sozialpädagogische Aspekte der Migration
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sozialpädagogische Aspekte der Migration
Diplomarbeit Titel der Diplomarbeit „Geld macht nicht glücklich... sozialpädagogische Aspekte der Migration.“ Verfasserin Denk Liesa angestrebter akademischer Grad Magistra der Philosophie (Mag. Phil.) Wien, im März 2009 Studienkennzahl lt. Studienbuchblatt: A 297 Studienrichtung lt. Studienbuchblatt: Pädagogik Betreuer: Univ.-Prof. Dr. Robert Hutterer Ehrenwörtliche Erklärung Ich versichere hiermit, 1. dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfe bedient habe, und 2. dass ich die Diplomarbeit bisher weder im Inland noch im Ausland in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe. Wien, _______________ Datum ________________ Unterschrift 2 EXZERPT Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema „Geld macht nicht glücklich... sozialpädagogische Aspekte der Migration?“ Es handelt sich um eine Untersuchung im Rahmen der Sozialpädagogik, die anhand von narrativen Interviews an MigrantInnen aus Osteuropa, die in Österreich leben, durchgeführt wurde. Es wird gezeigt, wie weit das Glücksgefühl von MigrantInnen aus Osteuropa mit der Erfüllung ihrer finanziellen und materiellen Erwartungen zusammenhängt und wie glücklich sie jetzt mit ihrem Leben sind. Dies soll Menschen, die im Bereich der Sozialpädagogik tätig sind, unter anderem einen erweiterten Einblick geben, mit welchen finanziellen und materiellen Erwartungshaltungen von Menschen aus Osteuropa sie konfrontiert werden. Folgende Fragen werden in dieser Arbeit beantwortet werden: Kann Geld glücklich machen? Inwieweit ist dies mit der Herkunft der jeweiligen Personen verknüpft? Welche Rolle spielen soziokulturelle Unterschiede in Hinblick auf finanzielle Erwartungen? Besteht eine Diskrepanz zwischen Menschen, die einen höheren wirtschaftlichen Standard gewohnt sind und jenen für die das nicht der Fall ist? Um diese Fragen zu beantworten, wurden narrative Interviews mit jeweils fünf Frauen und fünf Männern, die in Osteuropa geboren wurden, durchgeführt. Diese sind zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig Jahre alt, haben die Matura abgeschlossen und leben seit mindestens fünf Jahren in Österreich. Die Interviews wurden transkribiert und anschließend mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring ausgewertet. Hierbei wurden Unterschiede in Bezug auf die jeweiligen finanziellen Erwartungen sichtbar. In einigen der aufgestellten Kategorien gab es Übereinstimmungen zwischen den MigrantInnen, in anderen wiederum zeigten sich Differenzen. Grundsätzlich konnte festgestellt werden, dass die Erfüllung von finanziellen Erwartungen tatsächlich Auswirkungen auf das individuelle Glücksgefühl hat. 3 ABSTRACT This thesis is about the topic "money does not buy happiness...the socialpedagogic aspects of migration". It is an analysis in the context of socialpedagogy, which is carried out with the help of narrative interviews with migrants from Eastern Europe who live in Austria. This paper shows how far the feeling of happiness of Eastern Europe migrants is connected with the fulfilling of their financial and materialistic expectations and how happy they are with their lives now. This intends to show people who work in the social-pedagogic field, with what kind of financial and materialistic expectations they will be confronted with people from Eastern Europe. The following questions will be answered in this paper: Can money buy happiness? How far is this connected with the origins of the person? Which role play socio-cultural differences regarding financial expectations? Is there are discrepancy between individuals who are used to a higher level of economic standards and those who don’t? To answer these questions, interviews have been conducted with five women and five men, who were born in Eastern Europe. They are between twenty-five and thirty-five years old, passed the general qualification for university entrance and have lived in Austria for at least five years. These interviews were typed and evaluated with the qualitative analysis of contents according to Philipp Mayring. In doing so differences concerning individual financial expectations became apparent. In some of the categories correspondences between the migrants could be found, whereas in others differences were noticed. In essence this paper shows that the fulfilling of financial expectations has an impact on a persons happiness. 4 VORWORT Ich habe mich für das Thema „Geld macht nicht glücklich... sozialpädagogische Aspekte der Migration“ entschieden, weil ich begreifen wollte, was Menschen aus verschiedenen Ländern, in unterschiedlichen Lebenslagen und Situationen dazu bewegt, in ein anderes Land zu ziehen und was sie unter Glück verstehen. Wovon machen sie ihr Glück abhängig? Sind sie mit der Erwartung gekommen, dass sie in Österreich glücklicher werden, weil in diesem Land die wirtschaftlichen Bedingungen besser sind? Besonders interessant für mich war es zu ergründen, mit welchen (verschiedenen) Erwartungshaltungen meine InterviewpartnerInnen nach Österreich gekommen sind und wie sie ihre Lebensqualität, ihre Zukunftschancen und ihre Perspektiven in Österreich heute einschätzen. An dieser Stelle möchte ich mich bei all jenen bedanken, die zu einem Interview bereit waren und mir damit diese Arbeit ermöglicht haben. Zum Schutz der Privatsphäre wurde diesen Personen Anonymität zugesichert. Ich danke meinem Betreuer, Univ.-Prof. Dr. Robert Hutterer, der mich zu einer kritischen Sichtweise auf das Thema angeregt hat, und für seine Beratung und Betreuung. Ein weiterer Dank gilt meinen Freunden, die meine Monologe über die Diplomarbeit so geduldig ertragen haben. Im Besonderen gilt mein Dank meinem Bruder Martin und meinen Mitbewohnern Georg, Karin und Elisabeth, sowie Petra Kirchberger-Schmidt für ihre wertvolle Unterstützung. Sie hat mich mit viel Geduld begleitet und meine Diplomarbeit korrigiert. Meinem Freund, Rudolf Pöhl, den ich die Inspiration für diese Arbeit verdanke. Letztendlich gilt mein besonderer Dank meinen Eltern, die mich in meinem Tun immer unterstützt haben, für Ihr Vertrauen und die Liebe, die sie mir immer entgegengebracht haben. 5 INHALTSVERZEICHNIS 1. Einleitung 8 1.1. Entwicklung der Problemstellung 10 1.2. Forschungsstand und Aktualität der Fragestellung 12 1.3. Methodische Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit 14 2. Migration und Osteuropa 15 2.1. Migration 15 2.2. Osteuropa 19 3. Materialismus 24 3.1. Definition des Begriffs Materialismus 24 3.2. Die Wohlstandsgesellschaft 27 4. Glück 29 4.1. Definition von Glück 30 4.2. Glücksforschung 31 4.3. Methoden der Glücksforschung 32 4.4. Glück und der materielle Wohlstand 35 5. Gegenstand und Zielsetzung 38 5.1. Die Auswahlkriterien für die Interviewpartner 39 5.1.1. Überblick über die interviewten Personen 40 5.1.2. Vorbereitung für die Interviewpartner 41 6. Methode der Datenerhebung 42 6.1. Das narrative Interview 42 6.2. Die qualitative Inhaltsanalyse als Methode zur Untersuchung der 45 narrativen Interviews 6.2.1. (1) Festlegung des Materials 46 6.2.2. (2) Analyse der Entstehungssituation 46 6.2.3. (3) Formale Charakterisierung des Materials 47 6 6.3.4. (4) Richtung der Analyse 47 6.2.5. (5) Theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung 48 6.2.6. (6) Bestimmung der Analysetechnik 48 6.2.7. (7) Definition der Analyseeinheit 48 6.2.8. (8) Analyse des Materials 49 7. Praktische Anwendung der Qualitativen Inhaltsanalyse 51 7.1. Entstehungssituation 51 7.2. Form des Materials 52 7.3. Richtung der Analyse und Definition der Fragestellung 53 7.4. Entwicklung des Kategoriesystem und Definition der Analyseeinheiten 54 8. Analyse der Interviewprotokolle anhand der qualitativen Inhaltsanalyse 56 8.1. Kategorie: verschiedene Erwartungshaltungen an Österreich 57 8.2. Kategorie Durch Herkunft und Sprachbarrieren bedingte Erfahrungen 61 8.3. Kategorie: Ist-Zustand der Befragten 66 8.4. Kategorie: Zukunftsdenken der Interviewpartner 70 8.5. Kategorie: Glücksfaktoren 72 9. Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse 76 10. Literaturverzeichnis 80 Lebenslauf 86 7 1. Einleitung Mit meiner Diplomarbeit „Geld macht nicht glücklich… sozialpädagogische Aspekte der Migration?“ möchte ich anhand von Interviews feststellen, ob das Glücksgefühl von MigrantInnen1 aus Osteuropa2 mit der Erfüllung ihrer materiellen und finanziellen3 Erwartungen zusammenhängt und wie glücklich sie jetzt mit ihrem Leben sind4. Migranten aus Osteuropa dienen als ein Beispiel für das Streben nach Glück durch Vermehrung von materiellen Gütern. Laut Richard David Precht (2007, S. 350) stehen „auf der höchsten Stufe unseres persönlichen Wertesystems“ Geld und Prestige „noch vor Familie und Freunden“, obwohl „die Wertskala der Glücksökonomen genau andersrum ausfällt“. Diese Arbeit ist im Rahmen der Sozialpädagogik angesiedelt und steht im Zusammenhang mit Themen wie Migration, Materialismus, Osteuropa und der Glücksforschung und soll Menschen, die im Bereich der Sozialpädagogik tätig sind, Einblick geben in bestimmte Erwartungshaltungen von Menschen aus Osteuropa, die sich zumeist ein besseres und dadurch glücklicheres Leben in Österreich erhoffen. Die Frage nach den Erwartungen und ob ein Mehr an materiellen Gütern glücklich machen kann, erachte ich im Rahmen der Sozialpädagogik deshalb als wichtig, da jene Personen, die nach Österreich immigrieren wollen bzw. müssen, möglicherweise in sozialpädagogischen Einrichtungen wieder zu finden sind, weil ihre Erwartungen sich nicht erfüllt haben oder sie mit den Anforderungen ihrer neuen Umgebung überfordert sind. Das postmoderne Menschenbild ist von materialistischem Streben geprägt (vgl. Debord, 1967, S. 35) und auch das beeinflusst die Sozialpädagogik. In diesem 1 Der Einfachheit wegen werde ich im weiteren Verlauf der Diplomarbeit stets die männliche Form verwenden, beziehe mich aber damit aber auch auf die weibliche Form. 2 Eine speziellere Definition des Begriffes Osteuropa hängt davon ab, in welchem Zusammenhang diese Bezeichnung verwendet wird. In Kapitel 2.1. dieser Diplomarbeit wird darauf näher eingegangen werden. 3 In der weiteren Diplomarbeit sind, wenn von Erwartungen oder Erwartungshaltungen gesprochen wird, immer sowohl die finanziellen als auch materiellen Erwartungen gemeint. 4 Aufgrund der Aktualität des Themas wird in dieser Arbeit häufig auf Internetquellen, die aus ästhetischen Gründen als Fußnote angegeben werden, zurückgegriffen werden. Um die aktuelle Kritik einzubeziehen sind ebenso fachspezifische Artikel bzw. Bücher nützlich, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Dabei ist es oft notwendig die Inhalte bzw. unterschiedlichen Begriffsdefinitionen miteinander zu vergleichen und sie im Licht neuester Erkenntnisse betrachten. 8 Zusammenhang formuliert Josef Scheipl (2000) in einem Artikel unter dem Titel An der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Sozialpädagogik sei „(...) in gesellschaftliche Wandlungsprozesse verstrickt und fragt dabei, was dieser Wandel für die Lebensführung und Lebenschancen von Menschen bedeutet, die Probleme mit der Bewältigung ihres Lebens haben und von welcher Art die Hilfen und Unterstützungsleistungen der Gesellschaft sein sollten“ (S. 5). In diesem Kontext handelt es sich also in der Sozialpädagogik um verschiedene soziale Probleme einer Gesellschaft, die nach Lösungsvorschlägen für Individuen innerhalb bestimmter Problemkonstellationen sucht. Einerseits soll in dieser Arbeit untersucht werden, ob es Gemeinsamkeiten innerhalb der Erwartungshaltungen der Befragten gibt, andererseits sollen bestehende Unterschiede zwischen den Migranten festgestellt werden. Zusätzlich soll die Frage beantwortet werden, inwiefern das Glücksgefühl von Migranten aus Osteuropa mit der Erfüllung ihrer (materiellen/finanziellen) Erwartungen zusammenhängt? Außerdem wird untersucht werden, wie weit die Befragten ihr derzeitiges Glücksgefühl mit ihrer Herkunft und der Erfüllung ihrer Erwartungen in Zusammenhang bringen. Die Ergebnisse der Interviews sollen allgemeine Einsichten über das Streben nach Glück durch materielle Bereicherung bringen. Meine Motivation, die folgende Diplomarbeit zu schreiben, entstand unter anderem dadurch, weil ich in der eigenen Berufstätigkeit oft persönlich Hilflosigkeit erlebte angesichts der Einstellungen anderer Menschen Ausländern gegenüber. Immigranten werden im Rahmen von Bildungseinrichtungen von Personen beraten, die unterschiedliche Ausbildungsstufen vorweisen. Unter anderem sind auch akademische Sozialpädagogen bzw. in Ausbildung stehende Sozialpädagogen darunter vertreten. Es wurden als Interviewpartner Migranten aus Osteuropa gewählt, da ich selber gerne diese Länder bereise und mich besonders für diese Sprachen und Kulturen interessiere. Ausschlaggebend jedoch ist die Tatsache, dass immer mehr Menschen aus osteuropäischen Ländern nach Österreich immigrieren, wie neueste Studien belegen5. Deshalb erscheint es mir wichtig, mein Interesse in den erwähnten Themenbereichen wissenschaftlich zu 5 vgl. http://www.statistik.at/web_de/statistiken/bevoelkerung/index.html [1.10.2008] 9 vertiefen, um dadurch neue Erkenntnisse und Einsichten zu erhalten über den Zusammenhang von Glück mit der Erfüllung materialistischer Bedürfnisse. 1.1. Entwicklung der Problemstellung Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Menschen, die in Osteuropa geboren und nach Wien immigriert sind. Durch narrative Interviews soll erörtert werden, ob bzw. inwieweit das Glücksgefühl von Menschen mit der Erfüllung ihrer finanziellen und materiellen Erwartungen zusammenhängt und welche Auswirkungen es auf ihr Befinden haben kann, wenn ihre Erwartungen nicht eintreffen. Migranten aus Osteuropa werden interviewt, um dieser Frage nachzugehen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, den Begriff Sozialisation, welcher ein zentraler „...der Verhaltens- und Sozialwissenschaften“ (Brockhaus, 1993, S. 533) ist, in meiner Diplomarbeit zu definieren. Sozialisation stellt laut Clauß et. al. (1995, S. 431ff.) einen lebenslangen individuellen Lernprozess dar, „in welchem sich das menschliche Individuum zur Persönlichkeit entwickelt, indem es sich in seiner Lebenstätigkeit die gesellschaftlichen Verhältnisse als soziale Beziehungen sowie die gesellschaftlich geschaffenen materiellen und ideellen Werte in individueller Form als Wissen, Können und Werten nicht nur aneignet, sondern sie auch bereichert“. Es handelt sich dabei um einen Entwicklungsprozess, in dem sich der Mensch zu einer Persönlichkeit formt, der durch bestehende soziokulturelle Normen als Entwicklungsaufgabe aufgegeben ist. In diesem Zusammenhang entstehen mehrere Fragen: Welche Schwierigkeiten können Migranten mit der sozialen Eingliederung in ihrem neuen Heimatland haben? Mit welchen Problemen von Migranten aus Osteuropa können Sozialpädagogen konfrontiert werden? Welche Einsichten aus den Interviews können dazu beitragen, die Eingliederung der Migranten in unsere Gesellschaft so weit zu fördern, dass ihnen diese Entwicklungsaufgabe gelingt? Welche Aspekte sind zu berücksichtigen, damit 10 Migranten sich in eine Gesellschaft, in der bestimmte soziale, kulturelle und materielle Werte bestehen, die sich von denen ihrer Geburtsländer unterscheiden, eingliedern können bzw. wollen? All diese Fragen gelten auch für Menschen, die sich dem Streben nach materiellen Gütern entziehen. Auch sie besitzen andere Werte als die, die heutzutage laut Precht (2007, S. 350) in industriellen Staaten dominieren: Geld und Prestige. Die pädagogische Relevanz dieser Arbeit besteht darin, dass anhand der Ergebnisse der Interviews, Menschen, die in pädagogischen Berufen mit Migranten arbeiten, einen (erweiterten) Einblick erlangen, wie deren finanzielle, v.a. materielle Erwartungen an Österreich waren und wieweit ihr Glücksgefühl mit der Erfüllung dieser zusammenhängt. Kann Geld vielleicht doch glücklich machen? Inwieweit lässt sich diese Einstellung durch die Herkunft der jeweiligen Personen erklären? Es ist meines Erachtens wichtig für Sozialpädagogen/-arbeiter erstens die Erwartungen der Migranten zu kennen, um deren Probleme besser verstehen und Antworten auf diese und andere Fragen entwickeln zu können und zweitens, um weitere Einblicke zu bekommen über den Zusammenhang zwischen materiellem Besitz und Glück im Allgemeinen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der – auch wenn dies gerne ausgeblendet wird – Vorurteile existieren. Erst wenn eine Gesellschaft andere Gesellschaften verstehen lernt oder deren Erwartungen akzeptiert oder wertschätzt, kann sich auch wirkliches Verständnis und Achtung seitens der dominierenden Gesellschaft entwickeln. Das betrifft nicht nur Migranten sondern auch Menschen, für die nicht materielle Güter den Wert besitzen, den sie heute in Industrieländern haben. Von verschiedenen Persönlichkeiten und Institutionen wird regelmäßig betont, dass Menschen aus Osteuropa viel zur Bereicherung der kulturellen Vielfalt Österreichs beitragen. Damit diese kulturelle Vielfalt auch in Zukunft bewahrt wird, ist es wichtig, dass ihre Erwartungshaltung an Österreich und Enttäuschungen nicht nur erkannt sondern auch akzeptiert wird, dass sie die gleichen Möglichkeiten erhalten, sich zu entfalten und weiterzuentwickeln, wie Österreich und Zuwanderer, die zum Beispiel aus anderen Teilen der EU stammen und nach Österreich immigriert sind. 11 Karin Lauermann (1998, S. 15) betont die gesellschaftliche Abhängigkeit der Sozialpädagogik und leitet daraus folgende Problematik ab: „Sozialpädagogik ist wohl eine eigenständige, aber eben keine eindeutige Disziplin und eine kurze, knappe Definition von Sozialpädagogik ist nicht möglich. Die Komplexität des Begriffes Sozialpädagogik ergibt sich unter anderem aus dem vielfältigen Einsatzbereich von Sozialpädagogen: Sie arbeiten in Horten und Tagesheimen, in Einrichtungen der Jugendwohlfahrt, in Jugendzentren, der Erwachsenenbildung u.a.m. Die sozialpädagogische Arbeit umfasst die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Personen und gesellschaftlichen Gruppen im Wohn-, Schul-, Arbeits- oder Freizeitbereich. Ihre starke Abhängigkeit von gesellschaftlichen Entwicklungen und Perspektiven lässt immer wieder neue Tätigkeitsfelder entstehen“. Sozialpädagogik ist also eine eigenständige Disziplin, auf die gesellschaftliche Veränderungen wirken, die neue Arbeitsbereiche entstehen lässt. Die EUOsterweiterung und die vermehrte Zuwanderung aus diesen Staaten ist eine gesellschaftliche Entwicklung und eröffnet auch neue Perspektiven. Die Sozialpädagogik wird dadurch also vor neue Herausforderungen gestellt. 