Konzernhaftung und Konzernfinanzierung

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Konzernhaftung und Konzernfinanzierung
Prof. Dr. Rolf Sethe, LL.M.
Konzernrecht
I. Vorbemerkung und Überblick über das Thema
1. Ausgangslage
2. Definition
3. Gründe für die Konzernbildung und deren Gefahren
4. Kein spezielles Konzernrecht
5. Haftung
II.
Ansprüche gegen die Verwaltung der Tochtergesellschaft
1. Anspruch aus OR 754
a) Pflichtwidrigkeit
b) Weitere Voraussetzungen
2. Ist die Befolgung von Weisungen per se eine Pflichtverletzung?
III.
Ansprüche gegen die Muttergesellschaft
1. Keine Haftung der Aktionärin
2. Vertragliche Haftung
3. Haftung aufgrund von OR 603, 567, 707 III
4. Haftung als faktisches Organ
a) Unterscheidung in formelle und materielle Organe
b) Voraussetzung der Haftung als faktisches Organ
5. Durchgriffshaftung
6. Haftung aus Konzernvertrauen
IV.
Haftung der Gesellschafter der Muttergesellschaft
1. Haftung aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung
2. Haftung als faktisches Organ der Tochtergesellschaft
I. Vorbemerkung und Überblick über das Thema
1. Ausgangslage
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Das Gesetz geht von der rechtlich, organisatorisch und wirtschaftlich selbständigen
Gesellschaft aus. Diese Regelung weicht von der Realität erheblich ab, denn sehr
viele Aktiengesellschaften sind aufgrund von Beteiligungen oder Verträgen verflochten oder gar zu einer Einheit zusammen gefasst, dem Konzern. Bei größeren Gesellschaften und vor allem bei börsenkotierten Gesellschaften ist die weit überwiegende
Zahl in einen Konzern eingebunden (zumeist als Konzernobergesellschaft = Kon-
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zernmutter). Beim Konzern handelt es sich um eine wirtschaftlich einheitliche
Unternehmung, die aus rechtlich selbständigen Einheiten besteht.
Konzernobergesellschaft
Tochtergesellschaft 1
Tochtergesellschaft 2
Enkelgesellschaft 1
wirtschaftliche Einheit
2. Definition
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OR 663e enthält eine Definition des Konzerns. Ein solcher liegt vor, wenn eine Gesellschaft eine oder mehrere andere Gesellschaften durch Stimmenmehrheit oder auf
andere Weise unter einheitlicher Leitung zusammenfasst.
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Die Definition enthält also zwei Bestandteile:
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ƒ Eine Gesellschaft muss die Stimmenmehrheit bei einer anderen Gesellschaft besitzen oder auf andere Weise die Möglichkeit haben, diese Gesellschaft zu beherrschen.
ƒ Die herrschende Gesellschaft muss auf andere Weise die andere Gesellschaft unter ihre Leitung stellen, also einen beherrschenden Einfluss ausüben. Nicht ausreichend ist es, wenn eine Gesellschaft die Mehrheit der Aktien lediglich zum
Zwecke der Kapitalanlage (z.B. Finanzholding) kauft, ohne Einfluss auf die Geschäftspolitik ausüben zu wollen.
Mittel der einheitlichen Leitung (oft kumulativ):
ƒ Kapitalmehrheit/Stimmenmehrheit (vgl. OR 693 zu Stimmrechtsaktien)
ƒ personelle Verflechtung und/oder besonderer Vertreter einer Aktionärsgruppe im
Verwaltungsrat (OR 707 III, 709 I)
ƒ statutarisch vorgesehener Einfluss
ƒ vertraglich eingeräumter Einfluss: Weisungen beruhen oftmals auf separat geschlossenen Mandatsverträgen, die die Obergesellschaft mit von ihr entsandten
Mitgliedern des Verwaltungsrats der Tochtergesellschaft abgeschlossen hat.
