Medialer Koch-Hype im Spiegel der Ernährungsbildung
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Medialer Koch-Hype im Spiegel der Ernährungsbildung
wissenschaft & forschung | Begutachtetes Original Eingereicht: 28. 8. 2008 Akzeptiert: 12. 10. 2008 Auf privaten und öffentlich-rechtlichen Kanälen werden derzeit unzählige Kochsendungen ausgestrahlt, die relativ hohe Einschaltquoten bei der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen vermelden [1, 2]. Sarah WIENER und Familienministerin Ursula V. D. LEYEN kochen medienwirksam mit Kindern [3]. Am Kochwettbewerb „Deutschland kocht“ beteiligen sich über 120 Teams und mehr als 25 000 Zuschauer stimmen über die Sieger ab [4]. Der vorliegende Artikel untersucht Zusammenhänge zwischen diesem medialen Koch-Hype und einer verantwortungsvollen, nachhaltigen Ernährungsbildung. Medialer Koch-Hype im Spiegel der Ernährungsbildung Einführung Zu der im Vorspann angesprochenen Veranstaltung von S. WIENER und U. v. d. LEYEN findet sich folgender Pressetext auf WIENERS Homepage: Prof. Dr. Ute Bender Institut für technische und haushälterische Bildung Pädagogische Hochschule Karlsruhe Bismarckstraße 10 76133 Karlsruhe E-Mail: bender @ph-karlsruhe.de 80 „Vor dem Hintergrund zunehmender Fehl- und Mangelernährung demonstriert die Veranstaltung, wie Kinder und Jugendliche durch gezielte Koch- und Esskurse in den Schulen an gesunde Ernährung und Esskultur herangeführt werden können – gerade auch, weil immer mehr Elternhäuser dieses Thema vernachlässigen.“[5]. Hier wird deutlich, dass die (nicht regulär zur Köchin ausgebildete) Fernsehköchin Sarah WIENER einen ernährungspädagogischen Anspruch vertritt. Sie beruft sich zudem u. a. auf die Empfehlungen des Forschungsinstituts für Kinderernährung und auf REVIS (Reform der Ernährungs- und Verbraucherbildung in Schulen) [6]. Ebenso weist der populäre britische Fernsehkoch Jamie OLIVER auf seiner Homepage auf sein Engagement für eine hochwertigere Verpflegung an britischen Schulen hin [7]. In Anlehnung an das populäre Format „Kochwettbewerb“ wie etwa „Das perfekte Dinner“ (VOX) oder „Kochduell“ (ehemals VOX) führen auch Schulen Wettbewerbe der Nahrungszubereitung durch: Der damalige Bundesminister SEEHOFER Ernährungs Umschau | 2/09 und bekannte Köche prämierten die Sieger der landesweiten Konkurrenz in Bayern und Schleswig-Holstein. SEEHOFER betonte, dass „ausgewogene Ernährung der Schülerinnen und Schüler (…) die Basis für Lern- und Leistungsfähigkeit“ sei [8]. In medienwirksamen Initiativen wird also mehr oder weniger explizit eine Verbindung zwischen „Kochkursen“ oder „Kochwettbewerben“ und „Ernährungsbildung“ konstruiert. Das erste Kapitel des vorliegenden Beitrags widmet sich diesem Zusammenhang, indem es einige grundsätzliche Klarstellungen vornimmt. Anschließend skizziert der Artikel eine knappe Analyse zu TV-Kochsendungen. Danach wird untersucht, ob und wie Kochkurse im Fernsehen als Medien der Ernährungsbildung eingesetzt werden könnten. Mit einem Fazit schließt das Ganze ab. Glossar: Konstruktivismus = menschliches Erleben und Lernen ist Konstruktionsprozessen unterworfen, die durch sinnesphysiologische, neuronale, kognitive und soziale Prozesse beeinflusst werden. Die Kernthese des K. besagt, dass Lernende im Lernprozess eine Klarstellungen individuelle Repräsentation der „Kochen“ bzw. „Nahrungszubereitung“ in der Ernährungsbildung Wenn in den Medien von „Kochen“ die Rede ist, meint dieser Begriff