Außergewöhnliche Geschichten und Erlebnisse ehemaliger

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Außergewöhnliche Geschichten und Erlebnisse ehemaliger
Außergewöhnliche
Geschichten und
Erlebnisse ehemaliger
ERASMUS-Studierender
Success Stories V
Außergewöhnliche
Geschichten und
Erlebnisse ehemaliger
ERASMUS-Studierender
Success Stories V
Impressum
IMPRESSUM
Herausgeber
Nationale Agentur für Hochschulzusammenarbeit im
Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD)
Kennedyallee 50
53175 Bonn
Redaktion
Dr. Siegbert Wuttig, Dr. Bettina Morhard, Regina Schober, Nina Düvel, Julia Kesselburg
Gestaltung und Herstellung
DCM · Druck Center Meckenheim
Die Herstellung der Publikation wurde durch die finanzielle Unterstützung des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung (BMBF) und der Europäischen Kommission ermöglicht.
November 2004 / 1.500
November 2007 / 1.500 (aktualisierte Fassung)
2
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Dr. Siegbert Wuttig
7
1 Erfolge in Studium und Beruf
Ein ERASMUS-Aufenthalt als entscheidende Weichenstellung
Prof. Stefan Bufler
10
Durch ERASMUS zur Diplomarbeit und spanischem Poster-Award
Dipl.-Pharm. Susanne Quellmann
14
ERASMUS durch und durch: Vom Studenten zum Koordinatoren
Pascal Cromm
18
Ein kleiner Schritt vom ERASMUS-Aufenthalt in Frankreich zum Job in England
Miriam Morath
22
Erstklassig vom Bügeleisen bis zur Espressokanne – insbesondere das Praktikum für
Brandenburg in Brüssel
Matthias Frede
26
Aus zweitem zu Hause in Nordhausen wächst berufliches Selbstbewusstsein
Tomasz Jacak
30
Ein unerwarteter Marketing-Preis in England
Jan Reichelt
34
Von der ERASMUS-Stipendiatin zur SOKRATES-Koordinatorin
Prof. Dr. Sabine Baumann
38
Studieren am Polarkreis – Rentiere und ein erster Preis beim Produktdesignwettbewerb
Björn Bornemann
42
Musical-Studium in Leipzig
Kora Langova
48
2 Familiengeschichten
Was ein Angsthase über sich und Lockenwickler gelernt hat – ein ERASMUSAufenthalt in England mit Folgen
Ulrike Martius
Drei kleine „ERASMUSSE“ und ein Doppeldiplom
Christiane Sgonina
50
54
3
Inhaltsverzeichnis
Schwedisch-italienische Flitterwochen in Trier
Roger und Gianna Husblad
58
Vom ERASMUS-Aufenthalt in England zur Hochzeit in der Sächsischen Schweiz
Mandy Müller
62
Durch eine ERASMUS-Initialzündung zum italienischen Ehemann
Svetlana Steposchina
66
Aus der intensiven Betreuung von ERASMUS-Studierenden in Bayern entwickelt sich
eine englisch-französische Beziehung
Michelle Marshall
70
3 Sonstige Erlebnisse und außergewöhnliche Geschichten
Mit dem Fahrrad über die ERASMUS-Partnerhochschule in Portugal zum
Goetheinstitut in Rio de Janeiro
Dennis Gerstenberger
74
Unerwartete Hilfe bei der Zimmersuche in Rom
Angelika Pickardt
78
Von einer fixen Idee zu zehn Monaten in Irland
Franka Storzer
82
Individualität und Hilfsbereitschaft in Nordhausen
Darek Szafran
86
In Slowenien spielt die Musik – ein ERASMUS-Jahr mit grenzenlos musikalischen
Folgen
Christian Smigiel
88
Das Märchen vom schwedischen Sankt Bürokratismus
Heiko Brendel
92
Von durchzechten Nächten und der Zeche Zollverein
Juraj Hrin
96
Europäisches Selbstbewusstsein durch einen ERASMUS-Aufenthalt in den
Niederlanden
Anna Lay
Internationales, englischsprachiges Flair im kleinen, friedlichen Steinfurt
Karina Kopeć
Schwedische Herzlichkeit oder wie Golfspieler im Regen und Spaziergänger auf der
Ostsee Wirklichkeit werden
Mandy Sobetzko
4
98
102
104
Inhaltsverzeichnis
Umweltpolitik und Friedhöfe in Polen
Kerstin Döscher
108
Entscheidung für Deutschland und Aachen – ein erfrischender und lockerer Aufenthalt
Ivana Kulhanova
112
In Irland heißt jeder Patrick oder wie das Maskottchen „Erasma“ in einen irischen Pub
kam
Sandra Blum
114
Ein Koffer Offenheit und ein Rucksack Neugier für ein Herz in Spanien
Maja Grünert
118
(K)eine success story aus Brüssel
Christoph Kalz
122
Montags Algorithmen – dienstags Trampolinspringen. Ein Jahr in Hannover
Markéta Pokorná
126
What`s that Glasgow?
Susanne Hanus
130
Deutsche essen sehr viel Kartoffeln mit Wurst, Franzosen essen Frösche und Schnecken
David-Nath Georges
136
Exklusives Studentenwohnheim, Kriminalität und internationale Kontakte in Breslau
Katharina Hlawaty
140
ERASMUS-Aufenthalt im Baskenland zur Zeit der Terroranschläge in Madrid
Wolfgang Stückle
144
L´Auberge Allemande“ in Aachen
Magali Bebronne
148
Neapel sehen und dann sterben!
Petra Stoll
150
Vom ERASMUS-Studium in Maastricht zum Ph.D. in England
Joachim Allgaier
152
Gute Organisation und sich auflösende Vorurteile in Antwerpener Luft
Andrea Borrmann
156
Finnischer Erfolg – Mitbewohner aus Passau werden zu Freunden fürs Leben
Eija Paakki
160
5
Vorwort
Vorwort
Das ERASMUS-Programm der Europäischen Union feiert 2007 seinen 20. Geburtstag. Seit dem
Start von ERASMUS im Hochschuljahr 1987/88 haben insgesamt über 1,7 Millionen Studierende
aus inzwischen 31 Ländern Europas die Gelegenheit zu einem Auslandsstudium mit diesem Programm genutzt. Allein aus Deutschland absolvierten in dieser Zeit rund 250.000 Studierende ein
Teilstudium an einer europäischen Gasthochschule. Mit dem Schritt über die Grenzen hinweg
verbinden sich für die Studierenden oft außergewöhnliche Geschichten und Erlebnisse in einer
anderen und meist neuen kulturellen Umgebung, die nicht selten für das weitere Leben prägend
sind und in den Biographien der Studierenden nachhaltige Spuren hinterlassen.
Die Wirkungen von ERASMUS auf die Biographien und Lebenswege der Programmteilnehmer(innen) waren bisher nicht Gegenstand von wissenschaftlichen Evaluationen. Damit blieb ein wichtiger Aspekt der Auslandsmobilität unbeachtet. Der DAAD hat daher als Nationale Agentur für
ERASMUS mit Unterstützung der deutschen Hochschulen persönliche Geschichten und Erlebnisse
von ehemaligen ERASMUS-Studierenden aus Deutschland und aus dem Ausland gesammelt und
in der vorliegenden Publikation eine kleine Auswahl veröffentlicht. Die ausgewählten Geschichten
belegen in sehr anschaulicher Weise zum Teil erstaunliche Wirkungen des Auslandsstudiums auf
die persönliche und berufliche Entwicklung der Studierenden und verdeutlichen, wie Europa von
den ERASMUS-Geförderten konkret „erfahren“ und erlebt wurde. Durch eine deutliche Aufstockung des Programmbudgets wird sich die Zahl der mobilen Studierenden im Europäischen Hochschulraum in der kommenden Programmgeneration (2007 – 2013) noch erheblich erhöhen.
Ich danke den deutschen Hochschulen und ihren ehemaligen deutschen und ausländischen ERASMUS-Studierenden für die spannenden Geschichten sowie dem Bundesministerium für Bildung
und Forschung (BMBF) und der Europäischen Kommission für die finanzielle Unterstützung dieser
Publikation.
Dr. Siegbert Wuttig
Leiter der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD
7
Prof. Stefan Bufler
Augsburg
geb. 1967
ERASMUS-Aufenthalt: 25. September 1989 bis 29. Juni 1990
Name/Land der Gasthochschule: Lancashire Polytechnic
(heute University of Central Lancashire) in Preston, Großbritannien
Name der Heimathochschule: Fachhochschule Augsburg
Fachbereich: Gestaltung, Kommunikations-Design
SOKRATES-Success: Beruf und Familie
Ein ERASMUS-Aufenthalt als
entscheidende Weichenstellung für den
beruflichen und privaten Lebensweg
Prof. Stefan Bufler
Ein ERASMUS-Aufenthalt als entscheidende Weichenstellung
Ein ERASMUS-Aufenthalt als entscheidende Weichenstellung
für den beruflichen und privaten Lebensweg
Prof. Stefan Bufler
Wenn hier eine Sammlung von „Success Stories“ ehemaliger ERASMUS-Stipendiaten vorgelegt wird,
dann ist zu erwarten, dass sich sehr unterschiedliche Berichte aneinanderreihen, nicht nur, weil sich
die Lebenswege der Autoren unterscheiden, sondern auch, weil wir wohl sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was Erfolg im persönlichen Bereich bedeutet. Und es scheint durchaus so zu
sein, dass auch unter den Völkern Europas diese Vorstellungen auseinandergehen. Während man in unserem Land Erfolg oft über die berufliche Karriere definiert, wird in südlichen Ländern beispielsweise ein
erfolgreiches Familienleben stärker gewichtet. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass die wichtigsten persönlichen Erfolge sich weder im Lebenslauf, noch in der Familienchronik niederschlagen.
Erfolgsmomente werden oft in aller Stille erlebt, wenn wir plötzlich mehr verstehen, mehr können, uns
selbst überwinden – einfach ein Stück weiter gekommen sind. Diese Momente stellen sich besonders
oft dann ein, wenn wir Erfahrungen machen, die uns fordern und herausfordern. Mein einjähriger ERASMUS-Studienaufenthalt an der Lancashire Polytechnic (heute University of Central Lancashire) in
Preston, Großbritannien, war für mich eine solche, prägende und wegweisende Erfahrung.
Der Entschluss, mich zum Wintersemester 1989/90 und Sommersemester 1990 um einen Studienplatz in Preston zu bewerben, fiel mir nicht schwer. Wiederholte Ferienaufenthalte bei einer befreundeten Familie in Frankreich seit früher Jugend und Interrail-Reisen durch Europa hatten mein
Interesse für fremde Kulturen bereits geweckt. Außerdem hatte ich gerade mein Grundstudium im
Studiengang Kommunikationsdesign an der Fachhochschule Augsburg beendet und die Aussicht
auf ein Studium in England, dem Land, das auf diesem Gebiet weltweite Maßstäbe setzt, war besonders verlockend.
So saß ich dann also im September 1989 zusammen mit zwei weiteren Augsburger Studenten, schwerem
Gepäck und voller Erwartung in einem Zugabteil und näherte mich einem für uns alle weitgehend unbekannten Ziel. Es war damals erst das zweite Mal, dass sich eine Studierendengruppe von Augsburg aus
nach Preston auf den Weg machte und so hatte man immer noch ein wenig das Gefühl, Neuland zu
betreten. Allerdings konnten wir nach unserer Ankunft bald feststellen, dass an der Lancashire Polytechnic schon zu dieser Zeit ein reger internationaler Studierendenaustausch gepflegt wurde und sich hier
sehr engagierte „Profis“ um unsere Belange kümmerten. Die Einführungsveranstaltungen des Foreign Student Office, der International Student Society und der Student Union ermöglichten eine
rasche Eingewöhnung. Auch an der School of Design wurden wir mit offenen Armen aufgenommen.
Damit begann ein Jahr, in dem sich zahlreiche Erlebnisse und Eindrücke so dicht aneinanderreihten, dass man sich in der Rückschau über diese Intensität nur wundern kann. Ich lernte junge Menschen aus verschiedenen Ländern kennen und schätzen, ich entdeckte eine völlig neue Welt des
Kommunikationsdesigns, ich wurde mit mir neuen Lehrmethoden konfrontiert, ich erkundete mein
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Prof. Stefan Bufler
Ein ERASMUS-Aufenthalt als entscheidende Weichenstellung
Gastland und seine Kultur, ich lernte richtig Englisch sprechen, ich erlernte den Fechtsport, ich feierte
viel und arbeitete viel und, und, und...
Für meine Mitstudierenden und mich war Preston ein Freiraum voller Möglichkeiten, den wir ausschöpften und der damit für unsere persönliche und berufliche Entwicklung von großer Bedeutung war. Jede
neue Herausforderung, die ich in diesem Jahr meistern konnte, bescherte mir ein kleines oder größeres
Erfolgserlebnis. Und es waren diese Erfolgserlebnisse, die mir die nötige Selbstsicherheit gaben, den
in Preston begonnenen Weg weiter zu verfolgen.
Nach meiner Rückkehr aus Preston führte ich mein Studium an der Fachhochschule Augsburg fort
und schloss dieses 1992 mit dem Diplom ab. Noch im selben Jahr packte ich wieder meine Koffer, um
nach England zurückzukehren. Ich hatte einen Studienplatz am Royal College of Art in London
erhalten und damit die Gelegenheit, auf der Grundlage meiner Erfahrungen aus Augsburg und
Preston zu einer eigenen gestalterischen Sprache und Position zu finden. Meine zwei Jahre
„Graphic Design“ am Royal College beendete ich mit dem Master of Arts und dem Entschluss,
meinen Aufenthalt in England zu verlängern, um in London zu arbeiten.
Bereits während meines Studiums hatte ich Praxiserfahrung bei der Werbeagentur Lintas in Hamburg und der Designagentur Pentagram in London gesammelt und nun das Glück, trotz wirtschaftlicher Rezession eine Position als Designer bei der Londoner Marken-Designagentur „Design
Bridge“ zu erhalten. Aus dem einen Jahr, das ich an mein Studium in London anhängen wollte,
wurden nun weitere acht Jahre, in denen ich unter anderem eine Agentur für Corporate Branding
und Unternehmenskommunikation gründete und diese über Jahre hinweg mit einem Geschäftspartner zusammen leitete.
In dieser Zeit lernte ich auch meine heutige Frau Noeleen kennen, eine Irin aus Dublin, und im Jahr
2000 wurde unsere Tochter Hanna in London/Paddington geboren.
Neben meiner hauptamtlichen Tätigkeit als Creative Director hatte ich einen Lehrauftrag am London College of Printing, wo ich Studierende im Studiengang „Graphic and Media Design“ unterrichtete. Die Arbeit mit den Nachwuchs-Designern empfand ich als eine so interessante und wichtige Aufgabe, dass ich gerne den Ruf als Professor für Visuelle Kommunikation und Grafik Design
an die Fachhochschule Augsburg annahm, wo ich nun seit dem Wintersemester 2002/03 lehre.
Ich bin damit wieder an meinen Ausgangspunkt zurückgekehrt und habe in den dazwischen liegenden Jahren sehr viele wertvolle Erfahrungen gemacht, die ich ohne die Initialzündung durch das
ERASMUS-Programm in dieser Form nicht hätte machen können.
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Dipl.-Pharm. Susanne Quellmann
Köln
geb. 1976
ERASMUS-Aufenthalt: Mai 2002 bis Oktober 2002
Name/Land der Gasthochschule: Universitat de València, Spanien
Name der Heimathochschule:
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Fachbereich: Pharmazie
SOKRATES-Success: Beruf
Durch ERASMUS zur Diplomarbeit und
spanischem Poster-Award
Dipl.-Pharm. Susanne Quellmann
Durch ERASMUS zur Diplomarbeit und spanischem Poster-Award
Durch ERASMUS zur Diplomarbeit und spanischem PosterAward
Dipl.-Pharm. Susanne Quellmann
Die Studienzeit für einen Auslandsaufenthalt zu nutzen, stand bereits vor Beginn meines Studiums
fest, da ich schon zwischen Schule und Universität ein Jahr lang im Ausland (USA) verbracht hatte.
In dieser Zeit hatte ich wertvolle persönliche Erfahrungen sammeln und mein „colloquial“ Englisch
erheblich verbessern können. So etwas wollte ich wiederholen, allerdings diesmal, um mich auch
fachlich weiter zu entwickeln und darüber hinaus noch eine weitere Fremdsprache zu lernen. Die
für unseren Fachbereich zuständige ERASMUS-Koordinatorin Frau Prof. Müller (Pharmazeutische
Chemie) tat ein Übriges, meine und die Reiselust anderer Kommilitonen zu fördern, da sie uns zu
Beginn eines jeden Semesters im Hauptstudium ganz begeistert alle Möglichkeiten vorstellte, die
wir durch das ERASMUS-Programm geboten bekamen.
Aus organisatorischen Gründen (Scheinanerkennung, Untervermietung der Wohnung etc.) erschien
es mir allerdings doch etwas schwierig, während des Studiums ins Ausland zu gehen. Umso erfreuter war ich, als ich erfuhr, dass es an der pharmazeutischen Fakultät der Universität Valencia, Spanien, möglich war, nach dem zweiten Staatsexamen als Pharmaziepraktikantin sechs Monate in
einer Krankenhausapotheke zu arbeiten und auf diese Art und Weise das Ende des Studiums, eben
eine Hälfte des Praktischen Jahres, für einen Auslandsaufenthalt zu nutzen. So meldete ich mich
zusammen mit einer Kommilitonin für den Zeitraum ab Mai 2002 als „ERASMUS-Pharmaziepraktikantin“ an.
Organisatorisch wurden wir sowohl von deutscher als auch von spanischer Seite bestens betreut:
Als wir am Flughafen in Valencia ankamen, standen bereits zwei spanische Pharmaziestudenten
bereit, um uns abzuholen, uns zu unserer Unterkunft zu bringen und die ersten wichtigen Dinge im
neuen Land zu erläutern. Im Nachhinein erfuhren wir, dass sonst immer die zuständige ERASMUS-Koordinatorin, Frau Prof. Marin, die „Neuen“ persönlich abhole, an diesem Tag nur gerade
verhindert gewesen sei. Leider war mein Hörverständnis trotz eines vorangegangenen einjährigen
Spanisch-Kurses noch sehr mager, so dass ich außer „¿No hablas mucho español, no?“ am ersten
Tag nicht viel verstand.
Auch in unserer Unterkunft, um die wir uns in keinster Weise hatten kümmern müssen, war man
über unsere Ankunft informiert und teilte uns jeweils ein Zimmer in einer komplett eingerichteten
Vierer-WG zu. Während unseres Aufenthaltes in Valencia wechselten unsere Mitbewohner mehrmals; allerdings handelte es sich dabei ausschließlich um andere ERASMUS-Studierende, so dass
man dadurch zwar quer durch Europa neue Freundschaften knüpfte, aber weniger seine Kontakte
mit Einheimischen erweiterte und auch nicht unbedingt seine Spanisch-Kenntnisse pflegte. Eine
WG mit spanischen Studierenden wäre dafür sicherlich sinnvoller gewesen. Nichtsdestotrotz möchte ich meine Zeit in dieser WG wirklich nicht missen!
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Dipl.-Pharm. Susanne Quellmann
Durch ERASMUS zur Diplomarbeit und spanischem Poster-Award
In der Krankenhausapotheke wurde ich sehr herzlich aufgenommen. Mit mir arbeiteten dort vier
spanische Pharmaziepraktikanten und neben vielen technischen Assistenten auch insgesamt acht
Apotheker. Durch den täglichen Umgang mit meinen Arbeitskollegen konnte ich meine sprachlichen Fähigkeiten dort sehr gut verbessern, auch wenn ich zu meiner Enttäuschung am Ende des
Praktikums das Niveau meiner englischen Sprachkenntnisse nicht hatte erreichen können.
Mein persönlicher Erfolg bestand darin, dass sich aus einem Projekt, das anfänglich als Praktikumsarbeit gedacht war, die Grundlage meiner Diplomarbeit entwickelte. Initiatoren des Projekts waren
Prof. Jaehde (Klinische Pharmazie) in Bonn und Prof. Alos in Spanien, der als assoziierter Professor der Universität Valencia gleichzeitig der Leiter der Krankenhausapotheke im Hospital General
de Castellón war. Während meines Praktikums in Spanien hatte ich in der pharmakokinetischen
Abteilung der Krankenhauspotheke Daten sammeln können, die ich im Anschluss an mein Praktikum an meiner Heimatuniversität Bonn unter der Leitung von Prof. Jaehde auswerten und als Diplomarbeit einreichen konnte. Voraussetzung für die Anerkennung dieser in internationaler Zusammenarbeit entstandenen Diplomarbeit war unter anderem, dass sie in englischer Sprache verfasst
war, damit beide Professoren sie bewerten konnten.
Da meine Diplomarbeit eine Zusammenarbeit zwischen zwei europäischen Universitäten im Bereich der Klinischen Pharmazie darstellte, reichte ich meine Ergebnisse als Abstract bei der European Society of Clinical Pharmacy (ESCP) ein. Mein Abstract wurde als Poster akzeptiert und ich
durfte meine Ergebnisse auf dem nächsten Kongress im Herbst 2003 präsentieren, der zufälligerweise gerade in Valencia stattfinden sollte. So kam es, dass ich fast auf den Tag genau ein Jahr
nach Beendigung meines Praktikums in Valencia wieder vor Ort war und einige meiner damaligen
Kollegen und Freunde und auch Prof. Alos wiedersehen konnte.
Die Krönung meines ERASMUS-Aufenthaltes, der europäischen Zusammenarbeit zweier Professoren und der daraus entstandenen Diplomarbeit war die Auszeichnung meines Posters mit dem
„ESCP POSTER AWARD“: eine Belohnung auch für alle diejenigen, die diese Arbeit überhaupt
erst ermöglicht hatten!
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Pascal Cromm
Aalen
geb. 1965
ERASMUS-Aufenthalt: September 1991 bis Juni 1992
Name/Land der Gasthochschule: European Business Management
School der University of Wales, Swansea
Name der Heimathochschule:
Université Louis Pasteur Straßburg, Frankreich
Fachbereich: Sciences Economiques
SOKRATES-Success: Beruf
ERASMUS durch und durch:
Vom Studenten zum Koordinatoren
Pascal Cromm
ERASMUS durch und durch: Vom Studenten zum Koordinatoren
ERASMUS durch und durch: Vom Studenten zum
Koordinatoren
Pascal Cromm
Dass mein 1988 begonnenes Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Université Louis Pasteur in Straßburg trotz meiner Eigenschaft als Deutsch-Franzose einer weiteren internationalen
Note bedurfte, wurde mir sehr schnell klar. Zu den Angelsachsen sollte es gehen. Nicht nur die
zahlreichen Erzählungen meiner saarländischen Volksgenossen mit ihren in den USA und Großbritannien gemachten Studienerfahrungen brachten mich darauf, sondern ebenfalls der Gedanke an
meinen ersten Englischlehrer: „Cromm … das wird nie was!“ hatte ich noch sehr deutlich in den
Ohren. Und es wurde doch was.
Nach zweijähriger Unterbrechung hochtrabender geistiger Beschäftigung aufgrund des abzuleistenden Zivildienstes im Anschluss an das Abitur, hatte ich in Straßburg zwar zunächst recht intensiv
mit volkswirtschaftlichen und sehr mathematisch angehauchten Modellen zu kämpfen, dennoch
gelang es mir, einen der heiß begehrten Plätze für den Austausch mit den britischen Partneruniversitäten der Université Louis Pasteur (Swansea und Oxford) zu ergattern. Auch die Tatsache, dass
ich in der Uni-Abschlussprüfung des Fachs Englisch – notwendig, um als Kandidat überhaupt in
Betracht gezogen zu werden – den amerikanischen Schauspieler William Hurt zum britischen
Außenminister Douglas Hurd machte, konnte meine Berücksichtigung nicht beeinflussen, wohl
aber vielleicht die Entsendung nach Swansea anstelle von Oxford.
Die Erfahrungen, die ich an der European Business Management School der University of Wales in
Swansea gemacht habe, kann ich sicherlich als prägend für das weitere Leben in jeglicher Hinsicht
bezeichnen. Vieles hat dazu beigetragen, dass ERASMUS heute nach wie vor quasi täglicher Bestandteil meines Lebens ist. Nicht nur die Freundschaften, die geschlossen wurden, sondern auch
der zum französischen System unterschiedliche Lern- und Studieransatz, dank welchem ich in
hervorragender Weise lernte, für das verbleibende Studium in Frankreich in Bezug auf notwendigen oder überflüssigen Lernstoff Prioritäten zu setzen – so sehr, dass mein deshalb enorm angestiegener Freizeitanteil mir den Spitznamen „le touriste“ einbrachte und ich dennoch zum ersten Drittel
meines Abschlussjahrgangs gehörte. Zudem prägen die vielfältigen, mit Kommilitonen von allen
Kontinenten gemachten, interkulturellen Erfahrungen und schließlich eine Fülle an kleinen Mosaiksteinchen. So nahm ich zum Beispiel an einer von den Welsh Development Agencies organisierten Konferenz über ERASMUS und Mobilität teil und war einer von zwei Auserwählten der University of Wales für die von der BBC begleiteten Podiumsdiskussion.
Nach Abschluss des Studiums in Frankreich war mein Wissensdurst noch lange nicht gestillt und,
aufgrund der mit diesem liebenswürdigen, manchmal etwas skurilen, aber in jedem Fall humorvollen Insulanervolk gemachten Erfahrungen, kehrte ich nochmals „continental Europe“ den Rücken
und ging an die School of Management der UMIST in Manchester, um dort meinen Master of
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Pascal Cromm
ERASMUS durch und durch: Vom Studenten zum Koordinatoren
Science in International Business zu machen. Zwar lockte dort bereits gen Ende die Perspektive,
eine Promotion durchzuführen, aber zu diesem Zeitpunkt war die Verlockung eines gut bezahlten
Jobs in der Industrie dann doch größer.
Im Hinterkopf und im Herzen verblieben jedoch die Gefühle und Gedanken an diesen unbezahlbaren Erfahrungsschatz des Kennenlernen von Menschen verschiedener Länder und Kulturen und der
Freude, die dieser Schatz bietet. Als ich mich ein paar Jahre später durch den Wunsch eines Ortswechsels meiner damaligen Freundin und heutigen Frau zwischen der Fortführung meiner beruflichen Karriere im Aftermarket der Automobil-Zulieferindustrie und meiner jetzigen Stelle zum
Leiter des Akademischen Auslandsamtes – und ERASMUS-Koordinatoren – an der Hochschule für
Technik und Wirtschaft Aalen entscheiden konnte, fiel dann die Entscheidung relativ leicht gegen
den pekuniären und zugunsten des geistigen und menschlichen Reichtums.
Nach mittlerweile rund sieben Jahren in dieser Funktion freue ich mich im Rahmen des DAADAufrufs zu den ERASMUS-Stories kurz inne halten zu können, um festzustellen, dass meine Frau
und ich diese Entscheidung zu keinem Zeitpunkt bereut haben. Zwar können meine Mitarbeiter und
ich ebenfalls im Chor der Auslandsämter das Lied der ständigen Überlastung kanonhaft mitsingen,
aber die Arbeit bereitet insgesamt eine solche Freude und Befriedigung, dass manchmal sogar die
eigenen und persönlichen Interessen über längere Zeit zurückstehen, so sehr, dass der eigene Chef
einen auffordern muss, endlich auch mal in eigener Sache Nägel mit Köpfen zu machen. Dies ist
seit September der Fall: Mein Thema zur Promotion als Teilzeitstudent wurde vor wenigen Wochen angenommen und nun startet ein neues Kapitel in Sachen akademische Laufbahn.
Vermutlich wird es abschließend niemanden wundern, dass sich mein im Bereich Higher Education
Management angesiedeltes Thema mit der Ausbildung von ausländischen Studierenden beschäftigt
und ich die Promotion an einer unserer englischen ERASMUS-Partneruniversitäten durchführe.
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Miriam Morath
London, England
geb. 1978
ERASMUS-Aufenthalt: September 2000 bis Januar 2001
Name/Land der Gasthochschule: Université de Cergy-Pontoise,
Frankreich
Name der Heimathochschule: Universität Passau
Fachbereich: Wirtschaftswissenschaften
SOKRATES-Success: Beruf
Ein kleiner Schritt vom ERASMUSAufenthalt in Frankreich zum Job in
England
Miriam Morath
Ein kleiner Schritt vom ERASMUS-Aufenthalt in Frankreich zum Job in England
Ein kleiner Schritt vom ERASMUS-Aufenthalt in Frankreich
zum Job in England
Miriam Morath
Neben meiner persönlichen Motivation ins Ausland zu gehen, für einige Zeit im Ausland zu leben
und die Sprache zu lernen, wurde an der Passauer Universität der Austausch mit anderen Universitäten stark gefördert. Es gab eigentlich keinen Professor, der sich nicht für einen Auslandsaufenthalt ausgesprochen hatte. So war es für die meisten Passauer Studierenden eigentlich mehr oder
weniger selbstverständlich, einen Teil des Studiums an einer anderen Universität zu verbringen.
Diese positive Grundstimmung bestärkte mich weiter, mich für ein Austauschprogramm im Rahmen von SOKRATES/ERASMUS zu bewerben. So entschied ich mich für Frankreich. Ich bewarb
mich für drei Universitäten, Toulouse, Cergy-Pontoise (aufgrund der Nähe zu Paris) und Tours.
Schließlich kam ich nach Cergy-Pontoise. Aufgrund der Kooperation gab es keine Probleme, ein
Zimmer im Wohnheim zu bekommen. Und so ging es Anfang September mit dem Zug nach Paris...
Die Ankunft in Paris war recht chaotisch, da ich nicht nur drei schwere Taschen mit mir herumschleppte, sondern ich mich zunächst auch noch verfuhr. Nach einer etwas längeren Irrfahrt kam
ich dann jedoch beim ERASMUS-Büro an, wo schon mehrere Mitaustauschstudierende warteten.
