Vertikaler Arbeitseinsatz - der etwas andere Bauernhofurlaub
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Vertikaler Arbeitseinsatz - der etwas andere Bauernhofurlaub
Vertikaler Arbeitseinsatz - der etwas andere Bauernhofurlaub „Grüaßt Enk“ - mit einem kräftigen Handschlag heißt uns der Jungbauer Walter Moosmair auf seinem Südtiroler Bergbauernhof willkommen. Es ist der Niedersteinhof, der auf 900 Meter Höhe bei St. Leonhard, im Passeiertal liegt. Wir merken bald, dass der Walter – verheiratet ist er noch nicht – ein durchaus moderner Mensch ist und neben der vor allem vom Heu bestimmten Viehwirtschaft auch auf den Tourismus als Erwerbsquelle setzt. Er hat sogar eine Homepage eingerichtet, mit der er „Urlaub auf dem Bauernhof umrahmt von einer herrlichen Bergwelt in ländlicher Umgebung“ verspricht. Doch wir sind keine gewöhnlichen Südtirol-Touristen. Ruhe und Erholung erwarten unsere Mannschaft nicht. Alle Teilnehmer haben sich einige Wochen vorher bei der Sektion gemeldet - zum freiwilligen Ernteeinsatz auf einem Südtiroler Bergbauernhof. Die Idee zur aktiven Hilfe entstand bereits vor einem Jahr aus der Zusammenarbeit der Naturschutz- und der Familienwandergruppe. „Mit so einer großen Beteiligung haben wir gar nicht gerechnet, sagt Christof Thron, unser Naturschutzbeauftragter und staunt nicht schlecht über das ehrenamtliche Engagement so vieler unserer Mitglieder. Alle Altersgruppen und Gesellschaftsschichten sind vertreten – vom Schüler bis hin zum Rentner. Und so klettern Anfang August 15 Garchinger in klobigen Bergstiefeln, den hölzernen Rechen über der Schulter zu ihrer ersten Heuernte den Berg hinauf. "Wir arbeiten von oben nach unten", erklärt uns Hans, der als Seniorbauer den Niedersteinhof an Walter übergeben hat, aber immer noch tatkräftig zulangt. Er macht uns geschickt vor, wie man das Heu zusammenrecht und am Wiesenrand zu spaghettiartigen Riesenschlangen aufschichtet. Bei der Heuernte in 2000 m Höhe Ungefähr zwei Hektar sind am ersten Nachmittag zu bearbeiten. Zwei Hektar wirken entmutigend groß, wenn man sich mittendrin befindet und mit einem vorsintflutlichen Arbeitsgerät Grashalm für Grashalm einsammeln soll. Normalerweise arbeiten Vater und Sohn Moosmair tagelang an diesem Hang. Mit unseren zusätzlich helfenden Händen jedoch ist die Arbeit noch vor dem Abendbrot abgeschlossen. Bergbäuerin Anna, die Mutter von Walter, verwöhnt die Gruppe als Dank mit hauseigenen Produkten wie selbstgebackenem Brot, frischen Eiern, Biokäse und geräuchertem Speck. Schlafen können in der ersten Nacht alle gut – die meisten im selbstgeernteten BioBergwiesenheu. Andere Leute bezahlen für dieses „traumhafte“ Erlebnis viel Geld. Namhafte Wellnessbetriebe und Hotels verwenden Walter Moosmaiers Bio-Heu. Selbst die Meraner Therme bekommt regelmäßig Heupost von ihm. In Tüten, die wie überdimensionale Teebeutel aussehen, wird sein blütenreiches Heu grammgenau abgewogen, direkt an seinem Hof abgepackt und mit Datum und Herkunftsort versehen abgeschickt. Am nächsten Morgen beziehen wir unser festes Quartier für die nächsten Tage: über steile, zum Teil unangenehm schottrige Wege fahren wir auf die 1800m hoch gelegene Niedersteiner Alm. Die sie umgebende Berglandschaft ist beeindruckend. Im Westen haben wir hohe Gipfel und Gletscher der Ötztaler Alpen vor Augen. Meist treiben dort dichte Wolken. Anders der Blick nach Süden, wo der Himmel immer blau ist; man ahnt Italien. Im Bereich unserer Hütte erheben sich bis über 2000m hinauf die Hänge, von denen wir das Heu herunter holen werden. Sie sind zumeist baumfrei und haben einen mit etwa knöchelhohem Gras bewachsenen, erstaunlich festen Boden. Er ist so griffig, dass ein versierter Bergbauer mit seinem geländegängigen Lader trotz beängstigendem Gefälle darauf fahren kann. Die Garchinger Heuerntehelfer vor der Niedersteiner Alm Von der Niedersteiner Alm aus unterstützen wir, in kleine Helfertrupps aufgeteilt, die umliegenden Nachbarn vom Biobauern Walter Moosmair bei der Heuernte. Für diese Sommerbeschäftigung gibt es keinen Lohn. Dafür sind Verpflegung und Unterkunft einschließlich einer Haftpflicht- und Unfallversicherung frei. Unser Arbeitseinsatz wurde in Kooperation mit dem „Verein Freiwillige Arbeitseinsätze“ organisiert, der vom Bauernbund, der Diözesancaritas, der Lebenshilfe und dem Jugendring von Südtirol getragen wird. Dieser Verein vermittelt seit gut 10 Jahren Freiwillige an Südtiroler Bergbauern, die diesen bei der Ernte, im Haushalt, bei der Betreuung von Kindern sowie älteren und behinderten Menschen helfen. Damit leisten die Freiwilligen einen wichtigen Beitrag für den Erhalt vieler heute um ihr Fortbestehen ringender Bergbauernhöfe und das Weiterleben ihrer