ZBJV 2006, 457-494 - Juristische Fakultät Uni Basel
Transcrição
ZBJV 2006, 457-494 - Juristische Fakultät Uni Basel
User-ID: [email protected], 20.09.2013 15:06:27 Dokument ZBJV 142/2006 S. 457 Autor Paul Eitel Titel Die erbrechtliche Berücksichtigung lebzeitiger Zuwendungen im Spannungsfeld zwischen Ausgleichung und Herabsetzung Publikation Zeitschrift des bernischen Juristenvereins Herausgeber Heinz Hausheer, Jörg Schmid ISSN 0044-2127 Verlag Stämpfli Verlag AG, Bern Die erbrechtliche Berücksichtigung lebzeitiger Zuwendungen im Spannungsfeld zwischen Ausgleichung und Herabsetzung Von Prof. Dr. Paul Eitel, Rechtsanwalt, Solothurn* ZBJV 142/2006 S. 457, 458 Erster Teil: Allgemeines 1. Einführung: Lebzeitige Zuwendungen als Regelungsgegenstand des Erbrechts 1.1 Grundsätzlich geht es im Erbrecht um die Nachfolge in einen Nachlass, d.h. in das von Todes wegen übertragbare Vermögen einer verstorbenen Person, des sog. Erblassers1. Ausnahmsweise berücksichtigt das Erbrecht indessen auch Vermögenswerte, die im Zeitpunkt des Todes des Erblassers gar nicht mehr zu seinem Vermögen und damit auch nicht zu seinem Nachlass gehören. Erfasst werden dabei lebzeitige Zuwendungen des (nachmaligen) Erblassers, soweit er sie entweder ganz oder teilweise unentgeltlich ausgerichtet hat (Zuwendungen sind der Lehre zufolge, darunter namentlich von Tuhr/Peter bzw. Weimar, sowohl Handlungen (oder Unterlassungen), durch welche * Überarbeitete und erweiterte Fassung eines Vortrags, den ich am 10.1.2005 im Bernischen Juristenverein gehalten habe. - Ich danke Frau lic.iur. Karin Anderer, Assistentin an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern (Fachbereich Privatrecht), herzlich für ihre Unterstützung bei der Arbeit am vorliegenden Beitrag. 1 Vgl. dazu und zum Folgenden Paul Eitel, Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Band III: Das Erbrecht, 2. Abteilung: Der Erbgang, 3. Teilband: Die Ausgleichung, Art. 626-632 ZGB, Bern 2004 (im Folgenden: Berner Kommentar), N. 1 der Vorbemerkungen vor Art. 626 ff. ZGB und N. 17 ff. zu Art. 626 ZGB (mit den Nachweisen). Ausdruckseite 2 von 24 jemand einem anderen einen Vermögensvorteil verschafft, als auch die durch solche Handlungen gewährten Vermögensvorteile selbst). 1.2 Die erbrechtliche Berücksichtigung (unentgeltlicher) lebzeitiger Zuwendungen erfolgt im Wege der Ausgleichung nach den Art. 626-632 ZGB und der Herabsetzung nach den Art. 522-533, insbesondere 527 f. ZGB2. Im ersten Teil des vorliegenden Beitrags werden zunächst (Ziff. 2) die Charakteristika dieser beiden Institute aufgezeigt, hernach (Ziff. 3) offene, teilweise nachgerade "klassische" Grundfragen bei der Anwendung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen. Im zweiten Teil sodann (Ziff. 4 bis 9) geht es einerseits um einige m.E. bisher erst am Rande erkannte Aspekte für die Beantwortung jener Grundfragen, andererseits und vor allem um noch kaum diskutierte Einzelprobleme. ZBJV 142/2006 S. 457, 459 2. Charakteristika von Ausgleichung und Herabsetzung 2.1 Die "technische" Durchführung der angesprochenen Berücksichtigung einer erbrechtlich relevanten lebzeitigen Zuwendung des Erblassers geschieht im Wege einer ausgleichungsoder herabsetzungsrechtlich begründeten "Beimischung" (Hinzufügung) der Zuwendung (bzw. ihres Gegenstandes) zum Nachlass3. Diese Beimischung wird entweder rechnerisch oder in Natur vorgenommen. Entsprechend ist zu unterscheiden zwischen dem (reinen) Nachlass, der Teilungsmasse kraft Ausgleichungsrechts4 und der Pflichtteilsberechnungsmasse (Erbmasse) kraft Herabsetzungsrechts. 2.2 Dies sei anhand des folgenden Beispiels illustriert5: Erblasser X hinterlässt zwei Kinder S und T sowie ein Nettovermögen von 30 000; unter Lebenden hat er S 30 000 unter Erlass der Ausgleichung gegeben, während T 10 000 ohne Erlass der Ausgleichung bekommen hat. Dieses Beispiel hat eine besondere "Geschichte". Es wurde bereits in der ersten Auflage des Zürcher Kommentars von 1912 eingeführt und dort folgendermassen gelöst: Die Teilungsmasse beläuft sich auf 40 000 (reiner Nachlass 30 000 zuzüglich effektiv ausgeglichener ZBJV 142/2006 S. 457, 460 Zuwendung von 10 000), wovon S und T je 20 000 bekommen, sodass nach der Teilung T 20 000, S aber 50 000 hätte; die Pflichtteilsberechnungsmasse ergibt 60 000 (reiner Nachlass 30 000 zuzüglich nicht auszugleichender Zuwendung von 30 000), die Pflichtteilsansprüche belaufen sich auf je 3/8 davon (je 3/4 von 1/2; vgl. Art. 457 i.V.m. 2 Vgl. in rechtsvergleichender Sicht nunmehr Kirsten Werbik, Lebzeitige Zuwendungen des Erblassers, Die Berücksichtigung lebzeitiger Zuwendungen bei der Erbauseinandersetzung und im Pflichtteilsrecht nach deutschem, französischem und schweizerischem Recht, Diss. Freiburg i.Br. 2003/2004, Baden-Baden 2004 (Nomos Universitätsschriften Recht Band 413), passim. 3 Vgl. dazu und zum Folgenden Paul Eitel, Lebzeitige Zuwendungen, Ausgleichung und Herabsetzung - eine Auslegeordnung, in: ZBJV 134 (1998) 729 ff., 733 f. 4 Neben dieser Methode, wonach es zu einer (eigentlichen oder zumindest rechnerischen) "Rückführung" von Vermögenswerten in den reinen Nachlass kommt, wird in der Lehre auch eine zweite Methode aufgezeigt, wonach diese Rückführung nicht erforderlich ist; nach der m.E. zutreffenden, herrschenden Auffassung, welcher auch das Bundesgericht zuneigt, ist indessen die erste Methode zu bevorzugen; vgl. Eitel, Berner Kommentar, N. 8 ff. zu Art. 628 ZGB (mit den Nachweisen) sowie seither noch BGE 131 III 58, E. 4.3.2 und Paul-Henri Steinauer, Le droit des successions, Bern 2005 (im Folgenden: Droit des successions), N. 152 ff. - Sodann ist es durchaus nicht ausgeschlossen, bei Wertausgleichung von "Berechnungsmasse" (o.dgl.) zu sprechen und den Begriff "Teilungsmasse" (o.dgl.) lediglich dann zu verwenden, wenn es zu einer Naturalausgleichung kommt; vgl. Alexandra Rumo-Jungo, Tafeln und Fälle zum Erbrecht, Zürich 2004, Tafel 67. 5 Vgl. zum Folgenden Luc Vollery, Les relations entre rapports et réunions en droit successoral, L'article 527 chiffre 1 du Code civil et le principe de la comptabilisation des rapports dans la masse de calcul des réserves, Diss. Freiburg 1994 (AISUF 134), N. 361 ff. (mit den Nachweisen zur ersten und zweiten Auflage des Zürcher Kommentars); Arnold Escher, Zürcher Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch, Band III: Das Erbrecht, 1. Abteilung: Die Erben (Art. 457-536), 3. Aufl. Zürich 1959 (im Folgenden: Zürcher Kommentar), N. 5, 7 zu Art. 475 ZGB. Ausdruckseite 3 von 24 a Art. 471 Ziff. 1 ZGB) oder je 22 500, sodass der Pflichtteilsanspruch der T um 2500 verletzt ist und sie entsprechend die Herabsetzung geltend machen kann. Diese Lösung wurde in der Lehre kritisiert und in den beiden Folgeauflagen des Zürcher Kommentars von 1937/1959 modifiziert. Nach der korrigierten Lösung, welche seither derjenigen der heute klar herrschenden Lehre entspricht6, beläuft sich die Pflichtteilsberechnungsmasse nicht auf 60 000, sondern auf 70 000 (Teilungsmasse (oder reiner Nachlass zuzüglich effektiv ausgeglichener Zuwendung) von 40 000 zuzüglich nicht ausgeglichener, aber der (Hinzurechnung und) Herabsetzung unterliegender Zuwendung von 30 000), sodass die Pflichtteilsansprüche je 3/8 (nach wie vor je 3/4 von 1/2; vgl. Art. 457 i.V.m. Art. 471 Ziff. 1 ZGB) oder je 26 250 ausmachen. 2.3 Bereits anhand dieser "Mechanik" zeigen sich somit einzelne Wesensmerkmale der beiden Institute der Ausgleichung und der Herabsetzung. Im Gesetz ergeben sie sich mehr oder weniger klar aus den Art. 474 f., 527 und 628 Abs. 1 ZGB7. Insbesondere wegen der "Verbindung" zwischen den Art. 475 und 527 ZGB ist mit Blick auf die angesprochene Mechanik zusätzlich hervorzuheben, dass das Institut der pflichtteilsrechtlichen Herabsetzung lebzeitiger Zuwendungen immer auch auf dem Hintergrund der pflichtteilsrechtlichen Hinzurechnung dieser Zuwendungen gesehen werden muss. 2.4 Besonders plastisch treten die Charakteristika von Ausgleichung und Herabsetzung sodann in vergleichenden ZBJV 142/2006 S. 457, 461 Gegenüberstellungen zutage, wie sie namentlich von Tuor und von Breitschmid herausgearbeitet worden sind8. Danach -- geht es bei der Ausgleichung ausschliesslich um die Berücksichtigung lebzeitiger Zuwendungen, bei der Herabsetzung dagegen auch und in erster Linie um die Berücksichtigung von Zuwendungen von Todes wegen; entsprechend ist mit der Wendung von der Herabsetzbarkeit einer lebzeitigen Zuwendung immer zweierlei gemeint, nämlich zum einen auch die Hinzurechnung dieser Zuwendung und zum andern entweder die Herabsetzung (nur) in abstracto oder aber die Herabsetzung in concreto; denn es kommt zwar immer zur Hinzurechnung, aber nicht immer auch effektiv zur Herabsetzung9, nachdem ja der Erblasser über den Freiteil frei verfügen kann10; 6 Vgl. zuletzt nur Peter Weimar, Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Band III: Das Erbrecht, 1. Abteilung: Die Erben, 1. Teilband: Die gesetzlichen Erben, Die Verfügungsfähigkeit, Die Verfügungsfreiheit, Art. 457-480 ZGB, Bern 2000 (im Folgenden: Berner Kommentar), N. 35 ff. zu Art. 474 und N. 13 zu Art. 475 ZGB. - Gegen den uneingeschränkten Einbezug der "Ausgleichungen" in die Pflichtteilsberechnungsmasse namentlich Vollery, AISUF 134, N. 567 ff. 7 Vgl. Paul Eitel, Die Berücksichtigung lebzeitiger Zuwendungen im Erbrecht, Objekte und Subjekte von Ausgleichung und Herabsetzung, Bern 1998 (ASR 613), § 34 (mit den Nachweisen). 8 Vgl. Peter Tuor, Herabsetzung und Ausgleichung, in: ZBJV 61 (1925) 1 ff., 11 ff.; ders., Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Band III: Das Erbrecht, 1. Abteilung: Die Erben, Art. 457-536 ZGB, 2. Aufl. Bern 1952 (im Folgenden: Berner Kommentar), N. 8 ff. zu Art. 475 ZGB; Peter Breitschmid, Vorweggenommene Erbfolge und Teilung - Probleme um Herabsetzung und Ausgleichung, in: Praktische Probleme der Erbteilung, Bern/Stuttgart/Wien 1997 (St. Galler Studien zum Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht Band 46), 49 ff., 60 ff.; ferner etwa Heinz Gubler, Die ausgleichungspflichtigen Zuwendungen (Art. 626 ZGB), Diss. Bern 1941 (ASR Heft 184), 112 ff.; Jurij Benn, Rechtsgeschäftliche Gestaltung der erbrechtlichen Ausgleichung, Diss. Zürich 2000 (ZStP Band 160), 10 ff. 9 Bspw. weil die (in abstracto) herabsetzbaren Zuwendungen die verfügbare Quote nicht überschreiten, oder weil die Herabsetzung einer jüngeren Zuwendung genügt; so Paul Piotet, Erbrecht, in: Schweizerisches Privatrecht, Band IV, 1. Halbband, Basel/Stuttgart 1978 (im Folgenden: SPR IV/1), 440. 