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5.5. UMKEHRFUNKTIONEN TRIGONOMETRISCHER FUNKTIONEN 115
Satz 5.5.2 (Ableitung der Umkehrfunktion einer Winkelfunktionen)
Die Umkehrfunktionen der trigonometrischen Funktionen sind nach Satz 5.2.3
auf den angegebenen Intervallen differenzierbar und die Ableitungen ergeben
sich zu:
1. Für x ∈ (− π2 , π2 ) ist
arcsin0 (sin(x)) =
1
.
cos(x)
Damit ist für y ∈ (−1, 1)
1
.
arcsin0 (y) = p
1 − y2
2. Für x ∈ (0, π) ist
arccos0 (cos(x)) = −
1
.
sin(x)
Damit ist für y ∈ (−1, 1)
arccos(y) = − p
1
1 − y2
.
3. Für x ∈ (− π2 , π2 ) ist
arctan0 (tan(x)) =
1
.
tan0 (x)
Damit ist für y ∈ (−∞, ∞)
arctan0 (y) =
1
.
1 + y2
4. Für x ∈ (− π2 , π2 ) ist
arccot0 (cot(x)) =
1
.
cot0 (x)
Damit ist für y ∈ (−∞, ∞)
arccot0 (y) = −
1
.
1 + y2
Beweis. Der erste Teil der Aussage folgt immer unmittelbar aus dem Satz zur
Differenzierbarkeit der Umkehrfunktion 5.2.3. Im Fall des arcsin ergibt sich fol-
116
KAPITEL 5. DIFFERENZIERBARE FUNKTIONEN
gende Rechnung: setze y = sin(x). Dann ist
arcsin0 (y) =
1
1
=p
.
cos(x)
1 − y2
Im Falle des arccos ist die Rechnung eine triviale Modifikation.
Wir kommen zum Tangens und erhalten (dort wo tan0 (x) 6= 0 ist)
arctan0 (tan(x)) =
1
.
tan0 (x)
Setze y = tan(x) und damit ergibt sich
1
cos2 (x) + sin2 (x)
=
= 1 + tan2 (x) = 1 + y 2 ,
2
2
cos (x)
cos x
also ist
arctan0 (y) =
1
.
1 + y2
Alle anderen Fälle sind entsprechend.
Bemerkung 5.5.3 (Zweige von Umkehrfunktionen)
Natürlich kann man die Injektivität auch erzwingen dadurch, dass man die
Funktionen auf ein anderes Intervall einschränkt. Die auf diese Weise gewonnen
Umkehrfunktionen nennt man Zweige der jeweiligen Umkehrfunktion.
Bemerkung 5.5.4 (Sekans und Kosekans)
Oft werden folgende Bezeichnungen verwendet:
sec(x) =
und
csc(x) =
1
π
, x 6= + kπ
cos(x)
2
1
, x 6= kπ, k ∈ Z.
sin(x)
Diese Funktionen werden als Sekans und Kosekans bezeichnet.
Definition 5.5.5 (Hauptzweig)
Die im Satz angegebenen Umkehrfunktionen werden jeweils als Hauptzweig der
entsprechenden Funktion bezeichnet.
Wir kommen nun noch zu den hyperbolischen Winkelfunktionen. Zunächst setzen
5.5. UMKEHRFUNKTIONEN TRIGONOMETRISCHER FUNKTIONEN 117
wir für z ∈ C
sinh(z)
,
cosh(z)
cosh(z)
coth(z) =
,
sinh(z)
tanh(z) =
wobei wir natürlich nur solche z zulassen, dass cosh(z) 6= 0, bzw. sinh(z) 6= 0.
Man überlegt sich leicht einige qualitative Eigenschaften der Funktionen Sinus
hyperbolicus, Kosinus hyperbolicus, Tangens und Cotangens hyperbolicus.
Satz 5.5.6 (Eigenschaften der hyperbolischen Winkelfunktionen)
1. Die Funktion sinh(x) ist auf R streng monoton steigend, es gilt
limx→±∞ sinh(x) = ±∞. Die Funktion ist ungerade. Es gibt eine einzige Nullstelle bei x = 0.
2. Die Funktion cosh(x) ist auf R gerade, sie ist streng monoton fallend auf (−∞, 0) und streng monoton steigend auf (0, ∞). Es gilt
limx→±∞ cosh(x) = ∞. Bei x = 0 hat cosh eine globale Extremwertstelle,
cosh(0) = 1 ist ein lokales und globales Minimum.