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ƒ Einfluss über eine zwischengeschaltete Gesellschaft
Ausmass wirtschaftlicher Verflechtungen von Unternehmen
einheitliche Leitung
Minderheitsbeteiligung
Mehrheitsbeteiligung
Minderheitsbeteiligung
und/oder Ausübung
eines beherrschenden
Einflusses
Mehrheitsbeteiligung
und/oder Ausübung
eines beherrschenden Einflusses
hundertprozentige
Beteiligung
Intensität des Einflusses
3. Gründe für die Konzernbildung und deren Gefahren
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Vorteile:
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
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Synergieeffekte
breitere finanzielle Basis (z.B. durch cash pooling)
einheitliches Auftreten nach aussen
Forschung und Entwicklung für alle Gesellschaften des Konzerns
gefährdete Konzernglieder können aufgefangen werden
steuerliche Gründe
Gefahren:
ƒ Konzerne sind Machtzentren, die kartellrechtlich relevant sind
ƒ Konzernen mangelt es oft an Transparenz für Aussenstehende
ƒ Gefahr der Gewinnverlagerung und damit Aushöhlung einzelner Konzerngesellschaften
4. Kein spezielles Konzernrecht
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Ein spezielles Konzernrecht sieht das OR nicht vor. Es finden sich nur einige punktuelle Regelungen:
ƒ Konzernrechnungslegung (OR 663e - 663h)
ƒ Publizität der Beteiligungsverhältnisse (Nennung bedeutender Aktionäre und deren Beteiligungshöhe in der Bilanz, OR 663c; Meldepflicht bei börsenkotierten Gesellschaften BEHG 20)
ƒ Erweiterung der Regelung zum Erwerb eigener Aktien auf den Erwerb durch Tochtergesellschaften (OR 659b)
ƒ Unabhängigkeit der Revisoren auch vom Mehrheitsaktionär (OR 727c I) und Gesellschaften des gleichen Konzerns (OR 727c II, OR 728 VI)
ƒ Regelung über Holding-Gesellschaften in OR 671 IV.
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Wie OR 663e zu erkennen gibt, sieht das OR damit für die Muttergesellschaft ein
Konzernleitungsrecht vor. Es ermöglicht der beherrschenden Gesellschaft, die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft massgeblich zu beeinflussen.
5. Haftung
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Mit dem Stichwort „Konzernhaftung“ wird die Frage nach der Haftung für solche
Schäden bezeichnet, die der Gesellschaft, ihren Gläubigern und Minderheitsaktionären aufgrund der einheitlichen Leitung durch die Obergesellschaft entstehen.
II. Ansprüche gegen die Verwaltung der Tochtergesellschaft
1. Anspruch aus OR 754
einheitliche
Leitung?
Muttergesellschaft
Tochtergesellschaft
Forderung
Anspruch aus
OR 754 den Verwaltungsrat
Gläubiger der Tochtergesellschaft
a) Pflichtwidrigkeit
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Eine Haftung des Verwaltungsrats der Tochtergesellschaft nach OR 754 setzt eine
Pflichtwidrigkeit voraus = Einzelfallfrage.
b) Weitere Voraussetzungen
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OR 754 setzt weiterhin ein Verschulden des Mitglieds des Verwaltungsrats, die Entstehung eines Schadens und Kausalität zwischen Pflichtwidrigkeit und Schaden voraus.
2. Ist die Befolgung von Weisungen per se eine Pflichtverletzung?
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(1) Die Befolgung von Weisungen im Allgemeinen
Als Pflichtwidrigkeit könnte zunächst der Umstand in Frage kommen, dass die Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft überhaupt die Weisungen der Obergesellschaft befolgt. Denn:
ƒ Nach OR 716a nimmt der Verwaltungsrat der Tochtergesellschaft die Oberleitung
der Gesellschaft wahr. Diese Aufgabe ist unentziehbar und unübertragbar.
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ƒ Nach OR 717 I muss der Verwaltungsrat seine Aufgaben mit aller Sorgfalt im Interesse der Gesellschaft erfüllen.