in umgangssprachlicher Deutung im Allgemeinen die Nahrungszubereitung. „Kochen“ hingegen bezeichnet bekanntlich nur eine Gartechnik. Anders als „Ernährungssendungen“ stellen „Kochsendungen“ wie Kochshows, Kochwettbewerbe, Koch-Dokus etc. nicht die Information Welt schaffen. Was jemand unter bestimmten Bedingungen lernt, hängt somit stark, jedoch nicht ausschließlich, von dem oder der Lernenden selbst und seinen/ihren Erfahrungen ab. Kochshows im Fernsehen sind zurzeit sehr beliebt über Lebensmittel oder Ernährung in den Mittelpunkt, sondern die Nahrungszubereitung. Nur am Rande thematisieren einige der Sendungen den Einkauf sowie den Verzehr von Speisen oder/und geben wenige weiterführende Hinweise. Die Kompetenz, Lebensmittel sachgerecht zubereiten zu können, spielt in den Zielen der Ernährungsbildung der Gegenwart, wie sie insbesondere in REVIS formuliert werden, durchaus eine Rolle [6]. So umfasst das dritte Bildungsziel von REVIS „Die Schülerinnen und Schüler handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung“ u. a. die Kompetenzen, „Speisen und Gerichte sowie die Lebensmittel-Auswahl unter Berücksichtigung von Sinnlichkeit, Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten (zu) können“ sowie „Techniken der Nahrungszubereitung kennen, verstehen, reflektieren und anwenden (zu) können“. Obwohl die sorgfältige Zubereitung von Lebensmitteln und eine bedarfsgerechte sowie kreative Gestaltung von Mahlzeiten komplexe Anforderungen stellen, beinhalten die Ziele und Kompetenzen, die in REVIS für eine aktuelle Ernährungs- und Verbraucherbildung vorgesehen sind, zahlreiche weitere Aspekte, die sowohl das biografische Gewordensein von Essen und Ernährung ansprechen als auch deren soziokulturelle, ökologische, politische etc. Vernetzungen ebenso wie ernährungsphysiologische Fragestellungen u. v. m. © VOX – Kocharena Fr. 20.15 Uhr Auch wird der Begriff der „Gesundheit“, der im Kontext des „Kochens“ immer wieder fällt, im Rahmen von Ernährungsbildung keineswegs statisch wertend gefasst, sondern im salutogenetischen Sinn als subjektiv zu gestaltende Aufgabe von Individuen [9]. Kochkurse bieten somit einen ersten sinnlich-motivierenden Einstieg in die Ernährungsbildung und ermöglichen Zugänge zu einer differenzierten Genussfähigkeit und einer ästhetisch-orientierten Gesundheitsbildung [10, 11] – den Aufbau komplexerer Kompetenzen können sie aber keinesfalls ersetzen! NahrungszubereitungsKompetenz und bedarfsgerechte Ernährung Auf den ersten Blick erwecken der oben erwähnte Wettbewerb „Deutschland kocht“ sowie die zahllosen Kochwettbewerbe, allen voran „Das perfekte Dinner“ (VOX), den Eindruck, die Deutschen seien ein ganzes Volk von Kochkünstlern und -künstlerinnen. Die Nationale Verzehrsstudie relativiert diese Einschätzung drastisch und weist vor allem mangelnde Kompetenzen der Männer nach: 6,4 % der Frauen und fast 40 % der Männer sagen von sich, „wenig bis gar nicht gut“ oder „überhaupt nicht“ kochen zu können [12]. Darüber hinaus suggerieren einige mediale Aussagen zu Kochkursen und -sendungen, wie die von Sarah Wiener zitierten, dass Personen, die über Kochkompetenzen verfügten, sich auch adäquat ernähren würden. Wiederum zeigt die Nationale Verzehrsstudie, dass dies nicht der Fall ist: Etwa zwei Drittel der deutschen Männer und etwas mehr als die Hälfte der Frauen sind übergewichtig oder adipös. Mehr noch: Während Koch-Kompetenzen bei den Frauen mit dem Alter zunehmen, steigt genauso