ansicht von Haci-Halil Uslucan „…von der Mehrzahl der
Migrantenfamilien kaum befriedigend gelöst“, noch „…sind die gesellschaftlich-politischen
Rahmenbedingungen geklärt“ (Leitkultur, Staatsangehörigkeitsrecht, etc.), wobei wir
1
2
Haci-Halil Uslucan, Urs Fuhrer „Familie und Sozialisation von Migrantenkindern“ 2007
Eveline Viehböck, Ljubomir Bratic : „Die Zweite Generation“ Innsbruck: Österr. Studienverlag, 1994
32
hier wieder bei der Integrationsdebatte wären (Uslucan/Fuhrer 2007:5).
Der größte Anteil der Gastarbeiter, die so genannte 1.Generation, entstammte aus
einfachen dörflich-agrarischen Verhältnissen mit dementsprechendem Wertesystem
und patriarchalischen Erziehungsstil. Deutschland als Aufnahmeland, wies in den
50er und 60er Jahren nur oberflächlich betrachtet eine andere Struktur auf. Doch die
Entwicklung von der patriarchialen (autoritären) hin zur modernen (demokratischen)
Familie verlief und verläuft bei Migrantenfamilien weniger linear. Erklärungsmodelle
hierfür gibt es viele, aber „die patriarchalischen Werte in der Großfamilie“ und „das
Bedürfnis…sich in einer fremden Umgebung zu schützen“ (Viehböck/Bratic 1994:85/86)
erscheinen als die Vordergründigsten. Der familiäre Zusammenhalt und das davon
abgeleitete soziale Netzwerk bietet ein wichtiges Schutzpolster im Migrationsprozess
„...wenn die Familie finanziell schlecht gestellt ist sowie intensive Diskriminierungen und
extreme soziale Benachteiligungen erfährt“ (Uslucan/Fuhrer 2007:8).
Doch der Akkulturationsprozess, insbesondere die Konfrontation mit den kulturellen
Gepflogenheiten
der
Aufnahmegesellschaft,
stellt
die
Großfamilie
auch
vor
innerfamiliäre Herausforderungen. Bisher nicht in Frage gestellte „Wahrheiten“
bezüglich der Familienstruktur (Geschlechterverhältnis, Hierarchien etc.) werden in
besonderem Maße von den Kindern aus verschiedenen Blickwinkeln wahrgenommen.
Ihre Sozialisation findet zum einen in der Familie statt. Andererseits aber auch in
gesellschaftlichen Institutionen, wie in der Schule, und manchmal bereits in der Kita.
Diese „schulischen Sozialisation im Einwanderungsland“ (ebda.:8) konfrontiert die Kinder
mit einer oftmals divergierende Erwartungs- und Wertehaltung. Dadurch sind sie
aber auch die Vorreiter des Sozialisationsprozesses der gesamten Familie, da die
Auseinandersetzung mit den „kulturellen Konflikten“ sehr früh und auch stärker als
bei älteren Familienmitgliedern stattfindet. Das resultiert darin, dass Kinder innerhalb
der Familie sehr bald die Rolle des Dolmetschers erfüllen. Nicht nur sprachlich wie oft
öffentlich z.B. bei Behördengängen beobachtbar, sondern auch innerfamiliär in
kulturellen Fragen. Dies ist problembehaftet, da die natürliche Hierarchie der Familie
(Rollenerwartungen, Autoritäten etc.), hierdurch auf den Kopf gestellt wird. Das führt
dazu, dass „bidirektionale Sozialisationsverläufe, bei denen also Kinder ihre Eltern
'sozialisieren', (…) bei Migrantenfamilien ein häufig anzutreffendes Phänomen“ (ebda.:9)
sind
und
die
Sozialisation
des
33
Kindes,
besonders
in
den
Bereichen
Geschlechterverhältnis/ Sexualität und Identität, in einem „doubel-bind“- Verhältnis
vonstatten gehen kann.
Die Ausprägung der Divergenzen von Sozialisationseinflüssen ist hierbei stark „…von
den kulturellen Distanzen zwischen Aufnahme- und Entsendekultur…“ (ebda.:7) abhängig.
So erscheint z.B. die Distanz von italienischen oder polnischen Einwanderern geringer
als bei der größten ethnischen Minderheit, den türkischen Migranten oder von
Einwanderer aus arabischen Staaten.
Kinder aus traditionellen, vom islamischen Glauben geprägten Familien, werden „…in
aller Regel in vorgeformte Werte- und Erwartungsstrukturen hineingeboren“ und „…bringen
das ehrerbietige, loyale und gehorsame Familienmitglied hervor“ (ebda.:10). Die Familie
steht an Nummer 1, danach erst der Einzelne und dessen Individualität.
„Herrscht also … auf der einen Seite ein hohes Maß an emotionaler Verbundenheit und kann
sich der einzelne immer auf die Unterstützung durch die Familie verlassen, so ist auf der
anderen Seite Kontrolle und Disziplin ebenfalls charakteristisch“ (ebda.:10).
Hierbei spielt das Geschlecht des Kindes eine nicht unwesentliche Rolle. So können
sich männliche Kinder viel freier als ihre weiblichen Geschwister entwickeln. Doch die
gesamtgesellschaftliche Tendenz zur Individualisierung macht auch vor traditionellen
Familien nicht halt. Die Kinder sehen sich gezwungen, die für sie hierbei ersichtlichen
reizvollen Vorteile in der Familie durchzusetzen oder zu erkämpfen. Wie viel Energie
für den Kampf oder das Aufbegehren aufgebracht werden muss, variiert, da sich die
Einwandererfamilien zwischen „zwei Milieus (…), die sich als traditionalistisch/
fremdbestimmt
vs.
Modernistisch/
selbstbestimmt
beschreiben
lassen“
(ebda.:11),
bewegen. Das Festhalten an traditionellen-religiösen Erziehungsstilen ist hierbei
insbesondere bei Familien niedrigeren Sozialstatus zu beobachten. Dieses Festhalten
bleibt oft unbeeinflusst von „modernen Entwicklungen“ in ihren Herkunftsländern. Je
höher allerdings der Sozialstatus ist, umso größer ist auch die „Annäherungen an die
Moderne“ (ebda.:12).
Die Ausprägung der innerfamiliäre Konflikte aber auch der Annäherung zwischen
Aufnahmegesellschaft und Migrationsgesellschaft, sprich der Familie, führen im
ersten Fall zur Isolation, im zweiten zur Integration (Viehböck/Bratic 1994:93), mit
dementsprechenden Auswirkungen auf die Sozialisation der Kinder.
Kinder aus zur Selbstisolierung gezwungenen Familien werden „...mit dem radikal
34
überspitzten Standpunkt der Eltern…konfrontiert“ (ebda.:93), müssen sich aber auch im
Wertesystem ihrer außerfamiliären Umwelt zurechtfinden. Besonders problematisch
kann es hierbei werden, wenn z.B. die Prinzipien der Schule und der Familie
gegeneinander stehen, mit dementsprechenden Auswirkungen auf den Schulerfolg
der Kinder.
Doch wie nehmen die Jugendlichen ihren Status als „zwischen den Kulturen“ Lebende
wahr? Was ist mit den inzwischen oftmals Erwachsenen der 2.Migrantengeneration
und ihren Kindern, der 3.Generation? Wie viele Anteile der Herkunfts- oder
Aufnahmekultur sind aktiv, oder wird beliebig „geswitched“? Sind sie nicht auch Teil
von ethnisch unabhängigen Jugendkulturen? Einfache Antworten oder generelle
Beschreibungen kann es hier nicht geben, denn jeder junge Mensch hat
„...sein individuelles Profil, so dass man eher von Tendenzen ausgehen kann als von
Verallgemeinerungen“ (Koray 2007:47)1.
3.2.2 Identitätsentwicklung
Folglich ist damit nicht genüge getan, das Individuum und dessen Komplexität nur
mit seinen ethnischen oder kulturellen Wurzeln beschreiben zu wollen. Natürlich darf
dies nicht unbeachtet bleiben. Betrachtet man jedoch auch die Umwelt, wie Schule,
Freundeskreis etc., ergibt sich ein viel heterogeneres Bild der Einflussfaktoren. Der
„multikulturelle“ Alltag bewirkt, dass „...die Kinder (…) zwar ein Bewusstsein und
differenzierte Wahrnehmung von unterschiedlicher Herkunft…“ haben, sie „...leben aber in
erster Linie...“ ihre „...selbstverständliche und alltägliche Kinderkultur“. Noch sind
Unterschiede per se kein Problem, sondern ein Stück Normalität in ihrer Welt
(Handschuck/Schröer 2005:2).2
Anders wird das, wenn aus entwicklungspsychologischer Sicht, das Kind mit dem
Heranwachsen, spätestens in der Adoleszenz, mit der Aufgabe der Identitätsbildung
konfrontiert wird (vgl. Erikson 1974).
Nachdem die erste „Enkulturation“, durch die Interaktion zwischen Kind und Eltern
(„der Mensch wird am Du zum Ich“) abgeschlossen ist und dadurch Kultur- und
Wertorientierungen verinnerlicht worden sind (vgl. Schuch), werden während der
1
Sibel Koray: Ängste, Konflikte und Strategien zur Lebensbewältigung von Jugendlichen ausländischer Herkunft in Die dritte Generation,
integriert, angepasst oder ausgegrenzt?Teil4
2
Sabine Handschuck, Hubertus Schröer „Tanz der Kulturen - Über das Anderssein von Migrantenjugendlichen“2005
35
Adoleszenz „...alle bisherigen Identifizierungen und Orientierungen in Frage gestellt, das
Selbstbild verschwimmt und ordnet sich neu, um später die Ich-Identität wieder zu festigen“
(Schuch).1
Hierbei sind verschiedenste Einflüsse am Werk. Mit dem verlassen des Elternhauses
wird das Kind mit einer durch die Umwelt zugewiesenen Identität konfrontiert und
damit auch zum Ersten mal mit einem Stigmata der „Fremdheit“. Das Kind beginnt
durch das Aufnehmen und Verbinden von als gut oder notwendig erkannten Einflüssen aus seinem sozialen Netzwerk (vgl.Handschuck/Schröer 2005) Identitäten aufzubauen. Diese sind temporär und können auch Widersprüche beinhalten. Je nach
selbst gewählter oder zugewiesener Rolle bekommen die Identitäten unterschiedliche
Gewichtungen. Eine permanente Auseinandersetzung mit dem „selbst“ innerhalb des
sozialen Netzwerkes findet statt, welches sich nicht mehr nur auf die Familie beschränkt Die Umweltfaktoren, insbesondere Schule, peer-group aber auch mediale
Einflüsse, werden immer bedeutsamer.
Ob das verfestigen der Ich-Identität als Teil einer stabilen individuellen Persönlichkeit
gelingt, ist von vielen Faktoren abhängig. Das Geflecht an verschiedenen Wert- und
Verhaltensprinzipien mit dem das Migrantenkind konfrontiert wird und die
dementsprechend ablaufenden inter- und intrakulturellen Konflikte können die
Identitätsentwicklung behindern oder gar zu Krisen führen (vgl. Yildirim 2003). Die
natürliche, während der Adoleszenz stattfindende Identifikationsdiffusion (vgl.
Erikson) erscheint bei Migrantenkinder im Vergleich zu Deutschen komplexer.
Ein Jugendlicher z.B., der in seiner Kindheit durch einen traditionellen-religiösen
Erziehungsstil die dementsprechenden Norm- und Wertvorstellungen verinnerlicht
hat, „…wird notwendigerweise in der deutschen Schule und Umwelt mit anderen Werten
und Verhaltensprinzipien kollidieren müssen“ (Firat 1991:102 in Yildirim 2003).2
Als Reaktion auf diese Identifikationsdiffusion könnten sich dem Jugendlichen
daraufhin zwei extremen Pole an Verhaltensoptionen anbieten.
Zum einen könnte er, das familiäre Wertesystem in Frage stellend, sich an die
erwünschten Verhaltenserwartungen der deutschen Gesellschaft anpassen. Hier
müsste er „…teilweise mit intrapsychischen und externen Konflikten rechnen, wie
1
2
Joachim Schuch „Psychosoziale Bedingungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund“
Firat: 1991 in Kazim Yildirim „Sozialisationsbedingte Gewalt“, Berliner Forum Gewaltprävention, Sondernummer 1
36
Schuldgefühlen,
‘Gewissenbissen’,
Frustration,
verstärkter
Konformitätsdruck
von
heimatlichen Kontrollmechanismen (z.B. Eltern, Landsleute usw.)” (ebda.:102).
Zum anderen könnte er, „…um die Widersprüche zwischen den Anforderungen der
Mehrheits- und der Herkunftsgesellschaft zu 'meistern'…“ Zuflucht finden “ …zu Sicherheit
und Orientierung versprechenden Totalidentifikationen mit scheinbar starken Kollektiven (wie
der Nation Türkei oder dem Islam), die eindeutige und rigide Normanweisungen haben…“
(Uslucan/Fuhrer 2007:16).
Die Entscheidung für Familien– oder für Gesellschaftswerte ist hierbei aber nicht
zwangsläufig eine „entweder– oder- Frage“, noch eine Mixtur, sondern eine ständige
situationsabhängige Auseinandersetzung mit beiden. Ein Prozess, der durch Aktion
und Reaktion der Akteure abläuft und der mit den Erfahrungen, die die Jugendlichen
hieraus ziehen, unbewusst die Identität bildet.
„Sie [die Identität] ist aber nicht nur die Summe von Erfahrungen im Bewusstsein, sondern
als Teil des Subjekts wird sie zu etwas qualitativ Neuem“ (Viehböck/Bratic 1994:116/117).
Dieses Neue, soziologisch gesprochen, die „gesellschaftliche Schicht“, überfordert
allerdings den Akteur Gesellschaft, die nicht bereit ist den „…künstlich geschaffenen …
Fremdkörper“ (ebda.:116) „Migrationsjugendlicher“ als vollwertiges neues Mitglied
aufzunehmen. Mit den dementsprechenden Auswirkungen, da von einer „positiven
Identität“ laut Viehböck und Bratic nur dann gesprochen werden kann, wenn der
Jugendliche in der Lage ist, in der Gesellschaft zu agieren und konstruktiv auf sie
einwirken kann.
Die Familie als der andere Akteur bietet aber auch keine Identifikationsfigur mehr.
„Die alten Wertesysteme werden auf wenige Punkte reduziert“ (ebda.:95).
So sehen z.B. die Jugendlichen zum einen die Unvereinbarkeit von Bildung und
Religion, „...da sie die Spannungen der modernen Lebenswelt, die religiösen Zielsetzungen
wenig Raum lässt“ (Merkens 1997 in Uslucan/Fuhrer 2007:12) spüren, allerdings zeigt
die nachfolgende Grafik zum anderen aber auch, dass der religiöse Glaube dennoch
ein starker Identitätsfaktor ist (vgl.Yildirim 2003).
37
Da weder Elternhaus, noch die Gesellschaft in der Lage ist, diesen „neuen“ Identitäten das Gefühl von Akzeptanz und Geborgenheit zu bieten, sind die Jugendlichen gezwungen dies unter „Ihresgleichen“ zu finden. Identität als Teil ihrer peer-group oder
Clique innerhalb „ihrer“ Stadt oder „ihres“ Kiezes („Bist du 36 oder 61?“[alte Postbezirke in Berlin]; „Bist du Deutscher…oder auch anders?“).
„Somit hat man nicht Identität, sondern operiert, interagiert mit unterschiedlichen
Identitäten, die untereinander und mit der Umwelt in kontinuierlicher Auseinandersetzung
stehen“ (Hinnenkamp 2000:6).1
Diese unterschiedlichen Identitäten können selbst gewählt oder zugewiesen sein und
die Auseinandersetzung damit resultiert, in dem Verhältnis von Aktion und Reaktion
mit der Umwelt, zu entsprechenden Handlungen.
Das
ambivalente
Verhältnis
der
Identifikationsentwicklung
und
das
daraus
resultierende Selbstbild und die Wahrnehmung der (Mehrheits-) Gesellschaft,
veranschaulicht der Auszug aus dem Songtext „Im Westen“ von „Muhabbet“ mit
seinem Bruder „$iki Pa!“(Welt-online 11/2007)2.
Muhabbet wurde in der breiten Öffentlichkeit bekannt durch seine Aufnahme des
Liedes „Deutschland, warum verstehst du mich nicht?“ mit Außenminister Steinmeier.
1
2
Volker Hinnenkamp "Gemischt sprechen" von Migrantenjugendlichen als Ausdruck ihrer Identität
„Das sind die fraglichen Texte von Muhabbet“ - Nachrichten Kultur - WELT ONLINE, 16. November 2007
38
Wo ich her komm? Ich komm aus der Küche der Hölle!
Im Westen, lacht man so gern in dein Gesicht
Den meisten von euch Fotzen ist der Ort bekannt als
Im Westen, blenden die Medien deine Sicht
Kölle.
Im Westen weißt du nie wer in deinen Rücken sticht
Hier ist nichts wie es ist, alles stink nach Fisch und
deck deinen Rücken selbst, weil sonst auch dich jemand
Gülle
erwischt
Two-faces und Masken gib es in Hülle und Fülle.
Wo ich herkomm? Ich komme aus Köln Ehrenfeld
Ich brülle, schöne Schale ohne Kern
Der Ort an dem man viel von Ehre hält
Kein Stil kein Charakter doch mitlaufen ist modern.
Wo für’n 5€ Schein deine Ehre fällt
Du kümmerst dich so gern um dein ansehen und
Auch für dich zählt das Geld also spiel keinen Held
aussehen,
In dir ist ein Vakuum, doch man sieht dich nur von
In
der
Hauptstadt
der
Schwulen,
dem
deutschen
außen!
Hollywood lebt jeder nach dem Trend der Medien und
Hier gibt es hunderttausend und noch mehr Opfer,
Clubs
Fickfressen, fags, Bitches, Schwuchteln euer Kopf leer.
Ihr seid meinungslose Zombies und geistig schon kaputt
Der Punkt ist ihr habt alle große Klappen.
und sagt H.A.V. die Wahrheit haltet ihr nur noch den
Doch kommt es drauf an könnt ihr nur in die Hosen
Mund.
Kacken
Mann die ganze Stadt lebt in’ner brüchigen Fassade
Diese Stadt ist voller Schwuchteln und Schlampen,
Gedeckt von RTL und VIVA läuft die Parade
oberflächlicher Ottos und richtig linken Ratten.
der Schwulis an CSD der Alkies an Karneval
Kommst du in diese Stadt findest du Menschen dieser
und Groupies zu Popkom; man Fags überall
Arten
zu jederzeit an jedem Ort, es nur noch’ne Qual.
oder mich! Einen abgefuckten Kanaken.
Diese Medienstadt lebt nach’nem Scheiß Ideal
Das weit entfernt ist, von dem begriff Real
und wacht ihr aus’m Traum auf ist das Leben zu Brutal.
Die unterschiedlichen Identitäten können sich nach außen hin z.B. durch die
Verwendung und Auswahl ihres Sprachrepertoire zeigen. Sei es als „Sicheinschließen“
oder
„Ausschließen“,
Abgrenzung
oder
Zugehörigkeit
sei
es
von
der
Mehrheitsgesellschaft oder der Elterngeneration (vgl. Hinnenkamp 2000).
Denn „…Identitätsakte machen diese und andere Kategorien der individuellen und sozialen
Verortung in der Gesellschaft“ relevant (Hinnenkamp 2000:6).
3.3 Habitus der „Problemkinder“
Habitus soll hier verstanden werden, als die durch das soziale Herkunftsmilieu geprägte und erworbene Art zu denken, zu kommunizieren, sich zu kleiden; Gewohnheiten, Erlerntes, Haltungen, Gehaben,…etc. (vgl. Der Duden Bd.5, 1997).
39
3.3.1 Sprache
Wer hat es nicht auch schon beobachtet. Eine Gruppe von Migrationsjugendlichen
unterhält sich lautstark. Der türkische oder arabische Sprachfluss wird von deutschen
Worten unterbrochen oder deutsche Sätze werden durch arabische ergänzt oder andersherum; oder sobald sich jemand einer Gruppe nähert verfallen sie komplett ins
deutsche oder türkische, um, sobald derjenige wieder außer Hörweite ist, zurück zu
„switchen“. Besonders beliebt erscheint das gern verwendete einleitende „Wallah! Ich
Schwöre!...“ zu sein. Das arabische „Wallah“ („bei Gott“, als Bestärkung benutzt
„echt, wirklich“) hat sich hierbei auch in der von der ethnischen Herkunft unabhängigen Jugendsprache etabliert.
Für die Jugendlichen erscheint dies nichts Außergewöhnliches zu sein. Sie wachsen in
einer Umwelt auf, die gekennzeichnet ist, durch multiple „Kulturen“ und demzufolge
auch verschiedene Sprachen. Ihre Art zu kommunizieren, „…eine Zweisprachigkeit im
Denken und Sprechen,… erscheint als Selbstverständlichkeit“ (Handschuck/Schröer
2005:2).
Die jeweilige Auswahl der situationsbedingten passenden Sprache ist hierbei vom
Kommunikationspartner abhängig. Mit Deutschen wird deutsch geredet, mit z.B. Türkischsprachigen türkisch. Bei Personen, die beiden Sprachen mächtig sind, ist die Option erweitert. Zweisprachig zu sprechen oder wie sie es selbst nennen „gemischt
sprechen“ ist hierbei aber nicht nur eine erweiterte Option, sondern kann auch Ausdruck der gelebten Identitäten sein (Hinnenkamp 2000:5).
„Gemischtsprechen ist die Ausdrucksweise einer transnationalen sozialen Identität. Sie stellt
nicht sprachliche Elemente nebeneinander, sondern mischt sie auf, komponiert sie neu,
entwickelt hybride Formen und füllt damit einen bislang semantisch unbestimmten Raum“
(Hinnenkamp 2000:6).
Das „gemischt sprechen“ der 2. und 3. Generation ist ein Produkt ihrer unmittelbaren
Umgebung. Hier wird das Bild komplexer. Die Einflüsse sind vielschichtig, da die Variationen der Sprache nicht nur aus „Schuldeutsch“ oder „Hocharabisch“ bestehen,
sondern in der Alltagssprache das redundante „Gastarbeiterdeutsch“ der ersten Generation, das „Kiezdeutsch“ auf der Strasse und sonstige Abweichungen wie Dialekte
hinzukommen. Problematisch wird es dann, wenn das Individuum nicht die Fähigkeit
erworben hat zu eindeutigen Sprachen zu „switchen“. Wer nicht in der Lage ist, das
40
von der deutschen Mittelschicht abgeleitete „Bildungssystem- deutsch“ zu sprechen,
wird keinen Schulerfolg haben und demzufolge auch nur eingeschränkte beruflichen
Zukunftsperspektiven. Ebenso führt aber auch das nur unzureichende Sprechen der
Herkunftssprache der Eltern zu Irritationen bei der Elterngeneration oder innerhalb
der ethnischen Gruppe.
Das „gemischt sprechen“ wurde und wird stellenweise immer noch als Produkt von
„mangelhafter Sprachkompetenz“ eingeordnet und Kinder werden deshalb oft als „doppelseitig halbsprachig“ abqualifiziert (Dirim 2005:85)1. Daran kann kritisiert werden,
dass kindliche Äußerungen an der Sprache der Erwachsenen gemessen werden und
von einem Sprachstandard ausgegangen wird, den die Migrantenkinder meist nur im
Fernsehen „vorgelebt“ bekommen (vgl.ebda.:86).
„Die Vermittlung von monolingualen Sprachen ist in der Einwanderungsgesellschaft eine Aufgabe der Institution Schule…“ (ebda.:86) und kann deshalb nicht vorausgesetzt wer-
den. Die lange Zeit formulierte Forderung der Mehrheitsgesellschaft, dass die Eltern
mit ihren Kindern „deutsch“ sprechen sollten, muss im Angesicht von neueren Erkenntnissen widersprochen werden. Wird die Muttersprache nicht richtig gelernt, ist
das Erlernen der Zweitsprache „deutsch“ deutlich schwieriger, „da die Sprachentwicklung eine Einheit darstellt“ (Schuch). Der Blickwinkel der Gesellschaft und der Schule
sollte dementsprechend eher auf die Kompetenz der Mehrsprachigkeit und das kreative Potenzial der „Sprachenmischer“ gelenkt werden.
Dass das Sprach- und Kommunikationsverhalten von Migrantenjugendlichen nicht nur
defizitär sein muss, beweisen die vielen inzwischen Erwachsenen der 2.Generation,
deren gesellschaftliche und berufliche Positionen bis hin zu akademischen und politischen
Kreisen
reichen.