3. Die Funktion tanh(x) ist für alle x ∈ R definiert. Es gilt | tanh(x)| ≤ 1
für alle x ∈ R und limx→±∞ tanh(x) = ±1.
4. Die Funktion coth(x) ist für alle x ∈ R, x 6= 0 definiert und es gilt
limx→0,x>0 coth(x) = ∞, coth ist ungerade und es gilt | coth(x)| ≥ 1 und
limx→∞ coth(x) = 1.
Beweis. (1) Die Ableitung von sinh ist cosh. Man sieht sofort, dass diese Funktion
für reelle x nicht Null wird. Die Funktion ist aufgrund ihrer Definition ungerade
und die Grenzwerteigenschaften folgen sofort aus denen für die Exponentialfunktion. Jede Nullstelle genügt der Gleichung ex = e−x . Da für x > 0 gilt ex > 1 und
für x < 0 gilt ex < 1, folgt, dass diese Gleichung höchstens die Lösung x = 0 hat.
Dies ist auch eine Lösung und es ist nichts weiter zu zeigen.
(2) Geradheit und Monotonieeigenschaften folgen aus den entsprechenden Eigenschaften von sinh. Als einzige Extremwertstelle kommt die Nullstelle von sinh(x)
in Frage und dort erhält man den Wert 1. Die Abschätzung cosh(x) ≥ 1 ist eine
unmittelbare Konsequenz der Definition.
(3) Da für alle x gilt
|ex − e−x | ≤ ex + e−x ,
hat man sofort eine Schranke für tanh. Die Funktion ist offensichtlich ungerade
und daher reicht es den Grenzwert für x → ∞ zu untersuchen. Wir erhalten
ex
ex − e−x
=
lim
= 1.
lim x
x→∞ ex + e−x
x→∞ e + e−x
118
KAPITEL 5. DIFFERENZIERBARE FUNKTIONEN
(4) Da sinh(0) = 0, ist die Unbeschränktheit nahe x = 0 klar, ebenso folgt
aus der gerade gemachten Überlegung | coth(x)| ≥ 1 für alle x und wie eben
limx→∞ coth(x) = 1.
Bemerkung 5.5.7 (Graphen)
Wir betrachten die Graphen der hyperbolischen Winkelfunktionen in den folgenden Darstellungen.
Nun überlegen wir uns wie eventuelle Umkehrfunktionen dieser Funktionen auscosh
12000
cosh(x)
10000
8000
6000
4000
2000
0
-10
-5
0
5
10
Abbildung 5.3: Kosinus hyperbolicus
sinh
15000
sinh(x)
10000
5000
0
-5000
-10000
-15000
-10
-5
0
5
10
Abbildung 5.4: Sinus hyperbolicus
sehen. Als Hilfsmittel verwenden wir eine Formel, die sofort aus dem Additionstheorem für cosh folgt, indem man es auf z + (−z) anwendet, also
cosh2 (z) − sinh2 (z) = 1.
(5.1)
5.5. UMKEHRFUNKTIONEN TRIGONOMETRISCHER FUNKTIONEN 119
tanh
1
tanh(x)
0.8
0.6
0.4
0.2
0
-0.2
-0.4
-0.6
-0.8
-1
-10
-5
0
5
10
Abbildung 5.5: Tangens hyperbolicus
coth
10
cosh(x)/sinh(x)
8
6
4
2
0
-2
-4
-6
-8
-10
-10
-5
0
5
Abbildung 5.6: Cotangens hyperbolicus
10
120
KAPITEL 5. DIFFERENZIERBARE FUNKTIONEN
Satz 5.5.8 (Umkehrfunktionen trigonometrischer Funktionen)
1. Die Funktion sinh ist bijektiv auf R, die Ableitung nirgends Null, also
existiert eine Umkehrfunktion
Arsinh : R → R
mit
Arsinh0 (sinh(x)) =
1
.
cosh(x)
Damit ergibt sich
1
Arsinh0 (y) = p
.
1 + y2
2. Die Funktion cosh ist auf (0, ∞) injektiv und umkehrbar, die Umkehrabbildung
Arcosh : (1, ∞) → (0, ∞).
Diese ist überall differenzierbar und für die Ableitung ergibt sich
Arcosh0 (cosh(x)) =
1
sinh(x)
und damit für y > 1
1
Arcosh0 (y) = p
.
y2 − 1
Beweis. Jeweils die erste Aussage ist wiederum eine sofortige Konsequenz aus
der Differenzierbarkeit der Umkehrfunktion. Setzen wir y = sinh(x), so ergibt
sich aus Gleichung (5.1)
p
cosh(x) = 1 + y 2 .
