1 K 264/13
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1 K 264/13
FINANZGERICHT HAMBURG Az.: 1 K 264/13 Urteil des Senats vom 30.04.2015 Rechtskraft: Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, Az. des BFH: VI B 68/15 Normen: AO § 149 Abs. 1 Satz 2, AO § 110, AO § 169, AO § 171 Abs. 1, EStG § 46 Abs. 2 Nr. 1, EStG § 46 Abs. 2 Nr. 8 Leitsatz: 1. Eine verbindliche Aufforderung nach § 149 Abs. 1 S. 2 AO, die typischerweise ergeht, wenn es Unklarheiten oder Streit über das Bestehen einer Steuerpflicht gibt, ist im Wege der Auslegung zu unterscheiden von einem bloßen Realakt der Behörde, durch den der Empfänger lediglich an seine gesetzliche Erklärungspflicht erinnert werden soll. 2. Das Schreiben des Finanzamtes, in dem es – in Abkehr von einer zuvor im Hinblick auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung erklärten Ablehnung - mitteilt, eine Veranlagung unter Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, ist kein selbständiger Verwaltungsakt und kann ohne weiteres widerrufen werden. Überschrift: Einkommensteuer, Abgabenordnung: „Aufforderung“ zur Abgabe einer Steuererklärung nach § 149 Abs. 1 Satz 2 AO, Veranlagungsmitteilung des Finanzamts Tatbestand: Der Kläger begehrt, zur Einkommensteuer 2006 veranlagt zu werden, was ihm der Beklagte unter Hinweis darauf verweigert, dass es sich um eine Antragsveranlagung handele, deren Frist bei Antragstellung bereits abgelaufen gewesen sei. 1. Der Kläger reichte mit Schreiben vom 29.12.2011, beim Beklagten eingegangen am 30.12.2011, seine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 ein. Neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit erklärte der Kläger Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mit einem Werbungskostenüberschuss von mehr als EUR 5.000. 2. Der Beklagte lehnte die Bearbeitung der Erklärung unter dem 09.01.2012 ab, weil bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Es handele sich um eine Antragsveranlagung, denn keiner der unter § 46 Abs. 2 EStG aufgeführten Tatbestände sei erfüllt. 3. Der Kläger legte am 07.02.2012 Einspruch ein mit der Begründung, die zur Steuererklärung benötigten Unterlagen seien zunächst ohne sein Verschulden umzugsbedingt verloren gewesen. Am 11.03.2012 stellte der Kläger einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er habe keine Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung erhalten, so dass er nicht damit gerechnet habe, dass eine Frist ablaufen könne. Die vom Beklagten zur Ablehnungsbegründung zitierten Vorschriften und Fristen seien ihm unbekannt gewesen, ebenso die Möglichkeit, Fristverlängerung zu beantragen. Ihm sei unmöglich gewesen, die Einkommensteuererklärung früher zu erstellen, weil ihm die Steuerunterlagen gefehlt hätten. Schuld daran sei das Unternehmen, das er im Jahr 2010 mit seinem Umzug von A nach B beauftragt habe. Der Unternehmer habe ihm Umzugsgut vorenthalten, um weitere Vergütung zu erpressen. Letztlich sei das Umzugsgut nicht vollständig und im Übrigen teilweise beschädigt und durchwühlt und in Unordnung herausgegeben worden. Die Unterlagen zu der eingereichten Steuererklärung seien erst zum Ende des Jahres 2011 in einem Abstellraum gefunden worden, als dieser wegen eines Wasserschadens habe geräumt werden müssen. In dem Raum seien eigentlich nur wissenschaftliche Unterlagen gelagert worden. Die Steuerunterlagen seien offenbar durch die Schuld des Umzugsunternehmens unter dieses Material geraten. Ihn, den Kläger, treffe keine Schuld, zumal er wegen einer eigenen Erkrankung und der schweren Erkrankung seiner Frau in einer ohnehin sehr schwierigen Situation gewesen sei. 4. Nachdem der Beklagte zunächst eine ablehnende Haltung eingenommen hatte, teilte er dem Kläger mit Schreiben vom 30.04.2013 (Anl. 8, Bl. 107 Rechtsbehelfsakte) mit, er sei