der Anteil der übergewichtigen und adipösen Frauen [12]. Wer „kochen“ kann, gestaltet sein Ernährungshandeln also keineswegs immer bedarfsgerecht. Aus dem Vorangehenden folgt, dass der derzeitige mediale Koch-Hype ein gänzlich falsches Bild tatsächlich vorhandener Kompetenzen vermittelt; daneben bestätigt sich die bereits getroffene Feststellung, dass der Aufbau von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Nahrungszubereitung eine weitergehende schulische Ernährungs- und Verbraucherbildung nicht ersetzen kann. Obwohl die mediale, auch politische, Diskussion des Zusammenhangs von „Kochkursen“, „Kochkompetenz“ und „Ernährungsbildung“ somit hochgradig unterkomplex geführt wird, sind die Chancen, die der Aufbau von Kompetenzen in der Nahrungsmittelzubereitung eröffnet, nichtsdestotrotz zu erkennen und zu nutzen. Insbesondere Kochkurse im Fernsehen könnten ein breites Publikum mit unterschiedlichem Bildungsstand, Milieu, Geschlecht, Alter etc. erreichen und durch den Aufbau von Kochkompetenzen eine wichtige Sensibilisierung in Richtung bedarfsgerechter Ernährung bewirken [13]. Aus diesem Grund skizziert das folgende Kapitel knapp Forschungsergebnisse zum Thema „Kochsendungen“. Ernährungs Umschau | 2/09 81 쑺 wissenschaft & forschung | Begutachtetes Original TV-Kochsendungen Eine umfassende Analyse solcher TVBeiträge aus ernährungsphysiologischer Sicht liegt bislang nicht vor. RÖSSLER et al. untersuchten 2002 bis 2003 das gesamte Programmangebot von acht Kanälen auf ernährungsbezogene Inhalte und stellten fest, dass die gezeigten Ernährungsgewohnheiten, etwa der hohe Konsum von Snacks, Süßigkeiten oder Alkohol, deutlich von den DGE-Empfehlungen abweichen [14]. Zwei nicht veröffentlichte ältere Diplomarbeiten, die sich mit ernährungsrelevanten Sendungen in ARD und ZDF, insbesondere mit Kochsendungen und mit der Sendung „Alfredissimo“ befassen, kommen zu dem Ergebnis, dass man ernährungsbewusstes Handeln dort nicht vernachlässige und dass z. B. in „Alfredissimo“ „trotz der dominierenden Genussorientierung auch wertvolle sachliche Informationen… vermittelt“ würden [14]. Eine aktuelle Untersuchung der Sendungen von Jamie OLIVERS „Jamie at Home“ (RTL2) von Januar bis März 2008 hingegen ergibt im Vergleich mit den zehn Regeln der DGE und mit optimiX® sehr bedenkliche Ergebnisse: Die Rezepte beinhalten u. a. zu selten Obst, Gemüse und kohlenhydratreiche Beilagen und verarbeiten zu oft tierische Fette. So stellt OLIVER beispielsweise mehrheitlich Gerichte mit Fleisch vor, das zudem eher fettreich ist. Das „Spanische Omelett“ wird zwar aus Kartoffeln zubereitet – jedoch scheint der Anteil an Wurst und Kartoffeln ausgeglichen. Eine „Spargel-Kartoffeltorte“ enthält zwar kein Fleisch, dafür aber viel Käse und Eier. „Kochen“ wird als Event inszeniert, bei dem es in erster Linie um (vorgeblichen) Genuss geht; Kameraführung und Sprache, etwa Superlative der Alltagssprache, tragen erheblich zu dieser Inszenierung bei: „das ist der Knaller“, „das nächste Rezept wird euch gefallen, das ist super, super, super klasse...