Obwohl
auch
ein
großer
Anteil
von
ihnen
in
„Problemkiezen“ (vgl.4) mit einem hohen Ausländeranteil aufgewachsen ist, war ihre
Orientierung „aus dem Ghetto hinaus“, was sich auch in ihrem Sprachverhalten und
durch das Bemühen um gute Bildungsabschlüsse widerspiegelte (Keim/Androutsopoulos 2000)2.
Keim und Androutsopoulos beziehen sich bei ihren Schilderungen auf ein in Mannheim gelaufenes Forschungsprojekt des „Instituts für Deutsche Sprache“, welches
deutsch-türkische Sprachvariation und die Herausbildung neuer Sprechstile in
1
2
Dirim, Inci „Verordnete Mehrsprachigkeit“ in Datta, Asit „Transkulturalität und Identität“ IKO-Verlag Frankfurt/London 2005
Inken Keim und Jannis Androutsopoulos „hey lan, isch geb dir konkret handy“
41
dominant türkischen Migrantengruppen untersuchte. Die meisten untersuchten
Mannheimer Jugendlichen sind in Stadtteilen mit einem hohen Ausländeranteil aufgewachsen, die nach Aussage von Keim und Androutsopoulos aus der Innen- wie der
Außenperspektive als "Ghettos" bezeichnet werden.
Danach gibt es auch in der 3.Generation diese „hinaus“ -„was besseres werden“ –
orientierten Jugendlichen, die sowohl das deutsche wie auch die Sprache ihrer Großeltern perfekt beherrschen. Die Sprachen werden allerdings bei ihnen nicht gemischt
sondern strikt getrennt voneinander benutzt (vgl. Keim/Androutsopoulos 2000).
In der Wahrnehmung der deutschen Gesellschaft hingegen nimmt die Sprache oder
Artikulationsformen der „auf das Ghetto hin orientierten Jugendlichen“ (Keim/Androutsopoulos 2000) mehr Raum ein. Allerdings mit einem ziemlich ambivalenten Verhältnis.
Einerseits wird „Kanak-Sprak“, „Ethnolekt“, „Türken-Deutsch“, „Kiezdeutsch“, „Mischsprache“, „Ghettosprache“ zwar erschreckt als die Sprache der „U-Bahn-Täter“ wahrgenommen, denn:
„Ein besonderes Ärgernis stellt für viele Beobachter der Sprachentwicklung das Entstehen
von Mischsprachen dar. Nicht türkisch, nicht deutsch, grammatikalisch unkorrekt und von
einer erschreckend reduzierten Weltsicht geprägt erscheint das, was viele Jugendliche, die
zwischen den Kulturen leben, da von sich geben.“
„Wer so redet, denkt auch so“ (Scherer 2003).
Aber andererseits werden in beliebten Comedy-Shows im Fernsehen damit Einschaltrekorde verzeichnet. „Was kuckst du?“, „Dragan und Alder“ oder neuerdings sogar in
der Werbung, auf den Stereotyp des Handy-versessenen Deutschitaliener anspielend,
„Voll krass!“, nur mal als Beispiele genannt. Nachahmer sind nicht nur unter Jugendlichen zu finden, sondern auch gut bürgerliche Erwachsene üben sich „im Sprache von
Anderem“.
Die Sprache zeichnet sich aus durch sprachliche und grammatikalische Vereinfachungen, dem Weglassen von Artikeln und einem Kauderwelsch aus verschiedenen Sprachen.
„Deutsche umgangs- und jugend-sprachliche Elemente werden mit türkischen Ausrufen,
Routineformeln und Schimpfwörtern verbunden“ (Keim/Androutsopoulos 2000).
Wörter, wie konkret, korrekt und krass tauchen verstärkt in Sätzen auf, bei der Aussprache wird z.B. „zwanzig Euro“ zu „swansig Euro“.
42
3.3.2 Selbst – und Fremdbild
Die „Mischsprache“ der Jugendlichen in den „Problemvierteln“ ist wie schon angesprochen, ein Zeichen ihrer eigenen sozio-kulturellen Identität. In Stadtteilen mit hohem Ausländeranteil vermischen sich in den jugendlichen Gruppen die Ethnien. Zwar
geschlechtlich getrennt, ist das Verbindende in diesen Gruppen die gefühlte „Bindestrichidentität“ der einzelnen Individuen, wie „Deutsch-Türke- sein“ etc.
In diesem Selbstbild oder Leitbild sind oftmals „sehr widersprüchliche Züge vereinigt“.
Bei den jungen Frauen z.B. die Eigenschaften „flippig, undiszipliniert“ aber auch „bildungsorientiert“ . Sie wollen „Power, Härte und Derbheit“ zeigen, dennoch ein feminines
Erscheinungsbild vermitteln (Keim/Androutsopoulos 2000).
Bei den jungen Männern sind ähnliche Tendenzen an angestrebten Eigenschaften
feststellbar. Das Interesse an Bildung und Schule ist allerdings deutlich geringer. Der
direkte, unmittelbare Status in ihrem Stadtteil als „guter Skater“, „guter Rapper“ oder
als derjenige zu gelten, der „gutes Business“ macht, ist erstrebenswerter.
"Härte", "Coolness" und "Macho-Sein" sind wichtig (ebda.).
Die allgemein gesellschaftliche Wahrnehmung bezeichnet diese Gruppe von „anscheinend ausländischen Jugendlichen“ gerne als "Lans", "Moruks" oder "Proll-Türken".
Die sich selbst gerne als „Kanaken“ bezeichnenden männlichen Jugendlichen münzen
diese negative Fremdzuschreibung „trotzig zur positiven Selbstdefinition als stark, gefährlich" um, und definieren sich als gesellschaftliche Outsider (ebda.).
Sich selbst als „Outlaws“ begreifend treten sie dementsprechend auch in der Öffentlichkeit auf. Mit einer äußeren Erscheinung, orientiert am Stil US-amerikanischer
Gangster-Rapper mit schwarzen Lederjacken, Kapuzenpulli, sportlich-lässigen Hosen
und Schuhen wird Präsenz gezeigt oder Aufmerksamkeit eingefordert. Das Selbstwertgefühl findet Ausdruck in materiellen Dingen, da teure Markenschuhe, Goldschmuck etc. „…das nach außen gezeigte Symbol des Eigenwerts“ sind (Kersten 2008:4)1.
Aber auch durch den Respekt, der ihnen auf der Strasse entgegengebracht wird.
1
Joachim Kersten „Die Währung heißt Respekt“ TAZ, 5./6. Januar 2008 „Der lange Text“
43
3.3.3 Sozialisationsagentur Strasse
„Die Straße ist Sozialisationsagentur für Straßenkids, und die Clique der Gleichaltrigen ersetzt
die Familie“ (ebda.:4).
Aber erst mal zurück zur U-Bahn.
Die Reaktionen und Stellungnahmen von Politikern und Medien bezüglich des Vorfalles in der Münchner U-Bahn waren von erschreckender Kurzsichtigkeit geprägt. Populistische Äußerungen á la Koch wurden von „aufgeklärten“ Sozialwissenschaftlern mit
ihren Desintegrationstheorien von einer anderen Seite beleuchtet. Alles schön und
gut. So reguliert sich eine über die Medien ausgetragene Debatte in einer Demokratie. Unmittelbare Handlungsansätze für Lösungen ergeben sich allerdings nicht.
„Denn die alltägliche Aggressivität hat nicht nur etwas mit Arbeitslosigkeit zu tun“ (ebda.:4).
Jugendgewalt ist für Bewohner von „Problemvierteln“ nicht nur ein mediales Ereignis,
sondern Teil ihres direkten Alltags. Natürlich gibt es in Deutschland keine Ghettos,
vergleichbar wie in anderen Staaten, oder extremste soziale Verwerfungen wie in den
Vorstädten von Paris, doch können durchaus Parallelen zu deutschen „Problemvierteln“ gezogen werden und somit auch diverse Fragen der allgegenwärtigen Jugendgewalt beantwortet werden. In einem Beitrag in der TAZ (5./6. Januar) analysierte
der Soziologe Joachim Kersten (Lehrgebietsleiter an der Deutschen Hochschule der
Polizei in Münster) das Thema Jugendgewalt und damit zusammenhängend den
„Code der Strasse“. Kersten bezieht sich dabei auf Studien von Elijah Anderson in
den Slums von Philadelphia. Danach existieren in den Slums zwei Wertesysteme:
„Das der ‚Anständigen’ und das der ‚Strasse’.“
„Das Wertesystem der ‚Straße’ beherrscht, obwohl nur eine Minderzahl der Bewohner ein
aggressives Gewaltsystem ausübt, die Regeln des Verhaltens im öffentlichen Raum, auch für
die Anständigen und ihre Kinder“ (ebda.:4).
Hier erfährt der in Kapitel 2 beschriebene Kulturbegriff eine Operationalisierung. Das
Wertesystem und die Regeln der Straße sind Teil einer „Straßenkultur“, „…die das Miteinander von Personen und die Gewaltanwendung steuern“ (ebda.:4).
Das Miteinander wird durch informelle Gebote geregelt wie „das ‚Auftreten’ von Personen, die einen gewissen Status für sich beanspruchen“ (ebda.:4). Eng verknüpft mit ihren
Verhaltenserwartung gegenüber den anderen. Kersten nennt dies, an Anlehnung an
44
Anderson, „den Code der Strasse“, der für alle in der Öffentlichkeit auftretenden Personen gilt, auch für diejenigen, die bemüht sind nach dem Wertesystem der Mehrheitsgesellschaft zu leben. Der Code birgt vor allem das Prinzip „Respekt“, und zwar „
...den Respekt als Tributleistung an die gesellschaftlich Nichtrespektablen.“
Dabei ist „’Respekt’ (…) für den, der ihn gezollt haben will, ein äußert hochwertiges Objekt;
schwer erkämpft, leicht verloren, und es muss ständig darauf geachtet werden“ (ebda.:4).
Durch „…das Erscheinungsbild einer Person, ihre Kleidung und ihr Auftreten…“ soll dem
Gegenüber verdeutlicht werden, „…dass ein gewisses Maß an „Respekt“ selbstverständlich
aufzubringen ist.“ (ebda.:4).
Wird diese „Tributzahlung“ nicht „gezollt“ ist dies ein Zeichen von „disrespekt“, also
ein „… Angriff auf ihre männliche Ehre. Und wer öffentlich ‚gedisst’ wird, muss reagieren, am
besten mit Gewalt.“ Denn, „…für den Vorwurf und die Ahndung des ‚dissing’ gilt der Code
der Straßenregeln, nicht das Bürgerliche Gesetzbuch“ (ebda.:4).
„Der Code der Strasse entstehe dort, wo der Einflussbereich der Polizei ende…“ weil der
Code in „Problemvierteln“ ein Vakuum auffülle, da Polizei und Justiz lediglich Repräsentanten der Mehrheitsgesellschaft sind (ebda.:4).
Zurück in die deutsche U-Bahn.
Die beiden Täter zeigten, nach Angaben von Kersten, bei ihrer ersten Vernehmung
„keinerlei Reue“. „Der Rentner sei selbst schuld, er habe sie schließlich ‚angemacht’ “ (ebda.:
4). Wie der genaue Ablauf war, wurde ja von den Überwachungskameras nicht aufgezeichnet, insbesondere nicht die Aufforderung des Rentners, das Rauchen einzustellen. Lässt man die Entwicklung des Geschehnisses unter „Code der Strasse“ - Gesichtspunkten ablaufen, und fügt noch ein bisschen Hintergrundwissen über die Akteure hinzu, könnte sich folgendes Bild ergeben:
Ein pensionierter Oberstudienrat spricht, in einem in 40Jahren Lehrtätigkeit geübten
Ton, zwei in seinen Augen junge Migrationshintergründler tagsüber an einem Werktag in der U-Bahn an. Die beiden Schulabbrecher erkennen in seiner Art zu sprechen
eine eindeutige Verletzung, ein „disprespekt“ ihres Status als Respektpersonen. Wie
es weitergeht haben die Kameras ja aufgezeichnet.
45
Beide sind bei der Justiz keine Unbekannten. Sie gehören zu der Kategorie jugendlicher Mehrfach- oder Intensivtäter, von denen viele einen Migrationshintergrund haben. Kersten geht davon aus, dass dieser Kategorie „…ein beachtlicher Anteil der als
Straßenkriminalität ausgeübten Gewalt schweren Kalibers zuzurechnen“ ist. Sie sind Kinder
der „Sozialisationsagentur Strasse“ – des „Codes der Strasse“ (ebda.:4).
„Sie verachten das Wertesystem der Abgesicherten, und anstelle erwachsener männlicher
Vorbilder sind die Leitfiguren der Szene Gangsta-Rapper wie Bushido.“
„Diesen Jugendlichen fehlt es von klein auf an sozialen Perspektiven, an Einsicht in die
Folgen ihres eigenen Handelns und an Scham über schädliches Verhalten. Von ihnen Reue zu
erwarten ist naiv. Sie haben es nicht gelernt, wir haben es ihnen vorenthalten, weil wir sie
sich selbst überlassen haben.“
„Das Gefängnis ist keine Katastrophe, es zählt wie eine Promotion, es steigert meinen
Status, meine Reputation auf der Strasse“ (ebda.:4).
4. „Integrationsmaschine“ - städtischer Sozialraum
München im Mai 2007.
Hauptversammlung des Deutschen Städtetages. Das Wort hat der damalige
Ministerpräsident von Bayern, Edmund Stoiber:
...
„Es gibt einen sehr hohen Bedarf an Integrationsleistung in unserem Land. Diese Leistung
wird wesentlich vor Ort – in den Kommunen – erbracht. Und die Hauptlast dabei liegt naturgemäß bei den Städten, weniger im ländlichen Raum.
...
Die Städte sind hier gleichsam „Seismographen“ der gesellschaftlichen Entwicklung. In manchen Stadtvierteln ballen sich die Probleme zusammen. Die alteingesessene Bevölkerung
fühlt sich zum Teil von den Neubürgern dominiert, in ihrer persönlichen Sicherheit und in ihrem Lebensstil beeinträchtigt.
...
Nicht nur der Zuzug von Ausländern, sondern auch die Abwanderung der einheimischen Bevölkerung aus bestimmten Stadtvierteln kann zur Entstehung von Parallelgesellschaften führen. Hier sind wir alle aufgerufen, die Balance zu halten bzw. wieder herzustellen“
(Stoiber 2007:6).1
1
„Städte schaffen Integration- Stadtpolitik in Zeiten der Globalisierung“ Rede von Dr. Edmund Stoiber Ministerpräsident des Freistaats
Bayern während der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages am 24. Mai 2007 in München
46
In diesem Teil der Arbeit soll es nun darum gehen den „Raum der Integration“, die
Stadt, näher zu beleuchten. Dies erscheint deshalb von großer Wichtigkeit, da in der
(Groß -) Stadt soziale, ökonomische, politische und kulturelle Prozesse der
Gesellschaft in komprimierter, verdichteter, ja geballter Form auftreten. Wie in einem
Reagenzglas können gesellschaftliche Entwicklungen, und deren Auswirkungen auf
Gruppen oder Individuen, untersucht und analysiert werden.
Darüber hinaus sind die Beobachtungen des „Reagenzglases“, wie das Ereignis in der
U-Bahn zeigt, auch für die gesamtgesellschaftliche Verbreitung dieser Entwicklungen
von Bedeutung.
Das in der aktuellen Integrationsdebatte marginalisierte städtische Quartiere als „NoGo- Areas“, bezeichnet werden, und von „Parallelgesellschaften“ oder „schleichender
Ghettoisierung“ die Rede ist, mag überspitzt klingen, doch im Zusammenspiel von
demographischen, arbeitsmarkt- und wohnungsmarktbezogenen Prozessen sind
eindeutige Polarisierungen von Lebenslagen feststellbar. Diese Entwicklung stellt für
die Stadt(politik) historisch gesehen zwar keine neue, aber doch eine gewaltige
Herausforderungen dar.
Dabei sind die für die Entstehung von „Parallelgesellschaften“ verantwortlichen
Ursachen exogener Natur, d.h. sie sind aus der „Mitte der Gesellschaft“ herrührend
(vgl. Krummacher /Kulbach /Waltz /Wohlfahrt 2003) und nicht in den so genannten
„Problemquartieren“
oder
„überforderten
Nachbarschaften“
entstanden.
Diese
Gegenden gelten in soziologischen Studien lediglich als Indiz für die (soziale)
Spaltung
der
Gesellschaft
und
demnach
auch
für
das
„Versagen“
der
gesehen,
die
Integrationsfähigkeit der Städte.
4.1 Die „Krise“ der (sozialen) Stadt
Die
Annahme,
dass
gesamtgesellschaftlichen
die
Prozesse
Stadt
und
als
„Reagenzglas“
Strukturen
widerspiegelt,
ist
in
der
Stadtsoziologie seit Jahrzehnten eine anerkannte Grundposition, denn „…die
gesellschaftliche Modernisierung und die strukturellen Umbrüche… sind …wie in einem Fokus
an den städtischen Situationen ablesbar…“ (Keim 2004:245).1
1
Keim, Karl-Dieter: Vom Zerfall des Urbanen, in: Wilhelm Heitmeyer (Hg.): Was treibt die Gesellschaft auseinander? Bundesrepublik
Deutschland: Auf dem Weg von der Konsens- zur Konfliktgesellschaft, Band 1, Frankfurt/ Main 2004 (1. Auflage 1997)
47
Die negativen Auswirkungen des Strukturwandels in den westeuropäischen
Industrieländern, ausgelöst durch weltweite ökonomische Umstrukturierungen
(Globalisierungsprozesse
etc.),
und
der
soziale
Wandel,
werden
demnach
insbesondere in den „Problemgebieten“ der Großstädte abgebildet.
Der Abbau von Arbeitsplätzen in der verarbeitenden Industrie in Deutschland und die
Abwanderung von Firmen in „Billiglohnländer“, wie das aktuelle Beispiel der
„Nokianer“ in Bochum zeigt, trifft vor allem die gering Qualifizierten, nämlich sowohl
die „Gastarbeiter“, die einst als Hilfsarbeiter genau für jene Arbeitsplätze angeworben
worden sind, wie auch die deutsche „Arbeiterklasse“. Aus beiden Gruppen
stammende Nachkommen, entstammen den sogenannten „bildungsfernen Familien“.
Die Folgen sind „…langanhaltende Massenarbeitslosigkeit und die Zunahme der prekär
Beschäftigten und dauerhaft ‚Überflüssigen’“ (Krummacher u.a. 2003)1. Ehemalige
Arbeiterviertel werden zu „Arbeitslosenviertel“.
Die
daraus
resultierenden
Ansprüche
überfordern
nicht
nur
das
soziale
Sicherungssystem, gleichzeitig ging natürlich „...den Städten…gerade zu dem Zeitpunkt
Gewerbe- und Einkommensteuereinnahmen verloren, als mehr Geld für soziale Aufgaben
notwendig gewesen wäre. Die Zahl der Sozialwohnungen geht ständig zurück, so dass
Haushalte, die auf sie angewiesen sind, in wenigen Vierteln mit billigen Wohnungen
zusammengedrängt werden“ (Häußermann 2006).2
Angesichts
hoher
Arbeitslosenzahlen
und
dadurch
des
Wegfallens
der
„Integrationsinstanz Arbeitsplatz“, die Deregulierung der Wohnungsversorgung (z.B.
Wegfall von Werkswohnungen), sowie der generelle Abbau der Sozialsysteme, führen
dazu, dass die Städte inzwischen an ihrer historischen Integrationsaufgabe scheitern
könnten. Zeichen hierfür sind weit größere sozial-ökonomische aber auch kulturelle
Risse innerhalb von Stadtgesellschaften als sie noch vor einigen Jahren zu
beobachten waren, wie augenscheinliche Entwicklungen einer zunehmenden
Desintegration, einer Zweckentfremdung und Verwahrlosung des öffentlichen
Raumes in manchen Gegenden sowie einer „Entzivilisierung“ des Verhaltens einzelner
Menschen
und
Gruppen
zeigen.
Die
Funktion
moderner
Städte
als
“Integrationsmaschine“ als Ort der Integration von Fremden, scheint ins Stottern zu
geraten (vgl. Häußermann 2006).
1
2
Krummacher, M. u.a. (2003): Soziale Stadt, Sozialraumorientierung, Quartiersmanagement: Strategie für einen lokalpolitisch
flankierten Sozialstaatsabbau oder Revitalisierung von sozialer Stadtentwicklung?
Hartmut Häußermann „Desintegration durch Stadtpolitik?“, aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 40-41/2006)
48
Um die Fehlfunktionen dieser „Maschinerie“ besser verstehen zu können, scheint es
vonnöten dem Begriff „Integration“ eine genauere „Inspektionen“ zu unterwerfen.
Allgemein gesprochen, ist Integration das Gegenstück zu Segregation oder
Ausgrenzung. Auf die konkreten Lebenswelten von Individuen oder Gruppen
bezogen, bedeutet Integration gleichberechtigte Möglichkeiten der Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben. Das Endprodukt der „Integrationsmaschine“, und im
übertragene Sinne auch der (städtischen) Integrationspolitik, müsste somit im Kern
die Herstellung von Chancengleichheit sein.
Da die Semantik über die Theorien der Integration einer Minderheitengruppe in die
Mehrheitsgesellschaft der aktuellen Verfassung von „modernen Gesellschaften“ und
deren transkulturellen, hybriden Daseinsform, nicht gerecht wird, scheint es
erforderlich, die semantische, herkömmliche Definition von Integrationsprozessen
kurz zu beleuchten. Dies erscheint deshalb von großer Wichtigkeit, da die Akteure
auf staatlicher und auf institutioneller Ebene Integrationsbemühungen stellenweise
noch
in
veralteten
Kategorien
denken
und
demzufolge
auch
semantische
Beschreibungen benutzen. So geht Esser noch 19991 davon aus, auf die Gruppe der
Einwanderer bezogen, dass die Integration in die Mehrheitsgesellschaft aus vier
Stufen besteht:
Die erste Stufe wäre danach die „kognitive Integration“ in Form der Kenntnisse der
Sprache und Kultur. Hier kann Esser unterstellt werden, dass er noch von der
historischen Vorstellung einer homogenen Kulturgemeinschaft ausgeht. Kognitive
Integration müsste allerdings um „Kenntnisse von transkulturellen Binnenverfassung
von Gesellschaften“ erweitert werden.
Die zweite Stufe, die „strukturelle Integration“, also gleichwertige Berufsstellung und
Situation auf dem Wohnungsmarkt etc., kann so stehen bleiben,
genauso wie die dritte Stufe, die „soziale Integration“ in Gestalt von sozialen
Kontakten zu Deutschen und der Teilnahme am öffentlichen Leben.
Die vierte von Esser aufgestellte Stufe der Integration bedarf, unter dem Blickwinkel
dieser Arbeit betrachtet, wiederum einer Modifikation. Die „identikative Integration“
als Aneignung des Wertesystems der Aufnahmegesellschaft zu bezeichnen, ist in der
Form nicht mehr haltbar, da moderne Gesellschaften sich insbesondere durch einen
unüberschaubaren Wertepluralismus auszeichnen.
1
Esser, Hartmut „Inklusion, Integration und ethnische Schichtung“, in: Journal für Konflikt- und Gewaltforschung, Heft 1, Bielefeld 1999;
49
Diese semantische Erweiterungen oder Modifikation muss auch die „Untersuchung“
der „Integrationsmaschine“ betreffen. Der „städtische Sozialraum“ allerdings bleibt
als Ort der „strukturellen Integration“ relevant, da insbesondere genau hier der
Integrationsmotor offensichtlich zu stottern beginnt. Die zunehmende ungleiche
Verteilung von sozialen Gruppen (strukturelle Segregation), die Spaltung des
städtischen Raumes in Gewinner und Verlierer des Strukturwandels, scheint das
Erreichen, der wie auch immer definierten höheren (integrativen) Stufen, schon im
vorhinein zu behindern.
4.1.1 „Problemviertel“ - sozialräumliche Segregation
Die
Verlierer
des
Strukturwandels,
und
demnach
diejenigen
mit
Integrationsproblemen, sind allerdings nicht nur Migranten, sondern „Einheimische
und Zugewanderte sind gleichermaßen von den ausgrenzenden Wirkungen der Segregation
betroffen“ (Häußermann 2006) und treffen in bestimmten Quartieren der Stadt, den
sogenannten „Problemvierteln“, aufeinander.
Hierbei kann zwischen „zwei Prototypen von Armutsquartieren“ unterschieden
werden (Krummacher u.a. 2003):
„Typ 1: Vernachlässigte industrie- oder kernstadtnahe Altbauquartiere mit überwiegender Arbeiterbevölkerung,
Typ2: Großwohn- oder Trabantensiedlungen der 1960/1970er Jahre in städtischen Randlagen mit ursprünglich gemischter, inzwischen entmischter Wohnbevölkerung“ (ebda.).