1.2. Forschungsstand und Aktualität der Fragestellung Meinen Recherchen zufolge wurden narrative Interviews mit Migranten aus Osteuropa mit dem Impuls: Welche finanziellen und materiellen Erwartungen hatten Sie an ihr neues Zuhause? bis dato noch nicht geführt. Es gibt nur eine Arbeit, deren Thema in der Nähe meines angesiedelt ist. Diese stammt von Ernst, B. C. (2003). Er untersucht in seiner Diplomarbeit die Zusammenhänge zwischen subjektivem Wohlbefinden, Diskriminierungs- erfahrungen und sozialer Unterstützung von MigrantInnen: am Beispiel von in Wien lebenden Frauen aus dem arabisch-islamischen Kulturkreis und Frauen aus osteuropäischen Ländern. Auf dem Weg zu meiner Fragestellung hat mir die Lektüre zahlreicher Autoren, die sich der Thematik der Glücksforschung verschrieben haben, einen umfassenden 12 Überblick gegeben: Alfred Bellebaum (2002) Glücksforschung. Eine Bestandsaufnahme; Jay Peter (2000) Das Streben nach Wohlstand. Die Wirtschaftsgeschichte des Menschen; sowie Michael Eid und Randy J. Larsen (2008) The Science of Subjective Well-Being und auch Ruut Veehoven, der Entwickler der Weltdatenbank The World Database of Happiness, wo laufend wissenschaftliche Forschungen über die subjektive Wahrnehmung des Lebens veröffentlich werden und die eine einzigartige Sammlung von Forschungsergebnissen zur Lebenszufriedenheit von Menschen darstellt. Sie ist über das Internet6 zugänglich. Auf dieser Webseite finden sich Studien, wie beispielsweise: Wie glücklich sind die Dänen verglichen mit den Deutschen?, Wächst das Glück mit steigendem Wohlstand? und auch Macht Demokratie zufriedener? Primäre Zielsetzung dieser Diplomarbeit ist es, die unterschiedlichen Erwartungshaltungen von Menschen aus Osteuropa zu ermitteln und mögliche Vorurteile, die durch die Ostöffnung der EU eventuell verstärkt wurden, wieder abzubauen. Es gibt viele Vorurteile und die Tatsache, dass immer mehr Menschen aus ehemaligen kommunistischen Ländern in Österreich leben, verstärkt diese vielleicht. In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass Migranten hoffen, dass ein Mehr an materiellen Gütern ihr Lebensglück bzw. ihre Zufriedenheit steigert. Außerdem wird angenommen, dass es negative Auswirkungen auf die Gesellschaft haben kann, wenn ihre Erwartungen sich nicht erfüllen und sie es nicht schaffen, sich ausreichend zu integrieren. Wenn es zu Kriminalität und anderen gesellschaftlich unerwünschten Auseinandersetzungen kommt, sind Pädagogen, vor allem Sozialpädagogen aufgefordert, Konzepte zu entwickeln, die solchen negativen Entwicklungen entgegenwirken oder durch präventive Maßnahmen gar nicht entstehen lassen. Diese Arbeit soll neue Einsichten und Erkenntnisse über Menschen bringen, um durch die wissenschaftliche Überprüfung folgender Hypothese: “Geld macht nicht glücklich... Erfüllte finanzielle und materielle Erwartungen schon?“ zu neuen Ergebnissen für die Sozialpädagogik zu kommen. 6 http://www.worlddatabaseofhappiness.eur.nl [26.09.2008] 13 Um diese und andere Fragen zu untersuchen, wird die qualitative Vorgehensweise als Methode gewählt. Diese wird im nächsten Abschnitt vorgestellt werden. 1.3. Methodische Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit Diese Arbeit gliedert sich in einen theoretischen und einen praktischen Teil. Im ersten Schritt werden im theoretischen Teil, der einen wesentlichen meiner Arbeit darstellt, Definitionen und Erläuterungen vorgestellt, da sie zur Auswertung dienen und zum besseren Verständnis der Ergebnisse beitragen. In weiterer Folge werden die verwendete Methode erklärt und die aufgestellten Kriterien, die meine Interviewpartner erfüllen mussten, angeführt werden. Zusätzlich wird die subjektive Wahrnehmung der Interviewsituation beschrieben werden. Den Hauptteil dieser Diplomarbeit wird die Auswertung der Interviews bilden. Wie bereits erwähnt wurde, wird in dieser Arbeit die Methode des narrativen Interviews verwendet werden. Ich habe mich für diese Methodik, die von Fritz Schütze (1977) eingeführt wurde, entschieden, einerseits um starre Strukturen zu vermeiden und andererseits weil „Befragte, die frei erzählen, ...hierbei gegebenenfalls auch Gedanken und Erinnerungen preis(geben), die sie auf direkte Fragen nicht äußern können oder wollen“ (Schütze, 1987, S.10). Jegliche Literatur bezieht sich auf das Werk Das narrative Interview in Interaktionsfeldstudien (1987), verfasst vom Entwickler dieser Methode Fritz Schütze. Die Interviews wurden mit Hilfe eines Tonbandgerätes aufgenommen und anschließend transkribiert. Als Auswertungsmethode wurde die qualitative Inhaltsanalyse von Mayring (2003) gewählt. Mittels der qualitativen Inhaltsanalyse, die als Auswertungsinstrument in der Wissenschaft angewendet wird, werden die geführten Interviews ausgewertet und anhand von aufgestellten Kategorien die Aussagen der Befragten miteinander verglichen und anschließend interpretiert werden. Dabei werde ich mich am Werk Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken (2003) von Philipp Mayring orientieren. Im Kapitel Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse werden die Ergebnisse zusammengefasst dargestellt und offene Fragen beantwortet werden. 14 2. Migration und Osteuropa In diesem Kapitel wird zu allererst die Herkunft des Wortes Migration beschrieben und daran anschließend die unterschiedlichen Begriffsdefinitionen vorgestellt werden, um zuletzt jene aus der Soziologie genau darzulegen, da diese für die vorliegende Arbeit wichtig ist. Im zweiten Teil wird der Begriff Osteuropa kurz dargestellt, weil die Interviewpartner alle aus (ehemals) osteuropäischen Staaten kommen. 2.1. Migration Lateinisch bedeutet migrare soviel wie: ziehen, um-, wegziehen oder wandern. Ursprünglich stammt der Begriff Migration aus der Biologie und benennt unter anderem die Wanderungen von Zugvögeln. Diese Definition ist laut Fleisch im deutschsprachigen Raum erst seit etwa einem Jahrzehnt Ausdruck dafür, was bislang Wanderung oder Mobilität genannt wurde (vgl. Fleisch, 1994, S. 16). In Zusammenhang mit der vorhergehenden Begriffserläuterung wird laut Brockhaus (2006, S. 424) „unter Migration eine dauerhafte Auswanderung (Emigration) oder dauerhafte Einwanderung (Immigration) einzelner bis vieler Individuen (Migranten) aus einer Population der gleichen Art“ verstanden. Dies bedeutet, dass ein Kriterium die Dauer darstellt. Als Migration wird nur die dauerhafte Ein- oder Auswanderung bezeichnet. Die Bedingung für Immigration besteht in der Ansiedlung bestimmter Migranten. Die Zuwanderung ohne Ansiedlung wird als Durchzug (Permigration) bezeichnet, beispielsweise die zeitbegrenzte Niederlassung von Vögeln während ihres Zuges (vgl. Brockhaus, 2006, S. 424). In mehreren Disziplinen wird der Ausdruck Migration verwendet: Geologie, Informationstechnologie usw. In den Sozialwissenschaften handelt es sich um einen grundlegend politisch-historischen Begriff, der räumliche Bewegungen von Menschen in Prozessen beschreibt (vgl. Brockhaus, 2006, S. 424). Unter 15 räumlichen Bewegungen werden die Wanderungen in Europa des 19. Jahrhunderts, die hauptsächlich „Land-Stadt-Wanderungen (Landflucht) und Auswanderungen“ (Lamnek & Recker, 2000, S. 717) nach Übersee, vor allem nach Amerika, gewesen waren, erwähnt. Im 19. bzw. 20. Jahrhundert entwickelte sich auch die Sozialpolitik, die eine Reaktion auf Probleme, welche sich durch die Industrialisierung und Urbanisierung ergeben haben, gewesen ist. Im Zuge dessen entstand durch internationale supranationale7 und Organisationen eine internationale Sozialpolitik. Die Soziologie und Soziogeographie8 bezeichnet Migration, Wanderung als einen „dauerhaften Wechsel des Lebensumfeldes einer Person, einer Gruppe oder einer Gesellschaft im geographischen und sozialen Raum“9. Hier wird deutlich, dass die dauerhafte Wohnortänderung ein Kriterium dafür darstellt, um von Migration bzw. Wanderung sprechen zu können, dass aber – wie die folgende Definition von Hanchler und Messner (1998) zeigt – die Distanz kein Kriterium darstellt: Der Begriff Migration umfasst alle „internen und grenzüberschreitenden Wanderungen“ (Hanchler & Messner, 1998, S. 99). Meine Diplomarbeit stützt sich, wie oben bereits erwähnt, auf die Definition der internationalen Migration. Sie bezeichnet „eine Auswanderung aus einem und Einwanderung in ein anderes Land, also einen Wohnsitzwechsel über Staatsgrenzen hinweg, sowie Durchwanderung. Internationale Migration ist daher gleichbedeutend mit internationaler Wanderung“10. Der Begriff der internationalen Migration bezeichnet alle grenzüberschreitenden Wanderungen, die der Politikwissenschaftler Franz Nuscheler (2004, S. 52) in seinem Buch: Internationale Migration. Flucht und Asyl wie folgt unterscheidet: 7 „Mit dem Adjektiv supranational werden Organisationen, Zusammenschlüsse oder Vereinbarungen versehen, die durch völkerrechtliche Verträge begründet und deren Entscheidungen und Regelungen für die einzelnen Mitglieder (Staaten, Nationen) übergeordnet und verbindlich sind“ (Klein & Schubert, 2006, S. 296). 8 Die Soziografie (1913) stellt eine 1913 entwickelte, empirisch begründete Disziplin von Sebald Rudolph Steinmetz dar, „die eine Gegenposition zur geisteswissenschaftlichen und historisch orientierten theoretischen Soziologie der damaligen Zeit entnahm ... Heute lebt sie als Hilfswissenschaft in vielfältigen Formen der Sozialberichterstattung und der Raumplanung fort“ (Brockhaus, 2006, S. 633). 9 http://de.wikipedia.org/wiki/Migration_%28Soziologie%29 [24.07.2008] 10 http://de.wikipedia.org/wiki/Migration_%28Soziologie%29 [24.07.2008] 16 - die freiwillige Auswanderung; - die Familienzusammenführung; - die illegale Einwanderung, ohne gültige Papiere der Zuwanderer; - zeitlich begrenzte Auslandsaufenthalte, wie es bei Studenten oft der Fall ist; - Die erzwungene Flucht, ist ebenso eine Form der internationalen Migration, „die durch Kriege, politische Verfolgung, existenzielle Notlagen oder Umweltkatastrophen“ (Nuscheler, 2004, S. 52) die Staatsgrenzen überschreitet. Nuscheler (2004, S. 52f.) unterscheidet verschiedene Migrationsmuster: Arbeitsmigration, Emigration, Abwanderung, Transitmigration, Pendlermigration in Grenzräumen, Elitemigration, Heiratsmigration, staatlich gesteuerte Rückwanderung. Ein Kriterium, welches für die vorliegende Forschungsfrage wichtig war, ist, dass die befragten Personen in Osteuropa geboren wurden und seit mindestens fünf Jahren in Österreich leben. Welchen erlangten Aufenthaltsstatus die Personen mittlerweile in Österreich besitzen, wird in dieser Arbeit nicht berücksichtigt. Ausschließlich die Herkunft der Befragten, Alter und Ausbildung waren als Auswahlkriterien von wesentlicher Bedeutung. Migration ist ein sehr aktuelles Thema, wie tagtäglich aus der Berichterstattung der verschiedenen Medien hervorgeht. Der Begriff internationale Migration wird in dieser Arbeit als eine Form der freiwilligen Änderung des Wohnorts gesehen, wie auch als unfreiwillige, also erzwungene Flucht aus dem Heimatland. Sie kann sowohl von demographischen, ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen als auch von individuellen Faktoren, die unabhängig von ihrem objektiven Vorhandensein subjektiv empfunden werden können, beeinflusst sein (vgl. Augstein et. al., 2002, S. 25). Die Migrationsforschung unterscheidet demnach zwischen Push-(Druck) und Pull-(Sog-) Faktoren, was bedeutet, dass zwischen angebotsseitigen und nachfrageseitige n Ursachen unterschieden wird. Diese Unterscheidung ist jedoch rein theoretisch zu sehen, denn zumeist würden beide Arten die Absicht beeinflussen, sich in ein neues Land zu immigrieren (vgl. Berthold & Neumann, 2003, S. 102). Als Push-Faktoren werden Bedingungen, die am Herkunftsort als abstoßend oder 17 bedrohlich empfunden werden, bezeichnet. Dadurch werden Menschen dazu bewegt oder gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Als Pull-Faktoren gelten bei abwanderungsbereiten Personen die Attraktivität anderer Staaten. Diese bieten in der Regel Möglichkeiten, die sie in ihrem Heimatland nicht vorfinden (vgl. Nuscheler 1995, S. 32). Zusammengefasst und empirisch durch mehrere Arbeiten nachgewiesen (vgl. Bähr, 1992, zit. nach Waldmann & Ziemer, 1997, S. 357) erscheinen die wirtschaftlichen Beweggründe bzw. die Unzufriedenheit mit der sozioökonomischen Situation und den Lebensbedingungen als die dominanten Wanderungsmotive. Die Motivation sein Herkunftsland zu verlassen, könne ein besser bezahlter Arbeitsplatz im Zielland, der unter anderem der Existenzsicherung und einem möglicherweise angestrebten Aufstieg im Berufsleben dient, darstellen (vgl. Nuscheler, 1995, S. 357). Dazu stellt Rudolf Augstein (2002, S. 25) fest, dass zumindest in geringem Maße eine gewisse Unzufriedenheit im Heimatland bestehen muss (Push-Faktor), damit Migration erfolgt. Diese Faktoren werden oft von Schubfaktoren, welche die Lebensqualität einschränken und lebensbedrohlich sein können, beeinflusst und wenn diese ausreichend sind, um die Heimat zu verlassen, kommt es zu Migration. Daraus wird deutlich, dass bei Fluchtbewegungen die Schubfaktoren als Motive überwiegen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es unterschiedlichste Beweggründe gibt, um sich in ein neues Land immigrieren zu wollen oder zu müssen. Nuscheler (1995, S. 32) erwähnt, dass im Gegensatz zur Zwangsmigration die Arbeitsmigration, die dauerhafte Emigration oder bei Wirtschaftsflüchtlingen (Abwanderung), die Attraktivität des Ziellandes und die damit verbundenen Erwartungen auf ein besseren Leben zu dominieren scheinen. „Zu den Zwangsmigrationen zählen auch die Flüchtlingsbewegungen und Vertreibungen im ehemaligen Ostblock, v. a. im Gebiet der einstigen Sowjetunion“ (Wood, 1994, zit. nach Waldmann & Ziemer, 1997, S. 391). Dieses Zitat leitet zum nächsten Kapitel über, in welchem der Begriff Osteuropa genauer definiert und anschließend der Begriff MOEL erläutert werden wird, der jene Definition darstellt, welche dieser Diplomarbeit zugrunde gelegt wird, da alle Interviewpartner aus Ländern stammen, die heute unter dem Begriff MOEL 18 zusammengefasst werden. Abschließend werden aktuelle Zuwanderungsstatistiken von Österreich dargestellt werden. 2.2. Osteuropa Für den Begriff Osteuropa gibt es viele unterschiedliche Bedeutungserklärungen, wie tagtäglich in den Medien oder auch in unterschiedlichster Literatur (vgl. Han, 2006) festgestellt werden kann. Der Begriff Osteuropa umfasst je nach Perspektive andere Staaten bzw. Regionen. Im geographischen Sinne wird Osteuropa durch den Gebirgszug Ural11 und den Fluss Ural und durch die Osteuropäische Ebene12 vom asiatischen Kontinent getrennt13. Osteuropa gilt als allgemeine Bezeichnung für die Staaten im Osten Europas. Zu diesen gehören aus geografischer Sicht Litauen, Lettland, Estland, Weißrussland, Moldawien, die Ukraine und der europäische Teil Russlands.14 Aus historischer Perspektive wird mit dem Begriff Osteuropa der europäische Teil von Russland, Weißrussland, die Ukraine und Moldawien bezeichnet. Die osteuropäischen Länder standen im Gegensatz zum osmanisch beherrschten Balkan unter der Herrschaft des Russischen Reiches und waren von den Entwicklungen im restlichen Europa abgeschnitten15. Im sprachlichen und kulturellen Sinne handelt es sich bei der Bevölkerung von Osteuropa zum größten Teil um Zugehörige der slawischen Sprachgruppe. Die Bezeichnung Osteuropa umfasst also jenen Teil Europas, der von slawischen Völkern bewohnt wird.16 Diese Einteilung ist aber ziemlich vereinfachend, da auch der östliche Teil Deutschlands lange Zeit von Slawen besiedelt war und zum Teil heute noch wird, wie z. B. von den Sorben. Die vierte Definition des Begriffs Osteuropa ist die 11 Als Ural (russisch Урал, Уральский хребет) wird ein Gebirge bezeichnet, das sich nord-südwärts durch den mittleren Westen Russlands erstreckt http://www.biologie.de/cms/biocontent/Ural_%28Gebirge%29 [13.10.2008] 12 „Die Osteuropäische Ebene [(früher teils) auch Osteuropäisches Flachland bzw. -Tiefland genannt] umfasst als sehr weit ausgedehnte Großlandschaft, welche die größte einheitlich gegliederte Landschaftsform Europas darstellt, die Gebiete westlich des Urals in Osteuropa“ http://www.biologie.de/cms/biocontent/Osteurop%C3%A4ische_Ebene [26.10.2008] 13 vgl. http://www.in-europa-reisen.de/osteuropa-urlaub.php [07.10.2008] 14 vgl. http://lexikon.meyers.de/wissen/Osteuropa+%28Topografische+Artikel%29 [20.10.2008] 15 vgl. http://www.in-europa-reisen.de/osteuropa-urlaub.php [07.10.2008] 16 vgl. http://www.in-europa-reisen.de/osteuropa-urlaub.php [07.10.2008] 19 politische Definition und diese umfasst die ehemals kommunistischen Länder Europas. Diese Länder lagen aus politischer Perspektive jenseits des Eisernen Vorhangs und stellten somit die Trennlinie zwischen den osteuropäischen und den westlich gelegenen Staaten und dem sogenannten Westen dar und wurden als Ostblockstaaten bezeichnet. Zu beachten ist, dass aus politischer Sicht heute Staaten wie Polen, Tschechien und Ungarn nicht mehr zu Osteuropa gezählt werden, sondern als Ostmitteleuropa oder Mitteleuropastaaten bezeichnet werden17. Diese werden als Mittel- und osteuropäische Staaten bzw. Länder (MOEL) zusammengefasst. Damit werden die Staaten östlich der EU-15 bezeichnet, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Transitformationsländer dem Westen Europas zugewandt haben (Rückkehr nach Europa) (vgl. Bergmann, 2004, S. 545). In meiner Diplomarbeit beziehe ich mich ausschließlich auf Personen, die in den mittelosteuropäischen Ländern (MOEL) geboren wurden. Der Begriff MOEL beinhaltet alle Herkunftsländer meiner Interviewpersonen, unabhängig davon, ob sie der Europäischen Union angehören oder den Status eines Beitrittslandes besitzen. Der Fall des Eisernen Vorhanges stellte in den Jahren 1989/90 ein großes Ereignis dar und führte zu einer politischen Neuordnung des Kontinents im Zuge der Erweiterungspolitik der EU (EU-Osterweiterung). Seither steht es Bewohnern aus ehemals kommunistischen Staaten frei in den Westen zu reisen und Migration ist auch einfacher geworden. Der Begriff Osterweiterung wird mit dem Begriff Ostblock gleichgesetzt und ist psychologisch betrachtet negativ besetzt. Vor allem „in der Medienberichterstattung herrschte nach der ersten Osterweiterung ein Bild vom wilden Osten bzw. vom Osten als Bedrohung, das durch Berichte von kriegerischen Auseinandersetzungen, Migration, organisierter Kriminalität und Billigkonkurrenz genährt wurde“ (Brix et. al., 2007, S. 311). Der langjährige Politiker und Jurist Erhard Busek (2002, S. 3) geht folgendermaßen auf den Begriff Osten ein: 17 vgl. http://www.in-europa-reisen.de/osteuropa-urlaub.php [14.10.2008] 20 „In der Zeit meiner Kindheit und Jugend war der Osten für einen Wiener klar definiert: Es war das sowjetische Imperium, das bis 1955 meine Heimatstadt, Niederösterreich, das nördliche Burgenland und das Mühlviertel kontrollierte und jenseits des Eisernen Vorgans seine Fortsetzung fand, um sich in den Tiefen Asiens zu verlieren. (...) ,Der Osten ist rot’ war eines jener vereinfachenden Schlagworte, dessen sich die Welt des Kalten Krieges bediente und irgendwie wahrscheinlich auch als Entschuldigung dafür galt, dass man kein besonderes Interesse am Osten hatte, ja froh war, sich auf diese Weise eine Auseinandersetzung zu ersparen.