“, „... genau das ist der Bringer“. Wörter wie „fantastisch“, „wunderbar“, „schön“ oder „gut“ werden lt. STEINER [15] in jeder Sendung mehrfach wiederholt. Darüber hinaus zeigt OLIVER fragwürdige hygienische Praktiken: Er wäscht Gemüse und Obst vor der Verarbeitung nicht. Auch reinigt er sich zu Beginn der Arbeit nicht die Hände – obwohl er z. B. gerade im Garten war und seine Hände zudem häufig als Ersatz für Küchengeräte benutzt, indem er z. B. mit den Fingern das Bratgut in der Pfanne wendet oder den Salat mischt. KETCHUM analysiert die Kochshow „Olivers Twist“ mit Jamie OLIVER auf dem amerikanischen Kanal „Food Network“ (in Deutschland auf RTL2) und entlarvt diese als erotische, vorrangig konsum- und genussorientierte Werbe-Veranstaltung: Wenn Jamie OLIVER etwa Pasta probiert, nimmt er die Nudeln mit den Fingern aus dem Topf, zieht eine dekorative Schnute und saugt sie geräuschvoll ein – die Kamera zeigt sein Gesicht dabei in Großaufnahme [15, 16]. In den von STEINER analysierten Sendungen hängen in der Küche Töpfe und Pfannen der „Jamie Oliver Professional series“, einer bekannten Marke, für die der Koch zu Beginn und am Ende seiner Show Werbung macht. Obwohl die Ergebnisse von STEINER und KETCHUM nicht repräsentativ für deutsche TV-Kochsendungen sind, lässt sich begründet vermuten, dass das Speisenangebot dieser Sendungen aus der Perspektive der Ernährungs- und Verbraucherbildung allenfalls auszugsweise nachgeahmt und angemessen modifiziert werden sollte. Wollte man solche Sendungen im Sinne verantwortungsvoller nachhaltiger Bildung einsetzen, müssten sie in verschiedener Hinsicht verbessert werden. TV-Kochkurse als Medien der Ernährungsbildung Grenzen der Einflussnahme Kochenlernen als sinnlich-motivierender Einstieg in die Ernährungsbildung 82 Ernährungs Umschau | 2/09 Generell ist von der Vorstellung Abstand zu nehmen, Fernsehen beeinflusse sein Publikum im Sinne eines primitiven „Stimulus-ResponseMechanismus“. Aktuelle Ansätze der Medienforschung betonen vielmehr die aktive Rolle der Rezipierenden und entwickeln hiervon u. a. konstruktivistische Auffassungen [17, 18, 19]. Die bereits erwähnte Untersuchung von RÖSSLER et al. (2006) zeigt via Experiment, dass Ernährungseinstellungen durch kurzfristige Maßnahmen im Fernsehen kaum beeinflussbar sind. Sie ergibt außerdem, dass das Framing bzw. die „Rahmung“ der Inhalte, d. h. die Bezüge und Zusammenhänge, in denen sie dargestellt werden, für das Erinnerungsvermögen an die Inhalte eine Rolle spielt: Die Teilnehmer/innen der Studie erinnern sich am besten an die Botschaften des Risikoframes, die auf Gefahrvolles hinweisen, dann folgen Inhalte des Serviceframes (z. B. aus Ratgebersendungen) – am schlechtesten werden die Botschaften des Lifestyleframes erinnert [14]. Aktuelle TV-Kochsendungen sind zumeist dem Lifestyleframe zuzuordnen. In eine ähnliche Richtung gehen Ergebnisse der Nationalen Verzehrsstudie: Fernsehen, Zeitschriften und andere Medien spielen beim Erwerb von Kochkompetenzen nach Angaben der Befragten eine nachgeordnete Rolle. Die meisten Frauen und Männer haben „das Kochen“ von ihrer Mutter gelernt oder es sich selbst beigebracht [12]. So verwundert es kaum, wenn mehrfach durchgeführte Befragungen von Lehramtsstudierenden an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe darauf verweisen, dass diese aktuelle TVKochsendungen vor allem als unterhaltsam und weniger als informativbelehrend einschätzen. Studierende, die selbst Kochshows rezipieren, gehen nicht davon aus, dass Zuschauer, insbesondere die eher junge Zielgruppe der Kochshows von Jamie OLIVER oder Tim MÄLZER („Schmeckt nicht – gibt’s nicht“ ehemals auf VOX), die Zubereitungen nachahmen. Ein Grund hierfür liege auch darin, dass die ausgewählten Lebensmittel und hergestellten Speisen bzw. Mahlzeiten tendenziell nicht den Ernährungsgewohnheiten jüngerer