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056_Top-Story 4
16.08.2004
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Game-Industrie
Test: die neusten Spiele an der grössten Game-Messe der Welt in Los Angeles.
Die Game-Industrie
erobert Hollywood
Zuerst waren die Computerspiele ein Anhängsel der
Filmindustrie. Jetzt haben sie umsatzmässig Hollywood
überholt. Die neue Anatomie einer Milliardenbranche.
Von Marc Bodmer
J
ames Bond ist tot. Zersiebt von
unzähligen Kugeln aus den Maschinengewehren seiner Widersacher, doch ein paar Sekunden
später steht er schon wieder im Einsatz.
Den gleichen Fehler macht er nicht noch
einmal, dafür vielleicht einen anderen.
Im Vergleich zum übermenschlichen
Kinohelden ist der Bond aus dem Video-
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spiel «007: Everything or Nothing» nur
so gut wie der Spieler, der ihn führt.
Hinter dem einzigen James-BondAbenteuer dieses Jahres steckt der
grösste unabhängige Videospielhersteller Electronic Arts. Das Aushängeschild der noch jungen Branche wurde
1982 gegründet. Die inzwischen mit 15
Milliarden Dollar kapitalisierte Firma
setzte im vergangenen Jahr fast drei
Milliarden Dollar um; dank guten Ver-
käufen und Einsparungen um 82 Prozent erhöhte sie den Gewinn auf 577
Millionen Dollar. Dahinter stecken erfolgreiche Eigenprodukte wie die Bestseller «The Sims» und die «Need for
Speed»-Serie, aber auch eine konsequent verfolgte Akquisitionsstrategie
von Produktionsstudios und erstklassigen Lizenzen aus Sport und Unterhaltung wie Fifa, Harry Potter oder eben
James Bond.
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Seit über zwanzig Jahren verbindet
Hollywood und die Videogame-Industrie eine mehr oder minder innige Beziehung. Anfangs betrachteten die Studiobosse den interaktiven kleinen Bruder
als Ergänzung zum mit Puppen, Tassen
und Käppis ausgereizten MerchandiseMarkt. «Das Spiel zum Film» erschien
erstmals 1982 zu Walt Disneys Sciencefiction-Märchen «Tron». Es bot die unglaubliche Möglichkeit, in die Haut des
Helden zu schlüpfen und die Abenteuer
aus dem Film eigenhändig nachzuspielen. Die Kinofans liebten es.
Die Euphorie war von kurzer Dauer.
Noch 1983 meinte Game-Entwickler Atari, dass er mit den Rechten zu Steven
Spielbergs familienfreundlicher Ausserirdischen-Fiktion «E.T.» die Lizenz zum
Gelddrucken erworben habe. Zuversichtlich produzierte Atari sechs Millionen
Einheiten des interaktiven Abenteuers.
«Die einzige Fliege in der Suppe: Das Spiel
war grauenhaft», sagt Videospiel-Kolumnist Steven Poole. Die «E.T.»-Kassetten
wurden lastwagenweise in einer Wüste
Neu-Mexikos verscharrt und mit ihnen
fast auch die Videospielbranche, die einen
immensen Imageschaden erlitt.
Heute sind sich Hollywood und die
Game-Industrie so nah wie nie zuvor. Die
meisten Videospielentwickler führen
Filmlizenz-Auswertungen in ihrem Portefeuille, so auch Activision, mit einem Umsatz von 947 Millionen Dollar und einem
Reingewinn von 77 Millionen Dollar der
zweitgrösste Player auf dem interaktiven
Markt. Activision verfügt über ein Abkommen mit den DreamWorks-Studios,
aus dem dieses Jahr vier Titel hervorgehen
werden, darunter das Game zum Animations-Hit «Shrek 2». Dank einer Vereinbarung mit der Marvel Comics Group
kommt nach zwei Jahren Produktionszeit
«Spider-Man 2» plangerecht zum Kinostart des gleichnamigen Blockbusters in
die Läden. Die Rechte zu «Spider-Man 3»
sind ebenfalls bereits gesichert.
«Die Filmindustrie hat gemerkt, dass
Videospiele mehr als nur MerchandiseArtikel sind», beschreibt Gerhard Florin, Europa-Chef von Electronic Arts,
das heutige Verhältnis zwischen Hollywood und der Videospielindustrie. Vor
ein paar Jahren überholte der weltweite
Umsatz der Game-Branche die von Hollywood gemachten Einnahmen an den
Kinokassen. 2003 lieferten sich die un-
gleichen Unterhaltungsbrüder in den
USA mit jeweils zehn Milliarden Dollar
Umsatz ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Jetzt
schlagen Electronic Arts, Konami und
Co. ihre Lager nur einen Steinwurf entfernt von den Filmstudios auf und werden mit offenen Armen empfangen.