“ Dieses Zitat zeigt deutlich, dass der Begriff Osten aus psychologischer Sicht emotional stark besetzt (gewesen) ist und eine abwertende Haltung sowohl in der Literatur als auch in der Medienberichterstattung aufweist oder zumindest aufgewiesen hat und daher psychische Spannungen verursachen kann. Ergebnisse von internationalen Wanderungen nach Österreich wurden von Fassmann (2007), der unter anderem in der Migrationsforschung tätig ist, im Österreichischen Migrations- und Integrationsbericht erstellt. Er belegt, dass die österreichische Bevölkerung von 2002 bis 2005 hauptsächlich durch internationale Wanderungen zugenommen hat. Jedes Jahr wächst die Bevölkerung Österreichs um ca. 40.000 Personen, welche aus den Nachbarstaaten zuwandern (vgl. Fassmann, 2007, S. 157 f.). Die aktuellsten Jahresergebnisse wurden am 1. Januar 2008 von der Statistik Austria ermittelt, in der festgehalten wird, dass rund 10,3% der Gesamtbevölkerung mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Österreich leben. Die folgende Statistik, die 2008 von Statistik Austria erstellt wurde, gibt Auskunft über das jeweilige Geburtsland der Zuwanderer, über den Gesamtanteil an der Bevölkerung in Österreich bzw. Wien, über Personen, welche die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und den gesamten Ausländeranteil in Österreich und im Bundesland Wien. In der ausgewählten Statistik18 werden nur jene Staaten, aus denen die Interviewpartner stammen, angeführt und somit Datenmaterial darstellen, das für die vorliegende Forschungsarbeit relevant ist. Jene Stellen sind 18 Die vollständige Statistik ist unter verfügbar: http://www.statistik.at/web_de/statistiken/bevoelkerung/bevoelkerungsstruktur/bevoelkerung_nach_st aatsangehoerigkeit_geburtsland/023841.html [17.10.2008] 21 kursiv geschrieben. Bevölkerungsstatistik: Österreich und Bundesland Wien aufgeschlüsselt nach dem Geburtsland. Stand: 1.1.2008 Geburtsland Österreich Wien Insgesamt 8331930,0 1677867,0 Österreich 7066507,0 1178363,0 Ausland 1265423,0 499504,0 Polen 57301,0 37293,0 Tschechische Republik 50525,0 21103,0 Rumänien 54476,0 16709,0 Bosnien und Herzegowina 133023,0 33268,0 Mazedonien, ehem. jug .Rep. 17496,0 7978,0 Serbien und Montenegro 189578,0 102560,0 Ukraine 6604,0 3073,0 Keine Angabe / unbekannt 9236,0 1463,0 STATISTIK AUSTRIA, Statistik des Bevölkerungsstandes. Erstellt am: 19.05.2008. Diese Statistik wurde ausgewählt, weil sie veranschaulicht, wie viele Personen aus dem ehemaligen Ostblock stammen bzw. aus Mittel- und Osteuropa zur Zeit in Österreich leben. In Kapitel 5.1.1. wird eine vollständige Übersicht der Interviewpartner gegeben werden, die unter anderem Auskunft über deren Herkunftsländer gibt. In der oben angeführten Statistik fällt auf, dass aktuelle Zuwanderungszahlen aller Geburtsländer der Befragten ermittelt wurden, aber der Staat Albanien fehlt und deshalb wurden aus Albanien stammende Personen unter 22 die Kategorie Keine Angabe/unbekannt eingeordnet. Wie im Kapitel Migration beschrieben wurde, wandern Menschen wegen Pushund Pullfaktoren ab. Meistens sind beide Faktoren daran beteiligt, wenn Menschen sich entschließen, in ein anderes Land zu ziehen. Wenn existentielle Bedürfnisse der Menschen (Nahrung, Kleidung usw.) nicht befriedigt werden, kann das Anlass zur Migration sein (Push-Faktor). Bei Menschen die aus mittel- und osteuropäischen Ländern (MOEL) stammen, darf angenommen werden, dass ein Faktor der Migration die materielle Attraktivität des Ziellandes darstellt. Im nächsten Abschnitt werden die Begriffe Materialismus und Wohlstandsgesellschaft beschrieben. 23 3. Materialismus Zuerst wird der Begriff Materialismus erklärt werden. Er bezeichnet sowohl eine philosophische Richtung als auch eine Lebenseinstellung. Im nächsten Unterkapitel wird der Begriff Wohlstandsgesellschaft dargestellt. 3.1. Definition des Begriffs Materialismus Laut Duden (2005, S. 639) werden mit dem Begriff Materialismus zwei unterschiedliche Inhalte bezeichnet: 1. eine philosophische Lehre und 2. das "Streben nach bloßem Lebensgenuss ohne ethische Ziele u. Ideale". Der Begriff Materialismus stammt aus dem Lateinischen und bezeichnet eine Grundrichtung der Philosophie, „die davon ausgeht, dass die gegenständliche und die geistige Wirklichkeit ausschließlich aus Materie bestehen oder auf materielle Prozesse zurückzuführen sind“ (Klein & Schubert, 2006, S. 192). Durch das materialistische Denken entstanden wesentliche Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften. Diese unterstützten religionskritische und philosophischatheistische Einstellungen und stehen im Gegensatz zum Idealismus (vgl. Klein & Schubert, 2006, S. 192). Alltagssprachig wird ein Mensch als materialistisch bezeichnet, wenn er nach Wohlstand und materiellem Besitz strebt. Meistens ist der Begriff negativ gemeint. Das heißt, dass Menschen, die als Materialisten bezeichnet werden, als genusssüchtig gelten. Ethische Werte gelten für diese Menschen nicht, wenn sie ihren Zielen im Weg stehen. Sie streben nach materiellem Besitz. In der Philosophie wird diese Haltung als ethischer Materialismus bezeichnet. Unter ethischem Materialismus wird die Befriedigung von materiellen Bedürfnissen verstanden, der im Gegensatz zum ethischen Idealismus steht, welcher die 24 geistigen Werte, zu denen die Würde, die Freiheit und die Einsicht zählen, als erstrebenswert auffasst19. Es zeigt sich, dass Menschen in den westlichen Gesellschaften in zunehmendem Maße nach Anhäufung von materiellen Gütern streben. Richard David Precht (2007, S. 350) schreibt, „dass nicht nur unsere (Anm.: westliche Gesellschaft) Mentalität, sondern unser ganzes Gesellschaftssystem sehr weitgehend auf dieser materiellen Orientierung aufbaut“. Als Werte gilt Wohlstand, der ständig durch wachsenden Reichtum an Gütern gesichert werden muss. Ein Leben, das aus Gegenständen besteht und wo Erfolg an einem immer höheren Stand materiellen Überflusses gemessen wird. „Unsere Generation ist so von Torheit besessen, dass sie nur noch in einer materialistischen Welt lebt, unlösbar gekettet an den Fluss der Atome, an den Strom des Bewusstseins, sich selbst ohne Kategorien und ohne Wertvorstellungen betrachtend“ (Schaeffer, 1973, S. 43). Das heißt, dass Wertvorstellungen keinen Platz im zeitgenössischen Denken haben, weil alles in einer Welt gefangen ist, die nur das akzeptiert, was materiell ist. Absolute moralische Grundsätze und Begriffsinhalte wie Sinn und Werte sind auf der Basis einer rein materialistischen Philosophie nicht überzeugend zu begründen. Dies soll an einem Zitat von dem Schweizer Wissenschaftler und Philosophen Francis A. Schaeffer, gezeigt werden. Er schreibt zu diesem Problem: „Das Problem ist nicht nur eins der Sprache, sondern der Wirklichkeit: Was wird allem Seienden Einsicht und Sinn verleihen? Jean – Paul Sartre (geb. 1905), der französische Existentialist, machte in unserer eigenen Generation auf dieses Problem aufmerksam. In seiner Konzeption ist ein endlicher Punkt absurd, falls er keinen unendlichen Bezugspunkt hat. Das läßt sich am einfachsten im Bereich der Moral begreifen. Wenn es keinen absoluten moralischen Maßstab gibt, dann lässt sich nicht endgültig sagen, ob etwas gut oder böse ist. Mit absolut meinen wir hier etwas, das immer gilt, das immer einen endgültigen Maßstab liefert, 'ein Allgemeines'. Es muß [sic] ein Allgemeines geben, wenn es Moral geben soll, und es muß ein Allgemeines geben, wenn es wirkliche Werte geben soll. Wenn es jenseits der menschlichen Gedanken kein Allgemeines gibt, dann gibt es keine letzte Instanz, an die man sich wenden könnten, wenn die moralischen Entscheidungen verschiedener Einzelner und Gruppen miteinander in Konflikt geraten. Es bleiben lediglich widersprüchliche Meinungen, von denen eine so gut wie die andere ist“ (Schaeffer, 2000, S. 141). 19 vgl. http://lexikon.meyers.de/wissen/Materialismus+%28Sachartikel%29 [23.01.2009] 25 Auch der französische Philosoph Guy Debord kritisiert mit seinem 1967 erschienen Buch Die Gesellschaft des Spektakels, dass das Spektakel der Moment ist, in der „die Ware zur völligen Besetzung des gesellschaftlichen Lebens gelangt ist. Das Verhältnis zur Ware ist nicht nur sichtbar geworden, man sieht sogar nichts anderes mehr: „Die Welt, die man sieht, ist seine Welt“ (1967, Debord, S. 35). Unter anderem bezeichnet Debord (1967, S. 35), dass „nicht nur die Arbeit, auch der Konsum ... zur „Pflicht“ für die „Massen“ geworden (sei), das ganze Leben ... beherrscht (werde) von der „Diktatur“ der „Wirtschaftsproduktion“. Hier wird ersichtlich, dass nicht nur die Arbeit sondern das endlose Streben nach materiellen Gütern für das Leben in der westlichen Gesellschaft selbstverständlich geworden ist. Debord geht so weit, dass er behauptet, dass es zur Pflicht geworden ist, zu konsumieren. Der moderne Mensch muss Konsument sein. Weigert er sich, wird er als Aussteiger bezeichnet. Diese Sichtweise oder Vorgabe lässt Werte wie Moral nicht gelten, weil für sie kein Allgemeines gefunden werden kann. Es hat sich ein Menschenbild entwickelt, das durch materielle Aspekte geprägt ist. „Ein Menschenbild ist eine bestimmte Vorstellung über den Menschen, die aus Annahmen und/oder Erkenntnissen zu seinem Wesen besteht“ (Hesch, 1997, S. 6). Das heißt, dass Grundannahmen über das Wesen Mensch bestehen. Diese sind zum Beispiel durch religiöse, gesellschaftliche usw. Einstellungen beeinflusst. „Das Menschenbild ist der begriffliche Rahmen, auf dessen Basis menschliches Tun beschrieben wird und der fundamentale Wert definiert. Damit liefert das Menschenbild zugleich ein grundlegendes Erklärungsmodell und einen Rahmen für die Entwicklung konkreter Handlungsstrategien“ (König, 2005, S. 34). Dieses Zitat lässt die Interpretation zu, dass das Streben von Menschen nach materiellen Gütern in einer Gesellschaft, in der der Besitz von Häusern, Autos usw. einen Wert darstellt, als positive Tat beschrieben wird. Wie sich gesellschaftliche Einstellungen in Wohlstandsgesellschaften äußern, soll im nächsten Kapitel gezeigt werden. 26 3.2. Die Wohlstandsgesellschaft Es wird zwischen absoluter und relativer Armut unterschieden. Mit absoluter Armut ist der Mangel an lebensnotwendigen Dingen wie Nahrung, Wohnung, Kleidung gemeint. Mit relativer Armut wird der momentane Lebensstandard einer Gesellschaft bezeichnet (vgl. Wolski-Prenger, 1993, S. 40). Es stellt sich die Frage, wie weit Wohlstandsgesellschaften darauf Einfluss haben, dass verhindert wird, dass Menschen in absoluter Armut leben. Aber es ist zu beachten, dass in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhundert ein Konzept entwickelt wurde, dass das Bruttosozialprodukt eines Landes misst und zum Maßstab für den Wohlstand wurde. Es wurde eigentlich mit der Absicht entwickelt, den Arbeitsmarkt besser einschätzen zu können (vgl. Layard, 2005, S. 151). Nur Wohlstand darf nicht mit Wohlbefinden verwechselt werden. Precht schreibt, dass für Glücksökonomen Arbeitslosen- und Scheidungsraten besser über das Wohlbefinden der Bevölkerung Auskunft geben als das Bruttosozialprodukt (vgl. Precht, 2007, S. 351). Aber was macht eine Gesellschaft zu einer Wohlstandsgesellschaft? Mayers Lexikon20 bezeichnet eine Wohlstandsgesellschaft, als eine Gesellschaft „die dem überwiegenden Teil der Bevölkerung die Befriedigung materieller Bedürfnisse weit über dem Existenzminimum sowie umfassende Möglichkeiten des Konsums ermöglicht ..., während wirtschaftliche und soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit, gesellschaftliche Desintegration, Armut und eingeschränkte Konsummöglichkeiten lediglich als Randgruppenphänomene in Erscheinung treten“. Aus gesellschaftskritischer Perspektive werden Wohlstandsgesellschaften, weitestgehend auf die westlichen Industriestaaten beschränkt und auch als Überflussgesellschaften beschrieben21, wie auch Wolfgang Ullrich (2006) in seinem Buch Habenwollen – Wie funktioniert die Konsumkultur? beschreibt. Macht das überdurchschnittliche Bruttosozialprodukt im Vergleich zu anderen Gesellschaften, die Gesellschaft glücklich? Dazu schreibt Schneider (2007, S. 16), dass der steigende Wohlstand einer Gesellschaft das Wohlbefinden einer Gesellschaft nicht 20 21 http://lexikon.meyers.de/beosearch/quote.action?pageId=54059785 [23.01.2009] vgl. http://lexikon.meyers.de/beosearch/quote.action?pageId=54059785 [23.01.2009] 27 vermehrt, aber der Vergleich mit den Nachbarn oder den Kollegen, mehr zu verdienen als mein horizontaler Vergleich, eine Urtatsache menschlichen Zusammenlebens ist (vgl. Schneider, 2007, S. 16). Das hat ein Experiment, welches 2003 an der Cornell-Universität im Staat New York durchgeführt wurde, bestätigt. Es wurden 100.000 Testpersonen gefragt, ob sie „lieber 100.000 Dollar im Jahr verdienen, wenn alle Vergleichspersonen nur 80.000 bekämen – oder 150.000, also 50.000 mehr, wenn die anderen es auf 200.000 brächten? Die Mehrzahl entschied sich für den ersten Weg: Lieber verzichten sie auf 50.000 Dollar, als unter Reicheren der Ärmere zu sein“ (Schneider, 2007, S. 16f.). Hier wird ersichtlich, dass eine Person sich nur dann zufrieden fühlt, wenn er genau so viel verdient, wie der mit dem er sich vergleicht (vgl. Schneider, 2007, S. 17). Schneider (vgl. 2007, S. 17) bezeichnet diesen Vorgang als Wohlstandsparadox oder auch die Hedonic Treadmill, so wie es auch von amerikanischen Sozialforschern bezeichnet wird. Nur zu beachten ist, wenn die anderen Personen wohlhabender werden, muss umso heftiger in die Mühle getreten werden (vgl. Schneider, 2007, S. 17). Das Wirtschaftswachstum, das die meisten Staaten als ihr Lebenselixier betrachten, trägt also zum Ideal des „größten Glücks der größten Zahl“ überhaupt nicht bei“ (Schneider, 2007, S. 17), weil dieses Wohlstandsparadox herrscht. Eine negative Auswirkung durch den ständigen Vergleich mit anderen ist der zunehmende Stress, mehr verdienen zu müssen als mein Nachbar oder Kollege. Das äußert sich in Unzufriedenheit. Materielles Streben erzeugt, schreibt Precht (2007, S. 351), „einen dauerhaften Zustand der Unzufriedenheit, in dem kein nachhaltiges Glück entstehen kann“. Im nächsten Kapitel wird die Aussage von Precht überprüft werden. Wie definieren Glücksökonomen wie zum Beispiel M. E. P. Seligmann und Alfred Bellebaum Glück? Welche Faktoren für Glück nennen sie? 28 4. Glück Sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. So heißt es im Märchen. Wer erst einmal die böse Stiefmutter oder Räuber überwunden hat, dem winkt ein zufriedenes Leben durch dauerhaftes und beständiges Glück. Aber ist dieser beneidenswerte Zustand nur Märchenfiguren vorbehalten? Ist Glück so märchenhaft, dass es uns nur selten zufällt oder ist jeder seines Glückes Schmied? Doch was ist Glück? Diese Frage lässt sich aus vielen Blickwinkeln betrachten und so sind unter den Autoren, die sich bis dato mit der Thematik des Glücks auseinander setzten, Philosophen, Psychologen, Theologen, Literaturwissenschaftler, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler sowie Physiker und Mediziner vertreten. Zu diesen zählen unter anderem der Glücksforscher Alfred Bellebaum, M. E. P. Seligmann, Mihály Csikszentmihályi, der das Flow-Erleben22 1975 beschrieb oder auch der britische Psychologe Richard Layard. Mihaly Csikszentmihalyi hat in Langzeitstudien nachgewiesen, wie Menschen mehr Flow in ihr Leben bringen. In verschiedenen Büchern, wie auch in seinem aktuellsten Flow - Der Weg zum Glück (2006), hat er seine Studien veröffentlicht. Uwe Jean Heuser und Rüdiger Jungbluth veröffentlichten 2007 in Die Zeit den Artikel Schneller? Reicher? Glücklicher!23 In diesem Beitrag werden unterschiedlichste Forschungsergebnisse der Glücksforschung zusammengefasst darstellt. Im nächsten Kapitel auf die Definition von Glück eingegangen werden. Es ergibt sich die Notwendigkeit, eine Differenzierung der verschiedenen Glücksbegriffe vorzunehmen, weil unzählige Definitionen bzw. Modelle über Glück zu finden sind. Ich habe mich entschieden, Glück anhand des Modells von Philipp Mayring zu definieren, das vier Faktoren von subjektivem Wohlbefinden beinhaltet: Belastungsfreiheit, Freude, Zufriedenheit und Glück. „Der Flow, das sind Augenblicke, in denen Menschen vollständig in ihrem Tun aufgehen“ (Csikszentmihalyi, 1975, S. 19). 23 vgl. http://www.zeit.de/2007/28/Gl-ck_1?page=1 [12.12.2008] 22 29 4.1. Definition von Glück „Ursprünglich leitet sich Glück vom mittelhochdeutschen ,Gelücke’ ab und in weiterer Folge von ,gelingen’, das sich wiederum von ,leicht’ ableitet. Glück ist also ursprünglich das Gelungene, leicht Erreichte“24. Das Streben nach Glück wurde bereits in der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1794 als Menschenrecht definiert. Im nordamerikanischen Raum finden sich vermutlich deswegen mehr Glücksforscher als in Europa. Laut Harald Hutterer25 ist es zunächst wichtig, „zwischen Glück haben und glücklich sein zu unterscheiden. Im Englischen ist es einfach, da es zwei verschiedene Begriffe gibt: luck and happiness. Im Deutschen treten da leicht Missverständnisse auf. ... In manchen Studien würden angegrenzte oder verwandte Termini benutzt werden, wie etwa: angenehmes Leben, gutes Leben, Lebensqualität, Zufriedenheit, subjektives Wohlbefinden“ (Bellebaum, 2002, S. 9). Nach Philipp Mayring (vgl. 2000, S. 54f.) ist Glück einer der vier Faktoren von subjektivem Wohlbefinden. Zu den Faktoren gehören: 1. die Belastungsfreiheit, womit der Zustand der Unbeschwertheit gemeint ist. 2. Die Freude, die eine konkrete, kurzfristige Situation darstellt und einen emotionalen Zustand des Sich-gut-Fühlens auslöst. 3. Die Zufriedenheit, die einen kognitiv gesteuerten Befindungszustand und ein Produkt von Abwägungs- und Vergleichsprozessen darstellt und letztendlich 4. das Glück, dass einen intensiven Wohlbefindungszustand, der die ganze Person ergreift und länger andauert als Freunde und dadurch auf ein allgemeines Lebensgefühl basiert. Tal Ben-Shahar (2007, S. 18), ein Psychologe, der in Harvard das Fach Glück unterrichtet, bezeichnet hingegen Glück „nicht als Endzustand, sondern als ein 24 25 vgl. http://www.work-life-society-happiness.net [13.03.2008] http://www.work-life-society-happiness.net [13.03.2008] 30 Ziel, das man nie vollständig erreichen wird. Denn was käme danach?“ Daraus schließt Tal Ben-Sharar, dass es Menschen, die entweder glücklich sind oder nicht oder dass ein äußeres Ereignis plötzlich glücklich macht, nicht gibt. „Glück ist ein kontinuierlicher Prozess“ (Tal Ben-Shahar, 2007, S. 20) und es reiche auch nicht als „Hedonist durchs Leben zu gehen, wir brauchen einen Sinn. Ein glückliches Leben ist aber nicht etwa ein Leben, in dem wir ein kontinuierliches Hoch erleben“ (Tal Ben-Shahar, 2007, S. 20). Glück für Tal Ben-Sharar setzt also voraus, dass ein Mensch Sinn in seinem Leben findet. Aber auch Menschen, die einen Sinn gefunden haben, sind nicht endgültig glücklich, sondern müssen diesen Zustand immer wieder anstreben. Er sagt seinen Studenten unter anderem, dass er hofft, dass sie öfters scheitern, „(d)enn wir lernen aus Fehlern“ (Tal Ben-Shahar, 2007, S. 20) und dadurch würden wir einen Sinn für positive Gefühle entwickeln. Dass der Begriff Glück (im Sinne von Glück empfinden) sehr verschieden verstanden werden kann, liegt wohl auch daran, dass unterschiedliche Fachrichtungen wie Psychologie, Philosophie, Medizin/Neurobiologie, Etymologie/ Sprachwissenschaften und die Pädagogik, sich mit seiner Definition beschäftigen. Im folgenden Kapitel wird eine Einführung in die Glücksforschung sowie über ihre Methoden und Ergebnisse gegeben werden. 4.2. Glücksforschung Glücksforschung ist die Erforschung der Bedingungen, unter denen sich Menschen als glücklich bezeichnen und/oder glücklich sind (vgl. Enzyklopädie der Psychologie, 2006, S. 88). Ziel der Glücksforschung ist es, herauszufinden, was Glück fördert oder hemmt, um daraus Handlungsempfehlungen ableiten zu können, z. Bsp. in der Wirtschaftspolitik für Unternehmen. So soll durch Schaffung von Rahmenbedingungen, die Zufriedenheit der Mitarbeitern am Arbeitsplatz erhöht werden. Für den Einzelnen stellt Layard (vgl. 2005, S. 45) fest, dass in den westlichen Industrieländern der Wert an sozialen Kontakten und Mitmenschlichkeit das Glück eher erhöht als ein Mehr an materiellen Gütern. Aber es stellt sich die 31 Frage, ob man Glück überhaupt messen kann oder ob Glück nur ein subjektives Empfinden ist, auch weil sich die Psychologie erst seit einigen Jahren mit der Erforschung von positiven Gefühlen beschäftigt (vgl. Seligmann, 2005, S. 32). Um die Methoden der Glücksforschung zu erklären, werden im nächsten Kapitel die Disziplinen zusammengefasst dargestellt werden, die es sich zur Aufgabe gestellt haben, die Bedingungen des Glücklichseins zu erforschen. 