Von dort wurden uns unsere Zimmer zugeteilt, und wir hatten das Wochenende, um uns alle kennenzulernen. Die Zimmer selbst waren – von einem deutschen Standpunkt aus gesehen – sehr
einfach, spartanisch und heruntergekommen, das Wohnheim für französische Verhältnisse jedoch
in Ordnung. Die ersten Universitätstage waren ziemlich chaotisch, da sich herausstellte, dass eine
Finnin und ich die beiden einzigen waren, die Wirtschaftswissenschaften studieren wollten, und wir
auch die ersten seit fünf Jahren waren, die dies vorhatten. So musste zunächst ein Koordinator
gefunden werden, der sich mit uns um unser Studium in Frankreich kümmern sollte. Die meisten
unserer Mitstudierenden waren auf Grund des französischen Schulsystems zwei bis drei Jahre
jünger. Neben den fachlichen Kursen wurde außerdem ein Französischkurs angeboten, der mir
persönlich sehr geholfen hat. Die Dozentin war sehr engagiert und hat Theater- und Museumsbesuche für uns organisiert. Leider wohnten die meisten französischen Studierenden nur während der
Woche in Cergy und fuhren über das Wochenende nach Hause. So hatte man eigentlich keine
Gelegenheit, französische Studierende kennenzulernen, da diese außerdem während der Woche
sehr hart studierten. Daher blieben die ERASMUS-Studierenden meist unter sich. Wir waren eine
recht gemischte Truppe aus drei Deutschen, einer Finnin, einer Polin, einer Ungarin, einigen Engländern und Spaniern. Die Wochenenden verbrachten wir meistens in Paris, eine Stadt, die mir in
dieser Zeit sehr ans Herz gewachsen ist.
Insgesamt war der Aufenthalt nicht ganz so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich habe wenige
Franzosen kennengelernt, an der Uni war es recht chaotisch, Cergy selbst ist eine Trabantenstadt,
ziemlich hässlich (leider auch nicht ungefährlich), und es gibt nichts, was man dort wirklich tun
könnte – von zwei Pubs, einem Stripclub und einem Einkaufszentrum mal abgesehen. Ich habe in
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Miriam Morath
Ein kleiner Schritt vom ERASMUS-Aufenthalt in Frankreich zum Job in England
dieser Zeit jedoch viel über mich selbst gelernt und bin mir über viele Dinge um einiges klarer
geworden. Ich habe erkannt, dass man versuchen muss, aus jeder Situation das Beste zu machen,
und dass man doch einiges überstehen kann. Während meiner Zeit in Cergy ist mir klar geworden,
dass ich nicht mehr in Passau weiter studieren möchte, und ich habe mich entschieden, an die Universität Köln zu wechseln.
Bereits als sich ein Ende meines Studiums abzeichnete, habe ich mir überlegt, was ich danach
machen sollte. Da der deutsche Arbeitsmarkt nicht sehr vielversprechend aussah, und ich meine
Zeit im Ausland sehr genossen hatte, überlegte ich mir, dass sich dies vielleicht noch einmal wiederholen ließe.
So hat es mich letztes Jahr im September nach Abschluss meines Studiums nach London verschlagen, wo ich momentan arbeite. Die Entscheidung, einfach ins Blaue hinein zu fahren, ohne Job und
mit einer Wohnung, die ich vorher noch nie gesehen hatte, fiel mir recht leicht. Ich dachte mir, dass
sich das alles vor Ort schon finden würde. Und ich dachte mir auch, dass wenn ich es jetzt nicht
mache, ich es nie machen würde. Mit einem Job in Deutschland würde man vermutlich nicht einfach alles hinter sich lassen.
Jobmäßig war es am Anfang nicht einfach, da auch der Bewerbungsprozess sehr unterschiedlich
zum deutschen ist. Dafür gibt es hier viele zeitlich befristete Jobs, mit denen man sich gut über
Wasser halten kann. Besonders Bewerber mit einer zweiten europäischen Sprache sind sehr begehrt. Ich arbeite nun als Research Associate bei Datamonitor. Datamonitor ist eine internationale
Firma, die sich auf Branchenanalysen sepzialisiert hat. Ich selbst arbeite im Bereich Technology Enterprise Applications & Mobility.
Mit der Wohnung hat alles sehr gut funktioniert, aber ansonsten steht England der deutschen Bürokratie in nichts nach und eine Kontoeröffnung ist schnell ein Prozess, der sich über mehrere Wochen hinziehen kann. Europa ist noch nicht so sehr zusammengewachsen wie man es sich wünschen könnte, auch wenn es sehr positiv ist, keine Arbeitserlaubnis und Aufenthaltsgenehmigung
zu benötigen. Allerdings ist es viel schwieriger, auf eigene Faust in eine neue Stadt zu gehen, als im
Rahmen eines organisierten Programmes wie ERASMUS. Zum einen übernimmt die Universität
viele Formalitäten und zum anderen trifft man viele ERASMUS-Studierende, die in der gleichen
Situation sind, und hat so von Beginn an ein soziales Umfeld.
London selbst ist eine sehr faszinierende Stadt, und je länger ich hier bin, desto besser gefällt sie
mir. Da diese Stadt einfach riesig ist, kann man sich auch sicher sein, dass man nie alles gesehen
hat. Das Angebot ist so groß, dass man leicht den Überblick verliert. Besonders zu Beginn war die
Zeit hier ein großes Auf und Ab, aber inzwischen habe ich mich hier sehr gut eingelebt und freue
mich auf die Zeit, die vor mir liegt. Irgendwann werde ich sicherlich wieder nach Deutschland
zurückkommen. Ich kann sagen, dass mir die Entscheidung, nach London zu gehen, nicht ganz so
leicht gefallen wäre, wenn ich vorher nicht schon einmal eine Zeit in einem anderen Land verbracht
hätte.
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Miriam Morath
Ein kleiner Schritt vom ERASMUS-Aufenthalt in Frankreich zum Job in England
Aus meiner Zeit in Frankreich sind zwei gute Freunde geblieben, die beide ebenfalls in England
leben. Nächstes Jahr im Mai bin ich auf Ihrer Hochzeit eingeladen. Letztes Jahr im Dezember
haben sich viele der ehemaligen ERASMUS-Studierenden aus Cergy hier in London getroffen, und
obwohl wir uns seit drei Jahren nicht mehr gesehen hatten, war es fast so, als sei man immer noch
in Frankreich.
P.S.: Das englische Wetter ist nicht ganz so schlecht wie man denkt! Allerdings gehört der Regenschirm zur Grundausstattung.
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Matthias Frede
Hamburg
geb. 1977
ERASMUS-Aufenthalt: 1. September 2003 bis 31. Dezember 2003
Name/Land der Gasthochschule: Hoogeschool voor Wetenschapt en
Kunst, Brüssel/Belgien
Name der Heimathochschule: Fachhochschule Brandenburg
Fachbereich: BWL
SOKRATES-Success: Praktikum und Wohnungsglück
Erstklassig vom Bügeleisen bis zur
Espressokanne – insbesondere das
Praktikum für Brandenburg in Brüssel
Matthias Frede
Erstklassig vom Bügeleisen bis zur Espressokanne – insbesondere das Praktikum in Brüssel
Erstklassig vom Bügeleisen bis zur Espressokanne –
insbesondere das Praktikum für Brandenburg in Brüssel
Matthias Frede
Mein Einstieg in das ERASMUS-Programm kam recht plötzlich. Als ich während meines Praxissemesters erfuhr, dass es noch freie Plätze für ein Auslandssemester gibt, stand mein Entschluss so
gut wie fest, denn diese Chance sollte sich keiner entgehen lassen. So trat ich schon wenige Wochen nach dem Entschluss meine Reise in Europas Hauptstadt Brüssel an.
Meine Gasthochschule war die Hoogeschool voor Wetenschapt en Kunst. Die Unterbringung erfolgte in einer von der Hochschule vermittelten Wohnung (235 EUR pro Monat), ganz in der Nähe
der Hochschule (drei Busstationen/sieben Minuten Fußweg). Nicht alle Studierenden hatten so viel
Glück (teilweise 20 Minuten METRO). Die Wohnung war sehr ruhig gelegen, was auch nicht
unbedingt die Regel war. Andere Studierende wohnten z.B. gegenüber von einem Straßenbahndepot, was zu erheblichen Geräusch- und Erschütterungspegeln gegen 0:00 Uhr und 4:30 Uhr führte,
oder im Araber-Viertel. Die Wohnung war groß (ca. 90 qm) und bot Zimmer für drei Personen. Wir
waren jedoch nur zu zweit und teilten ein Bad und die Küche. Die Einrichtung war recht alt, aber
ich habe mich immer wohl gefühlt und hatte einen schönen Blick über Brüssel. In der Wohnung
war alles vorhanden, was benötigt wird, vom Bügeleisen bis zur Espresso-Kanne. Die Zimmer
hatten je ein Doppelbett, einen Schreibtisch und ausreichend Schränke. Ein Telefon bzw. einen PC
(obwohl versprochen) gab es in der Wohnung nicht. Auf Trennung nach Geschlechtern wurde bei
der Vergabe der Wohnungen keine Rücksicht genommen, im Gegenteil. Es wurde bewusst gemischt, um zu gewährleisten, dass die Damen abends heil nach Hause kommen. Insgesamt war ich
mit der Unterbringung sehr zufrieden und bin der Hochschule recht dankbar, dass sie mir bei der
Suche behilflich war. Wie ich nämlich im Laufe des Semesters in Gesprächen mit anderen Gaststudierenden und PraktikantInnen in Brüssel feststellte, ist es auch sehr wahrscheinlich, 700 EUR für
ein winziges, schmutziges Zimmer zu bezahlen.
Das Studium teilte sich in einen Pflichtbereich und Wahlbereiche ein. Dabei wurden für die ERASMUS-Studierenden separate Vorlesungen angeboten, lediglich das Fach Englisch fand gemeinsam
mit den belgischen Studierenden statt. Die Fächer waren im Einzelnen: Niederländisch (ca. 60
Std.), Englisch, EDV, Statistik und dazu zwei Fächer aus den Bereichen Marketing, Accounting
und Management. Die Vorlesungen fanden ausschließlich auf Englisch statt, der Niederländischunterricht (abgesehen von den ersten Stunden) auf Niederländisch. In allen Fächern mussten Prüfungen abgelegt werden bzw. kleine Hausarbeiten geschrieben werden, die bestanden werden mussten,
um die an meiner Heimathochschule nur schwer zu nutzenden ECTS Punkte zu erwerben. Die
Vorlesungen wurden in unregelmäßigen, ca. 2 Wochen im voraus veröffentlichten Stundenplänen
bekanntgegeben und fanden normalerweise montags bis freitags statt, teilweise auch samstags. In
der Regel hatten wir ca. 25-30 Stunden Vorlesung pro Woche, wobei zu beachten ist, dass der Stoff
des ganzen Semesters auf zwei Monate komprimiert werden musste, da sich ab November ein
Praktikum anschloss.
26
Matthias Frede
Erstklassig vom Bügeleisen bis zur Espressokanne – insbesondere das Praktikum in Brüssel
Dieses Praktikum wurde von der Hochschule vermittelt und fand in verschiedenen interessanten
Unternehmen im Großraum Brüssel statt. Mir bescherte es eine auch für den Lebenslauf sehr interessante Tätigkeit bei der „Vertretung des Landes Brandenburg bei der Europäischen Union“. Hierbei
bot sich mir die Gelegenheit, interessante Einblicke in die Institutionen und das Umfeld der EU zu
gewinnen.
Brüssel selbst bietet eine Menge an interessanten Dingen. Zahlreiche Museen, die Einrichtungen
der EU, Plätze, Parks, Geschäfte und Sehenswürdigkeiten. Man sollte sich jedoch im Klaren sein,
dass man ohne Französischkenntnisse zwar das Studium erfolgreich absolvieren kann, im täglichen
Leben jedoch häufig vor erhebliche Probleme gestellt wird. Schon beim Kaufen der Metrokarte
guckt man meist in traurige, hilflose Augen, wenn man Englisch spricht. Außerdem sei erwähnt,
dass Brüssel natürlich eine große Stadt ist, jedoch vorwiegend von montags bis freitags lebt, da fast
alle EU-Beschäftigten am Freitagnachmittag die Heimreise antreten. Falls einem Brüssel zu langweilig wird, ist es jedoch ohne großen Aufwand möglich, sich die Wochenenden mit Ausflügen
nach Gent, Brügge, Antwerpen und Amsterdam zu versüßen.
Das Studium selbst hat in jedem Fall nicht das gehalten, was ich mir davon versprochen hatte. Die
Gruppe der Studierenden (sieben Studierende aus vier Nationen) war zu klein und durch den divergierenden Wissensstand der Studierenden aus verschiedenen Ländern, Studiengängen und Semestern (einige 2. Semester, andere 8. Semester, ich 5. Semester) kamen auch die Inhalte in den Vorlesungen etwas zu kurz. Positiv war in erster Linie, dass ich mich sprachlich entwickeln und eine
weitere Fremdsprache erlernen konnte. Dazu kam dann noch das, wie ich finde, erstklassige Praktikum, was insgesamt dazu führte, dass ich den Aufenthalt als einen Gewinn für mich sehe.
Ich bereue den Aufenthalt nicht und würde jederzeit wieder ins Ausland gehen, jedoch mit anderen
Erwartungen.
27
Tomasz Jacak
Siedlce, Polen
geb. 1981
ERASMUS-Aufenthalt: 10. März 2003 bis 13. Juli 2003
Name/Land der Gasthochschule: Fachhochschule Nordhausen,
Deutschland
Name der Heimathochschule: Akademia Podlaska in Siedlce, Polen
Fachbereich: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
SOKRATES-Success: Studium und Persönlichkeitsentfaltung
Aus zweitem zu Hause in Nordhausen
wächst berufliches Selbstbewusstsein
Tomasz Jacak
Aus zweitem zu Hause in Nordhausen wächst berufliches Selbstbewusstsein
Aus zweitem zu Hause in Nordhausen wächst berufliches
Selbstbewusstsein
Tomasz Jacak
Eines Tages hat mich mein Kommilitone angerufen und gesagt, dass unsere Dekanin Studierende
sucht, die in Deutschland studieren möchten und genug Deutsch können. Ich habe sofort gemeint,
das wäre was für mich, und kurz danach habe ich mich mit ihr in Verbindung gesetzt. Ich war
wirklich begeistert, denn bevor ich mit dem BWL-Studium angefangen hatte, wollte ich Deutsch
als Fremdsprache studieren. Jetzt bekam ich die Möglichkeit, im Fachbereich Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Nordhausen zu studieren. Aber es war noch ein langer
Weg bis ich in Nordhausen erschien. Ich war gestresst, denn ich und mein Kommilitone sollten die
ersten ERASMUS-Studenten aus meiner Hochschule sein, die nach Nordhausen gingen. Also
wussten wir beide nicht, was uns erwartet und wie alles organisiert sein würde. Vorher war ich
noch nie im Ausland gewesen und jetzt musste ich eine schwere Entscheidung treffen. Ich habe
mich natürlich dafür entschieden, aber bevor ich am 10. März in Deutschland ankam, musste ich
noch viele Formulare ausfüllen und mein Visum beantragen.
Dank der deutschen Tutoren und anderen Ansprechpartnern an der Fachhochschule habe ich mich
bald in Nordhausen wie zu Hause gefühlt. Ich hatte keine Probleme mit der fremden Kultur und
den Leuten. Es hat sich auch gezeigt, dass die Sprachbarriere nicht so groß war und ich mit dem
Deutschen gut zurecht kam. Mein Aufenthalt in Deutschland war ein großer Erfolg. Alle waren
nett, nicht nur die Studierenden, sondern auch die Dozenten und die Hochschulverwaltung.
Das Studieren an der FH war total anders als in Polen. In Deutschland habe ich in kleineren Gruppen studiert z.B. im Fach Risikomanagement gab es nur sechs Studierende und dazu waren alle
sechs Austauschstudierende. Das wäre an meiner Hochschule kaum vorstellbar gewesen. Das war
eine andere Qualität des Studierens. Ich hatte die Möglichkeit, Module selber auszuwählen, die ich
besuchen wollte. Mein Studienplan entsprach allen meinen Erwartungen und Wünschen.
Außerdem hat die Fachhochschule uns, also allen ausländischen Studierenden, einige Ausflüge
organisiert z.B. eine dreitägige Exkursion nach Dresden (Foto 1). In der dortigen Gegend gibt es
die schönsten Aussichten, die ich je gesehen habe; wie auf der Bastei (Foto 2). Wir haben auch
selber verschiedene Städte besichtigt z.B. Weimar, Stolberg und Göttingen. In Nordhausen habe ich
viele Menschen aus der ganzen Welt kennengelernt und mit einigen bin ich noch heute in Kontakt.
Ab und zu schaue ich mir Fotos aus Deutschland an und werde traurig, weil alles schon vorbei ist.
Ich erinnere mich oft an die Partys, die ich in meiner WG oder im Studentenclub oder irgendwo
gefeiert habe. Ich werde das NIE vergessen und niemand kann mir meine Erinnerungen je wieder
wegnehmen.
Es hat sich wirklich gelohnt, nach Nordhausen zu fahren. Ich habe meinen Horizont erweitert und
wichtige Lebenserfahrungen gesammelt. Es ist mir klar geworden, dass ich über große Anpassungs30
Tomasz Jacak
Aus zweitem zu Hause in Nordhausen wächst berufliches Selbstbewusstsein
fähigkeit verfüge und keine Probleme mit allem, was fremd ist, habe. Außerdem habe ich alle
Prüfungen an der FH gut bis sehr gut bestanden und die Noten wurden an meiner Heimathochschule anerkannt. Das Studium in Deutschland war mein persönlicher Erfolg und ich profitiere von ihm
und werde noch lange von ihm profitieren. Nach meiner Rückkehr aus Deutschland habe ich problemlos Aufnahmeprüfungen für ein Germanistikstudium bestanden und jetzt studiere ich außer
BWL noch Deutsch als Fremdsprache. Das wollte ich immer machen. Bald bin ich mit BWL fertig,
in zwei Jahren mit DaF und dann finde ich sicherlich eine gute Arbeit. Ich weiß, dass ich in ein
paar Jahren beruflichen Erfolg haben werde. Dazu trägt mein Studium in Deutschland bei. Abschließend kann ich sagen, ich würde mich sofort noch einmal zu einem SOKRATES-ERASMUSAustauschprogramm entschließen, wenn das noch einmal möglich wäre.
31
Jan Reichelt
Monheim
geb. 1979
ERASMUS-Aufenthalt: Oktober 2002 bis Dezember 2002
Name/Land der Gasthochschule: University of Bath
(School of Management), Bath, England
Name der Heimathochschule: WHU Koblenz/Vallendar
Fachbereich: BWL
SOKRATES-Success: Beruf
Ein unerwarteter Marketing-Preis in
England
Jan Reichelt
Ein unerwarteter Marketing-Preis in England
Ein unerwarteter Marketing-Preis in England
Jan Reichelt
Im Folgenden einige hypothetische Überlegungen: Nehmen wir einmal an, Sie sind Student in
Deutschland und Sie haben im Jahr 2002 ein wunderbares, weil angenehmes und interessantes
Auslandsjahr in zwei verschiedenen Sprachräumen verbracht, unter anderem ein ERASMUSSemester an der University of Bath in England (wie es bei mir der Fall war). Und dann haben Sie es
wieder einmal geschafft, ein weiteres Semester, nämlich das sechste (Frühjahrssemester 2003), in
Deutschland abzuschließen. Nun nehmen wir – weil’s so schön ist – noch an, dass Sie mitten im
Zentrum von Bangkok sitzen, weil Sie sich bereits in einem weiteren Praktikum befinden und
morgens ins Büro kommen (total verschwitzt – natürlich, in dieser Klimazone). Jetzt wird’s kompliziert: Wie können Sie da gleichzeitig einen Marketing-Wettbewerb in England gewinnen? –
Keine Ahnung, aber bei mir hat es jedenfalls funktioniert...
Ein Doppelklick auf das Symbol des Internet Explorers eröffnete meinen Arbeitstag in Bangkok.
Üblicherweise sah ich morgens nach meinen E-Mails vom Vortag, da ja zwischen Bangkok und
Europa fünf Stunden Zeitunterschied liegen. Eine E-Mail fiel mir besonders auf: „IDM invites you
to final presentation in London“. Es konnte aufgrund des Absenders keine Werbe-E-Mail sein. Statt
dessen befand sich darin eine Einladung nach London, um Ergebnisse eines bei mir längst in Vergessenheit geratenen Marketing-Wettbewerbs zu präsentieren... Ich sah konsequenterweise keinen
Anlass, das Schwitzen zu beenden.
Der Fall klärt sich, wenn wir die Zeit ca. acht Monate zurückdrehen. Ich saß damals als ERASMUS-Student in der Vorlesung „Integrated Marketing Communications“ an der University of Bath,
bei der in England sehr bekannten Marketing-Professorin Dr. Agnes Nairn. Als Kursinhalt wurden
Konzepte und Methoden des (...strategischen...) Direktmarketings vorgestellt. Darüber hinaus gab
es die Aufgabe, als Coursework an dem englandweit ausgeschriebenen Wettbewerb „IDM Student
Direct Marketing Competition“ teilzunehmen. IDM steht dabei für „Institute of Direct Marketing“
und dieses Institut stellte in Kooperation mit der größten englischen Direktmarketing-Agentur und
deren Kunden die Aufgabe, für die britische AA („Automobile Association“, ähnlich dem deutschen ADAC) eine Direktmarketing-Strategie zu entwickeln, die aus mehreren relativ komplexen
Komponenten bestand. Ich möchte dabei nicht zu sehr ins Detail gehen und von der Steigerung der
„Cross-sell rate“, der „Customer retention rate“ oder des „Customer value“ erzählen. Fakt war
jedoch, dass es darum ging, einen konkreten Fall aus der Praxis zu lösen und besagte Strategie zu
entwickeln. Mein primäres Ziel war allerdings, in Kontakt mit britischen Studierenden zu kommen
(da es sich um Gruppenarbeit handelte) und Arbeitserfahrung auf dem englischen Markt zu sammeln.
Schließlich landete ich bei einer Dreier-Gruppe englischer Studentinnen (was für ein Pech!), die
noch nach einem „Zahlenjongleur“ suchten, da ein Teil der Aufgabe die Erstellung eines kompletten drei-fünf-Jahres-Budgets war. Nach unseren ersten Treffen wurde schnell klar, dass wir die
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Jan Reichelt
Ein unerwarteter Marketing-Preis in England
Unmenge von bereitgestellten Informationen sinnvoll verringern sowie uns auf Hauptpunkte in der
Aufgabenstellung konzentrieren mussten. Auch die Aufgabenaufteilung blieb bei der Arbeitsmenge
natürlich nicht starr. Die detaillierte Vorgehensweise wird jedoch auch hier wenig interessieren.
Fest steht, dass wir innerhalb von sechs Wochen ein 20-seitiges Exposé (zuzüglich unzähliger
Anhänge) einreichen mussten. Den Abgabetermin verfehlten wir (welch’ Wunder) wieder einmal
nur knapp und ich war froh, dass diese Arbeit ein Ende hatte und ich am Tag später nach Deutschland zurückfahren konnte, denn Weihnachten 2002 stand ja vor der Tür und die Abgabe dieser
Arbeit war sozusagen meine letzte Tat im Auslandsjahr.
So war das damals während meines ERASMUS-Aufenthalts in Bath. Nur zur Erinnerung: Meine
Ziele waren, Kontakt zu englischen Studierenden zu bekommen und Einblicke in den englischen
Markt zu erhalten. Natürlich war uns Vieren bekannt, dass man bei diesem Wettbewerb auch etwas
gewinnen konnte; bei meinen eigentlichen Zielen, der starken Arbeitsbelastung der anderen, der
großen Konkurrenz von anderen englischen Unis und deren offiziellem Abgabetermin im Mai 2003
war uns jedoch klar, dass für uns nicht die geringsten Aussichten auf einen Sieg bestünden.
Und dann fällt auf, was man in acht Monaten so alles vergessen kann. Vollkommen überrascht saß
ich also nun in Bangkok vor dieser E-Mail, vor allem auch im Hinblick auf die Bewertung der
Professorin, die damals durchaus einige Kritikpunkte anzumerken hatte. Aber die Praxis schien der
Theorie zu widersprechen. Diese Einladung galt nun für den 25. Juli 2003, und ich kam glücklicherweise am 18. Juli aus Bangkok zurück, hielt am 22. Juli meine Präsentation der Ergebnisse des
Bangkok-Praktikums in Bonn und hatte schon ab dem 22. Juli abends Urlaub in Rom gebucht. Und
jetzt das.
Zu allem Übel war für London auch noch eine Endausscheidung zwischen den zwei Finalisten
geplant, und wir sollten doch bitte noch eine Final-Präsentation erstellen, in der wir vor einem
Finalkomitee noch einmal die Grundkonzepte unserer Strategie vorstellen sollten. Sehr gut – eine
ehemalige Teamkollegin war noch in Bath, die anderen beiden saßen in London und Paris und ich
in Bangkok. Es hätte wohl bessere Voraussetzungen für Teamarbeit geben können, aber Telefonate,
E-Mails und die wieder erwachten Erinnerungen an die effektive Teamarbeit in Bath halfen uns,
die geforderte Präsentation zu erstellen. Mein Urlaub in Rom wurde dann durch drei Tage in London unterbrochen, und unser Team gewann auch noch die Final-Präsentation gegen die University
of Huddersfield und damit die gesamte „IDM Student Marketing Competition 2003“ gegen 370
andere Studierende von 50 englischen Universitäten.
An diesem Tag gab es dann zur Belohnung neben dem Geldpreis (von dem wir damals in Bath ja,
wie gesagt, niemals zu träumen gewagt hätten!) und einem hervorragenden Mittagessen viel Lob,
exzellente Kontakte zu Professionals aus der Praxis und anschließend rege Presseaktivitäten.
Interessant für mich an dieser Geschichte ist die Tatsache, dass einem ein ERASMUS-Aufenthalt
an einer anderen europäischen Universität, wie beschrieben, wesentlich mehr bieten kann, als nur
ein „Auslandssemester“. Er bot mir die Gelegenheit, wirklich Land und Leute kennenzulernen,
andere Arbeitsweisen zu beobachten und in der Tat erfolgreich in einem internationalen Team zu
arbeiten. Somit hat der ERASMUS-Aufenthalt mich nicht nur fachlich, sondern auch persönlich
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Jan Reichelt
Ein unerwarteter Marketing-Preis in England
weitergebracht. Es ist eine Erfahrung, für die ich dankbar bin und die ich jedem nur weiter empfehlen kann. Insgesamt hat dieses Ergebnis meinen Aufenthalt in England, der sowieso schon richtig
gut war, zu einem absoluten Highlight werden lassen!
Natürlich habe ich mittlerweile aufgehört zu schwitzen.
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Prof. Dr. Sabine Baumann
Wedel
geb. 1966
ERASMUS-Aufenthalt: September 1987 bis April 1988
Name/Land der Gasthochschule: Trent Polytechnic Nottingham
(heute The Nottingham Trent University), Großbritannien
Name der Heimathochschule: Universität Paderborn
Fachbereich: Economics and Social Sciences
SOKRATES-Success: Beruf und Freundschaften
Von der ERASMUS-Stipendiatin zur
SOKRATES-Koordinatorin
Prof. Dr. Sabine Baumann
Von der ERASMUS-Stipendiatin zur SOKRATES-Koordinatorin
Von der ERASMUS-Stipendiatin zur SOKRATESKoordinatorin
Prof. Dr. Sabine Baumann
Ein Auslandsaufenthalt in Großbritannien war schon mein Wunsch, als ich 1985 mein Studium der
Wirtschaftswissenschaften begann. Da die Universität Paderborn für ihre zahlreichen Austauschprogramme bekannt war, fiel es leicht, sich für diese Hochschule zu entscheiden. Nach dem Vordiplom ging es dann im September 1987 nach Nottingham. Zwischen dem dortigen Trent Polytechnic (heute The Nottingham Trent University) und der Universität Paderborn bestand bereits eine
langjährige Partnerschaft mit regem Austausch an Studierenden und Dozenten sowie gemeinsamen
Projekten. Und da war es fast selbstverständlich, dass daraus eine der ersten ERASMUSPartnerschaften meiner Heimathochschule wurde.
Mit meiner Zeit in Nottingham verbinde ich viele positive Erinnerungen und Erkenntnisse wie die,
dass das Wetter in England nicht wirklich so nass oder das Essen nicht halb so schlecht sind, wie
ihnen nachgesagt wird. Die „Kunst des richtigen Wartens an Bushaltestellen“ lässt sich auch
schnell erlernen, samt zugehörigem Small Talk zur Wetterlage. Auch die Erfahrungen mit dem
englischen Lehr- und Lernsystem, den kleineren Gruppen und der intensiven Betreuung möchte ich
nicht missen. Nicht zu vergessen der englische Humor: Wer kennt schon Professoren, die wie
„Eddie the Eagle“ im Hörsaal Ski springen oder als eingefleischte Manchester United Fans die
aktuelle Ligatabelle als Grundlage für statistische Analysen benutzen?
Am Bedeutendsten sind und waren aber die Begegnungen mit Menschen, aus denen enge Freundschaften entstanden sind. Sei es mit früheren Kommilitonen, mit Nottinghamer Hochschullehrern
oder mit Menschen, die ich außerhalb der Hochschule traf. Einer dieser Freunde hat über den Kontakt mit deutschen Austauschstudierenden, die in den Folgejahren in seinem Haus zur Untermiete
wohnten, seine (englische!) Frau kennengelernt. Auf der Hochzeit trafen wir uns dann alle wieder,
ERASMUS-Studierende aus mehreren Studienjahren.
Mein Kontakt nach England ist nie abgerissen. Nach meinem Examen betreute ich als Assistentin
des Dekans des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften die Kooperation mit Nottingham. Zahlreiche Besuche und Gegenbesuche folgten und ich lernte meine früheren Lehrer nun auf der Ebene
der Koordinatoren kennen. Wieder eine neue Perspektive des Studierendenaustausches. Mittlerweile bin ich selbst als Hochschullehrerin für Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Wedel tätig, an
der ich auch das International Office leite. Als ich den Freunden an der Nottingham Trent University die neuen Kontaktdaten übermittelte, gab es sofort eine Einladung nach Nottingham. Und – wir
haben gerade eine neue englisch-deutsche Hochschulpartnerschaft etabliert.
Mein persönlicher „SOKRATES-Success“ ist eine Liebe zu Land und Sprache, die mich seit meinem Studium in Nottingham begleitet und bereichert hat. Es ist müßig, auf die Funktion der englischen Sprache als „Lingua Franca“ von Wirtschaft und Wissenschaft hinzuweisen. Heute, als
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Prof. Dr. Sabine Baumann
Von der ERASMUS-Stipendiatin zur SOKRATES-Koordinatorin
Hochschullehrerin bin ich zudem froh, dass ich zur aktuellen Diskussion zu Bachelor- und Masterabschlüssen sowie neuen Lehrformen aus eigener Erfahrung beitragen kann.