10 Vgl. Gubler, ASR Heft 184, 119. Ausdruckseite 4 von 24 -- bezweckt die Ausgleichung die Gleichbehandlung der Erben, insbesondere der Nachkommen (und ihrer Stämme), die Herabsetzung den Schutz von Pflichtteilsansprüchen bzw. der Familienerbfolge11 (einschliesslich des Schutzes des überlebenden Ehegatten) und damit eine eingeschränkte Gleichbehandlung; -- ist Ausgleichungsrecht dispositives Recht, sodass der Erblasser entweder die gesetzlich nicht vorgesehene Ausgleichung durch eine "positive" Verfügung zulasten des Zuwendungsempfängers anordnen (vgl. die sog. gewillkürte Ausgleichung nach Art. 626 Abs. 1 ZGB) oder aber die gesetzlich vorgesehene Ausgleichung durch eine "negative" Verfügung zugunsten des ZBJV 142/2006 S. 457, 462 Zuwendungsempfängers wegbedingen kann (vgl. die sog. gesetzliche Ausgleichung nach Art. 626 Abs. 2 ZGB), wie auch der Zuwendungsempfänger der (gewillkürten und gesetzlichen) Ausgleichungspflicht insbesondere durch Ausschlagung entgehen kann; demgegenüber ist das Pflichtteilsrecht und damit das Herabsetzungsrecht in dem Sinne "zwingend", dass sich ihm gegen den Willen des Berechtigen weder der Erblasser noch der Zuwendungsempfänger zu entziehen vermögen12; entsprechend geschieht die Ausgleichung mit dem (mutmasslichen) Willen des Erblassers, die Herabsetzung gegen dessen (mutmasslichen) Willen; -- werden ausgleichungspflichtige Zuwendungen primär auf den Pflichtteil (gebundene Quote) angerechnet, herabsetzbare Zuwendungen primär auf den Freiteil (verfügbare Quote)13, sodass die Rückgängigmachung aller lebzeitigen Zuwendungen lediglich im Wege der Ausgleichung, nicht aber im Wege der Herabsetzung in Frage kommt; -- kann die Ausgleichung direkt nur von Erben gegenüber Erben geltend gemacht werden, die Herabsetzung von pflichtteilsberechtigten Erben gegenüber Erben und Nichterben; -- steht die Herabsetzung in einem Subsidiaritätsverhältnis zur Ausgleichung 14; -- erfolgt die Ausgleichung nach Wahl des Ausgleichungsschuldners entweder im Wege der Einwerfung in Natur oder der Anrechnung dem Werte nach (Art. 628 Abs. 1 ZGB), während noch nicht ausdiskutiert ist, wie es sich diesbezüglich mit der Rückleistungspflicht des Empfängers einer herabsetzbaren Zuwendung verhält (Art. 528 Abs. 1 ZGB) 15; -- ergeben sich die "Nebenansprüche" des Ausgleichungsgläubigers grundsätzlich aus der analogen Anwendung der Besitzesregeln (Art. 630 Abs. 2 ZGB), diejenigen des ZBJV 142/2006 S. 457, 463 Pflichtteilsberechtigten dagegen aus der sinngemässen Heranziehung der Bereicherungsregeln (Art. 528 Abs. 1 ZGB) 16; -- sind Ausgleichungsansprüche unverjährbar, da die Ausgleichung eine Vorstufe der Erbteilung bildet und Teilungsansprüche unverjährbar sind17, während die klageweise (nicht aber die einredeweise18 Geltendmachung von Herabsetzungsansprüchen einer 11 Vgl. auch BGE 126 III 174, E. 3b bb. 12 Vgl. nur BGE 52 II 12 (Leitsatz). 13 Vgl. auch Stéphane Spahr, Valeur et valorisme en matière de liquidations successorales, Diss. Freiburg 1994 (AISUF 135), 311 ff.; sowie Nrn. 6.2 und 8.6 hienach. 14 Vgl. auch Pra 73 (1984), Nr. 252, 695 (E. 7 f); sowie Ziff. 9 hienach. 15 Vgl. nur Rolando Forni/Giorgio Piatti, in: Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Zivilgesetzbuch II, Art. 457-977 ZGB, Art. 1-61 SchlT ZGB, 2. Aufl. Basel/Genf/München 2003 (im Folgenden: Basler Kommentar), N. 4 ff. zu Art. 528 ZGB. 16 Vgl. Piotet, SPR IV/1, 518; weiterführend sodann (insbesondere in Auseinandersetzung mit BGE 110 II 228 ff.) ders., De la restitution après réduction successorale, in: ZSR 103 (1984) I, 105 ff.; ders., La restitution par le défendeur de mauvaise foi après réduction successorale, in: SJZ 81 (1985) 157 ff.; sowie Spahr, AISUF 135, passim. 17 Vgl. die Hinweise in BGE 52 II 111 bzw. bei Benn, ZStP Band 160, 157. 18 Vgl. zuletzt BGE 120 II 419, E. 2. Ausdruckseite 5 von 24 "Verjährung" (bei der es sich freilich entgegen dem Gesetzeswortlaut um eine Verwirkung handelt)19 unterliegt (Art. 533 ZGB); -- wird bei der Ausgleichung die Anwendung von Surrogationsgrundsätzen zumindest ernsthaft diskutiert, bei der Herabsetzung dagegen noch kaum20; -- ist die Ausgleichungsklage, soweit sie als solche überhaupt zugelassen wird, eine (mehr oder weniger stark "angereicherte") Feststellungsklage21, die Herabsetzungsklage dagegen eine Gestaltungsklage (allenfalls verbunden mit einer Leistungsklage; Art. 528 Abs. 1 ZGB)22. Entsprechend wird in der Lehre immer wieder23 auf ein altes Bild verwiesen, welches von Gautschi stammt: "Erbenausgleich und Herabsetzung sind im Gesetz genau 100 Artikel voneinander geschieden; in der Praxis greifen sie aber wie ein Räderwerk kunstvoll ineinander."24 ZBJV 142/2006 S. 457, 464 2.5 Schliesslich ist festzuhalten, dass schon der soeben unternommene Versuch, die Charakteristika von Ausgleichung und Herabsetzung möglichst konzis zu umschreiben, nicht unproblematisch ist. Denn wie den nun folgenden Hinweisen (Ziff. 3) zu entnehmen ist, gibt es im Ausgleichungs- und im Herabsetzungsrecht einige mehr oder weniger offene Fragen, deren Beantwortung mit der Umschreibung der Wesensmerkmale der beiden Institute zusammenhängt. Die vorstehenden Ausführungen sind also mit dem Vorbehalt versehen, dass sie mitunter nur (aber eben immerhin) beanspruchen können, sog. herrschende Auffassungen zu resümieren. Für eine vertiefende Auseinandersetzung dagegen muss, soweit sich Ansätze dazu nicht aus der Behandlung der ausgewählten Einzelfragen ergeben (zweiter Teil), auf die weiterführende Spezialliteratur verwiesen werden. 3. Offene Grundfragen im Recht der Ausgleichung und der Herabsetzung 3.1 Schnyder hat vor noch nicht allzu langer Zeit Art. 626 ZGB, die zentrale Norm des Ausgleichungsrechts, als "Eldorado für Kontroversen im Erbrecht" bezeichnet25. Auch bei der Anwendung der übrigen Bestimmungen über die Ausgleichung ist nach wie vor einiges umstritten. Dasselbe gilt für das Herabsetzungsrecht. 3.2 Mit Blick auf die Ausgleichung seien (naturgemäss ohne Anspruch auf Vollständigkeit) als zentrale Fragestellungen erwähnt26: -- Inwieweit unterliegen auch Zuwendungen in Erfüllung sittlicher oder gar gesetzlicher Pflichten der Ausgleichung? -- Unterliegen (gerade) auch Schenkungen der Ausgleichung 27? ZBJV 142/2006 S. 457, 465 19 Vgl. nur Forni/Piatti, in: Basler Kommentar, N. 1 zu Art. 533 ZGB. 20 Vgl. Eitel, Berner Kommentar, N. 34 ff. zu Art. 628 ZGB (mit den Nachweisen); bzw. Spahr, AISUF 135, 293 (bzw. 213 ff.). 21 Vgl. Eitel, Berner Kommentar, N. 29 ff. der Vorbemerkungen vor Art. 626 ff. ZGB (mit den Nachweisen). 22 Vgl. Jean Guinand/Martin Stettler/Audrey Leuba, Droit des successions, 6. Aufl. Genf/Zürich/Basel 2005, N. 151; Steinauer, Droit des successions, N. 785, 794. 23 Vgl. nur die Hinweise bei Vollery, AISUF 134, N. 657. 24 W. Gautschi, Die Praxis des Bundesgerichts über Ausgleichung und Herabsetzung im Erbrechte, in: ZBGR 9 (1928) 1 ff., 1. 25 Bernhard Schnyder, Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1998, Veröffentlicht in Band 124, Einleitung - Personenrecht - Familienrecht - Erbrecht, in: ZBJV 135 (1999) 348 ff., 374. 26 Vgl. dazu und zum Folgenden (je mit den Nachweisen) Eitel, Berner Kommentar, N. 29 f., 33 ff., 76 ff., 112 ff., 127 ff., 136 ff. und 146 ff. zu Art. 626 ZGB sowie N. 1 ff., 40 ff. zu Art. 630 ZGB und N. 8 ff. zu Art. 631 ZGB. 27 Vgl. auch Ziff. 4 hienach. Ausdruckseite 6 von 24 -- Beruht die gesetzliche Ausgleichung auf dem Konzept einer Versorgungs- oder einer Schenkungskollation (die ausgleichungsrechtliche Gretchenfrage; vgl. Art. 626 Abs. 2 ZGB)28? -- Welche Zuwendungen gelten als ausgleichungsrechtlich relevante gemischte Schenkungen? -- Wie sind Lebensversicherungsansprüche -anwartschaften schlechthin zu berücksichtigen? bzw. Vorsorgeansprüche und -- Ist die Ausgleichung ein Institut nur der gesetzlichen Erbfolge 29? -- Ist der überlebende Ehegatte nicht nur nicht Schuldner (was heute unbestritten ist), sondern auch nicht Gläubiger der gesetzlichen Ausgleichung (Art. 626 Abs. 2 ZGB)? -- Inwieweit sind Veränderungen des Wertes (des Gegenstandes) der Zuwendung in den beiden Zeiträumen (1) zwischen der Ausrichtung der Zuwendung und dem Tod des Erblassers bzw. (2) zwischen dem Tod des Erblassers und dem Abschluss der Erbteilung zu berücksichtigen, und welche "Nebenansprüche" beeinflussen den Ausgleichungswert (Art. 537, 617 und 630 ZGB)30? -- Welche Erziehungskosten unterliegen wegen Übermässigkeit einer gesetzlichen Ausgleichung (Art. 631 Abs. 1 ZGB)? 3.3 Mit Blick auf die Herabsetzung sei an die folgenden Probleme erinnert: -- Gehören tatsächlich ausgeglichene Zuwendungen in Pflichtteilsberechnungsmasse31? -- Ist Art. 527 Ziff. 1 ZGB objektiv oder subjektiv auszulegen 32? der Tat zur ZBJV 142/2006 S. 457, 466 -- Inwieweit ist Art. 527 Ziff. 1 ZGB extensiv oder restriktiv auszulegen 33? -- Inwieweit unterliegen Zuwendungen in Erfüllung sittlicher oder gesetzlicher Pflichten der Herabsetzung (Art. 527 ZGB)34? -- Welche Zuwendungen gelten als herabsetzungsrechtlich relevante gemischte Schenkungen35? -- Inwieweit sind Veränderungen des Wertes (des Gegenstandes) der Zuwendung in den beiden Zeiträumen (1) zwischen der Ausrichtung der Zuwendung und dem Tod des Erblassers bzw. (2) zwischen dem Tod des Erblassers und dem Abschluss der Erbteilung bzw. der Auseinandersetzung um die Herabsetzungsansprüche zu berücksichtigen (Art. 474 Abs. 1 und 537 ZGB), und welche "Nebenansprüche" beeinflussen die Rückleistungspflicht nach Art. 528 Abs. 1 ZGB 36? -- Wie sind Lebensversicherungsansprüche bzw. Vorsorgeansprüche und -anwartschaften schlechthin zu berücksichtigen (Art. 476 und 529 ZGB)37? 28 Vgl. nun auch BGE 131 III 55, E. 4.1.2, wo das Bundesgericht auf seine bisherige Praxis verweist, nach welcher einerseits auf die Konzeption der Versorgungskollation abzustellen ist, andererseits aber eine Versorgungszuwendung "im Falle einer Zuwendung von Grundstücken mit - wie hier - erheblichem Wert grundsätzlich (immer; Einschub vom Verf.) zu bejahen ist..."; sowie nunmehr Steinauer, Droit des successions, N. 184 ff. 29 Vgl. auch Nrn. 7.4 und 7.5 hienach. 30 Vgl. auch Ziff. 9 hienach. 31 Vgl. auch Fn. 6 a.E. hievor. 32 Vgl. die kritische Würdigung der entsprechenden Fokussierung in der Lehre bei Jean Nicolas Druey, Grundriss des Erbrechts, 5. Aufl. Bern 2002, § 6 N. 77; ferner dazu "trotzdem" Ziff. 4 und Fn. 121 hienach. 33 Vgl. Eitel, ASR 613, § 36 (mit den Nachweisen). 34 Vgl. nur Michèle Winistörfer, Die unentgeltliche Zuwendung im Privatrecht, insbesondere im Erbrecht, Diss. Zürich 2000 (ZStP Band 162), 218 ff. 35 Vgl. nur Winistörfer, ZStP Band 162, 220 bzw. 90 ff. 36 Vgl. namentlich Spahr, AISUF 135, 278 ff.; ferner auch Ziff. 9 hienach. 37 Vgl. namentlich Pierre Izzo, Lebensversicherungsansprüche und -anwartschaften bei der güterund erbrechtlichen Auseinandersetzung (unter Berücksichtigung der beruflichen Vorsorge), Diss. Freiburg 1998, Freiburg 1999 (AISUF 180), passim. Ausdruckseite 7 von 24 -- Welche Zuwendungen sind in welcher Reihenfolge herabzusetzen (Art. 532 ZGB)38? -- Wie erfolgt die Herabsetzung, wenn es zu einer "Ausgleichung in Vertretung" (Art. 627 ZGB) kommt, bei welcher der Vertreter seinen Pflichtteil nicht erhält 39? ZBJV 142/2006 S. 457, 467 3.4 Schon die Umschreibung der einzelnen Teilprobleme deutet an, dass diese und damit die möglichen Lösungen sich gegenseitig und "institutsübergreifend" beeinflussen können. Gleichzeitig stellen sich, soweit es bei beiden Instituten um die Berücksichtigung lebzeitiger Zuwendungen geht, sozusagen naturgemäss auch Abgrenzungsfragen zwischen Ausgleichung und Herabsetzung. Entsprechend ergibt sich bei der erbrechtlichen Berücksichtigung lebzeitiger Zuwendungen ein Spannungsfeld zwischen Ausgleichung und Herabsetzung40. Dieses soll im nun folgenden zweiten Teil anhand einiger spezifischer Fragestellungen ausgemessen werden. Dabei steht, wie auch aus den zur Verdeutlichung gewählten Beispielen hervorgeht, die gesetzliche Ausgleichung nach Art. 626 Abs. 2 ZGB (bzw. deren explizite oder implizite Wegbedingung) im Blickpunkt, also die sog. Deszendentenkollation zulasten der erbenden Nachkommen des Erblassers bei gesetzlicher Erbfolge41. 