4.3. Methoden der Glücksforschung Um einen groben Überblick zu geben, werden zuerst die verschiedenen Disziplinen, die sich mit der Glücksforschung beschäftigen, aufgezählt und die relevanten Disziplinen für die vorliegende Diplomarbeit genauer erläutert werden. Die Sozialwissenschaftliche Glücksforschung möchte anhand von Befragungen feststellen, unter welchen Vorraussetzungen oder Bedingungen Menschen mehr oder weniger glücklich sind und verschiedene Glücksindikatoren ermitteln. Layard (vgl. 2005, S. 32) vertritt die Ansicht, dass die Hauptaufgabe der Sozialwissenschaften darin bestehen sollte herauszufinden, was Glück fördert oder hemmt. Auch der amerikanische Professor Edward Diener (vgl. Ernst, 2007, S. 24) vertritt diese Ansicht und dass sich das Glücksempfinden auf die gesamte Lebensführung auswirkt. Daher kann es für Nationen sinnvoll sein, das subjektive Wohlbefinden ihrer Bürger zu beobachten und zu messen (vgl. Ernst, 2007, S. 26). Auch die durchgeführte Studie von Bergheim (vgl. 2006, S. 54) zeigt, dass OECDLänder (Australien, Dänemark, Großbritannien, Irland, USA) die Forderungen, die die World Commission on Environment and Development 1987 formulierte, dass neue Wege beschritten gehören, um den nachhaltigen Fortschritt von Ländern zu messen und zu bewerten, erfüllte. Diese Länder setzten sich intensiv mit der Frage, was für das Wohlergehen der Bürger wichtig ist, auseinander. Dazu schreibt die amerikanische Psychologin Sonja Lyubomirsky (vgl. 2008, S. 14), dass Umfragen nicht in der Lage seien, die Frage zu beantworten, was zuerst komme: das Glück oder dessen Begleitumstände? Außerdem gäbe es Beobachtungen, dass Menschen mit starken sozialen Bindungen glücklicher sind 32 als der Durchschnitt, aber keine Auskunft darüber, ob Freunde glücklich machen oder glückliche Menschen leichter Freunde gewinnen. Die größte Auswahl an Arbeiten auf dem Gebiet der Glücksforschung findet sich an der Erasmus Universität Rotterdam, die von Ruut Veenhoven geleitet wird: die World Database of Happinee (http://worlddatabaseofhappinee.eur.nl/). Dort werden alle Forschungsarbeiten fortlaufend systematisiert und aufbereitet. In der Psychologischen Glücksforschung („Positive Psychologie“) ist Michale Argyle, der 1925 geboren ist, einer der ältesten Pioniere der Psychologie des Glücks. Er misst Glücklichsein nicht mit einer einzigen Frage, wie es bei soziologischen Umfragen meistens üblich ist, sondern nach dem Vorbild des Neurotizismus-Tests von Eysenck und Maudsley, der aus einem ganzen Fragenkatalog besteht (vgl. Argyle, 1998, S. 5.). Ein Durchbruch auf dem Gebiet der Glücksforschung ist in den letzten Jahren der Hirnforschung gelungen. Mit neuesten Messtechnologien, wie z.B. der Magnetresonanztomografie (MRT), können mittlerweile positive und negative Gefühle sichtbar gemacht werden (vgl. Bergheim, 2007, S. 5). In der Ökonomischen Glücksforschung wird das Streben nach Glück als eine wirtschaftliche Triebkraft gesehen. Die Marketing-Expertin Anne Schüller verspricht in ihren Kursen, dass, wenn den Kunden Momente des Glücks verschafft werden, man dauerhaft erfolgreich sein wird (vgl. Schüller, 2005, S. 8). Was hier auffällt ist, dass die Wirtschaft ihren Nutzen aus der Vermittlung von Glück zieht und dauerhaftes Erfolgreichsein denjenigen verspricht, die es schaffen, den Kunden glückliche Augenblicke zu ermöglichen. Ein Problem stellt der materielle Vergleich und der Neid auf materielle Güter, die andere Menschen besitzen, in einer Gesellschaft dar. Richard Layard (2005) untersuchte die persönliche Zufriedenheit in Abhängigkeit vom materiellen bzw. Zeit-Reichtum der umgebenden Personen. Es zeigte sich, dass sich die Teilnehmer der Studie deutlich weniger zufrieden fühlten, wenn die Umwelt in materiellen Dingen reicher war, sie aber wenig Neid auf Zeitwohlstand haben. Glenn Firebaugh, Soziologieprofessorin an der State University in Pennsylvania, und Laura Tach, Forscherin an der Havard University, haben in ihrer Studie nun 33 erstmals die Hypothese belegt, dass sich Glück vor allem über den Vergleich mit den Mitmenschen definiert. Sie belegten in ihrer Studie Relative Income and Happiness (Umfragen26 zwischen 1972-2002) die Hypothese, dass Glück vor allem über den Vergleich mit den Mitmenschen definiert wird: „Wer Geld hat ist vielleicht zufrieden, aber nur wer über mehr Geld verfügt als seine Altersgenossen und Kollegen, ist wirklich glücklich“27. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Glück im Sinne von subjektiver Lebenszufriedenheit in den meisten Fällen durch direkte Befragung der Betroffenen erhoben wird. Dabei werden entweder mehrere oder nur eine einzige Frage verwendet. Die Antwortmöglichkeiten können in beiden Fällen unterschiedlich gestaltet sein. In manchen Tests werden offene Fragen gestellt und in anderen Antwortkategorien vorgegeben usw. In der Pädagogik wird das Streben nach Glück mit dem Menschen als einem denkenden, fühlenden, suchenden Wesen unlösbar verbunden, ist meist aber nur latent gegenwärtig, wie Gerhard Mertens (2006) in seinem Buch Balancen Pädagogik und das Streben nach Glück ausführlich beschreibt. Laut Mertens (2006) ist es auch ein Zeichen der Bildung, sein sinnhaftes Dasein zu hinterfragen und zu versuchen, sich auf das sinnhafte Gelingen einzulassen (vgl. Mertens, 2006, Klappentext) Fritz-Schubert. Er führte 2007 das Fach Glück ein, welches von einem Team von Experten entwickelt wurde, das sowohl an der zweijährigen Berufsfachschule Wirtschaft als auch am dreijährigen Wirtschaftsgymnasium unterrichtet wird. Es handelt sich um ein Pilotprojekt von der Willy-Hellbach-Schule in Heidelberg28, das Jugendliche dazu veranlassen soll, sich mit den Fragen: Was bedeutet Glück? und Was brauche ich eigentlich dazu? auseinander zu setzen. Ziel ist es, mit dem Unterrichtsfach Glück zu versuchen, den Schülern Bildung im ursprünglichen Sinn zu vermitteln. Diese umfasst, laut Schubert, zusätzlich zur Vermittlung von Fachwissen die „Förderung von persönlicher Zufriedenheit, Selbstsicherheit, Selbstverantwortung und sozialer Verantwortung“29. Glück ist ein 26 Genaueres über die Umfrage und deren Ergebnisse http://www.sueddeutsche.de/kultur/64/404842/text/ [20.12.2008] 27 http://www.sueddeutsche.de/kultur/64/404842/text/v [20.12.2008] 28 vgl. www.whs.hd.bw.schule.de [26.10.2008] 29 http://www.whs.hd.bw.schule.de [26.10.2008] 34 finden sich unter: Begriff, der in allgemeinen Worten schwer auszudrücken ist, weil er eine Sache des individuellen Erlebens darstellt. Daher sollen Jugendlichen Mittel und Wege gelehrt werden, über das eigene Glücksempfinden nachzudenken und gezeigt werden, wie es sich in ihr Leben integrieren lässt. 4.4. Glück und der materielle Wohlstand Viele Glücksforscher mit unterschiedlichen Vorgehensweisen haben die These: Geld macht nicht glücklich immer wieder begründet, wie auch der Psychologe Richard Layard (2005) in seiner Untersuchung Die glückliche Gesellschaft, in der er übereinstimmend feststellt, dass das Glücksempfinden mit dem Einkommen nur über eine beschränkte Strecke ansteigt. Sobald die Grundbedürfnisse befriedigt sind, entstehe durch mehr Wohlstand nur mehr wenig bis gar kein Zuwachs an Glück. Layard (2005, S. 13) bemerkt auch, dass, „wer unsere westlichen Gesellschaften aufmerksam betrachtet, einen seltsamen Widerspruch fest(stellt). Die meisten Menschen wünschen sich mehr Geld und tun sehr viel dafür, dieses Ziel zu erreichen. Doch obwohl die Menschen im Westen seit Jahrzehnten immer reicher werden, sind sie keineswegs glücklicher geworden. Dies ist kein Ammenmärchen, sondern eine Tatsache, die in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesen wurde. ... Diese Untersuchungen beweisen, dass die Menschen heute nicht glücklicher sind als vor 50 Jahren. Und das, obwohl sich das reale Durchschnittseinkommen in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt hat. Diesem Widerspruch begegnen wir in fast allen Ländern der westlichen Welt, ob in den USA, Großbritannien oder Japan“. Geht man von diesen Thesen aus, könnten auch die Interviews zeigen, dass die Migranten nach anfänglichen Glücksgefühlen, die durch das Mehr an Geld und materiellen Gütern nach ihrer Migration, ausgelöst wurden, nachgelassen haben, weil alle Interviewpartner seit mindestens fünf Jahren in Österreich leben. Laut Bellebaum (vgl. 2002, S. 280) wird das Glücksgefühl von der Selbstdeutung des Einzelnen zutiefst von gesellschaftlich-kulturellen Vorgaben, die zumeist unbedacht bleiben, beeinflusst. Ihm zufolge hängt das Glücksgefühl von der Selbstdeutung des einzelnen Menschen ab und gewinnt erst in einem großen 35 interpretativen Kontext an Kontur. Wie bereits oben erwähnt, sind Menschen nur glücklich, wenn sie über mehr Geld als ihre Altersgenossen verfügen30. Wenn diese These richtig ist, sind Migranten gegenüber ihren Freunden und Verwandten bevorzugt, wenn davon ausgegangen wird, dass die Migranten in Österreich mehr Geld verdienen gegenüber ihren Verwandte und Freunden, die nach wie vor in Osteuropa leben. Das könnte zu einem erhöhten Glücksgefühl beitragen. Aber auch wenn die materiellen Erwartungen sich erfüllen, könnte das die Migranten, sobald sie sich an den österreichischen Standard gewöhnt haben, erneut unzufrieden machen, wenn sie im Vergleich zu ihrer Altersgruppe nicht über mehr Geld verfügen. Meine Interviews sollen dazu beitragen, weitere Einsichten in diesem Bereich zu gewinnen. Viele Menschen unserer Kultur glauben noch immer, dass viele ihrer täglichen Sorgen gelöst wären, wenn sie über mehr Geld verfügen würden (vgl. Argly, 1998, S. 49). Dazu ist anzumerken, dass es sich hier um Menschen handelt, deren Grundbedürfnisse befriedigt sind. Untersuchungen von Lottogewinnern zeigen allerdings, dass ein Gewinn einer großen Geldsumme auf Dauer nicht glücklicher macht (vgl. Bellebaum, 2005, S. 23). Diese Erkenntnis, wie bereits im Kapitel 3.2. erwähnt wurde, wird auch als hedonistische Tretmühle31 bezeichnet. Glück und Geld gehören in gewisser Weise aber doch zusammen. Der Volksmund sagt: „Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt“. In diesem Kontext lasse sich ein geringer, jedoch signifikant positiver Zusammengang zwischen Einkommen und Wohlbefinden feststellen (vgl. Furnham & Argyle, 1998, S. 187). "Je gleichmäßiger das Einkommen verteilt ist, desto glücklicher werden die Menschen eines Landes im Schnitt sein" (Layard, 2005, S. 89). Einkommenszuwächse machen Arme glücklicher, Wohlhabende nicht unbedingt. Diese Aussage begründet Precht (2005, S. 349) wie folgt: „Sind bestimmte Ansprüche erfüllt, wachsen schnell neue Ansprüche nach, während man sich an das, was man hat, schnell als selbstverständlich gewöhnt“. Alle Untersuchungen zeigen, dass die Menschen heute nicht glücklicher sind als vor 50 Jahren, obwohl das wirtschaftliche Wachstum kontinuierlich zugenommen hat (vgl. Seligmann, 30 vgl. http://www.sueddeutsche.de/kultur/64/404842/text/ [20.10.2008] Laut Layard (2005, S. 60) funktioniert die hedonistische Tretmühle so ähnlich wie Alkohol oder Drogen: „Wenn ich eine angenehme Erfahrung gemach habe, dann brauche ich mehr davon, um weiterhin das gleiche Glück zu empfinden“. 31 36 2005, S. 77). Im nächsten Kapitel werden sowohl Gegenstand als auch Zielsetzung der vorliegenden Arbeit erläutert werden. 37 5. Gegenstand und Zielsetzung Die Situation von Migranten in Österreich ist Thema verschiedender wissenschaftlicher Arbeiten und es gibt zahlreiche (empirische) Untersuchungen darüber. Etliche Autoren haben sich mit der Thematik der Glücksforschung, Migration in Österreich und mit der Psychologie des Geldes beschäftigt. Aber wie bereits erwähnt wurde, geht meinen Recherchen zufolge, keine dieser Untersuchungen näher auf den von mir gewählten Forschungsschwerpunkt ein. Im Mittelpunkt meiner Untersuchungen stehen die Fragen nach den finanziellen und materiellen Erwartungen von Migranten in Österreich und wie glücklich sie jetzt mit ihrem Leben sind. Es handelt sich um eine Erhebung anhand von narrativen Interviews, die mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet werden. Die verwendeten Methoden werden in Kapitel 7 beschrieben werden. Als Ergebnis meiner Überlegungen eröffnen sich folgende Themenbereiche und die damit verbundenen Fragen, auf die im Zuge der qualitativen Erhebung eingegangen werden wird: - Wohlstand: Welche finanziellen/materiellen Erwartungen hatten sie an ihr neues Zuhause? - Zukunftsdenken: Was beschäftigt Männer und was Frauen, wenn sie an Ihre Zukunft denken? - Herkunft: Welchen Platz nimmt die Herkunft im jeweiligen Leben des Befragten ein? - Ist-Zustand: Haben sich ihre finanziellen Erwartungen erfüllt? Wie glücklich sind sie jetzt mit ihrem Leben? - Faktoren des Glücks: 38 Welche Faktoren werden von den Befragten zusätzlich angesprochen, auf welche reagieren sie eher nüchtern und auf welche emotional? Im nächsten Kapitel werden die verschiedenen Auswahlkriterien für die Interviewpartner erklärt und anschließend anhand eines Überblicks dargestellt werden. 5.1. Die Auswahlkriterien für die Interviewpartner Insgesamt wurden 10 Migranten im Alter zwischen 25-35 Jahren befragt (5 Männer/ 5 Frauen), die seit mindestens 5 Jahren in Österreich leben, Matura haben und studieren oder bereits ein Studium abgeschlossen haben. Für diese Auswahlkriterien habe ich mich entschieden, da ich zu dieser Personengruppe am ehesten Zugang habe. Das nächste Unterkapitel stellt einen Überblick über die interviewten Personen dar. 39 5.1.1. Überblick über die interviewten Personen Kürzel Geschlecht Herkunft Ausbildung verh./ledig/Kind Jahrgang A W Polen studiert verheiratet, 1978 Pädagogik, ein Kind Uni Wien B W Tschechien Studium: ledig 1980 Studium: verheiratet, 1977 Germanistik, ein Kind Slawistik, Uni Wien C W Ukraine Ukraine D W Serbien Studium: verheiratet 1979 Studium: ledig, 1977 Sportwissenschaft, ein Kind HW, WU Wien E W Ukraine Uni Wien F M Rumänien Studium: ledig 1981 ledig 1982 ledig 1977 ledig 1983 ledig 1983 Kunstgeschichte, Uni Wien G M Bosnien studiert Maschinenbau, TU-Wien H M Albanien Studium: Kriminologie, Albanien I M Tschechien studiert Publizistik, Uni Wien J M Mazedonien Studium: Informatik, TU-Wien Unter den für diese Arbeit interviewten Personen befinden sich sowohl welche, die emigrierten (politische Beweggründe, Krieg) als auch welche, die wegen des 40 Studiums nach Österreich gekommen sind. E wanderte z. Bsp. ab, weil sie in ihrer Heimat (Tschechien) keine Arbeit finden konnte. C lernte in der Ukraine ihren Mann kennen und übersiedelte deshalb nach Österreich. G flüchtete mit seinen Eltern als Schulkind, weil Krieg in Bosnien herrschte. Es finden sich unter den interviewten Personen somit welche, bei denen die Push-Faktoren ausschlaggebend gewesen sind, aber auch Leute, die durch die sogenannten PullFaktoren emigrierten. Es finden sich auch verschiedene Migrationsmuster wie z. Bsp. Abwanderung bzw. Arbeitsmigration (E) und Emigration (G). 5.1.2. Vorbereitung für die Interviewpartner Bevor ich mit dem Interview begonnen habe, stellte ich in ein paar Sätzen meine Diplomarbeit vor, um dadurch eine Einführung in das Thema zu geben und habe Begriffe, die auf Anhieb möglicherweise nicht verstanden werden, wie z. Bsp. Narratives Interview, erklärt. Dadurch erhielten die Kandidaten vorweg einen groben Überblick über meine Diplomarbeit, warum gerade sie ausgewählt wurden und auch darüber, warum diese Befragung im Rahmen von Pädagogik durchgeführt wird. Die Aussagen der Befragten werden nach der Methode des narrativen Interviews miteinander verglichen werden. Diese wird im folgenden Abschnitt beschrieben werden. 41 6. Methode der Datenerhebung 6.1. Das narrative Interview Das von Schütze (1977) eingeführte narrative Interview ist eine Spezialform des qualitativen Interviews. Es zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass weder die Fragen vorab formuliert sind, noch dass deren Anordnung vorgeschrieben ist, was starre Strukturen im Interview vermeidet. Hierzu schreibt Schütze, dass Befragte, die frei erzählen, „gegebenenfalls auch Gedanken und Erinnerungen preisgeben, die sie auf direkte Fragen nicht äußern können oder wollen“ (Schütze, 1987, S. 10). Es handelt sich dabei um eine weitgehend offene Gesprächstechnik, bei der der Interviewer anregend-passiv bleibt und der zu Interviewende die aktive Steuerung des Gesprächs übernimmt. Der Interviewer beschränkt sich im Laufe des Interviews darauf, nur wenige und eher allgemein gehaltene Fragen zu stellen, die dazu anregen sollen, den Befragten frei erzählen zu lassen (vgl. Schütze, 1987, S. 9). Auch Mayring (1999, S. 18) beschreibt in seinem Buch Einführung in die qualitative Sozialforschung, dass die Grundidee dieser Methode darin besteht, dass subjektive Bedeutungsstrukturen zutage treten, die sich im freien Erzählen über bestimmte Ereignisse herausschälen, sich aber einem systematischen Abfragen verschließen würden. Auch im Alltag spielen Erzählungen eine wesentliche Rolle. Dabei berufe ich mich auf Wiedemann (1986), der Erzählungen, als „natürliche, in der Sozialisation eingeübte Diskursverfahren, mit denen sich Menschen untereinander der Bedeutung von Geschehnissen ihrer Welt versichern“ (Wiedemanm, 1986, S. 24), erklärt. Im narrativen Interview werden also die Interviepartner aufgefordert, zu einem bestimmten Thema eine Geschichte aus ihrem Leben zu erzählen. Der Interviewer greift während der Erzählung nicht ein. Nur, wenn der rote Faden der Geschichte verloren geht, schreitet er ein. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, ist der Grundgedanke beim narrativen Interview, dass durch das freie Erzählenlassen von Geschichten der Interviewer zu subjektiven Bedeutungsstrukturen gelangt, die sich bei systematischer Befragung nicht zeigen würden und dass „die Strukturierung 42 des Gesprächs durch den universellen Ablaufplan von Erzählungen (geschieht), den der Interviewer unterstützt“ (Mayring, 1999, S. 55). Das narrative Interview lässt sich in drei zentrale Teile gliedern: Phase 1: Zwischen Interviewtem und Interviewer wird zu klären versucht, unter welchen Aspekten selbsterlebte Ereignisse erzählt werden sollen. Die Eingangsfrage wird vorgestellt. Diese ist sehr wichtig, weil sie auschlaggebend dafür ist, dass das Gespräch nicht ausufert und eventuell anvisierte Gegenstände des Gesprächs verfehlt werden. Phase 2: Hier beginnt die eigentliche Erzählphase des Interviewten. Das Erzählte kann durchaus von Schweigen und Pausen unterbrochen werden, sie darf aber erst dann als beendet gelten, wenn der Befragte es tatsächlich so meint. Die Rolle des Interviewers beschränkt sich auf interessiertes Zuhören. Phase 3: Auf den Abschluss der Erzählung folgt eine Nachfragephase, falls diese erforderlich ist. In dieser sollen, wenn möglich, noch offen gebliebene Fragen oder Widersprüchlichkeiten in der Erzählung geklärt werden. Auch hier wird auf die narrative Kompetenz des Befragten zurückgegriffen (vgl. Mayring, 1999, S. 55ff.). Am Ende des narrativen Interviews wird das vorhandene Material, welches meistens auf Tonbandaufnahmen festgehalten wird, transkribiert. Für diese Arbeit wurden die Interviews mit dem Programm Express Dictate auf einen Laptop aufgenommen und mit Express Scribe transkribiert. Das narrative Interview eignet sich für Thematiken mit starkem Handlungsbezug. Wenn es um die Erschließung von subjektiven Bedeutungszusammenhängen geht, die schwer direkt abfragbar sind, oder um unerforschte Gebiete, wird das narrative Interview verwendet. Bei dieser Methode wird immer nur eine Person befragt, wobei man sich genau auf die subjektiven Bedeutungsstrukturen des einzelnen einlassen kann, denn viele Einstellungen oder Meinungen sind stark an soziale Zusammenhänge gebunden. Mayring (1999) schreibt, dass, wenn man im Einzelinterview Menschen z. Bsp. nach ihren antisemitischen Vorurteilen fragt, es sehr schwierig ist, Antworten darauf zu erhalten. In einer Gruppe von 5-15 Menschen könnte es leichter passieren, dass sich ein Gespräch „hochschaukelt und die Vorurteile und Ideologien offenbart werden“ (Mayring, 1999, S. 58, vgl. 43 Studie von Pollock, 1955). 