AETA, 278a und Verschwörung zur… Organisationsparagraphen

Transcrição

AETA, 278a und Verschwörung zur… Organisationsparagraphen
Interface: a journal for and about social movements
Band 1 (2): 244 - 249 (November 2009)
Aktionsnote
Mackinger, AETA, 278a und Verschwörung zur…
AETA, 278a und Verschwörung zur…
Organisationsparagraphen zur Zerschlagung
tierbefreierischen Aktivismus
Christof Mackinger
Abstract
In the 21st century, the criminalisation of organisation per se, under the guise
of anti-terrorist legislation, has been increasingly used against social
movements. Such legislation often carries higher penalties for organisation
than for the acts which such organisations are accused of, and justifies the
generalised surveillance of movement organisations. The animal rights /
animal liberation movement, as a small but widespread movement, has been a
testing ground for this legislation, but it is already being used against other
and larger movements. The action note discusses the experience of activists in
the USA, UK and Austria. There is a call for support at the end of the note.
„Vereinigung zu Erpressung“, „Bildung einer Kriminellen Organisation“ oder so
ähnlich klingen Strafverfolgungsmaßnahmen, die in jüngster Zeit immer mehr
politischen Aktivist_innen zum Verhängnis wurden. Nicht nur in Österreich, in
vielen anderen Ländern auch, werden seit einigen Jahren
Organisationsparagraphen zunehmend gegen politische Initiativen eingesetzt.
Die Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung steht dabei leider an vorderster Stelle.
Organisationsparagraphen
Spätestens nach den mörderischen Anschlägen vom 11. September 2001 haben
die meisten westlichen Länder Anti-Terror-Gesetzgebungen erlassen. Diese
stellen oft eine Sonderform der auf innereuropäischer Ebene spätestens 2004
vereinheitlichten Gesetzestexte gegen die Organisierte Kriminalität dar1.
Organisationsparagraphen ahnden keine Gesetzesverstöße im herkömmlichen
Sinne. Sie kennzeichnen vielmehr die Möglichkeit sogenannte Vorfelddelikte
unter Strafe zu stellen. Darunter werden Aktivitäten zusammengefasst, die zwar
an sich nicht strafbar sind, aber in Zusammenhang mit Organisierter
Kriminalität an strafbaren Handlungen teilhaben und diese fördern. Damit
sollten die vermeintlichen „Hintermänner, die sich nicht die Finger schmutzig
machen“ dingfest gemacht werden. So ist, wie dies eine österreichische
1
http://europa.eu/legislation_summaries/justice_freedom_security/fight_against_organise
d_crime/l33084_de.htm (Zugriff: 17.10.2009)
244
Interface: a journal for and about social movements
Band 1 (2): 244 - 249 (November 2009)
Aktionsnote
Mackinger, AETA, 278a und Verschwörung zur…
Strafrechtlerin darstellte, das Organisationsdelikt als ein „Glied einer
Verlaufsreihe [zu] betrachten, an deren Ende das vollendete Delikt steht.“
(Velten 2009)
Die Abstrafung von Vorfelddelikten stellt gewissermaßen eine Vorverlagerung
der Strafverfolgung dar. Es werden nicht nur begangene Verstöße gegen das
Strafgesetzbuch verfolgt, stattdessen wird versucht die Begehung dieser im
Vorfeld zu unterbinden und vorbereitende Handlungen ebenso zu ahnden.
Organisationsdelikte werden nicht nur genutzt, um ein für
Strafverfolgungsbehörden unüberschaubares Feld von politischen
Aktivist_innen und Sympathisant_innen zu kriminalisieren. Auf
Organisationsparagraphen, ebenso wie auf Terrorparagraphen im speziellen,
stehen im Vergleich zu den tatsächlich vollendeten Straftaten ungleich höhere
Strafen. Ein weiterer Aspekt betrifft die umfassende Legitimierung der
Strafverfolgsbehörden zur Überwachung vermeintlich Verdächtiger durch die
Anwendung von Paragraphen gegen Terrorismus oder Organisierte
Kriminalität. Eine Tatsache, die bei den folgenden Beispielen noch deutlich
werden wird.