3.5 Nicht eingegangen wird demgegenüber auf weitere Abgrenzungsprobleme wie etwa die Unterscheidung -- der "eigentlichen" Ausgleichung gegenüber: der "uneigentlichen" Ausgleichung; der "irregulären" oder "umgekehrten Ausgleichung" nach Art. 631 Abs. 2 ZGB; der "Ausgleichung" nach Art. 608 Abs. 2 ZGB; der "Anrechnung" nach Art. 535 Abs. 3 ZGB; sowie der "Anrechnung" nach Art. 614 ZGB 42; -- der "eigentlichen" Herabsetzung gegenüber den "anderen Herabsetzungen"43, nämlich: der "verhältnismässigen Herabsetzung" nach Art. 486 Abs. 1 ZGB (wenn die Vermächtnisse den ZBJV 142/2006 S. 457, 468 Betrag der Erbschaft oder der Zuwendung an den Beschwerten übersteigen); der "Anfechtung" nach Art. 494 Abs. 3 ZGB; der "subsidiären Herabsetzung" nach den Art. 525 Abs. 2 und 528 Abs. 2 ZGB; der (Hinzurechnung und) Herabsetzung im Errungenschaftsbeteiligungsrecht nach Art. (208 und) 220 ZGB; sowie der 38 Vgl. dazu insbesondere auch die Probleme im Zusammenhang (1) mit ehevertraglichen Totalvorschlags- oder Totalgesamtgutszuweisungen nach den Art. 216 bzw. 241 ZGB sowie (2) mit Begünstigungen aus Lebensversicherungen; (zuletzt) Peter Weimar, Zur Herabsetzung ehevertraglicher Vorschlagszuweisungen. Zugleich eine Besprechung von BGE 128 III 314, in: Aktuelle Aspekte des Schuld- und Sachenrechts, Festschrift für Heinz Rey zum 60. Geburtstag, Zürich 2003, 597 ff., passim; sowie auch Roger Brändli, Vorschlagszuweisung an den vorversterbenden Ehegatten und die Frage der erbrechtlichen Herabsetzung, in: AJP 12 (2003) 335 ff., passim; ferner sogleich bei Fn. 44. 39 Vgl. Eitel, Berner Kommentar, N. 11 f. zu Art. 627 ZGB (mit den Nachweisen). 40 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Art. 535 f. ZGB (und dazu die Hinweise bei Piotet, SPR IV/1, 518): Deren Randtitel lauten "B. Ausgleichung beim Erbverzicht. I. Herabsetzung. II. Rückleistung", wobei Abs. 3 von Art. 535 ZGB für den Fall, dass es im Zusammenhang mit einem Erbauskauf zu einer Herabsetzung kommt (vgl. auch Art. 527 Ziff. 2 ZGB), ausdrücklich festlegt, die "Anrechnung der Leistungen" (des Erblassers an den verzichtenden Erben) erfolge "nach den gleichen Vorschriften wie bei der Ausgleichung". 41 Vgl. Eitel, Berner Kommentar, N. 26 der Vorbemerkungen vor Art. 626 ff. ZGB. 42 Vgl. Eitel, Berner Kommentar, N. 3, 17 ff. der Vorbemerkungen vor Art. 626 ff. ZGB. 43 So Piotet, SPR IV/1, 475 f.; vgl. ferner etwa Steinauer, Droit des successions, N. 795a. - siehe sodann noch die (nach herrschender Auffassung) "automatische" Herabsetzung nach Art. 473 Abs. 3 ZBG; vgl. nur Weimar, Berner Kommentar, N. 50 zu Art. 473 ZGB. 44 So namentlich Heinz Hausheer/Ruth Reusser/Thomas Geiser, Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Band II: Das Familienrecht, 1. Abteilung: Das Eherecht, 3. Teilband: Das Güterrecht der Ehegatten, 1. Unterteilband: Allgemeine Vorschriften, Art. 181195a ZGB, Der ordentliche Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung, Art. 196-220 ZGB, Bern 1992, N. 9, 34 zu Art. 216 ZGB; sowie dies., Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Band II: Das Familienrecht, 1. Abteilung: Das Eherecht, 3. Teilband: Das Güterrecht Ausdruckseite 8 von 24 Herabsetzung im Rahmen des sog. Sondererbrechts im Güterrecht44 nach den Art. 216 Abs. 2 und 241 Abs. 3 ZGB; -- der Verfügungen von Todes wegen gegenüber den Rechtsgeschäften unter Lebenden45. Zweiter Teil: Ausgewählte Einzelfragen 4. Schenkungen als Gegenstand von Ausgleichung und Herabsetzung; gleichzeitig zur (objektiven oder subjektiven) Auslegung von Art. 527 Ziff. 1 ZGB 4.1 Der Hauptfall der unentgeltlichen lebzeitigen Zuwendung ist die Schenkung46. Weil es bei der Ausgleichung und bei der Herabsetzung (soweit diese hier interessiert47 um die erbrechtliche ZBJV 142/2006 S. 457, 469 Berücksichtigung von (ganz oder teilweise) unentgeltlichen lebzeitigen Zuwendungen geht, liegt daher der Schluss nahe, dass gerade auch Schenkungen der Ausgleichung und der Herabsetzung unterstehen können. Dass dies jedenfalls für die Herabsetzung gilt, lässt sich dem Gesetz zweifelsfrei entnehmen. Denn Art. 527 Ziff. 3 ZGB legt ausdrücklich fest, dass "Schenkungen, die der Erblasser frei widerrufen konnte, oder die er während der letzten fünf Jahre vor seinem Tode ausgerichtet hat", der Herabsetzung unterliegen. Mit Blick auf die Ausgleichung dagegen hält namentlich Weimar dafür, es sei kategorisch zwischen Vorempfängen als ausgleichungspflichtigen Zuwendungen einerseits und Schenkungen als nicht ausgleichungspflichtigen Zuwendungen andererseits zu unterscheiden, Vorempfänge seien streng genommen nur vor dem Erbfall (aus der Sicht des Erblassers) unentgeltlich, nach dem Erbfall (aus der Sicht des Erben) dagegen entgeltlich, und es handle sich bei den Vorempfängen (also bei den ausgleichungspflichtigen Zuwendungen) um einheitliche Rechtsgeschäfte unter Lebenden48. Dieser These von der "Einheitsnatur" der ausgleichungspflichtigen Zuwendung steht diejenige von ihrer "Doppelnatur" entgegen; danach ist zwischen der Schenkung als lebzeitiger Zuwendung einerseits und ihrer erbrechtlichen Berücksichtigung andererseits zu unterscheiden49. Die herrschende Lehre gibt der Konzeption von der Doppelnatur der ausgleichungspflichtigen Zuwendung den Vorzug, und auch das Bundesgericht neigt dieser Auffassung (immer klarer) zu 50. der Ehegatten, 2. Unterteilband: Die Gütergemeinschaft, Art. 221-246 ZGB, Die Gütertrennung, Art. 247-251 ZGB, Bern 1996, N. 13, 44, 49 zu Art. 241 ZGB. 45 Siehe dazu nur Heinz Hausheer, Die Abgrenzung der Verfügungen von Todes wegen von den Verfügungen unter Lebenden, in: Testament und Erbvertrag, Praktische Probleme im Lichte der aktuellen Rechtsentwicklung, Bern/Stuttgart 1991 (St. Galler Studien zum Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht Band 26), 79 ff., passim. 46 Vgl. dazu und zum Folgenden etwa Pierre Widmer, Grundfragen der erbrechtlichen Ausgleichung, Eine kritisch-rechtsvergleichende Studie zur Theorie des Vorempfangs, Diss. Bern 1971 (ASR Heft 408), 53 ff.; Benn, ZStP Band 160, 20 ff.; Heinz Hausheer/Regina E. AebiMüller, Von den Tücken der Herabsetzungsreihenfolge und weiteren Planungshindernissen im Bereich des Familienvermögens, in: Festschrift 100 Jahre Verband bernischer Notare, Langenthal 2003 (im Folgenden: FS VbN), 339 ff., 343 (Fn. 12). 47 Vgl. bei Fn. 8 f. hievor. 48 Vgl. Peter Weimar, Zehn Thesen zur erbrechtlichen Ausgleichung, in: Familie und Recht, Festgabe der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg für Bernhard Schnyder zum 65. Geburtstag, Freiburg 1995, 833 ff., passim (insbesondere 834, 837). 49 Vgl. dazu und zum Folgenden Eitel, Berner Kommentar, N. 33 ff. zu Art. 626 ZGB (mit den Nachweisen). 50 Vgl. nun BGE 131 III 55, E. 4.1.1 ("In öffentlich beurkundeten Verträgen hat der Erblasser seinem Willen Ausdruck gegeben, den Beklagten je bestimmte Grundstücke zu schenken, die später überbaut werden sollten, und die Beklagten haben daraufhin erklärt, die Schenkung dankend anzunehmen. Durch Vorlage dieser Verträge hat die Klägerin eine Schenkung bewiesen, die aus rechtlicher Sicht als Zuwendung im Sinne von Art. 626 ZGB zu betrachten ist..." (Hervorhebung hinzugefügt)) und E. 4.1.2 ("Die Schenkung der Grundstücke ist gemäss Art. 626 Ausdruckseite 9 von 24 ZBJV 142/2006 S. 457, 470 4.2 Es geht hier nicht darum, hinlänglich bekannte Argumente für und wider die beiden Theorien zu wiederholen. Vielmehr sollen die Konsequenzen aufgezeigt werden, welche sich aus der These vom Vorempfang als einheitlichem Rechtsgeschäft für die Antwort auf die ebenfalls beileibe nicht mehr neue Frage51 nach der objektiven oder subjektiven Auslegung von Art. 527 Ziff. 1 ZGB ergeben. Umstritten ist dabei insbesondere, ob Zuwendungen an einen Nachkommen, deren Ausgleichung der Erblasser im Sinne von Art. 626 Abs. 2 ZGB ausdrücklich wegbedungen hat, gleichwohl nicht nur nach den Ziff. 3 und/oder 4 von Art. 527 ZGB (allenfalls) herabsetzbar sind, sondern auch nach Ziff. 1 von Art. 527 ZGB52. Gemäss der bisher konstanten bundesgerichtlichen Rechtsprechung53 und der noch immer überwiegenden Auffassung in der Lehre sind die Worte "auf Anrechnung" in Art. 527 Ziff. 1 ZGB, mit Tuor gesprochen, "in einem rein objektiven Sinne zu verstehen, d.h. in dem Sinne, dass unter Ziff. 1 alle Zuwendungen fallen, die ihrer Natur nach zu jenen gehören, die gemäss Art. 626 in Anrechnung gebracht werden"54. Nach der m.E. jedenfalls de lege lata zutreffenden, namentlich von Piotet begründeten Minderheitsmeinung55 kann dagegen eine Zuwendung nun einmal nicht ZBJV 142/2006 S. 457, 471 (mehr) von Art. 527 Ziff. 1 ZGB erfasst werden, wenn der Erblasser deren Ausgleichung wegbedungen hat, weil sie dann eben auch gar nicht (mehr) "auf Anrechnung an den Erbteil" gemacht worden sein kann; entsprechend bleibt dem Erblasser ein Gestaltungsspielraum im Hinblick auf das Ensemble der lebzeitigen Zuwendungen, welche der Herabsetzung unterliegen, und Art. 527 Ziff. 1 ZGB ist in diesem Sinne subjektiv auszulegen. ZGB ausgleichungspflichtig, wenn sie vom Erblasser auf Anrechnung an den Erbanteil zugewendet worden ist (Abs. 1) oder wenn sie sog. "Ausstattungscharakter" hat (Abs. 2),..." (Hervorhebungen hinzugefügt)). 51 Vgl. Fn. 32 hievor. 52 Vgl. dazu und zum Folgenden nur Eitel, ZBJV 134 (1998) 751 ff. (mit den Nachweisen). 53 Vgl. zum bisherigen Stand der höchstgerichtlichen Praxis (insbesondere zu BGE 126 III 171 ff.) etwa Bernhard Schnyder, Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahr 2000, Veröffentlicht in Band 126, Einleitung - Personenrecht - Familienrecht - Erbrecht, in: ZBJV 137 (2001) 385 ff., 422 f.; siehe nun aber auch BGE 131 III 49 ff. (und dazu Fn. 121 hienach). 54 Tuor, Berner Kommentar, N. 4 zu Art. 527 ZGB (Hervorhebung im Original). 55 Vgl. etwa Piotet, SPR IV/1, 451 (Hervorhebung im Original): "Ohne Art. 527 Ziff. 1 ZGB würden die Ausschlagung, das Vorabsterben usw. des Empfängers der mehr als fünf Jahre vor der Eröffnung des Erbgangs vorgenommenen Zuwendung, deren Ausgleichung angeordnet ist, dem Pflichtteil schaden. Art. 527 Ziff. 1 ZGB verhindert somit die Schädigung der Pflichtteilsberechtigten in dem Fall, dass der Ausgleichungsschuldner die Erbschaft nicht antritt und in ihr nicht "vertreten" ist (Art. 627 ZGB), was absolut verständlich und gerechtfertigt ist. Damit sie von Nutzen ist, muss die in Art. 527 Ziff. 3 ZGB vorgesehene fünfjährige Frist überschritten sein (da sonst die Zuwendung schon nach Art. 527 Ziff. 3 ZGB herabsetzbar ist). Das Fehlen der fünfjährigen Frist in Art. 527 Ziff. 1 ZGB ist daher durchaus logisch. Nehmen wir ein Beispiel und setzen wir dabei zunächst voraus, Art. 527 Ziff. 1 ZGB existiere nicht. Der verwitwete Erblasser X gewährt seinem Sohne A eine Ausstattung von Fr. 300 000.- (wobei Art. 529 Abs. 2 ZGB (sic) hypothetisch nicht zur Anwendung gelangt). Dann nimmt sein Vermögen infolge eines Finanzkraches stark ab und er stirbt 10 Jahre später ohne letztwillige Verfügung unter Hinterlassung von Fr. 300 000.- an bestehenden Gütern. Erben sind der Sohn A und drei Töchter B, C und D. Nimmt A die Erbschaft an, wirft er Fr. 300 000.- ein (Art. 626 Abs. 2 ZGB). Jedes Kind hat also einen Pflichtteil von Fr. 112 500.- und der globale Pflichtteil beträgt Fr. 450 000.-. Schlägt aber A aus, ist seine Ausstattung nicht herabsetzbar, da sie mehr als fünf Jahre vor Eröffnung des Erbgangs ausgerichtet worden ist (Art. 527 Ziff. 3 ZGB). Der Pflichtteil jeder Tochter beträgt somit Fr. 75 000.- und der globale Pflichtteil Fr. 225 000.-. Die Ausschlagung (usw.) des Sohnes A kürzt somit die Pflichtteile von Fr. 450 000.- auf Fr. 225 000.- und denjenigen jeder Tochter von Fr. 112 500.- auf Fr. 75 000.-. Dies verhindert gerade Art. 527 Ziff. 1 ZGB dadurch, dass er die Ausstattung im Falle der Ausschlagung (usw.) des Sohnes A herabsetzbar macht. Nach unserem Beispiel betragen die Pflichtteile der Töchter B, C und D im Falle der Ausschlagung des A Fr. 150 000.- (sie werden infolge dieser Ausschlagung erhöht, da A nicht mehr pflichtteilsberechtigt ist) und A behält die verfügbare Quote, nämlich in concreto ebenfalls Fr. 150 000.