Prävention durch Krafttraining
Transcrição
Prävention durch Krafttraining
TRAININGSLEHRE Prävention durch Krafttraining Teil 1: Die Kräftigung der Oberschenkelrückseite hilft, typische Folgeschäden zu vermeiden! Schon in der letzten Ausgabe brachte der Autor auf einem Gebiet ‘Licht ins Dunkel’, auf dem speziell in unserer Sportart bisher eine große Verunsicherung herrschte (vgl. fußballtraining 5+6/2003, Seite 28ff). Mit diesem Beitrag beweist er erneut sein Gespür für physiologische Defizite im Fußballtraining und informiert uns über… …Aspekte der Prävention und Leistungsoptimierung. Primäre Ziele sind, Verletzungen zu vermeiden und Gesundheitsgefahren zu minimieren, ohne dabei Einschränkungen in der Leistungsentwicklung in Kauf nehmen zu müssen. …geeignete Kraftübungen zur Gelenkstabilisation und zum Abbau von muskulären Dysbalancen auf der Grundlage einer leistungsbezogenen Differenzierung. Bei dieser Übung muss ein Partner die Unterschenkel festhalten, damit der Übende nicht nach vorne kippt! Alle C Axel Heimken Von Christoph Anrich Kräfteverhältnis Ein Trainingsinhalt hat immer auch ein Trainingsziel. So will man z. B. die Kraft für den Antritt oder Schuss verbessern. Bei der Umsetzung im Training liegen Chancen und Gefahren eng beieinander. Dort, wo Trainingsinhalte vermehrt trainiert werden, kommt es zu einer Superkompensation (Trainingsanpassung). Das bedeutet, der Muskel wird im Verhältnis zum Kraftreiz stärker. Dabei verschiebt sich aber auch zwangsläufig das ‘Muskelskelett’: Die Muskeln wirken auf Gelenke und Sehnen, indem sie Kraft entwickeln und diese Energie auf die passiven Strukturen übertragen. Wird ein Muskel (Agonist) mehr trainiert als sein Gegenspieler (Antagonist) – dies ist im FußballLeistungstraining oft der Fall –, beanspruchen veränderte Druckpunkte sowie Scherbelastungen Kapseln und Gelenke unphysiologisch. Besteht nun z. B. zwischen den Muskeln der Oberschenkelvorder- und Oberschenkelrückseite ein unharmonisches Kräfteverhältnis, kann es insbesondere im Kniegelenk zu Abnutzungserscheinungen kommen. Der daraus resultierende Knorpelverschleiß vollzieht sich am Anfang unbemerkt. Die Oberschenkelmuskulatur Die Beugemuskeln des Oberschenkels bezeichnet man auch als ischiocrurale Muskulatur. Sie verläuft zweigelenkig über das Hüftund Kniegelenk. Als Gegenspieler zum Quadriceps (Muskulatur der Oberschenkelvorderseite) sind die Muskeln für die Bein- bzw. Kniegelenksbeugung, aber auch für die Streckung des Hüftgelenks verantwortlich. Im Verhältnis zur Oberschenkelvorderseite sind die Kraftwerte der Oberschenkelrückseite beim Fußballer fast immer zu schwach. Da diese Muskulatur zudem auch noch auffällig häufig zur Verspannung neigt (vgl. fußballtraining 5+6/2003, S. 28 bis 36), erklären sich die typischen Probleme im Lendenwirbelsäulenbereich, am Kniegelenk und an der Muskulatur selbst. Problematik Eine funktional ausgewogen arbeitende Muskulatur gibt dem Gelenk zusätzlich Stabilität und Führung. Zu 70 bis 80 Prozent trainiert man bei einem Fußballtraining aber die Oberschenkelvorderseite. Weil die Muskulatur der Oberschenkelvorderseite in der Patellasehne (Sehne, die über der Kniescheibe verläuft) mündet, wirken sich durch das Fußballtraining provozierte muskuläre Dysbalancen negativ auf das 34 fußballtraining 7/2003 Oberschenkelrückseite Kniegelenk aus. Trainiert man die Oberschenkelrückseite im Verhältnis zur antagonistischen Muskulatur in der Tat unzureichend, sind typische Auswirkungen wie Knieprobleme, Rückenschmerzen, Muskelverletzung, Beweglichkeitsdefizite, Einschränkungen der optimalen, konditionellen Fertigkeiten, Koordinationseinbußen die Folge (vgl. Abb. 1). Die Bein- und Gesäßmuskulatur ist für den Fußballer von besonderer Bedeutung – sowohl unter dem Aspekt der sportlichen Höchstleistung als auch aus gesundheitlichen Gesichtspunkten. Ein gezieltes Krafttraining der Oberschenkelvorderseite ist vorwiegend nach Knieverletzungen oder -operationen in der Rehabilitation angemessen. Durch die natürliche Kräftigung der Oberschenkelvorderseite im