bereit, dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und eine Veranlagung für das Jahr 2006 durchzuführen. Im Hinblick auf die Berücksichtigung der Altersvorsorgebeiträge als Sonderausgaben bedürfe es noch einer weiteren Angabe des Klägers. Im selben Schreiben wies der Beklagte mit weiterer Begründung darauf hin, dass bestimmte Werbungskosten nicht anerkannt werden könnten. Unter dem 10.06.2013 verfasste der Beklagte ein Schreiben an den Kläger, in dem er an die Beantwortung seines Schreibens vom 30.04.2013 erinnerte und dem Kläger eine Antwortfrist bis zum 08.07.2013 setzte. 5. Unter dem 05.08.2013 brachte der Beklagte ein Schreiben an den Kläger auf den Weg, in dem er mitteilte, seine im Schreiben vom 30.04.2013 mitgeteilte Entscheidung widerrufen zu müssen. Eine Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der versäumten Antragsfrist sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht möglich. Mit Ablauf der Festsetzungsfrist seien die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erloschen. Eine Kopie dieses Schreiben übersendete der Beklagte dem Kläger am 15.10.2013, nachdem der Kläger ihm mitgeteilt hatte, er habe dieses Schreiben nicht erhalten. 6. Mit Einspruchsentscheidung vom 11.09.2013 (Mittwoch) wies der Beklagte den Einspruch sodann als unbegründet zurück. Die Festsetzungsfrist sei bei Einreichung der Steuererklärung abgelaufen gewesen. Es gelte die vierjährige Frist für Antragsveranlagungen nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG. Eine Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Verjährungsfrist sei rechtlich nicht möglich. Wegen ihres genauen Inhalts wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen. 7. Der Kläger hat am 16.10.2013 Klage erhoben. Die Ablehnung des Antrags auf Veranlagung sei rechtswidrig, weil nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung aus folgenden Gründen ein Fall der so genannten Pflichtveranlagung vorliege: Zum einen wirke die zwischenzeitliche Änderung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, nach der eine Pflichtveranlagung dann vorzunehmen sei, wenn neben den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit weitere positive Einkünfte von mehr als 410 € erzielt worden seien, nicht auf das Streitjahr 2006 zurück. Die für das Streitjahr geltende Gesetzesfassung erfasse sowohl positive als auch negative weitere Einkünfte. Der Kläger habe neben seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit negative Einkünfte von 5.908 € aus Vermietung und Verpachtung erwirtschaftet. Zum anderen liege ein Fall einer Pflichtveranlagung deshalb vor, weil er, der Kläger, vom Finanzamt A mit Schreiben vom 20.09.2007 zur Abgabe einer Steuererklärung für das Jahr 2006 aufgefordert worden sei (Anl. 1 zum Schriftsatz vom 16.01.2015). Die Aufforderung habe ihn zur Abgabe der Steuererklärung gemäß § 149 Abs. 1 S. 2 AO verpflichtet. In der Rechtsfolge dieser Verpflichtung sei die Regelung des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO anwendbar gewesen, die zu einer Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist und damit zu einer siebenjährigen Festsetzungsfrist geführt habe, die am 30.12.2011 noch nicht abgelaufen gewesen sei. Weiter vertritt der Kläger die Meinung, eine Veranlagung sei im Übrigen auch deshalb durchzuführen, weil der Beklagte seine Ablehnung des Antrags des Klägers auf Veranlagung vom 09.01.2012 durch sein Schreiben vom 30.04.2013 wieder aufgehoben habe. Ob der Beklagte damit eine positive Entscheidung über den Antrag des Klägers auf Durchführung der Veranlagung getroffen oder gemäß § 110 AO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt habe, könne offen bleiben. Jedenfalls sei der Beklagte an seine zugunsten des Klägers getroffene Entscheidung vom 30.04.2013 gebunden. Diese Entscheidung sei vom Beklagten