-." Ausdruckseite 10 von 24 4.3 Dafür kann am bereits herangezogenen Beispiel aus dem Zürcher Kommentar angeknüpft werden (Nr. 2.2), indem zusätzlich unterstellt wird, die Zuwendung des X an S in Höhe von 30 000 falle weder unter Ziff. 3 des Art. 527 ZGB (z.B. weil X sie mehr als fünf Jahre vor seinem Tod ausgerichtet hat) noch unter Ziff. 4 des Art. 527 ZGB (weil T die Umgehungsabsicht des X nicht zu beweisen vermag56): Diesfalls wird die Zuwendung der 30 000 nach der objektiven Auslegung von Art. 527 Ziff. 1 ZGB erfasst, entsprechend der Pflichtteilsberechnungsmasse von 70 000 belaufen sich die Pflichtteile von T und S nach wie vor auf je 26 250, und "unter dem Strich" hat T diese 26 250, S 43 750; nach der subjektiven Auslegung von Art. 527 Ziff. 1 ZGB dagegen wird die Zuwendung an S auch von dieser Bestimmung nicht erfasst, die Pflichtteilsberechnungsmasse entspricht der Teilungsmasse und macht lediglich 40 000 aus, und die Pflichtteile betragen je 15 000, sodass "unter dem Strich" T zwar "nur" 20 000 hat, aber gleichwohl "sogar" noch mehr als ihren Pflichtteil, während S 50 000 hat57. ZBJV 142/2006 S. 457, 472 4.4 Auf der Grundlage der These Weimars, nach welcher kategorisch zwischen ausgleichungspflichtigen Zuwendungen und Schenkungen zu unterscheiden ist, hat Zoller sich für die subjektive Auslegung von Art. 527 Ziff. 1 ZGB ausgesprochen58. Wenn nämlich, so Zoller, eine unentgeltliche Zuwendung an einen Erben nicht ausgleichungspflichtig sei, dann handle es sich um eine Schenkung, und die Herabsetzbarkeit von Schenkungen sei in Ziff. 3 (und 4) von Art. 527 ZGB geregelt, nicht aber in dessen Ziff. 1. Denselben, m.E. durchaus nahe liegenden Schluss gezogen hat sodann Gass - und (im Gegensatz zu Zoller) gerade auch deshalb die Konzeption Weimars von der "Einheitsnatur" der ausgleichungspflichtigen Zuwendung abgelehnt59. Weimar selber freilich befürwortet nicht nur die These von der Unterscheidung zwischen ausgleichungspflichtigen Zuwendungen und Schenkungen, sondern nunmehr auch die objektive Auslegung von Art. 527 Ziff. 1 ZGB60. Dabei räumt er allerdings ein, man müsse "sich wohl damit abfinden, dass Art. 527 Ziff. 1 ungeschickt redigiert und weder mit Ziff. 3 noch mit dem verunglückten Art. 627 gehörig abgestimmt ist"61. M.E. liegt in diesem "Zugeständnis" im Lichte der Auffassungen von Zoller und Gass ein (weiteres) Indiz dafür, dass (zumindest) einer der beiden Thesen von der "Einheitsnatur" des Vorempfangs bzw. von der objektiven Auslegung von Art. 527 Ziff. 1 ZGB nicht gefolgt werden kann. 4.5 Unabhängig von alledem hat allerdings der Ansatz von Weimar, wonach es sich beim Vorempfang um ein einheitliches Rechtsgeschäft unter Lebenden handelt, durchaus gewisse Vorzüge. Dies zeigen die nun folgenden Hinweise auf Probleme um die Berücksichtigung von Formvorschriften für Verfügungen von Todes wegen. ZBJV 142/2006 S. 457, 473 56 Vgl. dazu nunmehr BGE 128 III 317, E. 4. 57 Vgl. Eitel, ASR 613, § 33 Fn. 49. 58 Vgl. dazu und zum Folgenden Beat Zoller, Schenkungen und Vorempfänge als herabsetzungspflichtige Zuwendungen, unter besonderer Berücksichtigung des Umgehungstatbestands, System von Ausgleichung und Herabsetzung lebzeitiger Zuwendungen, Diss. Zürich 1998, 2. Aufl. Zürich 1999 (ZStP Band 141), 87. 59 Vgl. Roland Gass, Noch einmal: Unterliegen Schenkungen der Ausgleichung und der Herabsetzung nach Art. 527 Ziff. 1 ZGB?, in: BJM 2001, 235 ff., 247 f. 60 Vgl. Weimar, Berner Kommentar, N. 4 ff. zu Art. 475 ZGB. 61 Weimar, Berner Kommentar, N. 13 zu Art. 475 ZGB. Ausdruckseite 11 von 24 5. Formvorschriften für Erklärungen potenzieller Berechtigter betreffend den Verzicht auf allfällige Ausgleichungs- und Herabsetzungsansprüche 5.1 Gemäss Art. 626 Abs. 2 ZGB kann der Erblasser einen Nachkommen, welchem er eine Zuwendung "als Heiratsgut, Ausstattung oder durch Vermögensabtretung, Schulderlass u. dgl." ausrichtet, durch ausdrückliche Verfügung von der gesetzlichen Ausgleichungspflicht befreien. Nach der Theorie von der "Doppelnatur" der ausgleichungspflichtigen Zuwendung handelt es sich bei solchen Anordnungen des Erblassers inhaltlich um Verfügungen von Todes wegen, da sie das erbrechtliche Schicksal der Zuwendung unter Lebenden regeln62. Entsprechend müssten solche Anordnungen auch den einschlägigen Formvorschriften für Verfügungen von Todes wegen gemäss den Art. 498 ff. ZGB unterstehen. Gerade diese Konsequenz ziehen aber weder die herrschende Lehre noch das Bundesgericht, indem sie nämlich auch formlose Ausgleichungsanordnungen jedenfalls dann, wenn diese gleichzeitig mit der Ausrichtung der Zuwendung erfolgen, als formgültig anerkennen63. Ausgleichungsanordnungen sind somit dem Inhalte nach Verfügungen von Todes wegen (Verfügungsarten im Sinne der Art. 481 ff. ZGB), welche (ausnahmsweise) formlos gültig sind. Dieser Befund ist gewiss nicht unproblematisch; wenigstens insoweit wäre die These von der "Einheitsnatur" der ausgleichungspflichtigen Zuwendung derjenigen von ihrer "Doppelnatur" vielleicht vorzuziehen - wären Vorempfänge nämlich einheitliche Rechtsgeschäfte unter Lebenden, so würde es ohne weiteres einleuchten, dass einschlägige Anordnungen formlos gültig sind. Auch diese Thematik ist hier aber nicht weiter zu vertiefen; vielmehr soll vor allem auf Folgendes hingewiesen werden. 5.2 Gerade wegen der sich bei der Handhabung des Ausgleichungsrechts mitunter ergebenden Schwierigkeiten wird in der Lehre empfohlen, die relevanten Punkte vorsorglich klar zu regeln64. Werden solche Regelungen unter den Beteiligten verbindlich getroffen, ZBJV 142/2006 S. 457, 474 so sind sie erbvertraglicher Natur, ohne dass die für die Errichtung von Erbverträgen regelmässig geltenden Formvorschriften gemäss Art. 512 ZGB eingehalten werden müssten. Vor diesem Hintergrund stellt sich insbesondere die Frage nach der Formgültigkeit von Erklärungen eines potenziellen Ausgleichungs- und Pflichtteilsberechtigten, welche zu einer Begünstigung des Zuwendungsempfängers und potenziellen Ausgleichungsschuldners führen: Gilt die Formerleichterung lediglich für die Ausgleichung, oder gilt sie auch für die Herabsetzung? 5.3 Mit Blick auf das herangezogene Beispiel aus dem Zürcher Kommentar (Nr. 2.2) wäre bspw. denkbar, dass T anlässlich der Zuwendung der 30 000 an S zu dessen Gunsten mündlich oder schriftlich ihr Einverständnis mit einem Erlass der Ausgleichungspflicht durch X wie auch den Verzicht auf allfällige Herabsetzungsansprüche erklärt hat; ist dieses Zugeständnis nun nicht nur ausgleichungs-, sondern auch herabsetzungsrechtlich formgültig erklärt, sodass die Pflichtteilsberechnungsmasse der Teilungsmasse entspricht, T und S davon je 20 000 erhalten und "unter dem Strich" somit 20 000 (T) bzw. 50 000 (S) haben? - In der Praxis verhältnismässig häufig anzutreffen sind Vereinbarungen, in denen der Erblasser einem Kind unter Lebenden eine Liegenschaft abtritt, den dereinstigen Ausgleichungswert tiefer festsetzt, als dies nach Art. 630 Abs. 1 ZGB (Verkehrswert im Zeitpunkt des Todes des Erblassers (und nicht etwa im Zeitpunkt der Ausrichtung der Zuwendung)) der Fall wäre65 - was einem Teilerlass der Ausgleichungspflicht im Sinne 62 Vgl. dazu und zum Folgenden Eitel, Berner Kommentar, N. 56 ff. zu Art. 626 ZGB (mit den Nachweisen). 63 Vgl. nur BGE 118 II 282 ff. 64 Vgl. dazu namentlich Benn, ZStP Band 160, 161 ff. (insbesondere 257 ff.). 65 Mitunter kommt es freilich auch vor, dass das Kind kraft der Vereinbarung mehr ausgleichen Ausdruckseite 12 von 24 von Art. 626 Abs. 2 ZGB entspricht66 - und die anderen Kinder erklären, sie würden auf die Geltendmachung einer weitergehenden Ausgleichung und darüber hinaus auch auf die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen verzichten; sind diese Vereinbarungen zwar öffentlich beurkundet (vgl. nur Art. 657 ZGB), aber nicht im Sinne von Art. 512 ZGB qualifiziert öffentlich beurkundet, so kann sich wiederum die Frage nach der Formgültigkeit des Verzichts nicht nur auf allfällige Ausgleichungs-, sondern auch auf eventuelle Pflichtteils- bzw. Herabsetzungsansprüche stellen. 5.4 Erstrecken sich entsprechende Erklärungen potenzieller Berechtigter (auch) auf die Herabsetzung, so beinhalten sie einen Verzicht auf eventuelle Pflichtteilsansprüche. Somit liegen in diesem ZBJV 142/2006 S. 457, 475 Umfang Erb verzichts verträge vor, welche gemäss den Art. 494 ff. ZGB wie die Erbeinsetzungs- und Vermächtnisverträge zu den Erbverträgen zählen, für deren Errichtung die Formvorschriften gemäss Art. 512 ZGB einzuhalten sind. M.E. sind solche Vereinbarungen, von ihrem Sinn und Geist in abstracto her gesehen, regelmässig (und mitunter selbst dann, wenn von einem Verzicht auf Pflichtteilsansprüche gar nicht explizit die Rede ist) in der Tat eher so gemeint, dass die von ihnen erfassten Zuwendungen in entsprechendem Ausmass dereinst gewissermassen "erbrechtlich vollumfänglich vergessen werden können", d.h. erbrechtlich unter keinem Titel mehr zu berücksichtigen sein würden - die dem Zuwendungsempfänger zugestandene Begünstigung soll ihm eben uneingeschränkt zugute kommen. Dies vorausgesetzt, erscheint es nicht als ausgeschlossen, die Ausnahme von der formlosen Gültigkeit von Erklärungen über den Verzicht auf eventuelle Ausgleichungsansprüche auf Erklärungen über den Verzicht auf eventuelle Herabsetzungsansprüche auszudehnen, sodass auf solche Verzichte auch unter dem Titel der Herabsetzung nicht gleichsam doch nochmals zurückgekommen werden könnte. Eine solche Erweiterung läge wohl auch auf der "Generallinie" der jüngsten bundesgerichtlichen Rechtsprechung, welche die Tragweite der erbrechtlichen Formvorschriften sukzessive relativiert67. Indessen ist nicht zu verkennen, dass pflichtteilsberechtigte Erben aufgrund entsprechender Vereinbarungen sogar völlig leer ausgehen können, nämlich dann, wenn der Erblasser überhaupt nichts hinterlässt und der Zuwendungsempfänger von einem Totalverzicht nicht nur auf den Ausgleichungsanspruch, sondern auch auf den herabsetzungsrechtlichen Rückleistungsanspruch nach Art. 528 Abs. 1 ZGB profitiert. Daher rechtfertigt es sich m.E. letztlich gleichwohl nicht, Erklärungen, welche anlässlich der Ausrichtung lebzeitiger Zuwendungen ohne Einhaltung der Formvorschriften gemäss Art. 512 ZGB abgegeben werden, sogar auch bezogen auf den Verzicht auf Herabsetzungsansprüche als formgültig zu qualifizieren68. ZBJV 142/2006 S. 457, 476 muss, als dies nach Art. 630 Abs. 1 ZGB der Fall wäre; vgl. das höchstgerichtliche Urteil 5C.60/2003 vom 7.5.2003, E. 3.2.3 (mit Hinweis auf BGE 45 II 7 ff.). 66 Vgl. Steinauer, Droit des successions, N. 232a. 67 Vgl. BGE 118 II 282 ff., BGE 125 III 35 ff. und insbesondere BGE 127 III 529 ff. (siehe nunmehr aber auch 5C.56/2005 vom 15.7.2005 und dazu Stephanie Hrubesch-Millauer, in: AJP 14 (2005) 1543 ff.; sowie BGE 131 III 601 ff.) 68 Ebenso wohl Stéphane Spahr, L'aménagement volontaire des modalités du rapport, in: La transmission du patrimoine, Questions choisis, Contributions en l'honneur de Paul-Henri Steinauer à l'occasion des ses cinquante ans (im Folgenden: FS Steinauer), Freiburg 1998, 57 ff., 66 f. (Fn. 32). Ausdruckseite 13 von 24 5.5 Bereits in der Theorie zur Zeit der Gesetzgebungsarbeiten ist der Erbverzicht u.a. "als eine Verpflichtung zur Ausschlagung der Erbschaft"69 verstanden worden. Mithin ergibt sich ein je nach Betrachtungsweise mehr oder weniger enger Bezug zwischen der soeben behandelten zur nun folgenden Fragestellung betreffend die Auswirkungen einer Ausschlagung der Erbschaft durch den potenziellen Ausgleichungsschuldner. Indessen erweist sich bei einer Ausschlagung, anders als (in aller Regel; vgl. Art. 495 Abs. 2 und Art. 496 ZGB) bei einem Erbverzicht, nicht schon zu Lebzeiten, sondern erst nach dem Tod des Erblassers, dass der Empfänger der lebzeitigen Zuwendung70 nicht erbt; denn es ist davon auszugehen, dass nach geltendem Recht eine "vorgezogene Ausschlagung" unwirksam wäre 71. 