5.6. DIE REGELN VON DE L’HOSPITAL
5.6
121
Die Regeln von de l’Hospital
Lemma 5.6.1 (Grenzwerte für f (x)/x)
(a) Es sei (0, c) ein offenes Intervall in R und f : (0, c) → R eine differenzierbare
Funktion mit
lim f (x) = 0
x→0,x>0
und
lim f 0 (x) = M.
x→0,x>0
Dann gilt
f (x)
= M.
x→0,x>0 x
lim
(b) Ist f : (c, ∞) → R differenzierbar mit
lim f 0 (x) = M,
x→∞
so ist
f (x)
= M.
x→∞ x
lim
Beweis. (a) Zu ε > 0 existiert ein δ > 0, so dass
0 < x < δ impliziert |f 0 (x) − M | < ε.
Ist nun 0 < x < δ so ist nach dem Mittelwertsatz
f (x) − f (0)
f (x)
=
= f 0 (ξ),
x
x−0
wobei ξ ∈ (0, x). Damit ist
f (x)
0
x − M = |f (ξ) − M | < ε.
Dies war zu zeigen.
(b) Hier betrachten wir zunächst den Fall M = 0. Wegen limx→∞ f 0 (x) = M gibt
es zu ε > 0 ein c > 0, so dass x > c impliziert |f 0 (x)| < 2ε . Ist nun x > x0 > c, so
gilt
ε
|f (x) − f (x0 )| ≤ (x − x0 ).
2
Damit ist für hinreichend großes x, genauer
x > max{x0 , 2
f (x0 )
},
ε
f (x) f (x) − f (x0 ) f (x0 )
ε ε
+
< + = ε.
x =
x
x
2 2
122
KAPITEL 5. DIFFERENZIERBARE FUNKTIONEN
Ist nun M beliebig, so betrachten wir die Funktion f˜(x) = f (x) − M x. Für diese
gilt nun f˜0 (x) → 0 mit x → ∞ und
f (x) − M x
f (x)
f˜(x)
= lim
= lim
− M.
x→∞
x→∞ x
x→∞ x
x
0 = lim
Satz 5.6.2 (l’Hospital3 )
Gegeben sei ein Intervall der Form I = (a, b) mit −∞ ≤ a < b ≤ ∞. Es seien
f, g : I → R differenzierbar. Wir setzen voraus g 0 (x) 6= 0 für alle x ∈ I und der
Grenzwert
f 0 (x)
=M ∈R
lim
x→b,x<b g 0 (x)
existiere.
Dann gelten die beiden Aussagen:
1. Aus limx→b,x<b g(x) = limx→b,x<b f (x) = 0 folgt:
(a) g(x) 6= 0 für alle x ∈ I und
(b)
f (x)
= M.
x→b,x<b g(x)
lim
2. Aus limx→b,x<b g(x) = limx→b,x<b f (x) = ±∞ folgt:
(a) Es gibt ein x0 ∈ (a, b) mit g(x) 6= 0 für x > x0 und
(b)
lim
x→b,x<b
f (x)
= M.
g(x)
Entsprechende Aussagen gelten auch für die Grenzwerte bei a.
Beweis. Wir beginnen mit dem ersten Teil. Es gibt ein α < b mit g ist injektiv
auf (α, b) und g(x) 6= 0 für x ∈ (α, b), denn ist
g(x) = g(y),
so existiert nach dem Satz von Rolle ein ξ ∈ (x, y) mit g 0 (ξ) = 0 im Widerspruch
zur Voraussetzung g 0 6= 0 und wäre g(x) = 0, so würde das gleiche Argument auf
3
Guillaume François Antoine l’Hôpital, Marquis de Sainte Mesme (1661-3.2.1704) war Mitglied des französischen Hochadels, widmete sich dennoch der Mathematik. Von Johann I Bernoulli wurde er in die damals neue Infinitesimalrechnung eingeführt und schloss mit ihm ein
Abkommen, dass jener ihm gegen Bezahlung die Rechte an mathematischen Erkenntnissen abtrat. So gehen auch die hier genannten Regeln auf Johann I Bernoulli zurück, der nach dem
Tode von l’Hôpital die Entdeckerrechte einforderte.