120 Gruppen mit insgesamt 1800 Personen aus Deutschland diskutierten über die Nazi-Vergangenheit und die demokratische Gegenwart der BRD und es zeigte sich, dass in einem großen Teil des Materials Ideologien und Vorurteile zu finden waren. Diese sozialwissenschaftliche Methode (Gruppendiskussion) wurde vom Frankfurter Institut für Sozialforschung entwickelt, das auch diese Studien durchgeführt hat (vgl. Studie von Pollock 1955). Es wird davon ausgegangen, dass subjektive Bedeutungsstrukturen so stark in soziale Zusammenhänge eingebunden sind, dass sie nur in Gruppendiskussionen erhebbar sind, weil psychische Strukturen durchbrochen werden können, „um auch zu kollektiven Einstellungen und Ideologien zu gelangen“ (Mayring, 1999, S. 58). Trotz der Vorteile von Gruppenbefragungen ist das Ziel meiner Studie, zu subjektiven Bedeutungsstrukturen zu gelangen, die in engem Zusammenhang mit der Biografie der Befragten steht. Es ist die Lebensgeschichte von einzelnen Personen gefragt, um deren ganz persönliche Einstellungen, Erwartungen und Wahrnehmungen erfassen zu können. Die narrativen Interviews mit Migranten aus Osteuropa wurden mit dem Impuls: Ob das Mehr an Geld und materiellem Gut glücklich macht durchgeführt. Die Einstiegsfrage lautete ursprünglich: Was waren Ihre finanziellen und materiellen Erwartungen an Österreich und inwiefern haben sie sich erfüllt? Wie sich herausstellte, war diese Frage zu allgemein und daraufhin wurde das Interview mit folgender Frage eröffnet: Wieso sind Sie nach Österreich gekommen, welche finanziellen und materiellen Erwartungen hatten sie an Österreich und inwiefern haben sie sich erfüllt? Während der Erzählung beschränkte ich mich auf die Rolle des Zuhörens. Nur, wenn etwas akustisch oder sprachlich nicht verständlich war, wurde das Gespräch unterbrochen, um weiterhin der Erzählung folgen zu können. Am Ende der Erzählungen folgte eine Nachfragephase, in der Fragen gestellt wurden, die im Laufe des Gesprächs offen geblieben sind. 44 6.2. Die qualitative Inhaltsanalyse als Methode zur Untersuchung der narrativen Interviews Die narrativen Interviews, die für diese Arbeit mit 10 Migranten aus Osteuropa durchgeführt wurden, werden in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2003) ausgewertet werden. Diese wird in diesem Kapitel näher erläutert werden. Im Hinblick auf die Beantwortung der Fragestellung wird außerdem begründet werden, wieso diese Methode ausgewählt wurde. Die gewählte Forschungsmethode ist laut Mayring (vgl. 2002, S. 114) eine Methode zur wissenschaftlichen Interpretation von Texten. Die Texte werden durch die qualitative Inhaltsanalyse im Zuge der Bearbeitung des Materials anhand von Kategorien in Einheiten zerlegt und schrittweise und theoriegeleitet analysiert. Im Zentrum steht ein Kategoriesystem, welches theoriegeleitet am Material entwickelt wurde. Dieses Kategoriesystem legt jene Aspekte fest, welche für die Interpretation herausgefiltert werden sollen. Den Grundgedanken der qualitativen Inhaltsanalyse formuliert Mayring (2002, S. 114) folgendermaßen: „Qualitative Inhaltsanalyse will Texte systematisch analysieren, indem sie das Material schrittweise mit theoriegeleitet am Material entwickelten Kategoriesystemen bearbeitet.“ Lamnek (2005) entwirft für das inhaltsanalytische Vorgehen ein allgemeines Ablaufmodell der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring, welches aus neun Stufen besteht und schrittweise bei jeder Anwendung der Inhaltsanalyse durchlaufen wird. Dabei werde ich mich am Werk von Siegfried Lamnek Qualitative Sozialforschung (2005) orientieren. Die neun Stufen nach Mayring werden wie folgt aufgezählt: (1) Festlegung des Materials (2) Analyse der Entstehungssituation (3) formale Charakterisierung des Materials (4) Richtung der Analyse (5) theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung 45 (6) Bestimmung der Analysetechnik (7) Definition der Analyseeinheit (8) Analyse des Materials (9) Interpretation (vgl. Lamnek, 2005, S. 510) Anschließend wird mit der Festlegung des Materials begonnen und ein theoretischer Überblick über die Auswertung der qualitativen Inhaltsanalyse gegeben werden. Im folgenden Unterkapitel wird auf die Festlegung des Materials der Analyse eingegangen werden. 6.2.1. (1) Festlegung des Materials Der erste Schritt ist die genaue Definition des Materials, dass der Analyse zugrunde liegt. Zunächst werden nur die Ausschnitte der Interviewprotokolle, in denen sich der Interviewpartner explizit und bewusst zum Gegenstand der Forschungsfrage äußert, ausgewertet (vgl. Lamnek, 2005, S. 518). Der nächste Schritt laut Lamnek (vgl. 2005, S. 518) besteht darin, die Entstehungssituation zu analysieren. Diese wird im folgenden Unterkapitel erläutert werden. 6.2.2. (2) Analyse der Entstehungssituation Laut Lamnek (2005, S. 518) ist es wichtig, Informationen über die Entstehungssituation des Analysematerials zu geben, um die möglichen Fehlerquellen bei dessen Interpretation zu minimieren. Zunächst wird auf dieser Stufe der Inhaltsanalyse beschrieben, welche Personen während der Interviewsituation anwesend gewesen sind und der emotionale, kognitive, soziokulturelle und Handlungshintergrund des Befragten dargestellt. Außerdem wird die Entstehungssituation beschrieben (vgl. Lamnek, 2005, S. 518). 46 Im nächsten Schritt ist nach Mayring (2003, S. 47 zit. nach Lamnek, S. 518) festzulegen, in welcher Form das Material der qualitativen Untersuchung vorliegt. 6.2.3. (3) Formale Charakterisierung des Materials Bei der Beschreibung des Materials muss laut Lamnek (2005, S. 518f.) insbesonders auch „darauf geachtet werden, auf welche Weise die akustische Aufzeichung auf dem Band in ein schriftliches Protokoll umgewandelt wird“. Nach Lamnek (2005, S. 519) können „neben der rein sprachlichen Wiedergabe“ auch „Betonungen, Pausen, Sprechgeschwindigkeit und Stimmlage transkribiert werden“. Nach der Beschreibung des zugrundeliegenden Materials erfolgt die Festlegung der Richtung der Analyse. 6.2.4. (4) Richtung der Analyse Nach Mayring (2003, S. 50) gilt es sich zu fragen, „was man eigentlich daraus herausinterpretieren möchte“. Es gibt verschiedene Formen, in welche Richtung die Analyse gehen soll. Die Richtung kann sich auf den Inhalt des Protokolls, auf gefühlsmäßige und kognitive Aspekte des Interviewten beziehen. Sie kann sich auch auf die Handlungen, die der Text beschreibt, oder auf die Wirkungen der Aussagen auf einen zur Zielgruppe gehörenden Leser beziehen (vgl. Lamnek, 2005, S. 519). In der qualitativen Sozialforschung beschreibt Mayring (2003, S. 52), dass die Richtung der Analyse dahin gehen soll, dass „durch den Text Aussagen über den emotionalen, kognitiven und Handlungshintergrund der Kommunikatoren“ gemacht werden können. Im Anschluss an die Erläuterung der Richtung der Analyse stellt die nächste Stufe nach Lamnek (vgl. 2005, S. 519) die theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung dar, die im folgenden Unterkapitel erklärt werden wird. 47 6.2.5. (5) Theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung Die theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung bedeutet nach Mayring (2003, S. 52) „dass die Fragestellung der Analyse vorab genau geklärt sein muss, theoretisch an die bisherige Forschung über den Gegenstand angebunden und in aller Regel in Unterfragestellungen differenziert werden muss“. Das heißt, dass vor Beginn der Analysetätigkeit die Frage festgelegt und in den aktuellen Forschungsstand eingebettet werden muss. Außerdem sollte eine Gliederung in Unterfragen erfolgen. Auf der folgenden Stufe beschreibt Lamnek (vgl. 2005, S. 519) die Bestimmung der Analysetechnik, wo entschieden wird, welches interpretative Verfahren verwendet werden soll. 6.2.6. (6) Bestimmung der Analysetechnik Schließlich wird in diesem Stadium der qualitativen Inhaltsanalyse in einem weiteren Schritt ein spezifisches Analysemodell im Hinblick auf die Untersuchung des Fallmaterials ausgewählt (vgl. Lamnek, 2005, S. 519). Drei Grundformen des Interpretierens unterscheidet Mayring (2003): Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung (vgl. Lamnek, 2005, S. 519). Diese drei Formen werden in Kapitel 7.2.8. näher erklärt werden. Die siebente Stufe nach Lamnek (vgl. 2005, S. 519) ist die Definition der Analyseeinheit. Vorab wird der Begriff Analyseeinheit nach Mayring (2003) konkret erläutert werden. 6.2.7. (7) Definition der Analyseeinheit Um die Untersuchung des Materials nachvollziehbar und überprüfbar zu gestalten, wird im Vorfeld der Begriff der Analyseeinheit erklärt werden. 48 Mit dem Begriff Analyseeinheit fasst Mayring (2003) die Kodiereinheit, die Kontexteinheit und die Auswertungseinheit zusammen. „Die Kodiereinheit legt fest, welches der kleinste Materialbestandteil ist,… die Kontexteinheit legt den größten Textbestandteil fest… . Die Auswertungseinheit legt fest, welche Textteile jeweils nacheinander ausgewertet werden“ (Mayring, 2003, S. 53 zit. nach Lamnek, 2005, S. 530). Zusätzlich wird bestimmt, „wie ein Textstück, eine Phrase, beschaffen sein muss, damit sie als Ausprägung für eine Kategorie genommen werden kann“ (Lamnek, 2005, S. 519). Kategorien sind Merkmale, die der Wissenschaftler durch das Lesen des Materials entwickelt hat, „um den Text beschreiben zu können“ (Lamnek, 2005, S. 519). Den größtmöglichsten Textbestandteil, der unter eine Kategorie fallen kann, ist nach Mayring (vgl. 2003, S. 53 zit. nach Lamnek, 2005, S. 530) die Kontexteinheit und stellt das gesamte Interview eines Interviewpartners dar. Sind Fallmaterial, Fragestellung und Analyseeinheiten theoretisch geklärt, erfolgt auf der nächsten Stufe die Analyse des Materials (vgl. Lamnek, 2005, S. 520). 6.2.8. (8) Analyse des Materials Wie bereits erwähnt wurde, werden in diesem Unterkapitel die drei grundlegenden qualitativen inhaltsanalytischen Analyseverfahren vorgestellt werden: Die zusammenfassende Inhaltsanalyse hat zum Ziel, das Material derart zu minimieren, dass es auf das Wesentliche beschränkt wird (vgl. Mayring, 2003, S. 58 zit. nach Lamnek, 2005, S. 520). Bei der Explikation wird „zu einzelnen interpretationsbedürftigen Textstellen... zusätzliches Material herangezogen, um diese zu erklären, verständlich zu machen, zu erläutern (und) zu explizieren“ (Mayring, 2003, S. 77 zit. nach Lamnek, 2005, S. 522). Die strukturierende Inhaltsanalyse hat „zum Ziel, eine bestimmte Struktur aus dem Material herauszufiltern“ (Mayring, 2003, S. 75 zit. nach Lamnek, 2005, S. 526). Durch das Material wird mit Hilfe von vorab festgesetzten Ordnungskriterien ein Querschnitt gelegt, um das gesamte Material aufgrund dieser Kriterien einschätzen zu können (vgl. Lamnek, 2005, S. 526). 49 Für diese Forschungsarbeit wurde die strukturierende Inhaltsanalyse gewählt, weil diese es ermöglicht, eine bestimmte Struktur nach festgelegten Ordnungskriterien aus dem Material herauszufiltern (vgl. Mayring 2003, S. 82f.). „Diese Struktur wird in Form eines Kategoriesystems an das Material herangetragen. Alle Textbestandteile, die durch eine Kategorie angesprochen werden“ (Mayring, 2003, 82f.), werden aus den Protokollen herausgefiltert. Daher steht im Mittelpunkt der Analyse die Entwicklung eines Kategoriesystems (vgl. Mayring, 2003, S. 53). Die Kategorien selbst können induktiv aus dem Material gewonnen oder deduktiv (theoriegeleitet) ermittelt werden. Um genau erkennen und nachvollziehen zu können, welche Textbestandteile welcher Kategorie zuzuordnen sind, müssen diese Kategorien definiert werden. Dies erfolgt durch sogenannte Ankerbeispiele. Als Ankerbeispiele gelten konkrete Textstellen, die beispielhaft für Kategorien sind (vgl. Mayring, 2002, S. 118). Es darf innerhalb der Kategorien zu keinen inhaltlichen Überlappungen kommen. Sollte das doch der Fall sein, müssen die Kategorien neu geordnet bzw. definiert werden (vgl. Mayring, 2002, S. 518). Es werden Regeln formuliert, um eine Zuordnung des Textes zu Kategorien klar und deutlich zu ermöglichen (vgl. Lamnek, 2005, S. 526). Im 7. Kapitel soll nun praktisch dargestellt werden, wie die qualitative Untersuchung in Anlehnung an die Inhaltsanalyse nach Mayring durchgeführt wurde. Es beinhaltet unter anderem alle Informationen über die durchgeführten Interviews und deren Entstehungssituation, der Verarbeitung der Daten und deren Analyse. 50 7. Praktische Anwendung der Qualitativen Inhaltsanalyse Für diese Forschungsabeit wurden, wie bereits erwähnt, narrative Interviews mit Migranten aus Osteuropa durchgeführt und daher stellen die Interviewprotokolle das zu interpretierende Material dar. Diese werden mittels der gewählten Forschungsmethode analysiert und interpretiert werden. Für die Durchführung der Interviews wurde zunächst eine Einstiegsfrage entwickelt, die bereits im Kapitel 6.1. besprochen wurde. Bevor näher auf die Forschungsfrage eingegangen wird, soll zunächst die Entstehungssituation der Analyse geschildert werden. Es wird auch die Kontaktaufnahme zu den Interviewpartnern, welche Schwierigkeiten aufgetreten sind, wo die Interviews stattgefunden haben und welche Rahmenbedingungen von Vorteil waren, beschrieben werden. 7.1. Entstehungssituation Die Interviewpartner waren teilweise Studienkollegen, Freunde, Bekannte und es wurde auch Kontakt zum Slawistik Institut der Universität Wien aufgenommen, worauf sich zahlreiche Studentinnenen bereit erklärt haben, an der qualitativen Studie teilzunehmen. Daraufhin wurde telefonisch bzw. über E-Mail mit den potenziellen Interviewpartnern Kontakt aufgenommen, um Termine für die Interviews zu vereinbaren. Schwieriger gestaltete sich die Kontaktaufnahme zu den männlichen Interviewpartnern. Zwei männliche Studienkollegen sagten zu, verweigerten aber dann ein Interview. Erst durch die weiblichen Interviewpartner kam es zu Zusagen von männlichen Personen. Die Befragung wurde entweder beim jeweiligen Interviewpartner zuhause oder in Kaffeehäusern durchgeführt. Es zeigte sich, dass eine angenehme, ruhige 51 Atmosphäre ohne Hintergrundgeräusche, sowohl für die Interviewpartner als auch für mich von Vorteil bei der Befragung gewesen ist. Die Personen, die sich wohlfühlten, erzählten von Anfang an offener und freier im Gegensatz zu jenen Personen, die sich schon zu Beginn des Interviews unwohl fühlten und deshalb einen Ortswechsel wollten. Der Großteil der Befragten wirkte aber ruhig und gelassen. Nervosität und Anspannung konnte bei keiner Person erkannt werden. Lediglich eine Interviewpartnerin hatte die Befürchtung etwas Falsches zu sagen. Ich habe sie jedoch darauf hingewiesen, dass es nicht möglich ist, etwas Falsches zu sagen, weil es um ihre persönlichen Gefühle und Eindrücke geht und es sich um ihre eigene Lebensgeschichte handelt und diese daher nicht falsch sein kann. Letztendlich dauerte es drei Monate, bis sich alle Interviewpartner fanden und die Interviews, die zwischen 20 und 45 Minuten gedauert haben, durchgeführt waren. Im Anschluss an die Erläuterung der Entstehungssituation wird festgelegt, in welcher Form das Material vorliegt und die Regeln zugrunde gelegt. 7.2. Form des Materials Die Interviews wurden mit Hilfe eines Tonbandgerätes aufgenommen und anschließend nach im Vorhinein festgelegten Regeln transkribiert und stellen somit Kommunikation in Textform dar32, welche die Form des Materials darstellen. Es wurden alle Interviews vollständig und wörtlich transkribiert. Um die verwendeten Zeichen in den transkribierten Interviews besser verstehen zu können, werden die Regeln dafür erläutert. Einfache, häufig benutzte Transkriptionsregeln, die von Christa Hoffmann-Riem (vgl. 1984, S. 331) verwendet werden, sehen wie folgt aus: 32 Im Anhang finden sich alle transkribierten Interviews. 52 Zeichen Bedeutung .. kurze Pause ... mittlere Pause .... lange Pause ...... Auslassung /eh/ Planungspausen /ehm/ ((Ereignis)) nicht-sprachliche Handlungen, z.B. ((Schweigen)) ((zeigt auf ein Bild)) ((lachend)) Begleiterscheinungen des Sprechens (die Charakterisierung steht vor den ((erregt)) entsprechenden Stellen) ((verärgert)) sicher auffällige Betonung, auch Lautstärke sicher gedehntes Sprechen () unverständlich (so schrecklich?) nicht mehr genau verständlich, vermuteter Wortlaut Die Interviews werden streng vertraulich behandelt und bleiben anonym. Relevante Dialektausdrücke wurden nach Gehör transkribiert. Zunächst wird die Richtung der Analyse im folgenden Kapitel näher erläutert und im Anschluss daran auf die theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung eingegangen werden. 7.3. Richtung der Analyse und Definition der Fragestellung In der vorliegenden Forschungsarbeit wird die Analyse ausschließlich auf den Gegenstand des Protokolls gerichtet bzw. auf das ausgewählte Thema. In diesem Fall stellt das die Erwartungshaltungen der Migranten dar. 53 Bezogen auf diese Forschungsarbeit zielt die Fragestellung darauf ab, ob erfüllte Vorstellungen bzw. Erwartungshaltungen mit dem Glücksgefühl zusammenhängen. Die konkrete Forschungsfrage lautet: Inwiefern hängt das Glücksgefühl von Migranten aus Osteuropa mit der Erfüllung ihrer (materiellen/finanziellen) Erwartungen zusammen? Diese Fragestellung wird im Bereich der Sozialpädagogik behandelt und daher werden die aufgestellten Kategorien ausschließlich von relevanten Themen der Sozialpädagogik abgeleitet und anhand der strukturierenden Inhaltsanalyse analysiert werden. 7.4. Entwicklung des Kategoriesystem und Definition der Analyseeinheiten In der vorliegenden Arbeit werden Kategorien induktiv gebildet, weil sich diese Form der Kategorienbildung aufgrund der Forschungsfrage als sinnvoll herausstellte. Wie sich gezeigt hat, wurden tatsächlich fast alle Themenbereiche angesprochen, die durch die Interviews ermittelt werden sollten. Den nächsten Schritt bildet die Zuordnung der Textstellen aus dem Transkript in das angefertigte Kategoriesystem (Kodieren). Die Interviewprotokolle werden nach einem vorgefertigten Kategoriesystem kodiert, wobei die kleinstmögliche Analyseeinheit, die für eine Kategorie gilt, ein einziges Wort darstellen kann. Im nächsten Arbeitsschritt werden in einem Probelauf die einzelnen Kategorien überprüft (vgl. Mayring, 2003, S. 84). Dabei kann es vorkommen, dass einzelne Kategorien neu entwickelt bzw. verworfen werden müssen33. 33 Da in der vorliegenden Arbeit das zu bearbeitende Material nur aus 10 Protokollen besteht, wird auf die Schritte, die Mayring nach dem Überprüfen der einzelnen Kategorien festlegt, verzichtet. Bei umfangreichem Ausgangsmaterial erfolgt nach Mayring die Paraphrasierung des extrahierten Materials und im nächsten Schritt wird das exzerpierte Fallmaterial den Kategorien zugeordnet und danach in Hauptkategorien zusammengefasst (vgl. Mayring, 2003, S. 89). 54 Im folgenden Kapitel werden die Endergebnisse anhand der strukturierenden Inhaltsanalyse dargestellt. Somit werden auf dieser Stufe der Inhaltsanalyse, „die Ergebnisse in Richtung der Hauptfragestellung interpretiert“ (vgl. Mayring, 2003, S. 53). Die individuellen Einzelfälle der Interviewprotokolle wurden fallübergreifend analysiert und somit kommt es im folgenden Kapitel „zu einer Gesamtdarstellung typischer Fälle anhand der Kategorien“ (Lamnek, 2005, S. 528). 