uralten Kultur. Manch einer unter uns hatte gehofft, beim Beerenpflücken eingesetzt zu werden; doch leider ist diese gemütliche Ernte bei unserem Eintreffen bereits vorbei. Wir arbeiten ausschließlich beim Einbringen des Heus, und das ist anstrengend genug. Jeden Morgen treffen die Helfer nach einem mehr oder weniger langen Anstieg über weglose Hänge mit unseren Bauern, dem Michl, der Marianne, dem Martin, dem Walter an den Arbeitsstellen zusammen. In ihrem Südtiroler Dialekt weisen sie uns in unsere Tätigkeit ein. Dabei gibt es manchmal Missverständnisse, weil vor allem die Saupreißen unter uns ihre Schwierigkeiten mit dieser Mundart haben. Mit der Sense zu mähen brauchen wir nicht und wären daran sicher auch gescheitert. Das haben unsere Bauern bereits mit motorbetriebenen Balkenmähmaschinen gemacht, Die Balkenmähmaschine im Einsatz die von Hand geführt werden und selbst an steilen Grashängen noch ihren Zweck erfüllen. Wir sind in erster Linie für das Wenden und das Zusammenrechen des Heus da; außerdem helfen wir den Bauern, es in Netzen zu gewaltigen Ballen zusammenzupacken. Die Heuballen werden für den Abtransport ins Tal am Drahtseil eingehängt Manche der Bauern laden die fertigen Ballen auf den Rücken und tragen sie zu ihren Heustadeln. Wir ziehen es vor, die auf den Hängen rutschenden Ballen hinter uns herzuschleppen und zu den Stadln zu schaffen. Wenn diese bis unters Dach gefüllt sind, bleibt noch eine Heuseilbahn, in deren Seil wir die Ballen mit Haken und kleinem Eisenrad einhängen und im Affenzahn zu Tal sausen lassen. Unten stehen schon Lader bereit, auf denen das Heu zu den Bauernhöfen gefahren wird. Es kommt darauf an, dass das Heu trocken eingelagert wird. Darum haben wir es immer wieder mit den Rechen zu wenden und zwar auf den Hängen bergauf. Manchmal legen wir auch eine gemütliche Pause ein, um dem Wind und der Sonne das Verdunsten der letzten Feuchtigkeit im Heu zu überlassen. An einem Abend haben wir auf einem breiten Hang viel Heu gewendet und hoffen, es am nächsten Vormittag zusammenrechen und wegschaffen zu können. In der Nacht regnet es jedoch recht ordentlich; am nächsten Morgen beginnt das Wenden von vorne. Die Bauern ärgern sich darüber nicht, denn sie haben gelernt, mit der. Natur zu leben, und nehmen ihren vielfältigen Wechsel gelassen hin. Für uns ist es eine Wohltat, dass ihnen Hektik fremd ist. Das in Höhen zwischen 1700 und 2300m geerntete Heu dient vor allem als Futter für die Kühe. Durch seine von bis zu 130 verschiedenen Pflanzen stammenden Nährstoffe wird die Milch der Kühe besonders gut und bringt den Bergbauern den verdienten Lohn. Uns schärft man ein, dass das gemähte Heu wertvoll ist und sorgfältig zusammen gerecht werden muss. Einer von uns geht darum die abgeernteten Flächen noch einmal ab und sammelt liegen gebliebene Reste des kostbaren Viehfutters ein. Trotz aller Mühen reicht das Heu in manchen Jahren nicht aus. Die Bergbauern könnten dann, soweit sie über das notwendige Geld verfügen, weniger nahrhaftes Futter für ihr Vieh kaufen. Das lehnen sie aber ab; lieber verkaufen sie eine ihrer Kühe, um für die übrigen genügend Heu vorrätig zu haben. Das Heu von den Bergen ist für die Südtiroler Bergbauern eine wichtige, wenn nicht die entscheidende Lebensgrundlage. Sie tun alles für seinen natürlichen Erhalt. Die Bergwiesen werden zur Regeneration nur jedes zweite Jahr gemäht und sie dürfen nicht gedüngt werden, da dies die wertvollen Nährstoffe des Heus verfälschen würde. Auch Kuhfladen sind unerwünscht. Darum fehlen auf den Hängen, an denen wir arbeiten, die Kühe. Die Bergbauern treiben ihr Vieh im Frühling auf Almen, auf denen kein Heu geerntet wird. Während unserer Tage in Südtirol verursachen Blasen an den Fingern, verdächtiges Ziehen in der Schulterregion und andere Beschwerden mancherlei Zweifel, ob unser Einsatz eine gute Idee war. Doch nach oft zehnstündiger, kräftezehrender Arbeit erfüllen uns der Anblick der Heuschlangen, die bis unters Dach gefüllten Stadl, die Menge der zu Tal gebrachten Heuballen (Bild 5), der würzige Geruch von Kräutern und Bergblumen mit Stolz und Genugtuung. Das Gefühl, ein Zeichen der Solidarität gesetzt und etwas Sinnvolles geleistet zu haben, ist der schönste Lohn. Alle Teilnehmer sind sich einig: der Einsatz hat sich, trotz Gliederschmerzen und Muskelkater gelohnt. Auch die Kinder, die mit uns dabei sind, empfinden das so. Sie haben toll mit zugepackt und blühen in den an Heidi erinnernden Tage sichtbar auf. Noch einmal vielen Dank an alle tatkräfigen Helferinnen und Helfer! Der Einsatz wird mit Sicherheit wiederholt werden. Interessenten für die nächste Saison können sich beim Naturschutzreferenten oder der Familiengruppe unserer Sektion melden.