I. USA
Bereits in den 1960er Jahren wurden Vereinigungsdelikte in den USA gegen
Gegner_innen des Vietnam-Kriegs in Anschlag gebracht. In jüngster Zeit
gerieten sie in Vergessenheit, da sie kaum gegen politische Aktivist_innen
Anwendung fanden. Erst im Mai 2004 wurden sie wieder Gegenstand
öffentlicher Diskussion, als SHAC (Stop Huntingdon Animal Cruelty), eine
Tierrechtskampagne sowie sechs Tierrechtsaktivist_innen, die AntiTierversuchsproteste koordiniert haben sollen, wegen „Verschwörung zum
Verstoß gegen den Animal Enterprise Protection Act (AEPA)“ angeklagt
wurden. Der AEPA oder später Animal Enterprise Terrorism Act (AETA)2 trat
1992 in Kraft und zielt auf die Kriminalisierung von Tierrechtsaktivist_innen
ab: Der Gesetzestext stellt die „Störung oder Einmischung in Handlungen eines
tiernutzenden Unternehmens“3 unter Strafe. Die sechs Aktivist_innen hätten
zusammen mit anderen seit dem Jahr 1999 eine überaus erfolgreiche Kampagne
zur Schließung eines der größten Tierversuchsunternehmen weltweit,
Huntingdon Life Sciences (HLS), mitgetragen. HLS ist ein sogenanntes
Auftragslabor. In den vier Niederlassungen von HLS werden Versuche an Tieren
u.a. im Auftrag der Pharma- und Chemieindustrie durchgeführt, um die
2 Der AEPA wurde 2006 zum AETA abgeändert. Die wesentlichen Unterschiede liegen in der
breiteren Definition, was ein „Animal Enterprise“ sei, in der Anpassung des Gesetzes an neue
Strategien von Tierrechtskampagnen durch die Kriminalisierung von Protesten bei
Geschäftspartner_innen von tiernutzenden Unternehmen, welche auf die Ausübung von
Druck auf die ursprünglichen Protestziele abzielen würden und schließlich in der Ausweitung
des maximalen Strafrahmens.
3 (meine Übersetzung, C.M.) Der original Gesetzestext:
http://www.govtrack.us/congress/billtext.xpd?bill=s109-3880 (Zugriff 17.10.1009)
245
Interface: a journal for and about social movements
Band 1 (2): 244 - 249 (November 2009)
Aktionsnote
Mackinger, AETA, 278a und Verschwörung zur…
Giftigkeit von Substanzen zu testen. Jedes Jahr werden von HLS rund 70.000
Tiere in Tierversuchen getötet. Die Kampagne stützt sich vor allem auf legale
Protestaktionen, wie Demonstrationen, Kundgebungen und Infotische, doch
auch ziviler Ungehorsam, wie Run-Ins, Ankettaktionen oder Dachbesetzungen
kamen zum Einsatz. Am Rande der seit Jahren weltweit agierenden Kampagne
wurden auch politisch motivierte Sachbeschädigungen als Mittel eingesetzt, um
das Unternehmen HLS unter Druck zu setzen. Den angeklagten Aktivist_innen
wurde neben der Verschwörung zum Verstoß gegen den AEPA auch Stalking in
mehreren Fällen vorgeworfen4. Die unzähligen Zeug_innen, die vor Gericht
gegen die Beschuldigten aussagen sollten, konnten in keiner Weise einzelne der
Aktivist_innen mit Straftaten in Verbindung bringen. Einzig wurde ihnen
angelastet, eine Kampagnen-Website mit möglichen Protestzielen, darunter
auch Privatadressen von bei HLS Beschäftigten online gestellt zu haben und
Straftaten gegen Tierausbeuter_innen gut zu heißen.
Alle sechs angeklagten Aktivist_innen wurden zu Haftstrafen bis zu 6 Jahren
verurteilt.
II. England
Im Zusammenhang mit derselben Tierrechts-Kampagne wurden im Mai 2007
unter Einsatz von 700 Polizist_innen europaweit Hausdurchsuchungen
durchgeführt und 30 Aktivist_innen verhaftet. Die Ermittlungen der Behörden
umfassten neben Observationen auch das Abhören von Wohnräumen und die
Zusammenarbeit mit einem in die Bewegung eingeschleusten Spitzel. Mehrere
der Aktivist_innen wurden wegen der Verschwörung zur Erpressung angeklagt
und sieben davon im Januar 2009 zu Haftstrafen bis zu elf Jahren verurteilt.
Zusätzlich bekamen einzelne von ihnen sogenannte ASBOs (Anti Social
Behaviour Orders) für die Dauer ihres restlichen Lebens auferlegt, die ein
weiteres Engagement gegen Tierversuche, auch auf legaler Ebene, unter Strafe
stellen. Jedes Betreiben einer Website, jede Organisation eines Treffens zum
Thema Tierversuche und jede Unterschirftensammlung gegen Experimente an
Tieren würde für die Betroffenen die Rückkehr in das Gefängnis bedeuten.
