Der FC Carl Zeiss Jena zwischen Anspruch und Wirklichkeit

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Der FC Carl Zeiss Jena zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Kommentiert: Der FC Carl Zeiss Jena zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Sonntag, den 16. November 2008 um 21:05 Uhr
Ach was waren die Zeiten doch schön, als der FC Carl Zeiss Jena noch erfolgreich Fußball
spielte! So ganz früher, wie beim Gewinn der drei DDR-Meisterschaften etwa oder später in den
80ern, als man im Europapokal Rom und Valencia nass machte und erst im Finale von Dynamo
Tbilissi zu stoppen war. Geblieben von jenen erfolgreichen Zeiten sind schöne Erinnerungen
und Einträge auf dem Briefkopf des FCC.
Oder der Durchmarsch in die 2. Bundesliga - das Wunder von Jena! Plötzlich spielten die
Unaufsteigbaren nach Jahren der Tristesse wieder Fußball, dominierten die Oberliga, dann die
Regionalliga und Fußball-Jena sang kollektiv: Heiko, wir lieben Dich! Gemeint war Trainer
Heiko Weber; so geschehen im Mai 2006.
Und plötzlich schien alles möglich: Da wurden Ansprüche formuliert, „mit dieser Mannschaft
sollte ein Platz im gesicherten Mittelfeld der Tabelle realisierbar sein“, so Ex-Präsident Rainer
Zipfel vor der Zweitligasaison 2006/2007. Getoppt wurde Zipfel nur noch vom damaligen
Marketingchef des FCC, Matthias Härtzschel, der einen seiner Tätigkeitsschwerpunkte
tatsächlich mit den Worten umriss, „den FC Carl Zeiss Jena zur europaweit bekannten Marke
aufbauen“ zu wollen. Das war im Spätsommer 2006.
Seltsamerweise spielten die anderen Teams der 2. Liga jedoch nicht die ihnen zugedachte
Statistenrolle; die ambitionierten Vorgaben des damaligen Präsidenten entpuppten sich als das,
was sie waren: Ein Wunschtraum fern jeglicher Realität. Jena entließ im April 2007 in
schlimmsten Abstiegsnöten seinen ehemaligen Erfolgscoach Heiko Weber und bekam erst am
letzten Spieltag unter dem neuen Trainer Frank Neubarth die Kurve – Klassenerhalt in
buchstäblich letzter Sekunde.
Doch kehrte nach dieser lehrreichen Saison Realismus in die Chefetage des FC Carl Zeiss
Jena ein? Plötzlich schwärmten die Verantwortlichen vom russischen Investor (grundsolide,
sehr solvent, Firma auf den Cayman Islands), der den FCC mittelfristig mit geballter Finanzkraft
in die 1. Bundesliga bringen könne...
Aus den Träumen der Klein-Abramovichs wurde nichts - Geld schießt keine Tore! - und nicht
zuletzt auch dank der genialen Spieler-Verpflichtungen des damaligen Sportdirektors Lutz
Lindemann fand sich der FC Carl Zeiss Jena nach fünf Spieltagen der neuen Saison mit nur
einem Punkt am Tabellenende wieder und Frank Neubarth hatte fertig.
Ihm folgte Valdas Ivanauskas – der Auftrag war klar: Raus aus dem Tabellenkeller und rein ins
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Vergnügen. Das Vergnügen ganz auf seiner Seite hatte dann jedoch drei Tage vor
Weihnachten 2007 Henning Bürger, der nach der Entlassung des erfolglos agierenden
Ivanauskas plötzlich vom A-Junioren-Trainer zum Chefcoach avancierte.
Ein Neuanfang sollte es werden. Ein Signal seitens der Vereinsführung auch an die Fans: Wir
planen mit Bürger und unseren Eigengewächsen notfalls auch für die 3. Liga. Griff da zum
ersten Mal ein gewisser Sinn für die Realität? Wie aber einen Neuanfang starten, wenn doch
die Spieler und die Verantwortlichen noch immer die gleichen waren? Und weshalb stieg eine
Mannschaft mit Spielern wie Simak, Torghelle oder Khamutouski überhaupt aus der 2.
Bundesliga ab?
Der bittere Abstieg in die 3. Liga war nicht Bürgers verschulden – die Weichen wurden
anderswo gestellt. Die sportliche Aufstellung aber in der 3. Liga geht auf das Konto des
Gespanns Bürger/Linke. Der höchste Etat unter allen Drittligisten stand im Sommer 2008 zur
Verfügung. Daraus sollte ein Team geformt werden, „das den direkten Wiederaufstieg schaffen
sollte, auf jeden Fall aber zu den Favoriten der 3. Liga gehört“, so Henning Bürger.