Allerdings zeigt OR 663e, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass Gesellschaften unter einheitliche Leitung gestellt werden können. Ausserdem ist nicht jede Weisung per se nachteilig. Daher ist es durchaus zulässig, dass die Mitglieder des Verwaltungsrates der Tochtergesellschaft Weisungen befolgen. Der Konflikt zwischen
der Pflicht zur Oberleitung der Gesellschaft der Tochter und Weisungen der Mutter
wird sich selten in ganzer Schärfe stellen, denn die Mutter wird ein grosses Interesse
am Wohlergehen der Tochter haben. Die Befolgung von Weisungen ist daher nicht
von vornherein eine Pflichtwidrigkeit.
(2) Die Befolgung schädlicher Weisungen
Durchgesetzt hat sich die „Theorie vom doppelten Pflichtennexus“. Die Mitglieder des
Verwaltungsrats müssen grundsätzlich die Interessen ihrer (Tochter-)Gesellschaft im
Auge behalten. Soweit ihnen dabei ein Ermessensspielraum zusteht, können sie die
Weisung der Muttergesellschaft befolgen. Eine Pflichtwidrigkeit liegt nur dann vor,
wenn sie bei einem Interessenkonflikt zwischen der Weisung der Muttergesellschaft
und den Interessen der Tochtergesellschaft zulasten der Tochtergesellschaft entscheiden. (Zum Sonderfall der 100 % beherrschten Gesellschaft siehe MeierHayoz/Forstmoser, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 10. Aufl., § 24 N. 52).
Dass diese Sichtweise überzeugend ist, belegt der Umstand, dass der Vorentwurf
zur Aktienrechtsreform in VE-OR 717a eine Regelung zu Interessenkonflikten enthält
und die Mitlieder des Verwaltungsrates nun ausdrücklich verpflichten will, solche
Konflikte gegenüber dem Gesamtgremium offenzulegen. Der Verwaltungsrat ist sodann verpflichtet, Maßnahmen zur Wahrung des Interesses der Tochtergesellschaft
zu treffen.
III. Ansprüche gegen die Muttergesellschaft
einheitliche
Leitung?
Muttergesellschaft
Tochtergesellschaft
Forderung
X
Anspruch gegen die
Muttergesellschaft
Gläubiger der Tochtergesellschaft
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1. Keine Haftung der Aktionärin
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Aufgrund ihrer Stellung als Aktionärin der Tochtergesellschaft haftet die Muttergesellschaft von Gesetzes wegen grundsätzlich nicht für Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft (OR 620 II).
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Spezielle Haftungsbestimmungen sieht das OR nicht vor, wenn die beherrschende
Gesellschaft Einfluss auf die Tochter geltend macht. Ein spezielles Konzernrecht
kennt das schweizerische Recht nicht (s.o.). Lehre und Praxis haben eine Reihe von
allgemeinschuldrechtlichen und aktienrechtlichen Haftungstatbeständen fruchtbar
gemacht:
2. Vertragliche Haftung
Sofern die Muttergesellschaft eine Patronatserklärung (dazu etwa Nobel, in: Berner
Bankrechtstag 1997, 55 ff. sowie die Wiedergabe der einschlägigen Entscheide ab
S. 73 ff.), eine Garantie (OR 111) oder eine Bürgschaft (OR 492) für Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft abgegeben hat, haftet sie dem Gläubiger aufgrund
Rechtsgeschäfts.
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3. Haftung aufgrund von OR 603, 567, 707 III
Die Haftung des Vertreters einer Handelsgesellschaft im Verwaltungsrat einer AG
nach OR 707 III ist umstritten (zum Streitstand vgl. Wernli, in: Basler Kommentar,
2. Aufl. 2002, Art. 707 N. 40 ff.).
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ƒ
ƒ
ƒ
Ein Teil des Schrifttums lehnt jede Haftung ab, weil der Vertreter von der Generalversammlung gewählt werde und nicht von der Muttergesellschaft entsandt worden
sei. Zudem fehle eine OR 762 IV vergleichbare Norm.