auch nicht bzw. nicht rechtmäßig wieder aufgehoben worden: Der Beklagte habe diese Entscheidung nicht durch Schreiben vom 05.08.2013 wirksam widerrufen. Zum einen sei das auf den 05.08.2013 datierte Schreiben dem Kläger erstmals am 16.10.2013 zugegangen. Weil der Beklagte am 11.09.2013 bereits eine Einspruchsentscheidung erlassen habe, sei der Widerruf ohnehin ins Leere gelaufen. Die positive Entscheidung vom 30.04.2013 sei vom Beklagten auch nicht mit der Einspruchsentscheidung vom 11.09.2013 aufgehoben worden. Insofern enthalte die Einspruchsentscheidung keine Entscheidung, sondern lediglich eine Begründung, warum eine Wiedereinsetzung nicht rechtmäßig sei. Da der Einspruch des Klägers ohnehin bereits durch das Schreiben des Beklagten vom 30.04.2013 erledigt gewesen sei, habe eine Einspruchsentscheidung sowieso nicht mehr ergehen dürfen. Im Übrigen hätten die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Wiedereinsetzung, die sich aus § 130 Abs. 2 AO ergeben, nicht vorgelegen. Hilfsweise meint der Kläger, es sei jedenfalls deswegen von einer siebenjährigen Frist für die Abgabe der Steuererklärung auszugehen, weil im Abgabezeitraum von 2007 bis 2011 eine verworrene Rechtslage bestanden habe. Verschiedene Finanzgerichte hätten zu dieser Zeit die Auffassung vertreten, es gelte die siebenjährige Frist. Die Entscheidung des BFH unter dem Geschäftszeichen VI R 1/09 habe zur Verwirrung beigetragen. Zahlreiche Medien hätten berichtet, es bestehe eine siebenjährige Frist. Der Kläger habe darauf vertrauen dürfen. Auch sei § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG zur Vermeidung von rechtsstaatswidrigen Zufallsergebnissen und Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes verfassungskonform so auszulegen, dass er den Fall des Klägers erfasse. Die Festsetzungsfrist sei auch ansonsten wegen der zumindest analog anzuwendenden Vorschrift in § 171 Abs. 1 AO nicht abgelaufen, denn die völlig ungewöhnlichen Vorgänge um den Umzug des Klägers nach B und die infolgedessen ohne Verschulden des Klägers verursachten erheblichen Erschwernisse stellten eine Form höherer Gewalt dar. Jedenfalls begründeten sie einen Anspruch des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 09.01.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.09.2013 zu verpflichten, den Kläger durch Bescheid erklärungsgemäß zu Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 2006 zu veranlagen. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Der Beklagte nimmt zur Begründung im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung Bezug. Der klägerische Vortrag zu etwaigen Verfahrensund Formfehlern gehe wegen der Heilungsvorschriften in § 126 Abs. 1, 2 AO ins Leere. 8. Dem Gericht lagen neben den Schriftsätzen der Beteiligten und den Anlagen folgende Akten des Beklagten vor: Einkommensteuerakte für den Kläger Bd. I, Rechtsbehelfsakte E 2006. Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Protokolle des Erörterungstermins am 10.12.2014 und der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015. Entscheidungsgründe: Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat der Beklagte es abgelehnt, den Kläger für das Streitjahr 2006 zur Einkommensteuer zu veranlagen. 1. Besteht das Einkommen – wie im Streitfall – ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt. Der Steuerpflichtige kann dabei die Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG nur beantragen, wenn er nicht bereits nach Abs. 2 Nr. 1 bis 7 der Vorschrift von Amts wegen zu veranlagen ist (BFH, Urteil vom 22.05.2006 VI R 15/05, BStBl II 2006, 912), was hier nicht der Fall ist. 2. Dass eine Amtsveranlagung nach den Ziffern 2 bis 7 in § 46 Abs. 2 EStG nicht in Betracht kommt, ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit. Auch die Voraussetzungen für eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG liegen nicht vor. Nach § 46 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alternative EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes (JStG) 2007 ist die Amtsveranlagung nur durchzuführen, wenn die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24a EStG, mehr als 410 € beträgt. Das ist hier nicht der Fall, denn der Kläger erklärte neben seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit lediglich negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Entgegen der Auffassung des Klägers ist § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG nicht in der vor der Änderung durch das JStG 2007 anzuwendenden Fassung maßgeblich. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechungsänderung durch den BFH mit seinen Urteilen vom 21.09.2006 (vgl. zur früheren Rechtslage BFH, Urteile vom 21.09.2006 VI R 52/04, BStBl II 2007, 45 und VI R 47/05, BStBl II 2007, 47) hätte zwar eine Veranlagung auch im Hinblick auf negative Einkünfte von mehr als 410 € durchzuführen sein können. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG in der Fassung des JStG 2007 ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhof, der sich der erkennende Senat anschließt, jedoch gemäß § 52 Abs. 55j EStG in der Fassung des JStG 2007 auch auf vorhergehende Jahre und auch für das Streitjahr 2006 anzuwenden (vgl. BFH, Beschluss vom 17.07.2014, VI R 3/13, BFH/NV 2014, 1739, Urteil vom 06.10.2011 VI R 17/11, BFH/NV 2012, 551). Die rückwirkende Geltungsanordnung der Vorschrift verstößt nach der ständigen Rechtsprechung des BFH weder gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot noch gegen die Verfassung im Übrigen (BFH, Beschluss vom 17.07.2014, VI R 3/13, BFH/NV 2014, 1739 m. w. N., Urteil vom 17.01.2013, VI R 32/12, BFHE 240, 131, BStBl II 2013, 439). Auch insoweit schließt sich der erkennende Senat dem BFH an. 3. Einer Antragsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i. d. F. des JStG 2008 i. V. m. § 52 Abs. 55j Satz 4 EStG i. d. F. des StVereinfG 2011 (früher § 52 Abs. 55j Satz 2 EStG i. d. F. des JStG 2008) steht der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen. a) Die Festsetzungsfrist begann gemäß § 170 Abs. 1 AO am 31.12.2006 mit Ablauf des Kalenderjahres 2006, in dem die Steuer entstanden ist. Da die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre beträgt, ist die Festsetzungsfrist für Einkommensteuer des Jahres 2006 demgemäß am 31.12.2010 und damit vor Abgabe der Erklärung des Klägers am 30.12.2011 abgelaufen. b) Die Voraussetzungen für eine von diesem Grundsatz abweichende Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO liegen beim Kläger nicht vor, denn sie setzt eine Pflicht zur Steuererklärung voraus, die beim Kläger im Streitjahr nicht gegeben war: Nach § 149 Abs. 1 Satz 1 AO bestimmen die Steuergesetze, wer zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet ist. Nach § 149 Abs. 1 Satz 2 AO ist zur Abgabe einer Steuererklärung auch verpflichtet, wer hierzu von der Finanzbehörde aufgefordert wird. aa) Bei dem Bezieher von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit - wie dem Kläger - gilt die Einkommensteuer, die auf diese Einkünfte entfällt, durch den Lohnsteuerabzug als abgegolten, § 46 Abs. 4 EStG. Eine gesetzliche Pflicht gemäß § 149 Abs. 1 Satz 1 AO zur Abgabe einer Steuererklärung besteht grundsätzlich nicht, sondern nur in den Fällen, die in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 EStG geregelt sind, von denen hier keiner gegeben ist (s. o.). Es verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass bei der Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG - anders als in Fällen der Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 EStG - die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO nicht anwendbar ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 18.09.2013, 1 BvR 924/12, HFR 2013, 1157). bb) Anders als der Kläger meint, führt das Schreiben des Finanzamts vom 20.09.2007 nicht dazu, dass ein Fall einer Pflichtveranlagung – mit der Folge einer Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist – vorliegt. § 149 Abs. 1 Satz 2 EStG räumt der Finanzbehörde das Recht ein, einzelne Steuerpflichtige unmittelbar mit Verwaltungsakt zur Abgabe einer Steuererklärung aufzufordern (Cöster in Koenig, Abgabenordnung Kommentar, 3. Aufl. 2014, § 149, Rdnr. 20, 22; Stöcker a. a. O. Rdnr. 18). Eine solch verbindliche Aufforderung, die typischerweise ergeht, wenn es Unklarheiten oder Streit über das Bestehen einer Steuerpflicht gibt (Stöcker in Beermann / Gosch, Abgabenordnung / Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 149, Rdnr. 11 f.), ist zu unterscheiden von einem bloßen Realakt der Behörde, durch den der Empfänger lediglich an seine gesetzliche Erklärungspflicht erinnert werden soll (BFH, Urteil vom 02.07.1997, I R 45/96; Dißars in Schwarz/Pahlke, AO/FGO Kommentar, § 149 Rdnr. 35, 37; Cöster a. a. O., Rdnr. 22; Heuermann in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung / Finanzgerichtsordnung Kommentar, § 149, Rdnr. 14 FGO; a. A. möglicherweise Rätke in Klein, Abgabenordnung, § 149, Rdnr. 5, der die Zusendung von Erklärungsvordrucken für eine Aufforderung im Sinne des § 149 AO hält, sofern eine Pflicht zur Abgabe nicht bereits gemäß § 149 Abs. 1 Satz 1 AO besteht, Rdnr. 6). Um festzustellen, ob der Kläger im Sinne des § 149 Abs. 1 Satz 2 AO zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert worden ist, ist das fragliche Schreiben des Finanzamtes A auszulegen. Die Auslegung des vom Kläger vorgelegten Schreibens aus der maßgeblichen Empfängerperspektive ergibt, dass es sich nicht um eine Aufforderung, sondern lediglich um eine Erinnerung an den Kläger gehandelt hat – die wohl deswegen erfolgt ist, weil er in den Vorjahren wegen der Einkünfte, die er neben seinen Bezügen aus nichtselbständiger Arbeit bezogen hatte, zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen verpflichtet gewesen war. Dass das Finanzamt A mit seinem Schreiben den Kläger indes nicht verbindlich zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichten wollte, ergibt sich insbesondere aus Absatz 2 des Schreibens, in dem es u. a. heißt: „Falls Sie ... der Auffassung sind, zur Abgabe einer Steuererklärung nicht verpflichtet zu sein, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie dieses Schreiben mit einem kurzen Hinweis auf der Rückseite an das Finanzamt zurücksenden würden.“ Dieser Hinweis macht deutlich, dass das Finanzamt A nicht von sich aus eine Pflicht begründen wollte, sondern bis zum Erhalt einer anderslautenden Mitteilung des Klägers lediglich ungeprüft davon ausging, es bestehe eine gesetzliche Pflicht des Klägers zur Abgabe der Steuererklärung. Dafür, dass das Finanzamt keine verbindliche Regelung treffen wollte, spricht auch der Umstand, dass das Schreiben weder eine Begründung enthielt – auch wenn eine Aufforderung nicht unbedingt einer Begründung bedarf (vgl. BFH, Beschluss vom 16.02.2012, II R 99/11, BFH/NV 2012, 982) – noch wie ein Verwaltungsakt mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war. Unter Berücksichtigung des Inhalts von Absatz 2 des Schreibens kann auch der sodann in Absatz 3 des Schreibens vorsorglich für den Fall, dass der Kläger keine Steuererklärung vorlegt, erteilte Hinweis, dass weitere Maßnahmen getroffen würden, nicht anders verstanden werden als unter der Bedingung einer bereits bestehenden Erklärungspflicht stehend. 