Es kommt zu einer unfreiwilligen Nachbarschaft von sozialen Gruppen mit multiplen
Problemlagen, d.h. die Zuwanderer, die sich (z.T.) zwangsweise in diesen Gebieten
ansiedeln, treffen dort auf eine segregierte deutsche Bevölkerung, die vom
Strukturwandel negativ betroffen ist und somit sehen beide Seiten in wechselseitigen
Kontakten kaum Vorteile da ihre Lebenssituation eher von der Konkurrenz um
bedrohte Positionen im Wohnungs-, Ausbildungs- und Arbeitsmarkt gekennzeichnet
ist.
Ausgehend vom Stufenmodell der Integration von Esser ist somit die „soziale
Integration“ der Zugewanderten, sprich der soziale Kontakte zu Deutschen und die
Teilnahme am öffentlichen Leben, beeinträchtigt. Der produktive Umgang mit
ethnischen – kulturellen Differenzen, durch Kommunikation und Interaktion, kann
50
dadurch, dass er durch Probleme der schwierigen sozialen Umstände überlagert wird,
nicht unbelastet vonstatten gehen.
Hinzu kommt oftmals, dass durch eine beengte und beengende Architektur keine
Möglichkeit besteht eine räumliche Distanz, eine soziale oder kulturelle Distanz zu
anderen Bewohnergruppen aufzubauen. Hieraus entstehen Konflikte in den
“überforderten Nachbarschaften“. Räumliche Probleme, soziale Probleme und
ethnische bzw. ethnisierte Konflikte verstärken sich gegenseitig.
Dies führt natürlich dazu, „…dass Familien, die über entsprechende Mittel und Informationen verfügen, aus dem Quartier wegziehen, weil sie Konflikten ausweichen und eine weitere
Abwärtsentwicklung nicht erleben wollen…“ und dadurch wird aber auch „…die Konzentration von Haushalten mit großen sozialen Problemen (…) verstärkt…“ (Häußermann 2006).
Hier haben die ausländischen Einwohner meist die schlechtesten Karten, da sie selten
über die rechtlichen und sozialen Ressourcen verfügen, um sich Alternativen
aussuchen zu können.
Hinzu
kommt,
unabhängig
von
den
Ressourcen,
der
Wunsch
vieler
Einwandererfamilien, sich durch die räumliche Segregation einen funktionalen
Schutz- und Identitätsraum zu schaffen oder aufrechtzuerhalten. Die Etablierung
eines solchen „Raumes“, oft als eine zeitliche Übergangsphase im Migrationsprozess
gesehen, widerspricht nicht zwangsläufig der Bereitschaft zur Integration und zum
Austausch mit der Mehrheitsgesellschaft. Im Gegenteil, sie kann auch günstige
Voraussetzungen für die Integrationsbereitschaft liefern (Krummacher/Waltz 1996)1.
Die Aufgabe von „ethnischen Kolonien“ als funktionale Durchgangsstation ist darin zu
sehen, dass durch die bewusste Entscheidung zur Segregation, eine Ausgangslage
geschaffen wird, um die Integration in das Mehrheitssystem auf einer sicheren Basis
zu gestalten, und dadurch das „Öffnen“ zur Mehrheitsgesellschaft erst möglich zu
machen.
In den „Problemvierteln“ konzentriert sich folglich ein großer Anteil von Migranten;
„…entsprechend hoch ist in den Schulen der Anteil von Kindern mit nicht-deutscher
Herkunftssprache, und er steigt laufend. Bildungsorientierte Eltern sehen dadurch die
Zukunft ihrer Kinder gefährdet und verlassen die Quartiere…“ (Häußermann 2006).
1
Krummacher, Michael/ Viktoria Waltz: Einwanderer in der Kommune: Analysen, Aufgaben und Modelle für eine multikulturelle
Stadtpolitik, Klartext Essen 1996
51
In Berlin- Kreuzberg (vgl.4.2.3) nimmt der subjektive Beobachter beispielsweise
wahr, dass viele junge deutsche Familien, anscheinend oft links-alternative
Akademiker, die sich ansonsten in ihrem Quartier wohl zu fühlen scheinen und sich
auch mit der Migrationsbevölkerung solidarisieren, den Stadtteil verlassen, sobald
ihre Kinder in das Schuleintrittsalter kommen, oder die Kinder auf Schulen in
benachbarten Bezirken anmelden. Alternativ dazu gehen ihre Kinder in Schulen die
unterschiedliche pädagogische Konzepte in speziellen Klassen anbieten. Diese
Schulen haben dann zwar im gesamten gesehen ein ausbalancierter Anteil von
deutschen Kindern und Kinder nicht deutscher Herkunft aber innerhalb der z.B.
Montessoriklasse sind nur deutsche Kinder mit dem dementsprechenden Anteil in den
„normalen“ Klassen. Diese Formen der Schulsegregation führt dazu, dass der
deutsche Mitschüler für viele Migrantenjugendliche in den Grund- und Hauptschulen
in diesen Gebieten zur Ausnahme wird.
Doch was sind die Auswirkungen von struktureller und dadurch auch sozialer
Segregation auf die Jugend in diesen „Nachbarschaften“? Häußermann bedient sich
hierbei „einer klassischen Annahme der Stadtforschung“:
„In einer Nachbarschaft, in der vor allem Modernisierungsverlierer, sozial Auffällige und sozial
Diskriminierte wohnen und abweichende Normen und Verhaltensweisen mehr oder weniger
selbstverständlich akzeptiert werden, wird ein internes Feedback erzeugt, das zur Dominanz
abweichender Normen führt.
Insbesondere Kinder und Jugendliche machen gar keine Erfahrungen mehr mit einem "normalen" Leben“ (ebda.).
Der in Kapitel 3.3.3 beschriebene „Code der Strasse“ könnte hier eine Art der
„Dominanz abweichender Normen“ sein. Als Zeichen hierfür könnte z.B. der offene
Brief der Rütli-Schule in Berlin- Neukölln sein, der ja nicht nur in Fachkreisen noch
gut in Erinnerung ist. Ein Hilferuf der Lehrerschaft, die angesichts eines unerträglich
gewordenen Schulalltags um ihre Selbstauflösung bat.
Noch andere Auswirkungen von starker Segregation, insbesondere die Segregation
von ethnischen Gruppen sind vorstellbar.
Die Angst, vor fundamentalistischen Selbstmordattentäter oder terroristischen
Vereinigungen im „eigenen Land“, die von „war- on- terrorism“- Sicherheits- und
Präventionsschlagfanatiker á la Schäuble geschürt werden, entbehren nicht
zwangsläufig jeder Grundlage. Zwangsverheiratungen, Ehrenmord, Hassprediger etc.
52
sind existente Phänomene in Teilen dieser Gesellschaft, denn
„…wenn sich soziale Marginalität und ethnische Segregation überlagern, kann sich bei solchen Gruppen eine Abhängigkeit von internen Eliten bzw. Leadern herstellen, die bei schwindenden Außenkontakten zunimmt. Fundamentalistische Ideologien finden dann leichter Verbreitung, und die Kontrolle über ‚richtiges’, das heißt traditionsverhaftetes Verhalten wird
schärfer.
So werden Integrationsprozesse erschwert oder unterbrochen“ (ebda.).
Das „Gottesstaat Quartier“, sei es als subjektive, substanzlose Fremdzuschreibung
oder auch als wahrhaftig existentes Phänomen, hat seine Auswirkungen über das
Quartier hinaus.
Diese Zuschreibungen, sei es Rütli oder Ehrenmord, sind folgendermaßen insoweit
relevant, dass aus den benachteiligten Quartieren benachteiligende werden, denn
„…ist erst ein gewisses Ausmaß der Abwärtsentwicklung erreicht, erhält das Quartier schnell
ein negatives Image. Diese Stigmatisierung beeinflusst das Selbstwertgefühl der Bewohner,
die nicht (bzw. nicht mehr) freiwillig im Gebiet wohnen. Sie fühlen sich als Gefangene.
Außerdem kann sich eine stigmatisierende Außenwahrnehmung nachteilig auf die sozialen
Teilhabechancen - insbesondere bei der Lehrstellen- und Arbeitsplatzsuche - auswirken. Stigmatisierung wird also zur symbolischen Gewalt“ (ebda.).
Schulabschluss, dann Lehre und Arbeitsplatz…
Diese klassische seit Jahrzehnten geläufige Art der Integration von jungen Menschen
in die Gesellschaft erscheint allerdings, im Angesicht der Entwicklung der
Erwerbsarbeit an sich und der heute schon existenten Massenarbeitslosigkeit für
große Teile der Bevölkerung und der Status für viele des „Maßnahmengänger“,
fragwürdig zu werden.
„Eine große Anzahl junger Menschen wird unter den gegebenen Umständen niemals in ihrem
Leben einen Arbeitsplatz einnehmen, wie wir ihn seit Generationen als sinngebend und gesellschaftlich platzierend kennen.
Arbeit als Tradition in Form der Normalerwerbsbiographie wird für große Bevölkerungsteile
einfach verschwinden, unabhängig davon, ob die gesellschaftliche Definition ihrer selbst als
‚Arbeitsgesellschaft’ fortbesteht.
Wir werden die Sinnfrage generell deutlicher stellen müssen“
(Römisch).1
1
Klaus Römisch „Neue Jugendhilfeformen im Kontext der Lebensweltorientierung: FSP Familienstabilisierungsprogramm“
53
4.1.2 Das Programm “Stadtteile mit besonderem
Entwicklungsbedarf – die Soziale Stadt”
Eine staatliche Reaktion auf die sozialräumlichen Spaltungsprozesse ist das BundLänder- Programm “Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die Soziale
Stadt”. Es soll der Abwärtsspirale in den entsprechenden Quartieren entgegen wirken
und zur Stabilisierung beitragen.
Wichtig im Kontext dieser Arbeit erscheint hierbei welche Ansätze und Strategien zur
Verwirklichung von (sozialer) Integration und dabei insbesondere der Integration von
jungen Menschen mit Migrationshintergrund angestrebt und umgesetzt werden.
Die Frage ist demnach, wie kann- bzw. unter welcher Voraussetzung könnte – das
Quartier als Integrationsinstanz dienen, da der Arbeitsmarkt diese Funktion scheinbar
nur schwer oder sogar nicht erfüllen kann.
Die Bezeichnung Quartier in diesem Programm ist im Gegensatz zu den rein örtlich
eingrenzenden Begriffe wie Bezirk, Stadtteil oder Gebiet, eine Konkretisierung hin zur
sozialen Dimension von Räumlichkeit. Quartiere sollen als „…soziale Räume und
Lebenswelten…“ (DIfU 2003:9)1 betrachtet werden. Die Betrachtung städtischer Räu-
me als Sozialraum ist folglich die Erkenntnis, dass das Quartier als Ressource zur Lebensbewältigung dienen kann. Insbesondere für die Bewohner benachteiligter Quartiere ist dies von Bedeutung da sie, aufgrund eingeschränkter Mobilität, auf das Gebiet, seine sozialen Netze, Angebote und Einrichtungen, angewiesen sind.
Die „Dimension Raum“ wird dabei insgesamt verstanden als „...Überlagerung von physischen Bedingungen, Ort von Erfahrungen und Lernprozessen, als Raum mit Orientierungs-,
Symbolisierungs-, Identifikations-, Aneignungs- und Nutzungsfunktionen sowie als Statusmerkmal und Ort der sozialen Selbstdefinition“ (ebda.:15).
„…Dieses Programm, das die Bekämpfung der Abkoppelung von Quartieren und die
Verbesserung der Lebenschancen der Bewohner zum Ziel hat…“, d.h. trotz aller sozialen
Ungleichheit es nicht zu sozialer Desintegration oder Ausgrenzung kommen zu
lassen, „...ist auf Städtebauförderung gerichtet“ (Häußermann 2006).
1
DIfU (Deutsches Institut für Urbanistik): Strategien für die soziale Stadt. Erfahrungen und Perspektiven Umsetzung des Bund-Länder-Programms (...)2003
54
Als Gemeinschaftsprogramm von Bund, Länder und Kommunen, angesiedelt im
Bundesbauministerium, wird erstmals ein Programm kofinanziert, das explizit soziale
Ziele formuliert. Somit wurde die herkömmliche Sichtweise von Stadtentwicklung als
rein städtebaulicher Akt um soziale Ziele, nämlich soziale Strukturen und Prozesse zu
beeinflussen, erweitert.
So wird in dem Programm z.B. auch auf die erwähnte Gefährdung der
„Integrationsinstanz Arbeit“ eingegangen. Als Alternative zur Erwerbsarbeit werden
Ideen formuliert, wie die Möglichkeiten der Förderung von Ehrenamtlichkeit oder
„Bürgerarbeit“.
Einer
angeblichen
„Kultur
der
Armut“,
insbesondere
unter
Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose, soll mit Konzepten wie „empowerment“
und des „aktivierenden Sozialstaats“ entgegengewirkt werden.
Grundlage des Programms ist nicht ein Gesetz, sondern eine jährlich zu schließende
Verwaltungsvereinbarung über die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes, die die
Eckpunkte des Programms absteckt.
Das erste Ziel besteht darin, die Wohn- und Lebensbedingungen, sowie die lokale
Ökonomie in den Stadtteilen zu stabilisieren und zu verbessern;
zweitens sollen die Lebenschancen durch Vermittlung von Fähigkeiten, Fertigkeiten
und Wissen erhöht werden und
drittens soll das Gebietsimage, die Stadtteilöffentlichkeitsarbeit und die Identifikation
mit den Quartieren gestärkt werden.
Letzteres
ist
insbesondere
damit
verbunden,
stabile
Sozialstrukturen
bzw.
Nachbarschaften zu schaffen (Programm Soziale Stadt 2007).1
Im Zuge der Beratungen zur Verwaltungsvereinbarung im Jahr 2005 zwischen Bund
und Länder wurden diese erweitert, da aufgrund bisheriger Erfahrungen mit der
Umsetzung des Programms drei Themen an Bedeutung gewinnen: Neben der
Gesundheitsförderung und der Verbesserung des Bildungsangebotes in den
Quartieren oder des Zugangs zu Bildungsangeboten für Bewohner ist dies das Thema
Integration und die Förderung des Zusammenlebens in den Quartieren
(vgl. ARGEBAU- Leitfaden „Soziale Stadt“ 2005:4).2
1
2
Programm „Soziale Stadt“ 2007
ARGEBAU (Arbeitsgemeinschaft der für Städtebau, Bau- und Wohnungswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder):
Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative “Soziale Stadt” - 3. Fassung vom 29.08.2005;
55
Somit wurde die Aufgabe der Integration von Migranten als eigener Schwerpunkt der
Maßnahmen in das Programm aufgenommen.
Das Ziel „soziale Integration“ taucht als Ergänzung der Punkte „Bürgermitwirkung“
und „Stadtteilleben“ auf. Neben der Sprachförderung und der Öffnung von Schulen
zum Stadtteil wird hier die Förderung der Teilhabe und soziale Integration aufgeführt.
„Bei der Aktivierung der örtlichen Potenziale kommt der Öffnung der Schulen zum Stadtteil
und der Einbeziehung von Migrantenselbstorganisationen ein wichtiger Stellenwert
zu“ (ebda.:5).
In diesem Zusammenhang wird die Einrichtung eines Stadtteilmanagements,
Stadtteilbüros oder Bildung von Stadtteilbeiräten, genannt. Geeignete Räume mit
personeller Betreuung für das kulturelle und gesellschaftliche Leben verschiedener
ethnischer Gruppen im Quartier sollen einen Beitrag zur Verbesserung der sozialen,
kulturellen, bildungs- und freizeitbezogenen Infrastruktur leisten (ebda.:7).
Der Punkt Lokale Wirtschaft, Arbeit und Beschäftigung geht darauf ein die vorhandenen Ressourcen zu stärken oder ggf. aufzubauen, weil „…in den Quartieren, in denen es
jedoch kaum Ansätze für eine Förderung einer ‚privaten lokalen Ökonomie’ gibt, bleibt nur
die Möglichkeit einer staatlich finanzierten bzw. durch Arbeitsplätze des zweiten Arbeitsmarktes abgestützten ‚sozialen lokalen Ökonomie’ “ (ebda.:6).
Die
Ziele
unter
dem
Punkt
„Wohnen“
enthalten
neben
Modernisierung,
Instandsetzung und der Verbesserung des Wohnwertes, die Sicherung preiswerten
Wohnraums, den Schutz der Bewohner vor Verdrängung, den Erhalt gemischter
Bevölkerungsstrukturen, die Unterstützung aktiver Nachbarschaften sowie die
Stärkung der Identifikation der Mieter mit Wohnung und Wohnumfeld. Da (vor allem
in Großwohnanlagen) „...das Ausmaß der sozialen Probleme sowie die ethnische Vielfalt
der Bewohner drohen, die Integrationskraft der Bewohner zu überfordern“, müsse die
„Quartiersentwicklung in den Problemstadtteilen“ (ebda.:10) durch bauliche und
wohnungswirtschaftliche
Maßnahmen
zur
Steigerung
der
Attraktivität
der
Wohngebiete beitragen.
Als letztes ist der Punkt „Wohnumfeld und Ökologie“ genannt, der (u.a.) auf eine
Verbesserung des Wohnwertes durch Aufwertung des Wohnumfeldes, eine bessere
Nutzung
und
Gestaltung
von
Freiflächen,
sowie
mehr
Sicherheit
und
Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum abzielt. Hier werden als typische
56
Maßnahmen beispielsweise die Neu- und Umgestaltung von Plätzen, Straßenräumen,
Gewässern, Ufern, Parkanlagen und Treffpunkten genannt, sowie gruppen- und
altersspezifische Spiel- und Sportplätze.
Das
Quartiersmanagement
gilt
als
Schlüsselinstrument
zur
Umsetzung
des
Programms „Soziale Stadt“ und als strategischer Ansatz zum systematischen Aufbau
von selbsttragenden sowie nachhaltig wirksamen personellen und materiellen
Strukturen im Quartier. Brachliegende Ressourcen der Bevölkerungsgruppen sollen
aktiviert werden.
Für junge Menschen in den Quartieren wurden spezielle Partnerprogramme der
„Sozialen Stadt“ in Kooperation mit der Jugendhilfe initiiert, wie „Entwicklung und
Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten“ (E&C, 2000- 2006) und dessen
Nachfolgeprogramm „Lokales Soziales Kapital (LOS, ab 2007)“
Das Programm „Soziale Stadt“ versteht sich selbst als „lernendes Programm“. Durch
einen permanenten Informations- und Erfahrungsaustausch der an der Umsetzung
des Programms Beteiligten soll das Programm weiterentwickelt und verbessert
werden.
Besonders
die
Ergebnisse
der
umfangreichen
bundesweiten
Zwischenevaluierung 2004 und die davon abgeleiteten Empfehlungen zeigten die
Probleme in der Umsetzung aber auch die Chancen und Wirksamkeit des Programms.
In der vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung regelmäßig initiierte Veranstaltungsreihe „Fachpolitische Dialoge zur Sozialen Stadt“ stand am 25.
Oktober 2007 (4. Fachdialogs) die Frage im Mittelpunkt wie die Integration von Zuwanderern im sozialräumlichen Kontext des Quartiers gefördert werden kann. Die
Auswahl des Themas trug zum einen der Tatsache Rechung, dass die Zwischenevaluierung 2004 gezeigt hat, dass hier zusätzlicher Handlungsbedarf besteht, „…zum andern hat dieses Thema inzwischen auch auf der politischen Ebene mit den im Bundeskanzleramt im Juli 2006 und im Juli 2007 durchgeführten ‚Integrationsgipfeln’ einen noch höheren Stellenwert erhalten“ (Großmann 2007:3).1
Etwa 95 Akteure der Sozialen Stadt, aus Politik, Verwaltungen von Bund, Ländern
und Kommunen, Fachverbänden und der Fachöffentlichkeit diskutierten über
Fragestellungen wie die Möglichkeiten der Förderung von Integration vor Ort,
1
Achim Großmann, (Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Berlin)
„Integration und Soziale Stadt“ beim 4. Fachpolitischer Dialog zur Sozialen Stadt –Integration von Zuwanderern vor Ort,
Auswertungsbericht (November 2007)
57
Erkenntnisse und Empfehlungen seitens der Wissenschaft zur sozialräumlichen
Integration
von
Zuwanderern,
thematischen
Handlungsfelder
bei
der
Querschnittsaufgabe Integration und die Anforderungen an die Kooperation von
verantwortlichen Akteuren (Auswertungsbericht 2007:2)1.
Aufschlussreich im Zusammenhang dieser Arbeit erscheint der Redebeitrag von Erol
Yildiz
(Erziehungswissenschaftlichen
Fakultät,
Universität
Köln),
hier
die
im
Auswertungsbericht publizierte Zusammenfassung (Yiliz 2007:7 ff.)2:
„(…) In der Diskussion um Integration komme oft zu kurz, was im Alltäglichen passiere und was die
Migrantinnen und Migranten selbst zur Integration beitrügen. Die Diskussion um das urbane
Zusammenleben geschehe statt aus der lebensweltlichen Perspektive in erster Linie auf systemischer
Ebene (Bildung, Arbeitsmarkt), in die Migrantinnen und Migranten nur sehr mangelhaft eingebunden
seien. Insofern sei damit immer ein Blick von außen verbunden. Daher erführen beispielsweise die
Strategien, die Migrantinnen und Migranten entwickelt haben, um trotz dieser fehlenden Einbindung
an den Prozessen in ihren Stadtteilen teilzuhaben, nicht in ausreichendem Maße Anerkennung (…)“
Yildiz spricht hierbei die problematischen Sichtweisen „von außen“ an, insbesondere
deren Auswirkung auf die Handlungsebene, wie sie auch beim „4. Fachpolitischer
Dialog zur Sozialen Stadt“ praktiziert wird. Er fordert aber eine „Innenbetrachtung“,
was „im Alltäglichen“ passiert und welche Rolle den Migranten als aktive Akteure
beim Thema Integration zukommt und welche anerkennenswerte Leistungen täglich
vollbracht werden und schon wurden.
(…) „Stattdessen werde in der Öffentlichkeit das Bild von Parallelgesellschaften gepflegt, in denen die
Zuwanderergruppen in der „Kulturkolonie“ oder gar im Ghetto lebten. Dieser Mythos diene dazu, die
Vielfältigkeit der Alltagswelten „aufzuräumen“ und impliziere, dass Integration von den Migrantinnen
und Migranten nicht gewünscht sei. Die damit verbundene Bestrebung, „eindeutige“ ethnische
Zuordnungen vorzunehmen, stoße angesichts des wachsenden Anteils multiethnischer Biografien aber
an ihre Grenzen. Stattdessen gelte es die Relevanz lebenspraktischer Multikulturalität im
Integrationsprozess stärker zu würdigen. Das Leben mit unterschiedlichen Identitäten könne in einer
globalisierten Welt durchaus als Kompetenz angesehen werden.(…)“
Hier geht Yildiz auf die Fremdzuschreibungen der „Mehrheitsgesellschaft“ ein und
deren unzulässigen Vereinfachungen der Vielfältigkeit. Er fordert, die heterogene
Konstellation von „modernen Gesellschaften“ und die Sprengung des klassischen
1
2
4. Fachpolitischer Dialog zur Sozialen Stadt –Integration von Zuwanderern vor Ort, Auswertungsbericht (November 2007)
Erol Yildiz (Erziehungswissenschaftlichen Fakultät, Universität Köln) „Sozialräumliche Integration von Zuwanderern“
beim 4. Fachpolitischer Dialog zur Sozialen Stadt –Integration von Zuwanderern vor Ort, Auswertungsbericht (November 2007)
58
Kulturbegriffs hin zur „lebenspraktischen Multikulturalität“ anzuerkennen und der
Umgang damit als Kompetenz anzusehen.
(…)“Als Beispiel dafür führte er die Kölner Keupstraße an, ein Einwandererviertel, das in der
Stadtöffentlichkeit immer als Ort der Parallelgesellschaft wahrgenommen werde. Andererseits hätten
die Migrantinnen und Migranten ganz wesentlich zur Modernisierung und Urbanisierung der Straße
beigetragen, indem sie beispielsweise leer stehende Läden nutzten. Im Gegensatz zur öffentlichen
Wahrnehmung sei die Straße zu einem integralen Bestandteil des urbanen Quartiers Köln-Mülheim
geworden und könne aus der lebensweltlichen Perspektive ihrer Bewohner als Erfolgsgeschichte für
den Wandel zu einem postmodernen Quartier bezeichnet werden. Dies gelte auch in Bezug auf die
Integration, allerdings in der Weise, dass die Integration von Deutschen in das türkisch geprägte
Quartier ganz gut klappe. Dr. Yildiz zitierte in diesem Zusammenhang einen Mülheimer Bewohner mit
den Worten:
‚Man ist hier integriert. Jetzt, als Deutscher ist man hier schon integriert, das ist ja schon
paradox. Wir gehen ja nur in türkische Geschäfte, wir gehen ja nur hier einkaufen’.