«Die Kreativen, die Regisseure und
Drehbuchautoren sehen ein weiteres Arbeitsfeld für ihre Ideen. Die Studios erkennen das Potenzial des Zusammenwachsens von linearer und nonlinearer Unterhaltung», sagt John Batter, Group
General Manager von Electronic Arts Los
Angeles, einem eindrücklichen Campus
im küstennahen Stadtteil Playa Vista, den
BILANZ exklusiv vor dessen offizieller
Eröffnung besuchen konnte. 400 Leute
arbeiten hier an filmverwandten Spielen
wie «Lord of the Rings: The Battle for
Middle Earth», aber auch an eigenen
Marken wie der von Steven Spielbergs
DreamWorks-Studios ins Leben gerufenen Zweite-Weltkrieg-Kampfsimulation
«Medal of Honor».
In den letzten Monaten hat Electronic Arts damit begonnen, gezielt Talente
aus dem Filmbusiness anzuwerben, zum
Beispiel Oscar-Gewinner Mark Lasoff,
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Fotos: Vera Hartmann
Shooting Star: Werbung für das Ballergame «Kill Zone».
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Game-Industrie
der bei aufwändigen Œuvres wie «Titanic» und «Apollo 13» mitgewirkt hatte.
«Das Team unseres ‹Lord of the Rings›Strategiespiels besteht zu 15 Prozent aus
ehemaligen Hollywood-Mitarbeitern»,
sagt Mark Skaggs, ausführender Produzent von «The Battle for Middle Earth».
«Früher arbeiteten hier nur Gamer und
Computerfreaks. Jetzt sind es vor allem
Leute, die Videospiele lieben, aber auch
über ein Know-how von zwanzig Jahren
aus dem Filmunterhaltungsbusiness verfügen.» Sie bringen cineastische Perspektiven, Kamerafahrten und anderes mehr
ins Spiel. «Die Konsumenten unterscheiden je länger, je weniger zwischen dem,
was sie auf der grossen Leinwand, und
dem, was sie am Fernseher sehen», ist
Skaggs überzeugt. «Auf visueller Ebene
kommen sich Games und Filme immer
näher.»
Auch auf der technischen Seite finden
sich die beiden Medien – die fortschreitende Digitalisierung des Kinos macht es
Firmencampus von Electronic Arts in L.A.
möglich. Für Videospiele müssen ähnlich wie bei Trickfilmen dreidimensionale Modelle der verschiedenen Figuren
gefertigt werden, die dann vom Computer eingelesen und anschliessend animiert werden. Bei einer Lizenzproduktion wie den «Lord of the Rings»-Games
kann auf die Unterstützung des Filmstudios gezählt werden. «Wir erhielten die
dreidimensionalen Computermodelle direkt aus dem Film», sagt Skaggs, dessen
Videospiele
Fotos: Vera Hartmann, PA
«Bei der nächsten Generation
stehen Emotionen im Zentrum»
BILANZ: Herr Florin, was steht in
der Game-Industrie
als nächste grössere Entwicklung an?
Gerhard Florin: Die
heutige Generation
von Kindern wächst
mit interaktiven
Gerhard Florin,
Medien auf. Sie sind
Managing
in der Lage, mehrere
Director
Dinge gleichzeitig
for Electronic
zu machen. Bald
Arts Europe
werden wir mehrere
Bildschirme im Wohnzimmer haben, nicht
nur einen Fernseher. Bei den nächsten
Videospielkonsolen Playstation 3 und
Xbox 2 werden Emotionen im Zentrum
stehen. Bei gewissen PC-Titeln ist es
heute schon so weit, dass die Gesichtsanimation emotionale Details sichtbar
macht wie bebende Nasenflügel und geschürzte Augenbrauen.
Wie sieht das Verhältnis zwischen
Hollywood und der Game-Industrie
aus, die heute mehr umsetzt, als Spielfilme an den Kinokassen einnehmen?
Die Filmindustrie hat gemerkt, dass
Videospiele mehr als nur MerchandiseArtikel sind. Bei Harry Potter ist Electro-
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nic Arts der führende Lizenznehmer. Wir
setzten mit den Potter-Titeln rund 400
Millionen Dollar um. Das ist mehr Umsatz,
als die jeweiligen Bücher gemacht haben.