4. Anders als der Kläger meint, liegt kein Fall einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 1 AO vor. Nach dieser Vorschrift läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, solange die Steuerfestsetzung wegen höherer Gewalt innerhalb der letzten sechs Monate des Fristlaufs nicht erfolgen kann. Der Vortrag des Klägers, die völlig ungewöhnlichen Vorgänge um seinen Umzug nach B und die dadurch ohne seine Verschulden verursachten erheblichen Erschwernisse stellten eine Form höherer Gewalt dar, erfüllt den Hemmungstatbestand nicht. Auch wenn zugunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass er vor Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist nicht auf die für seine Erklärung wesentlichen Unterlagen habe zugreifen können, ist doch festzustellen, dass er keinesfalls daran gehindert gewesen war, rechtzeitig eine Steuererklärung abzugeben. Sind Unterlagen, anhand derer berücksichtigungsfähige Sachverhalte berechnet und belegt werden können, untergegangen oder sonst nicht erreichbar, so kann gleichwohl eine Steuererklärung mit den bekannten oder zu ermittelnden Daten - z. B. die Höhe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit abgegeben werden. Ungewisse Daten wie Werbungskosten etc. sind gegebenenfalls als Schätzung zu erklären. Inwieweit diese Schätzungen dann der Veranlagung zugrunde zu legen gewesen wären, ist eine andere Frage, die gegebenenfalls innerhalb des Veranlagungsverfahrens zu klären gewesen wäre. 5. Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO zu gewähren. Durch die Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, ist geklärt, dass die gesetzliche Festsetzungsfrist i. S. des § 169 AO nicht zu den wiedereinsetzungsfähigen Fristen gemäß § 110 AO gehört (BFH, Beschluss vom 02.03.2011, IX B 88/10, BFH/NV 2011, 1295 m. w. N., vgl. auch BFH, Urteile vom 19.08.1999, III R 57/98, BFHE 191, 198, BStBl II 2000, 330; vom 24.01.2008, VII R 3/07, BFHE 220, 214, BStBl II 2008, 462). 6. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Schreiben des Beklagten vom 30.04.2013. In diesem Schreiben ist kein selbständiger Verwaltungsakt zu erkennen, mit dem einem Antrag des Klägers auf Durchführung der Veranlagung – ohne dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden sollte – verbindlich stattgegeben werden sollte. Mit diesem Schreiben kündigt der Beklagte vielmehr lediglich an, unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer 2006 durchzuführen. Ebenso wie die positive Entscheidung, eine Veranlagung durchzuführen, ist auch die Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO ein unselbständiger Bestandteil der Entscheidung zur Hauptsache (BFH, Urteil vom 08.11.1996, VI R 24/96, BFH/NV 1997, 363; Urteil vom 26.10.1989,IV R 82/88, BFHE 159, 103, BStBl II 1990, 277). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Gewährung oder Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kein selbständig anfechtbarer begünstigender oder belastender Verwaltungsakt, sondern eine Rechtsentscheidung in einem verwaltungsrechtlichen Zwischenverfahren, die von den Finanzgerichten in vollem Umfang nachgeprüft werden kann (vgl. BFH, Urteil vom 02.10.1986, IV R 39/83, BStBl II 1987, 7; Urteil vom 26.10.1989 - IV R 82/88, BStBl II 1990, 277 m. w. N.). Diese zitierten Ausführungen des Bundesfinanzhofs beziehen sich auch auf den Fall, dass die Finanzbehörde bereits in der Vergangenheit durch gesonderte Äußerung Wiedereinsetzung gewährt hat. Bildet eine im Zusammenhang mit der Einspruchsentscheidung vorgenommene positive Beurteilung der Wiedereinsetzung keinen gesonderten, begünstigenden Verwaltungsakt, der vom Steuerpflichtigen nicht angefochten und damit der gerichtlichen Beurteilung entzogen ist, so gilt Gleiches auch dann, wenn das Finanzamt das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen in einem früheren Zeitpunkt bejaht hat. Hierdurch kann die Prüfung der Wiedereinsetzungsgründe nicht der gerichtlichen Entscheidung