55 8. Analyse der Interviewprotokolle qualitativen Inhaltsanalyse anhand der Im vorliegenden Kapitel werden nochmals die Kriterien der Interviewpartner und die ausgewählten Kategorien aufgezählt. Danach wird jede einzelne Kategorie und deren Ankerbeispiel, welches als Beispiel für die jeweilige Kategorie dient, vorgestellt. Anschließend werden die zutreffenden Aussagen der Interviewpartner der jeweiligen Kategorie angeführt und interpretiert werden. Somit stellt das 8. Kapitel den Teil der Arbeit dar, der zur Beantwortung der Fragestellung führt. Die narrativen Interviews wurden mit Migranten aus Osteuropa im Alter von 25-35 Jahren, die seit mindestens fünf Jahren in Österreich leben und die Matura abgeschlossen haben, durchgeführt. Die Aussagen der Interviews, die sich auf den Gegenstand beziehen, wurden exzerpiert und anschließend generalisiert. Folgende Kategorien haben sich dadurch ergeben: 1. unterschiedliche Erwartungshaltungen an Österreich 2. Durch Herkunft und Sprachbarrieren bedingte Erfahrungen 3. Ist-Zustand der Befragten 4. Zukunftsdenken der Interviewpartner 5. Glücksfaktoren Die befragten Personen hatten unterschiedliche Beweggründe, ihr Land zu verlassen und dadurch auch verschiedene Erwartungen an ihr neues Zuhause. Bevor mit der Analyse begonnen wird, wird an dieser Stelle nochmals erwähnt, dass in dieser Arbeit nicht berücksichtigt wird, welchen erlangten Aufenthaltsstatus die Personen mittlerweile in Österreich besitzen und dass die Interviewpartner 56 unter unterschiedlichen Bedingungen aufgewachsen sind und auch aus unterschiedlichen Schichten kommen. Ausschließlich die Herkunft der Befragten, Alter und Ausbildung waren als Auswahlkriterien von wesentlicher Bedeutung und dass die Herkunftsländer zur Zeit der Migration der interviewten Personen noch nicht zur EU gehörten. 8.1. Kategorie: unterschiedliche Erwartungshaltungen an Österreich Anfangs wird die Kategorie: unterschiedliche Erwartungshaltungen an Österreich dargestellt und hinterfragt. Welche Erwartungen hatten die Interviewpartner an ihr neues Zuhause? Diese Kategorie umfasst unter anderem alle Aussagen darüber, welche finanziellen bzw. materiellen Erwartungen die Personen an ihr neues Zuhause ursprünglich gehabt haben. Es werden auch Aussagen über mögliche andere Erwartungshaltungen dieser Kategorie zugeordnet werden. Als Ankerbeispiel dient folgender Ausschnitt aus einem Interview: H: Ich dachte über Ö .. sehr schön, Kultur, viel Café .. /mmh/ einfach ein besseres Leben. Mehr Luxus .. ich lerne Deutsch .. ist gut für die Arbeit. Ich hatte die Wahl nach Österreich und nach Deutschland zu gehen und habe mich für Österreich entschieden, einfach so .. kein bestimmter Grund. Folgende Zitate werden der Kategorie: unterschiedliche Erwartungshaltungen an Österreich zugeteilt und anschließend miteinander verglichen werden. A: Ausland .. wo man Geld verdienen kann, wo meine Mutter schwarz arbeitet .. wo ich eventuell Ferienjob machen kann. Wo ich wie ein Schwein arbeiten kann und schlecht behandelt werde und so weiter. Also, ich habe keine guten Verbindungen mit Wien gehabt, ich hab meine Mutter dort besucht und ich war in Schönbrunn und hin und her, aber ich habe mich hier immer so gefühlt, ich passe 57 ich da nicht hin, niemand braucht mich auch hier, wieder eine Ausländerin, die man erhalten muss. Im nächsten Zitat bringt A deutlich zum Ausdruck, wie sie über ihre Mentalität bzw. die Mentalität ihrer Landsleute denkt und dass sie die Hoffnung hatte, dass es in einem anderem Land besser sein kann. A: Ich hab keine fixen Vorstellungen gehabt wohin, aber ich wollt schon immer raus, weil mir in Polen die Mentalität .. einerseits wir sind so l u s t i g und so o f f e n .. gastfreundlich, aber anderseits wir sind ganz .. ich weiß nicht .. ein bisschen Angeber, ein bisschen künstlich das Ganze, ich weiß nicht, auf jeden Fall, ich hab gedacht, wo anders sollte besser sein ((lacht)), die Mentalität uns so. Diese Vorstellung in Bezug auf eine Mentalität eines anderen Landes stellt auch eine Form der Erwartungshaltung dar. A hatte die Adaption über ein fremde Mentalität, die sie zwar noch nicht kennen gelernt hatte, aber ihr Hoffnung gab, dass die Mentalität eine andere ist als in ihrem Geburtsland. Denn mit der Mentalität ihrer Landsleute, kann sie sich nur schwer identifizieren. Sie findet zwar die Fröhlichkeit, Offenheit und Gastfreundlichkeit der polnischen Bevölkerung positiv, dass sie angeberisch sind und alles gekünstelt wirkt, mag sie jedoch nicht. C: Also, ich glaube, das war für mich eine Selbstverwirklichung. Irgendwie man kann es vergleichen mit, wenn ein Österreicher ins Ausland geht, z. Bsp. nach Frankreich. Ich habe damals meine Modedesignausbildung abgeschlossen gehabt und ich hab schon einen Job gehabt, aber man weiß ganz genau, wenn man anfängt, kommt man niemals weg und die Möglichkeit was anderes anzuschauen .. Ja, sich selber ausprobieren. Das war eigentlich für mich das Wichtigste. E: Also, damals war mein größter Wunsch, irgendeinen Job hier zu finden. Ich wäre natürlich glücklich gewesen, wenn ich als Lehrerin auch hier anfangen hätte können, aber wegen meiner geringen Sprachkenntnisse damals, mit 2000 Wörter ((lacht)) ist es schwierig, habe ich als Kellnerin angefangen, ein Jahr habe ich gearbeitet in einem Restaurant. Und .. //ehm// .. wenn du einfach jahrelang arm bist und dann kriegst du auf einmal als Kellnerin, 1000 Euro als Gehalt und Trinkgeld jeden Tag 30-50 Euro, dann denkst du in den ersten Jahren nicht so, wie soll ich das sagen .. du bist einfach glücklich, dass du dir endlich ein normales Essen leisten kannst, dann habe ich mir () gleich gekauft, das war mein Wunsch, dass ich mir ganz normale Sachen leisten kann, die eigentlich zum Alltag gehören. I: Wie kleines Kinder halt .. cooler Westen, dort hat’s viel gegeben, viel Spielzeug, wie Lego oder so, so was hat’s bei uns nicht gegeben. Und bessere Autos hat’s gegeben ...... ich wollte wohin, wo was los ist! Und in Österreich bin ich jetzt schon neun Jahre. 58 J: Also, okay, ich komme aus einem balkanischen Staat und wenn man hört über die EU, klingt das sehr schön, aber in Wirklichkeit ist das nicht so. Jeder will im Ausland studieren oder irgendwas machen ... das ist so wie ein Traum für die Jugendlichen ... Naja, ich hab mich entschieden für Österreich, weil ich schon viele schöne Sachen über Österreich gehört habe, besonders über Wien. Analysiert man diese Aussagen der Interviewpartner, so kann festgestellt werden, dass die Erwartungshaltungen an Österreich sehr unterschiedlich waren und vorwiegend - außer bei A, die eine negative Einstellung zu sich selbst im Zusammenhang, dass sie in Österreich Ausländerin ist, hat - die Vorstellungen in Österreich zu leben, positiv waren. Idealistische Erwartungen hat es gegeben, wie im Fall von I, die Erwartung sich weiter zu entwickeln (C), aber auch die Notwendigkeit eine Arbeit zu finden (E). Es waren hauptsächlich wirtschaftliche und soziale Gründe dafür ausschlaggebend, nach Österreich zu immigrieren, aber auch politische, wie folgende Zitate zeigen. Es muss auch differenziert werden, ob die Personen die Wahl gehabt hatten, in welches Land sie einwandern wollen, oder ob sich ihr Heimatland damals im Krieg befand, wie folgende Ausschnitte deutlich machen: F: Du hast nicht offen sagen können, dass du den Diktator zum Beispiel schlecht findest, weil er halt Leute umbringt oder Menschen verhungern lässt oder solche Sachen. Also, man hat irgendwie, und wo mein Vater, glaube ich, sehr darunter gelitten hat, dass er sich verstellen musste, wenn man eigentlich weiß, was läuft und man lebt in einer Gesellschaft und man darf nichts sagen und wenn, dann ist man dran und nicht nur selber sondern auch die Familie. Also, es waren alle betroffen. Also, dieser Impuls war sehr stark und weniger wirtschaftliche Gründe, also mehr ein ... psychischer Grund, wir wollten uns befreien, aus diesen Zwängen irgendwo. Von der Wende (1989-1990) war auch G betroffen, der während des Krieges geflüchtet ist und seine Erinnerung an die Vorstellung über Österreich im nächsten Zitat deutlich zum Ausdruck bringt. G: Die Erwartungen an Österreich damals als Kind ... es war eine schwierige Situation damals, wenn du aus einem Krieg kommst. Man kann sich denken, wenn man Kind ist, dass man die normalsten Sachen vermisst und .. deshalb hast du da keine Erwartungen. Es reicht, wenn dir keine Bomben am Kopf fallen, also das reicht im Prinzip. Erwartungen hatte ich damals nicht in Wirklichkeit, ich wusste ja nicht, wo ich hingehe, was ich mache, das war nicht klar, sag’ma mal so. 59 F ging noch zur Schule, als er mit seinen Eltern aus Rumänien flüchtete und auch G folgte seinen Eltern in den Westen – im Gegensatz zu den anderen Interviewpartnern, die im frühen Erwachsenenalter bzw. im Erwachsenenalter34 nach Österreich immigriert Erwartungshaltungen an ihre sind. F künftige und G Heimat, hatten keine konkreten aber Angst in ihren Herkunftsländern. In Bezug auf den finanziellen Aspekt fällt auf, dass es zwar hauptsächlich wirtschaftliche Gründe waren, die zur Auswanderung führten, aber das doch nicht ohne den sozialen Kontext zu sehen ist, weil nur E definitiv betont, dass sie vorwiegend deshalb nach Österreich gekommen ist, um eine Arbeit zu finden und Geld zu verdienen, um sich Dinge leisten zu können, die Zuhause undenkbar gewesen wären und dass sie das glücklich gemacht hat. In diesem Zusammenhang lässt sich feststellen, dass ein Mehr an finanziellen bzw. materiellen Gütern glücklich machen kann, aber aus diesem Interviewausschnitt geht nicht hervor, ob E dadurch auf Dauer glücklich ist oder das nur in der Anfangsphase zu einem erhöhten Glücksgefühl geführt hat. In Kapitel 4.4. Glück und der materielle Wohlstand wurde die These angeführt, dass Menschen nur glücklich sind, wenn sie über mehr Geld als ihre Altersgenossen verfügen35. Wenn diese These richtig ist, sind Migranten gegenüber ihren Freunden und Verwandten, die nach wie vor in Osteuropa leben, bevorzugt, wenn die Migranten in Österreich mehr Geld verdienen. Das könnte bei vielen Migranten zu einem erhöhten Glücksgefühl beitragen. Bezieht man diese These auf E, bedeutet dies, dass sie sich gegenüber ihren Verwandten und Freunden aus der Ukraine mit ihrem Verdienst glücklich fühlte und somit über ein Mehr an Geld bzw. über ein Mehr an Kaufkraft zu einem erhöhten Glücksgefühl beitragen kann. Vergleichen sich diese Personen aber mit Freunden und Bekannten, die in Österreich leben und arbeiten, müsste das Glücksgefühl wieder geringer werden, wenn sie nicht mehr verdienen. 34 Laut Bruchka (2003, S. 31) beginnt das frühe Erwachsenenalter mit 18 Jahren und endet mit 25 Jahren, wo das Erwachsenenalter beginnt und bis 45 andauert. 35 vgl. http://www.sueddeutsche.de/kultur/64/404842/text/ [20.10.2008] 60 8.2. Kategorie: Durch Herkunft und Sprachbarrieren bedingte Erfahrungen Auffällig oft sprachen die Befragten über Ihre Herkunft, über ihre Erfahrungen mit dem Erlernen der deutschen Sprache, über ihre eigene Kultur und verglichen diese mit der österreichischen Kultur. Welchen Platz nimmt die Herkunft und die Sprache im jeweiligen Leben des Befragten ein? Diese Kategorie beinhaltet alle Aussagen darüber, welche Erfahrungen die Interviewpartner in Bezug auf ihre jeweilige Herkunft mit dem Erlernen der deutschen Sprache gemacht haben und über die Integration der Migranten in Österreich. Es werden auch jene Vergleiche angeführt, die zwischen dem Herkunftsland der Interviewpartner und ihrem neuen Zuhause gemacht wurden. Als Ankerbeispiel dient folgender Ausschnitt aus einem Interview: F: Die Österreich sind schon anders .. ich komme aus Rumänien .. dort ist zwar vieles auch lange nach der Wende noch chaotisch, aber die Menschen gehen aufeinander zu. Ist in Österreich teilweise auch so, aber es ist nicht normal für die meisten ... Gut, am Anfang war es schwierig, weil meine Familie und ich die Sprache noch nicht beherrschten, jetzt sprechen wir alle gut, und eigentlich habe ich positive Erfahrungen gemacht, obwohl ich aus Rumänien komme. Folgende Zitate werden der Kategorie: Durch Herkunft und Sprachbarrieren bedingte Erfahrungen zugeteilt und anschließend miteinander verglichen. A: Ah, was mich stört ist diese Mentalität. Die ist wieder anders .. im Gegensatz zur polnischen .. und ich glaube vor allem die Wiener-Mentalität, weil ich kenne ja viele Leute, die nicht aus Wien kommen und die sind eher offener und wirklich herzig, und .. in Wien selbst, dass das ist alles so .. weiß nicht .. snobistisch oder die Leute sind sehr verschlossen oder haben Vorurteile gegenüber Ausländern. B: Und die Mentalität ist gleich, die Mentalität ist genau gleich! Da kann man überhaupt nichts sagen, die einen sprechen Deutsch, die anderen Tschechisch, aber die haben Jahrhunderte zusammengehört und gleiche Schulbildung und gleiche Religion und alles genau gleich. Vielleicht sind die Tschechen ein bisschen gastfreundlicher. Das ist das gleiche wie bei ihnen vielleicht, als sie nach Wien gekommen sind, haben sie auch gemerkt, dass die Wiener anders sind wie die Burgenländer. Und vielleicht sind in Tschechen die Prager anders als die Leute 61 am Lande und so sieht das jeder anders, aber ich würde sagen, im Grunde genommen ist die Mentalität ganz gleich. In Österreich gibt es, finde ich auch nicht so große Unterschiede, ein bisschen anders sind die Burgenländer, weil die haben zu Ungarn gehört und dann zu Österreich und dann sind die Burgenländer ein bisschen herzlicher, offener .. Die Tschechen haben auch die gleiche Familienstruktur und die gleiche Denkweise, die gleiche Verwaltung, die gleiche Ausbildung .. also mit der Mentalität habe ich keine Probleme. E: Riesengroße! Ich bin seit fünf Jahren hier und ich kenne meine Nachbarn noch immer nicht, bei uns gibts sowas nicht! Wirklich gar nicht, also man geht zum Nachbarn, wenn es dir schlecht geht um 11h in der Nacht. Wenn dich dein Freund verlassen hat. Du klopfst bei deinem Nachbarin ((lacht)) und sitzt bei ihr bis zwei drei Uhr in der früh und weinst und erzählst, wie das Leben Scheiße ist. /Ah/ oder ja, es ist alles komplett anders. Bei uns sind die Menschen viel offener, also du kennst von deinem Nachbarn alle Geschichten, wer geheiratet hat, wer geschieden ist, was die Eltern im Dorf machen, wie sie aufgestanden sind, mit dem linken oder mit dem rechten Fuß. Also du kennst alles! Hier ist es anders, aber ich glaube auch, dass es einen Unterschied macht, wo man aufgewachsen ist, also in einer Stadt oder am Land. Ich bin in einer kleinen Stadt aufgewachsen. Wahrscheinlich hier in Österreich, die Städte haben wahrscheinlich auch eine andere Mentalität als in Wien. Weil Wien ist natürlich .. erstens es ist die Hauptstadt und zweitens da sind sehr viele Migranten und nicht wirklich jeder will, dass man von ihnen was weiß. Also, ich denke, Unterschied ist nicht nur von Mentalität sondern auch von großer und kleiner Stadt. Aber natürlich, die Österreicher sind anders. Ich seh jetzt, wie es bei mir in der Arbeit läuft. Also, alle Migranten sind einfach glücklich, dass sie einen Job haben und sie als Menschen behandelt werden, dass sie Pause haben, dass die Pause geregelt ist, das alles halt. Und Österreicher die .. die regen sich auf, wenn das Geld, also unsere Firma hat die Bank gewechselt und wir haben unser Gehalt zwei Tage später bekommen. Zwei Tage später .. nicht sechs Monate später! I: Es war schon anders, die Österreicher sind schon ein bisschen anders als die Tschechen, aber in der Schule waren auch viele Ausländer, im Gymnasium. Also, habe ich eigentlich nie ein Problem mit Österreichern gehabt. Aber habe ich schon gehört, keine Ahnung .. dass ältere Menschen etwas gegen Tschechen haben. Ja, in Wien wahrscheinlich ist das auch anders, ich weiß jetzt nicht, wie das am Land ist. Es wäre vielleicht auch anders, wenn ich in Prag oder in einer anderen Stadt, wo was los ist, aufgewachsen wäre. Auffallend ist, dass E und I erwähnen, dass es zwar Mentalitätsunterschiede zwischen dem jeweiligen Herkunftsland des Interviewpartners und den Österreichern gibt, aber es einen wesentlichen Unterschied ausmacht, ob man am Land oder in der Stadt aufgewachsen ist und lebt. Einerseits betonen B, E und I, dass aufgrund der Tatsache, in einer Großstadt zu wohnen, Anonymität herrscht. Das führt laut B, E und I dazu, dass Integration von Ausländern aufgrund des mangelnden Kontakts, z. Bsp. zu den Nachbarn, schwer ist. I hingegen behauptet, dass es in einer Großstadt mehr Ausländer gibt und daher der Umgang mit 62 Ausländern zur Normalität des Alltags gehört und dass das integrationsfördernd sein kann. B aber sagt, dass es keinen Unterschied zwischen der Mentalität von Tschechen und Österreichern gibt. I, sie kommt ebenfalls aus Tschechien, sagt, dass die Österreicher ein wenig anders sind. E, sie ist in der Ukraine geboren, betont, dass die Mentalität in Österreich total anders ist. Ihr fehlt in Österreich die Möglichkeit, seine Sorgen mit den Nachbarn zu teilen. Freunde zu finden ist laut E in Österreich schwieriger als in der Ukraine. Ob sie das unglücklich macht, geht aus diesem Ausschnitt nicht hervor. Im Folgenden wird von F beschrieben, dass er bisher noch nie aufgrund seiner Herkunft Probleme in Österreich hatte und er dies auch auf seine Bereitschaft, die Sprache zu lernen, zurückführt. F: Also, ich persönlich muss sagen, ich hab nie ein Problem gehabt, dass ich ein Ausländer war, oder so, also es war überhaupt kein Thema. Also, das muss ich wirklich sagen, dass das auch die Leute sehr anerkannt haben, dass man sich bemüht hat, die Sprache zu lernen um sich zu integrieren und dass man interessiert war und das ist sehr honoriert worden, immer. F erzählt in weiterer Folge, dass seine Familie und er versucht haben, gewisse Verhaltensmuster, die sie typisch für Österreicher fanden, zu übernehmen. Aber es stellte sich heraus, dass sie einerseits in Bezug auf die Wohnsituation angepasst waren und nicht in einem Zimmer wohnten, wie sich viele vielleicht vorstellten, dass aber andererseits, wie F betont, der Umgang mit Geld den größten Unterschied ausmachte, wie F im folgenden Zitat betont. F: Also, die Tiroler sind uns extrem geizig vorgekommen ((lacht)). Also, es war keine Großzügigkeit, wir waren halt eher gewohnt, dass die Leute halt nix haben und dass sich jeder irgendwie hilft. Dass jeder irgendwas gibt, nicht unbedingt Geld, aber irgendetwas ... Und in Tirol ist es halt so gewesen, dass die Leute zwar Geld haben, aber es für nix ausgeben, die kaum und essen wenig ((lacht)). Also, uns ist das total schräg vorgekommen am Anfang. Wir waren sofort immer so total opulent, viel zu essen, viel von allem ((lacht)). Also, vielleicht hat sich sozusagen eine gewisse finanzielles Bedürfnis gar nicht so viel in Geld ausgedrückt sondern in Objekte haben wollen, also im Materiellen eher. Das hält irgendwo bis heute an. Also, wir haben immer noch nicht das Minimalistische, wo wir sagen würden, man braucht nur das, was man braucht, sondern man braucht mehr als man braucht ((lacht)). Also, das hält an, vor allem bei meinen Eltern. Die gehen regelmäßig zum Flohmarkt und kaufen wie verrückt, sie sammeln, was schon irgendwo eine Leidenschaft geworden ist, was auf das vielleicht zurückzuführen ist. 63 Die folgenden Textstellen beziehen sich auf die Anfangsschwierigkeiten mit der deutschen Sprache. G: Bei den technischen Fächern brauchst du ja die Sprache nicht unbedingt so ... Zumindest am Anfang, wenn man es noch nicht so gut kann. Man braucht mehr das technische Verständnis, weil man mehr rechnet und dann braucht man die Sprache nicht so. Das war auch der Grund, warum ich mich für Technik entschieden habe, aufgrund der Sprache, weil damals konnte ich es ja auch nicht so gut. Das ich jetzt sagen kann, keine Ahnung, ich kann jetzt Publizistik oder Jus oder irgendwas studieren, wo man viel schreiben muss. Das Reden war in Ordnung, aber Schreiben, dass hab ich erst nachher gelernt, erst nach fünf, sechs Jahren, wie es grammatikalisch richtig ist. Für mich war Deutsch gar nicht einfach zu lernen .. I: Ja, es war nur am Anfang schwierig, ich hab kein Deutsch gesprochen und jeder hat halt auch dann meine Akzent bemerkt. E: Und in sieben Monaten hatte ich alle Dokumente fertig und habe auch in der Zeit selbst die Sprache gelernt, weil ein Sprachkurs war auch zu teuer. Mit einem Buch und zwei Audiokassetten, das war aber in der Ukraine. Dann bin ich wieder nach Österreich gekommen und ich hab gedacht, dass ich eine falsche Sprache gelernt habe ((lacht)). Ich habe kein einziges Wort verstanden. Aber dann in zwei Monaten habe ich angefangen, selbst zu sprechen. Alle haben sich dann gewundert, wie schnell das bei mir gegangen ist. Ich habe aus reiner Neugierigkeit die Wörter gezählt, die ich damals konnte, als ich nach Österreich kam. Das waren ca. 2000 Wörter .. mit dem habe ich sozusagen angefangen, mein Leben zu organisieren. B: Naja, ich wollte studieren. Dann habe ich an der Uni einen Vorbereitungskurs gemacht, das waren, glaube ich, zwei Semester Deutsch, und dann musste man eine Prüfung ablegen, das war wie Matura, das war wie Maturaniveau und dann war man für das Studium zugelassen. Deutsch hab ich lernen müssen. Das war kein Problem, weil wenn man studieren möchte, muss man die Sprache gut beherrschen. Außer man beherrscht die Sprache schon vorher so gut. Ich habs verstanden, ich konnte mich verständigen, aber .. fürs Studieren muss das anders ausschauen. Laut Bellebaum (vgl. 2002, S. 280) wird das Glücksgefühl von der Selbstdeutung des Einzelnen zutiefst von gesellschaftlich-kulturellen Vorgaben beeinflusst. Bezogen auf die angeführten Aussagen der Interviewpartner, stellt die deutsche Sprache etwas Neuartiges dar. Laut Bellebaum (vgl. 2002, S. 280) bleibt der Einfluss soziokultureller Faktoren meist unbedacht, obwohl es die Personen beeinflusst. Ihm zufolge hängt das Glücksgefühl von der Selbstdeutung des einzelnen Menschen ab und gewinnt erst in einem großen interpretativen Kontext an Kontur (vgl. 2002, S. 280). 