Die Gegenansicht bejaht eine Haftung, denn der Vertreter werde nur aufgrund seiner Beziehungen zum Verwaltungsrat gewählt. Die blosse Möglichkeit der Einflussnahme reiche aus.
Eine vermittelnde Ansicht stellt darauf ab, ob die Muttergesellschaft aufgrund ihres
Einflusses als faktisches Organ angesehen werde könne.
4. Haftung als faktisches Organ
a) Unterscheidung in formelle und materielle Organe
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Geschäftsführungsorgane haften für den Schaden, den sie durch absichtliche oder
fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten verursachen (OR 754 I). Die Vorschrift erfasst
nach ihrem Wortlaut die Mitglieder des Verwaltungsrats als formelle Organe.
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Als mit der Geschäftsführung befasste Personen im Sinne von OR 754 I gelten aber
auch die sog. faktischen Organe. Als faktische oder materielle Organe gelten alle
„Personen, die tatsächlich Organen vorbehaltene Entscheidungen treffen oder die
eigentliche Geschäftsführung besorgen und so auf die Willensbildung der Gesellschaft massgeblich einwirken“ (BGE 117 II 432).
b) Voraussetzung der Haftung als faktisches Organ
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Eine Haftung als faktisches Organ hat folgende Voraussetzungen:
ƒ Der Handelnde muss Aufgaben übernommen haben, die typischerweise den Geschäftsführungsorganen im formellen Sinne vorbehalten sind.
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ƒ Der Handelnde muss die Möglichkeit gehabt haben, den Schaden zu verursachen
bzw. zu verhindern, d.h. den Geschäftsgang massgeblich zu beeinflussen (BGE
128 III 92; BGE 117 II 432).
ƒ Zudem müssen neben der faktischen Übernahme der Organstellung auch die weiteren Voraussetzungen der Haftung nach OR 754 vorliegen (Pflichtverletzung, natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang sowie Verschulden und Vorliegen
eines Schadens).
Zur Klarstellung sind zwei Fälle zu unterscheiden:
ƒ Übt die beherrschende Gesellschaft nur ihre Rechte als Aktionärin in der Generalversammlung aus, haftet sie nicht.
ƒ Übt die beherrschende Gesellschaft Geschäftsführungsaufgaben aus, welche an
sich dem Verwaltungsrat oder der Geschäftsleitung obliegen, und beeinflusst sie
dadurch den Geschäftsgang der Tochtergesellschaft in massgebender Weise, haftet sie für Schäden der Gesellschaft als faktisches Organ. Sie haftet allerdings nur
soweit, als sie sich unmittelbar in die Geschäftsentscheidungen der Verwaltung
der Tochtergesellschaft einmischt. Entscheidend sind damit die Intensität der konzernmässigen Einbindung der Tochtergesellschaft und der damit verbundene
Kompetenzverlust ihrer Exekutive. Je unselbstständiger die Exekutive der abhängigen Gesellschaft ist, desto eher liegt eine faktische Organstellung der Muttergesellschaft vor.
5. Durchgriffshaftung
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Bei der sogenannten Durchgriffshaftung wird die rechtliche Trennung zwischen der
Gesellschaft und den Gesellschaftern (OR 620) durchbrochen (piercing the corporate
veil), wenn die Berufung auf das Trennungsprinzip und die Eigenständigkeit der juristischen Person sich als rechtsmissbräuchlich darstellt (ZGB 2). Voraussetzungen
sind:
ƒ eine Beherrschung der Tochtergesellschaft als Haupt- oder Alleinaktionär
ƒ eine Schädigung eines Gläubigers der Tochtergesellschaft
ƒ ein rechtsmissbräuchliches Verhalten, wie eine Vermögensvermischung zwischen
Gesellschaftsvermögen und Aktionärsvermögen oder eine Unterkapitalisierung der
Tochter, so dass diese nicht mehr lebensfähig ist (sehr streitig vgl. Druey/Vogel,
Das Schweizerische Konzernrecht in der Praxis der Gerichte, 1999, S. 89 ff.).
