Den Wert des Mitarbeiters kennen
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Den Wert des Mitarbeiters kennen
Grundfragen und Trends | Unternehmen Personalwirtschaftliche Humankapitalbewertung (Teil 1: Die theoretische Basis) Den Wert des Mitarbeiters kennen Humankapitalbewertung – ein Schlagwort, das zur Zeit und zu Recht in aller Munde ist! Humankapital verlangt, Mitarbeiter als Träger von Fähigkeiten und Erfahrungen anzusehen, die einen entscheidenden Wertbeitrag im Unternehmen leisten. Doch dies setzt sinnvolle Bewertungen und sinnvolle Planungen voraus. Wie sich eine solche personalwirtschaftliche Humankapitalbewertung realisieren lässt und was man dabei gerade aus personalwirtschaftlicher Sicht beachten muss, wird anhand der Saarbrücker Formel gezeigt. Wer als Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben will, braucht gut ausgebildete Mitarbeiter, die sich stets auf dem neuesten Stand der Entwicklung befinden. Dabei sollte es im Interesse des Unternehmens liegen, das Wissen und Können der Mitarbeiter langfristig zumindest zu erhalten. Jedoch gerade in wirtschaftlich schwachen Zeiten sparen Unternehmen vermehrt im Bereich Weiterbildung – sehr zum Leidwesen der Personalverantwortlichen. Umgekehrt fehlt in konjunkturell guten Zeiten Unternehmen die Zeit, diese Lücken wieder zu schließen. Monetärer Nachweis ist gefordert Autoren | Univ.-Prof. Dr. Christian Scholz (links), Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Organisation, Personal- und Informationsmanagement an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken. Univ.-Prof. Dr. Volker Stein (rechts), Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Personalmanagement und Organisation an der Universität Siegen. Dipl.-Kff. Stefanie Müller (unten), Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Organisation, Personal- und Informationsmanagement an der Universität des Saarlandes, Saar- brücken. www.saarbruecker-formel.net 30 Zwar sehen Personalverantwortliche die potenzielle Gefahr, die sich hinter dieser Situation verbirgt; oft mangelt es ihnen aber an Argumentationslinien oder konkreten Kennzahlen, anhand derer sie mit Budgetverantwortlichen verhandeln und die Wichtigkeit dieser Investition betriebswirtschaftlich begründen können. Wäre es nicht hilfreich, die Wirkungen von Personalentwicklungsmaßnahmen monetär nachweisen zu können? Die Beantwortung dieser Frage muss daher zunehmend auf eine monetäre Bewertung von Humankapital hinauslaufen. Denn die Tatsache, dass durch veraltetes Wissen Humankapital vernichtet wird, kann man dann in Euro nachweisen. Ähnlich wie bei einer Produktionsanlage, die in einem schlechten Zustand weniger produzieren kann und somit einen geringeren Wertschöpfungsbeitrag liefert. Genau hier beginnt jedoch die Schwierigkeit: Die Bewertung von Humankapital ist – schaut man sich die aktuel- len Ansätze genauer an – alles andere als eine einheitliche und transparente Konzeption. Finanz- und personalwirtschaftlich Die breite Palette von Vorschlägen, die sich unter dieser Bezeichnung verkaufen lassen, reichen von traditionellen Personalmanagementsystemen, die überhaupt nichts messen, über Gestaltungsempfehlungen „aus dem Bauch heraus“ bis hin zu einer Bündelung in Key-Performance-Indikatoren, wie sie Berater postulieren. Viele dieser Ansätze beinhalten zudem höchst spekulative Bewertungsbestandteile, wie das prominente Beispiel von EM.TV zeigt: Dort wurde für das Unternehmen im Jahre 2000 ein Humankapitalwert – berechnet nach dem damaligen Wert auf den Börsenmärkten – von 91,15 Millionen DM „pro Stück“ (das heißt Mitarbeiter) ermittelt. Wie die Geschichte weiterging? Die Aktien von EM.TV landeten im Keller, die Mitarbeiter auf der Straße. Wo keine hohen Aktienkurse, dort eben kein oder wenig Humanvermögen. Auch wenn dies aus personalstrategischen Überlegungen falsch sein mag, erachten Controller oder Finanzverantwortliche diese Personalabbau-Implikation – aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen – als richtig und sinnvoll. Ausschlaggebend