Die während des ERASMUS-Aufenthaltes in Nottingham entstandenen Freundschaften sind die
Basis, dass die neue Hochschulkooperation Früchte trägt und nun die nächste Studierendengeneration auszieht, Europa zu erleben und an den Erlebnissen zu wachsen. Mögen durch ihre Aufenthalte
fest verwurzelte europäische Bindungen entstehen.
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Björn Bornemann
Hannover
ERASMUS-Aufenthalt: Wintersemester 2002
Name/Land der Gasthochschule: Lahti Polytechnic of Design,
Finnland
Name der Heimathochschule: Fachhochschule Hannover
Fachbereich: Industriedesign
SOKRATES-Success: Studium
Studieren am Polarkreis – Rentiere und ein
erster Preis beim Produktdesignwettbewerb
Björn Bornemann
Studieren am Polarkreis – Rentiere und ein erster Preis beim Produktdesignwettbewerb
Studieren am Polarkreis – Rentiere und ein erster Preis beim
Produktdesignwettbewerb
Björn Bornemann
Wie kommt man auf die Idee, ausgerechnet in Finnland zu studieren? Es gibt sicher zahlreiche
positive sowie negative Vorurteile gegenüber diesem Land, vor allem von denen, die dort natürlich
noch nie waren. Das Schöne ist: Die positiven Vorurteile stimmen fast alle, die negativen kaum!
Die beste Frage, die mir jemand stellte, war die nach den Bären und wilden Tieren. Nun – in Finnland gibt es sie noch, aber bestimmt nicht in nächster Nähe von Menschen.
Viele meinen, es sei dort immer kalt und dunkel (außer vielleicht im Sommer) und die Mücken
würden jeden lebendig fressen … Grundsätzlich kann ich nach den vorhergehenden zahlreichen
Urlauben in allen skandinavischen Ländern sagen, dass dies alles eher Vorurteile sind. Selbst die
Dunkelheit habe ich im Winter erträglicher als in Deutschland empfunden, war doch die Landschaft
voller Schnee und strahlte selbst nachts hell und freundlich. Die Kälte ist wesentlich angenehmer,
da die Luftfeuchte geringer ist. Somit sind die gefühlten durchschnittlichen Minusgrade durchaus
vergleichbar mit denen eines deutschen Winters.
Seit Jahren war ich nun Skandinavienfan, war oft in Schweden und Norwegen gewesen und auch
schon zweimal im Urlaub in Finnland. Daher wusste ich, was auf mich zukam. Mich interessierte
das Land, die Kultur und natürlich die Erfahrung, einmal in einer völlig unbekannten Umgebung zu
studieren. Für das skandinavische Design hatte ich mich schon seit Jahren begeistert; dies war wohl
einer der Hauptgründe, weshalb ich gerne in einem dieser Länder studieren wollte. Lahti ist die
einzige Partnerhochschule, die offizieller ERASMUS-Partner unserer Fachhochschule in Hannover
ist, zumindest in dem Bereich Industriedesign.
Die Bewerbung verlief sehr einfach und die Chancen auf einen Studienplatz standen denkbar gut,
da es unter den Designstudierenden an meiner Hochschule kaum Konkurrenz gab. Es bot sich die
Möglichkeit an, einen Monat vor Studienbeginn einen vierwöchigen Intensivsprachkurs in Finnland
zu machen, den ich unbedingt in jeder Hinsicht empfehlen kann. Was sollte man noch können?
Englisch einigermaßen zu beherrschen, ist in Finnland unerlässlich, wenn man kein Wort Finnisch
spricht. Schwedisch ist schon hilfreicher, da ein ernst zunehmender Anteil Finnen Schwedisch
spricht und dies auch die erste Fremdsprache in der Schule ist. Aber jeder Finne spricht mehr oder
weniger Englisch und damit ist man vor Ort gut aufgehoben.
Mit dem Zug fuhr ich von Hannover nach Rostock (fünf Stunden), dann auf die Fähre nach Hanko
(22 Stunden). Von dort ging es mit dem Zug nach Rovaniemi an den Polarkreis (12-15 Stunden).
Ich hatte die Stadt Rovaniemi gewählt – so weit wie möglich von meinem Studienort entfernt, um
bereits am Anfang viel vom Land zu sehen. Keine Frage: Eine solche Reise ist wirklich anstrengend! Etwa 40 Stunden ohne Pause zu reisen ist hart, aber trotz allem machbar, wobei die Kosten
etwa die Gleichen sind (ca. 180 Euro pro Fahrt) wie mit dem Flugzeug. Einziger echter Vorteil:
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Björn Bornemann
Studieren am Polarkreis – Rentiere und ein erster Preis beim Produktdesignwettbewerb
Man kann viel mehr Gepäck mitnehmen. Ein weiterer Vorteil ist natürlich, eine echte Reise zu
machen, und damit schon viel mehr vom Land gesehen zu haben, als bei einem etwa 120 Minuten
dauernden Flug.
Rovaniemi hat etwa 25.000 Einwohner und gehört von der Größe her zu den mittelgroßen Städten
Finnlands. Dort „oben“ ist dies aber die größte Siedlung. Am Polarkreis gelegen hat man selbst im
August noch helle Nächte und es ist durchaus warm (20°-25°C). Wir hatten das besondere Glück
eines besonders warmen Monats und konnten sogar schwimmen gehen. Die Stadt hat zahlreiche
Sehenswürdigkeiten zu bieten. Angefangen sicherlich vom Weihnachtsmann, der dort wohnt (die
Finnen haben das für sich beschlossen), über das Arktikum, einer Mischung aus Museum und
Forschungszentrum für den Norden, über weitere kleinere Museen bis zu viel Natur! Immerhin ist
es die letzte größere Ansiedlung im Norden, das Tor Lapplands. Danach werden die Orte deutlich
kleiner. Es ist für Deutsche recht ungewohnt, wenn man mitten in der Stadt bereits den Eindruck
von echter Wildnis bekommt, sich schon kurz hinter der Stadtgrenze verloren im Nirgendwo wiederfindet, und einem vielleicht die ersten halbwilden Rentiere über den Weg laufen. Dies kann
einem in Finnland jedoch auch in größeren Städten passieren.
Der Sprachkurs fand von Montag bis Freitag in den Räumen der Universität von Lappland (die
nördlichste der EU) statt. Jeder, der gerne in Finnland studieren möchte, sollte unbedingt versuchen, an einem dieser Kurse teilzunehmen! Es war nicht nur eine sehr gute sprachliche Vorbereitung auf die ungewöhnliche und schwere Sprache des Finnischen, sondern brachte mir auch eine
Menge Wissen über das Land, Leute und Kultur und viele neue Freunde, die ich dann schon mal in
Finnland verstreut kannte und somit allerlei Anlaufpunkte in verschiedenen Städten hatte!
Nach den vier Wochen Sprachkurs war es für mich zwar noch völlig unmöglich, Finnisch zu sprechen, aber ich hatte eine gute Grundlage und immerhin allerlei Vokabeln gelernt, die mir beim
Einkaufen weiterhalfen, oder in bestimmten Situationen, in denen ein Finne kein Englisch spricht.
Dies kommt zwar selten vor, ein paar Brocken Finnisch können einem jedoch enorm weiterhelfen.
Immerhin konnte ich nach drei Wochen Kurs dem Schlüsselservice schon auf Finnisch mitteilen,
das ich meinen Schlüssel verloren hatte, denn gerade hier sprach keiner auch nur ein Wort Englisch!
Nun erwartete mich das Studium in Lahti. Lahti ist mit etwa 85.000 Einwohnern eine der größten
Städte Finnlands (neben Helsinki, Espoo, Turku und Tampere) und liegt im Süden Finnlands. Mit
nur 4,5 Millionen Einwohnern in Finnland sind hier die Größenverhältnisse ganz anders. Lahti
heißt auf Deutsch Bucht und die Stadt liegt eben am Ende des großen Vesijärvi (Wassersee), der
sich weit nach Norden ausdehnt. Der kleine Hafen ist im Sommer Schauplatz für Märkte und Veranstaltungen. Die Stadt bietet grundsätzlich alles, was man braucht, abgesehen von einem guten
Nachtleben, aber dafür kann man jederzeit nach Helsinki fahren, denn dorthin pendeln zweistündlich Busse – Tag und Nacht! Pubs und Kneipen gibt es in der Stadt nur wenige, die den studentischen Ansprüchen gerecht werden, aber dafür gibt es dort jedes Wochenende Livemusik für wenig
Eintrittsgeld. Die Stadt an sich bringt wenig Atmosphäre mit sich – sehr funktionale Architektur,
die überwiegend aus grauen Blöcken besteht. Fast jeder Finne besitzt jedoch neben seiner Stadtwohnung noch sein Mökki (Landhaus), welches sich dann, natürlich aus Holz gebaut, irgendwo
43
Björn Bornemann
Studieren am Polarkreis – Rentiere und ein erster Preis beim Produktdesignwettbewerb
einsam an einem der 188.000 Seen befindet. Lahti als Sportstadt besitzt ein großes Skisportzentrum
mit drei Sprungschanzen, auf denen Sommer wie Winter Wettkämpfe stattfinden. Die oft im Fernsehen übertragenen Olympischen Wettkämpfe werden überwiegend aus Lahti gesendet. Daher gibt
es in der Stadt einen eigenen Radiosender sowie einen lokalen Fernsehkanal. Das Studentenwohnheim, in dem wir Austauschstudierenden untergebracht waren, lag zwar etwas außerhalb der Stadt,
so dass wir in die Stadt etwa 20 Minuten mit dem Fahrrad brauchten, dafür wohnten wir aber direkt
am See, dort, wo andere Urlaub machen.
Die Ausstattung des Lahti Polytechnic unterscheidet sich grundsätzlich nicht von der FH in
Deutschland, nur dass hier offensichtlich mehr Geldmittel vorhanden sind, denn die Qualität der
Werkstätten und Computerräume ist extrem hoch. Dies hängt natürlich auch mit der Vielfalt der
angebotenen Studiengänge zusammen. Hier kann man Kunst, Produktdesign und Innenarchitektur
studieren. Dazu gehören einige Spezialisierungen, wie z.B. Metall-, Keramik- oder Schmuckdesign.
Weiterhin gibt es einen Fachbereich für Kunst, Visuelle Kommunikation, Musik, Technik und
BWL. Wer in Deutschland Industriedesign studiert und die Ausstattung der Hochschulen kennt, der
findet in Lahti ein wahres Paradies vor! Es gibt sogar eine Werkzeugausgabe, in der man nicht nur
jegliche Werkzeuge und kleine Maschinen ausleihen kann, sondern auch Schleifpapier und Schrauben bekommt, wie in einem kleinen Baumarkt. Die Räumlichkeiten sind sehr großzügig bemessen
und bieten für jeden Studierenden einen festen Platz zum Arbeiten. Man findet in den Gängen
Computerterminals zum E-Mail schreiben, um keine Arbeitsplätze zu blockieren. In den Projekträumen für die einzelnen Jahrgänge (es wird in Jahren studiert) hat jeder Studierender seinen eigenen Platz mit abschließbaren Fächern. Materialien werden teilweise bezahlt. Da im Klassenverband
studiert wird und somit eher ein Gruppengefühl aufkommen kann als bei freier Wahl der Fächer,
gibt es so gut wie keine Nachzügler und Langzeitstudierenden. Lahti Polytechnic ist ein Traum für
Produktdesignstudierende! Es gibt eine große Vielzahl an unterschiedlichen Werkstätten, in denen
nur ein bestimmtes Material verarbeitet werden darf und kann. Damit sind die Voraussetzungen bis
ins Detail optimiert. Selbst ausgefallene Materialien wie Glas werden in externen Werkstätten
zusammen mit Professionellen bearbeitet.
Im Studienablauf besteht ein großer Unterschied zu Deutschland. Die Auswahlmöglichkeit der
Projekte und der Stundenplan der Studierenden ist absolut linear im Gegensatz zu den recht freien
Wahlmöglichkeiten in Deutschland. Jeder Jahrgang hat den gleichen Unterricht und die gleichen
Projekte zur gleichen Zeit. Dies ist nur bedingt von Nachteil, denn somit hängt eben kaum ein
Studierender hinter dem Lehrplan her. Gearbeitet wird grundsätzlich in der Schule – jeden Tag. Die
Lehrer/Professoren sind in der Regel ständig anwesend und arbeiten aktiv und sehr gut mit den
Studierenden zusammen, so dass Projekte, die an meiner Hochschule ein Semester dauern, hier nur
acht bis zwölf Wochen in Anspruch nehmen und die gleichen Resultate bringen, abgesehen vom
Modellbau, der in dieser Zeit in der Regel „nur“ digital erfolgen kann. Die Studierenden sind daher
jedoch auch schon im zweiten Jahr (drittes Semester) mit der nötigen Software gut vertraut.
Die Anzahl der ausländischen Studierenden betrug etwa 30-40, verteilt auf alle Fachbereiche. In
meinem Bereich für Produktdesign waren es 16 aus Europa, Japan und Chile. Das Kursangebot war
sehr vielfältig und wir Austauschstudierenden konnten zwischen Kursen und Projekten frei wählen.
Es war möglich, in anderen Fachbereichen, wie z.B. Grafik oder Kunst, an Kursen teilzunehmen.
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Björn Bornemann
Studieren am Polarkreis – Rentiere und ein erster Preis beim Produktdesignwettbewerb
Die Bibliotheken sind in Lahti ebenfalls sehr gut ausgestattet. Man kann mit einer Karte alle Fachbereichs- und allgemeinen Bibliotheken nutzen, außerdem verfügen diese auch über zahlreiche
Computer, mit denen man recherchieren und natürlich E-Mails abrufen kann. Es gibt sogar in der
städtischen Hauptbibliothek einige Regale mit deutscher und – in Finnland typisch – sehr viel
englischer Literatur. Da nur so wenige Menschen auf der Welt Finnisch sprechen, bekommt man
Filme in der Regel nur auf Englisch, das Gleiche gilt für viele Bücher, besonders Fachliteratur, was
die Folge hat, dass fast jeder jüngere Finne sehr gut Englisch spricht, obwohl Schwedisch immer
noch die erste Fremdsprache ist.
Als Studierender aus einem anderem Land hat man die Möglichkeit zu wählen, was man machen
möchte. Ich habe mich trotzdem nur an Industriedesignprojekte gehalten, obwohl es teilweise mehr
Kunst geworden ist, d.h. der Gebrauchswert im Hintergrund liegt. Das erste große Projekt startete
gleich nach meiner Ankunft. Es war eine Zusammenarbeit mit der Firma Muovi Oy (Oy = AG), die
ihre Produktpalette erweitern wollte. Bisher wurden dort große Mülleimer und Sandkästen produziert und nun sollten noch Komposttonnen dazukommen. So fuhren wir in das etwa 300 km nördlich gelegene Iisalmi, hatten einen langen Tag der Firmenbesichtigung vor uns und wurden abends
noch zum Essen eingeladen – ins firmeneigene Mökki. Die finnische Mentalität ist in dieser Hinsicht ganz anders als in Deutschland. Wir gingen vor dem Essen natürlich in die Sauna! Das heißt,
ich fand mich neben Studierenden und Professoren und Firmenleitung in der Rauchsauna wieder –
das schien das Natürlichste der Welt zu sein! Die Fahrtkosten sowie die Pensionsübernachtung in
Iisalmi wurden von der Hochschule und der Firma getragen, undenkbar in Deutschland.
Stirwell ist eine Komposttonne, die ein neues Konzept zum Kompostmischen verfolgt. Im Inneren
befinden sich Schaufeln, die durch Drehen von außen den Kompost mischen. Dieser Entwurf gewann den ersten Preis beim IF Design Concept Award 2004.
Der Höhepunkt meines Studiums in Lahti war das Glasprojekt. Wir hatten die Möglichkeit, ein
Glasobjekt zu entwerfen. So hatte ich einen eingefrorenen Stein fotografiert und wollte diese Ästhetik in eine Vase umsetzen – innen Farbe, außen klares, dickes Glas. Was mit einer Besichtigung
der Iittala Werke begann, endete in einem Glas-Blas-Wochenende, bei dem verschiedene Varianten
von meiner Vase Jää (Eis) hergestellt wurden.
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Kora Langova
Leipzig
geb. 1980
ERASMUS-Aufenthalt: 1. Oktober 2002 bis 31. Juli 2003
Name/Land der Gasthochschule: Hochschule für Musik und
Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig, Deutschland
Name der Heimathochschule: Janacek Akademie für
darstellende Kunst in Brünn, Tschechische Republik
Fachbereich: Musical
SOKRATES-Success: Studium und Freunde
Musical-Studium in Leipzig
Kora Langova
Musical-Studium in Leipzig
Musical-Studium in Leipzig
Kora Langova
Mein Freund hat ein SOKRATES/ERASMUS-Stipendium bekommen, um in Leipzig Bratsche zu
studieren. Ich wollte schon vorher im Ausland studieren, konnte aber an der Theater-Fakultät unserer Hochschule in Brünn nicht die nötigen Informationen erhalten. Deswegen habe ich per Internet
die Hochschule für Musik und Theater in Leipzig gesucht und gefunden und habe an die Musicalabteilung eine Email geschickt, um mich über die Möglichkeiten des Auslandsstudiums an dieser
Hochschule zu informieren. Seit dieser Zeit war ich in Verbindung mit der Musicalabteilung in
Leipzig und habe auf diesem Wege alle notwendigen Formalitäten erledigt. Schließlich erhielt ich
ein Stipendium im Rahmen des SOKRATES/ERASMUS-Programms. Es war zwar sehr kompliziert, hat aber am Ende geklappt.
Mein Aufenthalt hat zehn Monate gedauert und ich war mit Leipzig sehr zufrieden. Ich habe sehr
viel an der Hochschule gelernt, nicht nur in meinem Fach Musical, sondern auch hinsichtlich der
deutschen Sprache, obwohl ich vorher zu Hause Deutschunterricht gehabt hatte. Wenn man jeden
Tag eine andere Sprache sprechen muss, dann geht das Lernen sehr schnell. Die Studierenden und
Professoren in der Hochschule waren sehr nett zu mir und haben mir am Anfang auch sehr mit der
Sprache und allem Neuen geholfen. Ich habe einen sehr positiven Eindruck von Leipzig und den
Deutschen erhalten.
Mein beruflicher Erfolg war eine erneute Einladung von Prof. Uta Ernst (Leiterin der Musicalabteilung) zum Ergänzungsstudium an dieser Hochschule. Darauf war ich sehr stolz. Ich hatte das Gefühl, dass ich in Leipzig eine ungewöhnliche Chance bekam, die mein ganzes Leben verändern
könnte. Zuerst musste ich aber mein Studium in Brünn abschließen. Dieses Jahr habe ich also mein
Studium beendet und habe den akademischen Titel MgA. (Magister der Künste) erworben. Fast ein
Jahr habe ich wegen dieses Angebots des Ergänzungsstudiums in Leipzig ein Stipendium gesucht,
aber leider hatte ich bei keiner Stiftung Erfolg. Jetzt fange ich trotzdem mein Ergänzungsstudium in
Leipzig an und werde von meinen Eltern unterstützt, aber trotzdem muss ich weiter nach einer
Finanzierungsmöglichkeit für mein Studium suchen, weil meine Eltern in der Tschechischen Republik genau so viel verdienen, wie ich hier in Leipzig monatlich für mein Studium brauche. Das
SOKRATES/ERASMUS-Programm hat mir sehr viel gegeben und ich habe in Leipzig wahnsinnig
viel gelernt. Aber die Chance, die mir nun gegeben wurde, wäre ohne meine Eltern unmöglich zu
realisieren. Ich kann nur leider auch nicht so viel Geld von meinen Eltern verlangen.
Ich bin trotzdem sehr froh und dankbar dafür, dass ich diesen Aspekt des Lebens kennenlernen
durfte!
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Ulrike Martius
Borsdorf
geb. 1979
ERASMUS-Aufenthalt: Januar bis Oktober 2002
und Januar bis September 2003
Name/Land der Gasthochschule: Manchester Metropolitan
University, United Kingdom
Name der Heimathochschule: Alice-Salomon Fachhochschule Berlin
Fachbereich: Sozialpädagogik/Sozialarbeit
SOKRATES-Success: Familie und Beruf
Was ein Angsthase über sich und
Lockenwickler gelernt hat – ein ERASMUSAufenthalt in England mit Folgen
Ulrike Martius
Ein ERASMUS-Aufenthalt in England mit Folgen
Was ein Angsthase über sich und Lockenwickler gelernt hat –
ein ERASMUS-Aufenthalt in England mit Folgen
Ulrike Martius
Während diese Zeilen zu Papier gebracht werden, tönt auf der Straße ein Hupkonzert. Kühe und
Schweine bahnen sich den Weg durch die Abflussbäche und Minimüllhalden der Straße. Der
Schweiß sammelt sich in kleinen Perlen auf meiner Stirn, um als Tropfen langsam mein Gesicht
herunter zu kullern. Richtig, ich befinde mich nicht in einem ERASMUS-Land. Um genauer zu
sein, hat ERASMUS mit diesem Land hier nur soviel zu tun, als dass ich ohne das Programm nicht
hier wäre. Doch von vorn.
Von Natur aus bin ich ein Angsthase. Lieber verlauf ich mich x-Mal, als nach dem Weg fragen zu
müssen. Was ich nicht kenne, ess ich nicht und ich bin mit einer Lernblockade in puncto Sprachen
geboren. An mein Studium in Manchester, UK, bin ich wie Maria zum Kinde gekommen. Völlig
unschuldig natürlich. Innerhalb rekordverdächtig kurzer Zeit machte es das Auslandsamt möglich,
den Sprachtest zu organisieren („aber junge Frau, da müssen Sie schon noch ein bisschen mehr
BBC hören, damit Sie dort jemand versteht“) und eine Vereinbarung mit der Partneruniversität zu
treffen. Ehe ich also richtig begreifen konnte, was geschehen war, saß ich schon im Zug nach Manchester. Wer fährt schon im Zug nach Manchester? Nun ja, all die, die wie ich dem weiblichen
Geschlecht angehören und sich partout nicht von ihrem Kleiderschrank trennen können. Die Übermasse an Gepäck hätte eine Reise im Flugzeug nicht zugelassen. Statt dessen bugsierte ich meine
tausend kleinen und großen Taschen (mit solch wichtigen Utensilien wie Lockenwicklern) durch
diverse Züge. Der große Schock, Manchester im Regen und Nebel, und das tagelang, wurde mit
Telefonaten und Unmengen von Schokolade kuriert. Nach sage und schreibe drei Wochen fühlte
ich mich fit genug, um wieder in den Spiegel schauen zu können. Doch, was war geschehen? Meine Haut hatte die weißliche Blässe der Briten angenommen – full English breakfast und 5 Uhr Tee.
Als einzige Austauschstudentin des Faches Sozialarbeit, unsicher und nur „Bahnhof-verstehend“
im ersten Seminar sitzend, wurde ich bald von diversen Damen meines Kurses unter die Fittiche
genommen. Dies beinhaltete wichtige Dinge wie: Wo und was wird eingekauft, wo Sport gemacht,
wie wird geflirtet (UK hat da so seine Eigenheiten), was wird gegessen und im TV geschaut. Neben
all diesen lebenswichtigen Dingen wurden noch ein paar Nebensächlichkeiten geklärt: das Einrichten eines Kontos, ein Job und wie das Schreiben eines Essays vereinfacht werden kann.
Eines Morgens erwachte ich im Bett meines 2,5 x 3 qm großen Zimmers im Studentenwohnheim (in
dem ich mit Abstand die Älteste und Nüchternste war). Ganz erstaunt stellte ich fest, dass ich auf
Englisch geträumt hatte. Telefonate nach Hause waren ein reines englisch-deutsches Kauderwelsch.
Nun war ich endlich „angekommen“. Der Kreis meiner Freunde und Bekannten expandierte durch
verschiedene Sprachkurse (in Arabisch und Spanisch – damit wollte ich meine Sprachenidiotie auf
die Probe stellen), Sportkurse, Chor und Diskussionsrunden an der Uni. Das anfängliche Gefühl
50
Ulrike Martius
Ein ERASMUS-Aufenthalt in England mit Folgen
„unter welchen Kulturbanausen bin ich denn hier gelandet“ wich der Erkenntnis, UK ist zwar anders, aber auch irgendwie spannend. Natürlich war nicht jeden Tag „Pancake-Day“, aber das ist
auch im „normalen“ Leben eher selten. Viel wichtiger war die Erkenntnis, was mit einem selbst
als Person während eines solchen Aufenthaltes passiert: Es werden Fähigkeiten entwickelt, sich an
die neue Umgebung, die Menschen und die Gewohnheiten anzupassen. Dabei findet eine Fokussierung und Akzentuierung der eigenen Persönlichkeit statt. Mich plagten natürlich auch Sorgen:
permanenter Geldmangel, das Wetter (viel Grau und Regen), einige Eigenarten der Briten, Sehnsucht nach zu Hause, Dinge, die ich nicht begreifen konnte, und von Zeit zu Zeit auch das Gefühl,
ich gehöre nur bedingt dazu. In den neun Monaten in Manchester habe ich gelernt, anzupacken,
was getan werden muss, Fragen zu stellen zu Dingen, die ich nicht verstehe und aufmerksam zu
beobachten.
Meine sprachlich begrenzten Fähigkeiten hatte ich ja schon erwähnt. Nun hatte ich aber einmal
Blut geleckt und plante meinen Praxisaufenthalt ebenfalls im Ausland. Außer dem Englischen
fühlte ich mich nicht wirklich einer anderen Sprache gewachsen. Ein englischsprachiges Land
musste her, und zwar schnell, denn wie immer war ich kurzentschlossen. Durch bereits in Manchester geknüpfte Kontakte bot es sich an, ein weiteres Semester dort zu verbringen. Es fand sich
ein Praktikumsplatz, der meinen Wünschen entsprach und ich rauschte nach England. Diesmal im
Flieger. Ich hatte bis dahin verstanden, dass Lockenwickler bei hoher Luftfeuchtigkeit und viel
Regen wenig Sinn machen und nur unnütze Staubfänger sind.
Wer an Romanzen im Auslandsemester glaubt, der hat sowieso nichts von der Realität verstanden
und verschwendet Zeit. Und auf Dauer hält so eine Beziehung sowieso nicht. Das war meine tiefe
Überzeugung, die ich alle, die es interessierte (oder eben auch nicht), wissen ließ. Daneben bin ich
der festen Überzeugung, dass im Leben wenig ohne einen tieferen Sinn passiert. Dass ich kurz vor
dem Ende meines ersten Aufenthaltes Jeremy kennenlernte, war nur ein unglücklicher Unfall und
sollte unter keinen Umständen irgendwohin führen. Mit Horror musste ich an die schniefenden,
herzzerreißenden Telefongespräche von Freunden denken (und an deren exhorbitanten Telefonrechnungen), die in diese Falle getappt waren. Mir passiert sowas nicht!
Wie jeden Freitag abend trafen wir uns im Haus einer Freundin zum Kochen, diesmal war ich dran:
Um alle von der Exklusivität der heimischen Küche zu überzeugen, gab es etwas ganz Besonderes:
Ente, Rotkraut und Grüne Klöße. Nicht nur, dass ich dafür den ganzen Tag in der Küche gestanden
hatte, nein, ich hatte auch Geld borgen müssen, um eine geeignete Ente zu erstehen (aber mir ist ja
nichts zu teuer, um mein Land im rechten Licht zu präsentieren). Wir saßen zu elft wie die Küken
versammelt um den Küchentisch und harrten wie gebannt auf den letzten Gast des Abends, den
neuen Mitbewohner des Hauses, ohne den wir das Mahl nicht beginnen wollten.
Da kam er, auf zwei Krücken, in Wollsocken und –pullover: Jeremy. Das war der Anfang vom
Ende. Nach anfänglichen, im Nachhinein sehr witzigen interkulturellen Missverständnissen, sind
wir inzwischen die besten Kunden der britischen und deutschen Telekom, Post und diverser Fluglinien. Im Moment streiten wir uns darum, welchen Familiennamen wir bei unserer Trauung im
Sommer 2005 annehmen sollen (nicht dass das für mich eine Frage wäre, meinen Namen natürlich). Klingt wie im schlechten Schnulzenroman, ich weiß.
51
Ulrike Martius
Ein ERASMUS-Aufenthalt in England mit Folgen
Momentan muss Jeremy auf Ente, Rotkraut und Klöße verzichten, denn mit Hilfe der beiden
ERASMUS-Aufenthalte und den damit stark verbesserten Englischkentnissen (man sollte es nicht
glauben!) nehme ich zur Zeit an dem Programm GLEN von Inwent (vormals ASA) teil. Deutsche
und Osteuropäer werden in Tandems für einen dreimonatigen Aufenthalt nach Asien, Afrika und
Lateinamerika entsendet. Durch die sprachlichen Verschiedenheiten findet das Asien-Programm
auf Englisch statt.
Inzwischen hat die Hitze nachgelassen und die Kühe und Schweine bahnen sich ihren Weg durchs
Verkehrsgetümmel nach Hause. Die Studie, an der meine Programmpartnerin und ich arbeiten,
über „Renewable Energies in Rural South Karnataka“, wird für heute ruhen. Indien ist nicht nur ein
außergewöhnliches, sondern auch sehr kontroverses Land. Meine persönliche Success Story hat
bereits viele Früchte getragen und jeder Aspekt meines Lebens hat bisher davon profitiert.
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Christiane Sgonina
Bremen
geb. 1968
ERASMUS-Aufenthalt: Januar 1990 bis Januar 1991
Name/Land der Gasthochschule: Leeds Metropolitan
University, Großbritannien
Name der Heimathochschule: Hochschule Bremen
Fachbereich: Wirtschaft
SOKRATES-Success: Beruf und Familie
Drei kleine „ERASMUSSE“ und ein
Doppeldiplom
Christiane Sgonina
Drei kleine „ERASMUSSE“ und ein Doppeldiplom
Drei kleine „ERASMUSSE“ und ein Doppeldiplom
Christiane Sgonina
Als ich mich nach dem Abitur im Jahre 1988 für ein Studium an der Hochschule Bremen entschied,
war einer der Hauptfaktoren für meine Wahl die Internationalität der Hochschule. Der Europäische
Studiengang für Finanz- und Rechnungswesen (European Finance and Accounting) reizte mich
besonders, da er als einer der ersten internationalen Studiengänge in Bremen ein obligatorisches
Auslandsjahr in Leeds/GB vorsah. Von 1988 bis 1989 und 1992 habe ich dann in Bremen studiert.