Nur aus einem solchen alltagsbezogenen Blickwinkel heraus, so die These von Dr. Yildiz, könnten die
Entwicklungspotenziale und Chancen für städtische
Quartiere wahrgenommen
werden, die
Einwanderung und Diversität als wesentliche Elemente urbanen Zusammenlebens mit sich brächten.
Statt einer problematisierenden Sichtweise fordert er die Akzeptanz von Migration und Multikulturalität
als Alltagsnormalität (Motto: „Wir leben das“), wie sie in Folge des demographischen Wandels in
Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen werde. (…)“
Hier spricht er das „Reagenzglas Stadt“ an, bei dem Einwanderung und Diversität die
Grundvoraussetzung von Urbanität ist. Die Forderung nach Akzeptanz der
„Alltagsnormalität“ und dementsprechend die Modifikation der „mentalen Modelle“
sind
nicht
nur
aus
demographischer
Sicht
vonnöten,
sondern
auch
für
funktionierende „postmoderne Gesellschaftsformen“.
Häußermann (2006) kritisiert allgemein am Programm „Soziale Stadt“ die begrenzte
Reichweite. Es gäbe den Städten zwar „Instrumentarien an die Hand“ um „städtebaulichfunktionale Probleme“ zu lösen, aber ein Programm, dass auf die ganzheitliche
Quartiersentwicklung
abziele,
wäre
auf
„Kooperation
mit
anderen
Ressorts
angewiesen…“. Ein Programm vom Bauministerium finanziert, würde sich natürlich in
der Organisation der Quartierspolitik widerspiegeln, d.h. Ingenieure in den
Stadtplanungsabteilungen treffen die Entscheidungen, doch „…bauliche Investitionen
sind sicher nützlich, tangieren aber nur selten den Kern der Quartiersprobleme.“
59
Falls die Ursachen von Quartiersproblemen lediglich als bauliche Gründe definiert
werden, hat die Stadtpolitik „…ihre Schuldigkeit getan, wenn die Investitionsmittel
planmäßig verbaut sind. Dafür, dass die Bewohnerinnen und Bewohner danach immer noch
unter Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit leiden, dass die Kinder der Migranten immer
noch nicht gut Deutsch sprechen, muslimische Mädchen immer noch nur unter Aufsicht die
Wohnung verlassen dürfen und dass sich die Jugendlichen in Banden organisieren, damit
überhaupt etwas los ist am ereignisarmen Stadtrand - dafür kann ja die Stadtplanung nichts
(…)“ (Häußermann 2006).
4.2 Integrationsmikrokosmos „Sozialraum“ und die konzeptionelle
„Orientierung“ der Jugendhilfe
„Wer den Sozialraum nicht in seinen Werbeflyern an prominenter Stelle abdruckt, ist nicht
mehr auf der Höhe der Zeit.
Handbücher und Hilfen, Träger und Tagungen sind sozialräumlich geworden,
obgleich…es den Sozialraum als physischen Raum überhaupt nicht gibt“
(Budde/Früchtel 2006:2).1
Ausgehend von der Begrifflichkeit und den Bedingungen im Quartier, ist die Definition
von „Sozialraum“, wie sie auf den Flyern gebraucht wird, nicht eindeutig. Hinte
(2006)2, sieht in dem Begriff und seiner Verwendung als Konzept in der sozialen
Arbeit eine doppelten Sinn.
Zum einen beschreibt er den Menschen in seiner individuellen Lebenswelt und wie er
diese wahrnimmt und für sich selbst subjektiv konstruiert. Sozialräume gibt es
demnach so viele, wie es auch Individuen gibt. Bedeutsam hierbei ist „…die Art und
Weise, wie sich Menschen etwa ein räumliches Gebiet aneignen, (…) , wie sie es für sich
nutzen, wie sie mit seinen Einschränkungen umgehen, wie sie es herrichten (…) und wie sie
es
anreichern…“.
Diese
individuellen
Sozialräume
können
sich
mit
anderen
individuellen Sozialräumen in der Bevölkerung überlappen und so zu einem
gemeinsamen „Sozialraum“ werden. „Dort bilden sich sozialräumlich identifizierbare
Interessen, Problemlagen und Ausdrucksformen von Alltagskultur ab…“.
1
2
Budde, W./ Früchtel, F. „Ebenen, Ziele und Methoden sozialraumorientierter Sozialer Arbeit“ 2006
Hinte, W „Sozialraumorientierung – Fachliche Grundlagen und Entwicklungschancen in der kommunalen Jugendhilfe“
in Herrmann, K. „Leuchfeuer querab! Wohin steuert die Sozialraumorientierung?“ Westkreuz-Verlag Berlin/Bonn 2006
60
Stadtteile, Strassen, Dörfer und Bezirke können demnach in der Selbstbeschreibung
der Bevölkerung als „unser gemeinsamer“ Sozialraum gesehen werden (Hinte
2006:72/73).
Zum
anderen
wird
die
Begrifflichkeit
„Sozialraum“
von
Institutionen
als
Steuerungsgröße für ein bestimmtes (Wohn)-Gebiet herangezogen. Angelehnt an die
sozialen Schnittmengen und zum „gemeinsamen“ Sozialraum hin ausgerichtet,
werden von Verwaltungen Sozialräume „zugeschnitten“. Dass diese Räume nie ganz
den individuellen Sozialräumen entsprechen, liegt auf der Hand, denn „…Jede
Bezirksschneidung ist ein Kompromiss…“ zwischen den „…wechselnden Definitionen der
Bevölkerung,
den
sichtbaren
materiellen
Abgrenzungen
und
den
bürokratischen
Erfordernissen…“ (ebda.:73).
Berlin hat dieser Dualität des Begriffes inzwischen Rechnung getragen. Die im Zuge
der
Einführung
des
Sozialraumorientierungskonzeptes
in
der
Jugendhilfe
segmentrentierten Stadtteile werden nicht mehr „Sozialräume“ genannt, sondern ab
Januar 2008 wählt man die geeignete, weniger verwirrende weil geographische
Bezeichnung, „Regionalräume“.
Doch was bedeutet die postmoderne Bezeichnung auf den Werbeflyern: „Wir
arbeiten sozialraumorientiert“? Ausgehend von der Überlegung des individuellen
Sozialraumes und des Prozesses der Aneignung eines räumlichen Gebietes durch das
Individuum müsste demnach jener Aneignungsprozess in der sozialraumorientierten
Jugendarbeit das perspektivische Arbeiten bestimmen.
Neben dem öffentlichen Raum werden auch Institutionen wie die Schule oder die
Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit von Kindern und Jugendlichen
angeeignet (Deinet 2007:1)1.
2
1
2
Ulrich Deinet „Orientierungsebenen und Bildungsbegriffe in Schule und Jugendinformation“ 2007
Das Inselmodell nach Helga Zeiher in Ulrich Deinet „Die Bedeutung von Kooperation für den Erfolg derOffenen Ganztagsgrundschule“
in „Jugendhilfe aktuell“ Landschaftsverband Westfalen-Lippe 3/2004
61
4.2.1 Aneignung ihres Sozialraumes durch die Jugendlichen
„Die Aneignung ihrer jeweiligen Lebenswelt als schöpferischer Prozess der eigentätigen
Auseinandersetzung mit der gegenständlichen und symbolischen Kultur der Gestaltung und
Veränderung von Räumen und Situationen – sozusagen die Bildung des Subjektes im Raum
– wird wesentlich beeinflusst, gefördert oder eingeschränkt durch die sozial-strukturellen
Bedingungen von Dörfern, Wohnquartieren, Stadtteilen, Regionen“ (Deinet 2007:5).
Die Aneignung der konkreten Lebenswelten und Sozialräume soll hier exemplarisch
am Beispiel der Aneignung des öffentlichen Raumes dargestellt werden.
Relevant für diese Arbeit sind hierbei die subjektiven Erlebnis- und Handlungsweisen
der
Jugendlichen
mit
Migrationshintergrund
in
den
sogenannten
„sozialen
Brennpunkten“.
Hierbei ergeben sich geschlechtlich stark differenzierte Handlungsmuster. Männliche
Jugendliche können sich viel freier als ihre weiblichen Geschwister in ihrer
unmittelbaren Umgebung bewegen. Bei den Mädchen, insbesondere in der
Adoleszenz, sind viel stärkere Kontrollmechanismen am Werke. Außerfamiliäre
Aktivitäten müssen in der Familie oftmals gerechtfertigt und begründet werden.
„Türkische Mädchen vermeiden es z.B. ihre Freizeit zu Hause zu verbringen, indem sie sich
neue, ihrer Persönlichkeit angemessene ‚Arbeitsverpflichtungen’ ausdenken, wie Sprachen
lernen,
Fortbildungskurse
usw.(…)“
(Viehböck/Bratic
1994:150).
Obwohl
davon
auszugehen ist, dass Mädchen viel kreativer sein müssen bei der Begründung ihrer
„Außenaktivitäten“, kann nach Viehböck und Bratic nicht davon ausgegangen
werden, das ihr Freizeitverhalten sich nur auf das oft zitierte stereotypische „Im
Haushalt helfen“ beschränkt (ebda.:150). Allgemeinen Zuschreibungen für die
„muslimischen Mädchen“ können hier nicht vorgenommen werden, denn „…das
einzige tatsächliche Verbot, dem türkischen Mädchen unterliegen, ist vorehelicher
Geschlechtsverkehr“ (ebda.:151).
Freizeitaktivitäten von männlichen und weiblichen Jugendlichen, insbesondere mit
muslimischem Migrationshintergrund, finden aber meist geschlechtsgetrennt statt.
62
Für die männlichen Jugendlichen ist ihr Stadtteil bzw. ihr Kiez, sprich das Umfeld
ihres Wohnhauses, ihr Lebensmittelpunkt und „Aufenthaltsraum“ wo sie ihre Freizeit
verbringen können. Freizeit ist hierbei nicht unbedingt die „freie Zeit“, sondern
„beinhaltet
(…)
die
Komponente
des
‚Wartens
auf
Etwas’,
warten
auf
Beschäftigung…“ (ebda.:151).
Freizeit ist nicht gefüllt, sondern muss erst gefüllt werden, dies geschieht durch die
Erforschung von Möglichkeiten, durch „spazieren gehen“ in ihrer Umwelt (ebda.:151).
Das Füllen der freien Zeit, den „Leerraum“, kann sich hierbei, wie in der Einleitung
formuliert, auch durch das „…Banden bildend die Strassen unsicher machen…“
bemerkbar machen.
Von der familiären Wohnsituation gelöst, der oftmals von beengtem Wohnraum
gekennzeichnet ist, sind Straßenecken, sind öffentliche Parks, Grünflächen und
Sportanlagen eine wichtige Alternative. Die Aneignung von öffentlichen Räumen
durch die Gruppen von Heranwachsenden kann somit als Reaktion auf einen Mangel
an speziellen Räumen für Jugendliche betracht werden.
Die Angebote im Bereich der offenen Jugendarbeit (falls die Gelder hierfür nicht
schon ganz gestrichen wurden) sind überschaubar und nicht für jedes Individuum
geeignet, aus verschiedensten Gründen. Der öffentliche Raum wird von den jungen
Männern daher genutzt und demzufolge auch „gestaltet“.
Die Gestaltung und Veränderungsprozesse im Stadtbild werden von den bürgerlichen
Erwachsenen unter der Überschrift „Verwahrlosung des öffentlichen Raumes“ oder
„Vandalismus“ wahrgenommen:
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Graffiti (Bilder von links) 1.Graffitientfernung mittels Schwingschleifer in Berlin; 2. Ein sogenanntes
Throw-Up in einer U-Bahn-Station in Düsseldorf; 3.Graffiti in einem Berliner Hinterhof
63
Allerdings erfüllt der von einer Gruppe von Jugendlichen z.B. temporär angeeignete
Kleinfeldfußballplatz zwischen den Häuserblocks für die Jugendlichen neben der
„Zweckbestimmung“ des Raumes für Spiel und „action“ auch das Bedürfnis nach
Selbstbestimmtheit. Freiräume ohne Beaufsichtigung, „einen Platz nur für sich
haben“, „keiner quatscht einem rein“, keine Verpflichtungen, Beschränkungen oder
Sanktionsgefahr: „rumpöbeln“, „andere anmachen“, „provozieren“, sich wehren, laut
sein, Kräfte testen etc.
Die überdachte Bushaltestelle oder der U-Bahneingang wird zum Schutz- und
Rückzugsraum: abgeschieden, überdacht, „nicht gesehen werden“, „unter sich
bleiben können“, „ungestört rauchen – kiffen –saufen können“ etc.
Die Ecke im Park wird zum Treffpunkt für Austausch und Orientierung: miteinander
quatschen, Infos austauschen, abhängen, „dort ist immer jemand, einer von der
Crew“, Bestätigung des Ausgrenzungsgefühls etc.
Diese Räume im „urbanen Dschungel“ werden von den Jugendlichen angeeignet. Die
„Verschmutzungen“ sind somit mehr als eine „Langeweile -und Frustentladung“ oder
Zeichen für ein „schlecht erzogenes asoziales Verhalten“, sie markieren vielmehr
ihren Lebensraum.
Eine Selbstdarstellung die sich in sprayen, scratchen und ritzen an Objekten kundtut.
Sie hinterlassen Spuren, sind deshalb existent und werden gesehen auch wenn sie
nicht vor Ort sind. Diese von der Hip-Hop Kultur und insbesondere von der
Bandensubkultur in den U.S.A entliehen Form der Markierung des Territoriums einer
Straßenbande gilt als ein zentrales Ausdrucksmittel urbanen Lebensgefühls und
finden daher speziell unter männlichen Jugendlichen häufig Anerkennung.
In diesem funktionalen Zusammenhang erhält die Tendenz der „Verwahrlosung und
Zweckentfremdung des öffentlichen Raumes“ besonders in den „Problemvierteln“
natürlich eine andere Dimension.
Der Tatbestand des „Vandalismus“ kann somit umgedeutet werden in eine nicht
zwangsläufige böswillige Handlung, sondern in eine neutrale „Veränderung“ und
damit Aneignung oder in Besitznahme des Sozialraumes.
64
Für die sozialraumorientierte, insbesondere der Jungen(sozial)arbeit kann dies ein
Handlungsfeld sein. Sie kann dieser Tatsache der Aneignung Rechnung tragen und
z.B. die Gestaltung des Raumes durch Projekte steuern und dadurch auch eine
gesellschaftliche Einbettung der Aneignungsprozesse bewirken; z.B. durch:
„Schaffung von Freiflächen im öffentlichen Raum zur Förderung des legalen Graffiti. Damit
kann nicht verhindert werden, dass einige Writer auf nicht genehmigten Flächen arbeiten,
aber dies ist nur konsequent, um den Kindern und Jugendlichen glaubwürdig vermitteln zu
können, dass sie nicht ohne Erlaubnis im öffentlichen Raum arbeiten dürfen.“
„Durchführung von Wettbewerben mit entsprechenden Flächen“
„Gestaltung von öffentlichen und privaten Flächen durch Sprayer“ (Wikipedia).1
Für Mädchen erscheint es in dem Zusammenhang wichtig institutionelle, organisierte
Freizeitmöglichkeiten anzubieten. Offene Jugendarbeit, wie sie bei den Jungen auch
durch „Streetwork“ zu erreichen scheint, kann bei den Mädchen nicht funktionieren,
da sie auf „begründete Außenaktivitäten“ angewiesen sind.
Für beide gilt allerdings gleichbedeutend, dass Projekte die „...die Erfahrung von
Selbstwirksamkeit“ fördern, die Teilhabe und Mitbestimmung ermöglichen, angestrebt
werden sollten. Durch „Selbermacherprojekte“ ihren Sozialraum gestalten zu können,
erscheint
insbesondere
unter
integrativen
Gesichtspunkten
entscheidend
(Kinderreport 2007:215).2
Soviel zum exemplarischen Prozess der Aneignung des individuellen Sozialraumes,
hin zur Steuerungsgröße „Sozialraum“ und der konzeptionellen Verankerung der
„Sozialraumorientierung“ in Institutionen.
4.2.2 Sozialraumorientierung – und budgetierung
Das Konzept der „sozialraumorientierten Sozialarbeit“ ist keine neue Erfindung.
Vielmehr nimmt es Methoden und Erkenntnisse der Gemeinwesenarbeit auf und
modifiziert diese (Hinte 2006:72).
1
2
http://de.wikipedia.org/wiki/Graffiti
Kinderreport Dtschl. 2007
65
„Steuerungstechnisch gesehen ergänzt bzw. löst der Sozialraum insbesondere in der
kommunalen Bürokratie als Steuerungsgröße das Amt, die Abteilung, die Immobilie oder den
Einzelfall ab“ (ebda.:74).
Hier als Beispiel die Segmentierung des Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin:
Quelle: http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/verwaltung/org/jugendamt/
Und hier die nähere Ansicht der Region 1 (damals Sozialraum1). Eingezeichnet sind
die im „Sozialraum“ vorhandenen Schulen:
Quelle: 3. Jugendhilfebericht 2006, Sozialraum 1, Berlin Friedrichshain-Kreuzberg
Auf
der
Internetseite1
des
Berliner
Senats
wird
das
Konzept
der
„Sozialraumorientierung“ als Unterpunkt von „Sozialpolitik“ näher beschrieben. Nach
ein paar einleitenden Worten folgen die „Leitgedanken für die fachlichen Methoden“,
angelehnt an Hinte. Zitiert werden soll in dieser Arbeit allerdings „das Original“, die
„methodischen Prinzipien“, obwohl er, wie er selbst schreibt, schon so oft „…darüber
geredet und geschrieben…“ hat, dass es ihm „…gelegentlich gar peinlich…“ ist,
„…zum zigsten male die entsprechenden Grundlegungen zu liefern“ (Hinte 2006:77).
1
https://www.berlin.de/sen/jugend/jugendpolitik/sozialraumorientierung.html
66
Nun gut, im Zuge dieser Arbeit muss dies noch mal geschehen:
- „konsequenter Ansatz am Willen und an den Interessen der Wohnbevölkerung,
- aktivierende Arbeit und Förderung von Selbsthilfe,
- Konzentration auf die Ressourcen der im Quartier lebenden Menschen sowie der
materiell-baulichen Struktur des Quartiers,
- Zielgruppen- und bereichsübergreifender Ansatz,
- Integration und Abstimmung der professionellen Ressourcen“ (Hinte 2002).1
In der Fachszene hat die Einführung des „Sozialraumkonzeptes“ für viel Wirbel
gesorgt, aber auch eine heftige Auseinandersetzung mit dem Thema. Es kam gar zu
einer Spaltung der Szene in „engagierte Befürworter“ und „grundsätzliche Kritiker“.
Letztere Gruppe entstand, als es um Finanzierungsformen ging und die Idee des
„Sozialraumbudgets“, wobei das Konzept der Sozialraumorientierung an sich nie in
Frage gestellt wurde (Hinte 2006:79).
Es zeigte sich, dass Finanzierung, die sich weg vom Fall und hin zum Raum orientiert,
einer komplett neuen „mentalen Basis“ bei den Akteuren in der Sozialarbeit bedarf.
Als interessante und nachvollziehbare „Partitur für Zukunftsmusik“ (vgl.5) bezeichnet
Hinte die „…gelegentlich auftauchende Forderungen, Sozialraumorientierung sei doch nur
realisierbar, wenn auch noch etwa die Bereiche Soziales, Wirtschaftsförderung, Arbeitsmarkt,
Stadtentwicklung u.a. einbezogen würden…“ (ebda.:88).
Hier sind interessante Überschneidungen von Willensbekundungen der Akteure des
Quartiersmanagement feststellbar.
4.2.3 Integration mittels Bildung – Schule und Jugendhilfe im Stadtteil
„Bildung ist die Schlüsselressource für ein gelingendes Leben in der Wissensgesellschaft,
Bildungsgerechtigkeit ist damit wesentliche Voraussetzung für systemische Inklusion und
lebensweltliche Integration“
(Handschuck/ Schröer 2006:1)2.
1
2
Hinte 2002 in Hinte, W „Sozialraumorientierung – Fachliche Grundlagen und Entwicklungschancen in der kommunalen Jugendhilfe“
in Herrmann, K. „Leuchfeuer querab! Wohin steuert die Sozialraumorientierung?“ Westkreuz-Verlag Berlin/Bonn 2006
Sabine Handschuck/Hubertus Schröer „Integration durch Bildung – Eine gemeinsame Aufgabe von Schule und Jugendhilfe“ 2006
67
PISA-Berichte und OECD-Studie, die Ergebnisse der international vergleichenden
Untersuchungen haben mit Deutlichkeit die Defizite und Versäumnisse der deutschen
Bildungspolitik
zu
Tage
gebracht.
Insbesondere
den
Zusammenhang
von
Schichtzugehörigkeit und Bildungschancen.
Kinder und Jugendliche, die aus Familien mit niedrigem Sozialstatus stammen und
davon vor allem die mit Migrationshintergrund, sind von Misserfolgen in schulischer
und beruflicher Bildung überproportional stark betroffen (DIFU 2005:6).1
Nicht erst seit der bundesweiten Zwischenevaluierung 2004 zum Programm „Soziale
Stadt“ hat sich das Handlungsfeld „Schule und Bildung im Stadtteil“ als zentral und
intensivierungsbedürftig herausgestellt. Allerdings zeigte sich auf der „Fachtagung
zur Sozialen Stadt, Bildung im Stadtteil“(2005), dass die Frage bisher unbeantwortet
bleibt „…wie institutionelle Grenzen überwunden und Rahmenbedingungen geschaffen werden können, die eine systematische Vernetzung von Bildungs- und Quartierspolitik ermöglichen und fördern“ (DIFU 2005:6).
Die Erkenntnis, dass „Bildung mehr als Schule ist“ (vgl. 11.Kinder- und Jugendbericht
2002), insbesondere dass die Übergänge von Kindergarten, Schule und Beruf oftmals
defizitär sind, konnten bei den Beteiligten der Fachtagung im Konsens festgestellt
werden. Dass die Vernetzung von Schulen, Betrieben, Kinder- und Jugendhilfe sowie
Quartiermanagement unerlässlich ist, weil, „… die gegenwärtige bildungspolitische Misere ohne eine stärkere sozialräumliche Orientierung nicht zu bewältigen sein wird, darüber
bestand weitgehend Übereinstimmung“ (DIFU 2005:6).
Die Frage, nach Radtke, müsste darüber hinaus, bezogen auf die Schule im Stadtteil,
sein, ob hinsichtlich der sozialen Integration „…die Schule (…) mit ihren ‚Output’ als Teil
1
Fachtagung zur Sozialen Stadt, Bildung im Stadtteil - Dokumentation der Veranstaltung am 30. Mai 2005 in Berlin,
Arbeitspapiere zum Programm Soziale Stadt Band 11, Berlin, September 2005, Deutsches Institut für Urbanistik
68
des Problems“ angesehen wird, oder ob sie Teil der Lösung ist, die das Projekt des
Stadtteilmanagements angestrebt. Geht man von dem Letzteren aus, würde man anfangen „…mit der Schule in Bezug auf die Aufgaben, die sich im Stadtteil in Sachen Integration stellen, zu kooperieren“ (Radtke 2005:23)1.
Radtke geht allerdings davon aus, dass Kooperation bisher noch eher die Ausnahme
ist. Denn spätestens seit PISA muss in Bezug auf Bildungserfolge oder Misserfolge
das System „Schule“ genauer unter die Lupe genommen werden. PISA zeigte „…nämlich nicht Kausalitäten, sondern Korrelationen…“, d.h., dass mangelnder Schulerfolg nicht
einfach nur den Ursachen Familien-, Schicht- oder Ethnienzugehörigkeit oder einem
bestimmten Milieu zuzurechnen sind, sondern dass die Chancenverteilung als Systemproblem zu Tage tritt. Das „reflexartige“ intervenieren der Schulpolitik, das Ansetzten bei den Kindern und Familien mit Förderprogrammen ist somit nichts anderes
als „Kompensationspädagogik“ (ebda.:24).
Die in den „Problemvierteln“ beobachtbare Schulsegregation ist nach Ansicht von
Radtke beispielsweise auf das Entscheidungsverhalten von vielen Akteuren zurückzuführen. Nicht nur die Eltern, sondern die Schule und die für die Schulen und das
Quartier verantwortlichen Behörden sind für die Segregation, wenigstens im schulischen Bereich, und für das daraus resultierende Entstehen von „Parallelgesellschaften“ verantwortlich. „…Nicht von integrationsunwilligen Migranten (…), sondern von der
deutschen Mittelschicht…“ geht in dieser Sichtweise das Problem aus. Zum einen von
den Eltern, die die Auswahlmöglichkeiten des Schulsystem für ihre Vorteile nutzen
und dadurch auch ihre Privilegien sichern, wie das Beispiel der Kreuzberger Akademiker zeigt. Zum anderen von den direkt in den Schulen arbeitenden Lehrern, die nachvollziehbar eher Schüler auswählen mit denen am problemlosesten gearbeitet werden kann, für ein gutes Profil und Bildungsniveau der Schule (ebda.:24/25). Die Behörden unterstützen diese Tendenzen, indem Regeln entworfen wurden „…nach denen Eltern eine Ausnahmebewilligung erreichen können, um den Schulbezirk, für den sie eigentlich eingeteilt sind, zu verlassen“ (ebda.:28).
