Filmische Darstellung - Freiherr-vom-Stein
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Filmische Darstellung - Freiherr-vom-Stein
Freiherr – vom – Stein – Schule 1 ( Stanley Kubrick ) Thema: Filmische Darstellung von Moralkonflikten bei Kubrick und Scorsese 2 ( Martin Scorsese ) Name : Christian Nink Fach : Deutsch Lehrer: Herr Krüger Hessisch Lichtenau, den 05.05.2004 1 2 Titelbild: Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.151 1 Inhaltsverzeichnis: 1. 2. Vorwort Beschreibung der Regisseure 1. 3. 2 Stanley Kubrick 3 2. Martin Scorsese 4 Vergleich 1. Filmische Mittel und Bildsprache 6 2. Inhalt der Filme 9 3. Wirkung 17 4. Nachwort 19 5. Literaturverzeichnis 21 6. Anhang 2 1. Vorwort Das Thema meiner Jahresarbeit lautet „Filmische Darstellung von Moralkonflikten bei Kubrick und Scorsese“. Ich möchte mich mit diesem Thema beschäftigen, weil ich in meiner Freizeit sehr stark durch Filme geprägt wurde. Ich finde es immer wieder bewundernswert Filme zu sehen, die die allgemeinen, gesellschaftlichen Probleme so klar und deutlich ausdrücken, ohne dabei einen großen Wert auf ausgefeilte Dialoge zu legen. Von besonderen Interesse ist mir hierbei die Bildsprache. Sie verdeutlicht die Absichten eines jeden Regisseurs3 über dessen Filme und fördert sogleich die Wirkung auf den jeweiligen Rezipienten4. Neben den Instrumenten für einen Film spielt für mich auch das Thema eine große Rolle. Durch meinem Interesse zum Film bin ich zwangsläufig auf Kubrick und auf Scorsese gestoßen. Mein erster Scorsese Film war „Taxi Driver“ und mein erster Kubrick „ A Clockwork Orange“. In beiden Filmen hat der Hauptdarsteller immer mit Kontroversen5 zu kämpfen und versucht sich zudem noch in der Gesellschaft zu profilieren. An Kubricks Filmen schätze ich besonders den Konflikt zweier Gegenpole und an Scorseses die gesellschaftlichen Normen gepaart mit brutaler Gewalt. Diese aufgeworfenen Probleme, die ich unter Moral verstehe, haben mein Interesse geweckt, mich mit diesem Thema noch weiter auseinander zu setzen. Auf den 3 4 5 Jemand, der die Filme macht Zuhörer, Betrachter oder Leser eines Musikstücks, eines Films oder eines Textes Streitfragen und starke Auseinandersetzungen 3 folgenden Seiten möchte ich mich nun mit der Moral Kubricks und Scorseses anhand ihrer Filme und auch ihres persönlichen Werdegangs beschäftigen. Ich werde versuchen, Kubricks und Scorseses Weltanschauung auf ihre Filme zu transferieren, Veränderungen vielleicht feststellen und die Regisseure untereinander zu vergleichen. Die hauptsächlich zu untersuchende Frage ist für mich, mit welchen Mitteln der Regisseur seine Moralvorstellungen in seinen Filme umsetzt und wie diese dem Rezipienten vermittelt werden. 2.1 Beschreibung von Stanley Kubrick Stanley Kubrick war im Gegensatz zu Martin Scorsese ein eher medienscheuer Mensch. Der im Jahre 1928 geborene Amerikaner 4 mied den Presserummel von Beginn an seiner Karriere und widmete sich komplett seiner Leidenschaft: dem Filme Machen. Stanley Kubrick war in seinen frühen Jahren kein gewöhnliches Kind. Die Schule interessierte ihn nicht besonders und auch an den gewöhnlichen Kinderspielen konnte er sich nicht erfreuen. Meist sah man ihn ein Buch lesen oder er verfolgte seiner damaligen Lieblingsbeschäftigung, der Photografie. Mit 16 Jahren gelang ihm der erste künstlerische Durchbruch. 1 Tag nach dem Tot des damaligen Präsidenten Roosevelt schoss Kubrick das Foto eines traurigen Zeitungsverkäufers und erhielt daraufhin eine Stelle als Fotograf bei einer bekannten Zeitschrift. Mehr und mehr interessierte er sich für die Filmkunst. Durch kleine Dokumentarfilme und der Photographie finanzierte sich Kubrick 1953 seinen ersten Film: „Fear and Desire“. Zu dieser Zeit verstand er noch nicht viel von Filmen und von Schauspielerei, doch durch seinen Blick für schöne Bilder, den er sich durch die Photografie angeeignet hatte, waren seine ersten Aufnahmen phänomenal. „Fear and Desire“ machte Kubrick in der Filmbranche bekannter, so dass es ihm immer leichter fiel, Sponsoren für seine Filme zu finden. „Stanley Kubrick war nicht sonderlich gebildet, aber sehr smart. Seine Zielstrebigkeit beeindruckte mich. Er hatte Visionen.“6 Diese Zielstrebigkeit verhalfen ihm zu immer weiteren Dimensionen des Filme Machens. „All diese furchtbar schlechten Filme, die ich mir angesehen habe, vermitteln mir das größte Vertrauen in mein 6 Paul Mazursky, Stanley Kubrick – A life in picture 5 Vorhaben, eigene Filme zu drehen. Ich saß jedes Mal da und dachte: Ich habe überhaupt keine Ahnung von Filmen, aber ich weiß, dass ich einen Film machen kann, der besser ist.“7 In seinen weiteren Filmen, in denen er sich immer mehr zum unabhängigen Regisseur entwickelte, zeigte sich nun immer stärker der geniale Geist Kubricks. Sein Perfektionismus, der ihm des öfteren herbe Kritiken der Produktionsfirmen einbrachte, ging so weit, dass der Dreh eines Filmes über mehrere Jahre ging. Martin Scorsese sagte darüber: „Ein Film von ihm ist 10 andere Wert.“8 Doch trotz der Begeisterung für Kubrick waren die Meinungen über ihn immer geteilt. Die einen liebten seine Filme und die anderen verließen wie im Beispiel von „2001 – A Space Odyssey“ reihenweise das Kino. Die Presse betitelt ihn als „geheimnisvoll, zurückgezogen, verrückt, eine Legende, größenwahnsinnig und als besessen.“9 Steven Spielberg beschrieb ihn einmal als „ein großes Geheimnis. So ein Mensch ist einfach anders als wir“10, oder Tom Cruise, der selber in „Eyes Wide Shut“ mitspielte, beurteilt seine Filme als „extrovertiert und bereit, Konventionen zu brechen.“11 Doch die geteilten Meinungen über seine Werke machten ihm zunehmend zu schaffen. Auf Grund von Jugendbanden, die ihre Gewaltexzesse durch Kubricks „A Clockwork Orange“ rechtfertigten, schob die Presse ihn immer weiter ins Abseits. Diese Diskrepanzen über seine Filme führten zu „seinem Zynismus und dem tiefen Misstrauen gegenüber der Gesellschaft 7 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.13 Martin Scorsese, Stanley Kubrick – A life in picture 9 Stanley Kubrick- A life in picture 10 Steven Spielberg, Stanley Kubrick – A life in picture 11 Tom Cruise, Stanley Kubrick – A life in picture 8 6 und sind Gründe dafür, dass er sich immer wieder von der Gesellschaft abkapselt.“12 Als Familienmensch und als Freund wird Stanley Kubrick als einen „liebenswürdiger, intelligenten Mann bezeichnet, doch als Regisseur beschreibt man ihn als penibel, perfektionistisch und als jemand, den man manchmal gerne umbringen würde.“13 „Der Kritiker David Denby verglich Kubrick mit dem Monolithen aus 2001: Odyssee im Weltraum (2001: A Space Odyssey): eine Quelle übernatürlicher Intelligenz, die in großen zeitlichen Abständen als schriller Ton auftaucht, um die Welt auf die nächste Stufe der Evolution zu befördern.