Menschen entsprächen und folglich alltagsfern seien. Diese Befunde deuten an, in welche Richtung mögliche Modifikationen gehen könnten: So Eine gesündere Lebensmittelauswahl wäre für Kochshows zu wünschen wären u. a. Framing und Auswahl der Speisen in den Kochsendungen zu ändern, um die Nachahmung stärker anzuregen. Möglichkeiten der Einflussnahme Wenn ernährungspädagogisch konzipierte Kochkurse im Fernsehen gesendet würden, ließe sich dies als Entertainment-Education-Maßnahme auffassen, d. h. ein Sendeformat, das Unterhaltung und „Erziehung“ in Richtung eines bedarfsgerechten, verantwortungsbewussten Ernährungsverhaltens integriert. Eine einzige derartige Kochshow-Reihe ist bislang gesendet worden: Die „KochCharts“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die, mit zahlreichen Wiederholungen, ab 2001 auf dem Kinderkanal von ARD und ZDF liefen. Die Sendungen verzeichneten sehr gute Einschaltquoten, ihr ernährungsbezogener Erfolg wurde allerdings nicht evaluiert [20]. Durch die BZgA wird EntertainmentEducation (E-E) im deutschen Fernsehen auch auf andere Weisen praktiziert. E-E-Maßnahmen sind jedoch vor allem in den USA verbreitet und finden bei zahlreichen Produktionen, etwa zur Familienplanung oder Gesundheitsvorsorge, in so genannten Entwicklungsländern Einsatz. Als Format für E-E werden zumeist Telenovelas oder Daily Soaps verwendet, die auf der Basis von BANDURAS sozial-kognitiver Theorie eine hohe Identifikation mit einzelnen Rollencharakteren ermöglichen: Durch das Angebot von eindeutig „guten“ bzw. „bösen“ Figuren und insbesondere auch „transformatorischen“ Rollen, die sich von „böse“ nach „gut“ wandeln, zielen E-E Sendungen bei den Rezipierenden nicht nur auf eine Veränderung von Handlungen, sondern insbesondere von Einstellungen ab. Ob E-E-Maßnahmen in westlichen Industrieländern ähnliche Erfolge aufweisen können wie in Entwicklungsländern, ist noch nicht umfassend evaluiert [21–24]. Da Kochsendungen, anders als Telenovelas oder Daily Soaps, üblicherweise keine stark emotional besetzten Rollen anbieten, bleibt fraglich, inwiefern sie langfristige Einstellungsveränderungen auf Seiten der Rezipierenden hervorrufen könnten – selbst wenn man sie mehrmals in der Woche ausstrahlen würde. Realisti- Ernährungs Umschau | 2/09 83 쑺 wissenschaft & forschung | Begutachtetes Original scher scheint die Absicht, durch Kochkurse handlungsbezogene Kompetenzen der Nahrungsmittelzubereitung aufzubauen. Modellieren von Nahrungszubereitung BANDURAS Ansatz kann nicht nur zur Entwicklung von Rollen und Veränderung von Einstellungen, sondern auch zur Modellierung von Handlungen, die zur Nachahmung einladen, herangezogen werden [25]. Für die Effizienz des Modellierens spielen nach BANDURA verschiedene Prozesse eine Rolle, insbesondere die Motivation der Adressaten, die demonstrierte Handlung nachträglich auszuführen. Dabei kommt es vor allem auf die Attraktivität des Modells an. So sind männliche Modelle nachweislich effektiver als weibliche. BANDURAS Nachahmungstheorie wird durch aktuelle neurophysiologische Forschungen entscheidend unterstützt, die unter dem Stichwort „Spiegelneurone“ herausstellen, dass Handlungen, die durch sympathische Menschen vorgeführt werden, nicht nur deren motorische Repräsentation im Zuschauenden hervorrufen, sondern auch entsprechende Gefühle und Empfindungen wecken [26]. Wenn Fernseh-Köche, wie dies u. a. J. OLIVER praktiziert, häufig Blickkontakt zum Publikum aufbauen