Meinen zweisemestrigen Auslandsaufenthalt habe ich von 1990 bis 1991 in Leeds verbracht. Da
ich kein BaFöG beziehen konnte, freute ich mich natürlich besonders über die Möglichkeit einer
finanziellen Unterstützung durch SOKRATES/ERASMUS.
In Leeds erwartete uns mit dem Leeds Polytechnic eine hervorragend ausgestatte Hochschule, die
während unseres Aufenthaltes in Leeds Metropolitan University (LMU) umbenannt wurde. Als
eine der beiden großen Universitäten der Stadt verteilt sich die LMU auf den großen City Campus,
das kleinere Harrogate College und den Beckett Park Campus, in dem sich unter anderem auch
„unsere“ Business School befand. Neben der riesigen Bibliothek konnten wir schon damals zu
Beginn der 90er große IT-Räume mit ausreichend PC’s nahezu jederzeit (auch zu später Stunde und
am Wochenende) nutzen. Auffallend war auch der nette, persönliche Kontakt der überwiegend
hochmotivierten Professoren zu den Studierenden, was natürlich durch die Arbeit in kleinen Gruppen und fehlende Massenveranstaltungen gefördert wurde. Nachteil unserer Anreise im Klassenverband von mehr als 20 Bremer Studentinnen und Studenten sowie fast ebenso vielen französischen Studierenden der anderen Partnerhochschule aus Caen war die nicht zu unterbindende
Grüppchenbildung, der man sich nur schwer entziehen konnte. Da auch nur wenig englische Studentinnen und Studenten an unseren lectures und tutorials teilnahmen, musste der Kontakt zu native
speakers in erster Linie auf der privaten Ebene hergestellt werden. Der Lerneffekt war dennoch
nicht zu unterschätzen: Das Halten von Referaten und Vortragen von Präsentationen vor einer
Gruppe und das freie Reden in einer Fremdsprache waren eine wichtige Erfahrung für mich.
Lehrreiche Nebeneffekte waren zudem die kulturelle Erweiterung, das Kennenlernen vieler Menschen, eine Weltoffenheit und eine Neubewertung der Gegebenheiten im Heimatland. Durch die
Kooperation der beiden Partnerhochschulen in Bremen und Leeds hatte ich mit der Anerkennung
meiner Leistungen keinerlei Probleme und hatte so die Möglichkeit der Doppeldiplomierung (Diplom und BA (hons)) innerhalb kürzester Zeit.
Bereits während meines Studiums in Bremen hatte ich eine Fahrgemeinschaft mit einem Kommilitonen aus dem selben Nord-Bremer Vorort gegründet. Da auch er sein Auslandsstudium in Leeds
absolvieren wollte, habe ich dann mit diesem Studenten in England eine gemeinsame Wohnung
bezogen. Wie das Leben so spielt, wurde aus unserer Fahr-, Studien- und Wohngemeinschaft mehr:
Nach unserer Rückkehr nach Bremen haben wir noch während unseres Studiums im Jahr 1992
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Christiane Sgonina
Drei kleine „ERASMUSSE“ und ein Doppeldiplom
geheiratet. Unsere ERASMUS-Ehe hält seit nunmehr 12 Jahren und 1995, 1997 und 1998 kamen
unsere drei kleinen „ERASMUSSE“ auf die Welt.
Mein Auslandsaufenthalt war eine tolle Gelegenheit, Lebenserfahrung zu sammeln und den eigenen
Horizont zu erweitern. Während meiner Zeit in Leeds konnte ich einmal über den Tellerrand sehen
und eine andere Kultur und Sprache kennenlernen. Der Erwerb dieser „soft skills“ hat sicherlich
auch dazu beigetragen, dass unsere Jobsuche innerhalb kurzer Zeit erfolgreich war.
Nachdem wir nach unserem Studienabschluss 1992 beide zunächst mehrere Jahre in verschiedenen
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften tätig waren, ist mein Mann seit 1997 als Leiter des Rechnungswesens in einem Unternehmen der Diakonie tätig. Auch ich habe mich nach meiner familienbedingten Berufsunterbrechung 2001 erfolgreich neu beworben – auf eine attraktive Stelle im Akademischen Auslandsamt meiner „alten“ Hochschule. So hat sich nun der Kreis geschlossen und ich
bin wieder an der Hochschule Bremen gelandet. Als Betreuungsreferentin für ausländische Studierende erlebe ich nun den Auslandsaufenthalt aus anderer Sicht. Die Arbeit macht mir viel Spaß und
ich profitiere noch immer von meinen beiden eigenen Auslandssemestern.
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Roger und Gianna Husblad
Eskilstuna, Schweden
ERASMUS-Aufenthalt: 1993/94
Name/Land der Gasthochschule: Universität Trier
Name der Heimathochschule: Universität Uppsala,
Schweden und Universität Pisa, Italien
Fachbereich: Jura/Germanistik
SOKRATES-Success: Familie
Schwedisch-italienische Flitterwochen in
Trier
Roger und Gianna Husblad
Schwedisch-italienische Flitterwochen in Trier
Schwedisch-italienische Flitterwochen in Trier
Roger und Gianna Husblad
Wir sind ein schwedisch-italienisches Paar des ERASMUS-Programms. Als Paar sind wir unter
dem Sternzeichen Europas geboren und die europäische Staatsangehörigkeit liegt tief in unserem
Herzen.
Dank dem ERASMUS-Programm kamen wir 1993 an die Uni Trier: Roger als Jura-Student von der
Universität Uppsala in Schweden, Gianna als Germanistik-Studentin von der Universität Pisa in
Italien. Vor der Abfahrt wussten wir zwar, dass wir im Begriff waren, eine tolle Erfahrung zu machen, wir konnten uns damals aber nicht vorstellen, dass dieses Jahr unser Leben total verändern
würde.
Wir kamen beide Anfang Oktober in Trier an, und schon nach kurzer Zeit wurde uns klar, dass die
ganze Welt auf dem Campus vertreten war. Die internationale Stimmung, die man dort spürte, ist
für uns beide noch heute eine unvergessliche Erinnerung. Wir waren jung, frei und erlebten diese
Welt!
Nach einer Eingangsprüfung zum Einführungsseminar saßen wir in derselben Klasse – zwei Tische
voneinander entfernt – aber das wussten wir natürlich noch nicht. Es waren so viele neue und interessante Leute überall, dass es während der ersten Tage sehr schwierig war, sich auf eine einzelne
Person konzentrieren zu können. Der anfänglichen Euphorie folgte aber das Bedürfnis, echte
Freunde kennenzulernen, und wenn man „allein“ so weit von zu Hause und von seinem gewöhnlichen Leben entfernt ist, ist dieses Gefühl viel stärker. In dieser Zeit wurden wir aufeinander aufmerksam und begannen, viel Zeit miteinander zu verbringen.
Nachdem die Veranstaltungen drei Wochen später anfingen, konnten wir uns leider nur am Wochenende treffen, aber dann fanden wir, dass es an der Zeit war, um etwas mehr von unserer jeweiligen Kultur zu lernen. So begannen wir mit einem schwedisch-italienisch-Sprachkurs. Das war
jedoch auch nur ein Grund, um uns zu treffen und Deutsch zu sprechen. Sonst kam es eher selten
vor, dass wir zwei alleine waren. Meistens waren wir mit anderen Freunden in der Stadt oder in
einem Studentenwohnheim, um zusammen Pizza zu backen. Deswegen brauchten wir Zeit, um zu
verstehen, dass zwischen uns mehr als eine tiefe Freundschaft lag. So gab es zum Valentinstag
zunächst nur Schokolade...
Die Zeit verging sehr schnell. Ende Februar 1994 endete der ERASMUS-Aufenthalt für Roger und
er musste zurück nach Schweden. Gianna blieb in Trier. Obwohl sie andere sehr gute Freunde dort
hatte, war ohne Roger nichts wie früher. Während der folgenden Monate traf sie viele andere nette
Personen und das Leben an der Uni war sehr interessant und intensiv, aber doch machte sie nichts
fröhlicher als ein Brief oder Telefonanruf aus Schweden.
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Roger und Gianna Husblad
Schwedisch-italienische Flitterwochen in Trier
Auch für Roger war es nicht wie früher. Der Kontakt mit Gianna war viel intensiver gewesen als
mit anderen Freunden im Ausland. Aber was für ein Gefühl war das? Bald hatte er sich dazu entschieden, im Juli zurück nach Trier zu fahren, wo Gianna bis Ende Juli bleiben sollte, und Gianna
danach in Italien zu besuchen.
Der Sommer 1994 war in ganz Europa sehr heiß. Die Stadt, die Roger wiedersah, war eine ganz
andere. Jetzt gab es Zeit, um Trier zu entdecken und auch für lange Gespräche zu zweit. Jeden Tag
führten diese Gespräche uns näher zueinander. Obwohl wir aus verschiedenen Ländern und Kulturen stammten, entdeckten wir viele Gemeinsamkeiten. Dazu kam, dass wir in einer dritten Sprache,
Deutsch, miteinander kommunizierten. Einige Wochen später in Italien verstanden wir endlich,
dass zwischen uns viel mehr war als Freundschaft. Wir waren verliebt!
Verliebt zu sein war schön, aber auch schwierig. Für uns beide fing ein langer Kampf an. Gianna
musste erst ihr Studium beenden, ihr Vater starb einige Jahre später und sie wollte einen Weg nach
Schweden finden. Auch Roger musste sein Studium beenden und aus beruflichen Gründen umziehen. Außerdem mussten wir beide die jeweilige Muttersprache des anderen lernen. Es gab nur
wenige Möglichkeiten im Jahr, um sich zu treffen.
Einfach war es nicht, aber dank unserer Liebe haben wir es geschafft. Am 29. Mai 2004, fast elf
Jahre nach dem Einführungsseminar im Saal A 12 an der Uni Trier, haben wir in Italien geheiratet.
Deutsch sprechen wir seit Jahren nicht mehr miteinander, jetzt ist es Italienisch in Italien und
Schwedisch in Schweden. Unsere Herzen haben wir in Italien, unsere nahe Zukunft liegt aber
wegen Arbeit und Wohnen in Schweden. Unsere Liebe gehört jedoch Deutschland und der Stadt
Trier, in der wir vor kurzem unsere Flitterwochen verbrachten.
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Mandy Müller
Dohma
geb. 1982
ERASMUS-Aufenthalt: Oktober 2001 bis Juli 2002
Name/Land der Gasthochschule: University of York, England
Name der Heimathochschule: Universität von Erfurt
Fachbereich: Lehramt an Grundschule (in York: Linguistics)
SOKRATES-Success: Familie
Vom ERASMUS-Aufenthalt in England zur
Hochzeit in der Sächsischen Schweiz
Mandy Müller
Vom ERASMUS-Aufenthalt in England zur Hochzeit in der Sächsischen Schweiz
Vom ERASMUS-Aufenthalt in England zur Hochzeit in der
Sächsischen Schweiz
Mandy Müller
Im Oktober 2000 begann ich mein Lehramtsstudium mit den Fächern Mathematik, Deutsch, Heimat- und Sachkunde sowie Englisch in Erfurt. Schon im ersten Semester merkte ich, dass mein
Englisch nicht gut genug war, um dies zu unterrichten. Also erkundigte ich mich im Internationalen
Büro über die Möglichkeiten, eine gewisse Zeit im Ausland zu verbringen. Ich wollte gern nach
England gehen, da ich schon mehrmals dort im Urlaub gewesen war und mir die Mentalität und das
Land schon immer gefallen hatte. Im Internationalen Büro empfahl man mir, mich für das ERASMUS-Programm zu bewerben. Als dann alle Unterlagen ausgefüllt waren und ich noch ein Gespräch mit einem der Professoren der Anglistik durchgeführt hatte, wurde mir an meinem Geburtstag mitgeteilt, dass ich mit einer anderen Kommilitonin für ein Jahr in York studieren könne.
Am 5. Oktober 2001 machte ich mich dann endlich auf den Weg. Der Abschied von den Freunden
und der Familie fiel zwar schwer, aber die Vorfreude war einfach zu groß. Mit dem Bus fuhr ich
von Dresden nach London und dann weiter nach York, ohne genau zu wissen, was mich wirklich
erwarten würde. Nachdem ich meine Schlüssel für das Zimmer abgeholt hatte, begegnete ich als
erstes meiner japanischen Mitbewohnerin. Am nächsten Tag kamen die restlichen acht Bewohner
unseres Hauses an – aus Portugal, Finnland, der Slowakei, Irland und verschiedenen Teilen Englands. In diesem Jahr habe ich viele interessante und tolle Menschen aus den unterschiedlichsten
Ländern kennengelernt, was mich wirklich sehr geprägt hat. In Deutschland war ich kaum mit
anderen Kulturen in Kontakt gekommen, so dass ich in York lernte, offener gegenüber anderen
Bräuchen und Sitten zu sein. Ich habe meine Zeit in England auch dazu genutzt, viele Ausflüge in
verschiedene Teile des Landes zu machen. In diesem Jahr habe ich, auch Dank einer Organisation
für ausländische Studierende (Overseas Student Association), die Reisen anboten, sehr viele Seiten
von England und auch Schottland gesehen. Ich war zum Beispiel in Städten wie London, Edinburgh, Leeds und Manchester, aber auch in Naturgebieten, wie dem Lake District oder den Yorkshire Moors. Durch diese Reisen habe ich mich noch mehr in das Land verliebt und finde, dass
England wirklich eine tolle Kultur und Landschaft zu bieten hat.
Neben all meinen Aktivitäten wie Volleyball spielen oder Reisen habe ich natürlich auch studiert,
obwohl es für mich schon mehr Urlaub war, da ich nie mehr als acht bis zehn Stunden pro Woche
Uni hatte. Dies ist aber in englischen Universitäten normal, da die Professoren sehr viel Wert auf
ein Selbststudium legen. Das Studium der Linguistik war sehr interessant und es hat mir auch
gefallen, aber ich habe doch meine Freizeit und die abendlichen Ausflüge in die Pubs oder die
Nightclubs mehr genossen. Dadurch lernte man erst die wirkliche Mentalität und Kultur der Engländer kennen und auch lieben.
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Mandy Müller
Vom ERASMUS-Aufenthalt in England zur Hochzeit in der Sächsischen Schweiz
Was meinen Aufenthalt unvergesslich gemacht hat, war das Treffen mit Paul, einem EconomicsStudent aus Nottingham. Wir lernten uns schon Ende Oktober 2001 kennen, da er im Nachbareingang unseres Hauses wohnte. Allerdings dauerte es noch bis Mitte Februar, ehe wir den Mut hatten,
etwas gemeinsam zu unternehmen. Seit diesem ersten gemeinsamen Date am 13. März 2002 sind
wir beide nun unzertrennlich. In den letzten Monaten meines Aufenthaltes haben wir die gemeinsame Zeit sehr genossen und viel unternommen. Im Juli hieß es dann allerdings Abschied nehmen
und so mussten wir uns entscheiden, wie es mit unserer Beziehung weitergehen sollte. Als Paul
dann noch drei Wochen mit mir in Deutschland verbracht und mein Land kennengelernt hatte,
entschieden wir uns, es zu riskieren und eine Distanzbeziehung zu führen. So oft wie möglich
versuchen wir, uns zu sehen und die Zeit zu geniessen, die wir miteinander haben. In den zweieinhalb Jahren, die wir nun schon zusammen sind, ist viel passiert. Paul hat sein Studium beendet und
ist jetzt Polizist. Ich befinde mich zur Zeit in meinem letzten Semester, werde ab Dezember mit
meinen Prüfungen beginnen und im März 2005 mein erstes Staatsexamen in der Tasche haben. Das
wichtigste Ereignis in unserer noch jungen Beziehung war allerdings der 14. März 2004, als Paul
um meine Hand anhielt. Wir planen nun, nächstes Jahr im März in unserer neuen Heimat York
zusammen zu ziehen und im Sommer 2006 wollen wir dann in meiner alten Heimat, der Sächsischen Schweiz, heiraten. Im Moment bin ich dabei, meine berufliche Zukunft in England zu klären
und eine Stelle als Deutschlehrerin in York zu finden.
Dieses Auslandsjahr hat mein Leben und die Pläne, die ich hatte, vollkommen auf den Kopf gestellt. Ich bin allerdings sehr froh darüber, wie es gekommen ist und möchte mein Leben mit Paul
nicht missen.
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Svetlana Steposchina
Essen
ERASMUS-Aufenthalt: 2000/01
Name/Land der Gasthochschule: Universität Florenz, Italien
Name der Heimathochschule: Universität Essen
Fachbereich: Germanistik und Geschichte
SOKRATES-Success: Familie
Durch eine ERASMUS-Initialzündung zum
italienischen Ehemann
Svetlana Steposchina
Durch eine ERASMUS-Initialzündung zum italienischen Ehemann
Durch eine ERASMUS-Initialzündung zum italienischen
Ehemann
Svetlana Steposchina
Es geschah vor vier Jahren. Wenn man es genau nimmt, noch einige Zeit früher. Warum ich damals
ausgerechnet begann, Italienisch zu lernen, weiß ich nicht mehr. Doch wie sich später herausstellte,
sollte diese Entscheidung mein Lebensschicksal bestimmen. Nachdem der Sprachkurs zu Ende war
und ich mich im Hauptstudium befand, durfte ich für ein halbes Jahr nach Florenz fahren. Ich
zögerte keinen Moment, denn für mich stand fest, diese Möglichkeit würde ich nicht noch einmal
bekommen. Doch eines war mir damals klar, nämlich, dass ich mich unter keinen Umständen auf
eine Beziehung mit einem Italiener einlassen würde. Zwei Gründe sprachen für diese Einsicht. Der
erste Grund lag in der Natur der Italiener selbst. Später musste ich mir dann eingestehen, dass man
niemals klischeehaften Vorurteilen folgen soll. Zu der Zeit jedoch war ich fest davon überzeugt,
dass mir das südländische Temperament des „italiano vero“ auf keinen Fall gut tun würde. Der
zweite Grund hatte mit praktischen Überlegungen zu tun. Wer will denn durch eine Distanzbeziehung leiden? Auf die Dauer hält eine solche Liebe auf Distanz doch sowieso nicht.
Mein einziger Wunsch war es, mich in das Studium zu stürzen und in Gedanken an Dante, Machiavelli und Michelangelo aus dem industriellen Ruhrgebiet in die Stadt der Renaissance zu fliehen.
Noch früh genug wurde mir die Allerwelts-Lehre des Lebens erteilt: „Sag niemals nie!“ Voll bepackt machte ich mich nun auf den Weg. Schon am Bahnhof in München sprach mich beim Umsteigen in den anderen Zug ein elegant gekleideter Italiener an und fragte mich, wohin und warum
ich wohl mit so viel Gepäck fahre. Unwillkürlich brachte ich ihn in meiner Vorstellung mit der
italienischen Mafia zusammen. In Florenz angekommen konnte ich es nicht abwarten, die geheimnisvolle Stadt kennenzulernen. Schon am ersten Abend suchte ich das Gebäude der Universität auf.
Nachdem nun alle Strapazen der Wohnungssuche und Bürokratie der italienischen Behörden vorbei
waren, konnte ich meinen Aufenthalt planen. Dachte ich zumindest. Eines konnte ich schnell feststellen: Mit der Zeitorganisation und der Planung, so wie ich sie in Deutschland gewohnt war, kam
ich in Italien überhaupt nicht weiter. Sobald ich etwas geplant hatte, kam aus irgendeinem Grund
immer etwas Unerwartetes dazwischen, und ich musste alles aufs Neue umorganisieren. Nach einer
Weile verstand ich das Gesetz des Chaos einer italienischen Stadt.
Die Stadtarchitektur, die engen Gassen, in denen man sich leicht verlaufen konnte, und die die
Geschichte dieser faszinierenden Stadt immer wieder aufs Neue erzählten, der lila Himmel, der am
besten von Ponte Vecchio zu beobachten war, die kleinen süßen Geschäfte, die die alten Traditionen weiter leben ließen, und vor allem der Genuss des richtigen Capuchino ließen mich nicht mehr
los.
Eines Tages erfuhr ich von einer Studentenfahrt nach Nizza, die von den Jungen Europäischen
Föderalisten organisiert wurde. Damals sollte der Vertrag von Nizza von den Regierungsvertretern
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Svetlana Steposchina
Durch eine ERASMUS-Initialzündung zum italienischen Ehemann
unterschrieben werden. Der Präsident dieser Jugendorganisation besuchte mit mir zusammen ein
Seminar. Es dauerte nicht lange, bis meine Teilnahme an dieser Fahrt bestätigt wurde. Ich kann mir
nicht erklären, wie es dazu kam, dass ich einem Italiener endgültig verfiel. Diese Tatsache und
natürlich auch die Vorteile, die ich aus dem Studium an der Universität gezogen hatte, verlängerten
meinen Aufenthalt um weitere sechs Monate. Eine Liebesgeschichte mit einem Italiener hätte ich
mir selbst nie zugetraut. Nicht nur die wunderschönen Erinnerungen an die Zeit in Florenz und die
Ergebnisse der Prüfungen durfte ich nach Deutschland mitnehmen, sondern auch den Italiener
selbst. Seine Teilnahme am ERASMUS-Programm brachte ihn nach Essen. Diesmal lernte er alle
Vorzüge des Lebens in einer, seiner Aussage nach, futuristischen Stadt mitten im Ruhrgebiet kennen. Um mich kurz zu fassen, befand ich mich fast drei Jahre später in einem kleinen italienischen
Dorf an einem sonnigen Maitag und durfte nun die italienischen Hochzeitstraditionen kennenlernen.
Das waren und sind die Früchte meines – oder besser gesagt unseres – ERASMUS-Aufenthaltes.
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Michelle Marshall
Waldkraiburg
ERASMUS-Aufenthalt: September 1999 bis August 2001
Heimathochschulen: Fachhochschule Landshut, Bayern
Anglia Polytechnic University, Cambridge, England
(Doppeldiplom)
Fachbereich: Europäische Betriebswirtschaft
SOKRATES-Success: Familie
Aus der intensiven Betreuung von
ERASMUS-Studierenden in Bayern
entwickelt sich eine englisch-französische
Beziehung
Michelle Marshall
Eine englisch-französische Beziehung
Aus der intensiven Betreuung von ERASMUS-Studierenden in
Bayern entwickelt sich eine englisch-französische Beziehung
Michelle Marshall
Als ich Abitur machte, war mir klar, dass ich ein Internationales Studium anfangen wollte. Daher
habe ich zuerst sechs Monate gearbeitet, um mein Studium finanzieren zu können, und bin die
restlichen sechs Monate nach Österreich gefahren, um meine Sprachkenntnisse zu vertiefen. Nach
meinem Aufenthalt in Österreich war ich überzeugt, dass ich in Deutschland studieren wollte, und
habe mich für einen Doppeldiplom-Studiengang an der Anglia Polytechnic University Cambridge
bzw. der FH Landshut entschieden.
Das Erste, was mir in Landshut auffiel, war die Freundlichkeit der Studierenden. Ich kannte niemanden, aber zwischen Wohnheim und FH hat man mich beim Vorbeigehen begrüßt. Dadurch
fühlte ich mich sofort wohl. Schwierigkeiten gibt es immer, vor allem wenn verschiedene Kulturen
und Sprachen aufeinandertreffen. Man kann Meinungsverschiedenheiten nicht vermeiden und sollte
sie auch nicht persönlich nehmen. Ich weiß nicht, wie oft die Deutschen auf meinem Gang geschimpft haben, dass ich deren Müllsystem durcheinander gebracht habe, weil ich immer wieder
vergessen hatte, wo ich meine Cornflakes-Schachtel entsorgen sollte – aber glücklicherweise gab es
keine größeren Zwischenfälle. Gut, da wäre auch das sogenannte „Beamtendeutsch“. Scheinbar
endlose Papierberge voller komplizierter Formulierungen, die uns am Anfang zu schaffen machten,
aber solch eine lückenlose Ordnung gehört ebenso zur deutschen Kultur wie Leberkäse zu Bayern.
Als Klassensprecherin durfte ich die FH zusammen mit einer deutschen Kollegin bei einer ERASMUS-Konferenz in Bonn vertreten. Das war eins der „Highlights“ meines Aufenthaltes. Dort hatten
wir die Chance, Studierende aus aller Welt zu treffen und uns über unsere Erfahrungen auszutauschen. Das hat sehr viel Spaß gemacht und ich habe mich auf meine neue Aufgabe als Assistentin
im Akademischen Auslandsamt der FH Landshut schon gefreut.
Mein zweites Jahr an der FH fing nach der Sommerpause an. Berlin, wo ich ein Praktikum absolviert hatte, war interessant, aber ich war einfach froh, wieder in Bayern zu sein und meine Freunde,
die auch überall in Deutschland verstreut gewesen waren, wiederzusehen. Ich suchte keinen Anschluss, aber wer nicht sucht, wird fündig, und somit angelte ich mir einen jungen Franzosen namens Christophe. Frau Maier stellte mich den neuen „Ausländern“ vor, um die ich mich kümmern
sollte, und er war einer davon. Obwohl Christophe mir sofort auffiel, hätte keiner von uns gedacht,
dass diese Begegnung unsere Welt von Grund auf verändern würde.
Anfangs kämpfte ich gegen dieses komische Kribbeln im Bauch. Ich bin sehr zielstrebig und wollte
mich in keine Romanze verwickeln, die mich möglicherweise von meinem Studium ablenken
könnte. Außerdem war er groß, blond und französisch und somit überhaupt nicht mein Typ. Ich bin
immer eher von dunklen Haaren und einem dunklen Hauttyp angetan, außerdem hatte ich nicht
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Michelle Marshall
Eine englisch-französische Beziehung
Französisch, sondern Spanisch als Wahlfach. Aber wie es das Schicksal so wollte, konnte ich seinem Charme trotz bester Bemühungen nicht widerstehen.
Mein Studium und meine Karriere standen immer im Mittelpunkt meines Lebens und ich war fest
davon überzeugt, dass ich Karriere machen und reisen würde, und dass meine Schwester eher
diejenige sein würde, die meiner Mutter den Enkelkindwunsch erfüllen würde. Christophe hat diese
Einstellung auf den Kopf gestellt – plötzlich kam ein bissl Chaos in mein fröhliches aber geregeltes
Leben und ich habe mir die Frage stellen müssen: „Wäre es wirklich so schlimm, diesem frechen
Franzosen eine Chance zu geben?“ Also schaltete ich einen Gang zurück, belegte einen Französischkurs und ließ es auf mich zukommen. Meine ungarische Professorin an der APU in Cambridge
hat mich ermutigt, keine Angst vor Veränderung zu haben. Sie sagte, dass die Reihenfolge, in der
man Erfolge erzielt, unbedeutend sei. Sie hat mir geholfen, mich über die Liebe, die ich eigentlich
erst in ca. sieben Jahren finden wollte, zu freuen.
Meine Freunde und Familie sind immer wieder amüsiert darüber, dass sich eine Engländerin und
ein Franzose in Deutschland gefunden haben und es jetzt auch schon vier Jahre miteinander aushalten, aber so ist es. Wir wohnen und arbeiten jetzt zusammen in Bayern und es gefällt uns hier. Über
Heirat und Kinder wurde schon gesprochen, aber wir sind noch jung und haben dafür Zeit. Hauptsache es läuft alles weiterhin sowie bis jetzt, dann gibt’s vielleicht „ne boarische Hochzeit“. Natürlich werden Frau Maier und Frau Buchner vom Auslandsamt als „Ehrengäste“ dabei sein.
Ich kann Euch nur raten, ergreift die Chance ins Ausland zu gehen, ob persönlich oder beruflich.
Die Erfahrungen, die Ihr dabei sammelt, werden Euch weiterbringen und Ihr werdet dabei eine
Menge Spaß haben.
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Dennis Gerstenberger
Rio de Janeiro, Brasilien
geb. 1973
ERASMUS-Aufenthalt: Oktober 1999 bis Juni 2000
Name/Land der Gasthochschule: Universidade de Coimbra, Portugal
Name der Heimathochschule: Universität Duisburg-Essen
(damals Universität GH Essen)
Fachbereich: Sozial- und Geisteswissenschaften, Philosophie
(Hauptfach), Germanistik und Englisch (Nebenfächer) auf MA
SOKRATES-Success: Beruf und Sonstiges
Mit dem Fahrrad über die ERASMUSPartnerhochschule in Portugal zum
Goetheinstitut in Rio de Janeiro
Dennis Gerstenberger
Mit dem Fahrrad nach Portugal
Mit dem Fahrrad über die ERASMUS-Partnerhochschule in
Portugal zum Goetheinstitut in Rio de Janeiro
Dennis Gerstenberger
Einen Tag vor Bewerbungsschluss sah ich den Aushang, der zu einem Auslandsaufenthalt an einer
europäischen Partneruniversität meiner Heimathochschule Essen einlud. Meine Bewerbung für
einen Platz in Australien war kurz zuvor erfolglos geblieben, und so sprach ich mit dem ERASMUS-Koordinator Herrn Krauss – am nächsten Tag hatte ich die notwendigen Unterlagen beisammen und aufgrund der geringen Nachfrage war mir ein Platz in Coimbra sicher. Eine weitere Etappe außerhalb Deutschlands – ich hatte sieben Jahre meiner Kindheit in Brasilien verbracht – konnte
beginnen. Dass das Jahr in Portugal insgesamt so weitreichende Auswirkungen haben würde, das
hatte ich mir bei dem zugegebenermaßen kurzfristigen Entschluss nicht vorgestellt.
Schon die Anreise nach Coimbra nutzte ich, um einen Traum zu verwirklichen: Ich bewältigte die
Strecke mit dem Fahrrad. Die 3600 km führten mich an Flüssen entlang bis zum Mittelmeer, über
die Pyrenäen und auf den Camino de Santiago, ehe ich Anfang Oktober 1999 nach 41-tägiger Fahrt
erschöpft an meiner neuen Heimat-Uni ankam. Dort lernte ich bereits während des Immatrikulations-Marathons mehr Leute kennen als in den Jahren zuvor an der Uni in Essen und bildete eine
WG mit zwei spanischen ERASMUS-Studenten, die ich im Supermarkt kennengelernt hatte.