“14 2.2 Beschreibung von Martin Scorsese „Martin Scorsese, als Enkel italienischer Einwanderer in New York aufgewachsen, ist einer der leidenschaftlichsten und erfindungsreichsten Regisseure des neueren amerikanischen Kinos.“15 Im Jahre 1942 erblickte Martin Scorsese in New York das Licht der Welt. Seit seiner Kindheit ist sein Leben als auch sein filmischer Werdegang von zwei Gegenpolen beeinflusst: „Seine Erziehungserfahrungen mit einem restriktiven Katholizismus haben sein Schaffen geprägt und seine Kindheit und Jugend in New Yorks Little Italy haben seine Themen bestimmt.“16 „Das Viertel war sehr gewalttätig. Es gab 12 http://www.prisma-online.detvperson.htmlpid=stanley_kubrick Malcom McDowell, Stanley Kubrick – A life in picture 14 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.10 f. 15 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.2 16 http://www.dasfilmarchiv.descorsese.html 13 7 Gangs und Schlägereien. Sie konnten jeden Moment ausbrechen. Mitten in der Nacht konnte man alle Schlägereien und Gewalttätigkeiten hören. Man zog die Jalousie herunter und legte sich wieder schlafen, denn < es ging dich nichts an >.Im Fall, daß du den Mund aufmachtest, würdest du der nächste sein. Die Leute lebten mit dem Schwert und kamen durch das Schwert um. Aber die Leute fühlten sich sicher dort, weil man sich um seine eigenen Dinge kümmerte.“17 Um dieser brutalen Alltagswelt zu entfliehen, begann Scorsese, sich für das Kino zu begeistern. Er war einer dieser typischen kleinen Jungen, die die Leinwand über alles liebten. Der Kontrast zur Straße, die die Armut der Einwanderer wiederspiegelt, war seine einzige Hoffnung auf ein besseres Leben. „Morgens auf dem Weg zur Schule sah ich immer wieder Penner, die mit abgebrochenen Flaschen aufeinander losgingen. Überall Blut auf dem Boden. Ich musste dem Blut und den Flaschen ausweichen – und ich war gerade erst acht.“18 Außer dem Kino spielte die Religion für Martin Scorsese eine große Rolle. Bevor er sein Filmstudium begann, war er Ministrant und zog es auch in Betracht Priester zu werden. „Ich wurde Ministrant, weil ich das Ritual liebte, die Chance, jenem besonderen Moment nahezusein, wenn Gott auf dem Altar herunterkam.“19 „Scorsese wollte einmal Priester werden, aber man habe ihn rausgeschmissen; etwas Religiöses wäre bei ihm noch vorhanden, "eine Art ritueller Erfahrung in der Messe. Christus kommt herab und sagt: Du 17 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.13 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S. 18 19 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.19 18 8 sollst keine Lämmer mehr töten".“20 Durch sein Filmstudium bekam er natürlich leichter Kontakte zu diversen Produzenten, die so auf sein Talent aufmerksam wurden, und so dauerte es nicht lange, bis seine ersten Filme auf den Markt kamen. Trotz seines Filmdebüts 1968 mit „Wer klopft denn da an meine Tür?“ gelang ihm erst 1976 mit „Taxi Driver“ sein internationaler Durchbruch. Mit dem Hauptdarsteller Robert De Niro, den er kurz vor ihrem ersten gemeinsamen Film „Hexenkessel“ kennen lernte, entwickelte sich bis zu dem heutigen Tage eine sehr gute Freundschaft, die sie mit bis jetzt 6 gemeinsamen Filmen krönen. Scorsese ist einer von den Regisseuren, die in ihren Filmen ihre Vergangenheit verarbeiten. In bisher allen seinen Filmen spielt entweder Gewalt, Religion oder beides gepaart eine große Rolle. „Meine Filme sind sehr persönlich. Ich mache keine Thriller oder Genrefilme.“21 „Martin Scorseses Helden sind kleine Leute, die sich ohnmächtig gegen Unrecht und Gewalt auflehnen. Meist erkennen sie zu spät, dass sie keine Chance haben, lassen sich aber nicht beirren. In den Figuren liegt auch etwas von religiös missionarischen Fanatismus.“22 20 http://www.prisma-online.detvperson.htmlpid=martin_scorsese Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.141 22 http://www.prisma-online.detvperson.htmlpid=martin_scorsese 21 9 3.1 Filmische Mittel und Bildsprache Alle Kubrick Filme handeln von zwei Gegenpolen. „Gut und Böse, Liebe und Hass, Sex und Gewalt, Begehren und Angst, Treue und Betrug – alle zentralen Figuren in seinen Filmen ringen mit diesen innerlichen Kräften“23, wobei es in jedem Film eigentlich hauptsächlich um Gut und Böse dreht. „Von Natur aus läuft bei der menschlichen Persönlichkeit etwas falsch. Es gibt darin eine böse Seite.“24 „Stanleys Ansichten über die Natur des Menschen war sehr, sehr düster.“25 Zum Ausdruck bringt er diese Ansicht durch die Unmenschlichkeit wie in „Wege zum Ruhm“, „Dr. 23 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.9 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.9 25 Stanley Kubrick- A life in picture 24 10 Seltsam – Oder: wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, „A Clockwork Orange“ oder in „Full Metal Jacket“. Jack Nicholson sagte darüber einmal:„Er hatte eine sehr klare Weltanschauung und eine unterkühlte Ansicht von der Menschheit“26 und Nicole Kidman beschrieb seine Ansicht über den Menschen „als süße – herbe Mischung.“27 Um diese Überzeugungen in seinen Filmen zu veranschaulichen, ließ sich Kubrick beim Drehen viel Zeit. Oft drehte er eine Szene bis zu 50 mal am Tag und das solange, bis er sie für perfekt hielt. Die angesetzte Drehzeit für „Eyes Wide Shut“ war zum Beispiel 18 – 20 Wochen, doch insgesamt dauerte es über ein Jahr. „Er bereitete Filme manchmal jahrzehntelang vor, drehte oft jahrelang und ließ einzelne Einstellungen so häufig wiederholen, bis Produzenten wie Schauspieler Opfer fortgeschrittener Zelluloitis wurden.“28 Doch bekannt ist Stanley Kubrick für die Sprache seiner Bilder. Selbst die brutalsten Szenen, die unmenschlichsten Handlungen und die skrupellosesten Intrigen lässt der Regisseur durch seinen geschickten Umgang mit dem Licht und dem Schnitt zwischen den Szenen zu einem warmen Bild entstehen. Die scheinbar endlos langen Kamerafahrten vom Geschehen hinweg bringen eine gewisse Distanz zur Hauptfigur. In „A Clockwork Orange” sieht man zuerst das Bild der Hauptfigur „Alex“ und dann bewegt sich die Kamera immer weiter von ihm weg, bis der Raum indem er sich befindet komplett erschlossen ist. „Die Anfangseinstellungen der Filme dauern exakt so lange, bis Kubrick die Räume auf die nötige 26 Jack Nicholson, Stanley Kubrick- A life in picture Nicole Kidman, Stanley Kubrick- A life in picture 28 Beier, Lars-Olav; Stanley Kubrick; Dieter Bertz Verlag Berlin 1999; S.7 27 11 Gefühlskälte heruntertemperiert hat.