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Jungs-Humor
U
nser Sohn Nick klingt momentan wie ein Dudelsack, wächst wie
Schnittlauch und futtert wie ein Maurer nach der Doppelschicht. Er
bevorzugt dabei einen Lebensmittelmix, der zu vierzig Prozent aus
Nudeln, zu dreißig Prozent aus Chips, zu zwanzig Prozent aus
Sahnejoghurt und zu zehn Prozent aus bunter Antimaterie in
Pfandflaschen besteht. Das kann ein normaler Mensch nicht
überleben, aber Nick wird von Tag zu Tag größer und stärker. Er
kommt mir vor wie einer von diesen Transformers, die sich immer
weiter ausklappen und aufplustern zu riesenhaften unbezwingbaren Kampfrobotern.
Und nicht nur sein Körper gibt Rätsel auf, auch seine Persönlichkeit ist im Wandel. Lange
war er zum Beispiel ein Vertreter des absurden Humors und erfreute mich mit abseitigen
aber lustigen Scherzfragen wie dieser hier: „Was ist braun und schwimmt? Ein U-Brot.“ Oder:
„Was ist braun und sitzt im Gefängnis? Eine Knastanie.“ Manchmal ergaben seine Witze auch
überhaupt gar keinen Sinn. Dann stand er vor Freude zitternd in meinem Büro und fragte:
„Was ist klein, gelb und hat drei Ecken?“ Ich antwortete: „Keine Ahnung.“ Darauf er: „Ein
kleines gelbes Dreieck!“ Dann lachte er sich kaputt.
Mit der Zeit schlichen sich leicht anzügliche Pointen ein. „Was ist rot und steht an der
Straße? Eine Hagenutte.“ Oder „Was ist grün und steht an der Straße? Eine Froschtituierte.“
Und nun befinden wir uns endgültig in jener Phase der männlichen Entwicklung, in der
Witze gar nicht mehr versaut genug sein können. Nick hat großen Spaß daran, mich bei jeder
Gelegenheit zu fragen, ob ich Geburtstag hätte. Ich sage jedes Mal brav: „Nein, ich habe nicht
Geburtstag.“ Und dann ruft er: „Dann nimm die Hand von der Kerze.“
Das ist astreiner Jungshumor, der früher durch die Institution „Bundeswehr“ seine
Verbreitung erfuhr und heute wahrscheinlich wie alles im Leben durch das Internet. Und
durch die Schule. Auf dem Pausenhof statten sich Nick und seine Kumpels gegenseitig mit
Zoten aus, die übrigens sehr häufig irgendwie mit autosexuellen Handlungen zu tun haben.
Zumindest einer dieser Witze ist echt gut. Da sagt Pinocchio zum Meister Gepetto: „Immer,
wenn ich mit einer Frau zusammen bin, muss ich so wahnsinnig aufpassen, dass ich nicht
splittere.“ Darauf sagt Gepetto: „Nun, dann nimmst Du ein ganz feines Schleifpapier und
polierst vorher Deinen Ast.“ Eine Woche später unterhalten sie sich wieder und Gepetto fragt:
„Und? Wie läuft’s mit den Frauen?“ Und darauf Pinocchio: „Frauen? Wozu brauche ich
Frauen?“
Sara gefiel das gar nicht. Sie nannte Nick einen blöden Macho, aber er verstand Nacho und
freute sich über die Bezeichnung. Hatte Sara Recht? Soll man die Jungen an versauten Witzen
hindern? Ich habe mich mit einem Psychologen darüber unterhalten und der meinte, es sei
völlig normal, dass Jungs in dem Alter derbe Scherze machten und es sei auch gar nicht
frauenfeindlich gemeint. Man müsse sich keine Sorgen machen, dass aus den Knaben üble
Frauenverächter werden, bloß weil sie sich mit sexistischen Witzen überbieten. Man erzähle
nun einmal am liebsten Witze aus dem eigenen Erlebnisumfeld. Erwachsene machen also
Bürozoten oder Kneipenwitze, Juristen erzählen Gerichtswitze und die Jungs vermitteln
einander über diese Scherze ihren Entwicklungsstand. Der Mann sagte, unser Sohn sei völlig
normal. Ich war darüber sehr beruhigt.
Zumindest bemerkenswert finde ich hingegen seine neue Sammelleidenschaft, die sich
auf sehr ausdrucksstarke Plastikfiguren bezieht. Die Dinger haben den Platz von gerade
aussortierten Lego-Exponaten eingenommen. Wo früher einmal der Millenium-Falke stand,
steht nun in mehreren Varianten ein japanisches Schulmädchen namens Super Sonico. Die
gibt es auch als TV-Serie und als Computerspiel. Super Sonico hat pinke Haare und
Kopfhörer, dazu einen Vorbau wie Dolly Buster und vollkommen unproportionierte
superlange Beine. Sie ist für ein Schulmädchen recht knapp bekleidet. Eine von Nicks Super
Sonicos räkelt sich mit einer Fernbedienung in der Hand auf einem Sessel. Nick findet, sie sei
die schönste Frau der Welt. Das erinnert mich an meine erste schönste Frau der Welt. Auf
ihrem Bild in der Bravo von 1976 trug sie einen halb geöffneten Overall, was mir schier den
Atem nahm. Sie war ein Traum. Und ihr Name klang ähnlich exotisch wie Super Sonico. Sie
hieß: Suzie Quattro. •
13. JULI 2015

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