sind Zahlen und Fakten, gegen die Personalverantwortliche meist nichts in der Hand haben. Aus diesem Beispiel könnte man schließen, dass ein monetärer Humankapitalwert überhaupt nicht sinnvoll sein kann. Genau das ist aber falsch – entscheidend ist das Wie. Gerade im Interesse der Unternehmen, der Mitarbeiter und des Standortes Deutschland muss es die Möglichkeit einer Weiterbildung 2|2007 Grundfragen und Trends | Unternehmen transparenten betriebswirtschaftlichen Bewertung des Humankapitals geben. Eine solche Transparent-HumanCapital-Valuation ist dann nicht nur eine neue Zahl, sondern sie liefert Key-Performance-Indikatoren, Werthebel und letztlich Ansatzpunkte für Bewertung sowie Optimierung des Humankapitals mit dem Ziel einer dauerhaften Performance-Steigerung. Sie erfüllt also gleichzeitig finanzwirtschaftliche (da monetär) sowie personalwirtschaftliche (da steuerbar) Anforderungen. Diese transparente Humankapitalbewertung als ein dem Ertragspotenzialparadigma folgender Ansatz bewertet, was die Belegschaft im Sinne einer Ertragsuntergrenze zu erwirtschaften in der Lage wäre – unabhängig vom gegenwärtigen Unternehmenserfolg auf dem Absatzmarkt. Nach der Ertragspotenziallogik ist die Belegschaft eindeutig mit Wert belegtes Kapital. Dieses Kapital kann man steigern oder vermindern. Spätestens jetzt aber wird es auch für Personalverantwortliche interessant. Denn plötzlich schlagen sich auch personalpolitische Maßnahmen im Wert des Humankapitals nieder: So führen Personalentwicklung und die Steigerung der Leistungsbereitschaft zu einem erhöhten Humankapitalwert. Umgekehrt reduziert veraltetes Wissen ebenso das Humankapital wie eine Abnahme von mitarbeiterseitiger Loyalität und Bindungsbereitschaft. Konzeptionell sauber und konkret umsetzbar Sicherlich kann man sich der Idee eines Human-CapitalManagements auch über eine eher konzeptionelle Schiene annähern. Dazu dient das nachfolgend skizzierte „mentale Modell“ als Ebene 1 der Betrachtung. Konkreter ist dagegen schon die Orientierung an der mathematischen Formel auf Ebene 2, gegebenenfalls erweitert um die vorgeschlagene Spezialisierung der Ebene 3. Schließlich lässt sich die Humankapitalbestimmung auch softwaretechnisch unterstützen, nämlich mit der IT-Lösung von Ebene 4. 1. Das mentale Modell der Saarbrücker Formel Gesucht ist also das Wirkpotenzial aus den Mitarbeitern, das selbst dann einen Wert darstellt, wenn das Unternehmen diesen Wert nicht nutzt. Eingang in eine entsprechende Grundüberlegung finden die zentralen Wert- und Steuerungshebel der Personalarbeit. So ergibt sich über das beschaffte Personal und seine Vergütung die Wertbasis. Hat die Belegschaft veraltetes Wissen, so muss ein entsprechender Abschlag vorgenommen, die Wertbasis also reduziert werden. Als Ausgleich kann Personalentwicklung Weiterbildung 2|2007 das Ertragspotenzial wieder erhöhen. Schließlich verändert sich das Humankapital in Abhängigkeit von der motivationalen Bereitschaft der Mitarbeiter zur Leistungserbringung, von ihrem Arbeitsumfeld sowie – als Risikoindikator – von ihrer Neigung, im Unternehmen zu bleiben. Dieses mentale Modell ist für konzeptionelle Arbeiten auch losgelöst von der weiter unten beschriebenen algorithmischen Konkretisierung einsetzbar. Es orientiert sich strikt am Kapitalbegriff und beinhaltet deshalb ausschließlich solche Komponenten, die Teil des Humankapitals sind. 2. Die mathematische Umsetzung Während für rein konzeptionelle Überlegungen das mentale Modell ausreicht, erfordert die tatsächliche wertmäßige Bestimmung als Euro-Zahl eine exakte mathematische Verknüpfung. Sie ergibt sich unmittelbar aus dem mentalen Modell, wobei eine Aggregation über unterschiedliche Beschäftigtengruppen vorgesehen ist. Wie aus der unten dargestellten Formel ersichtlich, setzt sich das Humankapital wie schon das mentale Modell aus vier Gruppen von Komponenten zusammen: ● aus der Wertbasis mit der Mitarbeiterzahl als Mengenkomponente (FTEi) und dem Marktgehalt als Preiskomponente (li), ● dem Wertverlust als Aussage über die Erosion an Wissenssubstanz im Unternehmen, bestimmt durch die Funktion aus Wissensrelevanzzeit (wi) und Betriebszugehörigkeit (bi), ● der Wertkompensation als Ausgleich des Wertverlustes (Personalentwicklungskosten, PEi), ● der Wertänderung als Mehrung oder Minderung des Humankapitalwertes, realisiert durch die Mitarbeitermotivation (Mi), wozu auch das Wertrisiko durch die Abwanderungsneigung der Mitarbeiter gehört. Alles dies wird über die Beschäftigungsgruppen (i) aufsummiert und führt somit zur formelmäßigen Darstellung (Abbildung 1). 