6. Ausschlagung der Erbschaft durch den potenziellen Ausgleichungsschuldner 6.1 Das Spannungsfeld, welches Ausgleichung und Herabsetzung im Zuge der erbrechtlichen Berücksichtigung (unentgeltlicher) lebzeitiger Zuwendungen aufbauen, zeigt sich bei der Ausschlagung durch den potenziellen Ausgleichungsschuldner besonders deutlich, ZBJV 142/2006 S. 457, 477 indem - mit Widmer gesprochen - mit der Ausschlagung gleichsam die erbrechtliche Anziehungskraft der Ausgleichung unterdrückt und stattdessen diejenige der Herabsetzung wirksam wird72. Es steht nämlich fest, dass der Empfänger einer an sich ausgleichungspflichtigen Zuwendung der Ausgleichung entgehen kann, wenn er die Erbschaft ausschlägt73. Darauf wird in der Lehre konstant hingewiesen, und zwar nicht selten mit dem Unterton, dass der "ausschlagende Vorempfänger" profitiere74. Ob bzw. in welchen Konstellationen dem in der Tat so sei, ist indessen bei näherer Betrachtung durchaus fraglich75. Massgebend ist dabei, wie sich die Ausschlagung auf die Grösse der Pflichtteile der verbleibenden Pflichtteilserben (bzw. auf die Grösse des sog. Globalpflichtteils als der Gesamtheit der Pflichtteile sowie des verfügbaren Teils) auswirkt. 6.2 In BGE 50 II 450 ff. von 1924, in welchem zwischen dem Sohn der Erblasserin und ihrer Tochter, welche eine an sich ausgleichungspflichtige Zuwendung erhalten, die Erbschaft aber ausgeschlagen hatte, die Pflichtteilsansprüche des Sohnes im Streit standen, hat das Bundesgericht Art. 535 Abs. 2 ZGB analog angewandt und befunden, dass sich die Grösse des Pflichtteils des Sohnes wegen der Ausschlagung der Tochter 70 Bestehend im "Auskaufspreis", den der Erblasser regelmässig wird bezahlen müssen; vgl. namentlich Escher, Zürcher Kommentar, N. 2, 8, 10 zu Art. 495, N. 15 zu Art. 527 oder N. 1 zu Art. 535 ZGB. 71 Vgl. Ivo Schwander, in: Basler Kommentar, N. 2 zu Art. 566 ZGB; Arnold Escher, Zürcher Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch, Band III: Das Erbrecht, 2. Abteilung: Der Erbgang (Art. 537-640), 3. Aufl. Zürich 1960 (im Folgenden: Zürcher Kommentar), N. 1 zu Art. 566 ZGB; Peter Tuor/Vito Picenoni, Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Band III: Das Erbrecht, 2. Abteilung: Der Erbgang, Art. 537-640 ZGB, 2. Aufl. Bern 1964 (im Folgenden: Berner Kommentar), N. 1a zu Art. 566 ZGB (Hervorhebung im Original): "Die Ausschlagung setzt selbstverständlich den Anfall der Erbschaft, d.h. den Tod des Erblassers voraus." 72 Vgl. Widmer, ASR Heft 408, 94. 73 Vgl. bei Fn. 12 hievor. 74 Vgl. etwa Escher, Zürcher Kommentar, N. 14 zu Art. 626 ZGB i.V.m. N. 2 zu Art. 629 ZGB; Tuor/Picenoni, Berner Kommentar, N. 7 zu Art. 626 ZGB i.V.m. N. 10 zu Art. 629 ZGB. 75 Vgl. dazu auch die Ausführungen in der 4. und in der 5. Aufl. des Lehrbuchs von Jean Nicolas Druey, Grundriss des Erbrechts, Bern 1997 bzw. 2002, (jeweils) § 7 N. 19: In der 5. Aufl. wird festgestellt: "Hat jemand grössere Werte als ausgleichungspflichtige Vorempfänge erhalten, kann er sich also durch Ausschlagung der Ausgleichungspflicht entziehen. Vorbehalten bleibt immerhin, dass die Zuwendung selber nach Treu und Glauben so zu verstehen ist, es sei der Überschuss in einem solchen Fall in den Nachlass zurückzugeben. Ferner setzt er sich Herabsetzungsansprüchen von Miterben aus (Art. 527 Ziff. 1;...)." In der 4. Aufl. lautete der letzte Satz der vorstehenden Passage noch wie folgt (Hervorhebung hinzugefügt): "Ferner setzt er sich Herabsetzungsansprüchen von Pflichtteilserben aus, welche um so mehr ins Gewicht fallen können, als mit seiner Ausschlagung sein allfälliger eigener Pflichtteil Miterben zugute kommen kann." Ausdruckseite 14 von 24 nicht verändert habe. Allerdings enthalten die höchstgerichtlichen Erwägungen eine nur sehr rudimentäre Begründung für die analoge Anwendbarkeit von Art. 535 Abs. 2 ZGB, und es ZBJV 142/2006 S. 457, 478 Fehlt insbesondere auch an einer Auseinandersetzung mit den Rechtsfolgen der Ausschlagung, wie sie in Art. 572 Abs. 1 ZGB geregelt sind76. In der Lehre sodann haben sich, soweit ersichtlich, während langer Zeit lediglich zwei Autoren eingehend mit der Problematik befasst, nämlich Tuor und Piotet. Tuor hat dies gleichsam indirekt getan, aus dem Gesichtswinkel der in Anlehnung an das französische Recht entwickelten und bis heute offenbar unbestritten gebliebenen These, wonach ausgleichungspflichtige Zuwendungen primär auf den Pflichtteil angerechnet werden, herabsetzbare Zuwendungen dagegen primär auf den Freiteil77. Piotet seinerseits hat die Fragestellung anlässlich einer Analyse von Art. 629 ZGB über die ausgleichungsrechtliche Berücksichtigung von sog. Mehrempfängen behandelt78. Seine Ausführungen beruhen auf der Überlegung, dass gemäss Art. 572 Abs. 1 ZGB dann, wenn einer unter mehreren Erben die Erbschaft ausschlägt, sich sein Anteil vererbt, "wie wenn er den Erbfall nicht ZBJV 142/2006 S. 457, 479 erlebt hätte". Wie bei Tuor hat dies insbesondere zur Folge, dass sich wegen einer Ausschlagung die Grösse der einzelnen Pflichtteile der verbleibenden Erben ändert, nicht aber der Globalpflichtteil und die verfügbare Quote. Beide Autoren haben sich jedoch nicht mit BGE 50 II 450 ff. auseinander gesetzt. Dies haben in der Folge namentlich Vollery in seiner Dissertation und Staehelin im Basler Kommentar nachgeholt und sich im Ergebnis der von Tuor und Piotet vertretenen Auffassung angeschlossen79. Diese war somit bis vor kurzem als die klar herrschende zu bezeichnen; indessen haben mittlerweile namentlich Hausheer/Aebi-Müller die seinerzeitige Betrachtungsweise des Bundesgerichts in BGE 50 II 450 ff. übernommen80. 76 Vgl. BGE 50 II 457 f.: "Es liesse sich ... nicht rechtfertigen, den ausschlagenden Erben, welchem der Erblasser zu Lebzeiten Zuwendungen gemacht hat, schlechter zu stellen als den Erben, welcher mit Rücksicht auf derartige Zuwendungen noch zu Lebzeiten des Erblassers Erbverzicht geleistet hat. Für den Fall des Erbverzichts aber bestimmt Art. 535 ZGB zunächst, dass die Herabsetzung nur insoweit verlangt werden kann, als die dem verzichtenden Erben gemachten Leistungen den verfügbaren Teil der Erbschaft übersteigen, der vorliegend einen Viertel beträgt, und sodann, dass die Verfügung jedoch nur für den Betrag der Herabsetzung unterliegt, um den sie den Pflichtteil des Verzichtenden übersteigt. Der Pflichtteil des Verzichtenden kann nun nicht anders ermittelt werden, als dass dieser schon bei der Berechnung der gesetzlichen Erbansprüche mitgezählt wird; dadurch werden aber notwendigerweise die gesetzlichen Erbansprüche und damit auch die Pflichtteile der (übrigen) Erben reduziert, mindestens mit Wirkung für die Herabsetzungsklage gegen den Verzichtenden. Die analoge Anwendung jener Vorschrift führt somit zur Bezifferung des Pflichtteils des Klägers auf 3/8..." 77 Vgl. bei Fn. 13 hievor bzw. dazu das Beispiel bei Piotet, SPR IV/1, 454: Witwer X hat drei Söhne A, B und C; A hat 25 000 auf Anrechnung erhalten; reiner Nachlass 75 000; X setzt dem Freund Y ein Vermächtnis von 25 000 aus; erben alle drei Söhne, beträgt ihr Pflichtteil je 25 000; B und C erhalten diesen Betrag, A bekommt nichts mehr und für Y bleiben ebenfalls 25 000 (entsprechend dem Freiteil); schlägt A aus, betragen die Pflichtteile von B und C je 37 500 und Y erhält (unter Vorbehalt von Art. 2 Abs. 2 ZGB) nichts, weil das Vermächtnis vor der lebzeitigen Zuwendung herabsetzbar ist (vgl. Art. 532 ZGB bzw. auch Ziff. 7 hienach). 78 Vgl. dazu und zum Folgenden Paul Piotet, Le calcul des parts ab intestat et des réserves en cas de dispense du rapport de l'excédent (art. 629 CC), in: SJZ 67 (1971), 185 ff., passim. 79 Vgl. Vollery, AISUF 134, N. 559; Daniel Staehelin, in: Basler Kommentar, N. 16 a.E. zu Art. 470 ZGB; ferner etwa Spahr, AISUF 135, 331 f.; und wohl auch Druey (siehe soeben Fn. 75); sowie zuletzt Steinauer, Droit des successions, § 13 Fn. 4: "En cas de renonciation, d'exhérédation (sous réserve de l'art. 478 al. 3) ou d'indignité (sous réserve de l'art. 541 al. 2), la part de la succession qui aurait dû être affectée à la réserve augmente en principe la quotité disponible... En cas de prédécès ou de répudiation, les réserves et la quotité disponible se calculent au vu des héritiers qui ont pris la place du réservataire dans la succession..." 80 Vgl. Hausheer/Aebi-Müller, FS VbN, 349 ff. Ausdruckseite 15 von 24 6.3 Die Problematik sei wiederum anhand eines Beispiels verdeutlicht (allerdings nurmehr von den beteiligten Personen her gesehen im Anschluss sowohl an dasjenige aus dem Zürcher Kommentar (Nr. 2.2) als auch an BGE 50 II 450 ff.): Erblasser X hinterlässt zwei Kinder S und T, aber kein Vermögen; unter Lebenden hat er T 600 000 gegeben; kommt es zur Ausgleichung, beläuft sich nicht nur die Teilungsmasse, sondern auch die Pflichtteilsberechnungsmasse auf 600 000, S und T erhalten je 300 000, T kann somit von den 600 000 nur die Hälfte behalten; wie steht es, wenn T deswegen ausschlägt (zusätzliche Annahmen: es liegt weder ein ausdrücklicher Dispens im Sinne von Art. 626 Abs. 2 ZGB (dazu sogleich Nr. 6.5) noch eine Verfügung im Sinne von Art. 629 Abs. 1 ZGB zugunsten von T vor, und T hat keine Nachkommen (sodass es auch nicht zu einer Ausgleichung in Vertretung nach Art. 627 ZGB81 kommen kann))? Nach herrschender Lehre macht der Pflichtteilsanspruch von S als einzigem Erben 3/4 der ZBJV 142/2006 S. 457, 480 Pflichtteilsberechnungsmasse oder 450 000 aus, sodass T lediglich die verfügbare Quote in Höhe von 150 000 behält (statt 300 000) und gerade nicht von der Ausschlagung profitiert; nach der anderen Auffassung macht der Pflichtteilsanspruch lediglich 3/8 der Pflichtteilsberechnungsmasse oder 225 000 aus, sodass T 375 000 (statt lediglich 300 000) behält und von der Ausschlagung profitiert. 6.4 Aus Art. 572 Abs. 1 ZGB ergibt sich, dass nicht erbt, wer ausschlägt. Steht somit dem ausschlagenden Erben kein Erbteil zu, kann ihm doch wohl dann, wenn er zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehört, auch kein Pflichtteil zustehen. Sodann sagt Art. 572 Abs. 1 ZGB, dass es gehalten wird, wie wenn der Ausschlagende den Erbfall nicht erlebt hätte, also vorverstorben wäre. Hinterlässt ein (ausschlagendes bzw.) vorverstorbenes Kind keine Nachkommen, so vergrössern sich gemäss Art. 457 ZGB die gesetzlichen Erbteile seiner Geschwister und damit auch ihre Pflichtteile, da diese in Art. 471 Ziff. 1 ZGB als Quoten ihrer jeweiligen gesetzlichen Erbteile definiert sind82. Soweit diese grundlegenden, im Gesetz unstreitig verankerten Prinzipien ausnahmsweise relativiert wären, bräuchte es dafür entsprechende, hinreichend klare gesetzliche Ausnahmebestimmungen. Solche gibt es nun aber für die Ausschlagung nicht (ebenso wenig wie für die Vorversterbensfälle), sodass es zu keiner Veränderung des Globalpflichtteils und damit auch nicht zu einer Veränderung der verfügbaren Quote kommen kann. Insofern profitieren daher nicht der Erblasser (und der Zuwendungsempfänger), sondern die verbliebenen Pflichtteilserben von der Ausschlagung. Und wenn nicht nur der Erblasser, sondern auch der Zuwendungsempfänger selber von der Ausschlagung nicht profitiert, so bleibt zu bedenken, dass der Erblasser ja gerade nicht eine weiter gehende Begünstigung des Zuwendungsempfängers wie insbesondere einen Ausgleichungsdispens verfügt hat, sodass möglichst dem der gesetzlichen Ausgleichung zugrunde liegenden Gleichheitsgedanken Rechnung zu tragen und zum ZBJV 142/2006 S. 457, 481 Durchbruch zu verhelfen ist; auch aus diesem Blickwinkel liegt diejenige Lösung näher, welche dem Zuwendungsempfänger möglichst wenig Vorteile bringt, wenn er ausschlägt83. 81 Hinterlässt ein Erblasser Kinder, von denen eines eine nach Art. 626 Abs. 2 ZGB "an sich" ausgleichungspflichtige Zuwendung erhalten hat, aber nicht erbt, ohne dass Enkel des Erblassers an die Stelle ihres Elters treten, ist Art. 627 ZGB unstreitig nicht einschlägig; vgl. Eitel, Berner Kommentar, N. 19 zu Art. 627 ZGB (mit den Nachweisen). 