“29 „Ich bewege die Kamera sehr gerne. Das gehört zu den Grundelementen der Filmsprache. Wenn du die Mittel und das passende Set hast, macht das die Arbeit nicht nur visueller interessanter, die Kamerabewegung erlaubt den Darstellern auch, in längeren, möglicherweise vollständigeren Einstellungen zu arbeiten. Das erleichtert ihnen die Aufrechterhaltung von Konzentration und Gefühl.“30 Die Distanzierung zu den Darstellern geht soweit, dass man seine Gefühle in eine Richtung lenkt, die eigentlich total absurd ist. „In PATHS OF GLORY (1957) überwiegt noch indem Moment, als die drei zu Unrecht vom Kriegsgericht verurteilten Soldaten standrechtlich erschossen werden, der Haß auf die dafür verantwortlichen Generäle.“31 In „Full Metal Jacket“ empfindet man kein Mitleid, als die Vietkongs die amerikanischen Soldaten erschießen, da sie im ersten Teil des Films nicht als Menschen, sondern als Maschinen dargestellt werden. Am Ende von „A Clockwork Orange“ hingegen empfindet man für den resozialisierten „Alex“ sogar noch Mitleid und verabscheut sogleich die dafür verantwortliche Gesellschaft. „Stanley Kubrick ist ein Meister wenn es um den Ausdruck von bewegten Bildern geht.“32 In seinen Film setzt er nicht so viel Wert auf ausgefeilte Dialoge sondern erzählt hauptsächlich die Geschichten in Monologen. Die Offensichtlichkeit der für Kubrick wichtigen Kritikpunkte beschrieb Steven Spielberg so: „Ein Künstler vor 29 Beier, Lars-Olav; Stanley Kubrick; Dieter Bertz Verlag Berlin 1999; S.11 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.46 31 Beier, Lars-Olav; Stanley Kubrick; Dieter Bertz Verlag Berlin 1999; S.12 f. 32 http://www.outknocked.desubskritikfilmclockwork.php#top 30 12 einer leeren Leinwand beginnt oft mit sehr dünnen, detaillierten Bleistiftstrichen. Ich glaube, Stanleys Prinzip war es eher, seine Ideen mit dicken Pinselstrichen in Primärfarben herauszuschlagen.“33 Neben der Kamera ist unter Kubrick die Musik als ein neues erzählendes Instrument des Films entstanden. „In seinen Filmen hat Stanley Kubrick Bilder und Musik so ausgeklügelt verschmolzen, dass aus den beiden Ebenen immer ein neues Ganzes und etwas ganz Neues entstand. Ein höchst komplexes Drittes (über das ganze Dissertationen verfasst wurden, wie jene des deutschen Musikwissenschaftlers Gerrit Bodde zum Beispiel).“34 Am Häufigsten benutzte er die bereits vorhandene klassische Musik als Kontrast zur Geschichte. In „A Clockwork Orange” hört die Hauptfigur Alex die neunte Symphonie von Ludwig von Beethoven, nachdem er tagsüber seine Gewaltexzesse an unschuldigen Menschen ausübte. In „2001 – A Space Odyssey“ geht er sogar noch weiter. Er verwendet den Strauss-Walzer als Symbol für die ständige Rotation der Raumschiffe direkt nach dem Schnitt zum ersten Teil des Films, als Kubrick uns Menschen wieder zurück in die Steinzeit versetzte. Als ein Affe, der die Nutzbarkeit des Knochens erkannte, diesen in die Höhe wirft, gibt es einen Schnitt und Kubrick katapultiert die Menschen in die Zukunft und untermauert dies mit dem Strauss-Walzer. „...[Der] Film bewegt sich auf einer Ebene, die der Musik und der Malerei ähnlicher ist als dem geschriebenen Wort, und natürlich bieten Filme die 33 34 Steven Spielberg, Stanley Kubrick – A life in picture http://www.wienerzeitung.atframelesslexikon.htmID=11077 13 Gelegenheit, komplexe Konzepte und abstrakte Inhalte zu vermitteln, ohne wie üblich von der Sprache abhängig zu sein.... In zwei Stunden und 40 Minuten Film [in 2001] gibt es nur 40 Minuten Dialog.“35 36 (Benutzung der gerade erlangten Intelligenz) „In "Eyes Wide Shut" spielt Ligetis Musica Ricercata II neben den Stars Nicole Kidman und Tom Cruise die musikalische Hauptrolle.“37 „Die Titelmusik zum Beispiel, die Wendy Carlos und Rachel Elkind für Stanley Kubricks "The Shining" komponiert haben, macht von allem Anfang an klar, worauf die Kinobesucher sich einzustellen haben: Sie sehen zwar Bilder einer grandiosen Landschaft in Colorado, die allemal zu einem aufwendigen Naturfilm gehören könnten, zugleich hören sie aber, was sie zu fühlen haben.“38 Kubricks verwendete Musik impliziert dem Rezipienten genau die Gefühle, die Kubrick ihm auch vermitteln will. Sie hilft dem Zuschauer dabei, die Hauptfigur oder die Handlungen charakterlich besser einordnen zu können. 35 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.107 Standbild aus dem Film „2001 – A Space Odyssey“ 37 http://www.wienerzeitung.atframelesslexikon.htmID=11077 38 http://www.wienerzeitung.atframelesslexikon.htmID=11077 36 14 Außerdem sucht man in Kubricks Filmen einen Höhepunkt vergeblich. Er ist kein Vertreter der typischen Spannungskurve wie wir sie in fast jedem anderen Film kennen. Zudem stellt er bei vielen seiner Filme eine Verbindung auf seinen nächsten, oder auf seinen vorherigen Film her. Zwischen „2001“ und „A Clockwork Orange“ beginnt der Anfang mit dem Ende des vorherigen Films und zwischen „A Clockwork Orange“ und „Barry Lyndon“ lässt die Kleidung der Leute in „Alexs“ Träumen darauf schließen, dass Kubrick schon wusste, was sein nächstes Projekt sein würde. Martin Scorsese Filme sind sehr persönlich. In ihnen verarbeitet er seine komplette Jugend und sein momentanes Wohlbefinden. Scorsese steht seit seiner Geburt an immer zwischen zwei wesentlichen Punkten: der Gewalt und der Religion. Als kleiner Junge musste er die Gewalt auf den Straßen miterleben und als Ausweg betrachtete er das Kino und die Religion. Diese beiden Punkte sind in allen seiner Filme ein wichtiger Bestandteil. „Ich bin mit ihnen groß geworden, mit den Gangstern und den Priestern. ... Und jetzt, als Künstler, bin ich irgendwie beides: Gangster und Priester.“39 Seine Hauptfiguren lassen Affinitäten auf den Regisseur selbst schließen. Zu „Taxi Driver“ sagte er selbst: „Der ganze Film basiert sehr stark auf Eindrücken von meinem Heranwachsen und späteren Leben in New York.“40 Es ist der ständige Kampf zwischen dem eigenen Denken und dem der Gesellschaft. Scorsese beschreibt diesen Kampf als hoffnungslos, 39 40 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.21 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.69 15 schenkt der Hauptfigur jedoch immer eine kleine Hoffnung. Hier gibt es kleine Parallelen zu Kubrick, der uns in Gefühlsrichtungen lenkt, die wir, sobald man darüber nachdenkt, als absurd abstempeln. Martin Scorsese vertauscht im Fall von „Taxi Driver“ unser Bild von Hoffnung. Dem zurückgezogenen, seltsamen Kriegsveteran „Travis“ schenkt Scorsese zwei Möglichkeiten zur Lösung seines Problems über den „Abschaum“ der Gesellschaft. Die naheliegendere Lösung wäre eine hübsche Wahlhelferin, die ihn wieder in die Gesellschaft integrieren könnte, jedoch nicht seine Vorliebe zu Pornokinos teilen kann und sich deshalb für die junge Prostituierte „Iris“ entscheidet, indem er sie aus dieser Branche durch Mord befreit, und später, jedoch unbewusst, als Held gefeiert wird. Ein anderes, typisches Markenzeichen von Scorsese ist die „flüssigere Kameraarbeit“41 Mit dieser ist es ihm gelungen, die Grenzen zwischen Surrealismus und Realismus klar zu definieren. In „Wie ein wilder Stier“ ist ein Kampf verschwommen aufgenommen worden, so dass der Zuschauer den Eindruck bekommt, dass alles nur Traum wäre. Im Gegensatz dazu sind andere Kämpfe so realistisch nachgestellt worden, dass man sich selbst in seinem Film wieder erkennt. 