Coimbra ist mit seiner im Jahre 1290 gegründeten Universität sehr traditionsreich und zieht viele
ausländische Studierende an. Allein mit dem ERASMUS-Programm waren dort im akademischen
Jahr 1999/2000 mehr als 500 Studierende zu Gast. Da ein Jeder zunächst fremd ist, sich neu orientieren und anpassen muss, finden sich die kontaktfreudigen Gaststudierenden aller Herren Länder
schnell und bilden einen Zusammenhalt, der fast als familiär zu bezeichnen ist. Vielerlei Freundschaften wurden geschlossen. Ich habe gerade, wo ich diese Zeilen schreibe, Besuch meines spanischen Mitbewohners, vier Jahre nach unserer gemeinsamen Zeit in Portugal. Jetzt ist er bei mir in
Rio; das nächste Mal muss ich ihn in Libreville, der Hauptstadt Gabuns, besuchen.
Der Kontakt zu einheimischen Studierenden ist aus verschiedenen Gründen weniger stark ausgeprägt. Die portugiesischen Studierenden sind zumeist jünger, sie kommen mit 18 Jahren an die Uni
und müssen in der Studienzeit selbständig werden, da die meisten zum ersten Mal das elterliche
Haus verlassen und sich nur an den Wochenenden verwöhnen lassen können. ERASMUSStudierende hingegen sind meist schon älter, haben zumindest das Grundstudium hinter sich, sind
selbständiger und fühlen sich nicht so stark mit den portugiesischen Traditionen verbunden. Ein
Studienanfänger, caloiro, muss vielerlei Schikanen über sich ergehen lassen: Zunächst wird man,
wenn auch spielerisch, als Tier behandelt, erst ab dem zweiten Studienjahr ist man „Doktor“. Diese
Tradition ist nicht jedermanns Sache und die ERASMUS-Studierenden werden von diesen Integrations-Spielchen ausgenommen. Lustiger ist das freiwillig gewählte und von Freunden durchgeführte Zerreißen und Zerschneiden der schwarzen Tracht am Ende des Studiums: Bis auf die Schuhe
bleibt nichts mehr am Leib, und der schützende Umhang wird von der johlenden Menge durch die
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Dennis Gerstenberger
Mit dem Fahrrad nach Portugal
Uni und die Stadt getragen. Nicht verwunderlich, dass der Absolvent des Studiums sich zuvor eine
Menge Mut antrinken muss.
Gemeinsam mit den portugiesischen Studierenden hingegen ist der Wunsch nach Festen. Jeder
Anlass wird ausgiebig in möglichst großem Kreise gefeiert. Nationalitäten spielen beim gemeinsamen Trinken keine Rolle mehr, die afrikanische Fraktion ist einem spätestens nach der dritten Fete
genauso bekannt wie die asiatische und südamerikanische. Coimbra ist ein kultureller Meltingpot,
die Atmosphäre ist dabei in der überschaubaren Stadt angenehm und ruhig, die Studierenden
bestimmen das Stadtbild, nicht nur wegen der zentral auf einem Hügel gelegenen Universität. Die
Menschen konnte man in einem knappen Jahr gut kennenlernen und Europa aus einer anderen Ecke
aus betrachten. Auch das Land wurde von den ERASMUS-Studierenden ausgiebig bereist. Ich
hatte das Glück, mit meinem Rad die nähere Umgebung erkunden zu können. Meine weiteste Fahrt
führte mich zur Osterzeit über Évora bis nach Sagres, zur südwestlichsten Spitze Europas. Ich habe
durch Portugal eine Art des Reisens kennengelernt, die ich gerne wiederholen möchte.
Die vielen Reisen waren jedoch nicht das einzige Ergebnis meines Aufenthaltes in Portugal. Zurück
in Deutschland berief mich Herr Krauss zum ERASMUS-Betreuer. 18 Monate lang durfte ich
europäische Gaststudierende in Essen betreuen, insbesondere während der ersten Wochen ihres
Aufenthaltes und dann im Laufe des Semesters mit einem Landeskunde-Seminar. Die kulturelle
Arbeit machte mir so viel Spaß, dass ich nach meinem Philosophie-Studium in dieser Branche Fuß
fassen möchte. Ein Praktikum in der Programmabteilung des Goethe-Institut in Rio de Janeiro hat
mir die Möglichkeit eröffnet, eine Stelle als Assistent in der hiesigen Bibliothek des Instituts anzunehmen. So werde ich weit weg von meiner Heimat nach bestem Wissen und Gewissen Auskunft
über die deutsche Kultur geben und mich überraschen lassen, wohin mich die kulturelle Reise noch
führen wird, die ich radelnd begonnen habe.
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Angelika Pickardt
Mainz
geb. 1980
ERASMUS-Aufenthalt: 1. August 2002 bis 1. September 2003
Name/Land der Gasthochschule: Università degli studi di
Roma, Italien
Name der Heimathochschule: Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Fachbereich: Geographie
SOKRATES-Success: Zimmersuche
Unerwartete Hilfe bei der Zimmersuche in
Rom
Angelika Pickardt
Unerwartete Hilfe bei der Zimmersuche in Rom
Unerwartete Hilfe bei der Zimmersuche in Rom
Angelika Pickardt
Da ich mich schon immer sehr für andere Länder und Kulturen interessiert habe, entschied ich mich
nach dem Abitur dafür, Geographie zu studieren. Zudem war für mich eigentlich schon immer klar,
dass ich im Rahmen des Studiums über ERASMUS auch einige Zeit im Ausland studieren würde,
wie es auch meine älteren Schwestern bereits getan hatten. Dabei fiel mir die Wahl des Ziellandes/der Zielstadt nicht sehr leicht: Sollte ich in Frankreich studieren, was sich aufgrund meines
Nebenfachs Französisch anbot, oder doch lieber in Italien meine Italienischkenntnisse vertiefen?
Als ich schließlich erfuhr, dass die Universität in Rom eine der Partneruniversitäten des Geographischen Instituts in Mainz ist und es einen freien Platz gab, war mir plötzlich klar: Ein Jahr in Rom,
das war es!
Als ich im August 2002 in Rom am Bahnhof „Termini“ ankam, war mein erster Gedanke: „Und
hier soll ich ein ganzes Jahr bleiben?!“. Brütende Hitze, Tausende von Touristen, Autos, Autos,
Autos... Zum Glück konnte ich die erste Zeit bei einer Bekannten meiner Schwester unterkommen,
bis ich eine eigene Bleibe gefunden hatte. Doch die Zimmersuche in Rom erwies sich als weitaus
schwieriger, als ich gedacht hatte. Meine erste Anlaufstelle waren die schwarzen Bretter an der
Uni, doch die waren leider wie leer gefegt. Es stellte sich heraus, dass ich zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt auf Zimmersuche ging – im August, wo alle Italiener im Urlaub sind. Nicht mal der
„Porta Portese“, eine römische Flohmarkt-Zeitung mit riesigem Immobilienteil, erschien in diesem
Monat. Die wenigen Zimmerangebote, die ich dennoch im Internet und an der Uni finden konnte,
erwiesen sich meist als entweder zu weit außerhalb, oder aber als überteuerte „Löcher“. Häufig
bekam ich am Telefon aber auch einfach ein „No stranieri“ („Keine Ausländer“) zu hören. Schließlich hängte ich selbst eine Suchanzeige an der Uni aus, was mir aber zunächst auch nicht weiterhalf. Also blieb mir nicht viel anderes zu tun, als den September abzuwarten, wenn sich die Stadt
wieder füllen und der „Porta Portese“ endlich erscheinen würde.
Eines Morgens gegen 6:30 Uhr riss mich mein Handy aus dem Schlaf: Jemand wollte mir ein
Zimmer anbieten. Gerade noch wunderte ich mich, dass da wohl jemand besonders früh an der Uni
gewesen war, da klingelte das Handy schon wieder. Das ging dann den ganzen Morgen so weiter,
ununterbrochen. Meine Liste mit Zimmerangeboten wurde immer länger und ich hatte für die
nächsten Tage schon mehrere Besichtigungstermine. Seltsamerweise sagten die Leute am Telefon
immer, sie hätten meine Anzeige in der Zeitung gelesen, dabei hatte ich doch in keiner Zeitung eine
Anzeige aufgegeben! Unter den Anrufern waren auch einige komische Typen, die meinen Namen
„bellissimo“ fanden und mich kennenlernen wollten. Ich verstand gar nichts mehr. Bis ich schließlich die neueste „Metro“ in den Händen hielt, ein kostenloses Stadt-Magazin, welches täglich in
allen Metro-Stationen Roms verteilt wird und somit auch von allen Römern gelesen wird – vom
Geschäftsmann bis zum Penner. Im Mittelteil der Zeitung stand ein Artikel über die schwierige
Zimmersuche für Studierende in Rom, und in der Mitte prangte ein großes Foto vom schwarzen
Brett an der Uni. Darauf sah man genau meine Anzeige, gut leserlich mit Vorname und Handy78
Angelika Pickardt
Unerwartete Hilfe bei der Zimmersuche in Rom
Nummer. Im ersten Moment ärgerte ich mich, dass man meine Telefonnummer auf dem Foto nicht
gelöscht hatte, denn die hatte ja jetzt jeder in Rom, ich war sozusagen über Nacht „stadtbekannt“
geworden... Aber letztendlich habe ich durch die „Metro“ mein Traumzimmer gefunden – in einer
richtig netten WG mit drei Italienerinnen und einem Hund, in einem der schönsten Viertel in Rom.
Insofern bin ich der Zeitung fast dankbar, obwohl ich noch Monate später seltsame Anrufe und
SMS auf meinem Handy erhielt...
Auch wenn mein Start in Rom nicht ganz einfach war und ich es mir zunächst nicht vorstellen
konnte, dort so lange zu bleiben, war es insgesamt die schönste Zeit meines Lebens. Und das habe
ich vor allem meinen Mitbewohnerinnen – Rita, Valentina und Francesca – zu verdanken. Wir
hatten sehr viel Spaß zusammen und vor allem habe ich die Stadt von einer ganz anderen Seite
kennengelernt und kann nun sagen, dass es für mich persönlich die schönste Stadt ist. Das liegt
nicht nur an den wahnsinnig schönen und beeindruckenden Gebäuden in Rom, sondern vor allem
an der Atmosphäre dort, an den tollen Konzerten, an der Freundlichkeit und Wärme und besonders
der Lebenslust der Römer. Einzig die Uni war sehr chaotisch, weshalb ich dann doch ganz froh bin,
dass ich mein Studium hier in Mainz beenden kann. Es fiel mir am Ende wirklich sehr schwer,
Rom und meine neu gewonnenen Freunde wieder zu verlassen. Doch allzu traurig brauche ich nicht
zu sein, denn ich weiß ja, dass ich noch in diesem Jahr wieder dort sein werde: um meine Diplomarbeit in und über Rom zu schreiben...
Abschließend möchte ich noch jedem raten, die Möglichkeit zu nutzen, während des Studiums über
das ERASMUS-Programm für ein oder zwei Semester im Ausland zu studieren. Man lernt dabei
nicht nur die Sprache sehr gut (vorausgesetzt man umgibt sich nicht nur mit anderen ERASMUSStudierenden), sondern sammelt vor allem wertvolle persönliche Erfahrungen im Umgang mit einer
anderen Kultur.
79
Franka Storzer
Meuselwitz
geb. 1978
ERASMUS-Aufenthalt: 29. Januar bis 31. Mai 2004
Name/Land der Gasthochschule: Institute of Technology Tralee,
Co. Kerry, Irland
Name der Heimathochschule: Fachhochschule Nordhausen, Thüringen
Fachbereich: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
SOKRATES-Success: Studium und Persönlichkeitsentfaltung
Von einer fixen Idee zu zehn Monaten in
Irland
Franka Storzer
Von einer fixen Idee zu zehn Monaten in Irland
Von einer fixen Idee zu zehn Monaten in Irland
Franka Storzer
Bevor ich mein Studium begann, konnte ich mir nicht wirklich vorstellen, ein Auslandssemester zu
absolvieren, da ich bereits zehn Monate im Ausland verbracht hatte und damit das Thema in meinem Lebenslauf gewissermaßen „abgehakt“ war. Außerdem wollte ich keine Zeit beim Studium
„verlieren“. Aufgerüttelt wurde ich erstmals durch einen Freund (und Kommilitonen), der auf sehr
hartnäckige Weise seine Idee von einem Auslandsstudium verfolgte und es schaffte, auch in meinen Kopf eine „fixe“ Idee zu setzen. Durch meine Arbeit als studentische Hilfskraft im Referat für
Internationales der FH Nordhausen habe ich außerdem zahlreiche Kontakte und Freundschaften zu
ERASMUS-Studierenden der FH aufgebaut und gewissermaßen deren ERASMUS-Zeit miterlebt.
Auch Tutorenprogramme, Abläufe und Formalitäten während eines Auslandsstudiums waren mir
dadurch bekannt. Letztendlich habe ich durch Unterstützung meiner Freunde, Dozenten und Kommilitonen den Schritt in ein Auslandsstudium gewagt und hatte die große Chance, als einzige Studentin der FH Nordhausen das Sommersemester 2004 am Institute of Technology in Tralee zu
verbringen.
Da ich schon öfters in Irland im Urlaub gewesen war, fiel die Wahl des Landes nicht allzu schwer
und Irland war mir so auf gewisse Art und Weise auch schon vertraut. Abgesehen vom Linksverkehr sollte ich während meines Aufenthaltes noch unzählige neue Dinge in Irland entdecken.
So empfand ich es als äußerst angenehm, dass die Vorlesungen am ITT um einiges kürzer waren
als in Deutschland, nämlich nur 50-60 Minuten. Jedoch traf ich im College auch zum ersten Mal
auf das irische Zeitverständnis, so dass man von der Vorlesungszeit noch die Zeit abziehen musste,
welche die Dozenten entweder später kamen und/oder eher gingen. Zudem ist die Mehrheit der
irischen Studierenden erschreckend jung, so dass man sich eher in die Schule zurück versetzt fühlt.
Generell empfand ich das Studieren in Irland im Vergleich zu Deutschland sehr verschult, was in
meiner Situation als Austauschstudentin sicher nicht von Nachteil war.
Die im ITT angebotenen Kurse über irische Kultur, Traditionen, aber auch hinsichtlich aktueller
Themen haben mir einen guten Ausgangspunkt geschaffen, bestimmte Ereignisse und Auffassungen besser zu verinnerlichen und zu verstehen. Oft konnte ich unterschiedlichstes Wissen und
Erfahrungen an anderer Stelle anwenden, weitergeben oder hinterfragen.
Da man ja gewissermaßen in ein völlig unbekanntes Land kommt, ist man in vielen Situationen auf
die Zugänglichkeit der Gesellschaft angewiesen. Ich kann die Iren dahingehend nur als ein stets
hilfsbereites und sehr aufgeschlossenes „Völkchen“ beschreiben. Besonders hilfreich erweisen sie
sich auf der Suche nach Straßen, welche des Öfteren schlechte oder gar keine Beschilderung haben.
Auch im Rahmen der manchmal doch recht aufgelockerten Pub-Kultur hatte ich nie Probleme,
Kontakte zu knüpfen.
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Franka Storzer
Von einer fixen Idee zu zehn Monaten in Irland
Außerdem wohnte ich in einem Studentenwohnheim, in dem der Zusammenhalt zwischen all den
Studierenden wirklich sehr gut war und man stets jemanden fand, den man um Rat in sämtlichen
Belangen fragen konnte. Während meiner Zeit in Tralee habe ich zahlreiche Freundschaften zu
irischen als auch zu internationalen Studierenden aufbauen können, von denen einige trotz der
Kürze der Zeit für mich sehr wertvoll und intensiv geworden sind.
Sprachlich konnte ich ebenfalls eine Weiterentwicklung beobachten. Einerseits hat sich mein eigener Wortschatz durch die ständige Nutzung der Sprache erweitert und gefestigt. Andererseits bin
ich auch wesentlich selbstsicherer im Umgang mit der englischen Sprache geworden. Plötzlich
meistert man Situationen, die man sich früher selbst nicht zugetraut hätte.
Der Auslandsaufenthalt in Irland war für mich ein bedeutender Schritt. Allerdings war damit auch
eine gewisse Herausforderung verbunden, nicht nur Urlaub in einem Land zu machen, sondern
auch dort zu leben, sich an andere Lebenseinstellungen und landesübliche Gegebenheiten anzupassen. Den Prozess der Anpassung im Land an sich empfand ich dabei als nicht sehr schwierig, da
Irland in vielen Dingen Deutschland sehr ähnlich ist.
Meinen persönlichen ERASMUS-Success kann ich definitiv als Erfolg im Auslandssemester beschreiben, denn entgegen aller Zweifel und Ängste habe ich das Semester letztendlich doch recht
gut gemeistert. Als viel wichtiger erachte ich jedoch die Weiterentwicklung meiner eigenen Persönlichkeit während dieses Aufenthaltes. So hat mich die Zeit wirklich angeregt, gewisse Routinen und
„festgefahrene“ Ansichten und Einstellungen zu überdenken, mich davon loszulösen und andere
Sichtweisen in Betracht zu ziehen. Ich kann an dieser Stelle bestimmt sagen, dass das Auslandssemester sprichwörtlich zur Erweiterung meines Horizontes hinsichtlich Toleranz/Akzeptanz anderer
Kulturen sowie auch zur Entfaltung neuer Perspektiven für meine Zukunft beigetragen hat.
Letztendlich ist aus einer „fixen“ Idee mit einem Kommilitonen (welcher leider nicht mit mir in
Irland studierte) Realität geworden und ich habe einen unvergesslichen ERASMUS-Aufenthalt in
Tralee verbracht. Im Anschluss an das Semester am ITT habe ich mich entschlossen, auch mein
Praktikum in Irland zu absolvieren, welches ich im Oktober beenden werde, so dass ich mittlerweile auf fast zehn Monate Irland zurückblicken kann.
Ich kann jedem, der auch nur mit dem Gedanken spielt, ins Ausland zu gehen, einen ERASMUSAufenthalt empfehlen, weil es für mich eine Zeit war, welche ich um keine Minute missen möchte.
83
Darek Szafran
Katowitz, Polen
geb. 1981
ERASMUS-Aufenthalt: März 2003 bis Juni 2004
Name/Land der Gasthochschule: Fachhochschule Nordhausen
Name der Heimathochschule: Wirtschaftsuniversität in Katowice,
Polen
Fachbereich: BWL
SOKRATES-Success: Interkulturelle Erfahrungen
Individualität und Hilfsbereitschaft in
Nordhausen
Darek Szafran
Individualität und Hilfsbereitschaft in Nordhausen
Individualität und Hilfsbereitschaft in Nordhausen
Darek Szafran
Ich habe an meiner Uni in Katowice erfahren, dass eine Möglichkeit angeboten wird, als SOKRATES-Austauschstudent für ein Semester im Ausland zu studieren. Da habe ich mit einem Freund
beschlossen, dass wir prüfen lassen, ob wir überhaupt dafür geeignet sind. Nach einem Vorstellungsgespräch waren wir sehr glücklich, da wir beide angenommen worden sind und ein Semester
als SOKRATES-Studenten studieren durften.
In dieser Weise ist für mich eine SOKRATES-Story in Nordhausen in Deutschland und für meinen
Freund in Spanien losgegangen.
Für mich war der Aufenthalt in Nordhausen erlebenswert. Eine ganz kleine Stadt in Thüringen, die
fast niemand kennt, mit einer ganz „jungen“ Uni. Ich kam dort mit zwei Freunden aus Katowice an.
An der Uni haben wir noch ein paar andere Austauschstudierende aus Polen, Spanien, Frankreich,
aber auch aus China, Nepal oder Nigeria kennengelernt, und natürlich auch deutsche Studierende.
Gemeinsam mit diesen Menschen habe ich meine „Nordhausen – Geschichte“ erlebt.
Die kleine, ganz junge Fachhochschule Nordhausen schien uns am Anfang nicht unbedingt als das
Beste, was uns hätte zustoßen können. Das Studieren an so einer kleinen Uni hat aber auch seine
Vorteile. Vor allem ist hier die Individualität zu nennen, weil wir als Ausländer ganz individuell
betrachtet wurden. D.h., dass ich mich nicht als einer unter vielen Studierenden gefühlt habe, sondern, dass auf unsere Probleme persönlich eingegangen wurde, und auch unsere Wünsche berücksichtigt wurden. Die Hilfsbereitschaft konnten wir alle spüren.
Die Leute, die ich dort getroffen habe, waren ganz verschieden, wie im Leben. Aber dank dessen
hatte ich die beste Möglichkeit, andere Kulturen, andere Brauchtümer und das Volk „mit meinen
eigenen Fingern“ kennenzulernen. Dies würde ich jetzt jedem empfehlen.
Dank dieses Aufenthalts habe ich mich selber besser kennengelernt, wie ich mich in spezifischen,
ungewöhnlichen Situationen verhalte und wie ich mich an andere anpassen kann. Jetzt in der Perspektive der Zeit betrachte ich das als eine gute Erfahrung.
Fotos & mehr: http://www.polenanfh.republika.pl
86
Christian Smigiel
Münster
geb. 1979
ERASMUS-Aufenthalt: September 2002 bis Juli 2003
Name/Land der Gasthochschule: Universität Ljubljana, Slowenien
Name der Heimathochschule: Westfälische Wilhelms-Universität
Münster
Fachbereich: Geowissenschaften
SOKRATES-Success: Gründung einer internationalen Musikband
In Slowenien spielt die Musik – ein
ERASMUS-Jahr mit grenzenlos
musikalischen Folgen
Christian Smigiel
In Slowenien spielt die Musik – ein ERASMUS-Jahr mit grenzenlos musikalischen Folgen
In Slowenien spielt die Musik – ein ERASMUS-Jahr mit
grenzenlos musikalischen Folgen
Christian Smigiel
Die Möglichkeit, einen Auslandsaufenthalt im Rahmen des Studiums durchführen zu können, hat
für mich auch gut ein Jahr nach dem Ende meines ERASMUS-Jahres noch immer etwas Faszinierendes. Denn es ist einerseits so einfach, sich einen Austausch in ein europäisches Land zu organisieren, und der Aufenthalt selbst hält andererseits dafür einen so großen Fundus an wunderbaren
Erlebnissen und Erfahrungen bereit. Für mich war der primäre Grund für einen solchen Schritt das
Interesse am Entdecken und Erkunden anderer Länder, sowie deren Menschen und Kultur kennenzulernen. Vor allem hatte es mir der Südosten Europas angetan und hierbei besonders die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Aufgrund meiner Wurzeln in Ostdeutschland war es für
mich von besonderem Interesse, wie die Transformation in den ebenfalls ehemals sozialistischen
Staaten des Vielvölkerstaats Jugoslawien abgelaufen war. Ich entschied mich deshalb, ein ERASMUS-Jahr in Slowenien in Angriff zu nehmen. In jenem kleinen Land zwischen Alpen und Adria,
das sich 1990 als erstes aus dem jugoslawischen Staatenbund losgesagt hatte, wollte ich in Erfahrung bringen, wie die gesellschaftliche Transformation abgelaufen war, ob es vielleicht Parallelen
mit der Entwicklung in Ostdeutschland gab, bzw. wo die Spannungslinien in einem so jungen Land
verlaufen. Allesamt Bereiche, die ich innerhalb meines Geographiestudiums (Schwerpunkt Humangeographie) in Ljubljana bearbeiten wollte. Die Schwierigkeit zu Beginn bestand erst einmal
darin, dass ich mir selbst einen Studienplatz organisieren musste, denn bis zu diesem Zeitpunkt gab
es keinerlei Austauschbeziehungen zwischen meiner Heimatuniversität und einer slowenischen
Hochschule. Nachdem ich einige Emails nach Ljubljana an die dortige Universität geschrieben und
meine Professoren von meinem Anliegen überzeugt hatte, hielt ich kurze Zeit später einen gültigen
ERASMUS-Vertrag in der Hand. Mein Austauschjahr konnte nun beginnen.
Und so fand ich mich nur wenige Monate darauf im spätsommerlichen Ljubljana wieder, umringt
von anderen ERASMUS-Studierenden aus ganz Europa beim Erlernen der slowenischen Sprache.
Das Schöne an diesen Sprachkursen ist – neben dem praktischen Nutzen der ersten Gehversuche in
einer neuen Sprache – vor allem das Zusammentreffen vieler verschiedener Menschen. So auch in
Ljubljana. Da die internationale Studierendenschar überschaubar war, kam man schnell ohne große
Scheu ins Gespräch. Und so ergab es sich eines Abends, dass ich mich mit einem Franzosen namens Alexandre ein wenig über Musik unterhielt, ein Gespräch, welches Folgen für unseren weiteren Aufenthalt in Ljubljana haben sollte. Aber bevor ich hier fortfahre, ein paar Worte zu meinem
Studium in Ljubljana. Es war sehr abwechslungsreich; ich studierte an drei Fakultäten. Geographie
an der philosophischen Fakultät, VWL an der Wirtschaftsfakultät und Politikwissenschaft an der
sozialwissenschaftlichen Fakultät. Ich habe durch den Aufenthalt an diesen drei verschiedenen
Fakultäten einen sehr guten Gesamtüberblick über die Universität erhalten. In Erinnerung bleibt
mir besonders die sehr offene Art der Professoren, die einem jederzeit bereitwillig weitergeholfen
haben. Des Weiteren war es generell interessant, in einem so kleinen Land zu studieren. Der Kon88
Christian Smigiel
In Slowenien spielt die Musik – ein ERASMUS-Jahr mit grenzenlos musikalischen Folgen
takt selbst mit obersten Behörden war recht unkompliziert möglich, welches z.B. Studienarbeiten
erleichterte. Ein wichtiger Teil meines Aufenthaltes in Slowenien waren die Exkursionen. Das
heißt, Exkursionen (teils privat, teils vom Geographieinstitut organisiert) in Slowenien, aber auch
in sämtlichen ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken. Somit konnte ich mir einen Überblick
über die Vielfalt dieses vom Krieg so verwundeten Landes machen.
Aber nochmals zurück zum Anfang meines Aufenthaltes. Dieses Gespräch mit Alexandre dauerte,
wie schon erwähnt, einige Stunden. Wir sprachen über Musik und am Ende des Abends stand die
Idee: wir wollten gemeinsam Musik machen. Der Zufall wollte es, dass unsere Idee bei zwei anderen ERASMUS-Studenten auf Gegenliebe traf. Es war November und wir waren zu viert. Alexandre (Frankreich), Aram (Italien), Jorge (Spanien) und ich aus Deutschland. Vier ERASMUSStudenten und eine vereinigende Idee – gemeinsam Musik machen. Doch bevor wir loslegen konnten, gab es allerlei kleine Probleme. Wir waren in einem uns fremden Land, hatten dementsprechend keinen Proberaum, wenig technisches Equipment und mussten uns zudem erst einmal gegenseitig kennenlernen. Was tun? Nun, wir trafen uns zu Beginn in der 25 qm-Wohnung von Jorge und
spielten munter drauf los, wobei der Stil zwischen Bossa Nova, Funk, Jazz und Reggae schwankte.
An dieser Stelle soll dem Leser gesagt sein, dass wir keineswegs so zielstrebig an der Musik feilten.
Am Anfang stand eher das Erforschen der kulinarischen Eigenschaften der in der Band vorhandenen Nationen auf dem Plan. Drei Monate später – wir probten mittlerweile in einer etwas größeren
Wohnung – hatten wir das Gefühl, dass wir drei Dinge bräuchten, um eine richtige Band zu werden. Einen Proberaum, einen Drummer und einen Namen. Alle drei Wünsche erfüllten sich in
kürzester Zeit. Fortan entflohen wir unserer Wohnzimmeratmosphäre, indem wir in Metelkova, dem
subkulturellen Zentrum der slowenischen Hauptstadt (einem ehemaligen Militärgefängnis), proben
durften. Außerdem hatten wir einen Namen gefunden: ‚Me Veseli’ (slowenische Begrüßungsformel, slow. = Schön, dich kennenzulernen). Aber was am Wichtigsten war, wir hatten endlich einen
Drummer. Matic, ein Slowene, und, wie sollte es anders sein, auch er hatte ein Jahr zuvor ein
ERASMUS-Jahr absolviert. Der Frühling kam und wir waren nun eine echte Band, probten zweimal pro Woche und hatten jede Menge Spaß. Nach fünf Monaten des Ausprobierens war die Zeit
reif für das erste Konzert unserer multinationalen Combo. Als Fazit unseres Premierenkonzerts
kann getrost gesagt werden, dass unsere wilde Mischung aus Funk, Jazz und Bossa Nova anzukommen schien. Jedenfalls machten wir wenige Wochen später ein weiteres Konzert in Ljubljana.
Diesmal in einem sehr renommierten, alten Club, der zudem ausverkauft war. Wir spielten drei
volle Stunden unsere Musik und die Menschen tanzten ausgelassen dazu. Ein unglaubliches Erlebnis. Doch nach dem Fest folgt bekanntlich oftmals der Kater. So auch in unserem Fall, denn mittlerweile war es Juni und unser ERASMUS-Jahr neigte sich dem Ende entgegen. Uns blieben nur
noch wenige Wochen, dann würde alles vorbei sein. Aber halt, warum? Wir setzten uns zusammen
und beschlossen, uns im gleichen Sommer im italienischen Bassano del Grappa, dem Zuhause
unseres Gitarristen Aram, wieder zu treffen. Gesagt, getan. Im August trafen wir uns in Italien,
nahmen unsere erste CD auf, machten eine kleine Tournee und es zeigte sich, dass unser ERASMUS-Jahr in Ljubljana nur der Anfang von ‚Me Veseli’ war. Mittlerweile haben wir eine weitere
Tournee in Italien und in Bordeaux gespielt. Und in ein paar Wochen geht es wieder nach Frankreich. Das Schöne an unserer Band ist, dass wir nicht nur musikalisch verbunden sind. Es ist auch
jedes Mal wunderbar, gute Freunde und deren Familien wiederzusehen. Vor meinem ERASMUS89
Christian Smigiel
In Slowenien spielt die Musik – ein ERASMUS-Jahr mit grenzenlos musikalischen Folgen
Jahr hätte ich nie gedacht, dass es möglich sein könnte, mit vier verschiedenen Menschen aus vier
verschiedenen Ländern zu einer so verschworenen Band zusammenzuwachsen. Aber nichts ist
unmöglich und ‚Me Veseli’ wird es, so denke ich, noch länger geben. Falls Interesse besteht, wie
‚Me Veseli’ sich anhört: http://www.groova.it/groova.html.