Die
historische
gesellschaftspolitische
Idee,
der
am
Anfang
gesetzten
Chancengleichheit durch die Integrationsfunktion der Grundschule, durch gesetzlich
festgelegte Schuleinzugsbezirke garantiert, damit wenigstens in
1
Radtke, Frank-Olaf „Bildungsdefizite, Schulsegregation und das Integrationsinteresse der Kommunen“
Redebeitrag „Fachtagung zur Sozialen Stadt, Bildung im Stadtteil“ 2005
69
den ersten
Schuljahren noch keine Selektion stattfindet, wird nicht mehr verwirklicht und
dadurch die soziale Integration der gesamten Bevölkerung gefährdet.
„Unser Befund ist, dass wir eine zusätzliche Entmischung – über die Entmischung der
Wohnbevölkerung hinaus – derzeit bereits in der Grundschule beobachten können, dass
also die Schüler schon vor (!) jeder Leistungsmessung sortiert werden auf bestimmte
Schulen“ (ebda.:25).
Diese entmischten Schulen sind dann ein Teil des Problems und nicht ein natürlicher
Teil der Lösung der städtischen Integrationsaufgaben.
Zur Kompensation der Segregation und dadurch der Desintegration und deren Folgen
muss dann die Kinder- und Jugendhilfe oder das Stadtteilmanagement aktiv werden.
„Die Schule produziert Probleme, etwa Schulmisserfolg, Schulabbruch, Demotivierung; dann
tritt die Kinder- und Jugendhilfe auf den Plan und darf um die Schulen herum einen Kranz
von Hilfeeinrichtungen bilden, der dann die Misserfolge des Systems wieder kompensiert. …
hier kann man (…)wechselseitig parasitäre Verhaltensweisen beobachten, die sich auf
Dauer gegenseitig stabilisieren“ (ebda.:28).
Radtke fordert ein lokales Bildungs- und Integrationsmanagement als Verbund von
Kinder-
und
Jugendhilfe,
sowie
eine
zielorientierten
pädagogische
Schulentwicklungsplanung. Die paradoxe Situation, dass den Schulen die finanziellen
Ressourcen gekürzt werden, muss an anderer Stelle wieder durch Jugendhilfe,
Quartiersentwicklung, Arbeitsagenturen etc. kompensiert werden.
Die von PISA erbrachten Ergebnisse zeigen, dass die aktuellen pädagogischen und
sozialen Herausforderungen, insbesondere das Problem der Chancenungleichheit von
Kindern
mit Migrationshintergrund, ohne Abstimmung und Kooperation
der
verschiedenen pädagogischen Akteure, nicht bewältigt werden können. Bildung muss
nicht nur in der herkömmlichen Institution Schule vermittelt werden, sondern auch
im sozialen Umfeld und anderen Orte des Lernens.
Dabei wurde Bildung und Erziehung in Deutschland gern als zwei getrennte
institutionell verankerte Bereiche gesehen. Nämlich das Nebeneinander von Schule
und Sozialer Arbeit. Von diesem Paradigma hat sich die Kinder- und Jugendhilfe im
Hinblick
darauf,
dass
sie
verstärkt
die
Konsequenzen
von
misslungenen
Bildungsverläufen „ausbaden“ muss, inzwischen gelöst. Denn „Bildung ist“, wie schon
die Fachtagung bestätigte, „mehr als Schule“.
70
„Gelingende Lebensführung und soziale Integration bauen ebenso auf Bildungsprozesse in
Familien, Kindertageseinrichtungen, Jugendarbeit und der beruflichen Bildung auf. Auch
wenn der Institution Schule ein zentraler Stellenwert zukommt, reicht Bildung jedoch weit
über Schule hinaus“ (Handschuck/ Schröer 2006:1).
In diesem Teil der Arbeit soll sich der Blick auf die Schnittstelle oder auf einen
möglichen Kooperationspunkt zwischen den beiden Institutionen beschränken. Das
Feld der Schulsozialarbeit bzw. schulbezogenen Sozialarbeit als gemeinsames
Aufgabengebiet. Diese Beschränkung folgt nicht Ansichten über Wertigkeiten, da z.B.
Berufsvorbereitung oder berufsbezogene Jugendhilfe mindestens ebenso wichtig
erscheinen, sondern im Feld der Schulsozialarbeit wird am deutlichsten wie die
„mentalen Modelle“ der pädagogischen Akteure den realen Anforderungen oftmals
konträr gegenüber stehen. Das Funktionieren der eingeforderten Kooperation mit
anderen Institutionen, wie beispielsweise dem Quartiersmanagement, kann hierbei
Modell stehen.
Rechtliche Grundlagen für die Zusammenarbeit ist § 81 SGB VIII. „Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen zusammenzuarbeiten, deren Tätigkeit sich auf die Lebenssituation junger Menschen
und Ihrer Familien auswirkt“. Schulsozialarbeit wird hierbei im speziellen durch § 11
SGBVIII als „Schulbezogene Jugendarbeit“ und § 13,1 SGBVIII als „Hilfen, die die
schulische und berufliche Ausbildung und soziale Integration fördern sollen“, begründet. Die Grundlage für die Arbeit mit Migrantenkindern kann aus beiden abgeleitet
werden, als „internationale bzw. interkulturelle Jugendarbeit“ in § 11 (3) und in § 13
SGB VIII als „die Förderung sozial benachteiligter und individuell beeinträchtigter Jugendlicher“, unter die, nicht erst seit PISA, Jugendliche mit Migrationshintergrund fallen.
„In der Praxis kommt es jedoch zwischen den beiden institutionellen Systemen, die sich historisch unabhängig voneinander herausgebildet haben - wenn überhaupt - nur zu punktuellen und sporadischen Kooperationen. Sie kooperieren in den meisten Fällen nicht miteinander, sondern stehen oftmals in einem Spannungsverhältnis oder in Konkurrenz, die sich aus
unterschiedlichen Zielvorstellungen ergibt“ (Kohlmeyer/Mauruszat 2006:17)1.
1
Kohlmeyer, Klaus/Mauruszat, Regine „Kooperation von Schule und Jugendhilfe“
71
Diese Zielvorstellungen oder auch „fachlichen Orientierungen“, die auch ein
bestimmtes Rollenverständnis der pädagogischen Akteure offenbaren, zeigen sich vor
allem in den unterschiedlichen methodischen Ansätzen. Während die Jugendhilfe das
„ganzheitliche Erfahrungslernen“ im Zentrum ihrer Bemühungen sieht, steht in der
Schule und damit bei den Lehrern das „kognitive Lernen“ in Form von
Wissensvermittlung im Vordergrund. Für die Schulsozialarbeit sind das nicht
zwangsläufig entgegengesetzte Grundpositionen. Reibungspunkte ergeben sich im
Detail. Die Sozialpädagogen sehen sich als Ansprechpartner bei individuellen
Problemen, als Vertrauensperson, die beraten, betreuen und unterstützen. Diese
Rolle und dieses Rollenverständnis kann aber auch der Lehrer einnehmen (wollen)
und demzufolge kann es zu einer Konkurrenzsituation kommen (Handschuck/
Schröer 2006:2).
Auf der ganz konkreten formalen Ebene wird der Schule oftmals vorgeworfen die
Schulsozialarbeit als eine Willkommene Möglichkeit zu sehen um den Schulalltag zu
entlasten. Nicht in Form von individueller Hilfe, sondern als „Füllung“ von Freistunden
oder als Krankheitsvertretung. Hier zeigt sich ein unklarer Erwartungsabgleich oder
schlichtweg unzureichende Information über Sinn und Zweck und Arbeitsfeld der
Jugendhilfe in der Schule. Die zukommende Rolle der Sozialpädagogen, die vorsieht
stellenweise als „Anwalt“ für die Kinder und Jugendlichen zu fungieren, kann zu
Irritationen auf beiden Seiten führen. Nach dem Motto: „Auf welcher Seite steht ihr
eigentlich?“
Diese
vermeintliche
oder
tatsächliche
„Schulkritik“
von
sozialarbeiterischer Seite wirkt sich natürlich nicht begünstigend auf ein gutes
Kooperationsverhältnis aus. Ein gestörtes Verhältnis, das sich dahingehend auswirken
kann, dass für schulpädagogische Fragestellungen und Kooperationsmöglichkeiten
keine Zeit eingeräumt wird, was oft noch durch das Fehlen von personeller
Kontinuität, durch befristete Stellen etc. auf Seiten der Schulsozialarbeit, verstärkt
wird (Kohlmeyer/Mauruszat 2006:17).
Hier besteht Handlungsbedarf, insbesondere im Hinblick darauf, dass Risiken oder
Fehlentwicklungen in der sozialen, beruflichen und folglich der gesellschaftlichen
Integration sich meist bereits im frühen Schulalter ankündigen, und sich familiäre
und/oder soziale Problemlagen natürlich auch auf in der schulischen Entwicklung
Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitungzum Modellprojekt „Berufs- und arbeitsweltbezogene Schulsozialarbeit“
2006
72
bemerkbar machen.
Schulsozialarbeit hat insbesondere in den „entmischten“ Schulen Jugendlichen mit
Migrationhintergrund als Klientel.
Erziehungsberatung, Familienhilfe oder allgemein Elternarbeit scheint im Hinblick auf
die aktuellen Integrationsdebatten an Wichtigkeit zuzunehmen.
„Hier hat Jugendhilfe im Vergleich mit der Schule eine ganz eigenständige Kompetenz, weil
die sozialpädagogische Ausbildung und der Auftrag des Kinder- und Jugendhilfegesetzes
besondere Möglichkeiten offensiver Familienarbeit ermöglichen…“
„…auch ist Erziehungsberatung vor allem dann erfolgreich, wenn sie
interkulturell ausgerichtet ist und Personal mit Migrationshintergrund zur Verfügung steht“
(Handschuck/ Schröer 2006:5).
Die PISA- Ergebnisse und die Erkenntnisse daraus haben nicht nur Diskussionen
ausgelöst sondern haben auch Bewegung in die deutsche Bildungslandschaft
hervorgebracht. Reformprojekte werden und wurden in Gang gesetzt. Es gibt die
„Leuchttürme der Pädagogik“, Schulen, die mit der Realität Deutschlands als
Einwanderungsgesellschaft gelernt haben umzugehen. Schulen, die sich als
„Gemeinschafts- bzw. Gemeinwesenschule im Quartier“ sehen, die die geforderte
„…intensive Zusammenarbeit und Kooperation mit außerschulischen Institutionen und ExpertInnen“ pflegen und dementsprechend das soziale Umfeld der Schule mit einbeziehen
(Engin/Walter 2006:119)1.
Dies sind wichtige positive Signale für weitere „Meilensteine“ einer „Zukunftspartitur“.
5. „Zukunftspartitur“ – ein kultursensibles „Jugend im Kiez- Netzwerk“
Um den Kreis zu schließen und das Erkenntnisinteresse in der Einleitung (vgl.1) einzurahmen, beginnt das Fazit und der „Ausblick“ dieser Arbeit mit den bisherigen Resultaten des „Kiezläufer- Projekt“ in Berlin- Kreuzberg.
Das Ergebnis vorab: die…
1
Havva Engin / Sven Walter „Leuchttürme der Pädagogik“ :Porträts erfolgreicher interkultureller Bildungsarbeit an Berliner Kindertagesstätten und Schulen in sozial benachteiligten Quartieren, Der Beauftragte des Senats von Berlin für Integration und Migration 2006
73
„Kiezworker laufen weiter
Das umstrittene Kiezläufer-Projekt in Kreuzberg wird verlängert –
und soll auf den Wassertorplatz ausgeweitet werden.
Das Projekt soll keine Konkurrenz zur professionellen Sozialarbeit sein“
(TAZ 6/2/08:22).1
Das als „Zukunftsmodell für die sogenannten Problemviertel“ (Deutschlandradio
14/11/07)2 von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung initiierte Projekt kann inzwischen auf ein halbjähriges Erfahrungswissen zurückgreifen und demzufolge kann
auch eine erste Zwischenbilanz gezogen werden. Inzwischen ist das Projekt auf 6
Kiezworker angewachsen und wird bis zum Herbst 2008 weiter finanziert. Nach Aussagen vom Trägerverein Odak haben „…die Kiezworker bislang zu 30 bis 80 Jugendlichen
auf der Straße einen Kontakt hergestellt und Treffen organisiert mit dem Ziel, deren ‚Bedarfe
zu ermitteln’. 15 Jugendliche seien in Ausbildungsmaßnahmen vermittelt worden, 7 wollten
ihren Schulabschluss nachholen. Eine Theater AG sei gegründet worden, eine Fußball AG
und eine Jugend-Kiez AG seien im Aufbau“ (TAZ 6/2/08:22).
Die Ergebnisse halten sich auch ohne genaueres Hinterfragen in Grenzen; werden allerdings von den Akteuren auch realistisch eingeschätzt. Man könne zwar nur „kleine
Sachen“ bewegen, aber diese hätten „große Auswirkung“. Ein positives Fazit zieht auch
die Polizei, die in das Projekt in Form von regelmäßig stattfindenden Erfahrungsaustauchtreffen eingebunden ist. Ein Rückgang der Kriminalität sei zwar nicht zu verzeichnen, allerdings wäre es auch „Quatsch“, das zu erwarten. Das subjektive Sicherheitsgefühl, das „Umgangsklima“, sei besser geworden. „Es gehe darum, die Prävention
zu verbessern…“ (ebda.:22).
Die Präsentation der „durchweg positiven Bilanz“ wird von den Medien und den professionellen Sozialarbeiter vor Ort mit Verwunderung wahrgenommen. Die Herangehensweise, in sozialpädagogischen Begrifflichkeiten, die Methode der Kiezworker, den
Jugendlichen „auf der Straße einfach mal zuhören“, um an die Kids „ranzukommen“,
wird sehr kritisch bewertet.
1
2
Plarre, Plutonia „Kiezworker laufen weiter“ TAZ Berlin, 6.Februar 2008
Bigalke, Katja „Die Kiezläufer laufen aus“ Deutschlandradio 14.11.2007,
74
Denn die Herangehensweise der Kiezläufer „…klingt ehrenwert und immerhin wie ein guter Anfang von etwas. Doch von was? Bei der Frage nach dem Zweck der Maßnahme beginnt die große Ratlosigkeit“ (TAZ 6/2/08:21)1.
Die kritischen Stimmen der Medien und der Sozialarbeit sind schon seit Anfang des
Projektes existent und natürlich auch begründet. Dass die Welt so einfach funktioniere, dass Aufgaben durch „zuhören“ und „gemeinsam Börek zubereiten“, zu lösen wären verschließt schlichtweg die Augen gegenüber der Komplexität der Probleme, gegenüber den Lebenswelten der Jugendlichen im Kiez. Diese Argumentation, die auch
von der Sozialarbeit und den Medien gebraucht wird, verschließt aber genauso die
Augen gegenüber den Potentialen der Grundidee dieses Projektes. Als die „Wogen
der Empörung“ von Seiten des Bezirksamtes und den lokalen Jugendhilfeeinrichtungen am Anfang des Projektes hochschlugen waren die Verantwortlichen zwar schnell
bemüht klar zu stellen, dass dieses Projekt keine Konkurrenz zur klassischen Sozialarbeit darstellen soll, doch durch die unzureichende Klarstellung und Informationsweitergabe von Seiten der Senatsverwaltung mussten Irritationen entstehen.
Auch war die medienwirksame Darstellung und Präsentation des Projektes wenig geeignet, den Verdacht der Profilierung und des „Kompetenzvorsprung durch Innovation“ von Seiten der Quartiersmanager zu widerlegen. Dass bei der Frage nach Sinn
und Zweck der Maßnahme die „große Ratlosigkeit“ beginnt, muss den Verantwortlichen in Rechnung gestellt werden. Der Verdacht, dass sie selbst nicht in der Lage
sind, das Projekt mit einer Idee oder Vision zu unterlegen, ist bisher nicht ausgeräumt worden. Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit, Absprachen und Austausch, vielleicht sogar die Kooperation mit den lokalen Institutionen, haben nicht ausreichend
statt gefunden. Ideen und Visionen dieses Konzeptes können nur erahnt werden.
Die Methode des „Zuhörens“ und dadurch des Vertrauensaufbaues von im Sozialraum
integrierten, nicht-professionellen Engagierten, erinnert stark an Methoden der Gemeinwesenarbeit, an bürgerschaftliches Engagement. Begrifflichkeiten wie „Zivilgesellschaft“ oder aus Amerika entliehene Ideen wie „Community Organizing“ tauchen
auf. Das erste nämlich, was der „Organizer“ im Stadtteil tun sollte, „ist zuhören, nicht
reden“. Denn mit Saul Alinsky, dem Begründer der community organizing Idee, ge-
sprochen:
1
Wierth, Alke „Friede, Freude, Möhrenbörek“ Kommentar, TAZ Berlin, 6.Februar 2008
75
„…du bist verdammt, bevor du überhaupt anfängst, wenn du nicht das Vertrauen und den
Respekt der Menschen gewinnst (…). Ohne diesen Respekt gibt es keine Kommunikation,
kein gegenseitiges Vertrauen und kein Handeln“ (Penta 2007:29)2.
Ob diese oder ähnliche Ideen der Hintergrund für die Initiierung des „Kiezläufer- Projektes“ waren oder einfach Initiativen aus anderen Städten oder Stadtteilen (vgl. Berlin- Wedding) abgeguckt wurden, lassen sich, wie gesagt, nur erahnen. Dennoch
bleibt, unabhängig von der Ideenbasis, das Manko oder schlichtweg der Unwille mit
anderen Institutionen zu kooperieren. Der Erfahrungsaustausch mit der Polizei lässt
vermuten, dass hier Handlungsbedarf bestand. Dass keine Kooperation mit Professionellen aus der Jugendhilfe angestrebt wurde lässt sich rational nicht erklären. Aufgrund der multiplen Problemlagen der Jugendlichen müsste eine Zusammenarbeit eigentlich auf der Hand liegen. Der Verdacht liegt nahe, dass hier tatsächlich Grundhaltungen, „mentale Modelle“ der Akteure eine Kooperation verhindern oder gar zu einer Konkurrenzsituation führen. Wie diese Arbeit bisher gezeigt hat, ist dies in dem
angestrebten „Netzwerk Jugendarbeit im Problemviertel“ keine Seltenheit und scheint
dem gemeinsamen Ziel der Integration der Jugendlichen nicht förderlich zu sein.
Darüber hinaus muss im Folgenden noch geklärt werden, wie die Grundhaltung der
Akteure, wie die „Kompetenz der Kultursensibilität“, aufgrund der multiplen
(trans)kulturellen Binnenverfassung moderner Gesellschaften, und hierbei insbesondere in den Problemvierteln, gestrickt sein muss.
Der Ausblick der vorliegenden Arbeit besteht demnach darin Voraussetzungen und
Anforderungen dieses Netzwerkes auszuformulieren. Als unmittelbare Akteure treten
hierbei natürlich die Jugendlichen mit Migrationshintergrund als Hauptzielgruppe der
Bemühungen in den Vordergrund. Hierbei sollen potentielle Einflussgrößen der Jugendlichen in das Netzwerk einbezogen werden. Diese bestehen, um nur mal die
Wichtigsten zu nennen, aus: Familie, Eltern, Schule, Kita, Vereine, religiöse Vereinigungen, lokale Wirtschaft, Arbeitsagenturen, Polizei, Quartiersmanagement, Jugendamt, freie Träger der Jugendhilfe, … etc.
2
„Rebell trifft ‚Playboy’“ Saul Alinsky im Gespräch mit Eric Norden in Penta, Leo „Community Organizing“
edition Körber-Stiftung, Hamburg 2007
76
Doch, um zu einem funktionierenden Netzwerk zu gelangen, um gemeinsames Handeln zu erreichen, scheint das Erreichen des primären Zieles der Verständigung über
„kooperative Partnerschaft“ am offenkundigsten.
5.1 Kooperative Partnerschaft – die Idee eines „Lokal Compact“
Auch auf die Gefahr hin, in die Falle zu treten, „…das auf der nationalen Ebene prekär
gewordene Konzept einer kulturellen Integration der Gesellschaft nunmehr auf der weltgesellschaftlichen Ebene reformulieren zu wollen“ (Seitz 2005:66), soll hier ein Versuch un-
ternommen werden, die in den Vereinten Nationen diskutierten Überlegungen zu den
globalen Problemen in einer globalisierten Weltgesellschaft, in das städtischen Quartier zu transferieren.
Dies folgt der Erkenntnis, dass die Stadt als „Reagenzglas“ gesehen, die gesamtgesellschaftlichen Prozesse und Strukturen widerspiegelt. Somit könnte das Problemviertel als Focus der Weltgesellschaft dienen. Hierbei wird davon ausgegangen, dass
die Umsetzungsprobleme der auf internationaler Ebene diskutierten ehrgeizigen Zielsetzungen, wie die „Millenium Goals“, „Global Governance“, das „Projekt Weltethos“
oder den „Global Compact“ (vgl. Pies 2003), auf lokaler Ebene, im städtischen Sozialraum als Modell stehen könnten.
Der Global Compact wird hierbei zu einem Local Compact, nämlich eine gemeinsame
Übernahme von Ordnungs- und Handlungsverantwortung aller im Quartier relevanten
Akteure für eine funktionierende integrative Jugendarbeit. Dies zollt der Tatsache
Rechnung,
dass
die
hierbei
existenten
multiplen
Probleme
die
Problemlösungsfähigkeit einzelner Akteure mittlerweile übersteigt.
Diesem Zukunftsmodell einer vernetzten kooperativen Partnerschaft fehlt es
allerdings momentan noch an einem „Raum“ „…in denen die Akteure kritisch, aber
zugleich auch kontruktiv und produktiv miteinander umgehen können“ (Pies/Sardison
2003:5)1. Darüber hinaus fehlt es bei den einzelnen Akteuren, wie das KiezläuferProjekt zeigt, oft noch an dem Verständnis, dem Bewusstsein oder dem „mentalen
Modell“ für einen partnerschaftlichen Prozess.
1
Pies, Ingo/ Sardison, Markus „Global Goverance erfordert ein Paradigmawechsel vom Machtkampf zum Lernprozess“
Discussion Paper – Witenberg Center for Global Ethics, 2003
77
Dies ist allerdings die Grundvoraussetzung für ein lokales Netzwerk bei dem sich alle
Akteure „…auf eine nicht-hierarchische Weise koordinieren, um ihre je unterschiedlichen
Interessen, Kompetenzen und Perspektiven in einen Lernprozess einzubringen…Solche
Netzwerke können durch die Integration verschiedener Sichtweisen neues Wissen
produzieren und so selbst angesichts komplexer Sachverhalte innovative Weichenstellungen
erarbeiten“ (ebda.:5).
Dieses Netzwerk könnte alle Akteure auf gleichberechtigter Ebene zusammen
bringen, um gemeinsam Verantwortung für das gemeinsame Interesse an der
Integration von jungen Menschen auf der Handlungs- und Ordnungsebene
herzustellen.
Allerdings
partnerschaftlicher
Lern-
muss
und
davon
ausgegangen
Dialogprozess
werden,
momentan
noch
dass
ein
durch
die
angesprochenen „mentalen Modelle“ behindert wird, durch Denkmuster und
Rollenverständnisse, die die Akteure bisher eher in gegnerische Lager teilen oder
Konkurrenzdenken unterstützen.
Quartiersmanagement vs. Jugendhilfe (Kiezläufer vgl.5&1), Jugendhilfe vs. Schule
(Schulsozialarbeit vgl.4.2.3), Quartiersbewohner vs. Polizei/Justiz (als ledigliche Repräsentanten der Mehrheitsgesellschaft vgl.3.3.3), Schule vs. Eltern (Sozialisation vgl.
3.2.2), „Deutsche Kultur“ vs. „fremde Kultur“/ christliche Wertegemeinschaft vs. Islam (vgl.2 ff.) etc.
Diese Denkmuster dominieren offensichtlich die Wahrnehmung der Akteure und wirken sich daher kontraproduktiv auf das Bemühen um Herstellung konstruktiver partnerschaftlicher Beziehungen aus, denn die Akteure „…begegnen sich… mit Misstrauen
und bezweifeln gelegentlich sogar den guten Willen der anderen Parteien“. „…die tendenziell
konfrontative Einstellung…“ führt darüber hinaus zu einer abwartenden Haltung und
demzufolge zu Handlungsblockaden bei den Akteuren. Dadurch bleibt das Potential
und die Möglichkeiten des „an-einem-gemeinsamen-Strang-ziehens“ unausgeschöpft
(Pies/Sardison 2003:7/8).