entzogen werden. Damit ist die Finanzbehörde auch nicht gehindert, von einer ursprünglichen unzutreffenden Beurteilung der Wiedereinsetzungsgründe abzurücken (BFH, Urteil vom 26.10.1989, IV R 82/88, BStBl II 1990, 277). Da eine frühere Gewährung von Wiedereinsetzung keinen selbständigen Verwaltungsakt darstellt und keine Bestandskraft entfaltet, ist das Finanzamt bei der Entscheidung über den Rechtsbehelf auch nicht an seine zuvor geäußerte Absicht zur Gewährung von Wiedereinsetzung gebunden (BFH, Urteil vom 26.10.1989 - IV R 82/88, BStBl II 1990, 277; vgl. FG Hamburg, Urteil vom 02.02.2010, 2 K 147/08, EFG 2010, 1116; Brandis in Tipke/Kruse, AO, § 110 Rn. 43; a. A. Söhn in Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 110 Rn. 593, 608 ff.). Entsprechendes gilt für die Ankündigung, das Veranlagungsverfahren durchzuführen. 7. Der Antrag des Klägers ist bereits aus folgenden Gründen auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht begründet: a) Dass die Rechtslage zur Festsetzungsfrist, wie der Kläger meint, seinerzeit verworren gewesen sei, vermag keinen Vertrauensschutz zu begründen. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes tritt namentlich dann zurück, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte, etwa weil die Rechtslage unklar und verworren war oder eine gefestigte Rechtsanwendungspraxis zu einer bestimmten Steuerrechtsfrage nach Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung rückwirkend gesetzlich festgeschrieben wird (BFH, Urteil vom 17.01.2013, VI R 32/12, BFHE 240, 131, BStBl II 2013, 439, m. w. N.). b) Hinsichtlich der Neufassung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, nach der für eine Pflichtveranlagung ausdrücklich positive Nebeneinkünfte vorausgesetzt werden, schließt sich der Senat der Ansicht des BFH (Urteil vom 17.01.2013, VI R 32/12, BFHE 240, 131, BStBl II 2013, 439) an: Mit der Neuregelung habe der Gesetzgeber lediglich die Rechtslage wiederhergestellt, die bis zu den Entscheidungen des BFH vom 21.09.2006 (in BFHE 215, 149, BStBl II 2007, 47, und in BFHE 215, 144, BStBl II 2007, 45) der jahrzehntelangen Besteuerungspraxis und der nahezu einhelligen Meinung im Fachschrifttum entsprochen habe. Ein berechtigtes Vertrauen auf den Fortbestand der hiervon abweichenden Rechtslage und damit der Rechtsprechung des BFH vom 21.09.2006 habe in der Zeit bis zum Erlass der Neuregelungen nicht entstehen können, da der Gesetzgeber bereits am 29.09.2006 angekündigt habe, dass er zur bisherigen Rechtslage zurückkehren werde, nach der eine Pflichtveranlagung zur Einkommensteuer bei Bezug von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG voraussetze, dass der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum Einkünfte aus anderen Einkunftsarten beziehe, deren positive Summe 410 € bzw. 800 DM übersteige (unter Hinweis auf BRDrucks 622/1/06, S. 21 f.). Der Kläger hat seine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2006 erst am 30.12.2011 (Eingang beim Beklagten) abgegeben; etwaige im Vertrauen auf die erfolgte Rechtsprechungsänderung getätigte Dispositionen in der Zeit bis zum Erlass der Neuregelung stehen damit nicht zur Entscheidung. c) Auch das Schreiben des Finanzamtes A kann der Kläger nicht zur Begründung von Vertrauensschutz heranziehen. Der Kläger selbst hat in seinem Schreiben vom 11.03.2012 vorgetragen, keinen Hinweis zur Abgabe seiner Steuererklärung erhalten zu haben. Das Schreiben des Finanzamtes A hat er erstmals nach dem Erörterungstermin im gerichtlichen Verfahren vorgelegt. Damit war es ihm im maßgeblichen Zeitraum nicht gegenwärtig gewesen und er hatte also in keiner Weise auf seinen wie immer verstandenen Inhalt vertraut. 8. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 135 Abs. 1 FGO. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.