90
Heiko Brendel
Bingen am Rhein
ERASMUS-Aufenthalt: Sommer 2002 bis Sommer 2003
Name/Land der Gasthochschule: Universität Trier
Name der Heimathochschule: Universität Lund, Schweden
SOKRATES-Success: Solidarität unter ERASMUS-Studierenden
Das Märchen vom schwedischen Sankt
Bürokratismus
Heiko Brendel
Das Märchen vom schwedischen Sankt Bürokratismus
Das Märchen vom schwedischen Sankt Bürokratismus
Heiko Brendel
Es war einmal im späten Herbst des siebten Jahres, nachdem das Königreich mit den drei goldenen
Kronen auf blauem Grund der Europäischen Union beigetreten war, in Lund im schönen Schonen.
Dort schaffte es die schwedische Post, mir die Grenzen europäischer Einheit aufzuzeigen. Es fing
eigentlich alles ganz harmlos an. Ich wollte nur ein Einschreiben mit wichtigen Unterlagen, die mir
meine Eltern nachgeschickt hatten, abholen. Dazu sollte man vielleicht sagen, dass die Poststellen
in Schweden üblicherweise in großen Supermärkten untergebracht sind und auch deren (sehr kundenfreundlichen) Öffnungszeiten unterliegen. Darum machte ich mich abends um kurz vor halb
neun auf den Weg zu meiner Postabholstelle im großen und günstigen Supermarkt Matex in der
Nähe meines Studentenwohnheimes „Delphi“.
Ich stand also, 20 Minuten bevor der Matex um 21 Uhr schließt, am Postschalter. Ich legte die
Abholkarte vor, die ich in meinem Briefkasten gefunden hatte – und meinen Personalausweis, um
mich auszuweisen, denn schließlich handelte es sich ja um ein Einschreiben. Die Reaktion der
charmanten Angestellten hinter dem Schalter: „Der deutsche Personalausweis gilt hier nicht, bei
Ausländern brauchen wir einen Reisepass. Wir können Ihre Identität nicht eindeutig feststellen.“
(Mein Schwedisch war nach den wenigen Monaten im Lande schon recht passabel, so dass die
Unterhaltung nicht sonderlich schwer fiel.)
Ich verwies darauf, dass ich innerhalb der EU keinen Reisepass brauche, die Schalterdame blieb
unbeeindruckt: „Wir akzeptieren nur schwedische ID-Karten sowie Reisepässe. Nichts Anderes.“
Meinen Reisepass hatte ich dummerweise nicht eingesteckt und mein Wohnheim lag genau so weit
entfernt, dass nach einem eventuellen Hin- und Zurückfahren der Supermarkt gerade geschlossen
hätte. Ich merkte also an, dass jeder schwedische Polizist mit meinem Personalausweis vollauf
zufrieden wäre und dass die meisten Deutschen, die sich in Schweden aufhielten, nur ihren Personalausweis und gar keinen Reisepass dabei hätten. Sie könne ja gerne bei der Polizei nachfragen,
ob mein Personalausweis meine Identität belegen könne. Die Schalterdame meinte, das sei ja nicht
ihre Angelegenheit, sondern Sache der Polizei. Bei der Post würden eben strengere Regeln gelten.
Da könne ja jeder kommen. Ihr sei es im übrigen ziemlich egal, ob die Polizei meinen Personalausweis akzeptiere oder nicht. Sie würde es unter keinen Umständen tun. Wozu gebe es schließlich
Vorschriften?
Ich las noch einmal auf der Abholkarte nach – dort stand nur geschrieben, dass man einen Lichtbildausweis braucht, um seine Identität zu belegen. Als Beispiel wurde die ID-Karte und der Führerschein genannt. Ein Führerschein, die Lösung! Ich kramte also meinen deutschen Führerschein
hervor, den ich glücklicherweise dabei hatte. Erleichtert, gut zehn Minuten vor Geschäftsschluss,
und mittlerweile mit einer so ansehnlichen Reihe genervter Postkunden hinter mir, dass ein zweiter
Schalter geöffnet wurde, präsentierte ich meinen deutschen Führerschein. Aber ich hatte mich zu
früh gefreut: „Nein, wir können Ihnen Ihr Einschreiben nicht geben, denn wir akzeptieren nur
92
Heiko Brendel
Das Märchen vom schwedischen Sankt Bürokratismus
schwedische Führerscheine. Dieser Führerschein vom Kontinent belegt Ihre Identität nicht eindeutig.“ Ich wies darauf hin, dass sich auch auf meinem Führerschein ein Foto befinde sowie ein ausgewiesener Ausstellungsort, und dass er unterschrieben sowie abgestempelt sei. Vergebens.
Eine andere Postangestellte, die das Theater bereits einige Minuten recht amüsiert verfolgt hatte,
machte meine Gesprächspartnerin darauf aufmerksam, dass es noch eine andere Lösung unseres
Problems gebe: Es könne jemand, der seine Identität belegen könne, und der mich kennen würde,
für mich bürgen. Das sei prinzipiell möglich, aber sehr unüblich, da ja jeder seine eigene Identität
belegen könne.
Noch fünf Minuten bis Geschäftsschluss – ein Königreich für einen Bürgen! Ich fragte die Schalterdame, ob irgendjemand beliebiges meine Identität belegen könne. Klar, solange er mit seiner
Unterschrift dafür bürgen würde, dass ich ich sei, und er entweder über einen schwedischen Sozialversicherungsausweis, einen schwedischen Führerschein oder einen internationalen Reisepass
verfüge, um seine eigene Identität zu belegen.
Ich fragte also schnell ein paar Leute vor dem Postschalter, erklärte ihnen die Situation, und ein
finnischer Austauschstudent, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, der aber seinen Reisepass dabei
hatte und mit dem deutschen Personalausweis vertraut war, war erfreulicherweise bereit, für mich
zu bürgen. Er unterschrieb an meiner Statt, dass ich ich sei. Die Dame am Schalter wollte das zunächst nicht akzeptieren, weil der Finne mich ja – was absolut richtig war – gar nicht kennen würde. Sie musste aber nachgeben, denn alle Formalien waren ja erfüllt. Also bekam ich ganze zwei
Minuten vor Schalterschluss endlich mein Einschreiben und war einem finnischen ERASMUSStudenten, den ich noch nie vorher gesehen hatte, zu großem Dank verpflichtet.
Ich will mir gar nicht vorstellen, was geschehen wäre, hätte ich mir meinen Reisepass per Einschreiben schicken lassen, ansonsten ganz korrekt gehandelt und nicht zufälligerweise herausbekommen, dass ein Dritter für mich bürgen dürfte: Ich hätte keinerlei Möglichkeit gehabt, an meinen
Reisepass zu gelangen, denn ich hätte ja meinen Reisepass gebraucht, um das Einschreiben ausgehändigt zu bekommen. Aber dazu kam es ja glücklicherweise nicht. Und so leben alle Beteiligten
glücklich bis an ihr Lebensende.
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Juraj Hrin
Bratislava, Slowakei
geb. 1978
ERASMUS-Aufenthalt: Wintersemester 2002/03
Name/Land der Gasthochschule: Universität Essen
Name der Heimathochschule: Fakultät der Architektur,
Technische Universität Slowakei
Fachbereich: Städtebau – Landschaftsplanung, Design
SOKRATES-Success: Erfahrungen mit neuen Menschen
und neuen Arbeitsverfahren
Von durchzechten Nächten und der Zeche
Zollverein
Juraj Hrin
Von durchzechten Nächten und der Zeche Zollverein
Von durchzechten Nächten und der Zeche Zollverein
Juraj Hrin
Als ich kleiner war, ging ich ein Jahr lang in Deutschland auf ein Gymnasium, nicht weit von
Dortmund. Dadurch hatte ich schon eine sehr gute Erfahrung gemacht und beherrschte die Sprache.
Als ich an meiner Uni den Zettel mit der Information über SOKRATES-Stipendien sah und meine
Schule auch die Möglichkeit bot, im Ruhrgebiet zu studieren, musste ich gar nicht nachdenken. Ich
habe mich sofort für den Bewerberkonkurs vorbereitet und ich war erfolgreich. Danach verbrachte
ich ein Semester an der Uni Essen.
Wie ich schon erwähnt habe, hatte ich schon sehr gute Erfahrungen mit der Schule und den Menschen in Deutschland durch meine Zeit auf der Mittelschule gemacht. Und meine Meinung hat sich
nur bekräftigt. Das Interessanteste war die sehr persönliche Beziehung mit den Studierenden. Mein
Fachbereich erforderte auch viele Konsultationen mit den Lehrern und Professoren und ich habe
bei ihnen meistens sehr viel Freundlichkeit und Offenheit angetroffen. Man behandelte die Studierenden mehr als Kollegen als als Studierende, was sehr angenehm war. Mit der Arbeit und den
Erfahrungen an der Uni bin ich höchst zufrieden. Das Einzige, woran ich mich gewöhnen musste,
war das feuchte und regnerische Winterwetter im Ruhrgebiet, aber das kann man nicht beeinflussen ;-).
Es gab zwei Schulevents in dem einen Semester, das ich in Essen verbracht habe, die ganz neu für
mich waren. Das eine war der städtebauliche Workshop der Zeche Zollverein über die neue Nutzung des Weltkulturerbes. Drei Tage, die wir in einer riesigen Halle in der Zeche mit vielen anderen Studierenden von anderen Unis verbracht haben, haben mir einen absolut anderen Blickwinkel
auf die Arbeit eines Studierenden aufgezeigt. Man konnte die Arbeitsvorgänge und Denkweisen der
anderen Gruppen in den Entwurfsphasen sehen, wozu man normalerweise nicht jeden Tag die
Möglichkeit bekommt. Das zweite Event war die Teilnahme an einem Designerkurs. Als erstes
habe ich mir gedacht, dass man Design nicht direkt auf die Architektur anwenden kann. Aber ich
habe diese Meinung schnell geändert. Die Endpräsentation der Designer, bei der ich meine Architektur zwischen den Designprodukten präsentierte, war auch sehr inspirationsreich. Andere Meinungen und Sichtweisen der Studierenden verschiedener Fachbereiche sollte sich jeder während
seines Studiums einmal anhören.
Um die Erlebnisse meiner Freizeit zu beschreiben, bräuchte ich ziemlich viel Platz. Ich erwähne
vor allem viele Möglichkeiten, Ausflüge in die Umgebung zu machen. Das Ruhrgebiet hat viel zu
bieten, von der Landschaft bis zu kulturellen und technischen Sehenswürdigkeiten. Und ich muss
auch die Studentenparties in den vielen Wohnheimen erwähnen. Es gab fast jede Woche in irgendeinem Wohnheim eine Party, und wenn nicht, dann war zumindest die Kneipe offen, wo man sich
mit den Leuten treffen konnte. Ich glaube, wenn man aus dem Alltag bei sich zu Hause weg will,
sollte man die Möglichkeit, an einer anderen Uni und in einem anderen Land zu studieren, nutzen.
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Anna Lay
Frankfurt am Main
geb. 1980
ERASMUS-Aufenthalt: September 2002 bis Juni 2003
Name/Land der Gasthochschule: Rijksuniversiteit Leiden, Niederlande
Name der Heimathochschule: J.-W.-Goethe Universität
Frankfurt am Main
Fachbereich: Südostasienwissenschaften
SOKRATES-Success: Interkulturelle Kommunikation
Europäisches Selbstbewusstsein durch
einen ERASMUS-Aufenthalt in den
Niederlanden
Anna Lay
Europäisches Selbstbewusstsein durch einen ERASMUS-Aufenthalt in den Niederlanden
Europäisches Selbstbewusstsein durch einen ERASMUSAufenthalt in den Niederlanden
Anna Lay
Die Vorstellung, für eine längere Zeit ins Ausland zu gehen, ist sicherlich für viele junge Leute
reizvoll. Für mich ergab sich die Möglichkeit, diese Idee zu verwirklichen, indem ich für ein Jahr
über das ERASMUS-Programm meiner Universität in Frankfurt nach Leiden in die Niederlande
ging. Der ERASMUS-Beauftragte unseres Studienbereichs hatte mich auf das Programm aufmerksam gemacht und mich ermutigt, mich für diesen Austausch zu bewerben. Obwohl alles sehr kurzfristig und schnell gehen musste, hatte ich Ende Juni die feste Zusage aus Holland und am ersten
September stand ich mit Koffern bepackt in Leiden am Hauptbahnhof. Das Abenteuer konnte
beginnen...
Anfangs war es nicht ganz so einfach, wie ich es mir gewünscht oder vorgestellt hatte. Ich musste
mich um eine Unterkunft selbst kümmern, da – wie überall – mehr Studierende als Wohnheimplätze existierten. Daher lebte ich während der ersten vier Wochen außerhalb Leidens zur Untermiete.
Durch einen Kommilitonen fand ich aber für die folgenden drei Monate ein Zimmer in Leiden zur
Zwischenmiete und nach einem letzten Umzug im Dezember hatte ich bis zum Ende des Aufenthalts eine feste Bleibe im Studentenwohnheim.
Anders als die meisten ausländischen Studierenden hatte ich durch diese anfängliche Schwierigkeit
das Glück, letztendlich während des gesamten Aufenthaltes fast ausschließlich Kontakt mit Niederländern zu haben. Im Wohnheim freundete ich mich mit Studierenden an, die aus den unterschiedlichsten Regionen der Niederlande zum Studium nach Leiden gekommen waren.
Im März hatte ich angefangen, in einem kleinen Café im Stadtzentrum zu jobben. Durch diese
Nebentätigkeit nahm ich schließlich vollständig am holländischen Leben teil: Nicht nur sprachlich,
sondern auch gesellschaftlich drang ich tiefer in das Niederländische ein. Ich feierte den „Koniginnendag“ mit, lernte was „Koffie Verkeerd“ bedeutet (Milchkaffee) und wie man am besten Toasties
zubereitet. In langen Gesprächen mit Freunden, Studierenden, Kollegen und Gästen versuchten wir,
in Diskussionen unserem jeweils eigenen Land näher zu kommen. Erst über Vorurteile und gewöhnliche Fragen wurde mir einiges über mich selbst und mein „Deutschsein“ bewusst, ebenso wie
es auch umgekehrt manches zu erkennen gab. Und trotzdem blieb das „Typisch Deutsch!“ oder
„Typisch Nederlands!“, im neckischen Sinne. Insgesamt denke ich, stehen sich Deutsche und Niederländer wohlwollend gegenüber. Außer natürlich, wenn es um Fußball geht – aber das ist wieder
eine ganz andere Geschichte... Man lernt die Menschen sowieso in erster Linie als Menschen kennen und nicht als Niederländer, Deutsche, Franzosen oder Italiener.
In diesem einen Jahr in Leiden hat sich für mich einiges verändert. Ich bin mit Sicherheit durch
diesen Aufenthalt „selbstbewusster“ geworden, im wahrsten Sinne des Wortes. Man wird sich der
Eigenheiten und Gemeinsamkeiten im Dialog bewusst. Mit diesem Bewusstsein kehrt man zurück
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Anna Lay
Europäisches Selbstbewusstsein durch einen ERASMUS-Aufenthalt in den Niederlanden
und sieht den eigenen Hintergrund aus einer anderen Perspektive. Am Anfang bedauerte ich es,
nach Deutschland zurückkehren zu müssen, da ich mich nicht nur an der Universität zurecht gefunden, sondern auch privat ein neues soziales Umfeld aufgebaut hatte. Auch jetzt vermisse ich das
spontane Zusammensein mit meinen Freunden in Holland. Aber die nächsten Ferien kommen
bestimmt und dann geht‘s wieder Richtung Westen. Auf jeden Fall hat mir Holland gezeigt, dass es
geht: Man ist nicht auf Deutschland beschränkt in seiner Wahl. Und wer weiß, wohin es mich nach
dem Studium verschlägt? Es muss nicht Holland sein, aber für eine längere Zeit ins Ausland zu
gehen, ist für mich noch immer oder vielleicht noch mehr eine reizvolle Vorstellung. Und wer
weiß, vielleicht sieht man sich ja irgendwo in Europa... It could be Rotterdam or anywhere, Liverpool or Rome...!
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Karina Kopeć
Krakau, Polen
geb. 1981
ERASMUS-Aufenthalt: 1. Marz 2004 bis 31. Juli 2004
Name/Land der Gasthochschule: Fachhochschule Münster
– University of Applied Sciences
Name der Heimathochschule: Politechnika Krakowska
Fachbereich: Chemieingenieurwesen
SOKRATES-Success: Persönlichkeitsentfaltung und Sprachen
Internationales, englischsprachiges Flair im
kleinen, friedlichen Steinfurt
Karina Kopeć
Internationales, englischsprachiges Flair im kleinen, friedlichen Steinfurt
Internationales, englischsprachiges Flair im kleinen, friedlichen
Steinfurt
Karina Kopeć
Zwei Jahre bevor ich nach Deutschland gegangen bin, hat meine Heimathochschule in Polen ein
Treffen mit einer Studentin organisiert, die als erste Studentin in Deutschland ihr Examen gemacht
hat. Ich nahm an dieser Veranstaltung teil. Als ich aus dem Seminarraum herauskam, war mir klar,
dass ich eines Tages auch im Ausland studieren wollte, ich war nur noch nicht entschieden, ob es
Deutschland sein sollte. Ich dachte ebenfalls über Holland, Spanien oder Schweden nach.
Ich hatte nur ein Problem: Ich hatte noch nie zuvor Deutsch gelernt. Ich wusste, dass selbst, wenn
ich direkt anfangen würde, zu lernen, ich es nicht schaffen würde, genug zu lernen, um auf Deutsch
studieren zu können. Trotz alledem meldete ich mich bei einem Deutschkurs an. Ich beobachtete
alle Ausschreibungen und Ankündigungen von SOKRATES/ERASMUS an meinem Institut und
eines Tages fand ich eine Information über die Fachhochschule Münster, und dass dort Vorlesungen auf Englisch gehalten werden. Ich habe nicht lange darüber nachgedacht. Ich wusste, dass dies
eine große Chance für eine bessere Zukunft sein würde. Erfahrungen im Ausland würden mir erlauben, einen guten und gut bezahlten Arbeitsplatz zu finden. Ich ließ mich registrieren, dann wurde ich eingestuft und .... ging nach Steinfurt.
Ich wurde herzlich empfangen und die Leute, die uns willkommen hießen, unsere Tutoren, halfen
uns mit allen Formalitäten, die mit der Einschreibung, der Aufenthaltsgenehmigung etc. verbunden
waren. Mit den Professoren konnten wir uns immer verständigen. Das einzige Problem, dass wir
hatten, war im Fakultätsbüro, weil die Frauen, die dort arbeiteten, kein Englisch sprachen. Aber sie
waren so nett, dass alles, was wir machen wollten, auch Erfolg hatte.
Menschen über Menschen.... es ist eine so lange Geschichte. Während meines Aufenthaltes in
Steinfurt habe ich so viele Menschen aus so vielen Ländern kennengelernt: aus Frankreich, Spanien, Finnland, der Slowakei, Indien, Pakistan, China, Mexiko, der Türkei und Ghana. Ich habe
viele fremde und exotische Kulturen kennengelernt und deren kulinarische Köstlichkeiten probiert.
Und die Parties – internationale Parties in den Wohnheimen bis in die Morgenstunden – waren
natürlich wunderbar. Wir besuchten auch einige Städte: Münster, Osnabrück, Dortmund, Amsterdam, Köln und Aachen (die zwei letzten waren Teil organisierter Exkursionen durch SOKRATES/ERASMUS). Steinfurt – die Stadt, wo wir lebten und studierten – war klein und friedlich. Wir
konnten uns nicht daran gewöhnen. In Polen studieren wir in einer Großstadt – Krakau. Es gibt
Kinos, Theater, Galerien und Museen etc. In Steinfurt gab es nichts von dem.
Mein persönliches Interesse lag in den Erfahrungen, die ich in meinem Fachbereich machen konnte, in den neuen Lernmethoden, die ich kennenlernen durfte, und darin, mein Englisch und Deutsch
zu verbessern. Es ist zu wenig Zeit vergangen, seitdem ich zurück nach Polen gekommen bin, um
zu beurteilen, wie der Aufenthalt in Deutschland die professionelle Seite meines Lebens beeinflusst
hat. Ich kann aber sagen, dass ich eine gewisse Unabhängigkeit und einen neuen Blick auf das
Leben bekommen habe. Ich bin kreativer, toleranter und geduldiger geworden.
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Mandy Sobetzko
Magdeburg
geb. 1981
ERASMUS-Aufenthalt: August 2003 bis April 2004
Name/Land der Gasthochschule: Linköpings Universitet, Schweden
Name der Heimathochschule: Otto-von-Guericke Universität
Magdeburg
Fachbereich: Wirtschaftswissenschaften – BWL
SOKRATES-Success: Freunde und internationale Team-Arbeit
Schwedische Herzlichkeit oder wie
Golfspieler im Regen und Spaziergänger
auf der Ostsee Wirklichkeit werden
Mandy Sobetzko
Schwedische Herzlichkeit, Golfspieler im Regen und Spaziergänger auf der Ostsee
Schwedische Herzlichkeit oder wie Golfspieler im Regen und
Spaziergänger auf der Ostsee Wirklichkeit werden
Mandy Sobetzko
Am Ende des Wintersemesters 2002/03 sah ich einen Aushang im Wirtschaftsgebäude vom Lehrstuhl für Produktion und Logistik über einen Auslandsaufenthalt an der Partneruniversität in Linköping (Schweden). Aus dem Aushang war zu entnehmen, dass 24 Punkte für das Diplom anrechenbar sind. In dem Bewusstsein, dass sich sehr viele Studierende auf diese drei bis vier
Studienplätze bewerben würden, reichte ich meine Bewerbungsunterlagen ein. Ich wollte Auslandserfahrungen sammeln und einmal einen anderen Lebensstil als den deutschen kennenlernen.
Als ich im August 2003 in Linköping anreiste, war es warm und die Sonne schien. Es waren perfekte Tage um ein neues, meistens sehr kaltes Land kennenzulernen. Nachdem ich meine Kisten
ausgepackt und meinem Zimmer damit einen wohnlichen Stil verliehen hatte, hieß es, die Formalitäten an der Universität zu erledigen. Dies erwies sich schwieriger als erwartet, da im August viele
Universitätsmitarbeiter im Urlaub oder auf Kongressen waren. Trotzdem sollte Erwähnung finden,
dass die dortigen Personen sich immer kümmerten, wenn es ein Problem gab. Das Verhalten der
Mitarbeiter erschien mir sehr herzlich und informell. Man sprach sich dort beim Vornamen an,
woran ich mich erst gewöhnen musste. Auch bei mir im Korridor konnte ich diese Herzlichkeit
feststellen. Der Bruder meiner damaligen Mitbewohnerin – er hatte ein Jahr in Deutschland gelebt
und konnte auch sehr gut Deutsch sprechen – lieh mir einen Computer, obwohl er mich kaum
kannte.
Von der „ERASMUS-Truppe“ in Linköping wurden Willkommensfeiern, Ausflüge, Kneipentouren
und andere diverse Aktivitäten organisiert, so dass man niemals unbeschäftigt war. Zum Beispiel
vermittelte uns eine Kanutour Ende August einen Einblick in die wunderschöne schwedische
Natur.
Schon in Deutschland hatte ich Kontakt zu Schweden über meinen sogenannten „Peer-Student“.
Ich gehörte wahrscheinlich auch zu den wenigen, die sogar zwei davon hatten. Gleich bei meiner
Ankunft in Schweden begrüßten sie mich und erledigten mit mir die ersten bürokratischen Angelegenheiten. Dafür bin ich sowohl ihnen als auch dem ERASMUS-Team sehr dankbar, die jedem
ERASMUS-Studierenden einen Peer-Student zuweisen. Sonst wäre es wahrscheinlich sehr aufwendig gewesen, alle Anlaufstellen alleine zu suchen. Die Beiden brachten mich anschließend zu
meiner Unterkunft und erzählten mir dann alles, was ich über das Leben in Linköping wissen musste.
Im September 2003 begann das Studium und zudem setzte auch noch das typisch schwedische
Wetter ein, an das man sich als jemand, der in Deutschland meistens mit dem Auto unterwegs ist
und dort ausschließlich mit dem Fahrrad, erst einmal gewöhnen muss. So war es für mich auch
nach einer Weile kein ungewohnter Anblick mehr, wenn auf dem Golfplatz neben der Universität
104
Mandy Sobetzko
Schwedische Herzlichkeit, Golfspieler im Regen und Spaziergänger auf der Ostsee
in strömendem Regen Golf gespielt wurde. Denn wie heißt es so schön: „Andere Länder, andere
Sitten.“ Auch der Unterricht gestaltete sich ganz anders, als ich es bisher gewohnt war. Den Kurs,
den ich wählte, besuchten fast nur ausländische Studierende, was sehr gut war, weil man so gleich
etwas über andere Länder mit erfahren hat. Trotz dieses Vorteils erwies es sich bei den Vorträgen
von Studierenden teilweise als sehr schwierig, diese zu verstehen, da einige kaum Englisch konnten. Dieses Problem zeigte sich nicht nur bei Vorträgen, sondern natürlich auch bei den Gruppenarbeiten, die sehr oft vorkamen. Durch diese Gruppenarbeiten habe ich sehr viel über Team-Arbeit
gelernt, wie man mit Personen anderer Nationalitäten umgeht und wie man so die Arbeit am besten
organisiert und koordiniert.
Während meines Aufenthalts in Schweden reiste ich sehr viel mit anderen Austauschstudierenden
durchs Land. Wir wollten Schweden kennenlernen. Ein Wochenende im März fuhren wir nach
Helsinki in Finnland. Da sich in unserer Mitte ein Finne befand, hatten wir einen exklusiven Reiseführer dabei, der uns alles Wissenswerte mitteilte. Für uns war es ein Erlebnis, als wir in Helsinki
Personen sahen, die auf der Ostsee spazieren gingen, da in Stockholm das Wasser eisfrei war. Mit
der Zeit hatten wir „Mitteleuropäer“ uns aber schon an den kalten nordischen Winter gewöhnt,
obwohl ich jetzt, zurück in Deutschland, nicht minder friere als vorher.
Durch den Aufenthalt in Schweden habe ich vor allem den Umgang mit anderen Nationalitäten
gelernt. Ich bin offener geworden und habe auch neue Sichtweisen entdeckt. Dieses wurde sehr
durch die in Schweden übliche Gruppenarbeit gefördert. Zudem bin ich sehr flexibel geworden, da
ich mich dort immer in kürzester Zeit auf neue, ungewohnte Situationen einstellen musste.
Summa summarum lässt sich der Schwedenaufenthalt als eine rundherum positive Erfahrung zusammenfassen, wo ich viele nette und interessante Personen kennengelernt und neue Freundschaften geschlossen habe. Natürlich möchte ich nicht vernachlässigen zu erwähnen, dass sich auch
mein Englisch sehr verbessert hat.
Da ich meine dort besuchten Vorlesungen und Seminare auch an der hiesigen Universität anrechnen lassen kann, habe ich auch kein Semester „verloren“, obwohl man bei Nichtanrechenbarkeit
auch in keiner Weise von verlorener Zeit sprechen könnte. Die Erfahrungen dieses Auslandsstudiums möchte ich auf keinen Fall missen.
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Kerstin Döscher
Deutsch Evern
Name/Land der Gasthochschule: Warschau, Polen
Name der Heimathochschule: Universität Lüneburg
Fachbereich: Umweltwissenschaften
SOKRATES-Success: Sonstiges
Umweltpolitik und Friedhöfe in Polen
Kerstin Döscher
Umweltpolitik und Friedhöfe in Polen
Umweltpolitik und Friedhöfe in Polen
Kerstin Döscher
In Anbetracht der Tatsache, dass Polen 123 Jahre von den Landkarten verschwunden und in dieser
Zeit zwischen Russland, Preussen und Österreich aufgeteilt war, ist es doch eigentlich erstaunlich,
dass es immer noch oder eben wieder neu existiert. Und es existiert! Viele politische Ereignisse
können die Mentalität und Identität eines Volkes nicht nur zermürben, sondern auch stärken und
bestätigen. Und ist es nicht die größte Bestätigung, nach verschiedenen Einflüssen und Bevormundungen von unterschiedlichen Seiten wieder sein eigener Boss zu sein?
In den schwierigen politischen Zeiten Polens gab es drei Orte, an denen Polnisch gesprochen werden durfte: zu Hause, in der Kirche und auf den Friedhöfen. Ich habe mich immer gewundert,
warum die Kirche hier so eine wichtige Bedeutung hat und in dieser Information eine Antwort
gefunden. Wer einmal die Möglichkeit hat, an Allerheiligen (erster November) auf einen polnischen Friedhof zu gehen, sollte dies unbedingt machen! Die nächtliche Dunkelheit bricht ein, und
erst dann wird klar, wie viele tausend Kerzen auf den Gräbern verteilt wurden! Schon von weitem
sieht man den Friedhof rot leuchten. Nähert man sich, so erhält man den Eindruck, als hätte sich
mindestens ganz Polen diesen Ort für einen abendlichen Spaziergang ausgesucht. Die Gräber sind
mit Blumen überhäuft, die Kerzen flackern, die Angehörigen spazieren fröhlich auf einem der
wundervollsten Plätze, die ich je gesehen habe.
Es gab viele solcher Augenblicke aus dem polnischen Alltag, die mir dieses Land unglaublich
sympathisch machten. Häufig traf ich auf Menschen, die beglückt ihre eigenen (vor allem bei älteren Generationen oft vorhandenen) Deutschkenntnisse auspackten, die dankbar und stolz waren, als
ich Interesse an ihrer Sprache zeigte (im Gegensatz zu Deutschland, wo von Ausländern wohl oft
nahezu perfekte Deutschkenntnisse erwartet werden). Ihre eigenen, nicht nur negativen Erinnerungen und Erfahrungen mit Deutschen tauchten wieder auf. Außerdem war ich nicht selten überwältigt von der außergewöhnlichen Gastfreundschaft.
Ich hatte eine Ahnung von dieser Offenheit, bevor ich mich für Warschau als Ziel meines Auslandsstudiums entschied. Aufgrund dieser Ahnung hatte ich auch nur wenig Bedenken, mit meinen
im Prinzip nicht vorhandenen Polnischkenntnissen hierherzureisen. Die ERASMUS-Koordinatorin,
erste Anlaufstation an der Uni, war wie unsere ERASMUS-Mama, ständig rührend um unser
Wohlergehen bemüht und mit offenen Ohren für alle noch so kleinen Sorgen. Schon vor Semesterbeginn fand im September ein zweiwöchiger Überlebens-Polnischkurs für ERASMUS-Studierende
an der Uni statt, der semesterbegleitend fortgesetzt wurde. Sehr bald entschied ich mich, zwei
Semester hier zu verweilen, damit ich, nachdem ich im ersten Semester der Sprache annähernd
mächtig geworden war und mich mit der Lebensweise angefreundet hatte, im zweiten durchstarten
konnte zum Studium.