Doch von welcher mentalen Ausgangslage, welchem Ist-Zustand muss das angestrebte Jugendnetzwerk im städtischen Quartier ausgehen?
Schlichtweg auf der Metaebene formuliert wären das:
78
-In den „Problemgebieten“ der Großstädte werden lediglich die negativen
Auswirkungen des Strukturwandel und des sozialen Wandels abgebildet.
-Im Quartier bestehen Kultur-, Identitäten- und demzufolge auch Werte- und
Moralpluralismen,
-und dadurch die Tendenz eines „rechtsfreien“ Raumes, da es keine für alle
Bewohner verbindlichen Werte und normative Setzungen gibt.
Die Strukturbedingungen dürfen demnach nicht zu Fehlwahrnehmungen führen.
„Strukturelle Problemursachen…“ dürfen nicht „auf Personen und Charaktereigenschaften
zugerechnet…“ werden, wie beispielsweise der Vorwurf, dass „integrationsunwillige
Migranten“ die die Parallelgesellschaften verursachen etc.(ebda.:3).
Des weiteren darf, im Angesicht der Merkmale von modernen Gesellschaften wie
Individualisierung, Pluralisierung von Lebensentwürfen und demzufolge auch der
Wert- und Moralvorstellungen, nicht mehr davon ausgegangen werden, dass durch
„…moralische Appelle Verhaltensänderungen bei anderen Akteuren zu erreichen…“ sind.
Forderungen, die in „moralischen Kategorien“ vorgetragen werden, finden keine
Resonanz, weil die „entsprechenden Werte“, in „multikulturellen“ Gesellschaften, nicht
von allen geteilt werden (ebda.:3/4).
Demzufolge erscheint es utopisch ein auf Wertekonsens beruhendes Netzwerk installieren zu wollen. Die Idee der Partizipation oder Beteiligung bei Handlungsentscheidungsprozessen ist vielmehr die Alternative, der Zugang zur sozialen Integration aller
Akteure (vgl. Seitz 2005).
Es scheint demnach eher darauf anzukommen lokale Netzwerke auf dem Funktionieren einer Rahmenordnung, auf funktionale gemeinsame (Regel)- Interessen zu gründen. Dieses gemeinsame Interesse kann auf Handlungsebene durch kooperatives
Agieren zum wechselseitigen Vorteil führen (vgl. Pies/Sardison 2003).
Das Ausformulieren dieser Regelinteressen soll durch einen gemeinsamen Lern- und
Dialogprozess (vgl. Bohm 2005)1 zu einem gedanklichen „sozialen Konsens“ führen
(Pies 2003:4)2.
1
2
Bohm, David: „Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussion“ (1996) Verlag Klett-Cotta. Stuttgart. 4. Auflage 2005
Pies, Ingo „Weltethos versus Weltgesellschaftsvertrag- Methodische Weichenstellungen für eine Ethik der Globalisierung“
Discussion Paper – Witenberg Center for Global Ethics, 2003
79
D.h. es soll nicht darum gehen den „local compact“ als eine „Jugend im Kiez- Verfassung“ normativ festzulegen, „…sondern um Wege neue Erkenntnisse zu finden für jene
Prinzipien des Zusammenlebens, die auf allgemeine Zustimmung treffen können“ (ebda.:5).
Ein dialogischer Vorgang, der einen Lernprozess auslöst, der zu einem gemeinsamen
Verständnis einer funktionierenden integrativen Jugendarbeit im Quartier beiträgt.
Doch wo ansetzen? Die gemeinsamen „(Regel-)Interessen“ als gemeinsames Verständnis und Verstehen bedürfen auf der Handlungsebene zwar nicht der Ausformulierung einer „Verfassung“, müssen aber trotzdem um greifbar zu werden normativ
verständigt werden. Diese Normativität kann allerdings unterschiedlich definiert sein.
Der hierbei klassische Fall ist das „Sollensparadigma“, d.h. eine externe Instanz erhebt Forderungen gegenüber einem Adressaten:
„Schule oder Jugendhilfe fordern die Eltern auf, dass sie bei der Erziehung der Kinder
keine Gewalt anwenden sollen“ etc.
Alternativ hierzu kann sich Normativität auch im „Wollensparadigma“ darstellen.
In diesem Fall geht es darum, „…sich nicht Klarheit über fremdes Wollen (als Quelle des
Sollens), sondern Klarheit über eigenes Wollen zu verschaffen“ (Pies 2003:5).
Um das vorhergehende Beispiel aufzunehmen:
„Ich als Elternteil bin daran interessiert, dass mein Kind lernt und deshalb vorgelebt
bekommen muss, Probleme und Konflikte ohne Gewalt zu lösen“.
Während sich im ersten Fall die Normativität als „Befehl“ oder Appell zeigt und
dementsprechend auch wirkt, setzt der zweite Fall auf Argumente, die für den Adressaten verständig sind, weil er/sie diese mit seinen bewusst gemachten eigenen Interessen verbinden kann.
Diese Unterscheidung ist deshalb im Kontext eines angestrebten „Jugendnetzwerks“
wichtig, weil im „pluralisierten“ Kiez als „Sollen“ formulierte Verhaltenserwartungen
tendenziell ergebnislos verhallen müssen.
Verhaltenserwartungen, als „Sollen“ formuliert, die als soziales Produkt einer homogenen Gemeinschaft durch gemeinsame Hintergrunderfahrungen und dadurch gemeinsame Werte und Denkmuster gebildet wurden, sind zwar durchaus in der Lage
erfolgreich zu sein, weil sie „…dem einzelnen lediglich in Erinnerung rufen muss, warum
es angesichts sozialer Sanktionen durch die Gemeinschaft in seinem Interesse liegt, sich moralisch – d.h. gemeinschaftskonform zu verhalten…“ (ebda.:7).
80
Doch im wertepluralisierten Kiez ist das nicht möglich. Im Quartier werden unterschiedlichste Sprachen gesprochen, verschiedenste „mentale Modelle“, Kulturen und
deren hybridisierten Variationen existieren nebeneinander oder treffen aufeinander.
Hinzu kommt, dass die „Einigkeit“ im Kiez nichts historisch gewachsenes, nichts Traditionelles ist, denn „…Gemeinschaft ist keine Vorgabe aus der Vergangenheit, sondern allenfalls eine Aufgabe für die Zukunft“ (ebda.:7).
Diese Aufgabe für die Zukunft, als „Vereinigung gemeinsamer Interessen“ kann daher
nicht durch „appellatives Beharren“ auf gemeinsamen Werten funktionieren, sondern
durch „…gemeinsame Regeln, die ein friedliches und produktives Zusammenleben gerade
auch dort möglich machen, wo Menschen ihren je individuellen Lebensentwurf an ganz unterschiedlichen Werten ausrichten wollen“ (ebda.:7).
Soviel zum theoretischen Konstrukt eines durch Dialog entstehendes, kooperativen
Netzwerkes für eine funktionierende integrative Jugendarbeit.
Nun zur potentiellen konkreten Umsetzung.
5.2 Organisation einer Kooperativen Partnerschaft
Die für das Netzwerk entscheidenden Akteure können in zwei Gruppen aufgeteilt
werden. Zum einen die Professionellen, wie Quartiersmanagement, Beratungsstellen,
Jugendamt, freie Träger der Jugendhilfe, Schulen, Kita, Arbeitsagenturen, Polizei etc.
und zum anderen die nicht- Professionellen wie Ehrenamtliche, Familie, Eltern, Vereine, religiöse Vereinigungen, lokale Wirtschaft etc. und natürlich die Jugendlichen
selbst. Bei der zweiten Gruppe kann der „Akteur“ auch gleichzeitig die Zielgruppe
sein (Eltern/Jugendlichen). Irgendwo zwischen den beiden Gruppen bewegen sich
die vom Senat finanzierten „Kiezläufer“, sowie etwaige Hauptberufliche aus religiösen
Vereinigungen oder Stadtteilinitiativen.
Die Frage muss nun sein, wie die kooperative Partnerschaft organisiert und ins Leben
gerufen werden kann. Interessant hierbei erscheint, ob es sich leichter ausgestalten
lässt die „Professionellen“ mit ihren individuellen Eitelkeiten, oder die aus der Bürgerschaft stammenden Engagierten und Eltern, zu einer kooperativen Zusammenarbeit
81
zu bewegen. Insbesondere erscheint es schwer die „nicht- Professionellen“ überhaupt zu einem Engagement zu bewegen. Die Klagen von Lehrern, die beim Elternabend an den Schulen im Quartier nur sehr selten die Gelegenheit haben mit Vätern ins Gespräch zu kommen, lässt hierbei die potentiellen Schwierigkeiten erahnen.
Die Abwendung der Bewohner in den marginalisierten Stadtteilen von den Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung, das verlorene Vertrauen in die kommunale
Politik, als die Instanz, die sich um ihre Probleme kümmert. Das fehlende Bewusstsein, überhaupt an Entscheidungen beteiligend und gestaltend mitwirken zu können
wäre für viele, auch für diejenigen mit Wahlrecht, eine komplett neue Erfahrung. Die
existente objektive Ausgrenzung wird durch diese aufgebaute subjektive Distanzierung verstärkt (vgl. Häußermann 2006).
Doch wo dann ansetzten?
5.2.1 Ansatz
Da das lokale Netzwerk auf gemeinsamen Regelinteressen basieren soll logischerweise bei dem gemeinsamen geteilten Interesse, den Kindern und Jugendlichen.
Viele der Bewohner in den „Problemvierteln“ gehören zu den „working poor“. Sie leben im Status der Erwerbstätigkeit, zwar oftmals prekär beschäftigt, doch sie beziehen keine Transferleistungen und achten den Wert redlicher Arbeit.
„Sie sind bereit, für ihren Nachwuchs Opfer zu bringen, und glauben grundsätzlich an das
Wertesystem der Mehrheitsgesellschaft. Sie hoffen auf eine bessere Zukunft, zumindest für
ihre Kinder. Viele sind als Eltern streng, wachsam, religiös, aber prinzipiell kooperationsbereit, wenn es um die Wiederherstellung eines sozial verträglichen Zustands im Viertel geht“
(Kersten 2008:4).
Durch Interventionen eine Verbesserung und Chancenaufwertung der Lebensumstände ihrer Kinder erreichen zu können, macht diese Eltern zu potentiellen Ansprechpartner. Beispiele aus der Jugendhilfe zeigen, dass Eltern mit dem Hinweis darauf,
dass ihr Kind in der Schule besser werden kann, wenn sie es zur Sozialen Gruppenarbeit (§29 SGBVIII) schicken, dass diese Eltern sich für das Wohl der Kinder auch mit
Menschen außerhalb der Familie in Erziehungsfragen austauschen und darüber hinaus auch „Ämtergänge“ erledigen.
82
Diese Eltern sind allerdings bei den in Schule, Justiz und Jugendhilfe auffälligen Jugendlichen eher unterrepräsentiert. Viele der Eltern der „sozial Auffälligen“ Jugendlichen gehören zu den „Desorganisierten“, zu denen, die „… als Eltern selten oder gar
nicht dazu in der Lage sind, mit den Anforderungen an ihre Rolle umzugehen. Ihr Alltag ist
oft desorganisiert und voller Frustrationen(…)Ihr Erziehungsstil ist oft ungeduldig, Grundlage
eines von Gewaltgebrauch gekennzeichneten Verhältnisses zu ihren Kindern (…) Kinder erfahren die Auseinandersetzungen und die häusliche Gewalt in der eigenen Wohnung und erlernen die Grundregel…Gewalt geht vor Recht…“ (Kersten 2008:4).
Die Konsequenz, der Lernerfolg für diese Kinder ist, dass Probleme und Konflikte
„physisch“ gelöst werden. Wobei wir wieder bei der Jugendgewaltdebatte wären.
Diese Problematik ist natürlich in der Politik bekannt.
Am 5.2.2008 stellte der Berliner Innensenator Körting die aktuellen Pläne des Senats
vor „um die Zahl der Gewalttaten von Kindern und Jugendlichen zu verringern“ . Unter dem
Schlagwort „Eltern- Coaching“ schweben dem Senat „Weiterbildungsveranstaltungen für
überforderte Eltern rund um das Thema Erziehung oder den Einsatz von Dolmetschern bei
Elternabenden in Kitas und Schulen…“ vor. Allerdings gestand Körting ein, dass noch
nicht klar ist „…wer das im Detail macht…“. Die Senatsressorts ständen noch vor der
Frage, „Wie verknüpfen wir bestehende Maßnahmen miteinander…“. Auf die kritische Frage hin, was das Land Berlin machen würde, falls die Eltern die angebotene Hilfe nicht
annehmen würden, meinte er das wäre „der absolute Ausnahmefall…“. Bei diesen Fällen müssten die Eltern mit „…konsequenteren Anwendung bestehender Gesetze…“ rechnen. Und zwar „Entzug des Sorgerechts“ und „Heimeinweisung des Sprösslings“. Körting
machte auch auf ein weiteres Problem aufmerksam, wobei er auch hier keine Lösung
wüsste, „…die mangelnde Kindererziehung durch die Väter“ (TAZ 6.2.08:22)1 .
Die Ratlosigkeit der Politik, das Bemühen „irgendwas zu machen“ zeigen, dass hier
Ideen gefragt sind. Die „Erziehung der Eltern“ durch verordnete Programme ist in der
Form schon im Vorhinein zum Scheitern verurteilt. Eine durch Sanktionsdrohung eingeforderte „Beschulung“, eine im Sollensparadigma formulierte Änderung von Verhalten kann nicht das gewollte Ergebnis liefern.
1
Lohre, Matthias „Nachsitzen für Eltern“ TAZ Berlin 6.Feb.2008
83
Die Drohung mit dem Entzug des Sorgerechts führt eher zu einer Blockadehaltung
und einer Distanzierung gegenüber den „Repräsentanten der Mehrheitsgesellschaft“
und deren „verordneten Werte“.
Darüber hinaus hätte sich der Senat die finanziellen Konsequenzen erst bewusst machen müssen. Im Angesicht leerer öffentlichen Kassen eine dermaßen kostenintensive Maßnahme wie „Heimunterbringung“, mit deren fraglichen Ergebnissen, ins das
Augen zu fassen, zeigt, dass von Seiten der Politik der Denkvorgang frühzeitig abgebrochen wurde. Welche Alternativen bieten sich an?
Die in der Sozialarbeit eingeführte Sozialraumorientierung strebt ja an, weg vom Einzelfall ein soziales Netzwerk im „Sozialraum“ zu installieren. Die Idee der Jugendhilfe,
nicht als „Feuerwehr“ eingesetzt zu werden, sondern durch präventive Arbeit „Problemfälle“ durch das soziale Netzwerk aufzufangen, weisen einen Weg in die richtige
Richtung. Dieses Netzwerk hat aber momentan noch große Löcher und ist bisher
eher als Gedankenkonstrukt existent. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit soll gezeigt
werden, dass die Jugendhilfe als Teil eines erweiterten Netzwerkes eine wichtige Rolle einnehmen wird.
Zurück zu den „Desorganisierten“ und den „sozial auffälligen Jugendlichen“.
Die Frage ist nun, wie lassen sich diese in die Idee des „Jugend im Kiez- Netzwerkes“
integrieren?
Hierbei kann die Idee des Quartiersmanagements aufgegriffen werden. Nicht- Professionelle Akteure, wie die Kiezläufer, treten mit potentiell „Devianz- gefährdeten“ Jugendlichen in Kontakt. Ein Kontaktaufbau, der im Gegensatz zur Justiz oder Jugendhilfe schon vor einer „Auffälligkeit“, sprich Straftat, stattfinden kann. „Den Bedarf zu
ermitteln“ (vgl. Kiezworker), genügt allerdings nicht, hier muss ein Austausch mit anderen „Ressorts“ stattfinden. Außerdem ist hierbei noch nicht geklärt, wie man an die
Eltern „rankommt“.
Darüber hinaus darf sich der Kreis der nicht- professionellen Engagierten nicht nur
auf vom Senat finanzierte „Ex-Kriminelle“ beschränken. Ein bürgerschaftliches Engagement ist vonnöten, um durch die Integration von Lebenswelt interner Sicht, Wissen und Perspektiven zu entwickeln, um in Anbetracht lebensweltlich komplexer
Sachverhalte, adäquate und von allen getragene Lösungen zu erarbeiten (vgl.
Pies/Sardison 2003).
84
5.2.2 Bürgerschaftliches Engagement
Doch wie kann ein bürgerschaftliches Engagement aktiviert werden?
Auch hier sind es wieder die gemeinsamen Interessen. Dies beschränkt sich allerdings nicht nur auf die kooperationsbereiten Eltern unter den „working poor“, die
zum Wohle ihrer Kinder Engagement zeigen. Kinder sind zwar die Zukunft und wichtig, doch für ein bürgerschaftliches Engagement bedarf es oftmals weitere Gründe.
Verbesserung der Lebensumstände, materielle Reize oder der Anspruch, „das Bild in
der Öffentlichkeit“ aufzufrischen, stellen oftmals größere Anreize dar.
Ein Quartier, dass auf Grund hoher Jugendkriminalität öffentlich als No- Go- Area angesehen wird, wirkt sich nicht positiv auf lokale Wirtschaftszweige aus, insbesondere
am Beispiel von Kreuzberg zu sehen. Ein Stadtteil, der nach der Wende in die Mitte
der Stadt gerückt ist, und inzwischen ein buntes für Touristen attraktives Besucherziel verkörpert. Dies hat sich als wichtiger Wirtschaftsfaktor vor allem für
Geschäfte/Lokale etc. von Migranten herausgestellt.
„Wir gehen ja nur in türkische Geschäfte, wir gehen ja nur hier einkaufen“
(vgl. Yildiz 2007 über Köln-Mülheim).
Debatten über gewaltbereite Migrantenjugendliche, integrationsunwillige Parallelgesellschaften in innerstädtischen „Gottesstaat“- Quartieren, sind für das Image des
Stadtteiles nicht förderlich. Hier können engagierte Gewerbetreibende oder um Aufklärung bemühte religiöse Vereinigungen, wie Moscheevereine etc., als Engagierte
mit in das „Boot“ genommen werden.
Dass Schulabgänger von Problemschulen á la Rütli bei jedem Bewerbungsverfahren
für Ausbildungsplätze sofort herausgefiltert werden, kann hier auch als Image- Defizit
gesehen werden. Bürgerschaftliches Engagement auch aus „bildungsfernen Familien“
kann hier Abhilfe schaffen, denn insbesondere diese sind am Erfolg ihrer Kinder im
Leben interessiert.
Um nur einmal den Versuch zu wagen, ein fiktives, anzustrebendes Image von Jugendlichen aus den „Problemvierteln“ zu formulieren:
85
„Jugendliche aus dem Stadtteil „X“ sind für die Herausforderungen der im rasanten
Wandel befindlichen globalen Ökonomie bestens gerüstet. Aufgewachsen in liberalen,
von multiethnischer- und kulturellen Einflüssen geprägten Stadtteilen, bringen sie die
Kompetenzen mit, für einen zusammengewachsenen, globalen Markt. Sie sprechen
oftmals mehrere Sprachen, sind auf vorbildliche integrative Schulen gegangen, interpretieren die Religionen weltoffen und zukunftsorientiert und verfügen über die nötigen Schlüsselqualifikationen für den Beruf, da sie schon früh die Abläufe der Marktwirtschaft in Geschäften ihrer Eltern oder Verwandten kennen gelernt haben, …etc.“
Nun gut, der Weg bis dahin ist noch ein sehr langer, doch die Grundvoraussetzung
für bürgerliches Engagement ist immer eine Vision (vgl. Penta 2007).
Nicht- Professionelle Engagierte, die sich als starker und einflussreicher Partner in einem „Jugend im Kiez“- Netzwerk beteiligen, können hierbei eine von vielen Interessen geleitete, aber handlungsfähige Bürgerplattform bilden. Diese können hierbei
themenbezogen personell variieren, gleich bleibt aber immer das Interesse der Teilnehmer, durch gemeinsames Handeln positive Veränderungen im Quartier zu erreichen. Erfahrungen aus Initiativen in sozialen Brennpunkten in den U.S.A. zeigen,
dass die beschriebene Distanz, die passive Haltung von Bewohnern gegenüber kommunalen Entscheidungsprozessen aufgelöst und Beteiligung durchaus erreicht werden kann. Denn:
„ Das Engagement in einer Bürgerplattform verleiht den Menschen jene Kompetenz, die sie
anderen gesellschaftlichen Akteuren gleichstellt. Erfolg beflügelt – doch zu erfahren, wie
Missstände behoben werden können, wie sich nach all den Bemühungen das Leben in der
unmittelbaren Umgebung merklich verbessert, ist mehr als ein erhebendes Gefühl. Die konkreten Ergebnisse und Erfolge verbessern die Lebensqualität und setzen unglaubliche Energie frei. Die Bürgerplattformen zeugen davon, dass (…) öffentliche Teilhabe kein Monopol
von Parteien oder Experten sein muss…“ (Penta 2007:9).1
Hierbei wären wir auch wieder bei dem Thema Integration. Da diese nur über Partizipation oder Beteiligung zu gewährleisten ist (vgl. Seitz 2005), könnte dies insbesondere durch die Einrichtung von funktionierenden Bürgerplattformen gewährleistet
werden. Ein Sprachrohr, das nicht irgendeiner „repräsentativen“ Fremdzuschreibung
1
Penta, Leo „Vision braucht Fahrpläne“ in Penta, Leo (Hrg.) „Community Organizing – Menschen verändern ihre Stadt“
edition Körber-Stiftung, Hamburg 2007
86
entsprechen will, sondern die existente Lebenswelt und Alltagskultur (vgl. Yildiz
2007) im Kiez zu Gehör bringt.
Dies erscheint deshalb auch von großer Wichtigkeit zu sein, da das deutsche System
auf Entscheidungsebenen, bis auf wenige Ausnahmen, die bunte Vielfalt der Gesellschaft nicht repräsentiert. Diese Vielfalt kann auf zivilgesellschaftlicher Ebene auch
Einfluss über die Grenzen des Stadtteiles hinaus haben. Diese Grundidee der Teilhabe
an Entscheidungsprozessen, als das Grundverständnis von Demokratie schafft einen
fruchtbaren Boden für Identifikation und Integration nicht nur im Stadtteil.
Darüber hinaus könnte eine aktive Zivilgesellschaft, in Form von themenspezifischen
Bürgerplattformen auch fatale Kurzsichtigkeiten der Politik regulieren. Als Beispiel
könnte hier die Senatsentscheidung von Körting dienen. Wäre bei der Frage der Umsetzung eine Bürgerplattform beteiligt, würde bei dem Thema „Erziehung und überforderte Eltern“ eine für den Kiez adäquate Vorgehensweise die Folge sein.
5.2.3 Bürgerbeteiligung
Doch wie können Bürgerplattformen entstehen?
Die Formel könnte schlichtweg lauten: vom gemeinsamen Interesse, über die Bereitschaft zum bürgerschaftlichem Engagement, hin zur Organisation einer Plattform.
Als erster Schritt, muss natürlich eine einzelne Person oder Gruppe mit der Aufgabe
des „Organisierens“ vertraut werden. Diese „Organizer“ müssen, ähnlich wie die
„Kiezläufer“, bevor es überhaupt zu Aktionen kommt, im Stadtteil „vor Ort“ sein.
Hierbei geht es zuvorderst darum ins Gespräch zu kommen, „zuzuhören, nicht reden“;
Vertrauen und Respekt gewinnen. Nur so kann es zum Dialog und zu daraus entstehendem gemeinsamen Handeln kommen (vgl. Penta 2007:29).
Es müssen Beziehungen aufgebaut werden. Über Zweiergespräche, am Anfang der
„Organizer“ als Medium, können Kontakte zwischen „abgekapselten Institutionen und
deren Schlüsselpersonen“ hergestellt werden. Hierbei müssen „verfestigte Grenzen“, „Verschiedenheit der Konfession“, ethnische Zugehörigkeit, sozialer Status, etc., der Schlüs-
selpersonen(„leaders“) im Kiez überbrückt werden (Penta 2007:58).
87
Diese „Leaders“ im Quartier können unterschiedlichste Personen sein. Klassischerweise können über die Religion Gruppen oder Gruppenzugehörigkeiten ausgemacht werden. Die Schlüsselpersonen hierbei sind die Priester, Imame etc., je nach Zusammensetzung des Kiezes. Diese „Status- leader“ können aber gleichzeitig als Übermittler
für unterschiedlichste Kulturvereine oder „Landmännergruppen“ dienen. Deren „Leader“ haben Kontakte zu Oberhäuptern von Großfamilien …etc.