3.2 Inhalt der Filme 41 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.71 16 „Es ist ein manichäischer Blick auf das Universum, der sagt, dass die Welt nicht von Gott, sondern vom Ringen der guten und bösen Mächte um die Vorherrschaft erschaffen wurde.“42 Jeder einzelne Kubrick Film hat diese beiden Elemente in sich, doch werden sie nicht immer gleich dargestellt, sondern aus einer anderen Perspektive. In „A Clockwork Orange“ und in „Lolita“ geht jeweils um eine Person, deren Ansichten im Konflikt zur Gesellschaft stehen und in „Barry Lyndon“ und „Eyes Wide Shut“ stehen die Hauptfiguren im Konflikt mit ihrer Entwicklung oder mit Gegenspielern wie in „Lolita“. Jedoch lässt Kubrick ihnen immer die Wahl, sich selber für eine dieser beiden Seiten zu entscheiden. In „Paths of Glory“ steht Colonel Dax auch vor dieser Entscheidung. Entweder er gehorcht seinen „bösen“ Vorgesetzten und befielt, die ausgewählten Soldaten zu ermorden, oder er entscheidet sich für seine „gute“ Truppe und stellt sich gegen seine Vorgesetzten. Die Hauptfiguren ringen mit beiden Möglichkeiten und entscheiden letztlich nachdem, was ihnen am Besten entspricht. Kubrick demonstriert damit die Widersprüche, die jeder in sich trägt aber eigentlich doch nicht besitzen will. „Alex“, die Hauptfigur in „A Clockwork Orange“, ist am Anfang der Geschichte ein brutaler, sexbesessener, junger Mann der jedoch die neunte Symphonie von Beethoven liebte. Hier ist der Widerspruch von Gut und Böse in einer Person am Besten dargestellt. Als „Alex“ kurz nach einen seiner gewalttätigen Exzesse festgenommen und ihm im Gefängnis das Angebot zur 42 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.9 17 Resozialisierung unterbreitet wird, nimmt „Alex“ dieses sofort an. Nach seiner Heilung kommt der „gute“ „Alex“ wieder zurück in die Gesellschaft und ihm wiederfährt genau das, was er vor seiner Heilung anderen Menschen alles angetan hat. Gut und Böse haben hier wieder die Rollen getauscht. „Alex“ geht als Produkt einer guten Gesellschaft hervor und wird so selber gut, sobald er jedoch wieder in die vermeidlich gute Gesellschaft gelangt, rächt sie sich an ihm und wird somit böse. Kubricks Hauptthema scheint sich sogar zwischen seinen Filmen weiterzuentwickeln. Am Ende von „2001 – A Space Odyssey“ sieht man ein Embryo als Sternenkind. „Dieses zarte Gesicht zeigt möglicherweise das wahrhaft Gute, was wir erreichen können“43, und in der Anfangssequenz von „A Clockwork Orange“ sieht man „Alex“, dessen Bösartigkeit zu seiner Natur gehört 44. „2001 – A Space Odyssey“ beginnt mit einer Herde Affen. Sie leben in Nietzsches sogenannten Naturzustand, fern von jeglicher Intelligenz und Erziehung. Als sie plötzlich an einen großen schwarzen Monolithen geraten, verändert sich ihr Zustand. Der Monolith schenkt den Affen eine Art von Intelligenz, indem sie einen Knochen als Werkzeug und als Tötungsmittel einsetzen lernen und somit zum Menschenaffen werden. „Ein Kreislauf kommt in Gang: das Bewusstsein, das Wissen und die eigene Macht und deren Möglichkeiten führt zu Gier. Die Gier nach Beute, nach Territorium, nach Überlegenheit führt wiederum zur bewußten Anwendung von Gewalt. Die Anwendung von Gewalt 43 44 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.11 nach Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.11 18 steigert die Macht und schafft damit Machtbewussstsein ... Der Moonwatcher45 hat die Möglichkeit des Werkzeugs erkannt: Er ist zum bewußt agierenden Menschen geworden.“46 Danach beginnt der zweite Teil des Films. Nach dem berühmten Schnitt, als der Affe seinen Knochen hochwarf, zeigte man das ein ständig rotierendes Raumschiff. Wiederum erscheint ein Monolith mitten auf dem Mond und auch er schenkt den Menschen womöglich Intelligenz, da sie nun erkennen, dass es auch noch fremde Lebewesen existieren müssen. Durch die Strahlungen des Monolithen in Richtung Jupiter begeben sich ein kleine Anzahl ausgewählter Wissenschaftler in dessen Richtung. Mit an Bord ist ein hoch entwickelter Computer namens HAL 9000, der dem Zuschauer als ein sehr intelligentes Wesen mit eigenem Gehirn dargestellt wird. Auf dem Weg zum Jupiter erlangt der Computer über die Besatzung die Kontrolle, doch nur ein Wissenschaftler schafft es zu überleben indem er HAL ausschaltet. 47 (Das Auge des „Menschscomputers“ HAL 900) 45 der Affe mit dem Knochen aus „2001“ Michael Esser; Stanley Kubrick; Dieter Bertz Verlag Berlin 1999; S.135 47 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.118 f. 46 19 Kubrick lässt den Astronauten dann auf dem Weg zum Jupiter in einer Geschwindigkeit fliegen, die laut Albert Einstein gar nicht möglich ist. Die kleine Kapsel, in der sich der Wissenschaftler befindet, scheint sich schneller als die Geschwindigkeit des Lichts zu bewegen. Am Ende seiner Reise befindet er sich jenseits menschlicher Vorstellungskraft und sieht sich selber altern. Kurz vor dem Tot seiner Erscheinung steht der Monolith direkt vor dessen Bett. Nun setzte Kubrick die Idee des Science-Fiction Autors und mit Drehbuchverfasser Arthur C. Clarke um, die beinhaltet, das jeder Mensch im Universum seinen eigenen Stern und somit seine eigene Welt habe. Die Anzahl der Sterne gleichen exakt der auf der Erde insgesamt gelebten Menschen. In Form des Astronauten Bowman lässt Kubrick den Menschen nach seinem Tot als Sternenkind weiterleben, dass mit seinen noch unschuldigen Augen angstvoll auf die Erde herabblickt. Der Monolith steht in diesem Film für eine umwälzende Änderung, die der Menschheit bevorsteht.48 Um „2001- A Space Odyssey“ verstehen zu können, ob man ihn überhaupt verstehen kann oder vielleicht auch gar nicht soll, ist eine andere Frage, muss man wahrscheinlich Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ gelesen haben. Hinweise auf Nietzsche sind alleine schon durch Strauss’ Stück „Also sprach Zarathustra“ gegeben. Es besagt: „Der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss.“49 In „2001“ wird ein scheinbar nicht aufhaltbarere Fortschritt vom einfachen 48 49 nach Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.122 Michael Esser; Stanley Kubrick; Dieter Bertz Verlag Berlin 1999; S.150 20 Knochen bis hin zur (fast) menschlichen Maschine vollzogen. In der realen Welt ist sich Kubrick nicht sicher, ob dieser Fortschritt jemals zu stoppen ist. In „2001“ lässt er jedoch diesen durch den Wissenschaftler Bowman aufhalten, indem es ihm gelingt, „den Knochen wieder aufzufangen“50. Hier erschafft Kubrick wieder die Parallele zu Nietzsche, der den Übermenschen als Kind bezeichnet, indem er Bowman als kleinen Embryo im Universum darstellt. 51 52 (Die Hauptfigur „Alex“ aus „A Sternenkind aus „2001“) Clockwork Orange“.) (Das Sein nächster Film „A Clockwork Orange“ spielt in einer nicht weit entfernten Zukunft Londons. 50 http://www.epilog.deFilm1-92001_Odyssee_im_Weltraum_GB_1968.htm Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.11 52 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.10 51 21 „A CLOCKWORK ORANGE beginnt, wie 2001 endete: mit einem Auge, das die Leinwand füllt.“53 Jedoch verkörpert die Hauptfigur nicht wie das Sternenkind in „2001“ das Gute, sondern das Böse. Der Film beginnt in einer Milchbar, in der sich die Hauptfigur und dessen drei Freunde mental auf den Abend vorbereiten. Diese Abende bestehen aus Gewalt, Sex und Diebstahl. Als die Hauptfigur „Alex“ jedoch eines Abends soweit geht und eine Frau ermordet, gelingt es der Polizei ihn zu überwältigen und ihn für 14 ins Gefängnis zu stecken. Im Gefängnis allerdings bekommt er nach zwei Jahren die Chance, sich von seinen extravaganten Vorlieben in Form einer Therapie zu befreien. „Alex“ nimmt dieses Angebot an und unterzeiht sich der Resozialisierung. In diesem Programm werden ihm zwei Wochen lang Bilder und Filme gezeigt, in denen Gewalt und Sex verherrlicht werden. Am Ende dieses Prozesses ist er soweit, dass er jede Form der Gewalt verabscheut. Zurück auf der Straße wiederfährt ihm jedoch genau das, was er seinen Opfern alles angetan hatte. Von seinen alten Freunden und von einem Obdachlosen wird er zusammengeschlagen und übernachtet daraufhin bei einem seiner Vergewaltigungsopfern, die ihn nach einer kurzen Zeit wiedererkennen und Rache ausüben. Am Ende des Films versucht er sich umzubringen, als dieser Versuch jedoch scheitert, scheint „Alex“ wieder der „Alte“ zu sein, da ihm wieder brutale Gedanken in den Sinn kommen. 53 http://www.medienstudent.destudiclockwork.htm 22 54 ( „Alexs“’ Vorstellungen) Auch dieser Kubrick Film ist wieder bestimmt von Gut und Böse und das auf einer skurrilen Weise. Das Böse benutzt hier das Gute, um sich weiter Inspirationen für dessen kranken Werdegang zu holen. In diesem Falle ist es „Alex“, der sich durch die neunte Symphonie von Beethoven zu weiteren brutalen Exzessen inspirieren lässt. Im ersten Teil des Films weist Kubrick genauso wie in „2001“ auf Nietzsche hin. „Aaron Stern, der frühere Leiter der Quotenbehörde Motion Picture Association of America, der auch ein praktizierender Psychiater ist, hat darauf hingewiesen, das Alex das Unbewusste repräsentiert: ein Mensch im Naturzustand.“55 Im zweiten Teil des Films steht „Alex“ vor Nietzsches Idee des freien Willens. Kurz vor der Therapie „warnt der Kaplan ihn jedoch vor den Verlust des freien Willens: „Wenn ein Mensch nicht mehr wählen kann, ist er kein Mensch mehr.““56 Im dritten Teil geht es um den neuen guten „Alex“ der sich in der Gesellschaft wieder einfügen muss. In all diesen drei Teilen durchzieht sich ein ständiger Wandel von Gut und Böse. Am 54 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.143 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.128 56 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.129 55 23 Anfang sieht man den bösen „Alex“, wie er sich die gute Gesellschaft zu seinem Nutzen in Form der Gewalt macht. Der zweite Teil zeigt den Wandel von Gut und Böse in einer Person unter der Berücksichtigung des freien Willens. Der dritte Teil ist das Gegenteil des Erstens. „Alex“ spielt hier die „gute“ und die Gesellschaft die „böse“ Rolle. Auch Beethovens neunte scheint nicht mehr die fröhliche Musik zu sein, sondern ein böses Grauen für „Alex“. Das Ende würde ich ein bisschen mit dem von „2001“ vergleichen. Nach seinem Selbstmordversuch ist „Alex“ das wiedergeborene Sternenkind, das sich nicht für das Gute, sondern wieder für das Böse entscheidet. „Nach der Ludovico-Therapie ist er „zivilisiert“, und die darauf folgende Krankheit kann als gesellschaftlich bedingte Neurose betrachtet werden.“57 Stanley Kubrick selbst sagte über seinen Film: „Es ist für einen Menschen notwendig, zwischen Gut und Böse wählen zu können, selbst wenn er das Böse wählt. Ihm das zu entziehen hieße, ihn weniger menschlich zu machen – ein mechanischer Mensch bzw. ein Clockwork Orange“58 Man kann nun sagen, das die meisten Stanley Kubrick Filme durch die Entscheidung bzw. der freien Entscheidung über Gut und Böse bestimmt sind. Kubrick sieht sich in seinen Moralvorstellung mit denen von Nietzsches und Rousseau sehr verbunden, wobei sich Rousseaus Erziehungsideen mit Nietzsches Übermenschen sehr stark gleicht. 57 58 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.128 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.136 24 Martin Scorseses Filme sind sehr stark von seinem persönlichem Leben geprägt. „Immer geht es hier um Zwiespalt und Skepsis eines Landes und seiner Bewohner, um Hoffnung auf eine neue Generation. Scorseses Figuren mögen allesamt Gangster sein, sie bleiben doch kleine, miese, erfolglose Existenzen ... und ihnen fehle Selbstbewusstsein und Identität ..“59 Seine eigene Jugend, die durch Gewalt und Religion geprägt ist, transportiert er in seine Hauptfiguren. Jedoch gibt es bei Scorsese in der Umsetzung seiner Filme in Bezug auf Stanley Kubrick einen wesentlicheren Unterschied: Er arbeitet gezielt auf den kommerziellen Erfolg hin, um, wie er es selbst sagt, einen Oscar zu erlangen, wobei Kubrick dieses Ziel niemals verfolgt hat. Das heißt aber noch lange nicht, das Scorsese für seinen Ruhm den schnellsten Weg eingeschlagen hat. „Ein wenig ist es mit dem Filmemachen wie mit den Spielen. Wenn du das Spiel nicht magst, vergiß es! Wenn du nicht um sechs Uhr morgens dasein willst, vergiß es! So früh aufzusein und sich mit den Schauspielern und all den körperlichen Anforderungen herumzuschlagen, ohne wirklich Freude an der Arbeit zu haben – wenn es nicht gerade dein erster oder zweiter Film ist, dann vergiß es!“60 Trotzdem verarbeitet Scorsese in all seinen Filmen einen Teil seiner Lebensgeschichte. „In seinem ersten Film ist Scorsese damit bereits bei einem seiner Themen: der kulturellen Prägung seiner Protagonisten durch die konservativen Wert- und Moralvorstellungen der italienischkatholischen Einwanderergemeinde.