5.6. DIE REGELN VON DE L’HOSPITAL
123
dem Intervall (x, b) anwendbar sein. Also existiert eine stetige inverse Abbildung
g −1 : (0, β) → (α, b).
Für y ∈ (0, β) gilt
f (g −1 (y))
f (g −1 (y))
=
g(g −1 (y))
y
und der Grenzwert
f (x)
f (g −1 (y))
f (g −1 (y))
= lim
=
lim
= M,
x→0 g(x)
y→0 g(g −1 (y))
y→0
y
lim
denn
d
f 0 (g −1 (y))
f (g −1 (y)) = 0 −1
.
dy
g (g (y))
Der zweite Teil ist ganz ähnlich, nur bildet g auf ein Intervall der Form (β, ∞)
ab. Es gibt ein α < b, so dass g auf (α, b) injektiv ist, zum Beweis dient das gleiche
Argument wie oben. Damit ist g auf (α, b) streng monoton und g 0 wechselt das
Vorzeichen nicht. Insbesondere können wir oBdA annehmen, dass g > 0 auf
(α, ∞) ist. Das Bild von (α, b) unter g ist also ein Intervall der Form (β, ∞).
Setze
F = f ◦ g −1 .
Es gilt
F 0 (y) =
f 0 (g −1 (y))
.
g 0 (g −1 (y))
Nun ist
lim F 0 (y) =
x→b,x<b
f 0 (x)
= M.
x→b,x<b g 0 (x)
lim
Damit folgt aus dem Lemma
F (y)
= M.
y→∞
y
lim
Dann ist
f (x)
f (g −1 (y))
F 0 (y)
= lim
= lim
= M.
y→∞
y→∞
x→b,x<b g(x)
y
y
lim
124
KAPITEL 5. DIFFERENZIERBARE FUNKTIONEN
Bemerkung 5.6.3 (Anwendungen der l’Hospitalschen Regel)
1. Wir betrachten für α > 0
log(x)
lim
.
x→∞
xα
Die Voraussetzungen zur Anwendung des Satzes von l’Hospital sind erfüllt
und wir erhalten
log(x)
1
lim
= lim
= 0.
α
x→∞
x→∞ αxα
x
2. Den Grenzwert
lim
x→0,x6=0
1
1
−
sin(x) x
kann man erst durch die Umformung
1
x − sin(x)
1
− =
sin(x) x
x sin(x)
in die erforderliche Gestalt bringen und ausrechnen, dass nach einer zweiten Anwendung von des Satzes von l’Hospital folgt, dass dieser Grenzwert
0 ist.
5.7
Stammfunktionen
Definition 5.7.1 (Stammfunktion)
Ist f : (a, b) → R stetig, so heißt eine Funktion F : (a, b) → R Stammfunktion
von f , falls F 0 (x) = f (x) für alle x ∈ (a, b) gilt.
Bemerkung 5.7.2 (Nichteindeutigkeit der Stammfunktion)
Eine Stammfunktion ist nicht eindeutig: ist F eine Stammfunktion von f , so
gilt dies auch für F + c für jede reelle Zahl c.
Satz 5.7.3 (Differenzen von Stammfunktionen)
Sind F1 , F2 Stammfunktionen von der stetigen Funktion f auf (a, b), so gibt es
ein c ∈ R mit F1 = F2 + c.
Beweis. Ist x0 ∈ (a, b) und c = F1 (x0 ) − F2 (x0 ) und x ∈ (a, b), x 6= x0 . Dann
gibt es ein ξ ∈ (x, x0 ) bzw. (x0 , x) mit
(F1 (x) − F2 (x)) − (F1 (x0 ) − F2 (x0 )) = (F10 (ξ) − F20 (ξ))(x − x0 )
= (f 0 (ξ) − f 0 (ξ))(x − x0 )
= 0.
5.7. STAMMFUNKTIONEN
125
Dann ist
F1 (x) − F2 (x) = c.
Damit können wir die Stammfunktionen einer großen Klasse von Funktionen
(jeweils bis auf Angabe einer Konstanten) angeben. Hier eine kleine Auswahl:
Funktion f
x
Stammfunktion F
x2
2
xa , a 6= −1
1
xa+1
a+1
x−1
log(|x|)
ex
ex
log(x)
sin
x log(x) − x
− cos
cos
sin
sinh
cosh
1
1 + x2
1
p
1 − y2
arctan(x)
arcsin(y)
126
KAPITEL 5. DIFFERENZIERBARE FUNKTIONEN