Globalisierung auf städtischer Ebene: Lokale Gemeinschaft und

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Globalisierung auf städtischer Ebene: Lokale Gemeinschaft und
Globalisierung auf städtischer Ebene: Lokale Gemeinschaft und translokale
soziale Landschaft. Herausforderungen für die Stadtplanung im Globalen Zeitalter am Beispiel des Nürnberger Stadtteils Werderau.
Ein Idyll am Rande der Großstadt – so wird der Stadtteil Werderau im Südwesten Nürnbergs
oft beschrieben. Die Siedlung, in der etwa 3000 Menschen leben, wurde ab 1911 als Werkssiedlung der MAN nach dem Prinzip der Gartenstadt errichtet: beschauliche Häuschen mit
zugehörigen Gärten reihen sich aneinander. Lange Zeit konnten nur Angestellte der MAN
das Leben in diesem Stadtteil genießen. Unter diesen Sonderbedingungen entwickelte sich
eine abgeschlossene, stabile Gemeinschaft. Rückblickend basierte letztere auf bestimmten
Ankerpunkten: Der gemeinsame Arbeitsplatz, lokale Vereine und Feste, sowie die städtebaulichen Besonderheiten schienen Zusammenhalt und Kontinuität zu schaffen. Im Herbst 1998
änderte sich dieses vordergründig friedvolle Bild schlagartig: Der Verkauf der Wohnungen
und Häuser an ein Immobilienunternehmen und der Zuzug von ‚Fremden’ schien die Welt
der Alteingesessenen zu zerstören.
Um die wesentlichen historischen Bezüge in der Werderau aufzuzeigen, die spezielle Bindung der Alteingesessenen an ihren Stadtteil und ihren Blick auf die jüngeren Veränderungen zu erfassen, aber auch, um die Perspektive von neu Zuziehenden festzuhalten, wurde
der sozialgeographische Wandel mit verschiedenen Instrumenten analysiert: Daten des Amtes für Stadtforschung und Statistik halfen, Fakten der wahrgenommenen Realität gegenüberzustellen. Hauptsächlich aber wurde mit Instrumenten der empirischen Sozialforschung
gearbeitet: Neben der Analyse von Zeitungsartikeln und Protokollen aus Sitzungen der Bewohner und der Stadtpolitik, gaben vor allem leitfadengestützte Interviews mit Experten und
Anwohnern Aufschluss über die Prozesse und deren Wahrnehmung. Die hermeneutische
Vorgehensweise wird in der Arbeit durch eine ständige Verzahnung von theoretischer Reflexion und empirischer Analyse wiedergegeben.
Die Aussagen der Altwerderauer lassen das Bild einer traditionellen Gemeinschaft entstehen, die durch stabile Verhältnisse und verlässliche Rhythmen im täglichen Leben, sowie
eine Begrenztheit der sozialen Kontakte auf das direkte Umfeld charakterisiert ist. Durch die
Fokussierung auf den Ort und den gemeinsamen Bezug zur MAN seien alle Anwohner –
einschließlich der Gastarbeiter, die seit den 1960ern typischer Bestandteil der MANArbeiterschaft waren – integriert gewesen. Doch diese Gemeinschaft hat nur aufgrund einer
weiteren Komponente traditioneller Gemeinschaften, der Kontrolle des Individuums (Aufsicht
durch Betriebsrat, Selektion der potentiellen Anwohner, etc.), existieren können. Die „perfekte Gemeinschaft“ ist ein Konstrukt. Aus heutiger Sicht werden jene Kontrollmechanismen
positiv bewertet. Sie boten den Anwohnern Sicherheit und Kontinuität, die mit dem Verkauf
wegbrachen.
Der Verkauf der Werderau ist als eine Reaktion auf die wachsende globale Konkurrenz zu
betrachten. Die MAN sah sich dazu veranlasst, unrentable Geschäftsbereiche abzustoßen.