Es sollten aber nicht nur klischeehaft über die Religion Ansprechpartner gefunden
werden. Oftmals haben Personen ohne direkten „Führungsstatus“, wie beispielsweise
der örtliche Trainer des Fußballvereines ein breites Spektrum von Kontakten und
auch einen auf Respekt begründeten Einfluss im Kiez.
Es müsste darum gehen, neue Beziehungen aufzubauen oder schon existente thematisch zu kanalisieren. Hier stehen wieder die gemeinsamen Interessen im Vordergrund. Diese zu klären stellt „…den ersten Schritt zur Bündelung der Kräfte dar, denn sie
machen den Weg frei zu einer gemeinsamen Handlungsbasis, jenseits der alten Konflikte“
(Penta 2007:59)1.
Beispielsweise, um mit Polaritäten zu spielen, trifft sich eine Führungspersönlichkeit
eines „anatolisch- allevitischen Kulturvereines“ mit einem „türkisch- sunnitischen Kulturvereines“ nach den gewaltsamen Ausschreitungen zwischen „türkischen und kurdischen“ Jugendlichen (vgl.1, Kurden- Demo in Kreuzberg) um sich über ein gemeinsames Handeln zu verständigen. Denn beide Seiten haben kein Interesse daran, einen
Stellvertreterkrieg von Jugendlichen auf deutschen Straßen zuzulassen. Wichtig hierbei erscheint, dass der Austausch, das Zweiergespräch, jedoch keines aktuellen Anlasses bedürfen muss. Schon existente Beziehungen helfen natürlich bei „akuten“
Problemlagen, doch es muss eher darum gehen eine Interessengemeinschaft von
Menschen und Institutionen im Quartier aufzubauen, um solche ethnifizierten Konflikte erst gar nicht entstehen zu lassen.
Es müsste darum gehen, „eine pluralistische, durch Handeln und Erzählen begründete und
zusammengehaltene öffentlich- ethische Gemeinschaft“ entstehen zu lassen, die sich
durch ein Wir- Gefühl solidarisch „auf Dauer öffentlich und machtvoll“ handeln kann
(Penta 2007:66).
1
Penta, Leo „Von Ohnmacht zur Hoffnung“ in Penta, Leo (Hrg.) „Community Organizing – Menschen verändern ihre Stadt“
edition Körber-Stiftung, Hamburg 2007
88
Eine Bürgergesellschaft, die gelernt hat mit den Unterschieden und der Vielfalt im
Kiez umzugehen. Eine Bürgerbeteiligungsplattform, die durch die Schlüsselpersonen
einberufen wird, um interessierte und engagierte Bewohnern in Entscheidungsfragen
mit einzubeziehen.
Diese Bürgerplattformen müssen eine wichtige Rolle im angestrebten „Jugend im
Kiez“- Netzwerk spielen. Die großen Herausforderungen und Themen, nicht nur im
„Problemviertel“ sondern in modernen Gesellschaften allgemein, wie demographische
Entwicklung, Bildung, Arbeitsmarkt, Integration etc. müssen „…in einen systematischen
Zusammenhang mit freiwilligen oder bürgerschaftlichen oder ehrenamtlichen Engagement
gebracht…“ werden. Dieses Engagement darf allerdings nicht „…zu einem ‚Ausfallbürgen’ für einen kränkelnden Sozialstaat werden“, wie angesichts leerer öffentlicher Kassen
zu befürchten ist (Dettling 2007:89)1.
Die Vision, die idealistische Idee besteht vielmehr darin, die „Betroffenen“ auch zu
den Beteiligten werden zu lassen, „…als Einmischung der Bürger in ihre eigenen Angelegenheiten“ (ebda.:90).
Der historisch gewachsene Glaube der Menschen, dass der Staat und dessen berufenen Institutionen diese gewaltigen Herausforderungen alleine bewältigen könnten,
muss wohl inzwischen als Illusion angesehen werden. Nur durch das Zusammenwirken eines Gemeinwesens aus Politik, berufenen Institutionen und einer beteiligten
Bürgergesellschaft, kann dies gelingen. Die bisherige Rangehensweise, das „Erfolgsmuster“ der Jugendarbeit muss überarbeitet werden. Denn Lösungsmethoden, die im
Wesentlichen darin bestanden, „…den Problemen mit immer ‚mehr vom Gleichen’ (mehr
Geld, mehr Personal, mehr Rechte und Vorschriften)“, mit „…mehr Sozialarbeiter… auf den
Leib zu rücken …“ führen oft „…gerade nicht zum Ziel“ (ebda.:95).
Es muss sich an den Haltungen der Menschen etwas ändern. Solidarität, Eigenverantwortung und Engagement für das Gemeinwohl darf auch in deutschen Ballungsgebieten nichts Unerreichbares sein. Verfestigte „mentale Modelle“ in Form von einer „Betreuungsmentalität“ müssen durch eine „offensive Beteiligungskultur“ ersetzt werden.
Ebenso bedarf es aber auch bei den „Professionellen“ die Bereitschaft und die Erkenntnis, dass das Engagement von Freiwilligen und Ehrenamtlichen förderlich und
1
Dettling, Warnfried „Eine neue Dimension von Demokratie“
in Penta, Leo (Hrg.) „Community Organizing – Menschen verändern ihre Stadt“ edition Körber-Stiftung, Hamburg 2007
89
nötig sein kann. Der Wandel des traditionellen Paradigmas der Sozialpolitik in Form
von „Für andere etwas Tun“, muss durch das Einbeziehen der nicht- Professionellen
und deren Bereitschaft des „Mit anderen für sich etwas Tun“ erweitert oder eher auf einer neuen mentalen Basis positioniert werden (Penta 2007:102/103)1.
Doch das wird nicht von alleine geschehen.
„Nötig ist eine Art Unternehmensberatung für ein soziales Management, das professionelles
Wissen und Engagement optimal zu verbinden weiß“ (Dettling 2007:96).
5.2.4 Netzwerkgestaltung
Doch wie lässt sich dieses „soziale Management“, das Netzwerk gestalten?
Eines liegt auf der Hand, wird und wurde von den Akteuren auch ständig eingefordert: Die bessere Vernetzung und Zusammenarbeit der Professionellen, die Verknüpfung von bestehenden Maßnahmen (vgl. Körting 2008) ist unerlässlich. Profilneurotische Eitelkeiten und Konkurrenzverhalten einzelner Akteure müssen der Vergangenheit angehören. Im Verbund können viele Aufgaben, angefangen bei der „…Buchhaltung über die Öffentlichkeitsarbeit bis hin zum Formulieren und Vertreten des politischen Anspruchs…“ , effektiver, effizienter und damit auch für die öffentlichen Kassen sparsa-
mer gestaltet werden (Dettling 2007:96).
Der nächste Punkt scheint der schwierigere zu sein. Die Entwicklung eines organisierten bürgerschaftlichen Engagements. Schwierig, aber für die Vision des Netzwerkes
existenziell. Aus zwei Gründen: Zum einen die Integration von alltäglichen Sichtweisen und damit zur Entwicklung von aus Lernprozessen gewonnenem neuem Wissen.
Zum anderen für den Transfer. Aus diesen Erkenntnissen folgen Handlungsentscheidungen, die in das Quartier kommuniziert werden müssen.
Die Willensbekundungen aus dem Quartier regulieren somit die Monopolstellung von
Staat und dessen „Professionellen“. Hierfür sind natürlich die Engagierten, die starken Bürger, „die zu Eigenverantwortung und Solidarität fähig sind“, vonnöten. Diese
Bürger sind allerdings nicht von heut auf morgen existent. Es ist ein langer, schwieriger aber lohnender Prozess. Die Einbeziehung und Aktivierung von bisher am Rande
der Gesellschaft stehenden Bevölkerungsgruppen würde ein „Empowerment“ mit
1
Penta, Leo „Die Macht der Solidarität“ in Penta, Leo (Hrg.) „Community Organizing – Menschen verändern ihre Stadt“
edition Körber-Stiftung, Hamburg 2007
90
weit reichenden Folgen darstellen. Denn das Potential darf hierbei nicht unterschätzt
werden. Die Geschichte zeigt, dass Selbstorganisationen von Bürgergesellschaften
viel bewegen können (Dettling 2007:97).
Ist dieser Prozess ins Leben gerufen, muss es dann darum gehen die Zusammenarbeit, das Verhältnis zwischen Professionellen und nicht- Professionellen in eine optimale Form zu bringen. Eine Partnerschaft, in der die Akteure auf einer nicht- hierarchischen Weise kritisch, aber zugleich auch kontruktiv und produktiv miteinander umgehen, „…braucht einen wechselseitigen Perspektivenwechsel durch Mediation und Moderation und eine gemeinsame Reflexion der gemeinsamen Arbeit“ (ebda.:97).
Wer in personeller Form diese Mediation und Moderation übernehmen könnte, wird
hierbei ein sensibler Faktor sein. Hier muss ein neues Berufsbild bzw. –feld entstehen. Kompetente, praxisnahe Begleiter, die die notwendigen kommunikativen Fähigkeiten mitbringen, sind hierbei gefragt, keine theoretisch zwar wohlmeinenden aber
praxisfernen Visionäre (Penta 2007:107/108).
Ebenso fehlt es diesem Zukunftsmodell einer vernetzten kooperativen Partnerschaft
momentan noch an einem „Raum“ in dem alle Akteure integriert werden können. Abschreckende, bürgerfeindliche, bürokratische, kommunalpolitische Verwaltungsprozesse und- Apparate müssen zu einem Einladenden, für den Bürger „greifbaren“ Ort
werden. Dieser „Raum“ könnte, rein physisch gesehen, z.B. eine zentrale Anlaufstelle
im Stadtteil sein. Vergleichbar mit einem dörflichen Rathaus, einem Bürgerzentrum,
etc.
Wie die konkrete Umsetzung eines „Jugend im Kiez“- Netzwerkes aussehen könnte
soll hier nun am Beispiel der aktuellen Jugendgewaltdebatte konstruiert werden. Dies
trägt der Tatsache Rechnung, dass die öffentliche Debatte zeitgleich mit der Erstellung dieser Arbeit stattfand und diese daher auch nicht unerheblich beeinflusst hat.
Ausgelöst durch eine mediale Debatte um „Jugendliche, die Banden bildend die
Strassen unsicher machen, größere Gewaltbereitschaft vor allem von Migrationshintergründler an Schulen und im öffentlichen Raum, etc.“, ist eine Problemlage zum
Thema geworden. In der Öffentlichkeit, aber insbesondere in einem „belasteten“
Stadtteil selbst. Es besteht objektiv Handlungsbedarf.
91
Dieser Handlungsbedarf wird von den vom Staat berufenen professionellen Akteuren
auf Grund ihrer definierten „Aufgabe“, aber auch durch politischen Druck, thematisiert.
Im Zukunftsmodell „Jugend im Kiez“- Netzwerk würden einzelne Akteure in ihren
„spezialisierten“ Bereichen nicht unabhängig von anderen aktiv werden, sondern das
Thema würde erst in einem „Quartiersrat“/ „Jugendforum Stadtteil X“ besprochen.
Dabei gilt es vor allem, zuerst die „alltäglichen Sichtweisen“ im Kiez mit einzubeziehen. Es geht darum, engagierte Bewohner zu aktivieren, die sich auf einer Bürgerplattform als starke Partner im „Quartiersrat“ auf einer „nicht- hierarchischen Weise
kritisch, aber zugleich auch kontruktiv und produktiv“ mit den „Professionellen“ austauschen. Diese Bürgerplattform, als eine „Kultur der Beteiligung“ im Kiez, wäre entweder schon existent oder müsste noch organisiert werden.
Hier kommen die „Organizer“ ins Spiel, die die Beziehungen zwischen Schlüsselpersonen im Quartier aufbauen.
Durch die Klärung der gemeinsamen Interessen („diese Missstände zu beseitigen“,
„eine ‚no-go-area’ ist nicht gut für den Umsatz“, „die Kinder sind besser als ihr Ruf“,
…etc.“), wird ein bürgerschaftliches Engagement aktiviert.
Stehen nun Ansprechpartner zur Verfügung kann im „Quartiersrat“ der dialogische
Prozess beginnen. Hier stehen auch die gemeinsamen Interessen im Vordergrund,
um zu gemeinsamen, von allen getragenen Handlungsentscheidungen zu kommen.
Das Quartier hätte hierbei, angelehnt an der Idee der Sozialraumbudgetierung, eine
durch einen „Belastungsindex“ (vgl.Monitoring Soziale Stadtentwicklung)1 festgestellte Höhe von finanziellen Mitteln für soziale Aktivitäten im Jugendbereich zur Verfügung. Diese werden im „Quartiersrat“ koordiniert.
Es liegt z.B. auf der Hand, dass das gemeinsame Gremium bei dem ersten Austausch
zum Thema „Jugendgewalt“ zu der Erkenntnis kommen muss, dass die Sichtweisen
der Jugendlichen, als Zielgruppe der Bemühungen, für eventuelle stattfindende
Handlungen unabdinglich berücksichtigt werden müssen.
Um die Sichtweisen oder „den Bedarf zu ermitteln“ kann das Kiezläufer- Projekt Modell stehen. Darüber hinaus sind die „Professionellen“ aber auch in Kontakt mit dem
„Klientel“. Zwar nicht „auf Augenhöhe“, doch Sozialarbeiter in Jugendhilfeeinrichtun1
„Monitoring Soziale Stadtentwicklung“ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Berlin 2004
92
gen, Lehrer an Schulen, Arbeitsvermittler im Arbeitsamt, Polizisten im Kiez, etc., können Perspektiven der Jugendlichen in Erfahrung bringen.
Des Weiteren können die Engagierten und Ehrenamtlichen der Bürgerplattform die
Frage in Kirchen/Moscheen, Vereinen oder schlicht „auf der Strasse“ in der Nachbarschaft thematisieren.
Diese Maßnahmen haben zweierlei zur Folge: Zum einen natürlich den Erfahrungsund Erkenntnisgewinn, zum anderen kann dies auch eine Art „aktivierende Befragung“ sein. Durch das Thematisieren wird der erste Schritt hin zur Verbesserung der
Zustände erreicht.
Die Sensibilisierung und damit die Wahrnehmung der Bevölkerung gegenüber Anzeichen und Symptome von Problemlagen verändern auch den Umgang damit. Die
„desorganisierten“ Eltern werden beispielsweise nicht von uniformierten Beamten in
ihrem Tun kritisch beäugt, sondern durch beispielsweise einer engagierten Nachbarin
oder Freundin der Familie nachhaltig reflektiert. Das „Wachsame Auge“ steht hierbei
nicht für die Idee einer „Blockwart“- Mentalität á la Überwachung, sondern für Solidarität und Eigenverantwortung für unmittelbare Geschehnisse im Quartier. Der
große Bruder oder der Nachbar hat ähnlich wie die Kiezläufer einen anderen und
nachhaltigeren Einfluss auf die „Jungen“ als Sozialarbeiter oder Polizei. Der „Kultur
der Strasse“, Straffälligkeit, „Scheiße bauen“, „Knastaufenthalte“ wird nicht mit „Respekt“ begegnet, sondern sie wird als „Disrespekt“ dem Quartier gegenüber angeprangert, als Imagebeschädigung betrachtet.
Zurück zum „Jugendforum QuartierX“/ „Quartiersrat“.
Die Installation eines „Quartiersrates“ als sozialräumliches Steuerungselement würde
natürlich die herkömmliche Arbeit der professionellen Akteure verändern. Es müssen
hierbei aber keine existentiellen Fragen auftauchen, sondern schlicht ein neues Verständnis gegenüber dem eigenen Tun, und natürlich entsteht eine andere Finanzierungsmethode.
Als Beispiel sei hier der Akteur Jugendamt erwähnt und die von den freien Trägern
übernommenem Aufgaben. Diese würden dann größtenteils nicht mehr als Einzelfall
finanziert. Damit wäre das Tun von einer großen Last befreit. Es wäre nämlich nicht
mehr existenziell für den freien Träger nach Möglichkeit das Tun als „Klientelbewahrendes“ verstehen zu müssen.
93
Dies wäre auch für viele Sozialarbeiter befreiend, denn oftmals ist in der „klassischen
Sozialarbeit…die Luft raus“. Durch das „Herumdoktern an Symptomen“ kommt man
„an die Ursachen für die Probleme…nicht heran“ (Vossel 2007:146)1.
Die Überarbeitung des SGBVIII, die Finanzierung der Jugendhilfe über ein Sozialraumbudget, schließt hierbei die weiterführende Existenz der Einzelfallhilfe nicht aus.
Es würde vielmehr darum gehen, die „sonstigen Aufgaben“ des Jugendamtes in ein
„Jugend im Kiez“- Netzwerk zu integrieren. Die Tatsache, dass die Aufgabe des Jugendamtes sich momentan auf „In Obhutnahme §42“ oder ähnliche arbeitsaufwendige Maßnahmen fokussiert, darf sich nicht auf andere Aufgaben, wie die präventive
Arbeit, auswirken.
Auch andere Akteure müssen ihr Tun modifizieren. Erwähnt sei hier noch das Quartiersmanagement, das seine herkömmliche Rolle und Sichtweisen erweitern muss.
Insbesondere durch ein Managen „aus dem Quartier“ und nicht „für das Quartier“.
Das gemeinsame Interesse der Integration von jungen Menschen in die Gesellschaft
kann in einem „Quartiersrat“, „Jugendforum Stadtteil“ oder wie man es auch immer
nennen mag, koordiniert werden. Gute, nicht nur pädagogische, Arbeit ist auch in
Quartieren mit vielschichtigen Problemlagen möglich. Die Schulen sehen die Jugendhilfe als Partner, die Polizei ist für die Bewohner da und nicht gegen Sie, Bürger engagieren sich im Quartier(-smanagement), etc., schlicht eine kooperative Partnerschaft.
Arbeitslosigkeit, Armut, Kriminalität, Integration (vgl. „Integration gemeinsam schaffen e.V.“)2, können als Aufgaben eines Gemeinwesens angesehen werden. Natürlich
können die Bemühungen innerhalb des Quartiers die von außen stammenden Ursachen von Problemlagen nicht beseitigen. Doch der Umgang damit kann erleichtert,
oder die Folgen gemildert werden. Beispielsweise kann die vorbildlich arbeitende
Hauptschule im Quartier das Problem nicht beseitigen, dass Chancen und Schichtzugehörigkeit von Abgängern des „Auslaufmodelles Hauptschule“ im heutigen System
größtenteils feststehen.
1
2
Vossel, Marcus „Das Berliner WerkNetz Karlshorst“
in Penta, Leo (Hrg.) „Community Organizing – Menschen verändern ihre Stadt“ edition Körber-Stiftung, Hamburg 2007
„Integration gemeinsam schaffen e.V.“ http://www.cm-fi.de
94
Doch kann eine durch Vernetzung entstandene „starke Stimme“ aus dem Quartier
gesellschaftlich Aufmerksamkeit erregen und damit auch zu (politischen) Veränderungen führen.
Marginalisierte Gebiete, die für die Vertreter der Politik ansonsten uninteressant sind,
weil kein relevantes Wählerstimmenpotential vorhanden zu sein scheint, bekommen
durch die gebündelte zentrierte Form eines Quartierrates politische Gewichtung, sei
es als Lobbyarbeit oder Öffentlichkeitsarbeit. Dies scheint eine bessere Möglichkeit zu
sein, sich öffentlich mit sozialen Problemen auseinanderzusetzen, als die Missstände
in Mediendebatten über jugendliche Schläger in der Münchner U-Bahn zu behandeln.
Noch zu klären ist, wie das Verhältnis zwischen Professionellen und nicht- Professionellen in eine optimale Form zu bringen wäre. Die „gemeinsame Reflexion der gemeinsamen Arbeit“.
Die sensible Frage der Ausgestaltung von Normativität, der (Regel-)Interessen als
Handlungsgrundlage, bedarf in Definition und Ausführung eines kultursensiblen Agierens aller Akteure.
5.3 Über „Kultursensibilität“ als Voraussetzung und
„systemischer Pragmatismus“
5.3.1 Kultursensibilität
Für die Definition, scheint es im Hinblick auf die Handlungsebene vonnöten einen
pragmatischen Ansatz zu formulieren. Hierbei sind insbesondere die „Kultur“- Begrifflichkeiten auf den Handlungsansatz zu fokussieren, denn „Kultur ist, was gelebt
wird“. Jenes oft benutzte Zitat von Christa Wolf1 rückt die Alltagskultur und davon
abgeleitet die Forderung nach Akzeptanz der Alltagsnormalität (vgl.Yildiz 2007) in
den Mittelpunkt. Diese ist natürlich dynamisch und veränderlich, denn (nicht nur) angesichts aktueller (welt)gesellschaftlicher Umwälzungsprozesse ist „eine Kultur (…)
immer im Werden, immer im Prozess“ (vgl.Datta 2005:71).
1
Wolff, Christa in Handschuck, Sabine / Schröer, Hubertus „Interkulturelle Orientierung und Öffnung von Organisationen“ 2005
95
Dieses dynamische „Gebilde“ gilt es nun, mit der Fähigkeit, der Kompetenz zur „Sensibilität“ in Verbindung zu bringen. Der Blick in den Duden schlägt drei mögliche Definitionsanwendungen hierfür vor:
„1. Empfindlichkeit, Empfindsamkeit; Feinfühligkeit
2. Fähigkeit des Organismus (…)Gefühls- und Sinnesreize aufzunehmen
(Med.; Psycholog.)
3. Empfangsempfindlichkeit bei Funkempfängern“
(Der Duden 1997)
Auch wenn der dritte Punkt hier nicht passend erscheint, kann diese für den technischen Bereich vorgesehene Anwendung mit dem ebenfalls in technischen Metaphern
formulierten Kommunikationsmodell von Fritz von Thun in Verbindung gebracht werden. Ohne auf das Modell näher eingehen zu wollen, würde das reduziert formuliert
bedeuten, dass die Empfindlichkeit, die Fähigkeit von Gesprächspartnern Kommunikationssignale „richtig“ zu empfangen gemeint ist.
Dieser auf der Handlungsebene entscheidende Prozess würde demnach im kulturellen Kontext die Frage aufwerfen: Wie wird die jeweilige andere „Kultur“ aufgenommen und interpretiert? Diese stark vereinfachte Beschreibung kann natürlich so auch
nicht ohne ein einschränkendes „aber“ stehen bleiben. Kulturen sind ja bekanntlich
insbesondere im Angesicht moderner Gesellschaften, mittlerweile zu hybriden Formen geworden und „Eigenes“ und „Fremdes“ daher nicht mehr ohne weiteres unterscheidbar.
Was würde das bedeuten? Dass radikal konstruiert „nichts wahr“ und „alles erlaubt“
ist? Eine Verunsicherung entsteht.
Auf Grund von Pluralität, Multiethnizität, Heterogenität, Differenzierung, Hybridität,
Translokalität, etc. ist die heutige Kultur ein „inkonsistentes Gebilde“. Demnach können „symbolische Zusammenhänge“, „soziale Lebenswelten“ und „ideologische Zu-
sammenhänge“ nur noch uneindeutig wahrgenommen werden (Zifas/Göhlich/Liebau
2006:186).1
Das Konzept der Transkulturalität, als „memetische“ Weiterentwicklung der alten Inter- und Multikulturalitätskonzepte, verschafft hierbei zwar eine semantische Orientierung in der Verunsicherung, doch „…dass die Unterstellung von Transkulturalität, von
1
Zirfas, Jörg/ Göhlich,Michael/Liebau, Eckart „Transkulturalität und Pädagogik – Ergebnisse und Fragen“
in Zifas/Göhlich/Leonard/Liebau (Hrsg.) „Transkulturalität und Pädagogik“, Juventa Verlag Weinheim/München 2006
96
transnationaler Solidarität, von universalisierbarer Identität und einem Patchwork- Habitus
per se eine empirisch zutreffende Beschreibung der kulturellen Wirklichkeiten darstellt (…),
muss doch bezweifelt werden“ (ebda.:189).
Dass von der Vorstellung ausgegangen werden kann, dass subjektive Zuschreibungen von „Eigenem“ und „Fremden“ sich irgendwann als veraltete Denkmodelle herausstellen werden scheint doch sehr fraglich. Es scheint, dass sich Angesichts der
Pluralitäten das psychologische Grundbedürfnis des Menschen nach Sicherheit und
Orientierung eher durchsetzen und zu einem verstärkten Bedürfnis nach entlastenden Routinen, Gewohnheiten und Haltungen führen wird.
Doch was würde das für die sensible Frage der Ausgestaltung von Normativität, der
(Regel-)Interessen als Handlungsgrundlage für das „Jugend im Kiez“- Netzwerk und
dessen Akteure bedeuten?