Der „Favorit“ der 3. Liga stand am 6. Spieltag auf Abstiegsplatz 18 und Henning Bürger erlebte
im Heimspiel gegen die Amateure des VfB Stuttgart sein ganz persönliches Armageddon – das
0:6 war ein Offenbarungseid für alle Würdenträger des FCC. Ausbaden musste es – wie so oft
– der Trainer (laut Otto Rehhagel „die ärmste Sau auf Erden“).
Am 8. Spieltag begann mit dem Heimspiel gegen Union Berlin die Ära van Eck. Der stellte
zunächst die Mannschaft taktisch um, ließ mit nur einem Stürmer spielen und versuchte die
Abwehr zu festigen. Dies gelang, betrachtet man nüchtern die Zahlen, auch wenn der Fußball,
der gespielt wird, alles andere als schön anzusehen ist: Unter der Regie René van Ecks fuhren
die Blau-Gelb-Weißen in acht Spielen ein Torverhältnis von 9:10 ein und holten 10 Punkte.
Unter Bürger sowie des einen Spiels unter Leitung Mark Zimmermanns waren es 9:17 Tore
sowie 5 Punkte.
Unter den Anhängern des FCC ist unterdessen ein Glaubenskrieg ausgebrochen: Die einen
fordern einen zweiten Stürmer in der Startelf und wollen Tore sehen, die anderen sind mit der
Beton-Taktik – solange sie denn Punkte bringt – einverstanden. Sicher braucht es Zeit, bis das
Konzept van Ecks greift und Früchte trägt und man sollte ihm diese Zeit auch geben.
Schließlich ist er („die ärmste Sau auf Erden“) derjenige, der einem Großteil der Spieler des FC
Carl Zeiss Jena Elementares des Fußballspielens beibringen muss: Ballannahme, Ballführung,
Direktspiel...
Mit van Ecks Verpflichtung bewegt sich tatsächlich etwas im Paradies und – vernachlässigt
man seine Auftaktniederlage gegen Union – legte er die phänomenale Serie von sechs Spielen
ohne Niederlage hin. Und sofort rief es wieder laut „Hurra!“ in der Chefetage des
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Ernst-Abbe-Sportfeldes. Rettung war nah, keine Frage. Und doch betrieb man wieder nur
Augenwischerei, denn die Serie der sechs Spiele ohne Niederlage beinhaltete vier
Unentschieden (drei davon vor heimischer Kulisse und unvergessen das heldenhafte 0:0 beim
Tabellenvorletzten, den Amateuren von Werder Bremen!). Mit der Niederlage gegen Paderborn
aber verkehrte sich die stolze Bilanz ins Gegenteil: Plötzlich steht der FC Carl Zeiss Jena seit
vier Spielen ohne Sieg da! Und befindet sich völlig überraschend auf Platz 16 der Tabelle –
ganze drei Punkte von einem Abstiegsrang entfernt!
Sollte es im Kompetenzcenter Oberaue denn wirklich niemanden geben, der die Zeichen der
Zeit erkennt und richtig zu deuten vermag? Wie weit diese Mannschaft („Favorit der 3. Liga“)
von der Tabellenspitze entfernt ist, hat das Spiel am Samstag gegen den SC Paderborn
gezeigt. Ergo: Die sportliche Leitung wird in der Winterpause aktiv werden müssen und Spieler
nach Jena holen, die verhindern, dass der FC Carl Zeiss Jena gen 4. Liga durchgereicht wird;
wissend, das es nach Ende dieser Drittligasaison keine Ausreden mehr geben kann.
Und nun? Was ist geblieben von diesem stolzen Traditionsverein, der den Namen des fleißigen
Visionärs Carl Zeiss trägt, dessen Spieler einst gestandenen Profis vom AS Rom legendär den
Hintern versohlten und deren Anhänger vor nicht allzu langer Zeit noch Gänsehaut-Atmosphäre
im Ernst-Abbe-Sportfeld erzeugten?
Beginnen wir bei den Fans: Die waren – salopp formuliert – auch schon disziplinierter. Nach –
bewusst vorsichtig ausgedrückt - diversen Vorkommnissen wurde der Verein vom DFB zu
einem Heimspiel mit arg limitierter Zuschauerzahl verurteilt. Möglicherweise aber ist der Frust
der Fans auch der sportlichen Talfahrt ihres geliebten Vereins geschuldet. Wer jahrelang zu
hören bekommt, wie toll die Mannschaft ist und vollmundigste Zukunftsvisionen vorgegaukelt
bekommt, die bitter schmeckende Realität aber Woche für Woche im Stadion kosten darf, hat
das Recht, frustriert zu sein. (Woraus sich jedoch nicht zwangsläufig das Recht ableitet,
Schiedsrichter mit Trinkbechern und Feuerzeugen zu bewerfen.)