“61 In „Hexenkessel“ sind 59 httpwww.prisma-online.detvperson.htmlpid=martin_scorsese Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.108 61 http://www.dasfilmarchiv.descorsese.html 60 25 wieder beide Elemente vereint, Gewalt und Religion. Die Hauptfigur lebt ihr zwischen diesen beiden Brennpunkten. Auf der einen Seite sieht man ihn in der katholischen Kirche und auf der anderen schlägt er wegen ein paar Dollar einen Barkeeper zusammen. „Charlie benutzt andere Menschen, obwohl er denkt, daß er ihnen hilft. Aber indem er das glaubt, ruiniert er nicht nur die anderen, sondern auch sich selbst.“62 Aber eigentlich zieht sich durch jeden seiner Filme diese beiden Punkte. In „Taxi Driver“ ist es mehr die Gewalt und in „Kundun“ mehr die Rituale bzw. die Religion. In seinem christlichsten Film „Die letzte Versuchung Christi“ spielen wieder beide Faktoren eine große Rolle. 63 ( „Travis“ vor dem Mord, „Taxi Driver“) In seinem bekanntesten Film „Taxi Driver“ aus dem Jahr 1976 geht es um den Vietnamveteran „Travis Bickle“, der sich im Laufe des Films vom harmlosen, unscheinbaren Nachbarn zu einem brutalen Massenmörder entwickelt. Er ist ein Mann durchschnittlichen Alters und leidet an Schlaflosigkeit, die er 62 63 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.54 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.72 26 durch nächtliches Taxifahren ausfüllt. Seine Freizeit verbringt er in Pornokinos und sieht das auch als normal an. „Er wurde (wie die meisten von uns) von falschen Werbeversprechen betrogen, von unrealistischer Film- und Fernsehdramaturgie, stimmenhungrigen Politikern, simplen und patenten Moralvorstellungen.“64 „Travis“ ist eine sehr widersprüchliche Figur. Auf der einen Seite verabscheut er den Schmutz der Straße aber auf der anderen geht er nach der Arbeit in Pornokinos und fährt nachts, die Zeit, in der der größte Schmutz zu sehen ist, Taxi. Zur selben Zeit ist in dieser Stadt Wahlkampf. Ein Politiker verspricht mit seinen Slogans den Bürgern mehr Sicherheit und Sauberkeit, ein Thema, das „Travis“ sehr am Herzen liegt und das er dann auch versucht zu unterstützen. In der Wahlkampfhelferin „Betty“ sieht er eine Gleichgesinnte und trifft sie einige Male. Als er jedoch bemerkt, das sie und die Wahlversprechen seinen Vorstellungen gar nicht entspricht und das ihre Arbeiten nur Heuchelei ist, will „Travis“ selbst aktiv werden und den Politiker umbringen. „Ein introvertiertes Dasein als Einzelgänger macht die komplette Frustration nur lebendiger, und der Wille etwas zu tun, wird stärker.“65 Er möchte sich so von allen Sünden der Stadt befreien und sie auch damit bereinigen. Doch der Versuch des Mordes misslingt, da ein Sicherheitsbeamter früh auf ihn aufmerksam wird und er so keine Chance mehr hat, seinen Plan ungestört auszuüben. Als er jedoch die zwölfjährige Prostituierte „Iris“ kennerlernt, sieht er in ihr eine kleine Hoffnung wie zuvor 64 65 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.174 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.174 27 in „Betty“. Hier ist der Unterschied, das die kleine Prostituierte mitten aus dem „Schmutz“ kommt, die Wahlkampfhelferin hingegen als reinliches Wesen nur oberflächlich gegen ihn ankämpft. Er versucht nun, die kleine „Iris“ aus diesem Schmutz wieder herauszuholen, merkt jedoch, das sie keine Interesse daran hat. So verlagert „Travis“ seinen Plan des Mordversuches auf ihren Zuhälter und dessen Kunden. „Am Höhepunkt des Films, der durch die Metrocolor Entwicklung farblich reduziert wurde, um eine „X“66 – Einstufung zu verhindern, kommt der Irrsinn zum Ausbruch. Die brutale und kinematographisch brillante Sequenz wird von der Ironie gekrönt, daß Travis kurzfristig zum Medienstar wird und – mit seinen nun wieder unterdrückten Leidenschaften – sein Durchschnittsleben in unserer Mitte wieder aufnimmt.“67 „Martin Scorsese "Taxi Driver" ist ein Heimatfilm eines Heimatlosen, ein Western, der in den Straßen-Canons von New York spielt, mit einem Asphalt-Cowboy, der statt einem Pferd ein gelbes Taxi reitet.“68 „Die Sicht des Films ist vor allem die Sicht von Travis. Paradoxerweise führt dies zu einer geweiteten und breiteren Perspektive, in der sich Gewalt nicht mehr eindimensional und ausschließlich als Frage von individueller Schuld und Strafe stellt.“69 Scorsese selbst sagte über seinen Film: „Ich musste diesen Film machen. Ich kenne diesen Travis. Ich habe mich gefühlt, wie er sich fühlt. Diese Gefühle müssen entdeckt, ans Tageslicht geholt und untersucht werden. 66 besonders gefährlich Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.174 f. 68 http://home.t-online.dehomea.schellschmidttaxidr.htm 69 http://www.filmstarts.dekritiktaxi%20driver.html 67 28 Ich kenne dieses Gefühl der Ablehnung, das Travis empfindet, nicht in der Lage zu sein, Beziehungen aufrechtzuerhalten. Ich kenne dieses mörderische Gefühl, wirklich wütend zu sein.“ 70 „Wie ein wilder Stier“ sollte eigentlich Scorseses letzter Film werden, da er an einer schweren Krankheit und an Depressionen litt. „In "Wie ein wilder Stier" erzählt Martin Scorsese die Geschichte des Boxers Jake La Motta, der von 1949 bis 1951 Weltmeister im Mittelgewicht war. Es ist die beklemmende Charakterstudie eines selbstzerrstörerischen Menschen.“71 Scorsese zeigt den schnellen Aufstieg und Fall des Mittelgewichtlers „Jack La Motta“. Sein Leben ist durchtränkt von Höhen und Tiefen wie Scheidung und Heirat oder Sieg und Niederlage. Die Hauptfigur wird mit diesen wechselnden Umständen psychisch nicht fertig und bringt den Beruf in sein Alltagsleben mit hinein. Eine Paarung aus Eifersucht und Selbstmitleid veranlassen ihn, seinen Frust nach außen in Form von Gewalt an seiner Frau zu bringen. Als diese ihn verlässt, fällt er immer mehr in Kummer und vernachlässigt seine Boxkarriere durch ständiges Essen. Nach seiner Karriere versucht er sich als Stand-up Komiker in seinem eigenen Nachtlokal und versinkt dadurch unaufhaltsam ins Bodenlose. Am Ende des Films ist er nur noch eine kleine, nicht ernst genommene Witzfigur die versucht, sich einen Platz in der höheren Gesellschaft zu sichern. „Es ist die beklemmende Charakterstudie eines selbstzerrstörerischen Menschen, der unbedingt vor Publikum 70 71 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.75 http://www.dieterwunderlich.deScorsese_LaMotta.htm 29 auftreten wollte, aber aufgrund seiner Unbeherrschtheit nicht nur seine Familie zerstörte, sondern auch vom gejubelten Champion zum drittklassigen Entertainer herabsank.