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Kerstin Döscher
Umweltpolitik und Friedhöfe in Polen
Jaja, das Studium. Dass Umweltwissenschaften interdisziplinär sind, wurde uns in Lüneburg sozusagen mit der Muttermilch eingeflößt. Und dass es mit der Interdisziplinarität so manche Schwierigkeiten gibt, ist auch bekannt. In Polen hieß der Studiengang Umweltschutz (war gefragt, die
Jugend sieht hier anscheinend eine Berufsperspektive) und bestand aus Inhalten 19 unterschiedlicher Disziplinen an verschiedenen Fakultäten. Ein Vorlesungsverzeichnis gab es nicht, von einem
drei Jahre alten, nicht aktualisierten Übersichtsheftchen ohne Angaben von Raum und Zeit einmal
abgesehen. Auch eine Prüfungsordnung gab es nicht – die lag vermutlich im Geheimfach des
Schreibtisches der Dekanin und war für alle Untergeordneten unantastbar. Informationen über
mögliche Veranstaltungen habe ich also während eines Marathons zwischen besagten Fakultäten
und Fakultätsangehörigen auf allen Stufen der Rangordnung zusammengesammelt. Englische
Veranstaltungen, die für mich von Bedeutung waren, gab es genau zwei.
Was das Studium betrifft, war die Ausbeute meines Auslandsjahres also eher dürftig. Aber wer sagt
denn, dass Umweltwissenschaften der einzige Studieninhalt sein muss? Die Uni zählt über 50.000
Studierende und hat ein riesiges Spektrum an Veranstaltungen. Von polnischer Geschichte und
Kultur bis hin zu Politik und dem vieldiskutierten Thema der EU-Erweiterung wurde vieles auf
Englisch angeboten und füllte den Stundenplan je nach Bedarf bis zum Platzen.
Aber zum Studentenleben gehört ja nicht nur das Studieren, auch wenn der Name das eventuell
vermuten lässt. Im Wohnheim, in dem ein Großteil der Austauschstudierenden untergebracht war,
traf sich die halbe Welt. Von den ca. 250 Bewohnern war ungefähr die Hälfte polnisch, die andere
international. Bis auf zwei Lüneburger gab es zwar keine Umweltwissenschaftler, aber Studierende
vieler anderer Fachrichtungen. Dies ermöglichte einen sehr interessanten Austausch über die umweltwissenschaftliche Weltkugel hinaus. Bei einem Treppenhaus-Gespräch oder einer Reise in die
Weiten des zum Teil ziemlich untouristischen Polens konnte man die Freiheit genießen und sich
von der Lebendigkeit und Lebensfreude der polnischen Kultur mitreißen lassen. Da mir persönlich
das Großstadtleben trotz aller Vorteile weniger zusagte, ich mein Fahrrad schrecklich vermisste
und mich ständig in irgendwelchen Straßenschluchten verirrte, wurde der Bahnhof meine zweite
Heimat. Per Zug (mit damals 50 % Ermäßigung für Studierende!) ging es in alle Richtungen, von
den Bären in der Hohen Tatra bis zu verruchten Burgen vergangener Zeiten am Ufer der Weichsel.
Nicht zuletzt habe ich persönlich einiges über die neue deutsche Geschichte erfahren, über die ich
bislang erschreckend wenig nachgedacht hatte. Warschau als Stadt im Wandel – neben Überresten
des sozialistischen Einflusses Spuren der Globalisierung. Das gesamte Land ist im Aufbruch, die
Ansichten seiner Bewohner sehr gemischt. Ein für mich einprägsamer Gegensatz war, dass eine
Russin im Kindergarten der Lenin-Gruppe angehörte, während ich mich damals stolz zu den Marienkäfern zählte...
Irgend jemand hat einmal gesagt, wer eine Kultur verstehen wolle, müsse sie leben. Wer sich bezüglich (umwelt-)politischer Zwänge z.B. der EU über ein Land auslassen möchte, der sollte sich
zuerst doch auch mit dem dazugehörigen Kulturverständnis auseinandersetzen.
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Ivana Kulhanova
Prag, Tschechische Republik
geb. 1982
ERASMUS-Aufenthalt: 1. März 2004 bis 16. Juli 2004
Name/Land der Gasthochschule:
Fachhochschule Aachen, Deutschland
Name der Heimathochschule: Karlsuniversität in Prag,
Tschechische Republik
Fachbereich: Wirtschaftswissenschaften
SOKRATES-Success: Studium, Menschen aus aller Welt
Entscheidung für Deutschland und Aachen
– ein erfrischender und lockerer Aufenthalt
Ivana Kulhanova
Entscheidung für Deutschland und Aachen – ein erfrischender und lockerer Aufenthalt
Entscheidung für Deutschland und Aachen – ein erfrischender
und lockerer Aufenthalt
Ivana Kulhanova
An meiner Heimatuniversität läuft das Programm SOKRATES schon ziemlich lange. Also das
Problem lag nicht in den Informationen. Ganz ehrlich, ich hatte Angst, ins Ausland zu fahren, denn
meine Fremdsprachenkenntnisse waren sehr und sind immer noch recht schlecht. Zu einem Auslandsaufenthalt hat mich meine Freundin, die ein Semester an der Universität in Finnland verbracht
hatte, überredet. Ich war nie zuvor in Deutschland gewesen und wollte es kennenlernen. Außerdem
mag ich die deutsche Sprache und wollte gerne richtig gut Deutsch sprechen können. Zum Glück
wollte niemand anders nach Aachen fahren, deshalb durfte ich.
Wie war mein Aufenthalt? Total super!!! Ja, wirklich. Ich war sehr überrascht, wie nett und gut die
Deutschen zu mir waren. Ja, ein paar Mal hatte ich Probleme mit meiner Staatsangehörigkeit, weil
die tschechische Staatsangehörigkeit für manche vielleicht etwas Schlechtes bedeutet, oder so.
Aber das waren nur Ausnahmen. Ich hatte wirklich Glück mit meinen Mitbewohnern. Sie waren
alle Deutsche – zwei Männer und eine Frau – alle sehr nett. Sie halfen mir bei allem und jederzeit.
Sie machten mir meinen Aufenthalt angenehmer.
Und das Land? Deutschland ist echt ein schönes Land – insbesondere Nordrhein-Westfalen. Das
war mein deutsches Zuhause, also muss es das beste Land sein, nicht wahr? Ich bin viel durch ganz
Deutschland gereist. Nur das Wetter war sehr oft furchtbar, besonders in Aachen. Ja, aber das ist
nur eine Kleinigkeit.
Besondere Erfahrungen an der Universität? Das würde lang werden. Ich war sehr zufrieden mit der
Organisation. Alles war immer in Ordnung und ganz pünktlich. Für mich war das Angebot der
Fächer auch interessant. Es war insgesamt eine ziemlich gute Erfrischung für mein sehr theoretisches Studium in Tschechien.
Also ich kann mich über nichts beklagen. Es gibt immer und überall Probleme. Jeder Mensch hat
immer Sorgen, aber generell war es in Deutschland, wie die Leute dort sagen, super locker!!! Ich
werde meinen Aufenthalt nie bereuen und, wenn ich wieder einmal entscheiden muss, wohin ich
fahre: Ich habe ganz klar für Deutschland und für Aachen entschieden.
Beruflicher Erfolg? Na, noch keine Ahnung, aber das SOKRATES-Programm gab mir eine gute
Möglichkeit, Deutschland besser kennenzulernen und die deutsche Sprache zu verbessern. Es war
für mich eine einmalige Chance, Leute aus der ganzen Welt zu treffen und mit ihnen zu sprechen.
Eine gute und interessante Erfahrung. Meiner Meinung nach war das die beste Zeit in meinem
Leben.
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Sandra Blum
Frankfurt am Main
geb. 1975
ERASMUS-Aufenthalt: September 1996 bis August 1997
Name/Land der Gasthochschule: Milltown Institute of
Theology and Philosophy Dublin, Irland
Name der Heimathochschule: Philosophisch-Theologische
Hochschule Sankt Georgen/Frankfurt am Main
Fachbereich: Katholische Theologie
SOKRATES-Success: Sonstiges
In Irland heißt jeder Patrick oder wie das
Maskottchen „Erasma“ in einen irischen
Pub kam
Sandra Blum
In Irland heißt jeder Patrick oder wie das Maskottchen „Erasma“ in einen irischen Pub kam
In Irland heißt jeder Patrick oder wie das Maskottchen
„Erasma“ in einen irischen Pub kam
Sandra Blum
Bei den Theologen ist es üblich, nach dem Grundstudium zwei Semester an einer anderen Hochschule zu studieren. Wohin man geht, entscheidet jeder selbst. Für mich war die Entscheidung, ein
ERASMUS-Studienjahr an unserer irischen Partnerhochschule zu verbringen, eine Mischung aus
Kopf- und Bauchentscheidung. Ich wollte gerne ins englischsprachige Ausland und ERASMUS
war der ideale Rahmen dafür. So habe ich 1996/97 ein ERASMUS-Studienjahr am Milltown Institute of Theology and Philosophy in Dublin verbracht. Darüber gibt es viele kleine und größere
Anekdoten zu berichten. Eine davon ist besonders amüsant, und es kann ohne Übertreibung gesagt
werden, dass es eine Geschichte ist, die nur in einem Land passieren kann, in dem jeder zweite
Mann Patrick heißt und sich die schriftliche Kommunikation – auch zwischen Dozenten und Studierenden – auf ein absolutes Minimum beschränkt.
Ein typisches Klischee ist, dass alle Iren rothaarig seien und Sommersprossen hätten. Das trifft den
Kern der Sache nicht so ganz. Erwiesenermaßen entspricht nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung dieser Vorstellung. Ebenso weit verbreitet ist auch die Vorstellung, dass jeder zweite Ire mit
Vornamen Patrick heißt. Das kommt schon eher hin. In meiner Dubliner Heimatgemeinde in
Rathgar, der Church of the Three Patrons, gab es drei Priester, die sich die seelsorgerische Arbeit
teilten. Alle drei Fathers hießen Patrick, Paddy oder Pat, und die Gemeinde wurde von den Mitgliedern der Folk Group, einer Gottesdienstband, nur „Church of the three Paddies“ genannt. Aber das
ist eine andere Geschichte.
Das Milltown Institute hat eine ähnlich hohe Dichte an Paddies aufzuweisen, doch das ist für eine
katholische Hochschule auch nicht weiter verwunderlich. Die Hochschule steht unter der Leitung
der Jesuiten, ist aber eine Art Joint-Venture unterschiedlicher Ordensgemeinschaften, die dort
lehren und auch ihre Studierenden aus allen Teilen der Welt zum Studium schicken. Zusammen mit
den vielen Laien – Männer und Frauen, verheiratet und unverheiratet – ergibt sich eine bunte Mischung unterschiedlicher Lebensentwürfe und Spiritualitäten, die für eine lebendige Theologie und
engagierte Diskussionen unter Lehrenden und Lernenden sorgt.
Man lebt und lernt auf engem Raum zusammen. Wer als Dozent keinen administrativen Posten
innerhalb des Instituts bekleidet, muss mit einem Kollegen das Büro teilen, und das nicht nach
Sympathie oder Ordenszugehörigkeit, sondern nach Fachbereichen. Manchmal klappt das besser,
manchmal schlechter. Das Gemeinschaftsbüro der Moraltheologen war nicht wirklich gelungen.
Dort saßen ein weißer südafrikanischer Herz-Jesu-Missionar und ein irischer Karmelit zusammen,
die sich fachlich und menschlich nicht besonders viel zu sagen hatten. Der eine durch die Erfahrungen mit der Apartheid ein zynischer Realist, der uns beibrachte, wie man über elektrische Zäune
klettert und mit Messern kämpft, der andere ein eher konservativer Beichtvatertyp, der uns erklärte,
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Sandra Blum
In Irland heißt jeder Patrick oder wie das Maskottchen „Erasma“ in einen irischen Pub kam
nach der Verlobung könne ein Paar ruhig etwas offener miteinander umgehen und sich durchaus
auch einmal im Bademantel begegnen. Der Kommentar, dass sich deutsche Paare sicher keinen
Bademantel anziehen, nur weil sie sich verlobt haben, hat ihn doch sehr verwirrt.
Manche Gemeinschaften und Begebenheiten hatten durchaus etwas Groteskes, wie der Disput
zweier Dozenten über die korrekte Aussprache von „Dschisbört Gräschäke“ (Gisbert Greshake).
Andere Dozenten wiederum hatten im deutschsprachigen Raum studiert und jonglierten Konjunktiv
I und II derartig gekonnt, dass mancher deutsche Primaner neidisch werden könnte. Jim Corkery
SJ, der seinerzeit auch der Ansprechpartner für die ERASMUS-Studierenden war, gehörte auch zu
dieser Gruppe. In seinem Kurs über Befreiungstheologie brachte er den irischen Studierenden bei,
was Diskriminierung ist, indem er alle komplexeren Sachverhalte prinzipiell auf Deutsch erklärte.
Die Lektion war bald gelernt.
Pat Rogers CP, einer der Exegeten, hatte ebenfalls in Deutschland studiert. Bei Bibelwissenschaftlern macht das sogar doppelt Sinn, da die meisten exegetischen Fachbegriffe auf Deutsch sind.
Weder „Gattungskritik“ noch „Sitz im Leben“ lässt sich sinnvoll übersetzen. Pats Art zu überprüfen,
wie gut sein Deutsch noch ist, bestand darin, die Seminararbeiten der deutschsprachigen ERASMUS-Studierenden auf Deutsch abfassen zu lassen. Nicht alle hat das begeistert, denn eigentlich
waren wir ja auch angetreten, um Englisch zu lernen. Entsprechend hatten Pat und ich einen ernsthaften Disput über die Sprache meines Essays. Schließlich habe ich die Arbeit in englischer Sprache abgefasst und abgegeben. Pat fing mich wenige Tage später auf dem Gang ab, um mir einige
Fehler unter die Nase zu reiben. Er sagte mir deutlich, dass ich noch einiges zu tun hätte, wolle ich
keine schlechte Note kassieren.
In den letzten Wochen des Semesters war jeder mit Essays und Prüfungen beschäftigt – aber auch
mit der Frage, wie nach einem ereignisreichen Jahr adäquat Abschied zu nehmen sei und womit
sich die ERASMUS-Gruppe bei Jim Corkery SJ bedanken könne, der uns immer mit Rat, Tat und
Humor zur Seite gestanden hatte – egal, ob es sich um einen finanziellen Engpass, ein gebrochenes
Herz oder eine Blinddarmentzündung gehandelt hatte. Jims schluffiges Auftreten in einer riesigen
bunten Strickjacke (um den Bauchansatz zu verstecken) und mit ausgelatschten Sandalen (schließlich gibt es auch bei den Jesuiten ein Armutsgelübde) brachte uns auf die Idee, sein Outfit durch ein
neues Paar der geliebten schwarzen Birkenstocks aufzuwerten, das ein anreisendes Elternpaar aus
Deutschland mitbringen sollte. Gesagt, getan. Einer sammelte das Geld und ich hing mich an
Father Riordan SJ, einen Mitbruder von Jim, um die richtige Schuhgröße zu erfragen.
Auf dem Gang traf ich Pat Rogers, der mittlerweile die Endfassung meines Essays gelesen hatte.
„Und“, fragte ich ihn? Pat tat geheimnisvoll. Er werde mir eine Nachricht auf den Student`s Table
legen. Dieser Student`s Table ist eine lange Tischreihe, auf der man Nachrichten für Studierende
hinterlassen kann. Einfach einen Zettel nehmen, Nachricht drauf, falten und mit Namen versehen
auf den Tisch legen. Wer es etwas geschützter mag, nimmt einen Briefumschlag, doch das ist eher
selten. Einige Tage später fand ich einen Zettel mit der Anschrift „Sandra Blum SC“ – SC heißt
Selected Courses und ist die offizielle Bezeichnung aller ERASMUS-Studierenden, die keines der
üblichen Milltown-Programme absolvieren. Ich faltete den Zettel auf und las: „43 Pat“.
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Sandra Blum
In Irland heißt jeder Patrick oder wie das Maskottchen „Erasma“ in einen irischen Pub kam
Nachdem sich der erste Schock gelegt hatte, ging ich in die Mensa zu einem deutschen Kommilitonen und knallte ihm den Zettel hin. Stefan war entrüstet: „Schämt sich Pat Rogers eigentlich gar
nicht?“ 43 % Prozent, die Note, die auf dem Zettel stand, entspricht einer glatten Vier und das
fanden wir beide ziemlich ungerecht. Bei Tee und Biscuits regten wir uns so richtig über den hinterwäldlerischen Dozenten auf, der mir offenbar nur deshalb eine miese Note reinwürgte, weil ich
die Arbeit nicht wie gewünscht auf Deutsch, sondern eben auf Englisch geschrieben hatte.
Sich zu ereifern hat manchmal eine katalysierende Wirkung. Mit einem Mal dämmerte mir der
Zusammenhang: „Stefan. Das ist gar nicht meine Note fürs Essay. Die Nachricht ist von Pat Riordan – das muss Jims Schuhgröße sein.“ Wir bestellten also die Gesundheitslatschen in Größe 43.
Sicher, dass es damit seine Richtigkeit hatte, war ich jedoch erst, als ich meinen Schein für das
Essay in der Hand hielt, auf dem „73“ stand.
Die Geschichte hat alle Beteiligten sehr erheitert. Pat Riordan SJ war sich keiner Schuld bewusst –
er habe doch alle notwendigen Informationen rechtzeitig geliefert. So kam Jim Corkery SJ zu zwei
Abschiedsgeschenken, oder nur zu einem, wenn man die Geschichte zu Ende erzählt. Für den Fall,
dass die Schuhgröße doch nicht stimmen sollte, hatten wir noch ein Stofftier in Form einer Banane
besorgt, als Maskottchen und Stimmungsaufheller für Jims Büro, die sofort auf den Namen „Erasma“ getauft wurde. Es war ein lustiger Abend mit vielen Anekdoten und noch mehr Guinness. Jim
hat über die Geschichte mit den Schuhen Tränen gelacht. „Typisch Pat“, sagte er, wobei offen
blieb, welcher gemeint war.
Erasma sitzt wahrscheinlich noch immer in jenem Pub, in dem wir sie an diesem Abend vergaßen,
und Jims neue Sandalen sind wahrscheinlich auch längst durchgelaufen. Den alles entscheidenden
Zettel habe ich heute noch. Er liegt zwischen den Scheinen aus Dublin und manchmal streiche ich
wehmütig darüber.
116
Maja Grünert
Frankfurt an der Oder
geb. 1977
ERASMUS-Aufenthalt: September 2000 bis Juli 2001
Name/Land der Gasthochschule: Universidad de Sevilla, Spanien
Name der Heimathochschule: Europauniversität Viadrina
Frankfurt an der Oder
Fachbereich: Kulturwissenschaften
SOKRATES-Success: Studium und Freunde
Ein Koffer Offenheit und ein Rucksack
Neugier für ein Herz in Spanien
Maja Grünert
Ein Koffer Offenheit und ein Rucksack Neugier für ein Herz in Spanien
Ein Koffer Offenheit und ein Rucksack Neugier für ein Herz in
Spanien
Maja Grünert
Mich für einen ERASMUS-Platz in Spanien zu bewerben, war eine bewusste Entscheidung. Dass
ich innerhalb meines Studiums auch einen Auslandsaufenthalt machen würde, war klar, nicht nur
weil die Studienordnung es vorschreibt (Kulturwissenschaften). Durch meine Mitarbeit bei dem
studentischen Verein „Interstudis“ verbrachte ich viel Zeit mit den ausländischen Gaststudierenden
an der Europauniversität. Die ausländischen Gaststudierenden bekommen von uns Hilfe bei allen
studentischen und administrativen Belangen. Außerdem wird ihnen das Einleben in eine fremde
Umgebung, in eine neue ungewohnte Kultur mit anderer Sprache durch organisierte Exkursionen,
Aktivitäten und Feste erleichtert. So hatte ich immer auch mehrere ERASMUS-Studierende in
meinem Freundeskreis. Nach drei Semestern des Grundstudiums der Kulturwissenschaften bewarb
ich mich für einen ERASMUS-Platz an der „Universidad de Sevilla“ in Spanien. Ich hatte in meinem ersten Semester an der Universität begonnen, Spanisch zu lernen, und dachte mir, das sei die
Gelegenheit, meine Sprachkenntnisse zu verbessern und neben meinem Studium der Kulturwissenschaften die spanische Kultur, Land und Leute hautnah zu entdecken. Ich rechnete mir aber wenig
Chancen aus, einen der begehrten Plätze für Spanien zu bekommen. Um so größer war meine Freude, als eines Abends eine Kommilitonin vor meiner Tür stand und mich mit „Wir gehen nach Sevilla!“ – Ausrufen umarmte. Ein halbes Jahr später begann das Abenteuer...
Eine der wichtigsten Erfahrungen, die ich während meines ERASMUS-Jahres für mich gemacht
habe, ist das Gefühl, dass ich mich - mit einem Koffer Offenheit und einem Rucksack Neugier
gewappnet - auch in einem mir fremden Land mit einer anderen Kultur einleben und mich zu Hause
fühlen kann. Die erste Zeit in Sevilla war nicht leicht, da es keine „Rundumbetreuung“ durch Studierende vor Ort gab, was mir bei der Zimmersuche und bei den Formalitäten sehr geholfen hätte.
Auch der andalusische Dialekt kam mir alles andere als Spanisch vor und ich brauchte einige Wochen, um mich einzuhören. Trotz Verständigungsschwierigkeiten konnte ich mir nach einer Woche
mit Hilfe einer marokkanischen Zimmergenossin aus der Jugendherberge ein Zimmer in einer
Studenten-WG organisieren. Im überfüllten ERASMUS-Büro kümmerten sich studentische Hilfskräfte nach besten Kräften um uns Gaststudierende. Einer von ihnen lernte seit zwei Jahren
Deutsch und so hatte ich neben der ausgefüllten Formulare auch gleich einen Tandempartner gefunden. Mit ihm traf ich mich von nun an zwei oder drei Mal in der Woche und jedes Mal woanders, um Spanisch bzw. Deutsch zu sprechen und gleichzeitig „sein Sevilla“ abseits der touristischen Pfade zu entdecken. Eine weitere wichtige Erfahrung waren die klimatischen Unterschiede
und die Erkenntnis, dass man ab Mai in einer Wohnung ohne Klimaanlage vor Hitze kaum klar
denken geschweige denn studieren kann. Hier in Südspanien waren einfach andere Dinge wichtig
als in Deutschland. Während meiner ERASMUS-Zeit in Südspanien ist mir immer wieder aufgefallen, dass die Menschen fröhlicher, zufriedener und offener wirken als die Menschen in Deutschland. Es schien fast so, als ob viele Spanier um das Geheimnis wissen, die kleinen Freuden des
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Maja Grünert
Ein Koffer Offenheit und ein Rucksack Neugier für ein Herz in Spanien
Alltags zu genießen und ihr Lebensglück nicht in erster Linie von einem Zweitwagen, Urlaub im
Ausland oder einem gut bezahlten, aber stressigen Job abhängig zu machen. Auch ich stellte mich
um und rückte mit der Zeit von meinem starren Ziel ab, so viele Scheine wie möglich zu machen.
Stattdessen begann ich, mehr auf den Weg als auf das Ziel zu schauen. Dass ich aus meinem, für
mich selbstverständlichen deutschen Bezugsrahmen heraus und nach Sevilla ging, gab mir die
Möglichkeit, mich aus einer anderen Perspektive heraus kennenzulernen, und mir bewusst zu werden, was „Deutsch sein“ bedeuten kann. So bekam ich von spanischen oder italienischen Freunden
ab und zu augenzwinkernd den Satz „¡No seas tan alemana!“ (Sei nicht so deutsch!) zu hören. Ich
begann meine deutschen Gewohnheiten und meine kulturelle Prägung durch meine neue andere
Umgebung deutlicher wahrzunehmen. In der Universität musste ich mich an die andere Art zu
studieren gewöhnen. Ich saß oftmals in Vorlesungen oder auch Seminaren und staunte darüber wie
meine spanischen Kommilitonen jeden Satz des Dozenten mit allen „ähs“ und „hms“ niederschrieben, um dies für die Klausur auswendig zu lernen. Über die spanische Kultur und ihre Menschen
erfuhr ich weniger in der Universität als durch Beobachtungen im alltäglichen Leben, beim Reden
mit Nachbarn und Freunden, beim Einkaufen, Spazieren und auf meinen Exkursionen. Dadurch
habe ich viel mehr über und von den Menschen und Andalusien gelernt als aus den Büchern in der
Bibliothek. Die Atmosphäre während der Semana Santa (Ostern) mit dem monotonen Rhythmus
der Trommeln, dem Weihrauchgeruch und den Pasos der Bruderschaften war zum Gänsehaut bekommen und wer auf der Fería de April war, weiß, wie in Südspanien gefeiert wird. Mein Tandempartner Daniel aus dem Internationalen Büro der Universität Sevilla war bald nicht mehr nur mein
Tandempartner und, nachdem wir ein halbes Jahr zusammen waren, lernte ich seine Großfamilie
kennen und wurde sehr herzlich von ihnen aufgenommen. Auch hier konnte ich hautnah die Unterschiede zwischen der Art und Intensität der Beziehungen der Familienmitglieder in spanischen
Familien im Vergleich zu dem, was ich aus Deutschland kannte, erfahren. Die Familie steht in jeder
Hinsicht an erster Stelle und gibt einem immer Rückhalt, was aber – aus deutscher Sicht – auch
weniger Unabhängigkeit und Selbstbestimmung des Einzelnen mit sich bringen kann. Nach meiner
Rückkehr nach Frankfurt/Oder begannen für uns 18 Monate Fernbeziehung, die wir mit langen
Telefonrechnungen und vielen Flügen gut überstanden. Nach Beendigung seines Studiums in Sevilla macht Daniel jetzt an der Viadrina ein Masterstudium. Auch wenn wir nicht mehr zusammen
sind, ist mein Herz seit meinem ERASMUS-Aufenthalt in Spanien geblieben und ich weiß, dass ich
immer eine Familie und Freunde dort haben werde. Ich habe das Land und die Menschen dort lieb
gewonnen und neben meinen regelmäßigen Besuchen in Andalusien auch Katalonien und das
Baskenland mit ihren anderen Kulturen für mich entdeckt. Für meine Diplomarbeit über eine spanisch-französische Kommunalkooperation im Baskenland recherchierte ich zwei Monate in der
Umgebung von San Sebastian und es ist sicher, dass das nicht meine letzte Reise dorthin gewesen
ist. Mein Traum ist es, wieder längere Zeit in Spanien zu leben und zu arbeiten, und ich weiß, dass
ich ihn bald verwirklichen werde.
119
Christoph Kalz
Hannover
geb. 1977
ERASMUS-Aufenthalt: September 1987 bis April 1988
Name/Land der Gasthochschule: Koninklijk Conservatorium
Brussel, Belgien
Name der Heimathochschule: Hochschule für Musik und Theater
Hannover
Fachbereich: Komposition/Musiktheorie bzw. Schulmusik
SOKRATES-Success: Sonstiges
(K)eine success story aus Brüssel
Christoph Kalz
(K)eine success story aus Brüssel
(K)eine success story aus Brüssel
Christoph Kalz
Meine Motivation, ein Semester im Ausland zu studieren, entsprang einerseits dem Gefühl „Ich
muss hier weg!“, weg von meiner Heimathochschule und dem gut gemeinten, aber unheimlichen
purpurnen Teppichboden, und andererseits dem Wunsch, endlich mal eine Fremdsprache fließend
zu beherrschen und diesen ganzen Erfahrungskloß zu machen, der in den anderen Berichten wohl
zu Genüge geschildert worden ist. Bei der Wahl des Gastlandes war mir Folgendes wichtig: Es
sollte ein kleines europäisches Land sein (da mich das nationale Selbstverständnis von Ländern, die
sich nicht „Motor Europas“ nennen dürfen, interessiert), es soll dort Französisch oder Englisch
gesprochen werden, und ich will dort in einer „Weltstadt“ leben. So fiel die Wahl auf die Europastadt Brüssel, in gewisser Weise Sinnbild für das ERASMUS-Programm. Meine Erwartungen
waren hoch: an die Stadt und an mich selber. Ich hoffe, dass dies nicht der Grund dafür war, dass
meine Geschichte leider keine „success story“ ist!
Die Organisation verlief aufgrund von trägem Kommunikationsfluss zwischen den betreffenden
Hochschulen schmerzhaft zäh. Die Gründe dafür waren undeutliche Verantwortlichkeiten in Hannover wie in Brüssel. Zuerst wurde mir mitgeteilt, dass in „dem“ Konservatorium in Brüssel auf
Flämisch (Niederländisch) unterrichtet werde. Da ich mich gedanklich mit Belgien angefreundet
hatte, sollte dies keine Rolle mehr spielen: Lerne ich eben Niederländisch! Mir wurde jedoch nicht
mitgeteilt, dass es in Brüssel zwei Musikhochschulen gibt: eine flämische und eine wallonische
(französischsprachige). Genauso wenig wusste ich zu diesem Zeitpunkt, dass Belgien in linguistischer, kultureller und sogar nationaler Hinsicht zwei Länder sind, und dass in Brüssel ein manchmal verbitterter Kulturkampf des ökonomisch erfolgreicheren Flandern gegen die französischsprachige Mehrheit ausgetragen wird.
Nachdem ich einen dreiwöchigen Nederlands-Crashkurs absolviert hatte, stand meine erste Begegnung mit dem Konservatorium bevor. Trotz E-Mail, Fax, Telefon und sogar persönlichem Erscheinen dort war es mir nicht gelungen, mit dem für mich zuständigen so genannten „ERASMUSKoordinator“ auch nur ein Wort zu wechseln. Ich hatte das Bedürfnis, Dinge wie Stundenplan oder
Studiengang zu besprechen, da es meinen deutschen Studiengang (Schulmusik) in Belgien als
solchen nicht gibt. Ich hatte überhaupt nichts Schriftliches vom Konservatorium, im Gegenteil hatte
ich etwa fünf Monate zuvor eine umfangreiche Bewerbungsmappe und sogar ein Bewerbungsvideo
hingeschickt, die ich seit dem Versenden bis heute nie wieder gesehen habe. Ich wusste also überhaupt nichts und niemand konnte mir Auskunft erteilen. Den Termin des Semesteranfangs erfuhr
ich per Zufall von einer japanischen Studentin im Nederlands-Kurs.