64 Die Erfahrungen der Interviewpartner im Zusammenhang mit ihrer Herkunft und Sprache zeigen, dass sie um Aufnahme und Integration in die deutschsprachige Gesellschaft bemüht sind, was durchaus in Zusammenhang mit dem Bildungsgrad der Interviewpartner gebracht werden kann. Schon allein die Tatsache, dass Ausländer in Österreich nur zum Studium zugelassen werden, wenn sie ausreichend gut Deutsch sprechen, führte dazu, dass sie die Sprache ihrer neuen Heimat lernen mussten. Nur A fühlt sich augrund ihrer Herkunft minderwertiger im Gegensatz zu Österreichern. Als konkretes Beispiel wird folgende Aussage angeführt: A: Ich spreche zum Beispiel mit meiner Tochter polnisch und alle wissen, ich bin Ausländerin und wenn ich mit ihr französisch gesprochen hätte, wäre das wahrscheinlich ein bisschen anders. Ich fühle mich schon ein bisschen minderwertiger .. Nur ich bin einfach der Meinung, mein Kind sollte meine Muttersprache kennen lernen und naja, die Zeiten ändern sich sowieso. Also, das wird schon immer besser. Generell bestätigt der Großteil der Befragten, sich anders zu fühlen aufgrund seiner Herkunft und dass sich diese Tatsache auch in einem offeneren Umgang mit Menschen äußert. Die Österreicher werden als eher distanziert und wenig sozial beschrieben. In ihren Heimatländern wären die Menschen kontaktfreudiger und helfen einander mehr. Folgendes Zitat bringt die Unterschiede deutlich zum Ausdruck. C: Was allerdings in der Ukraine mehr entwickelt ist, sind die Familien, dass heißt es ist viel mehr Beziehungen zu den Menschen und man kommt öfter zu Besuch. Es ist viel typischer in der Ukraine als in Österreich. Man bekommt auch viel schneller Unterstützung und es wird nachgefragt, brauchst du da und da Hilfe und das Gemeinschaftsgefühl wird sehr gestärkt .. viel mehr Kommunikation. Also, ich glaube, dass man hier im Westen zwar selbständiger ist, aber durch diese Selbstständigkeit ist man mehr allein ... Am Abend kommt man nachhause und schaut fern. Man geht zwar fort, aber nicht jeden Abend und in der Ukraine trifft man sich viel öfters, dass man sich zusammensetzt oder irgendwas macht .. das ist etwas, was ich sehr schätze, dieses Lebensgefühl oder wenn man feiert, dann feiert man so, dass es wirklich lustig ist, mit viel Tanzen. D: Viel mehr Angebot hier, natürlich auch freizeitlich. Ich glaube, die Leute betreiben hier auch viel mehr Sport als bei uns. Das ist eine andere Mentalität. Wir sind mehr so eine Kaffeehausmentalität. Man trifft sich gerne im Kaffeehaus, quatscht. Die Leute sind auch ein bissl fauler /eh/ typisch für Südländer, wie Griechenland oder so. Was mir aber auch hier fehlt. 65 Sowohl C als auch E, beide kommen aus der Ukraine, betonen, dass die Österreicher distanziert sind. Beide vermissen, das kann man in den Interviews erkennen, in dieser Hinsicht ihre Heimat. Auch D (Serbien) vermisst die Kontaktfreudigkeit der Menschen aus ihrer Heimat. Anhand der folgenden Aussage von G wird deutlich, dass G zwar die wirtschaftliche Situation mit seinem Herkunftsland vergleicht und sich dadurch selbst zwar zufriedener fühlt, aber die Österreicher in diesem Zusammenhang nicht versteht. G: Es ist halt für mich schwierig zu sehen, dass Leute teilweise gar nicht wissen, wie gut es ihnen geht, hier zumindest. Im Vergleich zu unten, weil die Leute mussten ja eher erfinderisch sein, aber sie können mit weniger Sachen fast genauso viel machen wie ein Österreicher, nur halt die wirtschaftliche Situation war problematischer, weil die ganze Industrie .. im Prinzip nur so ausgelegt war und immer noch ist .. dass es die Leute ausnutzt, zumindest bei uns zuhause, also da wird nicht wirklich viel investiert. Es ist eine politische Frage .. aber das ist mit Österreich nicht vergleichbar. Österreich ist korruptionsfrei beispielsweise, was unten nicht möglich ist und es mir mit diesem System besser geht. Die These, dass sich Migranten dadurch glücklicher fühlen können, wenn davon ausgegangen wird, dass sie mehr Geld in Österreich verdienen als ihre Verwandten oder Freunde in Osteuropa, trifft bei G nicht zu. Aus dem Interview geht nur hervor, dass G sich zufriedener fühlt aufgrund des politischen Systems in Österreich. G zeigt sich aber irritiert darüber, dass den Österreichern nicht bewusst ist, wie gut es ihnen geht. Im nächsten Kapitel wird der Ist-Zustand der Befragten analysiert und in welchen Zusammenhang die Herkunft mit der Erfüllung ihrer Erwartungshaltung steht. 8.3. Kategorie: Ist-Zustand der Befragten Durch die verschiedenen Erwartungshaltungen der Interviewpartner an Österreich entstanden auch verschiedene Ansprüche an das Land. Daraus wurde die nächste Kategorie entwickelt: Ist-Zustand der Befragten und es ergaben sich folgende Fragen: 66 Haben sich ihre (finanziellen/matriellen) Erwartungen erfüllt? Wie glücklich sind sie jetzt mit ihrem Leben? Diese Kategorie umfasst alle Aussagen darüber, ob sich die (finanziellen/materiellen) Erwartungen erfüllt haben und wie glücklich sie jetzt mit ihrem Leben sind. Sie beinhaltet auch jene Aussagen, die Auskunft über die Entwicklung der Persönlichkeit geben. Dazu gehört zum Beispiel die Entwicklung von Selbstvertrauen. Als Ankerbeispiel dient folgender Ausschnitt aus einem Interview: A: Also, bei mir hat sich wahnsinnig viel geändert. Am Anfang habe ich mich selbst, als eine, die schlecht ist, gesehen .. und ich glaube, ich wurde auch so gesehen von anderen. Jetzt ist mein Selbstwert gewachsen und .. ich trau mir schon zu, mit Leuten normal zu sprechen. Als zum Beispiel meine Chefin am Anfang hat mich angerufen und meine Mutter hat abgehoben und hat gesagt, ich bin momentan nicht da und mit Kollegin in der Oper. Die hat sich s o gewundert. Ich weiß nicht, als wäre ich im Weltall ... Die geht zur Oper .. Ich gehe sowieso nicht wirklich jede Woche in die Oper. Das war einfach so was Abnormales für meine Chefin .. Eine Ausländerin, die bei mir arbeitet, geht zur Oper .. Ja, und so Sachen. Jetzt ist es ein bisschen anders .. jetzt fühle ich mich eigentlich fast gleichwertig gegenüber Österreichern. Folgende Zitate werden der Kategorie: Ist-Zustand der Befragten zugeteilt und anschließend miteinander verglichen. A: Das ganze Sozialsystem so gut geregelt, die ganzen Förderungen, jetzt interessieren natürlich mehr dafür, weil wir es brauchen. Das gefällt uns und also jetzt bin ich in Karenz und ich kann mit meiner Tochter zwei Jahre zu Hause bleiben, ohne mir irgendwelche größere Sorgen machen zu müssen, das gibt’s in Polen sicher nicht .. so Sachen sind einfach hervorragend geregelt! D: Und sozusagen die Erwartungen sind erfüllt, weil /eh/ Wien zeigt eine super Lebensqualität und /ahm/ das war vor kurzem auch im Radio, erste in Europa und zweite in Belgrad und ist finanziell gesehen vom Standard her viele Möglichkeiten gibt es hier. Passt perfekt, von meiner Heimat ist es nicht so weit, 600 km. Das ist auch okay. Die Familie oder dieses Heimweh hab ich nicht viel, weil ich bin schon lange hier, seit elf Jahren. Also, die Distanz passt. Ich bin nicht in Amerika. Standard passt. Sowieso habe ich mich assimiliert einfach. Also, von der Seite passt für mich, gefällt mir sehr gut. Natürlich gibt es Sachen manchmal. 67 D betont auch, dass es nicht möglich gewesen wäre, zur damaligen Zeit der Wende in ihrem Heimatland zu studieren. D: Ich habe Erfahrungen gesammelt und alles das wäre unmöglich gewesen, wenn ich in Belgrad geblieben wäre, weil dort einfach wir das nicht wirklich leisten konnten zur Zeit. Wir brauchten immer Visum und alles wurde immer komplizierter. Ja, und dann habe ich es gut gehabt und mir hat es gut gefallen und ich habe mir schon irgendwie gedacht .. ich wollte nicht dann nach dem Studium nachhause. Also, ich habe so dann nach 5, 6 Jahren fertig studiert und bin hier geblieben. Für D hat sich die Erwartung, die sie an Österreich hatte, erfüllt. Sie konnte ihr Studium in Österreich machen. Auch für E haben sich die anfänglichen Erwartungen total erfüllt, wie sie wie folgt zum Ausdruck bringt: E: Was mir hier in Österreich wirklich sehr gut gefällt, dass ich ein Selbsterhaltungsstipendium bekomme, weil ich ja vier Jahre gearbeitet habe. Mein Studium habe ich mit 30 angefangen. Jetzt gehe ich nur einen Tag in der Woche arbeiten und kann beruhigt studieren, hab genug Zeit auch für meine Tochter. Also, wenn ich von Anfang an irgendwelche Erwartungen gehabt hatte, dann sind sie heuer in 2008 komplett erfüllt worden für mich. Wie bereits erwähnt wurde, ist F im Schulalter nach Österreich ausgewandert und im Verlauf des Interviews war festzustellen, dass er bestimmte Werte seiner Eltern übernommen hat. F: Ich glaube, die Erwartungen haben sich entwickelt, weil ich in einem Alter war, wo ich gar nicht hätte viel erwarten können. Wie soll ich sagen. Ich bin erst hier ins Alter gekommen, wo man merkt, hoppla, ich kann ja eigentlich in dieser Welt was machen. Ich kann es aktiv gestalten und die Möglichkeiten, die sich hier geboten haben, waren viel besser und viel klarere Strukturen. Die helfen auch, dass man sich eher aussucht, was man machen möchte ... und man geht nicht so im Chaos unter. Ich glaube, dass die Erwartungen von mir und meiner Familie sehr erfüllt worden sind. In wesentlichen Aspekten, einerseits im Finden eines Platzes, wo man das Gefühl hat, man ist der Gestalter seines Lebens. Das wäre vielleicht auch dort gegangen, aber auf eine andere Art und Weise. Die durch den Staat gebotenen Sicherheiten und Möglichkeiten schätzen alle Interviewpartner. Es lässt sich feststellen, wenn die zuvor angeführten Interviewausschnitte begutachtet werden, dass alle Befragten verschiedene Erwartungshaltungen an Österreich hatten oder aber keine besonderen wie G und F, da sie noch zu jung gewesen sind. Im Laufe der Zeit stellten aber auch sie fest, 68 dass Österreich eine hohe Lebensqualität bietet und dies zu ihrem Wohlbefinden beiträgt. Sowohl F, H als auch J betonen den finanziellen Aspekt, wie in den folgenden Aussagen festzustellen ist: F: Und .. finanziell glaube ist es auch uns auch gut ergangen, letztendlich, wir sind nicht reich geworden, aber mein Vater hat sehr viel Wert darauf gelegt, dass er selbstständig ist, dass er weiß, das ist seine Leistung, die er bringt; anerkannt wird. H: Die finanziellen Erwartungen haben sich erfüllt, noch mehr als erwartet, aber ich bin nicht glücklicher ... Ich war glücklicher zum Beispiel, als ich zuhause in Albanien studiert habe und 100 mal weniger Geld gehabt habe. Ich möchte in ein Land gehen, wo Sonne ist, aber nicht nur Sonne am Himmel, sondern auch in den Straßen, Cafés .. in den Häusern. Das ist hier nicht so. Das fehlt mir. Das Finanzielle ist super, aber glücklich bin ich dadurch nicht geworden. Meine Familie hat jetzt durch mich mehr Geld. Das ist gut, aber ich werde nicht hier bleiben. Die Straßen, Häuser, Essen alles gut hier, gute Qualität, aber es fehlt die Sonne. Zum Beispiel, ein Freund war in Afrika, hat gearbeitet dort. Afrika ist bekanntlich sehr arm. Er hat nicht mit den Armen gewohnt, hatte schönes Haus und so und die Kinder gingen in eine Privatschule, aber Straßen alles kein Luxus dort. Aber er sagt, das war ein Abenteuer, er hat was erlebt und die Menschen waren oft kriminell, aber die es nicht waren, haben gemeinsam miteinander gelebt .. Er möchte zurück, kann aber nicht, weil Kinder hier zur Schule gehen und sie wachsen hier mit mehr Sicherheit auf als in Afrika. Ja, so ist das. Man ist anders, man ist aufgeschlossener, man hat ein Meer zuhause, viele wachsen in einer großen Familie auf, aber das Geld fehlt .. oft. Bei uns zuhause schon. Jetzt hab ich Geld, aber was mach ich damit .. alles kann man bekanntlich nicht kaufen. J: Na, können wir so sagen, machen wir eine Skala von 1-10, dann würde ich sagen 6,5%. Das ist ein bisschen mehr als die Hälfte so 70% ... Also, ich meine den ganzen Prozess, das Leben, das Finanzielle, die Zufriedenheit. Ich hab das ganze zusammengefasst, man will immer die 100% ... Ja, jetzt ist es 70%. Im Nachfrageteil des narrativen Interviews habe ich J gefragt, was die 100% für ihn darstellen würden. J: Natürlich, die Familie nebenbei zu haben, das ist sehr wichtig, das kann man 15% oder mehr .. der finanzielle Aspekt ca. 10%, weil was man verdient, gibt man aus, weil wenn man mehr verdient, gibt man mehr aus. Aber das ist normal im Leben. Ein bisschen Finanzielles, Familie, aber es gibt andere EU-Staaten, wo man mehr verdienen kann. Aber es ist das Problem, dass man als NichtÖsterreicher schwer einen Job bekommt ... weil wenn du gehst Interviews36 machen, dann hast du 95% Österreicher und du musst zwei, drei mal besser sein 36 In diesem Zusammenhang sind mit Interviews Vorstellungsgespräche gemeint. 69 als die Österreicher, sonst bekommst du nicht den Job. Wenn du nicht so gut bist, bekommst du nicht den Job .. Die müssen dann noch Arbeitserlaubnis für dich machen, den ganzen Prozess. Es zeigt sich, wenn man die Antworten der Interviewpartner miteinander vergleicht, dass sich generell die Erwartungen erfüllt haben. Auffallend oft wurde der finanzielle Aspekt angeprochen und wenn dieser erfüllt wurde, konnte bei den Interviewpartner mehr Wohlbefinden festgestellt werden. Nur H betont, dass er durch den finanziellen Zuwachs nicht glücklicher geworden ist; dass er zwar jetzt seine Familie zuhause versorgen kann und seine finanzielle Erwartungshaltung zur Genüge erfüllt worden ist, aber er dadurch nicht glücklicher geworden ist. H betont auch, dass er glücklicher war, als er zuhause in Albanien studiert hatte und noch nicht soviel Geld verdiente wie jetzt. Daher zeigt sich bei H, dass – so wie Layard (2005, S. 13) in seinem Buch Die glückliche Gesellschaft schreibt – das Geld nicht glücklich macht. In diesem Buch wird übereinstimmend festgestellt, dass das Glücksempfinden mit dem Einkommen nur über eine beschränkte Strecke ansteigt. Sobald die Grundbedürfnisse befriedigt sind, entsteht durch mehr Wohlstand nur mehr wenig bis gar kein Zuwachs an Glück. Im nächsten Kapitel soll dargestellt werden, welche Gedanken sich die Interviewpartner über ihre Zukunft in Österreich machen. 8.4. Kategorie: Zukunftsdenken der Interviewpartner Interessant war es zu beobachten, welche Ähnlichkeiten oder Unterschiede zwischen Männer und Frauen auftreten, wenn die Befragten über ihre Zukunft sprechen. Daher stellt die folgende Kategorie Aussagen über die Zukunftsvorstellungen der Interviewpartner dar. Was beschäftigt Männer und was Frauen, wenn sie an Ihre Zukunft denken? Lassen sich geschlechtsspezifische Unterschiede feststellen? 70 Diese Kategorie umfasst alle Aussagen darüber, wie die beteiligten Personen aus Osteuropa ihre Zukunft einschätzen. Sie beinhaltet Aussagen, die Auskunft geben, ob die Personen, die ein Studium abschlossen haben, eine Arbeit gefunden haben, die ihrer Ausbildung entspricht und alle Äußerungen bzw. Wunschvorstellungen, wie sie sich in anderen Bereichen wie Beziehung, Weiterbildung etc. ihre Zukunft vorstellen. Als Ankerbeispiel dient folgender Ausschnitt aus einem Interview: A: Meine Kolleginnen wohnen in Warschau und die sagen, dass ich jetzt so gut Deutsch spreche und im Ausland studiert haben und dass dein Mann sowieso Englisch, Deutsch und Spanisch spricht .. Ihr könnt in Warschau eine gute Arbeit finden. Warschau ist jetzt multikulti! Aber ich würde nie nach Warschau gehen. Sowieso mit einem Mann, der Ausländer ist und mit einem .. Nein, das wäre für mich überhaupt keine Frage. .. Wir wollen schon im Ausland bleiben, wir sind nicht sicher, ob wir in Österreich bleiben wollen. Obwohl, ich glaub schon, dass wir in Österreich bleiben, aber es ist nicht ausgeschlossen, wenn wir zum Beispiel super Jobangebot bekommen würden in USA oder Deutschland, dann würden wir auch wegziehen. Bei dieser Kategorie lagen die Aussagen der Interviewpartner sehr knapp beieinander. Auffallend war, dass nur eine weibliche Interviewpartnerin ihre Zukunftsaussichten angesprochen hat. Im Gegensatz zu den fünf männlichen Befragten. Vier von fünf männlichen Personen sprachen über ihre beruflichen Zukunftsaussichten, wie folgende zwei Zitate von G zeigen, die stellvertretend für die anderen drei männlichen Interviewpartner stehen, da sie einander sehr ähneln. G: Österreich ist korruptionsfrei beispielsweise, was unten nicht möglich ist. Also, ich kann unten, selbst unten, wenn ich die Uni fertig hätte, ist es noch lang nicht sicher, dass du ohne Beziehungen einen normalen Job findest. In Österreich ist das eher nicht so, auch wenn du Ausländer bist und wenn du was kannst, kriegst du auch die Chance das zu nutzen, sagma mal so oder wenn du das willst, was halt bei uns nicht der Fall ist. Also, da brauchst du schon wirklich gute Beziehungen, damit du irgendwo eine Stelle bekommst und .. Das ist halt im Allgemeinen im Osten seit eh und je üblich. Daher sehe ich meine Zukunft sehr positiv hier. G: Also, mein Vater hat zum Beispiel Kollegen, die waren Doktoren und die haben am Bau gearbeitet und irgendwie ist das auch nicht das Ziel .. Ja, und bei meinem Vater war’s genauso .., also das, was er gemacht hatte, konnte er hier nicht machen, wegen 1000enden Gründen .., auch wegen der Arbeitserlaubnis .. und dann hat er dann als Schlosser gearbeitet in Österreich. 