“72 „Jack La Motta“ verfällt hier in einen „katholischen Sadomasochismus“73, in dem er Gewalt zur Unterdrückung seiner Bedürfnisse benutzt. Da es zwischen ihm und seiner Frau keinen sexuell ausgereiften Kontakt mehr gibt, fügt er sich selber, durch das Essen, und seiner Frau Gewalt zu. Wenn man „Wie ein wilder Stier“ mit „Taxi Driver“ vergleicht, bemerkt man, das die Hauptfiguren beide Gewalt wegen ihrer inneren Unzufriedenheit ausüben. „Jack La Motta“ benutzt diese aus Frustration über sich selbst und „Travis Bickle“ auf Grund von miserablen Verhältnisse innerhalb der Gesellschaft. Martin Scorsese, der sich zur Zeit des Drehs in einem sehr schlechten Zustand befand, sagt über den Film: „Es war alles sehr zerstörerisch und sehr schlecht für mich. Im Herbst 1978 kam plötzlich alles zusammen, und irgendwie wachte ich auf und sagte: << Das ist der Film, der gedreht werden muß, und ich werde es auf diese Weise tun. Das sind die Gründe dafür, daß er gedreht 72 73 http://www.dieterwunderlich.deScorsese_LaMotta.htm Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.183 30 werden muß.>>“74 75 ( Scorsese mit De Niro) 76 ( „Travis“ ) Anders als in Kubricks Filmen, in denen die Musik eine erzählende Rolle übernimmt, benutzt Scorsese die Gewalt als eine Erzählform. Die Benutzung von Gewalt soll zur religiösen Erlösung kommen. „Travis Bickle“ befreit sich durch Gewalt in „Taxi Driver“ um sich von seinen gesellschaftlichen Leiden zu lösen und „Jack La Motta“ gebraucht sie auf Grund seines Selbstmitleids. „Scorseses Filme sind denn auch immer von einer verzweifelten Ernsthaftigkeit, und die Eruptionen der Gewalt oder der Leidenschaften sind von fast archaischer Qualität. Keine Leichtigkeit oder Ironie kann seine Protagonisten von ihrer existenziellen Schwere erlösen.“77 Gewalt scheint für Scorseses Protagonisten eine Art der Kommunikation zu sein, da alle von ihnen Einzelgänger sind und sonst keine anderen Möglichkeiten 74 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.89 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998; S.89 76 Standbild aus „Taxi Driver“ 77 http://www.kath.chfilmScorseseVerzweifelte_Helden.htm 75 31 kennen. Für Scorsese baut jegliche Form von Politik auf Gewalt auf: „Vor der Assimilation und der Integration, vor der Demokratie kommt die Gewalt.“78 3.3 Wirkung Kubricks Filme implizieren in das Gehirn des Rezipienten neben Staunen vor allem Verwirrtheit. Seit dem Beginn seiner filmischen Laufbahn hatte er mit dem Problem der Spaltung seiner Zuschauer zu kämpfen. Auf der einen Seite sind die, die seine Filme lieben und auf der anderen diejenigen, die sie wiederum hassen. Einer der Gründe dieser Teilung liegt jedoch bei dem Versuch Kubricks Kino zu interpretieren. Jene Kritiker, die in seinen Filmen keinen Sinn bzw. eine Intention des Regisseurs finden, bezeichnen Kubricks Filme als miserabel und künstlerische Fehlschläge. Diejenigen jedoch, die sein Kino als Kunst ansehen und sie auf sich selber übertragen, lieben seine Filme. Stanley Kubrick, der seine Filme nie erklärte oder seine Absichten darüber zu Munde brachte, sagte über dieses Missverhältnis: „Ein Trucker aus Alabama, dessen Sichtweise in jeder Weise beschränkt ist, kann eine Beatles-Platte auf dem gleichen Verhältnis-Niveau und mit dem gleichen empfinden rezipieren wie ein Cambridge-Student, weil ihre Gefühle und ihr Unterbewusstsein weitaus ähnlicher sind als ihr Intellekt. Sie 78 httpwww.berlinonline.deberliner-zeitungarchiv.bindump.fcgi20030220berlinberlin0007index.html 32 verbindet die gleiche unterbewusste emotionale Reaktion; und ich glaube, dass ein Film, der auf diesem Level gesehen wird, eine viel weitreichendere Wirkung haben kann, als jegliche Form traditioneller verbaler Kommunikation.“79 Ein anderer Grund für den Zwiespalt des Publikums ist die Tatsache, dass Kubrick in den meisten seiner Filme die Bilder und die Musik sprechen lassen. Dialoge und Monologe sind bei ihm nur ein kleiner Teil eines Films. Die größte Teilung der Zuschauer erlebt Kubrick durch seinen Film „2001“. Die einen bezeichneten ihn als Amateurfilm, andere das größte Meisterwerk der Filmgeschichte. „In dem Jahrhundert, welches das Kino gerade hinter sich hat, gab es genau zwei Filme, die ohne experimentellen Krampf vom Wesen der Kinematographie selbst erzählten. Der erste ist CITIZEN KANE, Orson Welles’ Debütfilm von 1941. Der zweite ist Stanley Kubricks 2001: A SPACE ODYSSEY.“80 In der ersten Vorstellung von „2001“ haben sogar die Hälfte der Zuschauer das Kino erzürnt verlassen, im Gegensatz dazu standen jedoch auch Wochen später immer noch Kilometer lange Schlangen vor den Kinosälen. „Wege zum Ruhm“ aus dem Jahr 1956 gelangt in die Kinosäle Frankreichs erst in dem Jahre 1975, weil der Film angeblich ein nicht reales Bild der französischen Kriegspolitik hervorrufen würde. „Lolita“ musste kurz vor der Erscheinung in die Zensur, da sich sämtliche Kirchen gegen zweideutige Szenen in diesem Film aussprachen und sogleich ihre Gemeindemitglieder aufforderten, sich „Lolita“ nicht anzuschauen. „A Clockwork 79 80 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.12 Kilb, Andreas; Stanley Kubrick; Dieter Bertz Verlag Berlin 1999; S.17 33 Orange“ zog Stanley Kubrick nach einem Jahr aus den englischen Kinos zurück, da der Film Nachahmer fand, die sich in ihren gewalttätigen Exzessen durch „A Clockwork Orange“ legitimiert sahen. Bei allen Diskrepanzen muss man sich bei einer Sache jedoch einig sein: „Kubrick hat dem Kino etwas geschenkt, was es ebenso notwendig braucht wie Mitgefühl: Vollkommenheit.“81 Instrumentell kann man daher seinen Filmen nichts ankreiden. Keiner beherrscht den Umgang mit dem Licht so gut wie Kubrick und auch keiner hatte jemals so einen tiefen, emotionalen Verstand für bewegte Bilder wie er. Diese Perfektion lassen den Zuschauer am Bildschirm erstarren und mit offenem Mund die Bilder wirken. Eine der größten Genialitäten Kubricks ist „die von Hitchcock aufgestellten Prinzipien des Suspense – die emotionale Anteilnahme des Publikums, seine Identifikation mit den Protagonisten – ins Gegenteil umzukehren.