3. Die messtheoretische Spezifizierung Damit eine weitgehende Standardisierung und Vergleichbarkeit des Humankapitalwertes erreicht wird, arbeiten Abb.1 : Die Saarbrücker Formel g HC=Σ [(FTEi•Ii•fi(wi,bi)+PEi)•Mi] i=1 31 Grundfragen und Trends | Unternehmen Unternehmen, Forscher, Berater und andere Interessengruppen in unterschiedlichen Arbeitskreisen sowie Diskussionsforen zusammen, um die Erfassungslogik der einzelnen Formelkomponenten zu konkretisieren und zu normieren – gerade auch, um sie zumindest als Teil des Lageberichtes beispielsweise bei der Berichterstattung zu personellen Risiken zu publizieren. Greift man sich die Komponente fi(wi, bi) exemplarisch heraus, so wurden folgende Konventionen getroffen: Das wertschöpfungsrelevante Wissen von Mitarbeitern basiert auf den beiden Kategorien Kern-Fachwissen, also erlerntes Schul- und Ausbildungswissen, das das Ausüben eines speziellen Berufs ermöglicht, sowie Erfahrungswissen, also berufsübergreifendes Handlungswissen, das sich zusätzlich zum Kern-Fachwissen sukzessive im praktischen Arbeiten aufbaut. Beide Wissenskategorien lassen sich pro Beschäftigtengruppe (die aus einzelnen Mitarbeitern mit Abb. 2: Wissensverlaufskurve zur Abbildung des Wissensstandes Wissen 100% — Aggregiertes Wissen — Normiertes aggregiertes Wissen — Erfahrungswissen — Fachwissen w (Wissensrelevanzzeit) 30 Zeit (Jahre) Abb. 3: Normierungs- und Standardisierungsbestandteile der Formelkomponenten li – Marktgehälter fi(wi,bi) PEi Mi – Wissensrelevanz- – Kosten für – Motivationsindex aus Commit– statistisch ermit- zeit / Betriebszu- interne und gehörigkeit externe Persoment, Context – normiert auf ver- telte Daten aus nalentwicklung und Retention der Gehalts- und – normierte Wistraglich festgeLohnstrukturersensverlaufskur- – als Personalko- – standardisierte legte Wochenarhebung der Länven stensumme einMotivationsbebeitszeit der setzbar oder fragung über – auf Berufsebene – Umrechnung auf über ein SeminOnline-Tool statistisch ermit- – auf Berufsebene artagäquivalent – Umrechnung telte Wochenar- – abhängig von (Seminartage bestehender beitszeit in Ausbildung und multipliziert mit MotivationsbeDeutschland Hierarchieebene Kostensatz) fragungen – Investitionen in PE werden mit der Wissensrelevanzzeit multipliziert FTEi – Vollzeitarbeitskräfte 32 individuellen Wissensausprägungen bestehen) aggregieren. Auf 100% normiert ergibt sich eine Wissensverlaufskurve, aus der sich der verfügbare Wissensstand abschätzen lässt (Abbildung 2). Die sich ergebende Wissensverlaufskurve zeigt, dass einmal erworbenes Wissen eines Mitarbeiters oder einer Beschäftigtengruppe nicht linear verloren geht, sondern dass es sich in einem komplexeren Muster im Zeitverlauf verändert. Für die Personalentwicklung wurde festgehalten, dass pro Beschäftigtengruppe der PE-Aufwand multipliziert mit der durchschnittlichen Wissensrelevanzzeit eingeht, da letztlich die Wissensrelevanzzeit auch Aussagen über die Wirkungsdauer der Personalentwicklung macht. Zur messtheoretischen Spezifizierung gehört ebenfalls die Normierung von „M“ in einem Intervall von 0 bis 2. Zur Bestimmung von Commitment, Context und Retention existiert ein Referenzfragebogen mit dreißig Standardfragen („M30“), die sich in vielfältigen Befragungen bewährt und als besonders aussagefähig erwiesen haben. Auf diese Weise wird die an anderen Bewertungsansätzen teilweise kritisierte Manipulierbarkeit erheblich reduziert. Im Rahmen der messtheoretischen Spezifizierung für Datenerhebung und -bewertung werden Vorschläge zu Standardisierung realisiert, an die sich Unternehmen und externe Bewerter halten können, was in entsprechenden Prüfberichten auch testierbar ist (Abbildung 3). 