82 Vgl. Escher, Zürcher Kommentar, N. 20 der Vorbemerkungen zu Art. 470-480 ZGB (der sich sodann in Bezug auf die hier interessierende Fragestellung auf einen schlichten Hinweis auf BGE 50 II 458 beschränkt (ähnlich Gubler, ASR Heft 184, 117)); Weimar, Berner Kommentar, N. 8 ff. zu Art. 470 ZGB (der hier nicht auf BGE 50 II 458 eingeht); Steinauer, Droit des successions, N. 372: "le réservataire qui ne vient pas à la succession (prédécès, renonciation, exhérédation, indignité) ou qui répudie celle-ci n'a pas (plus) droit à sa réserve." 83 Spahr (AISUF 135, 332 f.) hielte es de lege ferenda sogar für angebracht, wenn der "an sich" ausgleichungspflichtige Zuwendungsempfänger, der ausschlägt, von Gesetzes wegen (d.h. insbesondere auch unabhängig davon, ob der Erblasser die Zuwendung "in weiser Voraussicht" mit einer auflösenden Bedingung für den Fall der Ausschlagung verbunden hat) durchwegs zur Erstattung der Zuwendung verhalten würde. Ausdruckseite 16 von 24 6.5 Vgl. dazu mit Blick auf das soeben (Nr. 6.3) angeführte Beispiel (und in Anlehnung an dasjenige zur Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Auslegung von Art. 527 Ziff. 1 ZGB (Nr. 4.3)): Befreit X die T im Sinne von Art. 626 Abs. 2 ZGB von der Ausgleichungspflicht, so ist selbst ohne Ausschlagung durch T nicht nur kein reiner Nachlass, sondern nunmehr auch keine Teilungsmasse zu berücksichtigen, während sich die Pflichtteilsberechnungsmasse weiterhin auf 600 000 beläuft; macht S seinen Pflichtteilsanspruch geltend und schlägt T nicht aus, so kommt die Erbenstellung mithin sowohl S als auch T zu, sodass der Pflichtteilsanspruch von S (und von T) lediglich 3/8 oder 225 000 ausmacht, und T 375 000 der 600 000 behalten kann. 6.6 Anders verhält es sich beim Wegfall eines pflichtteilsberechtigten Erben wegen Erbverzichts. Hierfür enthält das Gesetz eine entsprechende, in Art. 535 Abs. 2 (und Art. 475 i.V.m. Art. 527) ZGB verankerte Regelung. Für deren analoge Anwendung bei Wegfall eines Pflichtteilserben wegen Ausschlagung bedürfte es somit einer spezifischen Rechtfertigung. Indessen ist eine solche keineswegs leicht herzuleiten, da sich die beiden "Grundkonstellationen" durchaus voneinander unterscheiden: Beim Erbverzicht vereinbart der Erblasser mit dem potenziellen Pflichtteilsberechtigten dessen Wegfall, und er "erkauft" sich gleichsam diesen Wegfall bzw. die sich daraus ergebende Aussicht (Chance) auf eine grössere Verfügungsfreiheit mit der Ausrichtung der lebzeitigen Zuwendung; der Wegfall des ausschlagenden Pflichtteilsberechtigten dagegen beruht auf keiner Vereinbarung mit dem Erblasser, und dieser hat die lebzeitige Zuwendung somit auch gerade nicht im Hinblick auf den Wegfall des Empfängers ausgerichtet84. Dem entspricht, dass der Erbverzicht, ZBJV 142/2006 S. 457, 482 wenn der Vertrag nichts anderes bestimmt, auch gegenüber den Nachkommen des Verzichtenden wirkt (Art. 495 Abs. 3 ZGB), während bei einem Wegfall des ausschlagenden pflichtteilsberechtigten "Vorempfängers" evtl. dessen Nachkommen an seine Stelle treten (Art. 627 ZGB)85. Und schliesslich ist zu bedenken, dass nach heute, soweit ersichtlich, klar herrschender Auffassung die Ausschlagung durch einen an sich Pflichtteilsberechtigten diesem in keinem Fall einen Anspruch auf den Pflichtteil belässt (oder gar erst verschafft)86. Daher liegt es jedenfalls nicht nahe, die Ansprüche der verbliebenen, tatsächlich erbenden Pflichtteilsberechtigten so zu berechnen, als stünde demjenigen, der ausgeschlagen hat, gleichwohl ein Pflichtteilsanspruch zu. Nach alledem muss es m.E. daher bei der sich insbesondere aus Art. 572 Abs. 1 ZGB ergebenden und der ausgleichungsrechtlichen Gleichheitsidee entsprechenden, vom Bundesgericht seinerzeit (im Jahre 1924) anscheinend übersehenen Regelung sein Bewenden haben. 6.7 In Anbetracht der soeben erwähnten Hinweise in der Literatur (Nr. 6.1) bleibt zu prüfen, ob sich denn eine Ausschlagung für den an sich ausgleichungspflichtigen, pflichtteilsberechtigten Zuwendungsempfänger überhaupt lohnen könne. In Konstellationen wie denjenigen im angeführten Beispiel (Nrn. 6.3, 6.5) ist dies zu bejahen, sobald der verfügbare Teil grösser ist, als es der Erbteil des Zuwendungsempfängers wäre, wenn dieser nicht ausschlüge87, wie die folgenden Erweiterungen zeigen; Erweiterung 1: Angenommen, X hinterlässt drei Kinder und T gleicht aus, so kann T 200 000 der 600 000 behalten; schlägt sie aus, kann sie wiederum den verfügbaren Teil von 150 000 behalten, und die Pflichtteilsansprüche der beiden erbenden Kinder machen nurmehr je 225 000 aus (je 3/4 von 1/2 der Pflichtteilsberechnungsmasse in Höhe von 600 000), sodass sich die Ausschlagung für T nicht lohnt; Erweiterung 2: Angenommen, X hinterlässt vier Kinder und T gleicht aus, so kann T 150 000 der 600 000 behalten; schlägt sie aus, kann sie wiederum den 84 Vgl. auch Vollery, AISUF 134, N. 559. 85 Vgl. soeben bei Fn. 81. 86 Vgl. nur Staehelin, in: Basler Kommentar, N. 16 zu Art. 470 ZGB. Anders noch (zwischen gesetzlicher und gewillkürter Berufung unterscheidend) H.L. Vital, Die Verfügungsfreiheit des Erblassers nach dem schweizerischen Zivilgesetzbuch, Diss. Bern 1915 (ASR Heft 64), 50. 87 Weiterführend Piotet, SJZ 67 (1971) 190. Ausdruckseite 17 von 24 verfügbaren Teil von 150 000 behalten, und die Pflichtteilsansprüche der drei erbenden Kinder machen nurmehr je 150 000 aus (je 3/4 von 1/3 der Pflichtteilsberechnungsmasse in Höhe von 600 000), sodass es ZBJV 142/2006 S. 457, 483 insoweit nicht darauf ankommt, ob T ausschlägt oder nicht; Erweiterung 3: Angenommen, X hinterlässt fünf Kinder und T gleicht aus, so kann T 120 000 der 600 000 behalten; schlägt sie aus, kann sie wiederum den verfügbaren Teil von 150 #^000 behalten, und die Pflichtteilsansprüche der vier erbenden Kinder machen nurmehr je 112 500 aus (je 3/4 von 1/4 der Pflichtteilsberechnungsmasse in Höhe von 600 000), sodass sich die Ausschlagung für T lohnt. 6.8 Die bisherigen Ausführungen zu den Rechtsfolgen der Ausschlagung durch einen potenziellen Ausgleichungsschuldner zeigen m.E. jedenfalls dreierlei. Erstens kommt es in der Auseinandersetzung um die objektive oder subjektive Auslegung von Art. 527 Ziff. 1 ZGB für die Tragkraft der Argumentation, wonach diese Bestimmung die Schädigung der Pflichtteilsberechtigten insbesondere bei Ausschlagung verhindern wolle88, einerseits auf die Rechtsfolgen solcher Ausschlagungen für die Ermittlung der Pflichtteilsansprüche an, andererseits auf die konkrete Konstellation (insbesondere auf die Anzahl Kinder und das Wertverhältnis zwischen reinem Nachlass und relevanten lebzeitigen Zuwendungen). Zweitens wird ersichtlich, welche Tragweite einer mehr oder weniger unbedachten Ausschlagungserklärung (zumindest) zukommen kann; ob gegebenenfalls die Geltendmachung eines Willensmangels (Art. 23 ff. OR per analogiam) weiterhelfen würde, muss hier offen bleiben89. Und drittens ist wenigstens am Rande darauf hingewiesen worden, welche Bedeutung Art. 532 ZGB haben kann, wenn sowohl Zuwendungen unter Lebenden als auch Verfügungen von Todes wegen pflichtteilsrelevant sind90; dieselbe Bestimmung ist überdies anwendbar, wenn ausschliesslich Zuwendungen unter Lebenden zu berücksichtigen sind, und auch diesfalls kann sich, wie nunmehr zu zeigen ist, ein Spannungsfeld der hier interessierenden Art aufbauen 91. ZBJV 142/2006 S. 457, 484 7. Reihenfolge der Herabsetzung bei nicht ausgeglichenen lebzeitigen Zuwendungen an mehrere Empfänger 7.1 Für die gesetzliche Ausgleichung lebzeitiger Zuwendungen nach Art. 626 Abs. 2 ZGB kommt es nicht darauf an, in welchem Zeitpunkt der Erblasser sie ausgerichtet hat - sie unterliegen der Ausgleichung so oder so (was nicht heissen will, dass deswegen überhaupt keine Ungleichheiten entstehen können; dazu Ziff. 9 hienach). Anders verhält es sich bei der Herabsetzung. Denn nach dem soeben (Nr. 6.8) angesprochenen Art. 532 ZGB unterliegen der Herabsetzung "in erster Linie die Verfügungen von Todes wegen und sodann die Zuwendungen unter Lebenden, und zwar diese in der Weise, dass die spätern vor den frühern herabgesetzt werden, bis der Pflichtteil hergestellt ist". In der Lehre wird in mehrfacher Hinsicht die Auffassung vertreten, dass die Anwendung dieser Bestimmung Unbilligkeiten nach sich ziehen könne92. In der Tat kann sich etwa die Frage stellen, wie es sich verhalte, wenn pflichtteilsberechtigte Kinder gleichermassen in den Genuss von Zuwendungen gekommen sind, welche sie eigentlich zur Ausgleichung zu bringen hätten, aber (aus mehr oder weniger nachvollziehbaren Gründen) gleichwohl nicht ausgleichen. 88 Vgl. Fn. 55 hievor. 89 Vgl. grundsätzlich zur Frage der Zulässigkeit der Anfechtung einer Ausschlagungserklärung wegen eines Willensmangels die Hinweise in BGE 129 III 314 ff., E. 4. 90 Vgl. soeben Fn. 77. 91 Vgl. überdies eindrücklich zur Tragweite von Art. 532 ZGB Hausheer/Aebi-Müller, FS VbN, passim. 92 Vgl. Piotet, SPR IV/1, 492 (mit den Nachweisen). Ausdruckseite 18 von 24 7.2 Dazu folgendes Beispiel: Erblasser X hinterlässt drei Kinder K1, K2 und K3 sowie 600 000; unter Lebenden hat er K1 und K2 je 300 000 gegeben, und zwar vier bzw. zwei Jahre vor seinem Tod; kommt es zur Ausgleichung, beläuft sich die Teilungsmasse auf 1 200 000, und jedes Kind erhält 400 000; schlägt K1 (wider Erwarten) aus, beträgt die Teilungsmasse 900 000, wovon K2 und K3 je 450 000 bekommen; sie erhalten damit exakt ihren Pflichtteil, da die Pflichtteilsberechnungsmasse 1 200 000 und ihre Pflichtteile je 3/8 davon (je 3/4 von 1/2) ausmachen (nach der anderen, soeben erwähnten Auffassung (vgl. Ziff. 6, insbesondere Nr. 6.3) würden die Pflichtteile von K2 und K3 lediglich je 2/8 (je 3/4 von 1/3) der Pflichtteilsberechnungsmasse in Höhe von 1 200 000 oder je 300 000 ausmachen; "unter dem Strich" hätten sie somit beide das Anderthalbfache ihres Pflichtteilsanspruchs); analog verhält es sich, wenn K2 statt K1 ausschlägt; was aber gilt, wenn sowohl K1 als auch K2 ausschlagen? Diesfalls entspricht die "Teilungsmasse" dem reinen Nachlass von 600 000, die K3 erhält; sein Pflichtteilsanspruch aber beläuft sich auf 900 000, entsprechend 3/4 der ZBJV 142/2006 S. 457, 485 Pflichtteilsberechnungsmasse von nach wie vor 1 200 000; bei strikter Anwendung von Art. 532 ZGB ist nunmehr die spätere Zuwendung vor der früheren herabsetzbar, sodass K2 die "später erhaltenen" 300 000 vollumfänglich gemäss Art. 528 Abs. 1 ZGB erstatten müsste und "unter dem Strich" mit leeren Händen dastünde, während K1 seine "früher erhaltenen", dem verfügbaren Teil entsprechenden 300 000 behalten dürfte und K3 die seinem Pflichtteil entsprechenden 900 000 hätte (nach der anderen Auffassung dürfte nicht nur K1, sondern auch K2 die 300 000 behalten, und K3 bekäme mit dem reinen Nachlass von 600 000 das Doppelte seines Pflichtteilsanspruchs). 7.3 M.E. wird in Konstellationen wie der vorstehenden zulasten desjenigen, der ausschlägt, ohne selber von der Ausschlagung zu profitieren, regelmässig nicht einmal das Rechtsmissbrauchsverbot (Art. 2 Abs. 2 ZGB) weiterhelfen. Denn es liegt nun einmal im freien Belieben eines Zuwendungsempfängers, ob er ausschlagen will oder nicht. Zugunsten desjenigen, der ausschlägt und sich dadurch schlechter stellt als erwartet, käme daher, wenn überhaupt, in der Regel erneut (vgl. Nr. 6.8) lediglich die Geltendmachung eines Willensmangels in Frage. 