Training und Spiel ist ein zusätzliches Krafttraining unter den oben genannten Bedingungen nicht erforderlich, sogar nicht ratsam. Da diese Muskulatur eher Beweglichkeitsdefizite aufweist, sollte man sie ins Beweglichkeitsprogramm aufnehmen. Trainiert man darüber hinaus sogar intensiv die Oberschenkelvorderseite, ohne die Rückseite entsprechend zu kräftigen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Gelenkprobleme oder Muskelverletzungen auftreten, weil sich große Zugspannungen an der Lendenwirbelsäule entwickeln. Eine Hyperlordose (Hohlkreuz) und der Beginn eines verletzungsprovozierenden Teufelskreises sind absehbar. Die funktionale Verbindung von Oberschenkel, Becken und Wirbelsäule sorgt für eine gute Körperhaltung. Eine durch Kraftdefizite oder Verspannungen bedingte Beckenkippung bringt diese Balance durcheinander. Besonders die für die Beckenaufrichtung entscheidenden Beinmuskeln sind für die richtige Körperhaltung mitverantwortlich. Fehlt Krafttraining diese, kann die Kraftverlagerung zu Muskelverspannungen, Bandscheibenproblemen und Rückenschmerzen führen. Beim Fußball wirken sich die Wettkampf- und Trainingsbelastungen insbesondere auf die Lendenwirbelsäule und damit auch auf die Beinmuskulatur aus. Fußballer sollten obendrein wissen, dass Muskelverletzungen der Oberschenkelmuskulatur durch Zug- und Druckbelastungen von der Wirbelsäule verursacht werden können. So manche Zerrung ist das Resultat von unharmonischen Kraftverhältnissen in der Lendenwirbelsäulenregion. Aufgrund der oben erläuterten einseitigen Belastung im Fußball sollte also vor allem die Oberschenkelrückseite zusätzlich gekräftigt werden, um Verletzungen vorzubeugen. TRAININGSLEHRE ABB. 1 TYPISCHE SPÄTFOLGEN Kräftigung der Oberschenkelrückseite Die Oberschenkelrückseite ist für die Beckenaufrichtung, Becken- und Kniestabilisierung sowie die Rückführung des Beines verantwortlich. Während der Pubertät leiden viele Fußballer an Knieproblemen, u. a. dem Patellaspitzen-Syndrom. Die Medizin führt dies auf Entwicklungsstörungen zurück: Das Längenwachstum vollzieht sich schneller als der nötige Kraftzuwachs, um das Kniegelenk zu entlasten. Eine gezielte Kräftigung der Oberschenkelrückseite wirkt gemeinsam mit dem Auftrainieren des inneren Anteils der Vorderseite (vastus medialis) kniegelenkstabilisierend und vermindert Zugspannungen auf die Patellasehne. Werden diese beide Maßnahmen 2- bis 3-mal pro Woche durchgeführt, klingen in der Regel bestehende Schmerzen rasch ab. Kraftübungen sind in der Regel Komplexübungen, weil sie mehrere Muskelgruppen (z. B. Oberschenkelrückseite, Gesäßmuskulatur und Rumpfmuskulatur) gleichzeitig erfassen. Dies gilt auch für die Übungen auf den folgenden Seiten. Liegt kein Bandscheibenvorfall vor, ist eine leichte Überstreckung der Lendenwirbelsäule, wie sie bei der Ausführung der folgenden Übungen auftritt, unproblematisch. Kraft, Ausdauer und Koordination Das Deuserband – Die Legende unter den Fitness-Geräten Eingesetzt zur allgemeinen Steigerung von Kraft, Ausdauer und Koordination ebenso wie zum gezielten Aufbau bestimmter untrainierter Muskelpartien, ist das Deuserband das ideale Fitnessgerät für zu Hause, im Verein oder auf Reisen. Ober der Mühle 30 D-42699 Solingen Tel.: 02 12 / 2 22 42-0 Fax: 02 12 / 20 89 94 e-mail: [email protected] www.schmidtsports.de TRAININGSLEHRE ÜBUNGEN ZUR KRÄFTIGUNG DER OBERSCHENKELRÜCKSEITE 1 Im Kniestand Ausführung • A kniet. B kniet dahinter und hält die Unterschenkel am Boden. • A bewegt den Oberkörper langsam nach vorne, ohne in der Hüfte zu kippen, verharrt kurz in der Position und kehrt ebenfalls langsam zur Ausgangsposition zurück. Hinweis • Falls die Muskulatur krampft, die Übung abbrechen und die Verspannung mit dem PI-Effekt lösen (vgl. fußballtraining 5+6/2003, S. 28ff). B A VARIATION Ausführung Gleicher Ablauf wie oben, nur jetzt einen Ball mit gestreckten Armen über den Kopf halten (Erschwernis). 