Zur Mannschaft: Zu Saisonbeginn als Aufstiegskandidat gehandelt, macht sich nun, nach dem
15 Spiele absolviert sind, Katzenjammer breit. Nix da von wegen direkter Wiederaufstieg - die
Realität ist: Das Team befindet sich im Abstiegskampf!
Grausig die Leistung der Innenverteidiger! Zu langsam im Laufduell mit den Gegnern, im
Stellungsspiel oft hausbacken, letztlich oft nur zweiter Sieger. Das reicht nicht, um für Stabilität
zu sorgen. Denn wie heißt es so schön? Spiele werden von den Stürmern gewonnen,
Meisterschaften von der Abwehr.
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Das Aufbauspiel des FCC zeigt zu oft jene Konstanz, die den Zuschauern den Atem stocken
lassen: Da werden leichtfertig im Mittelfeld Bälle verspielt, die postwendend am eigenen
Strafraum landen und dort die Innenverteidigung vor größere Probleme stellt... Da kommen
Pässe nicht an (van Eck trainiert das inzwischen fleißig mit seinen Jungs), da mangelt es an der
Balltechnik (Ballannahme, Kurzpassspiel). Ballverluste in der Vorwärtsbewegung tun dann
doppelt weh, wenn man hinten sicher steht wie ein Kartenhaus bei Windstärke neun...
Standards führen zu selten zu Toren (Ausnahme Ziegners Freistoßtor in Braunschweig).
Ansonsten gilt: Bei Eckbällen und Freistößen des FC Carl Zeiss Jena darf sich der geneigte
Zuschauer gern mal ein Bier holen ohne Gefahr zu laufen, etwas zu verpassen...
Chancenverwertung: Ohne Worte, siehe die Heimspiele gegen Dresden und Burghausen, im
Ansatz auch gegen Aalen.
Doch wer sind die Typen, die sich der Situation stellen, die Ärmel aufkrempeln und den Rest
der Truppe auf Linie bringen können? Zweifellos hat die Mannschaft in Carsten Nulle einen
zuverlässigen Keeper, der auch mal eine hundertprozentige Chance des Gegners von der Linie
kratzt. Aber: Nulle neigte zu Beginn der Saison zu unnötigen Temperamentsausbrüchen, die
ihm – Vorbild Jens Lehmann? – bis zum 7. Spieltag eine gelbe sowie eine gelb-rote Karte
einbrachten.
Torsten Ziegner zeigte sich zuletzt erfreulich stabilisiert, bis ihm jene Unbeherrschtheit in
Braunschweig zum Verhängnis wurde, derentwegen er für fünf Spiele vom DFB gesperrt wurde
und obendrein den Staatsschutz beschäftigte... Nils Hansen scheint im Moment jene Konstanz
zu fehlen, die ihn im Sommer noch unter Henning Bürger zum Kapitän des Teams werden ließ.
An einem guten Tag aber kann er ein Spiel im Alleingang entscheiden.
Mit Sebastian Hähnge kehrte zu Saisonbeginn der Torgarant aus früheren Regionalligazeiten
an die Saale zurück und trotz seiner Treffer am Samstag gegen Paderborn: Es fehlt die
Stabilität. Für die 1. Bundesliga hat es ganz offensichtlich nicht gereicht, in der 3. Liga wünscht
man sich deutlich mehr Tore von ihm. Seine teilweise vorhandene Ladehemmung damit
begründen zu wollen, dass er im System van Ecks zu oft als Alleinunterhalter im Angriff fungiert
bzw. neuerdings im Mittelfeld aufgeboten wird, greift nur bedingt. Er braucht dringend einen
Partner an der Außenlinie, der in der Lage ist, den Ball ordentlich ins Zentrum zu flanken. Hier
deutet sich mit Renè Eckardt für die Zukunft eine interessante Perspektive an, jedoch braucht
der Junge Zeit und sollte auf keinen Fall verheizt werden.
Der andere Stürmer – Neuzugang Salvatore Amirante – führte sich zu Saisonbeginn mit seinen
Treffern gut ein. Inzwischen jedoch bemängeln die Fans des FCC seine permanente Fallsucht
und trauern dem verschossenen Elfmeter in der 86. Minute im Heimspiel gegen Dresden nach.