Weniger lukrativ fallen die Verfilmungen von Videospielen aus. Wo liegt das
Problem?
Videogames als Medium sind noch zu
wenig attraktiv, um Top-Regisseure wie
Spielberg anzulocken, damit sie sich mit
ihnen ernsthaft auseinander setzen.
Umgekehrt fallen die Spiele zu Kinohits selten befriedigend aus. Warum?
Ein Teil der schlechten Umsetzungen lässt
sich damit erklären, dass ein Film in der
Regel sechs bis zwölf Monate Produktionszeit in Anspruch nimmt, ein AAAVideospiel dagegen drei bis vier Jahre.
Damit aber von der Werbewirkung profitiert werden kann, muss das Spiel beim
Kinostart bereitstehen.
Wie kann man diesem unbefriedigenden Umstand entgegenwirken?
Es bedarf eines geschlossenen Konzepts.
Ein Verlag wie Electronics Arts könnte
die Lizenzrechte eines interessanten Produkts vorzeitig erwerben. In Absprache
mit einem Filmstudio könnte die Spielproduktion bereits beginnen, während die
Dreharbeiten erst später starten.
neustes Werk sich im wahrsten Sinne des
Wortes sehen lassen kann. Bei «The
Battle for Middle Earth» verschmilzt
erstmals die fantastische Welt des epischen Kinos mit der interaktiven Attraktivität eines Echtzeit-Strategiespiels.
Es ist wahrlich verblüffend, was sich
in den letzten Jahren getan hat. Bereits
im Sommer 2000 wies Andrew Kennedy,
einst leitender Produzent der Sony Computer Entertainment Studios in Cambridge, bei einem Vortrag im Gottlieb
Duttweiler Institut auf den anstehenden
Trend hin. «Near to Hollywood» nannte
er seine Ausführungen, in denen er aufkommende Parallelen zwischen Spielfilmproduktion und der Entwicklung von Videospielen sowie deren Problematik aufzeigte: Vermochten in den Anfangszeiten
der interaktiven Medien, ein bis zwei engagierte Programmierer im Alleingang ein
Spiel auf die Beine zu stellen, sind inzwischen die Produktionsteams für die aktuelle Spielegeneration auf über fünfzig
Mann angewachsen, und die Budgets steigen Jahr für Jahr.
Während technologischer Fortschritt
in der Regel eine kostengünstigere Produktion mit sich bringt, bildet die Videospielindustrie die Ausnahme. Mit jeder
neuen Gerätegeneration vergrössert sich
die grafische Auflösung: Sonys Playstation 1 bot bei 32 Bit Rechenleistung
180 000 Polygone, die Playstation 2 mit
128 Bit setzt auf 66 Millionen Polygone,
und Microsofts Videospielsystem Xbox,
das rund ein Jahr auf die PS 2 folgte, unterstützt mit 128 Bit schon 116 Millionen Polygone. Diese gewaltige Grafik
muss programmiert werden, was sich in
wachsenden Produktionsteams und somit Kosten niederschlägt. Erforderte ein
durchschnittliches Playstation-1-Spiel
ein Budget von 700 000 Dollar, liegen
die Budgets der aktuellen 128-Bit-Generation eher bei 5 Millionen Dollar. Ausreisser gegen oben gibt es schon heute.
So soll «Enter the Matrix», das Videospiel zur Sciencefiction-Trilogie «The
Matrix», 20 Millionen Dollar verschlungen haben.
Diese wenig erfreuliche Kostenentwicklung bringt es mit sich, dass kleinere
Studios von grösseren Verlagen wie Electronic Arts oder Activision aufgekauft
werden oder einfach schliessen müssen.
«Mit dem Aussterben von unabhängigen
Studios bleibt auch die Innovation auf
der Strecke», sagt Jason Della Rocca,
Programmdirektor der International
Game Developers Association. «Beim
Film haben Independent-Filmemacher oft
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Trend: Filmstars wie der französische Schauspieler Jean Reno leihen Stimme und
Gesicht der Game-Industrie.
frische Ideen, die schliesslich in den KinoMainstream fliessen und diesen nähren.»
In Anbetracht der steigenden Kosten
suchen die Produzenten auf SoftwareSeite das Kostenrisiko mit sicheren Titeln
zu minimieren, und dazu zählen breitenwirksame Lizenzproduktionen aus Sport
und Unterhaltung. Einen Haken bei der
Auswertung beliebter Filmrechte bilden
die unterschiedlichen Produktionszeiten.