Für die Ausformulierung dieser (Regel-)Interessen kann das Konzept der Transkulturalität durchaus dienen. Das Verständnis davon, dass „…sich in den transkulturellen Anknüpfungen, Übergängen und Vermischungen der jeweiligen Kulturen gemeinsame Lebensformen herausbilden bzw. sich kulturelle Horizontverschmelzungen herauskristallisieren…“
(ebda.:189), kann als Basis für einen Dialog angesehen werden. Der verbindende
und das Zusammenleben ermöglichende Konsens zwischen diesen pluralen, ausdifferenzierten und individuellen Lebensformen darf allerdings nicht in eine Abstraktionssackgasse führen.
Die Anerkennung der Menschenwürde beispielsweise, als kleinste gemeinsame
Schnittmenge, ist hierbei nicht genug. Wichtig erscheint, dass sich diese (Regel-)Interessen vom Klassenzimmer über Kiez und Nation bis hin zur weltgesellschaftlichen
Ebene legitimieren lassen.
Darüber Hinaus müssen von den Akteuren im Netzwerk die veränderten Voraussetzungen wahrgenommen werden, „…insbesondere die Zunahme kulturell uneindeutiger
Identitäten und entsprechend verstärkter kultureller Suchbewegungen“ (ebda.:189). Hier
kommen die agierenden Akteure und deren einzelnen individuellen kulturellen Hintergründe ins Spiel und das alles auf einer kulturell undeutlichen Spielwiese. Während
der 1.Generation der Migranten und der aufnehmenden Gesellschaft noch eine tendenzielle „Verwurzelung“ unterstellt werden kann, ist beim Klientel, den Jugendlichen
97
in 2. und 3.Generation in der „Diaspora“ lebend, diese Suchbewegungen ein entscheidender Faktor der Identitätsfindung.
Für die Akteure im Netzwerk bedeutet dies, „…Sensibilitäten für Differenz sowie der
Kreativität(…) kulturelle Anknüpfungs- und Übersetzungsmöglichkeiten…“ (ebda.:192) als
Fähigkeit oder Kompetenz auszubilden.
Die postmodernen Bezeichnungen, wie „interkulturelle Verständigung, -Öffnung oder
einfach –Kompetenz“, die sich zur Beschreibung der Schlagwörter Anerkennung, Toleranz, Dialog, Verstehen, etc. bedienen, bleiben natürlich bestehen, doch im erweiterten Sinne. Die Suchbewegungen hin zu Identität und Zugehörigkeit innerhalb
transkultureller Daseinsformen, sind ebenso entscheidend.
Als Basis dieser Kompetenz bleibt natürlich das „…Erlernen von Fremdsprachen, …historische, politische und geographische Kenntnisse über andere Kulturen und Völker, das Wissen um die Bedeutung von Religion und Technik, aber auch Einblicke in den konkreten Alltag
fremder Milieus…etc.“ (ebda.:193), weiterhin relevant, doch die Sensibilisierung der
Akteure in Bezug auf Orientierungssysteme individueller oder gesellschaftlicher Gruppen (als entlastenden Routinen, Gewohnheiten und Haltungen), gilt es auf der pragmatischen Handlungsebene in den Vordergrund zu bringen.
Hierbei müssen aber semantische Konstruktionen von „Kultur“- Zuschreibungen in
den Hintergrund treten.
Die Formulierung der gemeinsamen (Regel-)Interessen darf sich keiner wie auch immer gearteten Kulturformulierung bedienen müssen, um die Gefahr der Kulturalisierung oder Ethnisierung, zu vermeiden. Denn wie nicht nur der 11.September 2001
gezeigt hat, sind Polarisierungen und Zuschreibungen von Gruppen schnell auf eine
ethnische
oder
religiöse
Dimension
reduziert.
Aktuelle
Beispiele
wie
der
(Mohammed-) Karikaturenstreit, der schon seit längerem schwellenden Kopftuchstreit, der auch außerhalb Deutschlands für Kontroversen sorgt, sind hierfür weitere
(negative) Beispiele.
Kultur kann schnell zu einem Konstrukt werden, dass das Zusammenleben und die
hierfür nötige Verständigung über Normativität erschwert oder gar unmöglich macht,
denn „’Herkunftskultur’ wird zu etwas Einheitlichem gemacht, das eindeutig beschreibbar
und unveränderlich sowohl Alltagsleben als auch Identitäten und Zugehörigkeiten strukturiert. Es werden sowohl Türken als auch Deutsche, sowohl Muslime als auch Christen kon-
98
struiert, als würden nationale Zugehörigkeiten oder religiöse Orientierungen alleinige Grundlage für Konzepte der Alltagsbewältigung bilden“ (Handschuck/Schröer 2005:1)1.
Ein „kultursensibles“ Netzwerk darf, auch wenn es paradox klingt, keine Kulturbegrifflichkeiten „ins Spiel“ bringen, um die Bewältigung und Handlungsansätze für eine gelingende Alltagsrealität nicht „aufs Spiel“ zu setzen.
Hierbei soll es natürlich nicht darum gehen „kulturelle Kontexte“ auszublenden, sondern die Kompetenz der Akteure besteht darin, sensibel mit dem Kulturellen umzugehen, und das Bewusstsein ausgebildet zu haben, die Existenz solcher „Kulturfallen“
wahrzunehmen. Dies beinhaltet insbesondere die Fähigkeit zur Selbstreflexion, die
Beachtung der relevanten Kontexte der Akteure in ihrer Alltagsbewältigung, und die
kommunikative Kompetenz, diese in einem dialogischen Prozess auszutauschen.
Doch die Frage muss nun sein, wie lässt sich diese „Kultursensibilität“ als Kompetenz
etablieren und fördern?
5.3.2 „Systemischer Pragmatismus“
Hierfür würden sich verschiedenste systemische Konzepte anbieten. Diese müssten
den „sozialen Konstruktionen, interaktiven Dynamiken und Kontexten besondere Beachtung
widmen“, insbesondere um kommunikative Missverständnisse zwischen den „Part-
nern“ zu verringern.
Die Ausformulierung der (Regel-)Interessen, systemisch gesprochen: Ein durch
„die gemeinschaftliche Konstruktion von Sichtweisen und Haltungen“ (Hegemann 2006:1)2
erreichter Konsens für Normativität, könnten beispielsweise mit reflexiv- systemischen Methoden einer „kollaborativen Gesprächsführung“ (vgl. Gadamer 1965)3 angegangen werden.
Hierbei steht wieder die Kommunikation, das Gespräch im Mittelpunkt.
Basis hierfür ist das Grundverständnis von Konstruktvismus und
1
2
3
Handschuck, Sabine / Schröer, Hubertus „Interkulturelle Orientierung und Öffnung von Organisationen Strategische Ansätze und Beispiele der Umsetzung“ 2005
Hegemann, Thomas „Interkulturelle Kompetenz Systemische Konzepte bewähren sich zur Verankerung von interkultureller Fachlichkeit in Beratung und Therapie“ 2006
Gadamer, Hans- Georg „Wahrheit und Methode“ 1965
99
Konstruktionismus (vgl.Gergen 2002)1. Insbesondere das letztere, indem über Sprache und Interaktion, als gemeinschaftlicher Akt, „eine“ Wirklichkeit gebildet wird.
Hierbei darf nicht das Erreichen einer Lösung/eines Konsens im Vordergrund stehen,
sondern der Prozess. Das Gespräch am Laufen zu halten, ist insbesondere zu Beginn
eines Treffens der verschiedensten Akteure von großer Wichtigkeit. Aus der Perspektive der Grundhaltung des Nicht- Wissens lässt es sich leichter zu einem Verstehen
kommen.
Der hierbei für eine „kollaborative Gesprächsführung“ nötige „wechselseitige Perspektivenwechsel durch Mediation und Moderation und eine gemeinsame Reflexion der gemeinsamen Arbeit“ (vgl.Dettling 2007), bedarf hauptsächlich am Anfang einer externen Per-
son, eines Mediators und Moderators.
Diese komplexen „Anforderungen“ an die Akteure müssen natürlich nicht von Anfang
an vorhanden sein. Das als dynamischer Prozess verstandene Jugendnetzwerk bedarf
lediglich einer Grundeinstellung, einem Interesse einem Verständnis dafür, dass
durch den kommunikativen Austausch aller Akteure ein gegenseitiger Lerngewinn zu
erreichen ist.
Das Netzwerk, als „lernende Organisation“ (vgl. Senge 1999)2 verstehend, könnte somit durch das Lernen aus der Praxis und der Erfahrungen aller Akteure zu einer funktionierenden und gestaltenden Kraft werden.
Nun gut, soviel zu den theoretischen Kompetenzen. Hin zu den konkret gestaltbaren
Bedingungen. So erscheint das „Setting“ des „Quartierrates“ maßgeblich für einen Erfolg entscheidend. Neben der Qualifizierung der einzelnen Akteure könnten die Struktur und der Aufbau als Ansatz folgendermaßen aussehen:
-eine nach Möglichkeit dem Kiez entsprechende repräsentative personelle Zusammensetzung der „Professionellen“.
-Eine ständige Bestandsaufnahme, des Ist- Zustandes wie Populationen etc. und
der Bedürfnisse der Akteure, insbesondere der Jugendlichen
-Konsequente Schaffung von Partizipationsmöglichkeiten für „nicht- Professionelle“ ggf. unter Einsatz von Dolmetscherdiensten.
1
2
Gergen, K. „Konstruierte Wirklichkeiten - eine Hinführung zum sozialen Konstruktionismus“ Stuttgart: Kohlhammer 2002
Senge, P. „Die fünfte Disziplin – Kunst und Praxis der lernenden Organisation“ Stuttgart: Klett-Cotta 1999
100
Darüber Hinaus, muss sich ein „Jugend im Kiez - Netzwerk“, als pragmatische Institution verstehend, sich mit dem Thema und dem Umgang mit den „Kulturfallen“ beschäftigen, insbesondere mit kulturellen Vorurteilen, Ethnisierung und Rassismus.
Eine sich auf Toleranz und „Kultursensibilität“ berufende kooperative Partnerschaft
wird hierbei unausweichlich „gegen die Wand“ fahren, wenn kein vorausschauendes
Risikomanagement betrieben wird. D.h. das Projekt „Netzwerk“ muss gemanaged
werden, indem die Risiken und deren wahrscheinliches Auftreten gemanaged werden
(vgl. Tom DeMarco 1998:72)1.
Ein Risiko sind die Ansichten und Haltungen, die auch bei „Aufgeklärten“ Personen
Teil ihres Bewusstseins und ihrer Wahrnehmung sind. So stehen Deutsche Akteure
„…schnell unter dem Kollektivverdacht, ausländerfeindlich zu sein. Dementsprechend groß ist
ihre Angst, unabsichtlich in kulturelle ‚Fettnäpfchen’ zu treten und so ihre nichtdeutschen Klienten zu diskriminieren“. Ebenso natürlich auch andersherum und zwischen verschie-
denen Migrantengruppen.
Vorbehalte, Vorurteile und Diskriminierungen „Die Ethnisierung von zwischenmenschlichen, sozialen oder machtpolitischen Konflikten…“ (Pavkovic 2005:12)2, können im Kiez
genauso festgestellt werden wie auf der weltpolitischen Bühne. Insbesondere bei
dem Klientel, den Jugendlichen, sind eindeutige Hierarchien der Anerkennung festzumachen.
Innerhalb ihrer identifikatorischen Suchbewegungen stellen Ethnisierung und Selbstethnitisierung oftmals verzweifelte Versuche dar, „...die Welt durch eine klare Grenzziehung zwischen (...) 'wir' und 'ihr' wieder überschaubar zu machen“ , insbesondere durch
„...die Abwertung 'der Anderen' und damit verbunden, die Aufwertung der eigenen Ethnie“
(Handschuck/Klawe 2004:29)3.
Mitarbeiter von Jugendhilfeeinrichtungen (vgl.Alte Feuerwache)4 in „sozialen Brennpunkten“ könnten hierüber berichten. Waren beispielsweise vor Jahren noch Polen
und „Zigeuner“ an unterster Stufe der Anerkennung, ist inzwischen ein verstärkter
Antisemitismus besonders bei Jugendlichen mit arabischem Hintergrund feststellbar.
Darüber hinaus ist der jugendliche „Deutsche“ oder die „Kartoffel“, inzwischen Teil einer Minderheit im Kiez und vor Diskriminierungen nicht mehr sicher.
1
DeMarco Tom „Der Termin – Ein Roman über Projektmanagement“ Carl Hanser Verlag München/Wien 1998
Pavkovic, Gari „Interkulturelle Teamarbeit“ 2005
3
Handschuck, Sabine/Klawe, Willy „Interkulturelle Verständigung in der Sozialen Arbeit“ Juventa Verlag Weinheim und München 2004
4
www. alte-feuerwache.de
2
101
Hier muss ein kluges Risikomanagement vorausschauend arbeiten.
Hierunter fällt natürlich auch die Sensibilität für Machtverhältnisse, für strukturelle
Benachteiligung und Ausgrenzungen von Minderheiten. Ebenso die immer noch existenten unterschiedlichen Vorstellungen von Integration, sowohl von der Mehrheitsgesellschaft als auch von Minderheiten, wie der Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Erdoan und seine „Assimilationsrede“ in Köln zeigten. Hier sind Konflikte vorhersehbar.
Es zeigte sich aber auch, dass Missverständnisse zum Alltag gehören und dementsprechend „integriert“ werden müssen.
Darunter fällt natürlich auch die Genderfrage, die weder auf weltpolitischer, noch nationaler Ebene, noch im Sozialraum geklärt ist.
Überspitzt formuliert ist das die Frage:
„Wer entscheidet eigentlich wen du heiratest, deine Eltern, dein Onkel oder du
selbst?“
Hier gilt es die kultursensible Kompetenz, nämlich das Aushalten von Spannungen, in
ein Risikomanagement mit aufzunehmen. Ein kultursensibles Netzwerk muss bei der
Formulierung von gemeinsamen Interessen, den mentalen Korridor aufhalten, d.h.
„…im kommunalen Raum Situationen der Offenheit und der Nicht-Festlegung zu stiften“ (Brandt/Lange 2001:6)1.
Das trägt der Tatsache Rechnung, dass Normativität nur im Wollensparadigma formuliert werden kann. Das Wollen der zur Zwangsheirat gezwungenen jungen Frau
aber auch das Wollen der Familie. Die Tochter einer konservativ- religiösen Familie
kann zwar ihre Freiheit erkämpfen, doch nur zum Preis des Ausgestoßenseins. Ein
kultursensibles Agieren wäre hier, Prozesse einzuleiten, die ein Gruppengefühl im
Kiez etablieren, dass Tradition reflektiert und hinterfragt.
Es soll hierbei nicht darum gehen durch Manipulation Veränderungen herbei zu führen, sondern darum, die Ansichten anderer „moderner“ Kiezbewohnern in die möglichen Alternativen der Familienplanung mit einzubeziehen. Ansichten solcher Kiezbewohner, die sich für die Gleichberechtigung von Mann und Frau einsetzen, weil sie
kein Interesse daran haben „... weiter eine längst vergangene Türkei in manchen deutschen Stadtvierteln oder Straßenzügen zu konservieren“. Denn „Selbst die Türken in der
1
Brandt,Frauke/ Lange, Matthias „Interkulturelle Kompetenz in Kommunalverwaltung und Gemeinwesenarbeit am Beispiel der Stadt
Göttingen“ Projekt Integra 2001
102
Türkei spotten darüber!“ (Bingül 2007)2. Ansichten von Menschen, die Interesse daran
haben, das Image des Kiezes zukunftsorientiert und weltoffen zu gestalten.
Bei solchen sensiblen Themen darf kein Konsens angestrebt werden, sondern das
Spektrum der Möglichkeiten muss in das Quartier transferiert werden. Dies könnte
ein Schritt sein, um zur Legitimation der Selbstbestimmung junger Frauen und zwar
auch gegenüber der Familie, beizutragen.
Eine kultursensible Auswahl, ein sensibler Umgang mit potentiell risikobehafteten
Themen, bedarf insbesondere der Einsicht der Akteure, eine Balance halten zu müssen, zwischen der für die Etablierung einer Normativität nötigen „deutlichen Sprache“
und solchen Situationen und Themen, bei denen das Offenlassen und die Nicht-Festlegung angeraten sind, um einen nachhaltigen Schritt zu einem gemeinsamen „Wollen“ zu gehen.
5.3.3 Von kultursensiblem Integrieren und selbstaktiver Integration
Es wurde im „Fazit und Ausblick“ dieser Arbeit viel von Bürgern, bürgerlichem Engagement und Zivilgesellschaften geschrieben. Die gemeinsamen geteilten Interessen
als „Bürger“ dieses Landes.
Doch wer versteht sich als Bürger dieses Landes? Wer hat Interesse an Teilhabe und
Mitgestaltung? Die Aussage von Bundeskanzlerin Merkel nach dem Besuch von Erdoan, dass für die zweite und dritte Generation der Einwanderer gilt, dass „Sie ihre
Bundeskanzlerin ist“ war wichtig und längst überfällig. Ein Zeichen, ein Signal, für die
Jugendlichen aber auch für die Eltern, die in erster oder zweiten Generation in
Deutschland leben.
Der Wunsch der Gastarbeiter, Flüchtlinge etc., ein besseres Leben in Deutschland zu
finden, hat sich für viele erfüllt. Viele sind besser integriert als in der Öffentlichkeit
vermittelt. Viele gehen ihren Weg in Deutschland, aber ebenso viele jammern über
die „bösen Deutschen und wählen die Opferrolle des Ausgegrenzten“ (Bingül 2007). Ein
Weg der nur in eine Sackgasse führen kann. Die Zeiten stehen günstig. Es ist nicht
mehr möglich mit rechtskonservativer Polemik eine Wahl zu gewinnen. War in Hessen
vor Jahren die „doppelte Staatsbürgerschaft- Debatte“ noch erfolgreich, funktioniert
das heute nicht mehr. Integrationspolitisch ist viel in Bewegung.
2
Bingül, Birand „Deutschtürken, kämpft selbst für eure Integration!“ DIE ZEIT, 25.01.2007 Nr. 05
103
Von einer „Kultur der Integration“ ist Deutschland jedoch noch weit entfernt, strukturelle Benachteiligungen sind existent, doch auch Chancen. Diese zu erkennen und zu
nutzen ist eine mentale Frage. Davon auszugehen, dass Deutsche eh alle Nazis sind
und das Haus in Ludwighafen natürlich deshalb gebrannt hat, verbaut die Sicht und
den Willen selbstaktiv das eigene Glück in Deutschland anzustreben. Der Strukturwandel hat Verlierer und Sieger hervorgebracht aber auch die Notwendigkeit gezeigt,
sich zu bilden und das ständig. Das mentale Modell „Opfer“ beschreibt nicht das Bild
einer selbstaktualisierten Persönlichkeit in einer sich ständig veränderten Welt. Noch
so „kultursensible“ Integrationsprogramme verhallen wirkungslos, wenn nicht das
„Wollen“ in den Köpfen angekommen ist. Der Wille mitzumachen, dabei zu sein, Teil
haben zu können und demzufolge im übertragenen Sinne die Integration selbst zu
gestalten, muss sich bei jedem Einzelnen manifestieren. Birand Bingül schrieb am
25.1.2007 ein Aufruf in der Zeit: „Deutschtürken, kämpft selbst für eure Integration!“
Einen Aufruf dem ich mich als Autor dieser Arbeit nur anschließen kann. Integration
als nicht von außen im Sollensparadigma formulierte Forderung, sondern als ein für
den eigenen Vorteil ausgedrücktes Wollen.
Nur wenige der in Deutschland Aufgewachsenen wird irgendwann in ihre „Heimat zurück kehren“. Sie sind ein Teil von Deutschland. Das Festhalten an ihrer „ausländischen“ Staatsangehörigkeit ist eine Identifikationsfrage. Sie sehen sich zwar als
Kreuzberger, als Dortmunder Nordstädter etc., aber sie sind natürlich keine „Deutschen“. Hier sollte ein „Raum“ geschaffen werden. Wichtig hierbei sind die Einwanderer der zweiten Generation, wie Bingül als Journalist einer ist, oder auch Künstler, wie
Fatih Akin. Menschen, die ihren Weg gegangen sind und ihre Stimme erheben. Sie
können, anders als schnell einkategorisierte Deutsche, eine deutliche Sprache sprechen, die auch ankommt. Frei nach dem formulierten Motto von Bingül (2007)„Runter
von der Straße! Raus aus den Teestuben! Ran an die Schulen!“, würde ich noch hinzufü-
gen:
„Hin
zu
bürgerschaftlichem
Engagement
und
solidarischer
Eigenverantwortung!“. Natürlich müssen die Rahmenbedingungen hierfür existent
sein. Eine demokratische Gesellschaft muss Bürgerverantwortung unterstützen und
insbesondere auch bei denen, die bisher noch nicht über Wahlen am politischen Leben teilhaben können.
104
„Integration ist sinnlos ohne Teilhabe an der Macht. Wenn ich von Integration spreche, dann
meine ich keine romantische Mischung der Rassen, sondern eine wirkliche Aufteilung von
Macht und Verantwortung“ (Martin Luther King jr.).
Ein naheliegender Schritt hierzu kann die Einführung eines kommunalen Wahlrechtes
sein. Längerfristig müssen natürlich doppelte Staatsangehörigkeiten, als erster Schritt
zur Einbürgerung, erlaubt werden. Eine vom Volke legitimierte Demokratie kann es
sich nicht länger erlauben, einen immer größer werdenden Anteil der Bevölkerung
die Teilhabe zu verweigern.
Darüber hinaus muss sich Deutschland der heterogenen Realität stellen. Die Trennung von Staat und Kirche muss auch hier zum Thema werden.
Kopftücher haben an deutschen Schulen ebenso wenig zu suchen, wie Kreuze an den
Wänden. Darüber hinaus ist es wichtig die Frage geklärt zu haben, ob die Schule eine
„Deutsche Schule“ oder eine Schule in Deutschland ist. Das letztere scheint integrationspolitisch naheliegender. Wie parlamentarische Vertreter der „christlich“- demokratischen Union dies definieren erscheint allerdings weniger klar.
Teilhabe/ Partizipation ist der Schlüssel zur Integration.
Das Berliner Integrationskonzept „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ geht einen
Schritt in die richtige Richtung. Insbesondere die Initiative „Integration durch Partizipation und Stärkung der Zivilgesellschaft“ (vgl. Integrationskonzept 2007:69) legt einen
Transfer von in dieser Arbeit formulierten Visionen eines „Jugend im Kiez- Netzwerk“
in die aktuelle Integrationspolitik nahe. Die Initiative für die Beteiligung von Bürgern
im Quartier in Form von Bürgerbeiräten und die Schaffung eines Wahlrechts auf kommunaler Ebene sind positive Signale auch für die Bundespolitik.
Eine lokale kooperative Partnerschaft aus unterschiedlichsten Akteuren in der Jugendarbeit wäre hierfür ein erster Schritt. Ein kultursensibles „Jugend im Kiez- Netzwerk“ ist natürlich nicht einfach umzusetzen aber erscheint lohnenswert.
Ein Gemeinwesen aus Professionellen Akteuren und einer starken engagierten Bürgerschaft gilt es anzustreben.
105
Wird es dann noch geschafft die Jugendlichen nicht nur als Zielgruppe, sondern auch
als Teilhaber zu gewinnen, Sie an Entscheidungen und Umsetzungen partizipieren
lassen zu können, wäre das Quartier gewappnet für die Herausforderungen der Zukunft, insbesondere der Integration von jungen Menschen in einer sich ständig verändernden dynamischen Gesellschaft.
106
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Schaubild „Das Inselmodell nach Helga Zeiher“ in Deinet, Ulrich „Die Bedeutung von
Kooperation für den Erfolg derOffenen Ganztagsgrundschule“ in „Jugendhilfe aktuell“
Landschaftsverband Westfalen-Lippe 3/2004
www.lwl.org/lja-download/pdf/0403_jh-aktuell.pdf (20.11.07)
Bilder
„1.Graffitientfernung mittels Schwingschleifer in Berlin“;
„2. Ein sogenanntes Throw-Up in einer U-Bahn-Station in Düsseldorf“;
„3.Graffiti in einem Berliner Hinterhof“ Wikipedia Graffiti
http://de.wikipedia.org/wiki/Graffiti (20.11.07)
Bild „Segmentierung des Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin“
http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/verwaltung/org/jugendamt/ (20.11.07)
Schaubild „Schulabgänger/-innen (...) ohne Hauptschulabschluß (...) Schuljahr
2005/06“ in Anlage 1 zum Berliner Integrationskonzept, Daten zu Demographie, Ausbildung, Arbeit, Wirtschaft, Bildung und rechtlichem Status 2007
http://www.berlin.de/imperia/md/content/lb-integration-migration/publikationen/berichte/2_jkii_daten.pdf (10.1.08)
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Eigene Photos mit Assoziation zum Diplomarbeitsthema:
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