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Fazit: Das Gerüst steht. Mit Carsten Nulle, Ralf Schmidt, Torsten Ziegner, Niels Hansen und
Sebastian Hähnge stehen Spieler zur Verfügung, die in der Lage sind, in der ernsten Situation
Verantwortung zu übernehmen und Nachwuchsspielern wie zum Beispiel René Eckardt und
Nils Petersen eine Vorbildrolle zu geben. Neuverpflichtungen zum Rückrundenstart sollten vor
allem die Innenverteidigung stabilisieren und das Spiel über die Flügel beleben.
Eine andere Frage ist, ob die Vereinsführung die Zeichen der Zeit erkannt hat und
entsprechende Maßnahmen ergreift. Ein „Wir sind der tollste FC Carl Zeiss Jena auf der
ganzen Welt“ a la Rainer Zipfel ist nicht hilfreich; Peinlichkeiten eines Matthias Härtzschel
sollten den Anhängern des FCC künftig bitte erspart bleiben. Ebenso wenig käme ein erneuter
Trainerwechsel in Betracht. Van Eck scheint sein Handwerk zu verstehen, auch wenn manche
seiner taktischen Anweisungen nicht immer nachvollziehbar erscheinen.
Fakt ist, er kann die erforderlichen Tore nicht selbst schießen und Gegentore nicht verhindern.
Dies müssen seine Spieler erledigen. Wenn sie denn können. Oder wollen.
Text: Jens Mende
Fotos: Markus Kämmerer, happyarts.de
Leser-Kommentare:
17.11. 2008, 00:47 Uhr
treffend beschrieben. dem ist nichts hinzuzufügen!
(uwe scherzer)
17.11. 2008, 07:52 Uhr
Ich habe Ihren Artikel gelesen und Sie werden es kaum glauben, dass ich dies fast noch
besser beurteilen kann: Im Aufstiegsjahr in die Regionalliga bot ich mich kostenfrei, also
ehrenamtlich (!), als Scout für den Club an. Fachwissen war vorhanden. Mit dem damaligen
Sportdirektor, Olaf Holetschek, war es eine tolle Zusammenarbeit, persönlich, wie telefonisch.
Der Erfolg war der Durchmarsch.
Das 1. Jahr in Liga 2 war schon etwas komplizierter, denn man war ja wieder wer und wusste
vieles besser. Auf meine Idee hin, meinen PKW kostenlos als Werbefläche zur Verfügung zus
tellen (Fahrleistung 50.000 km pro Jahr) wurde schon gar nicht mehr reagiert.
Als Herr Lindemann dann installiert wurde, war eine Zusammenarbeit faktisch unmöglich, man
wusste alles besser, der Kontakt brach praktisch ab und Jena stieg im gleichen Jahr ab... Das
tat im Herzen weh, aber Hochmut kommt vor dem Fall...
(J. Kuchenbuch, Köln)
17.11. 2008, 10:55 Uhr
Jetzt gegen Herrn Zipfel nachzutreten ist mehr als unfair! Ohne Rainer Zipfel hätte es die zwei
Jahre in der 2. Liga nicht gegeben! Da Ihr Herr Mende es offenbar besser kann, sollte er doch
den Verein zurück in die 2. Bundesliga führen!!!
(A. Schreiber)
17.11. 2008, 14:12 Uhr
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Zipfel hat jedenfalls die Konsequenzen gezogen, vielleicht zu spät. Die Penetranz, mit der
Sportdirektor Linke an seinem Stuhl klebt, ist bezeichnend. Hätte er Mumm, würde er
zurücktreten und den Weg frei machen für einen Sportdirektor, der etwas von seinem Fach
versteht.
(Dr. Markus Bachmann)
18.11. 2008, 14:14 Uhr
Ich finde, dass so mancher Schiedsrichter seinen Beitrag dazu geleistet hat, den FC
Carl-Zeiss-Jena zu benachteiligen wo immer es sich anbot. Dies hat doch einige Punkte
gekostet.
Als Beispiele nenne ich den Betrug in Koblenz (Ball mit der Hand mitgenommen)
(van Steensel zusammengetreten), sowie die Rote Karte gegen Simak in Dortmund, wo Jena
dem Schiedsrichter zu stark wurde. In diesem Pokalspiel stand der Sieger schon vor dem
Anpfiff fest.
Ich sehe also auch äußere Gründe für schlechte Ergebnisse in der 2.Bundesliga.
(Ray Kallweit)
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