III. Österreich
Als im Herbst 2006 verschiedene Tierrechtsinitiativen geschlossen zu einer
österreichweiten Anti-Pelz-Kampagne gegen das größte Modeunternehmen
Kleider Bauer aufriefen und die ersten Protestaktionen abgehalten wurden,
schmiedeten Beamt_innen des österreichischen Innenministeriums erste Pläne
zur Niederschlagung der Kampagne. In einem Treffen5 mit dem Management
4 Siehe http://shac7.com/case.htm (Zugriff 17.10.,2009)
5 Siehe dazu http://www.peterpilz.at/html/tagup/Bericht2.pdf,
http://www.peterpilz.at/html/tagup/Bericht3.pdf und
http://www.peterpilz.at/html/tagup/Bericht4.pdf
246
Interface: a journal for and about social movements
Band 1 (2): 244 - 249 (November 2009)
Aktionsnote
Mackinger, AETA, 278a und Verschwörung zur…
des pelzverkaufenden Modekonzerns Kleider Bauer wurde beschlossen, die
regelmäßigen Kundgebungen vor den Geschäften behördlich zu untersagen. Als
Begründung reichte aus, dass die Polizei die Sicherheit nicht aufrecht erhalten
könne, nachdem in einem Fall nachts Eigentum von Kleider Bauer beschädigt
wurde. Da die Tierrechtler_innen aber weiterhin von ihrem Recht auf
Versammlungsfreiheit Gebrauch machten und die Behörden, wie es mittlerweile
als belegt gilt6, keinen Zusammenhang zwischen den Sachbeschädigungen und
den legalen Protesten herzustellen vermochten, wurde der Paragraph 278a zur
Kriminalisierung der koordinierten Proteste ins Feld geführt. Der Paragraph
278a stellt die Bildung und Mitgliedschaft einer Kriminellen Organisation unter
Strafe und wurde in Österreich bisher vor allem im Zusammenhang mit
Vorwürfen der Schlepperei, des Drogenhandels und des Menschenhandels in
Verbindung gebracht.
Seit Herbst 2006 wird nun gegen Aktivist_innen der Tierschutz- und der
Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung nach dem Vereinigungsparagraphen 278a
ermittelt. Die Ermittlungen waren, wie mittlerweile aus der Aktenlage
ersichtlich ist, von Anfang an von einem großzügigen Einsatz von Überwachung
begleitet: Abgehorchte Mobiltelefone, Funkzellenauswertung, Peilsender auf
Autos und Observationen über Monate hinweg. Da dies offenbar nicht zu den
gewünschten Erfolgen führte, weiteten die Ermittler_innen die Maßnahmen
sukzessive aus. So wurden nicht nur Finanzermittlungen gegen einzelne
Personen und Initiativen eingeleitet, sondern auch mindestens eine Wohnung
heimlich verwanzt und Kameras an Wohnhäusern angebracht um Gespräche in
Privaträumen überwachen zu können bzw. um Bewegungsprofile von
Aktivist_innen zu erstellen. Im Fadenkreuz der extra dafür gebildeten
polizeilichen Sonderkommission standen mindestens 40 bekannte
Aktivist_innen und eine unbekannte Anzahl weiterer Personen.
Im Mai 2008 stürmten Sondereinheiten der Polizei österreichweit 23
Wohnungen und Büros, durchsuchten diese und nahmen zehn Menschen fest.
Nach dreieinhalb Monaten Untersuchungshaft und einer beispiellosen
weltweiten Solidaritätskampagne wurden die Beschuldigten aus dem Gefängnis
entlassen. Die andauernde Untersuchungshaft stehe nicht mehr im Verhältnis
zu der erwartenden Strafe, begründete die Oberstaatsanwaltschaft die
überraschende Freilassung der Aktivist_innen.
Nichtsdestotrotz folgte ein Jahr später, im Herbst 2009, eine Anklage. Obwohl
ein Großteil der ursprünglichen Anschuldigungen fielen, bleibt der Vorwurf der
Mitgliedschaft in einer Kriminellen Organisation bestehen. Den Angeklagten
wird vorgeworfen, Mitglied in einer seit 1996 existierenden kriminellen Struktur
zu sein, die sich sowohl für alle legalen als auch illegalen Aktivitäten im
Tierschutz- und Tierrechtsbereich verantwortlich zeichnet. Dabei soll schlicht
jede Aktivität im Bereich Tierschutz/Tierrechte ein Beleg zur Mitgliedschaft
darstellen. Selbst legale Aktivitäten wie Kundgebungen polizeilich anmelden
6 Siehe dazu Resümeeprotokoll vom 05. April 2007
http://www.peterpilz.at/html/tagup/Bericht2.pdf (Zugriff 17.10. 2009)
247
Interface: a journal for and about social movements
Band 1 (2): 244 - 249 (November 2009)
Aktionsnote
Mackinger, AETA, 278a und Verschwörung zur…
und Vorträge organisieren, diene einzig und allein den Zielen der Kriminellen
Organisation.