und es als Gegenüber direkt ansprechen, kann dies den Aufbau von „freundschaftlichen“ Beziehungen zwischen Zuschauenden und Medienfigur unterstützen und die Nachahmung fördern. Auch die alltagsnahe Sprache einiger Fernsehköche und ihr eher jugendliches Auftreten wirken anziehend auf die Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen. Dass die zahlreichen vor allem männlichen Fernseh-Köche ein junges Publikum positiv beeindrucken, deuten aktuelle Ergebnisse des Berufsbildungsberichts an: Der Beruf „Koch/Köchin“ verzeichnet starken Zuwachs [27, 28]. Neben der Attraktivität des Modells ist, gerade auch im Gesundheitsbereich, die „Selbstwirksamkeitserwartung“ für eine spätere Nachahmung 84 Ernährungs Umschau | 2/09 bzw. Verhaltensänderung der Rezipierenden maßgeblich, d. h. diese stellen sich die Frage, ob sie sich zutrauen, die gezeigten Handlungen selbst zu realisieren [29, 30, 31]. Die zentrale Komponente der Selbstwirksamkeitserwartung wird nach Auffassung von Studierenden (siehe oben) durch eine alltagsferne Auswahl der Speisen in derzeitigen TV-Kochshows erheblich gemindert, obwohl entsprechende Rezepte und Kochbücher zu den Sendungen eine einfache Nachahmung suggerieren. Fazit Wollte man Rezipierende folglich mit Hilfe von TV-Kochkursen aktivieren, Kompetenzen in der Nahrungsmittelzubereitung zu erwerben und sie auf diese Weise für eine adäquate, genussvolle und nachhaltige Ernährung sensibilisieren, könnte man einige Aspekte von aktuellen Kochshows übernehmen, während man andere ändern sollte. So zeigt es sich für eine solche E-E-Maßnahme als aussichtsreich, attraktive männliche Modelle einzusetzen, welche durch geeignetes Auftreten freundliche Nähe zum Publikum suggerieren. Hingegen sollte die Auswahl der Rezepte stark modifiziert werden: Die hergestellten Speisen müssten nicht nur vor dem Hintergrund aktueller Ernährungsempfehlungen vertretbar sein, sondern auch die Selbstwirksamkeitserwartung positiv beeinflussen. Eine im Rahmen der Ernährungs- und Verbraucherbildung verantwortungsbewusst konzipierte Kochshow mit einem serviceorientierten Framing präsentierte sich darüber hinaus weder als manipulierende Werbeveranstaltung für Geräte, Kücheneinrichtungen, Kochbücher etc. noch als Botschafterin für Lifestyle. Literatur 왎 1. Einschaltquote „Das perfekte Dinner“. URL: http://www.presseportal.de/ pm/6952/1247971/vox_film_und_ fernseh_gmbh_co_kg?search=koch show (Zugriff 19.01.09) 2. Einschaltquoten „Jamie Oliver“. URL: http://www.presseportal.de/ pm/6605/1220546/rtl_ii?search=ja mie,oliver (Zugriff 09.10.08) 3. Pressemitteilung S. Wiener. URL: http://www.sarah-wiener-stiftung. org/presse.html (Zugriff 19.01.09) 4. Kochwettbewerb: Deutschland kocht. http://www.bongusto.de/community/ blogs/presse/muenchner-team-gewinnt -landesweit.hobbykoch-wettbewerbdeutschland-kocht (Zugriff 19.01.09) 5. Kochkurse an Schulen durch die Sarah Wiener Stiftung. 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These programmes suggest to the public that there is a link between cooking events or cooking expertise and need-based nutrition or nutritional education. This article critically examines this implied linkage and presents the possibilities and limitations for nutritional education in TV, using cooking courses as an example. Key words: Cooking programmes, TV cooks, eating culture, expertise in preparation, entertainment education Ernährungs Umschau 56 (2009) S. 80–85 Ernährungs Umschau | 2/09 쎱 85