Man konnte sich den Luxus der sozialen Fürsorge für die Mitarbeiter nicht mehr leisten. Der
Kommodifikation der Werderau folgt, dass der bisher geradezu insulare Stadtteil von Dimensionen der Globalisierung, durchkreuzt wird. Von wohl größter Bedeutung sind die neu zuziehenden Menschen, deren soziale Netze nicht auf die Werderau beschränkt sind, sondern
sich diffus, teils über große Distanzen hinweg, ausbreiten. Dies wirkt auf die Alteingesessen
befremdlich. Neuwerderauer zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie sich nicht für den Erhalt
der ortsgebundenen Gemeinschaft interessieren. Sie ignorieren bisherige Spielregeln des
Zusammenlebens (Hausordnung, einheitliche Gestaltung der Hausfassaden etc.) und nehmen nicht am Stadtteilleben teil. Lokale Solidarität wird zum Kriterium der Akzeptanz. Laut
Aussagen der Befragten sei das beschriebene Desinteresse besonders bei nicht-deutschen
Neuwerderauer zu beobachten. Jene seien durch ihr Verhalten nicht integrationsfähig. Dabei
ist für die Alteingesessenen das Althergebrachte der Maßstab der Veränderungen. „Neue“
sollen sich an die lokale Gemeinschaft anpassen. Aufgrund des als verstärkt erlebten Zu-
zugs von Ausländern wird eine angebliche „Gettosierung“ beobachtet. Dabei kann man seit
der Privatisierung der Immobilien eher eine Aufwertung der Siedlung feststellen. Doch der
Zuzug von Ausländern sollte durch Proteste in Form von einem überdurchschnittlich hohen
Wahlergebnis der sog. „BIA“ (Bürgerinitiative Ausländerstopp) unterbunden werden. Obwohl
der Ausländeranteil geringer stieg als oft angegeben und in anderen Stadtteilen sehr viel
höher ist oder schneller wächst, wird hier das Problem ethnisiert, die Schuld wird bei den
durch cultural markers leichter auszumachenden Ausländern gesucht.
Der Grund für die Auflösung der lokalen Gemeinschaft in der Werderau liegt jedoch nicht in
dem Zuzug von Ausländern und deren Desinteresse am Ort, sondern in der Tatsache, dass
Gemeinschaften heute individuell gewählt werden und meist nicht mehr auf einen Raum
konzentriert sind. Spätestens im Zeitalter der Globalisierung existiert eine Isomorphie von
flächenextensionalem und sozialem Raum nicht mehr. So haben viele Neuwerderauer Kontakte zu Menschen an oft weit entfernten Orten. Die Soziosphären (subjektspezifische konstruierte Sozialnetze) lösen sich teils von der direkten Umgebung. Ermöglicht wird dies heute
u.a. durch modernste Transport- und Kommunikationsmittel. Das Resultat dieser sozialgeographischen Prozesse äußert sich in der Werderau: Verglichen mit der Bedeutung des
Wohnortes für die Alteingesessenen verliert das direkte Umfeld für Neuwerderauer an Gewicht. Auf engem Raum existiert der Wunsch nach einer lokalen, homogenen Gemeinschaft
neben dem Bestreben, seine Kontakte über viele Kilometer zu Menschen an weit entfernten
Orten aufrecht zu erhalten.
Die Stadtpolitik reagiert auf verschiedene Weisen auf die Entwicklungen. Anfangs geht man
beinahe ausschließlich auf die Hilferufe der Alteingesessenen ein: Zur Konservierung der
alten Strukturen fordert man einen sozialverträglicher Verkauf der Immobilien und eine Erhaltungssatzung. Die neue Realität des Raumes – letzterer ist nun nicht mehr exklusiv MANMitarbeitern vorbehalten – wird durch dieses Vorgehen teils ignoriert. Auch ein vorübergehender Verkaufsstopp der Wohnungen und Häuser sollte die Situation entschärfen, ‚Fremde’
erst einmal fernhalten. Nach einiger Zeit ergänzt man diese reterritorialisierenden durch integrative Maßnahmen. Dabei wird Integration nicht länger als Unterordnung des Individuums
an lokale Gegebenheiten verstanden, sondern als Akzeptanz der Vielfalt der Anwohner. Mit
dem 2002 implementierten Stadtteilmanagement sollen Probleme vor Ort zusammen mit
Anwohnern und Experten gelöst werden. Erfolge zeichneten sich vor allem bei jenen Projekten ab, die durch Ethnizitätsblindheit und Themengebundenheit charakterisiert waren, wie
etwa eine Aktion zur Errichtung von Spielplätzen.
Die konkreten Bedingungen in der Werderau stellen große Herausforderungen für die Stadtpolitik und -planung dar. Die beschriebenen Prozesse sind heute in ähnlicher Form in den
meisten urbanen Räumen zu beobachten: Die traditionelle an das Territorium gebundene
Gemeinschaft erfährt Konkurrenz durch selbst gewählte Gemeinschaften mit plurilokalem
Charakter, wobei letztere erst durch Prozesse der Globalisierung möglich werden. Im speziellen Fall der Werderau hat sich diese räumliche und gesellschaftliche Metamorphose auf
abgegrenztem Raum wie im Zeitraffer vollzogen.
SS 2004
Marina Münch

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