71 Die Frage, ob sich geschlechtsspezifische Unterschiede bezogen aufs Zukunftsdenken feststellen lassen, lässt sich nicht vergleichend beantworten. Wie bereits oben erwähnt, sprechen hauptsächlich Männer über ihre berufliche Zukunft. Nur eine der fünf interviewten Frauen spricht über die Zukunft. Sie sagt, dass sie sich nicht vorstellen kann nachhause zurückzugehen, um dort zu arbeiten. Sie kann sich aber sehr wohl vorstellen in ein anderes Land, wo die beruflichen Chancen besser sind, zu übersiedeln. Andere Formen von Zukunftsvorstellungen wurden von den Interviewpartnern nicht angesprochen. Zusammenfassend kann auch festgestellt werden, dass sich keine Auffälligkeiten bei den Befragten, auf die Frage, ob Frauen oder Männer zufriedener sind, ergeben haben. Wie auch folgende Statistik37 zeigt, die belegt, dass sich Männer und Frauen kaum von ihrem Glücksempfinden unterscheiden, außer wenn Faktoren wie Einkommen, Alter und Arbeit ausgeblendet werden, sind Frauen etwas glücklicher als Männer. Nach Layard38 unterscheiden sich Männer und Frauen hinsichtlich psychischer Erkrankungen, da Frauen mehr an Depressionen leiden und Männer zu Alkoholmissbrauch neigen, wenn sie unzufrieden sind. In Kapitel 8.5. werden die Faktoren, die zum Glück beitragen, aus Interviewausschnitten gezeigt. Danach kann die Frage, ob ein Mehr an Gütern glücklich macht, beantwortet werden. 8.5. Kategorie: Glücksfaktoren Meine Einstiegsfrage lautet: Ob das Mehr an materiellen und finanziellen Gütern glücklich macht. Auffallend war, dass oft andere Faktoren des Glücks bzw. des Wohlbefindens von den Interviewpartnern angesprochen wurden. Diese Faktoren des Glücks stellen die nächste Kategorie dar. Es soll ein Überblick darüber gegeben werden, welche Faktoren im Prozess der Sozialisation der Befragten zu einem angenehmen Leben beitragen. Welchen Stellenwert hat Geld und das Mehr 37 38 vgl. http://www.campus.de/goto/layard [20.10.2008] vgl. http://www.campus.de/goto/layard [20.10.2008] 72 an materiellen Gütern? Welche Faktoren des Glücks werden von den Befragten zusätzlich angesprochen, auf welche reagieren sie eher nüchtern und auf welche emotional? Der Kategorie Glücksfaktoren werden jenen Äußerungen zugeordnet, welche sich auf Erkenntnisse der Personen, die sie durch ihre Auswanderung in ein neues Land gewonnen haben und wie sie damit umgehen. Sie beinhaltet außerdem Äußerungen über Glücksfaktoren wie beispielsweise Familie, Arbeit, soziale Umwelt, Werte oder Freiheit. Als Ankerbeispiel dient folgender Ausschnitt aus einem Interview: B: Ich wollte frei leben, es geht mir finanziell nicht gut, aber ich lebe frei. Ich muss nicht hungern ((lacht)), ich muss nicht frieren und .. es war nicht vorwiegend .. ich gehe in den Westen, dass ich mir einen großen Wagen kaufen kann und ich dann angeben kann mit den Sachen, die ich gekauft habe. Das interessiert mich überhaupt nicht. Ich hab eh eine kleine Wohnung und ich hab das Geld eher für Bücher und für Reisen ausgegeben und ich hab auch ein tibetisches Patenkind und einen jungen Mann in Armenien habe ich sein Jusstudium finanziert. Das hat mir was gegeben! Folgende Zitate werden der Kategorie: Glücksfaktoren zugeteilt: A: Das ganze Sozialsystem so gut geregelt, die ganzen Förderungen, jetzt interessieren natürlich mehr dafür, weil wir es brauchen. Das gefällt uns und also jetzt bin ich in Karenz und ich kann mit meiner Tochter zwei Jahre zu Hause bleiben, ohne mir irgendwelche größere Sorgen machen zu müssen. Das gibt’s in Polen sicher nicht .. So Sachen sind einfach hervorragend geregelt ...... Aber es ist schon schwieriger oder problematischer, gute Freunde zu finden, vor allem wenn man in der Arbeit nicht so wirklich Möglichkeiten hat und die meisten Freundschaften hat man von Kindergarten, von Schule ... Ich weiß nicht.. und das fehlt uns, weil wir diesen Hintergrund hier nicht haben ... Aber langsam oder sicher gewinnen wir auch Freunde und das ist schon natürlich super! Auch, dass wir so multikulti leben, das gefällt mir auch gut. A bringt im folgenden Interviewausschnitt zum Ausdruck, wie sich die Selbstwertung im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung verstärkt hat. A: Die Tatsache, dass Polen in der EU ist, das hat wahnsinnig viel gebracht. Auch für meine Freunde, Bekannte, die in Österreich leben. Das hat ihnen so viel 73 Selbstsicherheit und Selbstwert gegeben. Auch das Gesetzliche, Finanzielle kommt langsam, aber von diesem Gefühl, wir gehören dazu und wir gehören genauso dazu, das ist unglaublich, wie viel das gebracht hat. Ich glaube sogar bei den Leuten, die schwarz arbeiten noch mehr als bei mir! Weil ich hab sowieso einen Mann. Ich habe Arbeitserlaubnis durch ihn. Man kann jetzt sagen, wir gehören auch zur EU und wir gehören alle zusammen, das hat schon sehr viel gebracht. Das ist Wahnsinn!! An den folgenden Beispielen ist festzustellen, welche zusätzlichen Faktoren des Glücks noch angesprochen wurden. B: Aber trotzdem, wie gesagt, ich habe eine schöne eingerichtete W o h n u n g, ich habe die halbe Welt gesehen und ich bin hier zu Hause. Ich wollte in der freien Welt leben, ich wollte studieren, ich wollte was sehen, ich wollte .. /ah/ es ist blöd, aber ich wollte Frank Zappa hören! Der war dort verboten. Einfach frei leben hier. Das hat sich erfüllt, nur ich wollte auch ein Teil der Gesellschaft sein und nicht der Gesellschaft zu Last fallen und das belastet mich, weil ich arbeitslos bin. Aber was soll ich machen. C: Ich habe ukrainische Freunde hier, österreichische .. Also, sobald man Freunde hat, weil abgesehen jetzt von Familie, weil das ist auch sehr schwierig, aber sobald man Freunde hat, fühlt man sich super gut. Zum Beispiel in Freiburg, wo ich Au-pair gemacht habe, /ehm/ auch dort habe ich noch viele Freunde und diese Stadt ist für mich irgendwie ((lacht)) Heimat geworden. Das ist schön und ich sag immer, ich fahr immer nach Hause, egal in welche Richtung ((lacht)), Richtung Ukraine, Österreich oder Deutschland. F: Wir sind auch als Familie zusammengewachsen, aber wir haben auch unsere Plätze hier gefunden und dadurch, dass wir eigentlich nicht primär wegen Geld gekommen sind, weil eigentlich .. wegen .. um ein geregelteres Leben zu führen. Geregelt nicht im Sinne von /ah/ angestellt sein, sondern in Ruhe, in Frieden leben. Sein Leben zu gestalten. Natürlich gehört das Geld dazu, das ist klar. Auf der anderen Seite muss man sagen, in Rumänien war das so, dadurch dass es ein kommunistisches Land war, bist du versichert gewesen vom Staat aus. Niemand war arbeitslos. Das sind die Dinge, wo man sagen muss, das gibt’s hier halt nicht. Also, deswegen war das Leben auch nicht besser. Es ist auch relativ gesehen, glaube ich, das Ziel war nicht das Geld, definitiv nicht .. meine Eltern waren einfach zu .. zu abenteuerlich drauf. Die hätten irgendetwas gefunden, um sich das Überleben zu sichern. G: Ich weiß es nicht. Es ist zwar sehr schön in Wien und ich mag Wien .. bleiben .. ja die nächste Zeit schon. Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass ich weggehe. Wie gesagt, ich fahr immer gerne nachhause und es ist auch mein zuhause, weil ich dort verwurzelt bin und meine Familie vermisse. Aber dort leben, nein, eher nicht. H: Ja, eins möchte ich noch sagen, vielen reicht das Geld. Ich kenne Leute, die arbeiten sehr viel, gehen dann nachhause. Jeden Tag das gleiche, immer und 74 immer, aber die hatten meistens Krieg zu Hause. Die haben keine Sicherheit, glauben nicht daran, dass es so bleibt. Sie haben Angst, dass wieder Krieg kommt. Sie wollen die Sicherheit, viele die aus Kroatien, Serbien kommen. Ja, die sind vielleicht glücklicher, ich weiß es nicht, jeder ist anders. Die verschiedenen Interviewausschnitte zeigen, welche Faktoren unser Glück beeinflussen können. An dieser Stelle beziehe ich mich auf Layard (vgl. 2005, S. 77f.). Er stellt fest, dass Alter, Geschlecht, Aussehen, Intelligenz und Bildung nur in geringem Maße unser Glück beeinflussen. Welche Faktoren laut Layard (vgl. 2005, S. 77) uns wirklich beeinflussen, hängt von sieben Faktoren ab: familiäre Beziehungen, die finanzielle Lage, die Arbeit, unsere Umgebung und Freunde, die Gesundheit, die persönliche Freiheit und unsere Lebensphilosophie. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass alle Faktoren, außer der gesundheitliche Faktor, in den Interviews angesprochen wurden. Bezogen auf die Interviewausschnitte, gaben drei der Interviewten an, dass ihnen die Familie sehr wichtig ist und zwei davon, dass sie ihre Familie zuhause sehr vermissen, aber trotzdem bevorzugen, in Österreich zu leben aufgrund der höheren Lebensqualität. Drei von sechs Befragten betonen, dass ihnen die Freiheit sehr wichtig ist und ein Interviewpartner hebt deutlich hervor, dass es für viele Menschen, die Krieg miterlebt haben, an oberster Stelle des Glücks die Sicherheit steht, weil sie Angst haben, nochmals in eine solche Situation der Angst und Armut zu geraten. In der vorliegenden Forschungsarbeit wurden die Antworten der Interviewpartner miteinander verglichen, um Ähnlichkeiten und Unterschiede festzustellen. Im Zusammenhang mit dem Begriff bzw. Prozess der Sozialisation entstanden die behandelten Kategorien, aufgrund der Annahme dass die Befragten zusätzlich zur finanziellen Erwartung andere Bereiche ansprechen werden. Wie sich gezeigt hat, hat sich diese Hypothese bestätigt. Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der Interpretationen zusammengefasst und im Hinblick auf die Fragestellung beantwortet werden. 75 9. Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse Die Ausgangshypothese lautete: Geld macht nicht glücklich... Erfüllte finanzielle und materielle Erwartungen schon? Es wurden auch die Fragen gestellt: Kann Geld vielleicht doch glücklich machen? Inwieweit lässt sich diese Einstellung durch die Herkunft der jeweiligen Personen erklären? Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass alle Personen das Mehr an Geld und materiellen Gütern nicht als einzigen Glücksfaktor nennen. Sie nennen viele andere Faktoren, die zu ihrer Zufriedenheit beitragen. E, sie kommt aus der Ukraine, war durch ihren hohen Lohn als Kellnerin in Österreich zufrieden, weil sie sich dadurch mehr leisten konnte. Sie machte das Mehr an Geld und Kaufkraft glücklich. Die anderen Migranten schätzen das Mehr an Geld und Gütern nicht so hoch ein. Eine weitere Person (F), der als Kind mit seinen Eltern nach Österreich ausgewandert ist, gab an, dass seine Eltern im Vergleich zu Österreicherin viel kaufen und sich mittlerweile daraus eine Sammelleidenschaft entwickelt hat. Auf die Frage, ob sich ihre Erwartungen erfüllt haben, nennen zwei Personen (A, E) die staatlichen Förderungen (Karenzgeld, Stipendium) und eine (D), die Möglichkeit in Österreich ihr Studium machen zu können. Finanzielle Erwartungen werden nur von F, H und J angesprochen. Alle drei sagen, dass sich ihre Erwartungen erfüllt haben. H gibt an, dass die finanziellen Erwartungen mehr als erfüllt worden sind, ihn dies aber nicht glücklich macht, mit der Aussagen, dass nicht alles käuflich ist. Er will in ein anderes Land auswandern, weil für ihn in Österreich zu wenig Sonne ist. Er sagt, dass in den Straßen, Kaffeehäusern und Häusern zu wenig Sonne ist. Mit dem Wort Sonne meint H Lebensfreude, Kontaktfreudigkeit, Gemeinschaftsleben und er diese Einstellungen an Österreich vermisst. Fasst man alle Aussagen der Interviewpartner zusammen, kann festgestellt werden, dass ein Mehr an Geld und Gütern nicht glücklicher macht. Was zur Zufriedenheit am meisten beiträgt, sind politische Sicherheit, Stabilität und Ordnung, Meinungs- und Redefreiheit, Wahlmöglichkeiten, die die eigene Lebensplanung betreffen und staatliche Förderungen, wie Karenzgeld, Stipendium usw. Alle Befragten sagten auch, dass Freunde und Familie sehr wichtig sind. Das empfinden die Migranten als negativ an Österreich, wie der folgende Abschnitt 76 zeigt. Die Ergebnisse der Interviews bestätigen die Aussagen der Glücksökonomen. Menschen sind, behauptet Seligmann (vgl. 2005, S. 77) nicht glücklicher, wenn sie über mehr Einkommen bzw. mehr Kaufkraft verfügen. Nur Arme werden dadurch glücklicher, also Menschen die in absoluter Armut (vgl. Wolski-Prenger, 1993, S. 40) leben. Dazu zählen jene Personen, die um ihre Existenz kämpfen müssen, weil lebensnotwendige Dinge wie zum Beispiel Nahrung nicht ausreichend vorhanden ist. E betont, dass sie anfangs in Österreich der Zuwachs von Geld glücklich gemacht hat. Der Grund dafür, dass sie heute weniger zufrieden ist, könnte daran liegen, dass sie jetzt – im Vergleich zu ihren Nachbarn – über weniger Einkommen verfügt. Das würde die These von Bellebaum (vgl. 2002, S. 280) bestätigen. Er behauptet, dass nur die Menschen glücklich sind, die über mehr Geld als ihre Altersgenossen verfügen. Auch Layards Behauptungen (vgl. 2005, S. 45) konnten durch die Interviews bestätigt werden. Die Migranten gaben alle an, dass Mitmenschlichkeit, Familie und andere soziale Kontakte wichtiger sind als Geld und materielle Güter. Der Interviewpartner H möchte auswandern aus Österreich, weil die Österreicher ihm zu wenig Wärme ausstrahlen. In der Diplomarbeit wurde auch die Frage gestellt: Welche Schwierigkeiten können Migranten mit der sozialen Eingliederung in ihrem neuen Heimatland haben? Alle Migranten sagen, dass die Mentalitätsunterschiede zwischen ihren Heimatländern und Österreich groß sind. In diesem Zusammenhang nennen sie vor allem die wenigen sozialen Kontakte, die zwischen den Nachbarn und in den Familien herrschen. In ihren Geburtsländern sind die Menschen offener und toleranter anderen gegenüber. Sie leben in einer sozialen Gesellschaft und verbringen weniger Zeit alleine. In Österreich sei es schwer, Freundschaften zu schließen. Die Hilfsbereitschaft und der Zusammenhalt zwischen den Menschen sei sehr gering, wenn es mit der Heimat verglichen wird. Alle Migranten, die sich zu diesem Thema äußerten, gaben an, dass sie diese Eigenschaften an Österreich vermissen. In diesem Bereich ist es für die Interviewpartner schwierig gewesen, sich den soziokulturellen Normen der österreichischen Gesellschaft anzupassen. Nur eine Interviewte (A) gab an, dass es keine Mentalitätsunterschiede zwischen ihrer Heimat und Österreich gibt. Sie macht die gleiche Religion und die gemeinsame Geschichte dafür verantwortlich. 77 Dass Menschen weniger kontaktfreudig sind, führt sie darauf zurück, dass Wien eine Großstadt ist. Auch zwei andere Interviewpartner (E, I) bestätigten, dass nicht der Mentalitätsunterschied zwischen den Ländern, sondern die Tatsache, dass Wien eine Großstadt ist, für die Anonymität verantwortlich ist. Mit welchen Problemen von Migranten aus Osteuropa können Sozialpädagogen konfrontiert werden? Wenn man die Interviewausschnitte betrachtet, zeigt sich, dass die meisten Migranten Probleme mit der österreichischen Mentalität haben. Sie bezeichnen die Österreicher als wenig hilfsbereit und kontaktarm. Dies kann zu Isolation der Migranten führen. Sie können sich dadurch sehr einsam fühlen. Sozialpädagogen können durch verschiedene Programme dagegen steuern. Eine Möglichkeit ist, Treffen zu veranstalten, bei denen Migranten neue Sozialkontakte knüpfen können. Diese Treffen können z. Bsp. multikulturell angelegt sein. Dies trägt dazu bei, die Eingliederung zu erleichtern. So können sie mit anderen Migranten über ihre Schwierigkeiten sprechen und sich gegenseitig unterstützen. In dieser Arbeit wurde auch die Frage gestellt: Welche Aspekte sind zu berücksichtigen, damit Migranten sich in eine Gesellschaft, in der bestimmte soziale, kulturelle und materielle Werte bestehen, die sich von denen ihrer Geburtsländer unterscheiden, eingliedern können bzw. wollen? Wichtig in diesem Zusammenhang ist, sozialpädagogischen dass Praxis die unterschiedlichen nicht ausgeblendet Mentalitäten werden. in der Migranten sind wahrscheinlich eher dazu bereit, sich in die österreichischen Strukturen einzugliedern, wenn sie sich als Personen mit ihrer jeweiligen Kultur ernstgenommen fühlen. Das bedeutet, dass es in der praktischen Arbeit mit Migranten wichtig ist, dass ihr kultureller und religiöser Hintergrund gekannt wird, damit sie sich als Menschen respektiert fühlen. Dieses Wissen kann außerdem dazu beitragen, dass Schwierigkeiten, die sich durch diese Unterschiede ergeben haben, schneller erkannt werden und erleichtert Lösungen zu finden. Auch Sprachschwierigkeiten können zur Isolation beitragen. Die interviewten Personen haben mittlerweile alle Deutsch gelernt. A gibt an, dass sie mit ihrer Tochter polnisch spricht, es aber besser wäre, wenn sie französisch reden würde. Sie hat das Gefühl, dass ihre Heimat und die Sprache für Österreicher 78 minderwertig sind. Das kann zu einem schlechten Selbstbild und Problemen führen. Warum sie diese negative Einstellung hat, geht aus dem Interview nicht hervor. Welche Aspekte können sich in der Zusammenarbeit mit Migranten aus Osteuropa ergeben, wenn diese Personen sich in einem Stadium der nicht geglückten Sozialisation befinden? Sozialpädagogen kann es helfen, die Erwartungshaltungen der Migranten zu kennen. Jeder hat andere Erwartungen an seine neue Heimat. Das haben die Interviews gezeigt. Deswegen sollte der Pädagoge die ganz persönlichen Erwartungen kennen, wenn er einen Migranten unterstützen möchte, der sich in einem Stadium der nicht geglückten Sozialisation befindet. Dadurch können die Erwartungen analysiert werden. Die Frage kann gestellt werden, ob die Erwartungen realistisch waren. Wenn sie nicht realistisch gewesen sind, kann der Sozialpädagoge gemeinsam mit dem Migranten Maßnahmen erarbeiten, die er setzen kann (Ausbildung etc.), um dieses Ziel zu erreichen. Waren die Erwartungen unrealistisch, können sie korrigiert und durch erreichbare ersetzt werden. Diese Folgerungen können nicht nur in Zusammenarbeit mit Migranten wichtig sein. Auch Menschen aus Österreich, die sich den materialistischen Regeln nicht unterordnen, können in diesem Gesellschaftssystem scheitern. Es ist sicher schwierig sich in einer Gesellschaft zurechtzufinden, in der materialistische Werte vorherrschen, wenn für einen selbst diese nicht an erster Stelle stehen. Precht (2007, S. 350) behauptet, dass die Menschen frei werden wollen und deshalb nach materiellem und finanziellem Besitz streben. Der Grund für diese Bestrebungen ist das Bedürfnis nach Sicherheit, „die sie wahrscheinlich nie erlangen“. Das Mehr an Essen, Autos usw. verbessert nicht unseren Seelenzustand (Precht, 2007, S. 352). Die Auswertung der Interviews kann mit folgenden Worten von Schneider (2007, S. 17) zusammengefasst werden: „Glücklicher geworden sind wir nicht – so sagen es die Leute und die Lebenserfahrung (Anm. des Autors: Auswertung) spricht dafür, dass man ihnen glauben kann“ . 79 10. Literaturverzeichnis Argyle, M. & Furnham, A. (1998). The Psychology of Money. New York: Routledge. Augstein, R., Aust, St. & Burgdorff, St. (2002). Die Flucht: Über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. 2. Aufl. Stuttgart: DVA/Spiegel Buchverlag. Bähr, J., (1992). Bevölkerungsgeographie. Verteilung und Dynamik der Bevölkerung in globaler, nationaler und regionaler Sicht. 2. Aufl. Stuttgard: Eugen Ulmer. Bellebaum, A. (2002). Glücksforschung. Eine Bestandsaufnahme. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH. Ben-Shahar, T. (2007). Glücklicher. Lebensfreude, Vergnügen und Sinn finden mit dem populärsten Dozenten der Harvard University. München: Riemann. Berthold, N. & Neumann, M. (2003). 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Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz, Wien 2000 - 2001 Art Ware AG, Kunst & Marketingfirma, Wien 1998 - 1999 Ordinationshilfe (praktischer Arzt), Apetlon, Burgenland 86 PRAKTIKA: 06/2005 Kinderfreunde Steiermark 09/2005 Praktikum im AKH Wien (HIV-Station), Betreuung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen 04/2008 Europa in Action: Bildung für alle! Internationale Konferenz über inklusive Bildung, Wien ANGESTREBTE TÄTIGKEIT: Nach Beendigung meiner Ausbildung möchte ich gerne im Bereich der Kinder- und Jungendberatung tätig sein. Aufgrund meiner Ausbildung bin ich befähigt in den verschiedensten sozialen Berufen tätig zu sein. 87