Erstmals also werden in Österreich 2010 politische Aktivist_innen wegen eines
Vereinigungsdeliktes vor Gericht stehen. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft hat
für den bevorstehenden Prozess über hundert Belastungszeug_innen geladen.
Allein schon dadurch ist dafür gesorgt, dass der Prozess für die Angeklagten
finanziell ruinös enden wird. Sie müssen auch im Fall eines Freispruchs für
mindestens einen Teil der Anwaltskosten aufkommen. Bei dem zu erwartenden
Umfang des Prozesses wird dies pro Person mehrere 10.000 € ausmachen.
Darüber hinaus drohen Haftstrafen von bis zu fünf Jahren im Falle einer
Verurteilung.
Organisationsparagraphen abschaffen!
Dass die verstärkte Repression gegen die globale Tierrechts/Tierbefreiungsbewegung kein Zufall ist, zeigt allein schon der Bezug der
österreichischen Ermittler_innen auf sehr ähnlich geartete Fälle in England.
Nicht nur in Großbritannien und Österreich wird die Tierrechtsbewegung mit
zunehmendem Interesse der Strafverfolgungsbehörden bedacht. Selbst Europol,
die Vernetzung der Europäischen Behörden zur Bekämpfung international
organisierter Kriminalität und Terrorismus, meint eine zunehmende Bedrohung
der europäischen Sicherheit durch die Bewegung für die Befreiung der Tiere
wahrnehmen zu können.7
Doch auch andere soziale Bewegungen haben mit erheblichen staatlichen
Repressalien zu kämpfen. In vielen Ländern werden politische Aktivist_innen
verhaftet und für ihre Meinung oder ihr politisches Engagement bestraft. Da die
Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung verhältnismäßig klein und zum Teil
marginalisiert, aber überaus aktiv ist, stellt sie offenbar ein passendes Testfeld
für neue Technologien der Überwachung und neuartige Methoden der
Kriminalisierung durch die Strafverfolgungsbehörden dar. Es wäre nicht
überraschend, wenn diese in weiterer Folge auf andere politische Bewegungen
oder breite Teile der Bevölkerung ausgeweitet werden.
In Ländern, in denen sich die Anwendung von Organisationsparagraphen schon
bewährt hat, stehen ohnehin bereits vielfältige politische Initiativen vor Gericht,
seien es Antimilitaristische Aktivist_innen in Deutschland,
Anarchosyndikalist_innen in Serbien oder Öko-Autonome in Frankreich.
Die zunehmende Anwendung von Vereinigungsparagraphen ist eine nicht zu
unterschätzende Entwicklung, die über kurz oder lang immer mehr politische
Initiativen betreffen wird und politisches Engagement insgesamt
einzuschränken vermag. Daher gilt es sich mit den Betroffenen zu solidarisieren
7
http://www.europol.europa.eu/publications/EU_Terrorism_Situation_and_Trend_Re
port_TE-SAT/TESAT2009.pdf (Zugriff 17.10.1009)
248
Interface: a journal for and about social movements
Band 1 (2): 244 - 249 (November 2009)
Aktionsnote
Mackinger, AETA, 278a und Verschwörung zur…
und die Möglichkeiten zum organisierten politischen Engagement zu
verteidigen!
Bibliografie
Velten, Petra 2009. "Die Organisationsdelikte haben Konjunktur: Eine moderne Form der
Sippenhaftung? Banken und Tierschützer vor Gericht." 55 - 63 im Journal für Strafrecht (JSt),
Zeitschrift für Kriminalrecht, Strafvollzug und Soziale Arbeit, Heft 2.
Über den Autor
Studierender der Sozialwissenschaften, Christof Mackinger beschäftigt sich
mit Sozialen Bewegungen und verschiedenen Facetten der Gesellschaftskritik.
Er ist einer der Beschuldigten im gegenwärtigen § 278a-Verfahren.
Soli-Webseite für den Prozeß: www.antirep2008.tk (wird gerade übersetzt
und sollte demnächst auch englischsprachig zur verfügung stehen).
Call for support
We are all 278a: solidarity with the animal rights activists targeted
by repression in Austria
In May 2008, ten animal rights activists were accused of having formed a
"criminal organisation" under para. 278a of the Austrian penal code. The trial
will probably begin soon. According to preliminary estimates, the legal defence
costs will amount to tens of thousands of euros per person. Therefore we have
opened a bank account for donations:
Account No.: 01910815837
Bank Code (BLZ): 14 000
Account owner: Grünalternative Jugend Wien
Purpose: Antirep 2008
IBAN: AT451400001910815837
BIC: BAWAATWW
More information is available from antirep2008 AT gmx.at and
www.antirep2008.tk
249

Documentos relacionados