2 Netzlast - VDE
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2 Netzlast 2.1 Allgemeines Jeder Netzplanung muss eine möglichst genaue Ermittlung der Netzlast, für die das Netz geplant werden soll, vorausgehen. Trotz ausgefeilter Verfahren ist die Lastprognose immer mit einer gewissen Unsicherheit behaftet, die umso größer wird, je weiter die Prognose in die Zukunft reicht. Netze sollen jedoch so geplant werden, dass geänderte Lastentwicklungen berücksichtigt werden können. Beachtet man, dass die Planung im Langfristbereich sich entweder mit Grundsatzfragen oder mit dem Höchstspannungsnetz beschäftigt, so werden dabei keine unwiderruflichen Investitionsentscheidungen getroffen; diese stehen im Kurzzeitbereich an, für den die Lastprognose eine deutlich höhere Genauigkeit aufweist. Man denke hier z. B. an die Planung eines Mittel- und Niederspannungsnetzes für ein Neubaugebiet oder an die Anschlussplanung für einen Gewerbebetrieb. Korreliert man die Einteilung der in Kapitel 1 dargestellten drei Stufen des Planungsprozesses mit dem benötigten Detaillierungsgrad und der erforderlichen Lastprognose, so steigt die Detaillierung der Planung mit kürzer werdenden Zeiträumen an. Entsprechend müssen verschiedene Methoden zur Lastprognose angewandt werden, je nachdem, welcher Planungshorizont und damit welche Spannungsebene bzw. Versorgungsaufgabe betrachtet werden. Stellvertretend werden nachstehend fünf Methoden erwähnt. ● Lastprognose mit Laststeigerungsfaktoren ● Lastprognosen mit volkswirtschaftlichen Kenngrößen ● Lastprognose mit Schätzwerten ● Lastprognose mit spezifischen Werten und Elektrifizierungsgrad ● Lastprognose mit normierten Lastkurven Die Einsatzmöglichkeiten sind fließend und Kombinationen durchaus üblich. 2.2 Lastprognose mit Laststeigerungsfaktoren Diese Methode geht von der existierenden Netzlast sowie deren Entwicklung in der Vergangenheit aus und versucht mittels exponentieller Zuwachsfunktionen und Trendanalysen zukünftige Lastentwicklungen zu berechnen. Die Verfahren können keine externen Einflussgrößen berücksichtigen und sind daher kaum geeignet, Last25 oder auch Energieprognosen zuverlässig zu erstellen. Ausgehend von der aktuellen Last des Netzes P0 berechnet sich die Last im Jahr n bei einem jährlichen Steigerungsfaktor von (1 + s) nach Gl. (2.1) Pn = P0 ⋅ (1 + s)n (2.1) Nimmt man statt exponentiellem Wachstum eine lineare Laststeigerung ∆P an, so ergibt sich die Last im Jahr n nach Gl. (2.2) Pn = P0 ⋅ (1 + n ⋅ ∆P) (2.2) Eine Erhöhung der Genauigkeit erreicht man, wenn man die Berechnungen für einzelne Verbrauchssektoren wie Haushalte, Gewerbe, öffentliche Versorgung usw. getrennt durchführt und die Ergebnisse jahresweise addiert. Ein anderes Modell zur Lastprognose setzt an der phänomenologischen Beschreibung des Wachstumsprozesses „Elektroenergieverbrauch“ an [2.1]. Inwieweit dies in der jeweils betrachteten Region oder dem Land sinnvoll ist, muss im Einzelfall entschieden werden. Die Änderung des Wachstums der Netzlast P mit der Zeit wird dabei mittels Gl. (2.3) beschrieben: dP = c ⋅ P k ⋅ ( B − P )l dt (2.3) wobei k der Wachstumsexponent, c die Wachstumsgeschwindigkeit, B das Sättigungsniveau des Wachstumsprozesses als Normierungsgröße und l der Sättigungsexponent ist. Mit diesem Modell lassen sich Anpassungen an den Verlauf der Lastentwicklung der Vergangenheit mit verschiedenen Steigerungen und Sättigungseffekten für den zukünftigen Verlauf kombinieren. Erfahrungsgemäß kann l > k angesetzt werden, die Laststeigerung orientiert sich dann wie die Wachstumsprozesse in der Sättigungsphase an den begrenzenden äußeren Bedingungen. Typische Lastentwicklungen, berechnet mit dem Wachstumsmodell [2.2], zeigt Bild 2.1. Dabei wurde die Lastentwicklung auf das Sättigungsniveau B = 1 am Ende des Betrachtungszeitraums normiert, die Wachstumsgeschwindigkeit wurde gleich 1 gesetzt. 2.3 Lastprognose mit volkswirtschaftlichen Kenngrößen Die Lastprognose mit volkswirtschaftlichen und energiewirtschaftlichen Kenngrößen geht davon aus, dass ein prognostizierbarer Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum, Verfügbarkeit von Energieträgern, dem Energiebedarf im Allgemeinen und dem Elektroenergiebedarf im Speziellen besteht. Der elektrische Energiebedarf pro Kopf der Bevölkerung wird weitgehend vom Lebensstandard und 26 2,0 p.u. 0,8 0,7 0,6 0,5 P 0,4 0,3 k = 2,0; l = 1,0 k = 1,5; l = 1,5 k = 0,5; l = 1,0 k = 1,0; l = 1,0 0,2 0,1 0 –6 –5 –4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4 5 p.u. 6 t Bild 2.1 Lastprognose, berechnet mit Wachstumsmodell (k; l: siehe Kurven) der Industrialisierung eines Landes bestimmt. Es ist dabei jedoch zu bedenken, dass ein hoher Verbrauch an Energie auch ein Zeichen für Energieverschwendung (z. B. arabische Golfstaaten mit hohem Anteil an Gebäudeklimatisierung) oder von grundsätzlich anderen Erzeugungsstrukturen (z. B. Norwegen mit hohem Anteil an elektrischer Gebäudeheizung als Folge preiswerter Wasserkraft) sein kann. In Industrieländern hing der Zuwachs des elektrischen Energiebedarfs weniger vom Bevölkerungswachstum denn vom Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bzw. des Bruttosozialprodukts (BSP) ab. Der wirtschaftliche Aufstieg Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg war auch mit einem Anstieg des Primärenergiebedarfs und dem Elektroenergiebedarf verbunden. Zuwachsraten der elektrischen Energie (so genannter Bruttostromverbrauch) betrugen bis Ende der 1960er-Jahre etwa 7 % pro Jahr. Damit ergab sich eine Verdopplung der jährlich erzeugten elektrischen Energie in etwa zehn Jahren. Der Anstieg des Bruttostromverbrauchs betrug im Mittel der letzten 25 Jahre etwa 2 %, wobei rezessionsbedingt Rückgänge in den Jahren 1975, 1982 und 1992 zu verzeichnen waren. Dieser Zusammenhang darf jedoch nicht so verstanden werden, dass ein höherer Energieverbrauch auch zu einer Erhöhung dieser volkswirtschaftlichen Indikatoren BIP oder BSP führt. Eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Elektroenergiebedarf ist für industrialisierte Länder heute keine Seltenheit mehr, wie man am Beispiel Deutschland sehen kann. Im Rahmen dieses Buchs wird auf die verschiedenen möglichen Verfahren der Energieprognosen, basierend auf volkwirtschaftlichen Kenngrößen, nicht näher eingegangen. 27