PDF herunterladen
Transcrição
PDF herunterladen
JAN W EIL ER M EIN LE BEN AL S M EN SCH FOL GE 67 Wunschgedanken G erade eben noch wollte Nick sich umbringen. Dann wollte er mich umbringen. Er sagte: „Ich schlachte Dich und dann kannst Du mir nichts mehr verbieten.“ Das stimmt. Ich hatte ihm untersagt, morgens um zehn nach Acht Jetix einzuschalten, einen TV-Sender für Gehirnamputierte und alle, die es noch werden wollen. Er sieht sich darin am liebsten die Power Rangers an. Ich glaube nicht, dass es weltweit etwas Dämlicheres im Fernsehen gibt. Dagegen ist jede Volksmusiksendung ein Rat der Weisen. Die Ferien haben angefangen und Nick langweilt sich. Ich finde aber, Kinder sollen sich erst ab 18 Uhr langweilen und nicht schon um zehn nach acht am Morgen. Also kein Fernsehen. Er verzog sich und ich hörte länger nichts, ging also nach dreißig Minuten auf die Suche nach ihm. Er war nicht bei seinem Urzeitkrebs und auch nicht in der Badewanne, in der er manchmal sitzt und grübelt. Er lag auf dem Bett seiner Schwester und spielt mit ihrem Nintendo. Darf er nicht. Habe nicht ich verboten, sondern sie. „Was spielst du denn da?“ fragte ich und er antwortete mit tonloser Stimme: „Mario Barth.“ Das verschlug mir die Sprache. Macht der Typ jetzt auch noch in Konsolenspielen? Wenn es um Mario Barth geht, wird so ein Spiel vermutlich von Wettpupsen, Preispinkeln und virtuellem Mädchen-denArm-umdrehen handeln. Das ist nicht gut für kleine Jungs. Ich war dann aber beruhigt, denn es handelte sich nicht um Mario Barth, sondern um Mario Cart. Das ist okay, soweit ich das beurteilen kann. Trotzdem durfte er nicht damit spielen und kündigte an, mich demnächst auf recht unappetitliche aber spektakuläre Weise umzubringen. Mein Sohn ist so eine Art Sweeney Todd der Vorschule. „Warum willst Du ausgerechnet mich umbringen? Bring doch Deine Mutter um, die ist genau so böse wie ich.“ „Aber Du bist alt.“ Herzlichen Dank. Ich bin alt und böse. Ich fragte ihn, was er denn ohne Vater anfangen wollte und er antwortete: „Ich ziehe in den Wald und wohne da.“ „Ohne Jetix und Nintendo?“ „Das nehme ich alles mit in den Wald.“ „Und wer kocht für Dich?“ „Ich brate mir ein Eichhörnchen.“ Was er denn machen wolle, wenn er sein frugales Mahl beendet habe und es dunkel würde. Ob er dann nicht angst bekäme, ganz alleine im Wald? Er erläuterte mir, dass er sich abends einfach neue Eltern suchte. Solche wie der Roman hätte. Die Eltern von Roman erlauben alles; sie essen mit den Kindern pro Tag ein Glas Nutella leer und lassen sie so viel fernsehen wie die wollen. Ehrlich gesagt sehen die Eltern von Roman auch ganz genau so aus. Und das sind die Wunscheltern meines Sohnes. Na Super. Ich sagte, dass er sich gerne wünschen könne, wonach ihm wäre, aber dass man sich im Leben damit abfinden müsse, dass sich manche Dinge nicht ändern ließen. Nick ging in sein Zimmer, um dort eine Kernschmelze in der Spongebob-Ananas herbeizuführen. Ich saß am Esstisch und dachte über die Unabänderlichkeit unseres Lebens nach. Ich wünsche mir eine nicht endende Klopapierrolle. Ich wünsche mir für jedes Land einen Obama. Ich wünsche mir, dass die Leute im Supermarkt den Käse nicht in diese unzerstörbare Folie einwickeln. Ich wünsche mir leistungslosen Superreichtum. Ich wünsche mir einen Porsche mit Elektromotor. Ich wünsche mir eine Fernsehzeitschrift, in der nur die Sendungen drinstehen, die ich sehen will. Ich wünsche mir einen Sohn, der nicht nach meinem Leben trachtet und stattdessen morgens um zehn nach Acht ein schönes Bild für mich malt. Werde ich alles nicht bekommen. Wir vertrugen uns bald wieder. Mittags fuhren wir zu McDonald’s und er bekam zur Feier des Tages einen Big Mac. Er durfte ihn sogar selber bestellen. Ich hob ihn hoch und er sagte ganz höflich: „Guten Tag, ich möchte bitte einen Dick Mac.“ Selten hat jemand das Wesen amerikanisierter Kalorienzufuhr derart zutreffend gebündelt. • 24. JULI 2008