2 Aus der Rückenlage beidbeinig Hinweise • Je weiter die Füße auseinander sind, desto leichter ist die Übung. • Auf eine ruhige und gleichmäßige Atmung achten! Falls keine Ein- und Ausatmung möglich ist, während der Belastung wenigstens ausatmen. • Das Becken darf während der Ausführung nicht seitlich kippen. • Den Kopf kurz über dem Boden halten. Ausführung • Aus der Rückenlage und bei leicht gebeugten Beinen das Becken anheben und die Zehen anziehen. • Zusätzlich die Fersen zum Gesäß ziehen, ohne dass eine Bewegung zustande kommt. • Die Arme neben dem Körper halten. VARIATIONEN 36 fußballtraining 7/2003 Ausführung Ausführung Gleiche Ausführung wie oben, nur jetzt drücken die Fersen auf einen Ball. Hinweis: Die instabile ‘Plattform’ fordert eine Stabilisierung in alle Richtungen. Gleiche Ausführung wie oben, nur jetzt die Arme neben dem Kopf halten. Oberschenkelrückseite 3 Krafttraining Aus der Rückenlage einbeinig TRAININGSLEHRE VARIATION Ausführung Ausführung • Aus der Rückenlage ein Bein im Hüft- und Kniegelenk um jeweils 90 Grad beugen. • Das andere Bein leicht im Kniegelenk beugen, so dass die Ferse auf den Boden aufsetzt. • Das Becken anheben und die aufgesetzte Ferse Richtung Gesäß ziehen, ohne dass eine Bewegung zustande kommt. • Anschließend Beinwechsel. • 4 bis 6 Wiederholungen pro Seite. • Gleiche Ausführung wie links, nur jetzt einen Ball über dem Kopf halten. 4 Hinweise • Die Übung ist sehr anspruchsvoll und für Anfänger nur bedingt geeignet. • Das Becken darf während der Ausführung seitlich nicht kippen. Aus der Bauchlage beidbeinig Hinweise • Diese Übung kräftigt neben der Muskulatur der Oberschenkelrückseite und des Gesäßes auch die Rückenmuskulatur. • Dieser Nebeneffekt kann verstärkt werden: Zusätzlich einen Arm leicht über den Boden nach vorne strecken. Ausführung • • • • Ein Deuserband dreifach um die Unterschenkel wickeln. Auf den Bauch legen. Die Unterarme ruhen auf der Stirn. Die Unterschenkel nach oben führen. Die Oberschenkel und die Knie 3 bis 5 Zentimeter anheben und anschließend das Band mit den Unterschenkeln auseinander ziehen. VARIATIONEN B A Ausführung Ausführung B legt seine Unterarme auf die Unterschenkel von A. A drückt die Unterschenkel gegen den Widerstand nach oben. B fixiert, wenn die Beine den Boden nicht mehr berühren. Gleiche Ausführung wie oben, nur jetzt einen Ball zwischen die Unterschenkel klemmen und nach dem Anheben der Oberschenkel den Ball zusammen drücken. fußballtraining 7/2003 37 TRAININGSLEHRE Krafttraining Oberschenkelrückseite ÜBUNGEN ZUR KRÄFTIGUNG DER OBERSCHENKELRÜCKSEITE 5 Aus der Bauchlage mit Partner Ausführung B • • • • A liegt auf dem Bauch, seine Stirn ruht auf den Unterarmen. B kniet hinter den Füßen von A. A winkelt einen Unterschenkel an. Während B diesen Unterschenkel langsam in Richtung Boden drückt, soll A maximalen Widerstand dagegen leisten. • 4 bis 8 Wiederholungen, anschließend Beinwechsel. Hinweise • Auf ein langsames, aber kontinuierliches Bewegungstempo achten! • Ausweichbewegungen vermeiden! A 6 Im Stand mit Deuserband Ausführung • Ein Deuserband an einem Torpfosten auf Höhe der Unterschenkel befestigen und mit einem Bein von oben durch die Schlaufe steigen. • Zurückgehen, so dass das Band leicht gespannt ist. • Das Bein in der Schlaufe kurz über dem Boden halten und am Standbein vorbei langsam nach hinten führen. • Dort kurz halten und langsam wieder nach vorne führen. • 4 bis 8 Wiederholungen, anschließend Beinwechsel. Hinweise • Ein Partner sollte den Übenden bei der Ausführung stützen. • Je weiter das Band vorgespannt ist, desto intensiver wird die Übung. 7 Aus der Bauchlage mit Deuserband Ausführung • Ein Deuserband an einem Torpfosten befestigen. • Auf den Bauch legen (Füße zeigen zum Pfosten) und einen Unterschenkel von unten durch die Schlaufe führen. • So weit vom Pfosten wegrutschen, dass das Band bei stumpfem Winkel im Kniegelenk leicht gespannt ist. • Den Unterschenkel zum Gesäß ziehen. • 4 bis 8 Wiederholungen, anschließend Beinwechsel. Hinweise • Keine Ausweichbewegungen im Knie- und Hüftgelenk ausführen. • Je weiter das Band vorgespannt ist, desto intensiver wird die Übung. 38 fußballtraining 7/2003