“82 Selbst die sympathischsten Figuren kann Kubrick so darstellen, dass diese uns sehr zuwider sind. Der Film „A Clockwork Orange“ wird sogar als der Skin Kultfilm schlechthin beziffert. Kleine Gruppen, die sich „Alexs“ Handeln zum Vorbild nehmen, glauben, dass Kubrick mit diesem Film Gewalt verherrlichen will, was ein totales Missverständnis ist. In seine Filme werden so viel falsche Tatsachen hineininterpretiert, so dass Kubrick sich immer mehr aus diesen Spekulationen heraushielt und irgendwann die Medien vermied, so dass der Mensch Kubrick immer mehr zum Mythos und zur Legende wurde. Genau dieser Mythos spiegelt sich auch 81 82 Kilb, Andreas; Stanley Kubrick; Dieter Bertz Verlag Berlin 1999; S.26 Midding, Gerhard; ; Stanley Kubrick; Dieter Bertz Verlag Berlin 1999; S.130 34 in seinen Filmen wieder. Ein Stanley Kubrick Film vermittelt einem kein Wissen oder irgendwelche Fakten und Tatsachen, sondern schenken dem Menschen eine neue Erfahrung. Martin Scorseses Filme sind in der Öffentlichkeit sehr umstritten. Seitdem er als Regisseur im Filmgeschäft fungiert, wird immer wieder sein Talent gelobt, seine Fähigkeit als grandios bezeichnet und man gliedert ihn sogar in die Reihe der Meisterregisseure ein. Obwohl man ihm ziemlich viel Lob zukommen lässt, sind seine Filme nicht durchgehend mit guter Kritik versehen. Bei Scorseses stellt sich nun die Frage, warum er als Genie gelten kann, ohne entsprechend gute Kritiken für seine Filme zu bekommen. In diesem Punkt kann man Kubricks und Scorseses Wirkung auf das Publikum vergleichen. Beide Regisseure haben die zweifelhafte Gabe, ihre Zuschauer zu polarisieren. Was bei Kubricks Kritikern das Abschweifen von normalen Konzepten ist, wäre bei Scorsese die hemmungslose Darstellung von Gewalt gepaart mit religiösen Verhaltensweisen. Er präsentiert dem Zuschauer nicht nur eine kleine Grenzgruppe, sondern durchleuchtet sie, zeigt deren Rituale, Gesetzte, ihre Lebensweise und das, bis ins letzte Detail hinein. Martin Scorsese möchte den Zuschauer dazu bringen, sich in seine Protagonisten hinein zu versetzen. „Travis Bickle“ lebt in der selben Welt wie wir auch, hasst sie und versucht auf eigene Faust sie zu verändern. Am Ende ist er der große Held den wir uns doch so wünschen, ein Außenseiter, den die Gesellschaft zum Überleben braucht. In „Wie ein wilder Stier“ ist „Jack La Motta“ 35 nur noch eine dicke Witzfigur, der mit Selbstspott versucht in der Öffentlichkeit zu bleiben. Jedes dieser beiden Ende impliziert dem Betrachter das Mitgefühl bzw. Freude für den Hauptdarsteller. Genau hier liegt wieder der negative Punkt für die Kritiker. Der Weg zur eigenen Selbstzerstörung, den Scorsese immer wieder verwendet, wird ihm von den Kritikern häufig angekreidet, dabei zeigt Kubrick den Zuschauern einfach nur den innerlichen Konflikt zwischen zwei Gegenpolen, den jeder Mensch besitzt. 4. Nachwort Wie in den zuvor erläuterten Ausführungen zu meinem Thema „Filmische Darstellungen von Moralkonflikten bei Kubrick und Scorsese“ ging es mir darum, die Weltansichten und Ansichten über Menschen von diesen beiden Regisseuren versuchen zu erklären und aufzulisten. Kubricks Moralvorstellungen drehen sich wie bei Scorsese um 2 Gegenpolen im eigenen Denken. Bei Kubrick ist es der Konflikt zwischen Gut und Böse und bei Scorsese Gewalt und Religion. Jeder Mensch steht in seinem eigenem Leben ständig im Konflikt mit sich selbst. Zur heutigen Zeit, und auch zur damaligen, in der Menschen glauben, dass sie die ausgeglichensten sein, demonstrieren uns Kubrick und Scorsese mit ihren Filmen das Gegenteil. Ihnen geht es einfach darum, sich von einer programmierten, auf Fortschritt 36 getrimmten und fehlerlosen Welt zu distanzieren und diese jedem einzelnen Betrachter in den Kopf zu transportieren. Für mich war die Jahresarbeit eine ganz neue Erfahrung. Es war das erste Mal, dass ich mich mit einem Hobby bzw. einem Interesse schriftlich auseinander gesetzt habe. Positiv finde ich die neu erlangten Kenntnisse und die Distanzierung zu ein paar falschen Annahmen meinerseits. Wenn ich mir jetzt einen der zuvor genannten Filme anschaue, werde ich diese aus einem ganz anderen Winkel betrachten können und vielleicht Unterschiede zu meinem eigenen vorherigen Verständnis feststellen. Schwierig fand ich besonders die Zusammenstellung verschiedener Aussagen und diese dann zu eigenen Überlegungen zu benutzen. Da ich nun kein Thema hatte, dass man leicht aus Büchern abschreiben kann und das auf reinen Fakten basiert, ist es gar nicht so einfach gewesen, sich sein eigenes Bild zu erschaffen. Bei Kubrick hatte ich die größten Schwierigkeiten. Da er nun kein Mensch war, der sich sehr in den Medien präsentierte und seine Werke auch nicht kommentierte, sind meine Ergebnisse rein interpretatorisch. Über und von Scorsese etwas heraus zu finden war hingegen viel leichter. Wenn ich die Chance hätte noch mal eine Jahresarbeit zu schreiben, würde ich mich nur auf Kubrick spezialisieren, da mich seine Person und seine Filme mehr ansprechen. Beim Schreiben entwickelte sich eine noch größere Begeisterung für Kubrick, die mich dazu verleitete, ständig seine Filme anzuschauen. Der Hauptgrund warum ich dieses Thema gewählt habe, nämlich die Filme richtig zu 37 verstehen, wurde jedoch nur zu 50% erfüllt. Scorseses Absichten sind mir nun viel klarer und auch verständlich, bei Kubrick aber kann ich dies nicht behaupten. Wie oben schon einmal erwähnt weiß man nicht wirklich, was Kubricks Absichten in den jeweiligen Filmen ist. Vielleicht muss man sich viel mehr mit seiner Person beschäftigen um diesem Problem entgegenzuwirken, nicht umsonst wurde schon eine Doktorarbeit über ihn verfasst. Alles in allem hat mir die Arbeit aber Spaß gemacht und ich bin jetzt um eine Erfahrung reicher. „Die Wahrheit hat zu viele Gesichter, um sie in einer fünfzeiligen Zusammenfassung unterzubringen.“83 83 Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003; S.33 38 5. Literaturverzeichnis Duncan, Paul; Stanley Kubrick – Visueller Poet; Taschen GmbH Köln 2003 Kilb, Andreas u.a.; Stanley Kubrick; Dieter Bertz Verlag Berlin 1999 Dougan, Andy; Martin Scorsese; Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg 1998 Faulstich, Werner; Grundkurs Filmanalyse; Wilhelm Fink Verlag München 2002 Nietzsche, Friedrich; Also sprach Zarathustra; Alfred Kröner Verlag Leipzig 1941 Stanley Kubrick – A life in picture Wege zum Ruhm Lolita Dr. Seltsam oder: wie ich lernte die Atombombe zu lieben 2001 – A Space Odyssey A Clockwork Orange The Shining Barry Lyndon Full Metal Jacket Eyes Wide Shut Hexenkessel Taxi Driver Wie ein wilder Stier Kundun http://www.prisma-online.de 39 http://www.dasfilmarchiv.de http://www.outknocked.de http://www.wienerzeitung.at http://www.epilog.de http://www.medienstudent.de http://home.t-online.de http://www.filmstarts.de http://www.dieterwunderlich.de http://www.kath.ch http://www.berlinonline.de Erklärung Ich versichere hiermit, dass ich diese Facharbeit selbständig verfasst, keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel verwendet habe und dass sämtliche Stellen, die benutzten Werken im Wortlaut oder dem Sinne nach entnommen worden sind, mit Quellenangaben kenntlich gemacht worden. Diese Versicherung gilt auch für Zeichnungen, Skizzen und bildliche Darstellungen. Heli, den 05.05.2004 Unterschrift: 40 41