7.4 Weiter ist mit Blick auf Art. 532 ZGB etwa an Szenarien zu denken, in denen der Erblasser in einem gewissen zeitlichen Abstand mehr als einem erbberechtigten Kind eine Zuwendung ausgerichtet hat, welche der gesetzlichen Ausgleichung nach Art. 626 Abs. 2 ZGB nicht unterliegt, obwohl die Empfänger sich weder auf einen Ausgleichungsdispens zu berufen vermögen noch die Erbschaft ausschlagen93. Dies ist gemäss der herrschenden Lehre und Rechtsprechung, wonach die Ausgleichung grundsätzlich ein Institut nur der gesetzlichen Erbfolge ist94, mutmasslich insbesondere dann der Fall, wenn der Erblasser ein Testament errichtet und darin das Verhältnis der Erbteile der erbberechtigten Kinder untereinander so verändert hat, dass es nicht mehr demjenigen gemäss gesetzlicher Erbfolge entspricht. 7.5 Auch dazu ein Beispiel: Erblasser X hinterlässt drei Kinder K1, K2 und K3 sowie 120 000; vier Jahre vor seinem Tod hat er K1 300 000 gegeben, zwei Jahre vor seinem Tod K2 ebenfalls 300 000; die beiden ZBJV 142/2006 S. 457, 486 lebzeitigen Zuwendungen wären ohne weiteres nach Art. 626 Abs. 2 ZGB auszugleichen, wenn nicht ein Testament vorläge, in welchem X verfügt hat, dass K1 3/12, K2 4/12 und K3 5/12 seines Nachlasses (also im Verhältnis 3:4:5) erben sollen; kommt es somit nicht zur gesetzlichen Ausgleichung, so erhalten vom reinen Nachlass K1 30 000, K2 40 000 und K3 50 000, und "unter dem Strich" hätten K1 330 000, K2 340 000 und K3 eben nur die 500 00; allerdings sind die Zuwendungen unter Lebenden 93 Vgl. sodann zur Konstellation, wonach der Erblasser der Reihe nach mehreren Kindern, nicht aber dem jüngsten Kind erhebliche Zuwendungen ausgerichtet und dafür jeweils Ausgleichungsdispense verfügt hat, Vollery, AISUF 134, N. 536. 94 Vgl. bei Fn. 29 hievor; bzw. etwa BGE 124 III 102 ff. Ausdruckseite 19 von 24 jedenfalls herabsetzbar (je nach Betrachtungsweise gemäss Art. 527 Ziff. 1/3/4 ZGB95); die Pflichtteilsberechnungsmasse beläuft sich somit auf 720 000, die Pflichtteile von K1, K2 und K3 machen je 1/4 davon (je 3/4 von 1/3) oder je 180 000 aus; verlangt K3 deswegen die Herabsetzung und wird Art. 532 ZGB angewandt, so sind zunächst die testamentarischen Verfügungen (Erbeinsetzungen nach Art. 483 ZGB) zugunsten von K1 und K2 herabzusetzen, und zwar auf 0; indessen reicht nicht einmal der gesamte reine Nachlass von 120 000 zur Deckung des Pflichtteilsanspruchs von K3 hin; daher ist zusätzlich die Zuwendung an K2, da X sie nach derjenigen an K1 ausgerichtet hat, um 60 000 zu reduzieren, worauf "unter dem Strich" K1 300 000 hat (bzw. die lebzeitige Zuwendung vollumfänglich behalten kann), K2 240 000 (also nun schlechter dasteht als K1) und K3 180 000 (den ihm zustehenden Pflichtteil); bezogen auf die Pflichtteilsberechnungsmasse bzw. auf das, was die drei Kinder vom Erblasser tatsächlich erhalten (haben), besteht somit ein Verhältnis von 5:4:3, und zwar gerade "gegenläufig" zu demjenigen im Testament bezogen auf den (reinen) Nachlass. 7.6 Die eigentliche "Sprengkraft" des herabsetzungsrechtlichen Art. 532 ZGB im Spannungsfeld zwischen Ausgleichung und Herabsetzung liegt somit nicht zuletzt darin, dass diese Bestimmung die Gleichheitsidee, welche dem gesetzlichen Erbrecht und dem Ausgleichungsrecht zugrunde liegt, mitunter relativiert96. Zwar entspricht diese Beeinträchtigung der Gleichbehandlungskonzeption der insoweit eingeschränkten Funktion des Pflichtteils- und damit des Herabsetzungsrechts97. M.E. ist diese Relativierung aber doch insofern ZBJV 142/2006 S. 457, 487 nicht selbstverständlich, als sie sogar dann auftreten kann, wenn nicht einmal der Erblasser klar darauf hinwirkt und einander ausschliesslich erbende Kinder gegenüber stehen, sodass es so gesehen eigentlich zu einer gesetzlichen Ausgleichung kommen müsste. Und aus diesem Befund ergibt sich geradezu ein Widerspruch zu der dem Ausgleichungsrecht zugrunde liegenden Konzeption, dass Relativierungen der Gleichheitsidee ausdrückliche und damit hinreichend klare Anordnungen des Erblassers voraussetzen98. 8. Rückgängigmachung der Begünstigung des erbvertraglich von der gesetzlichen Ausgleichungspflicht befreiten Zuwendungsempfängers durch den Erblasser 8.1 Namentlich aus der Diskussion um die objektive oder subjektive Auslegung von Art. 527 Ziff. 1 ZGB ist bekannt (vgl. Ziff. 4 hievor, insbesondere Nr. 4.3), dass die ausdrückliche Befreiung des Empfängers einer Zuwendung von der gesetzlichen Ausgleichungspflicht gemäss Art. 626 Abs. 2 ZGB eine Begünstigung beinhaltet. Diese beruht naheliegenderweise auf einer Beziehung zwischen Erblasser und Zuwendungsempfänger, welche (zumindest) der Erblasser als positiv empfindet. Es kann nun aber auch sein, dass sich dieses Verhältnis im Laufe der Zeit trübt oder den Erblasser ein schlechtes Gewissen gegenüber seinen anderen Kindern, also gegenüber den Geschwistern des Zuwendungsempfängers, beschleicht. In der Folge mag der Erblasser versucht sein, jene Begünstigung rückgängig zu machen, etwa indem er entweder (1) "nur" den Ausgleichungsdispens widerruft, oder (2) indem er darüber hinaus den Zuwendungsempfänger auch gleich noch zugunsten der übrigen Kinder auf den Pflichtteil setzt. Mithin ist im Folgenden zwischen diesen beiden Anordnungen des Erblassers zu unterscheiden. 95 Vgl. Nr. 4.2 hievor. 96 Das Proportionalitätsprinzip, das für das Herabsetzungsrecht in verschiedener Hinsicht charakteristisch ist, gilt gerade im Anwendungsbereich von Art. 532 ZGB nur eingeschränkt; vgl. Escher, Zürcher Kommentar, N. 2 zu Art. 532 ZGB; Steinauer, Droit des sucessions, N. 829 ff. 97 Vgl. bei Fn. 11 hievor. 98 Vgl. Eitel, ASR 613, § 6 Nrn. 1 ff. Ausdruckseite 20 von 24 8.2 Eine Wegbedingung der gesetzlichen Ausgleichungspflicht ist als (ursprüngliche) negative Ausgleichungsverfügung zu qualifizieren, der anschliessende, hier interessierende Widerruf einer Wegbedingung der gesetzlichen Ausgleichungspflicht als (nachträgliche) ZBJV 142/2006 S. 457, 488 Positive Ausgleichungsverfügung99. Ob nachträgliche positive Ausgleichungsanordnungen überhaupt zulässig sind, ist umstritten. Fest steht aber, dass sie nach Art. 494 Abs. 3 ZGB anfechtbar sind, wenn sie gegen eine erbvertragliche Verpflichtung verstossen, welche der Erblasser gegenüber dem Zuwendungsempfänger eingegangen ist100. In der Regel liegt eine solche Gebundenheit des Erblassers nach der heute herrschenden, auf Überlegungen Piotets zurückgehenden Lehre und Praxis dann vor, wenn der Erblasser die für die Wegbedingung der Ausgleichungspflicht gemäss Art. 626 Abs. 2 ZGB erforderliche, ausdrückliche Erklärung dem Zuwendungsempfänger gegenüber abgegeben hat. Davon wird nunmehr ausgegangen; und dies erst einmal vorausgesetzt, braucht der Zuwendungsempfänger sich die nachträgliche Anordnung der Ausgleichungspflicht somit nicht gefallen zu lassen. 8.3 Dazu ein Beispiel, wiederum im Anschluss an das bereits mehrfach herangezogene aus dem Zürcher Kommentar (Nr. 2.2): X hat dem S die 30 000 vier Jahre vor seinem Tod gegeben und dabei S mit erbvertraglich bindender Wirkung ausdrücklich von der Ausgleichungspflicht dispensiert; kurz vor seinem Hinschied widerruft X den Ausgleichungsdispens formgültig101; dieser Widerruf unterliegt der Anfechtung nach Art. 494 Abs. 3 ZGB, mit dem Ergebnis, dass er nicht umgesetzt werden kann und somit nichts an der Begünstigung des S ändert, womit "unter dem Strich" S weiterhin 43 750 hat, T dagegen nur 26 250. 8.4 Anders verhält es sich mit der weiteren, soeben (Nr. 8.1) ins Auge gefassten Verfügung, wonach der Erblasser den Zuwendungsempfänger auf den Pflichtteil setzt. Denn eine solche Verfügung von Todes wegen des Erblassers bezieht sich auf seinen Nachlass, nicht wie die Ausgleichungsanordnung (obwohl diese inhaltlich ebenfalls eine Verfügung von Todes wegen ist102 auf die lebzeitige Zuwendung. Auch nach einer Wegbedingung der Ausgleichungspflicht gemäss Art. 626 Abs. 2 ZGB bleibt der Erblasser somit grundsätzlich frei, den Zuwendungsempfänger auf den Pflichtteil zu setzen. 8.5 Vgl. im soeben angeführten Beispiel (Nr. 8.3): X errichtet kurz vor seinem Hinschied auch noch ein Testament, in welchem er S zugunsten ZBJV 142/2006 S. 457, 489 von T auf den Pflichtteil setzt; dieser macht 26 250 aus; da aber S sich (wegen seiner mit X getroffenen, erbvertraglichen Vereinbarung) die Einrechnung der lebzeitigen Zuwendung auf den gesetzlichen Erbteil nicht gefallen lassen muss, solange gleichzeitig der Pflichtteilsanspruch der T respektiert bleibt, muss er unter dem gleichen Vorbehalt grundsätzlich erst recht nicht die Einrechnung der lebzeitigen Zuwendung auf seinen Pflichtteil hinnehmen; einmal unterstellt, die Zuwendung der 10 000 an T unterliege wegen der testamentarischen Wegbedingung der gesetzlichen Erbfolge zwar nicht mehr der Ausgleichung, sei aber gleichwohl noch in die Pflichtteilsberechnungsmasse zu integrieren103, stünde S also mit 56 250 da, wenn dadurch nicht der Pflichtteilsanspruch von T verletzt würde; es bleibt somit erneut dabei, dass "unter dem Strich" S 43 750 hat, T dagegen nur 26 250. 99 Vgl. bei Fn. 12 hievor. 100 Vgl. Eitel, Berner Kommentar, N. 55 zu Art. 626 ZGB (mit den Nachweisen). 101 Vgl. zur Formproblematik in diesem Zusammenhang Eitel, Berner Kommentar, N. 56 ff. zu Art. 626 ZGB (mit den Nachweisen). 102 Vgl. Nr. 5.1 hievor. 103 Vgl. Nr. 4.2 bzw. Nrn. 7.4 und 7.5 hievor. Ausdruckseite 21 von 24 8.6 Mithin ist nicht einmal dann, wenn der Zuwendungsempfänger auf den Pflichtteil gesetzt wird, Gewähr dafür gegeben, dass die nachträglichen Verfügungen des Erblassers überhaupt noch irgendwelche Korrekturen herbeizuführen vermögen. Vielmehr ist dafür in Konstellationen wie der vorliegenden erforderlich, dass der zu berücksichtigende Wert der lebzeitigen Zuwendung niedriger ist als der Wert des verfügbaren Teils, indem es dabei bleibt, dass nicht ausgleichungspflichtige Zuwendungen primär in diesen und nicht in den Pflichtteil des Empfängers einzurechnen sind104. 8.7 Vgl. dazu folgende Abwandlung des soeben angeführten Beispiels (Nrn. 8.3, 8.5): Der reine Nachlass beträgt 120 000 statt 30 000; dies ergibt eine Pflichtteilsberechnungsmasse von 160 000, Pflichtteile von je 60 000 und einen verfügbaren Teil von 40 000; S bekommt somit den Pflichtteil und behält die lebzeitige Zuwendung, hat "unter dem Strich" also 90 000, während T 70 000 hat105. 9. Erträge ausgleichungspflichtiger Zuwendungen 9.1 Nach Art. 630 Abs. 2 ZGB sind "bezogene Früchte", also die Erträge auszugleichender Zuwendungen, "unter den Erben nach ZBJV 142/2006 S. 457, 490 den Besitzesregeln in Anschlag zu bringen"; dasselbe gilt für "Verwendungen" und für "Schaden". Kraft dieser Verweisung sind die Bestimmungen über die "Verantwortlichkeit" (Randtitel) des nicht (mehr) berechtigten Besitzers nach den Art. 938-940 ZGB anwendbar106. Dort wird hinsichtlich der sog. Nebenansprüche unterschieden zwischen der Verantwortlichkeit des gutgläubigen Besitzers (Art. 938 und 939 ZGB) und derjenigen des bösgläubigen Besitzers (Art. 940 ZGB). In der Lehre ist anerkannt, dass diese Unterscheidung für das Ausgleichungsrecht in mehrfacher Hinsicht nicht so recht passt. Zum einen ist sie "nur" auf Nebenansprüche im Zusammenhang mit mehr oder weniger wertbeständigen Einzelsachen ausgerichtet; zum andern ist derjenige, welchen wegen der Schenkung einer Sache eine Ausgleichungspflicht trifft, nicht unrechtmässiger Besitzer dieser Sache (geworden), da er rechtmässiger Eigentümer derselben war, ist und bleiben kann. Alledem entspricht, dass die Anwendbarkeit der Art. 938-940 ZGB so oder so "nur" eine analoge sein kann. 9.2 Bezogen (nur, aber eben immerhin) auf die Erträge ausgleichungspflichtiger Zuwendungen (und damit auch auf Zinsen von Geldzuwendungen) ist nach der konstanten Rechtsprechung des Bundesgerichts und der deutlichen Mehrheitsauffassung in der Lehre Art. 938 Abs. 1 ZGB über die Verantwortlichkeit des gutgläubigen Besitzers sinngemäss heranzuziehen, sodass der Ausgleichungsschuldner die Erträge auszugleichender Zuwendungen nicht auch auszugleichen hat107. Dadurch wird allerdings die dem Ausgleichungsrecht zugrunde liegende Gleichbehandlungsidee tangiert108. Escher etwa hat in diesem Zusammenhang festgestellt: "In dem Fruchtziehungsrecht besteht gerade der Hauptvorteil, den der Empfänger aus dem Vorempfang zieht..."109 9.3 In der Praxis zeigt sich denn auch immer wieder die grosse Bedeutung, welche die Beteiligten der Frage nach der ausgleichungsrechtlichen Berücksichtigung von Erträgen ausgleichungspflichtiger Zuwendungen beimessen. Piotet hat darauf hingewiesen, dass die Summe der 104 Vgl. bei Fn. 13 hievor. 