4. Die IT-technische Umsetzung Die Umsetzung der Saarbrücker Formel in der IT-Landschaft erfolgt über eine webbasierte Softwarelösung, bei der Unternehmen auf ein serverseitig bereitgestelltes (externes) Berechnungsmodul zugreifen, das gleichzeitig auch die Verknüpfung mit marktüblichen Gehaltsdaten und Wissensrelevanzzeiten realisiert. Mit diesem Modul verbunden ist zudem die internetgestützte M30-Befragung zu den Motivationsfaktoren. Seit Anfang 2006 ist die webbasierte Softwarelösung zur Saarbrücker Formel in mehreren Firmen im Einsatz und wird in einer vereinfachten Form kostenlos Hochschulen zu Lehrzwecken zur Verfügung gestellt. Sinnvolle Nutzenversprechen Im Sinne des Ertragspotenzialbezugs lässt sich mit der Saarbrücker Formel feststellen, wie sich das Humankapital über mehrere Zeitpunkte entwickelt hat, wie es sich gegenwärtig entwickelt beziehungsweise wie es sich in Abhängigkeit von alternativen Strategien zukünftig entWeiterbildung 2|2007 Grundfragen und Trends | Unternehmen Abb. 4: Integration in unternehmens- und personalstrategische Überlegungen wickeln wird. Dies erlaubt dann die Bewertung von personalwirtschaftlichen Maßnahmen ebenso wie ein innerbetriebliches und/oder externes Benchmarking und mündet in die Personalstrategie (Abbildung 4). Im Einzelnen gibt es beispielsweise folgende Nutzenversprechen, die durch den Ausweis des Humankapitalwertes nach der Saarbrücker Formel sinnvoll erscheinen: ● Schon für jede bewertete Mitarbeitergruppe signalisiert die spezifische Konstellation aus Wertbasis, Wertverlust, Wertkompensation und Wertänderung unmittelbaren Handlungsdruck für Personalverantwortliche. ● Interessant ist das Pro-Kopf-Verhältnis von ermitteltem Humankapital zu Inputgrößen wie dem Personalaufwand. Es kann vorkommen, dass der Personalaufwand höher ist als das Humankapital – wobei dann zu fragen ist, warum genau die Investitionen nicht humankapitalsteigernd wirken. ● Besonders relevant ist der auf das Gesamtunternehmen bezogene Querbezug zu Outputgrößen, also zu Gesamtertragswerten. Diese gehen in der Ertragspotenziallogik nicht in den Wert des Humankapitals ein und können daher als definitorisch unabhängige Größen mit ihm in Beziehung gesetzt werden. Damit soll festgestellt werden, welches Humankapital welchen Output hervorbringt und ob Optimierungsnotwendigkeiten bestehen. ● Mit dem Humankapital lassen sich auch zentrale nichtWeiterbildung 2|2007 monetäre Key Performance Indikatoren in Beziehung setzen, etwa aus differenzierten Indikatorenmodellen der Motivations- und Führungsforschung. Gerade dieses systematische Zusammenspiel von Wertbasis, Wertverlust durch Wissenserosion, Wertkompensation und Wertänderung liefert nicht nur eine transparente Humankapitalbewertung, sondern auch ein in seinen Teilaspekten transparentes Humankapitalmanagement. Anwendungen für die hier vorgeschlagene Transparent-Human-Capital-Valuation gibt es viele: So ist bei den gegenwärtig für viele Unternehmen anstehenden Entlassungen genau zu prüfen, welche Konsequenzen sich aus welchen Freisetzungsstrategien für das Humankapital und für die anzustrebenden Wettbewerbsvorteile ergeben. Gleiches gilt für die Wissensbilanz im Unternehmen, deren Gestaltung ohne monetäre Richtgrößen zu Wissensverlust und Wissenskompensation beliebig bleibt. Modellrechnungen zeigen, dass gerade Motivationsstrategien – deren Ergebnisse allerdings eher langfristig erreichbar sind – häufig eine hohe Hebelwirkung aufweisen. Diese Gesichtspunkte und vor allem die differenzierte Umsetzung von Überlegungen zu direkten sowie indirekten Wirkungen von Personalentwicklung in ihrer beträchtlichen Komplexität werden im Teil 2 dieses Artikels im nächsten Heft thematisiert. Literatur | Scholz, Ch./Stein, V./ Bechtel, R.: Human Capital Management. Wege aus der Unverbindlichkeit. München/Unterschleißheim, 2. Aufl. 2006. 33