«Ein Film nimmt in der Regel sechs bis
zwölf Monate Produktionszeit in Anspruch, ein AAA-Videospiel dagegen oft
drei bis vier Jahre. Damit aber von der
Werbewirkung profitiert werden kann,
muss das Spiel beim Kinostart bereitstehen», erklärt Gerhard Florin von Electronic Arts die Krux. Diese Differenz
führt nicht selten zu unbefriedigenden
Games, die in Rekordzeit aus dem Boden
gestampft werden müssen, um auf der
Multi-Millionen-Marketingwelle Hollywoods mitreiten zu können.
Doch die Wechselwirkungen zwischen Hollywood und der Game-Industrie beschränken sich nicht nur auf lukrative Lizenzauswertungen. Laufend nehmen Schauspieler die Herausforderung
an und wirken mit, wie etwa der französische Star Jean Reno im Samurai-Spiel
«Onimusha 3». Sie leihen ihre Stimmen,
aber auch – wie im Falle des Franzosen –
ihr Antlitz. «Noch haben wir es mit unterschiedlichen Kulturen zu tun», meint
Larry Shapiro von der Agentur Creative
Artists Agency, die Grössen wie Julia
Game-Hitparade:
Die meistverkauften
Videospiele der USA
Quelle: NPD
Rang Spieltitel
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
Grand Theft Auto: Vice City
Grand Theft Auto 3
Gran Turismo 3: A-Spec
Madden NFL 2004
Halo
Madden NFL 2003
Super Smash Bro Melee
Final Fantasy X
Tony Hawk’s Pro Skater 3
Medal of Honor Frontline
Plattform
PS 2
PS 2
PS 2
PS 2
Xbox
PS 2
Gamecube
PS 2
PS 2
PS 2
Stückzahl
5 973 585
5 358 994
3 457 047
3 370 794
3 184 744
2 719 667
2 239 166
2 083 902
2 069 487
2 059 385
Roberts und Tom Cruise vertritt. «Man
muss Wegbereiter finden, die einen Brückenschlag ermöglichen.» Er ist zuversichtlich, dass durch eine verstärkte Zusammenarbeit der beiden Industrien auf
einer kreativen Ebene letztlich alle gewinnen werden.
«Es gibt Dinge, die man nur in einem
Game machen kann», ist dagegen Hideo
Kojima, Star-Spieldesigner des japanischen Traditionshauses Konami, überzeugt. Seine Spionageserie «Metal Gear
Solid» spielt stark mit filmischen Elementen bis hin zur James-Bond-Parodie.
Selbstverständlich wurde er schon verschiedentlich darauf angesprochen, seinen beliebten Helden Snake auf die grosse Leinwand zu bringen, doch Kojima,
der vom Nachrichtenmagazin «Newsweek» zu einer der zehn prägendsten
Persönlichkeiten 2002 gewählt wurde,
winkt ab: «Linear wie im Kino erzählte
Geschichten sind objektiv. Videospiele
bieten auf Grund ihrer Interaktivität eine Freiheit und sind von daher subjektiv.
Die beiden Formen wirklich zu vereinen,
dürfte schwierig sein», sagt Kojima.
Trotz verschiedenen Versuchen hat
auch Hollywood bis dato noch keinen
Weg gefunden, das unvergleichliche Erlebnis der Interaktivität von Videospielen adäquat auf die grosse Leinwand zu
übertragen. So dürfte es in Zukunft weniger zu einer Verschmelzung der beiden
Medien kommen als eher zu einem –
hoffentlich – inspirierenden Nebeneinander. Profitiert heute primär die junge
Game-Industrie von der Erfahrung des
älteren Bruders Film, so sieht sich dieser
Jahr für Jahr mehr dem Einfluss der
schnell wachsenden Videogame-Gemeinde ausgesetzt. Die heutige Generation von Regisseuren, die hinter Hits wie
«The Matrix» oder «X-Men» steckt, ist
mit der interaktiven Unterhaltung aufgewachsen. Filmemacher Gore Verbinski,
dessen «Pirates of the Caribbean» über
650 Millionen Dollar eingespielte, erklärt gegenüber BILANZ: «Videospiele
sind heute Teil des Filmschaffens, und
ich liebe sie. Aber so süchtig machend
sie sind, die Leute werden auf passive
Unterhaltung nicht verzichten wollen.
Menschen lieben es, Geschichten erzählt
zu bekommen.» Der Kino-James-Bond
ist also keineswegs tot. Im Gegenteil: Er
hat einen interaktiven Zwillingsbruder
bekommen.
Marc Bodmer
Freier Mitarbeiter der BILANZ,
[email protected]
August 2004 BILANZ 59

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