105 Nicht anders verhielte es sich (regelmässig; vgl. Nr. 4.2 hievor), wenn X die T nachträglich von der Ausgleichungspflicht dispensiert hätte; damit ist auch gleich eingeräumt, dass sich die Zahl der möglichen Konstellationen noch erheblich erweitern liesse. 106 Vgl. dazu und zum Folgenden Eitel, Berner Kommentar, N. 2, 40 ff. zu Art. 630 ZGB (mit den Nachweisen). 107 A.M. Winistörfer, ZStP Band 162, 187; vgl. auch Gass, BJM 2001, 240 f. 108 Vgl. Piotet, SPR IV/1, 295 f. 109 Escher, Zürcher Kommentar, N. 43 zu Art. 626 ZGB. Ausdruckseite 22 von 24 ZBJV 142/2006 S. 457, 491 bezogenen Erträge eines Kapitals gut und gerne der Summe dieses Kapitals selber entsprechen könne110. Bezogen auf das eingangs erwähnte Beispiel aus dem Zürcher Kommentar (Nr. 2.2) bedeutet dies: T und S haben aus den erhaltenen Zuwendungen von 10 000 bzw. 30 000 Erträge in Höhe von 10 000 bzw. 30 000 generiert, welche nicht nur S, sondern auch T nicht auszugleichen hat; die Teilungsmasse macht somit nach wie vor 40 000 aus, "unter dem Strich" aber hätte T 30 000, S 80 000. 9.4 Vor diesem Hintergrund tendiert Piotet zur Relativierung eines weiteren Grundsatzes, nämlich desjenigen, wonach - entsprechend dem Subsidiaritätsverhältnis zwischen Ausgleichung und Herabsetzung111 - die Ausgleichung einer Zuwendung ihre Herabsetzung ausschliesse112. Denn die Ausgleichung verhindere die ungerechtfertigte Bereicherung nicht, weshalb die nach Art. 630 Abs. 2 i.V.m. Art. 938 Abs. 1 ZGB nicht auszugleichenden Erträge wohl der Herabsetzung unterstellt werden müssten. Nach dem herabsetzungsrechtlichen Art. 528 Abs. 1 ZGB ist der Zuwendungsempfänger, der "sich in gutem Glauben befindet,... zu Rückleistungen nur insoweit verbunden, als er zur Zeit des Erbganges aus dem Rechtsgeschäfte mit dem Erblasser noch bereichert ist". Eine Regelung zur Erstattungspflicht des bösgläubigen Empfängers der herabsetzbaren lebzeitigen Zuwendung enthält das Gesetz nicht. In der herabsetzungsrechtlichen Lehre wird aber überwiegend die Auffassung vertreten, dass zwischen gut- und bösgläubigem Empfang zu unterscheiden ist und die Art. 62 ff. OR jedenfalls bei gutgläubigem Empfang analog anwendbar sind113. Nach Rechtsprechung und herrschender Lehre zum Bereicherungsrecht hat nicht nur der bösgläubige, sondern auch der gutgläubige Bereicherungsschuldner die bezogenen Früchte zu erstatten, wobei dem gutgläubigen immerhin die Entreicherungseinrede nach Art. 64 OR zusteht114. Nach der herrschenden erbrechtlichen ZBJV 142/2006 S. 457, 492 Lehre ist der gut- wie der bösgläubige Zuwendungsempfänger für die noch vorhandenen Früchte erstattungspflichtig, der bösgläubige auch für die nicht mehr vorhandenen115. 9.5 Bezogen auf das vorliegende Beispiel (Nr. 9.3) bedeutet dies: die von T und S generierten Erträge in Höhe von 10 000 bzw. 30 000 werden allenfalls in die Pflichtteilsberechnungsmasse integriert, welche bspw. 80 000 (70 000 zuzüglich Erträge von T; Variante 1), 100 000 (70 000 zuzüglich Erträge von S; Variante 2) oder 110 000 (70 000 zuzüglich Erträge von S und T; Variante 3) ausmachen könnte, sodass "unter dem Strich" T und S ganz unterschiedlich dastünden (Variante 1: T 30 000 (Pflichtteil), S 80 000 (Rest der Pflichtteilsberechnungsmasse zuzüglich Erträge); Variante 2: T 47 500 (Pflichtteil zuzüglich Erträge), S 62 500 (Rest der Pflichtteilsberechnungsmasse); Variante 3: T 41 250 (Pflichtteil), S 68 750 (Rest der Pflichtteilsberechnungsmasse)). 9.6 Es liegt somit auf der Hand, dass die Relativierung des Grundsatzes, wonach die Ausgleichung einer Zuwendung die Herabsetzung derselben ausschliesst, zu zusätzlichen Komplikationen führt. M.E. rechtfertigt es sich jedoch nicht etwa nur deshalb nicht, die Erträge ausgleichungspflichtiger Zuwendungen der Herabsetzung zu 110 Vgl. Piotet, ZSR 103 (1984) I, 109 f. 111 Vgl. bei Fn. 14 hievor. 112 Vgl. dazu und zum Folgenden Piotet, ZSR 103 (1984) I, 109 f.; im Anschluss an Piotet dezidierter für dessen These Spahr, FS Steinauer, 59 (Fn. 4); Vollery, AISUF 134, N. 341 ff., 377. 113 Vgl. Forni/Piatti, in: Basler Kommentar, N. 4, 8 zu Art. 528 ZGB; Spahr, AISUF 135, 278 ff., 282 ff. 114 Vgl. nur Ingeborg Schwenzer, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. Bern 2003 (im Folgenden: OR AT), N. 58.04, 58.11 ff. (mit dem Hinweis, dass der sich daraus ergebende Widerspruch zu Art. 938 Abs. 1 ZGB jedenfalls bei synallagmatischen Verträgen mit einer restriktiven Auslegung desselben aufzulösen sei); nur für die Erstattungspflicht des bösgläubigen Bereicherungsschuldners namentlich Piotet, ZSR 103 (1984) I, 113 f. (mit dem Hinweis, dass dadurch die Analogie zu Art. 938 Abs. 1 ZGB hergestellt sei). 115 Vgl. Forni/Piatti, in: Basler Kommentar, N. 5, 8 zu Art. 528 ZGB. Ausdruckseite 23 von 24 unterstellen. Zwar geht es bei der Ausgleichung um die Verwirklichung des Gleichheitsprinzips. Offenbar ist es nun aber so, dass nicht einmal das Ausgleichungsrecht selber dieses Prinzip strikt und gleichsam "um jeden Preis" umsetzen will (dem entspricht zum einen, dass übliche Gelegenheitsgeschenke nach Art. 632 ZGB und nach klar herrschender Meinung unentgeltliche Kleinzuwendungen schlechthin der gesetzlichen Ausgleichung nicht unterliegen; und zum andern, dass auch bei der Erziehungskostenausgleichung nach Art. 631 Abs. 1 ZGB, und zwar erst recht nach der Mehrheitsauffassung, mitunter sogar besonders stark ins Gewicht fallende Ungleichheiten resultieren können116. Ebenfalls um die Herstellung von Gleichheit geht es bei der Herabsetzung, aber eben in (sozusagen "nochmals") ZBJV 142/2006 S. 457, 493 vermindertem Ausmass117. All dies erst einmal unterstellt, leuchtet es somit nicht recht ein, weshalb das Herabsetzungsrecht "Ungleichheiten" korrigieren sollte, welche ja sogar das dem Gleichheitsprinzip stärker verpflichtete Ausgleichungsrecht gewissermassen "gerade noch" zulässt bzw. vorsieht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Ausgleichungsschuldner der Lehre zufolge zwar analog Art. 939 Abs. 1 und 2 ZGB Anspruch auf Verwendungsersatz hat, aber die Anrechnung der bezogenen Früchte auf seine Forderung dulden muss118. Im Ergebnis hat es somit dabei zu bleiben, dass das Ausgleichungsrecht insoweit, als es lebzeitige Zuwendungen erfasst, die relevanten Interessen der (allenfalls pflichtteilsberechtigten) Miterben selbst unter dem Gleichbehandlungsaspekt abschliessend ausbalanciert119,120. 10. Schluss: Ausgleichungs- und Herabsetzungsrecht im Spannungsfeld zwischen Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit 10.1 Einige der angeführten Beispiele mögen nicht zuletzt auch zeigen, dass durchaus offen sein kann, ob das, was (m.E.) bei der erbrechtlichen Berücksichtigung (unentgeltlicher) lebzeitiger Zuwendungen im Wege der Ausgleichung oder Herabsetzung "unter dem Strich herauskommt", regelmässig mit den Erwartungen konkreter Beteiligter und namentlich konkreter Erblasser übereinstimmen wird. Entsprechend wäre der Einwand verständlich, dass vom "gewöhnlichen" Erblasser nicht erwartet werden könne, er werde alle möglichen und "unmöglichen" Entwicklungen vorsorglich bedenken und auch sachgerecht regeln. Dies gilt vorab dann, wenn für den Erblasser ZBJV 142/2006 S. 457, 494 zum Vornherein nur beschränkte Einflussmöglichkeiten bestehen, wie etwa (neben der hier gar nicht behandelten Unvorhersehbarkeit von Veränderungen des Wertes relevanter Vermögensgegenstände, seien diese nun unter Lebenden übertragen worden oder nicht) in Bezug auf das Verhalten von Zuwendungsempfängern. 116 Vgl. Eitel, Berner Kommentar, N. 14 der Vorbemerkungen vor Art. 626 ff. ZGB. 117 Vgl. bei Fn. 11 hievor. 118 Vgl. Eitel, Berner Kommentar, N. 60 zu Art. 630 ZGB; je nachdem gilt dies freilich auch im Bereicherungsrecht nach Art. 65 OR bzw. im Herabsetzungsrecht nach Art. 528 Abs. 1 ZGB; vgl. nur Schwenzer, OR AT, N. 58.25 f. bzw. Forni/Piatti, in: Basler Kommentar, N. 4, 8 zu Art. 528 ZGB. 119 Dem entspricht es in der Tendenz (vgl. Vollery, AISUF 134, N. 341 ff. (insbesondere Fn. 384)), wenn Piotet den gutgläubigen Herabsetzungsschulder (entgegen der herrschenden Auffassung; vgl. soeben Fn. 114) nicht für die bezogenen Erträge einstehen lassen will und zudem postuliert (ZSR 103 (1984) I, 105 f.), Bösgläubigkeit sei nicht leichthin anzunehmen. 120 Offen bleiben soll hier, ob der Zuwendungsempfänger, welcher erbt, aber der Ausgleichung entgeht, herabsetzungsrechtlich nicht schlechter gestellt werden dürfe, als dies ausgleichungsrechtlich der Fall wäre. Ausdruckseite 24 von 24 10.2 Füglich fragen kann man sich aber auch, ob wenigstens das, was aufgrund einer blossen Anwendung der massgebenden, im Gesetz mehr oder weniger klar verankerten Prinzipien und Einzelregelungen als "wirtschaftliches Endergebnis" herauskommt, den "Rechtsunterworfenen" in der Tat regelmässig einleuchten wird. Wie weit auf diesem Hintergrund Modifikationen in der Umsetzung des geltenden Ausgleichungs- und/oder des geltenden Herabsetzungsrechts zulässig oder gar geboten sind, ist eine noch grundsätzlichere Frage, welche ein weiteres Spannungsfeld aufbaut, nämlich dasjenige zwischen Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit als zwei Polen der Gerechtigkeitsidee121. 121 Vgl. dazu einlässlicher Eitel, ASR 613, §§ 38 f. - Ein anschauliches, aktuelles Beispiel für die angesprochene Problematik ergibt sich nunmehr auch aus (dem bereits mehrfach erwähnten (vgl. Fn. 4, 28, 50 und 53 hievor)) BGE 131 III 49 ff., und zwar mit Blick auf die Diskussion um die objektive oder subjektive Auslegung von Art. 527 Ziff. 1 ZGB (vgl. Ziff. 4 hievor). Das Bundesgericht hat Art. 527 Ziff. 1 ZGB bis anhin konstant objektiv ausgelegt, sodass z.B. Zuwendungen des Erblassers an Nachkommen mit ausdrücklichem Erlass der gesetzlichen Ausgleichung nach Art. 626 Abs. 2 ZGB durch den Erblasser (auch) unter den Herabsetzungstatbestand der Ziff. 1 von Art. 527 ZGB fallen, wovon Dritte, nämlich die Pflichtteilsberechtigten, profitieren (vgl. zuletzt BGE 126 III 171 ff. bzw. die Hinweise bei Schnyder (Fn. 53 hievor); sowie für eine "Relativierung" der Auswirkungen der unterschiedlichen Ansätze namentlich Zoller, ZStP Band 141, 113 ff.). In BGE 131 III 49 ff. hat das Bundesgericht nun in einer anderen Konstellation, aber doch wiederum mit Blick auf Dritte, nämlich die Gläubiger eines zahlungsunfähigen Erblassers, entschieden, dass bei durch den Erblasser ausgleichungsbefreiten lebzeitigen Zuwendungen an Nachkommen nicht auch im Sinne des Art. 579 Abs. 1 ZGB von Zuwendungen die Rede sein könne, welche "bei der Erbteilung der Ausgleichung unterworfen sein würden", sodass die ausschlagenden Erben den Gläubigern des Erblassers auch insoweit nicht haften. Daraus ist m.E. auf dem Hintergrund der Diskussion um die Tragweite von Art. 527 Ziff. 1 ZGB zu folgern, dass Art. 579 Abs. 1 ZGB subjektiv auszulegen ist; und dies vorausgesetzt, stellt sich nunmehr die Frage, inwiefern die (bisher konstant) objektive Auslegung von Art. 527 Ziff. 1 ZGB sich mit der (aktuell) subjektiven Auslegung von Art. 579 Abs. 1 ZGB überhaupt noch "verträgt" (vgl. dazu weiterführend Paul Eitel, Was lehrt uns BGE 131 III 49 auch noch? Ergänzende Hinweise im Anschluss an die Urteilsanmerkungen von Thomas Weibel in Jusletter 18. April 2005, in: Jusletter 10. April 2006, passim).