Ein Durchgriff wird in der Praxis sehr selten bejaht, weil die Rechtsfiguren des faktischen Organs und der Vertrauenshaftung dominieren und weil der für den Durchgriff
notwendige Rechtsmissbrauch nur selten zu beweisen ist.
6. Haftung aus Konzernvertrauen
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Das Bundesgericht hat in dem bekannten Swissair-Entscheid aus dem Jahre 1994
(BGE 120 II 331) unter bestimmten Voraussetzungen eine Konzernvertrauenshaftung bejaht:
ƒ Fehlen einer vertraglichen oder deliktisches Haftung gegenüber dem konkreten
Gläubiger (Subsidiarität der Konzernvertrauenshaftung)
ƒ Schaffung eines Vertrauenstatbestands durch die Muttergesellschaft (z.B. Werbung mit der Zugehörigkeit zum Konzern, unrichtige Aufklärung über die wirtschaftliche Lage der Tochtergesellschaft durch die Mutter, Verheimlichung existenzbedrohender Entwicklungen).
ƒ Dispositionen des Gläubigers aufgrund des geschaffenen Vertrauens
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ƒ Enttäuschung des Vertrauens in treuwidriger Weise
ƒ kausaler Schaden
27 Bei der Annahme eines Vertrauenstatbestands ist die Rechtsprechung sehr streng,
um zu verhindern, dass Vertragspartner der Tochter ohne weiteres auf die dahinter
stehende Mutter vertrauen. Geschäftspartner einer Tochtergesellschaft müssen deren Kreditwürdigkeit grundsätzlich selbst beurteilen. Die Muttergesellschaft hat nicht
unbesehen für den Erfolg des Tochterunternehmens einzustehen. Eine Haftung
entsteht daher nur, wenn die Muttergesellschaft durch ihr Verhalten bestimmte Erwartungen in ihr Konzernverhalten und ihre Konzernverantwortung erweckt und
dieses Vertrauen später enttäuscht.
IV. Haftung der Gesellschafter der Muttergesellschaft
1. Haftung aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung
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Sofern nach dem oben Gesagten ein Haftungsrisiko der Muttergesellschaft besteht,
stellt sich die Frage, ob deren Gesellschafter aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen
Beteiligung in die Haftung genommen werden können.
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Ist die Mutter eine Kapitalgesellschaft, haften deren Gesellschafter nicht (OR 620 II,
772 I 3).
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Ist die Mutter eine Personengesellschaft, stellt sich die Lage wie folgt dar:
ƒ
ƒ
Der Komplementär der Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft haftet wie ein Kollektivgesellschafter persönlich, unbeschränkt, solidarisch und mit seinem ganzen Vermögen. Er kann aber erst belangt werden, wenn die Gesellschaft aufgelöst worden
ist oder wenn diese erfolglos betrieben worden ist oder wenn der Komplementär
selber in Konkurs geraten ist. (OR 604; trotz des unterschiedlichen Wortlauts von
OR 604 und OR 568 III sind die Voraussetzungen der Haftung des Komplementärs
einer Kommanditgesellschaft dieselben wie für den Kollektivgesellschafter).
Die Haftung des Kommanditärs ist durch die im Handelsregister veröffentlichte
Kommanditsumme begrenzt (OR 608). Ist sie in voller Höhe eingezahlt, haftet er
nicht (OR 610 II). Diese Haftungsbeschränkung wird im Einzelfall im Interesse der
Gläubiger durchbrochen, wenn der Kommanditär für die Gesellschaft Geschäfte
abschliesst, ohne ausdrücklich zu erklären, dass er nur als Prokurist oder als Bevollmächtigter handle (OR 605) oder wenn die Gesellschaft vor der Eintragung in
das Handelsregister im Verkehr auftrat (OR 606) oder wenn der Name des Kommanditärs in die Firma der Gesellschaft aufgenommen wurde (OR 607).
2. Haftung als faktisches Organ der Tochtergesellschaft
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Mischt sich der Gesellschafter der Muttergesellschaft in die Geschäfte der Tochter
ein, gilt das oben Gesagte zum faktischen Organ.