Ich betrat also das wuchtige, steinig-schwarze, altehrwürdige Konservatoriumsgebäude und wurde
Stereo von zwei Pförtnerlogen überrascht: links die flämische, rechts die wallonische! Was kann es
bedeuten, dass zwei Kulturen sich einerseits ein Gebäude teilen, andererseits wissenschaftlich nicht
zusammenarbeiten und überdies nicht wenige Ressentiments gegeneinander hegen? Kein Wunder
122
Christoph Kalz
(K)eine success story aus Brüssel
also, dass der dazwischen stehende ERASMUS-Studierende die Verhältnisse eher noch verkompliziert, als dass er Exotik ausstrahlt. Von der hat Brüssel mehr als genug, und zwar so viel, dass es
wichtiger scheint, sich um die eigene Identität zu kümmern, als sich für das Fremde zu interessieren. Nachdem ich dazu aufgefordert wurde, die einzelnen (mir völlig unbekannten) Professoren, bei
denen ich Unterricht haben wolle, um dies zu bitten, verbrachte ich einige Zeit in den Fluren des
Konservatoriums, um vermeintlichen Lehrern aufzulauern. Nach zwei Wochen hatte ich dann einen
kleinen Stundenplan zusammen gebettelt, was teilweise Aufsehen erregt und mich bis zum Büro
des Präsidenten gebracht hat. Mit einem verschämten Kopfnicken wurde die Unzuverlässigkeit des
ansonsten „brillanten“ Koordinators zugestanden. Nun erhielt ich teilweise erfreulichen, teilweise
etwas unwilligen Einzelunterricht in Kontrapunkt, Komposition, Instrumentation und Orchesterleitung. Leider führte der Einzelunterricht dazu, dass ich mein sozial isoliertes und unbetreutes Dasein
im Konservatorium nicht ändern konnte. Also konzentrierte ich meine sozialen Energien auf das
Studentenwohnheim, in dem die Belgier (in diesem Falle Flamen) überwiegend gar kein Interesse
an der Kommunikation mit den ausländischen Studierenden hatten. Es gab aber zu meinem Glück
noch einen bunten „ERASMUS-Haufen“. Es wurde also zu 95 % Englisch gesprochen (wodurch ich
leider nicht mein Niederländisch trainieren konnte). Der Tatbestand, dass ich der einzige Deutsche
im Wohnheim war, erfreute mich – so konnte ich mich auf andere Kulturen konzentrieren. Dies
muss eine typisch deutsche Haltung sein; welcher nichtdeutsche Landsmann oder welche nichtdeutsche Landsfrau könnte schon froh darüber sein, „allein“ zu sein?
Mit diesen netten und offenen Menschen aus Polen, Spanien, Schweden, Italien, Ungarn, Finnland,
Portugal, Frankreich, den Niederlanden und England verbrachte ich die Zeit, die ich in sehr guter
Erinnerung behalten habe. Dass am Tage meines Abschieds von Brüssel mein Laptop mit all meiner dort entstandenen Arbeit darin gestohlen wurde, wirkt dabei wie das Unterstreichen der bisherigen Schilderungen. Pech gehabt!
Die schlechten Erfahrungen, die ich in Brüssel gemacht habe, wären dennoch überwiegend vermeidbar gewesen. Mit einer nur etwas verantwortungsbewussteren Betreuung oder Koordinierung
wäre ich meinen Erwartungen sicherlich näher gekommen, und das bitte ich all denjenigen bewusst
zu machen, die in entsprechenden Positionen arbeiten: Ihr tragt Verantwortung.
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Markéta Pokorná
Prag, Tschechische Republik
ERASMUS-Aufenthalt: 2002/03
Name/Land der Gasthochschule: Universität Hannover
Name der Heimathochschule: Prag, Tschechische Republik
Fachbereich: Geodäsie
SOKRATES-Success: Studium, Sport, Reisen und Kultur
Montags Algorithmen – dienstags
Trampolinspringen. Ein Jahr in Hannover
Markéta Pokorná
Montags Algorithmen – dienstags Trampolinspringen. Ein Jahr in Hannover
Montags Algorithmen – dienstags Trampolinspringen. Ein Jahr
in Hannover
Markéta Pokorná
Mein Jahr in Hannover – das folgende Resümee gibt einen Eindruck von meinen Gefühlen, den
positiven sowie negativen Erfahrungen und Überraschungen meines Aufenthaltes. Zu Beginn war
es schwierig, da ich keinen Platz im Studentenwohnheim bekommen habe. Doch mit ein bisschen
Glück entdeckte ich schnell eine Wohnung in der Nähe von der Uni. Um eine Überweisung an das
Immatrikulationsamt zu erledigen, musste ich ein Konto bei einer Bank eröffnen. In der Tschechischen Republik zahlt man keine Immatrikulationsgebühr, die Fahrkarte muss jeder selbst kaufen.
Als ich noch einige Formulare in der Bank ausgefüllt und den Krankenversicherungsnachweis
organisiert hatte, konnte mein Studium beginnen.
Nach Hannover bin ich mit der Hoffnung gekommen, dass ich dort mein Studium einfach fortsetzen und die Prüfungen ablegen würde, die mir danach an meiner Heimatuniversität anerkannt
würden. Die Fächerauswahl erwies sich jedoch als kompliziert, da das Studium in Hannover anders
organisiert ist. Schließlich hat es aber doch alles funktioniert. Ich hatte einen anspruchsvollen Stundenplan, sowohl mit den in Prag anerkannten Fächern als auch mit neuen, bisher unbekannten
Kursen – ein Stundenplan, der mir erlaubte, Studierende der ganzen Uni kennenzulernen.
Die ersten Vorlesungen waren sehr frustrierend. Außer „Tycho de Brahe“ habe ich fast nichts
verstanden. Ich erinnere mich noch an das erste Wochenende, an dem ich um sechs Uhr morgens
aufgestanden bin, um im CIP-Pool die Wörter der vergangenen Vorlesungen zu übersetzen. Mit der
Zeit ging es jedoch immer besser, ich lebte mich schnell ein und besuchte neben den Vorlesungen
und Übungen an der Uni Fremdsprachenkurse im Fachsprachenzentrum und Sportveranstaltungen.
Ich habe mich nie gelangweilt: Montags GIS-Algorithmen, dienstags Trampolinspringen, mittwochs Besprechung mit den Projektseminarteilnehmern, donnerstags „Politics and Society in Great
Britain“, freitags ab und zu interaktive radiometrische Messungen im Park. Jeweils am Ende der
beiden Semester legte ich einige Prüfungen erfolgreich ab. Das Studium verlängerte ich um ein
Semester, weil ich das Projektseminar und die Astronomie beenden und die Vorlesungen über
Meeresgeodäsie hören wollte. In Tschechien gibt es Meeresgeodäsie leider nicht, ich weiß nicht
warum.
In dem Jahr habe ich viel kennengelernt und erfahren. Überrascht war ich, als die ExkursionsBestätigungszettel im Bus verteilt wurden. Wir sind nach Wettzell gefahren, um das Observatorium
zu besuchen. Die Exkursionen sind obligatorisch, was mir ein bisschen merkwürdig erschien. Außerdem musste man einen Bericht schreiben. In Tschechien ist eine Exkursion wie ein freiwilliger
Ausflug, bei dem niemand fehlt. Es gibt keine Scheine oder Berichte. Eine ausgezeichnete Exkursion war auch die nach Oberpfaffenhofen, wo wir das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt
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Markéta Pokorná
Montags Algorithmen – dienstags Trampolinspringen. Ein Jahr in Hannover
besuchten. Dort haben wir auch unsere Ergebnisse des Projektseminars präsentiert und mit den
Fachleuten besprochen.
Fast jedes Wochenende lernte ich ein bisschen von Deutschland kennen. Die meisten Ausflüge
unternahm ich mit anderen Austauschstudierenden. Wir erforschten die deutschen Traditionen, die
Kultur und Sehenswürdigkeiten, etwa beim Oktoberfest, dem Kölner Karneval, der Love Parade in
Berlin, dem Hafengeburtstag in Hamburg oder dem Maschseefest in Hannover. Außerdem war ich
auf Sylt und in vielen Städten in Niedersachsen und anderen Bundesländern. Beim Trampolinwettbewerb in Heidelberg habe ich sogar den vierten Platz belegt.
Ja, und Hannover? Begeistert war ich vom Sprengelmuseum, erschreckt von den Mooren der Sonderausstellung in der Altstadt. Das Energiemuseum kam mir wie ein Antiquariat vor, im Landesmuseum gefiel mir das Vivarium, einen Freund habe ich ins Flugzeugmuseum mitgenommen. Die
Lange Nacht der Theater gibt es in Prag nicht und auch die CeBIT ist konkurrenzlos. Ich hätte mir
nicht mehr wünschen können: Ich habe Merz von Kurt Schwitters mit meinen eigenen Augen
gesehen, Lütje Lage probiert und dazu Würstchen gegessen, erfolgreiche Prüfungen abgelegt, die
Schlussübung in Lüchow absolviert, ein qualitativ hochwertiges Foto von der CeBit mitgebracht,
beim Mittagessen in der Mensa Volksmusik gehört, pünktlich tickende Uhren erlebt und ein bisschen Hochdeutsch gelernt.
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Susanne Hanus
Dresden
ERASMUS-Aufenthalt: Januar bis März 2001
Name/Land der Gasthochschule: Glasgow School of Art, Schottland
Name der Heimathochschule: Hochschule für Bildende Künste
Dresden
SOKRATES-Success: Studium und Selbstbewusstsein
What`s that Glasgow?
Susanne Hanus
What`s that Glasgow?
What`s that Glasgow?
Susanne Hanus
Von Januar bis März 2001 habe ich einen Austausch mit der Glasgow School of Art in Schottland
gemacht. Internationalität ist ein großer Teil ihres Profils, deshalb sind in zwei von drei Terms sehr
viele Kurzzeit-Austauschstudierende (ERASMUS) da, zusätzlich zu den ohnehin zahlreichen ausländischen Studierenden, die dort länger bleiben oder ihr ganzes Studium absolvieren. Die Vielfalt
ist groß, vor allem, wenn man aus einer Stadt wie Dresden kommt, wo es noch recht wenige ausländische Menschen gibt und das ganze Austauschwesen stiefmütterlich behandelt wird.
Wir Neuankömmlinge wurden sehr herzlich mit einer Einführungsveranstaltung willkommen geheißen. Es gab ein Buffet und wir haben alle wichtigen Örtlichkeiten und Ansprechpartner, sowie
die anderen „Neuen“ aller Fachrichtungen – von Architektur über Keramik, Design bis zu den
freien Künsten – kennengelernt. Ich hatte das Fach „sculpture“ gewählt. In diesem Fach, wie in den
anderen, wird man einer Klasse zugeordnet, in der man einen Arbeitsplatz in einem Gemeinschaftsatelier bekommt. Als festen Ansprechpartner gibt es einen Lehrbeauftragten, Professoren
gibt es in der Regel nicht. Ich kann nur betonen, dass ich außerordentlich erstaunt war, wie sehr die
Lehrenden und Studierenden bemüht waren, bei der Realisierung der künstlerischen Arbeit behilflich zu sein, da man sich an einem neuen Ort ja nicht auskennen kann.
Interessant fand ich, dass regelmäßig junge Künstler von außerhalb eingeladen wurden, um mit den
Studierenden im Zweiergespräch über die eigene Arbeit zu sprechen. Dadurch ergaben sich interessante Gespräche aus sehr verschiedenen Blickwinkeln. Ebenfalls neu war mir die Vermittlung zu
anderen Studierenden, sogar aus anderen Klassen, die in den Augen der Lehrenden ähnlich arbeiteten wie ich, und wir uns deshalb untereinander austauschen sollten. Diese nahmen das Gespräch
interessiert auf, anstatt mit mir in Konkurrenz zu treten. Ebenfalls bemerkenswert fand ich das
„Friday Event“, eine Veranstaltung für alle Studierende aus dem freien Kunstbereich, bei dem ein
Künstler oder Kurator wöchentlich seine Arbeit vor dem Auditorium vorstellte und anschließend
darüber diskutiert werden konnte. In meiner Zeit dort war beispielsweise solch eine namhafte Person wie Okwui Enwezor (Der Dokumenta-Macher XI, der damals noch von den Vorbereitungen
gesprochen hat) mit von der Partie. Als Letztes sei noch der selbstverwaltete Meeting Point in der
Schule erwähnt, nachmittags Aufenthaltsort und Café, abends Bar, Billiardclub und stadtbekannter
Veranstaltungsort. Dafür gab es für den studentischen Organisator sogar einen richtigen Job mit
Geld.
Für mich war der Aufenthalt sehr gewinnbringend, nicht nur weil die Studienbedingungen insgesamt gut waren, sondern auch weil es gut getan hat, für die Kunst und Lehre von Kunst einen anderen Blick zu bekommen. Mir ist aufgefallen, dass in Glasgow sehr viel leichter und spielerischer
Kunst gemacht wird. Es wird einfach ausprobiert und sich positioniert, was ich befreiend fand.
Andererseits werden die Studierenden durch das stärker verschulte System zur fristgerechten Abgabe, also zum Beenden einer Arbeit gezwungen. Das ist nicht immer gut, denn vieles an den
130
Susanne Hanus
What`s that Glasgow?
schnellen Würfen bleibt oberflächlich, aber für mich war es heilsam, nicht immer das geniale Artpiece gebären zu sollen. Genossen habe ich als Fremde auf jeden Fall meine „Narrenfreiheit“, alle
Freiräume nutzen zu können und jeder wirklichen Beurteilung erhaben zu sein. Trotzdem wurde
mir eine andere Ernsthaftigkeit entgegengebracht, weil an einem neuen Ort das „so sein“, das
Künstlersein mit der mir spezifischen Arbeitsweise, nicht in der gleichen Grundsätzlichkeit hinterfragt wurde wie sonst. Genau das stärkt das Selbstbewusstsein und setzt Kräfte frei.
Mir ist es dann auch gelungen, zwei Arbeiten zu machen, von der ich die eine als Auszug hier
vorstellen möchte:
What´s that Glasgow?
Diaserie (Karussell), 20 Text- und 60 Bilddias
2001
Die Arbeit beschäftigt sich mit Glasgow. Bei meinen Erkundungsgängen durch das Stadtgebiet
haben sich viele Fragen ergeben, die ich gerne an Einheimische stellen wollte.
Im Zentrum der Stadt befindet sich das What´s that Glasgow?-information and exhibition centre in
der Buchanan Street 170. Das Ausstellungszentrum informiert über die neuesten Entwicklungen der
Stadt auf Hochglanztafeln, mit einem Film und an mehreren i-Mac-Computern. Hier soll die Wandlung von einer strukturschwachen Arbeiterstadt mit vielen Arbeitslosen zu einer modernen
Dienstleistungs- und Kulturstadt dargestellt werden. Es gibt Vordrucke, mit denen zum Fragenstellen eingeladen wird. Dieses Angebot wollte ich nutzen, habe mir einen Stapel mitgenommen und
alle paar Tage eine Frage auf ein Formular geschrieben und per Post verschickt.
Das Glasgow Team war vor das Problem gestellt, dass meine Fragen nicht den üblichen Fragen
entsprachen und auch nicht eindeutig beantwortbar waren, sondern eher Meinungsfragen darstellten. Schließlich haben sie sich dennoch entschlossen mitzuspielen und mir immer drei, teilweise
gegensätzliche Antworten, zur Auswahl gegeben.
Die Zusammenarbeit mit dem Zentrumsmanager John Letham und seinem Team mit Margret,
Brendan, Belle und Mark hat großen Spaß gemacht. Es entwickelte sich ein sehr guter Dialog, der
manchmal auch persönlich fortgesetzt wurde in Form von Kaffeetrinken in dem Centre. Das gipfelte darin, dass die Diaserie nach Fertigstellung und am Ende meines Aufenthalts einige Zeit anstelle
des Glasgow-Promotion-Films vor Ort gezeigt werden durfte. Von Glasgow entstand durch die
Brille einer Ortsfremden ein alternatives und humorvolles Bild. Dass dies möglich wurde, unterstreicht die sprichwörtliche Freundlichkeit der Glaswegians.
Die Dokumentation zeigt drei Beispiele.
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Susanne Hanus
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What`s that Glasgow?
Susanne Hanus
What`s that Glasgow?
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Susanne Hanus
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What`s that Glasgow?
David-Nath Georges
Lyon, Frankreich
geb. 1982
ERASMUS-Aufenthalt: September 2003 bis Juli 2004
Name/Land der Gasthochschule: Fachhochschule Aachen
Name der Heimathochschule: IDRAC Lyon, Frankreich
Fachbereich: Wirtschaftswissenschaften
SOKRATES-Success: Sprache, osteuropäische Kontakte
Deutsche essen sehr viel Kartoffeln mit
Wurst, Franzosen essen Frösche und
Schnecken
David-Nath Georges
Deutsche essen sehr viel Kartoffeln mit Wurst, Franzosen essen Frösche und Schnecken
Deutsche essen sehr viel Kartoffeln mit Wurst, Franzosen essen
Frösche und Schnecken
David-Nath Georges
An der IDRAC Lyon müssen wir mindestens ein Semester im Ausland studieren. Die Besten haben
die Möglichkeit eines Aufenthaltes von zwei Semestern. Für mich war es sehr wichtig, mein
Deutsch zu verbessern. Deshalb habe ich für zwei Semester in Aachen studiert. Was war meine
Motivation, um mein Deutsch zu verbessern? Ich absolviere mein Studium in einer BusinessSchule und im Rahmen der EU-Erweiterung gewinnt die deutsche Sprache mehr und mehr an
Bedeutung. Des Weiteren sind die neuen EU-Mitglieder sehr deutschorientiert an Grundschule und
Gymnasium. Ich habe schon einmal ein zweimonatiges Praktikum in Bremen gemacht. Dies war
mein erster Kontakt mit Deutschland. Da es eine gute Erfahrung war, hatte ich kein Angst vor
meinem Aufenthalt als Student in diesem Land.
Die Gewohnheiten sind fast gleich in Deutschland und in Frankreich, aber ein paar sind immer
anders und das ist auf die Geschichte zurückzuführen. Die Deutschen essen sehr viel Kartoffeln mit
Wurst … Franzosen essen Frösche und Schnecken … Wir entfernen uns zunehmend von diesem
Klischee, es gibt eher Besonderheiten zwischen verschiedenen Regionen. Meiner Meinung nach
verallgemeinert ein Klischee das Bild eines Landes. Man kann so nicht über ein Land denken. Es
müssen persönliche Erfahrungen gemacht werden, um ein Land besser kennenzulernen.
Der Mehrwert meines Aufenthalts waren die Bekanntschaften mit anderen Studierenden, die von
überall aus Europa, aber manchmal auch aus Australien, den USA und Mexiko kamen. So haben
wir verschiedene Kulturen kennengelernt, und dank des Internets die Möglichkeit, diese Kontakte
zu wahren. Wir haben auch verschiedene Städte besucht. Berlin, Köln, Düsseldorf, Amsterdam,
Lüttich und Brüssel sind diejenigen, an die ich mich im Moment erinnern kann. Diese Reisen sind
vom International Faculty Office der FH Aachen organisiert worden. Es war für uns sehr interessant.
Die Universität war super. Die Einführung war viel besser als gut. Unser IFO-Kontakt Herr Fuchs
hat uns am Anfang persönlich mit Dingen wie Stadtamt, Bank usw. geholfen. Im Rahmen des
Studiums haben wir probiert, vorwiegend Fächer auf Deutsch zu wählen. Aber aus strategischen
Gründen – um unsere zwei Semester zu schaffen – haben wir auch ein paar auf Englisch gewählt.
Ich habe für die beiden Semester genug ECTS-Kredite bekommen (60). Unter anderem habe ich an
der FH Aachen ein sehr interessantes strategisches Unternehmensführungsplanspiel gemacht und
auch personalorientierte Fächer belegt. Meine Schule in Lyon ist marketingorientiert, also wollte
ich etwas Neues entdecken.
In Deutschland müssen wir als Franzosen die Regeln mehr beachten als in unserem Land. Aber das
ist nicht sehr schwer, die meisten Leute achten die Regeln. Wenn es um die Deutschen im Allge-
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David-Nath Georges
Deutsche essen sehr viel Kartoffeln mit Wurst, Franzosen essen Frösche und Schnecken
meinen geht, habe ich festgestellt, dass sie nicht spontan mit Ausländern sprechen wollen. Nur
wenn wir Studierende in Gruppenarbeiten kennengelernt haben, waren sie freundlich zu uns.
Mein persönlicher ERASMUS-Success ist die Verbesserung meiner deutschen Sprachkenntnisse.
Ich denke, dass mein Lebenslauf dank dieser ausgezeichneten Erfahrung sowohl in Bezug auf
meine beruflichen als auch auf meine sozialen Kompetenzen aufgewertet wird. Außerdem denke
ich, dass die Gründe, die zu dem Entschluss geführt haben, nach Deutschland zu gehen, gerechtfertigt waren, weil wir Kontakte mit Studierenden aus den Ostländern gehalten haben, die deutschsprachig sind.
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Katharina Hlawaty
Magdeburg
geb. 1982
ERASMUS-Aufenthalt: September 2003 bis Februar 2004
Name/Land der Gasthochschule: Polen, Universität Breslau
Name der Heimathochschule: Otto-von-Guericke Universität
Magdeburg
Fachbereich: European Studies
SOKRATES-Success: Studium, Sprache und internationale Kontakte
Exklusives Studentenwohnheim,
Kriminalität und internationale Kontakte in
Breslau
Katharina Hlawaty
Exklusives Studentenwohnheim, Kriminalität und internationale Kontakte in Breslau
Exklusives Studentenwohnheim, Kriminalität und
internationale Kontakte in Breslau
Katharina Hlawaty
Im Rahmen meines Studiums musste ein Auslandssemester absolviert werden. Da ich im ersten
Semester begonnen habe, Polnisch zu lernen, lag ein Aufenthalt in Polen sehr nahe. Auf mehreren
Informationsveranstaltungen zum Thema „Organisation des Auslandssemester“ durch das Akademische Auslandsamt der Universität wurden wir mit Programmen der EU und des DAAD bekannt
gemacht und so kam ich zum SOKRATES/ERASMUS-Programm.
Von Oktober 2003 bis Februar 2004 habe ich ein Auslandssemester an der Universität Breslau
absolviert. Das Lehrangebot an der Universität war zu Beginn nicht sehr groß und so konnte man
anfänglich auch nur aus zehn Vorlesungen und Seminaren wählen. Allerdings kamen später auch
noch Vorlesungen und Seminare der Institute für Germanistik und Anglistik hinzu, sowie einige
Wochenendseminare die vom Willy-Brandt-Zentrum organisiert wurden. Die Kurswahl sowie das
Lehrangebot waren für mich, da ich „European Studies“ studiere, kein Problem, da ich aus allen
angebotenen Bereichen wählen konnte. So hatte ich Vorlesungen und Seminare in Kulturwissenschaften, Politik, Soziologie und Wirtschaftswissenschaften. Für die kommenden Semester soll das
Lehrangebot ausgebaut und erweitert werden, da sich immer mehr ausländische Studierende für die
Universität Breslau entscheiden.
Die Betreuung vor Ort war sehr gut, sowohl durch das International Relations Office als auch durch
die polnischen Studierenden, die sehr eng mit dem International Relations Office zusammenarbeiten. So gibt es zum Beispiel eine Email-Gruppe, in der alle ausländischen Studierenden integriert
sind und ständig über alle wichtigen Geschehnisse und Ereignisse informiert werden.
Während meines Aufenthaltes in Breslau habe ich im Studentenwohnheim gewohnt. Die Qualität
des Wohnheims, das für die ausländischen Studierenden vorbehalten wird, liegt weit über dem
polnischen Standard. So wohnt man in zwei-Raum-Modulen mit Küchen und Bad und hat die Wahl
zwischen einem Ein-Bett-Zimmer oder einem Zwei-Bett-Zimmer. Ich war mit dem Wohnheim sehr
zufrieden und würde es einer privaten Wohnung vorziehen, da man sich um nichts kümmern muss,
was bei der polnischen Bürokratie sehr von Vorteil sein kann.
Breslau ist eine schöne Stadt, in der es jede Menge zu sehen und entdecken gibt. Es gibt ständig
Veranstaltungen jeglicher Art und man hat keine Zeit für Langeweile. Leider muss ein Vorurteil
bestätigt werden und zwar das des Diebstahls und der Kriminalität. Man sollte auf seine Sachen
aufpassen und sie nicht „griffbereit“ im Rucksack oder der Tasche liegen haben, ansonsten ist
Breslau und Polen sehr sehenswert. Von Breslau aus kann man Polen und seine Nachbarländer sehr
gut erkunden und es gibt jede Menge zu sehen und zu erleben. Die Menschen in Polen sind sehr
freundlich und hilfsbereit. Die meisten, mit Ausnahme der Studierenden, sprechen nur Polnisch,
was anfänglich ein kleines Problem darstellen könnte.
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Katharina Hlawaty
Exklusives Studentenwohnheim, Kriminalität und internationale Kontakte in Breslau
Ansonsten habe ich bei dem Auslandsaufenthalt durchweg positive Erfahrungen gemacht. Ich kann
jedem, der die Möglichkeit hat, nur empfehlen, ein Auslandssemester o.ä. zu absolvieren, da man
nur dazulernen kann. So konnte ich zum Beispiel meine Sprachkenntnisse ausbauen, neue Freundschaften schließen und internationale Kontakte knüpfen. Des Weiteren habe ich ein neues Land,
seine Kultur und Menschen kennengelernt.
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Wolfgang Stückle
Vallendar
geb. 1980
ERASMUS-Aufenthalt: 29. September 2003 bis 10. Juni 2004
Name/Land der Gasthochschule: Universidad de Deusto, Bilbao,
Spanien
Name der Heimathochschule: WHU Otto-Beisheim
Graduate School of Management, Koblenz
Fachbereich: Betriebswirtschaftslehre
SOKRATES-Success: Persönlichkeitsentfaltung und Freunde
ERASMUS-Aufenthalt im Baskenland zur
Zeit der Terroranschläge in Madrid
Wolfgang Stückle
ERASMUS-Aufenthalt im Baskenland zur Zeit der Terroranschläge in Madrid
ERASMUS-Aufenthalt im Baskenland zur Zeit der
Terroranschläge in Madrid
Wolfgang Stückle
Obwohl der Aufenthalt im Ausland bei uns an der Hochschule integrativer Bestandteil des Studiums ist, habe ich mich dennoch über die Möglichkeit gefreut, mit Hilfe von ERASMUS eben dieses Auslandsstudium möglich zu machen. Entschieden habe ich mich unter den vielen Partneruniversitäten der WHU für Bilbao deshalb, weil ich dort fast ein ganzes Jahr intensiv die Kultur und
die Sprache direkt an der Quelle erfahren konnte. ERASMUS hat für mich aber auch noch eine
weitere Bedeutung, da die Tatsache, ein ERASMUS-Studierender zu sein, wo immer man im europäischen Ausland aufschlägt, gleich eine gemeinsame Basis mit anderen Studierenden schafft.
Meine Zeit in Bilbao habe ich sehr genossen und das aufgrund einer Vielzahl von Tatsachen. Einerseits, und man muss mir verzeihen, dass ich damit anfange, in sportlicher Hinsicht. Selten habe ich
ein so sportbegeistertes Volk erlebt, wie es die Basken sind. Gleich welche Sportart, man findet mit
Sicherheit Gleichgesinnte und auch die Möglichkeit, sich in seiner Sportart auszuleben. Kaum ein
Wochenende vergeht, an dem nicht ein Volkslauf über ganz unterschiedliche Distanzen stattfindet.
Das Meer bei Bilbao ist bekannt als Surf-Revier. Persönlich am meisten begeistert war ich allerdings von den herrlichen Bedingungen fürs Radfahren; kein Wunder also, dass die Basken eine
wahre Radfahrernation sind. Kein Wunder auch, dass sie einige der besten Bergfahrer stellen, denn
das Pais Vasco ist in der Tat hügelig bis bergig und unglaublich grün. Zumindest im Vergleich zu
anderen Teilen von Spanien, die ich früher besucht hatte. Hieran anknüpfend möchte ich gleich auf
eine weitere prägende Tatsache meines Aufenthaltes in Bilbao zu sprechen kommen. Die Freundlichkeit und Offenheit, mit der einem die Leute an allen Orten und in allen Situationen begegnen.
Und auch ihre Geduld, wenn ich zu Beginn meiner Zeit in Bilbao noch den einen oder anderen
Fehler in meinem Spanisch hatte. Aber gerade auch diese Geduld hat mir sehr geholfen, mein
Spanisch weiter zu verbessern.
Wirklicher Mehrwert wurde für mich aber auch an der Universität, der Universidad de Deusto,
geschaffen. Oft hört man vom niederen Niveau ausländischer Schulen und dem laxen Programm,
das ERASMUS-Studierende im Ausland vorfinden. Dem kann ich aus meinen persönlichen Erfahrungen nur aufs Vehementeste widersprechen. Nicht nur die Professoren waren fast alle sehr gut,
sondern auch der neue Blickwinkel, den ich in Bilbao kennenlernen durfte, hat mir akademisch und
fachlich extrem weitergeholfen. Das Wissen, das ich in meinen Kursen vermittelt bekam, hilft mir
mit Sicherheit auch in meinem weiteren Studium an der WHU.
Auch bei meiner persönlichen Weiterentwicklung hat mir dieses Jahr in Bilbao geholfen. Man muss
sich nicht nur in einer zunächst ungewohnten Umgebung und Kultur zurechtfinden – auch wenn die
Spanier sich in ihren Gewohnheiten nicht allzu sehr von uns Deutschen unterscheiden – sondern es
geht auch darum, sich eben auf diese andere Kultur einzulassen. Gerade solch eine Offenheit und
144
Wolfgang Stückle
ERASMUS-Aufenthalt im Baskenland zur Zeit der Terroranschläge in Madrid
Neugier für andere Länder und Kulturen oder das Andere im Allgemeinen lernt man sehr gut, wenn
man als ERASMUS-Studierender unterwegs ist; sicherlich auch Toleranz oder vielmehr Verständnis dafür, dass es eben andersartige Dinge gibt. Ich auf jeden Fall habe mich in die Faszination, die
davon ausgeht, verliebt. Ganz klar in den persönlichen Bereich fallen auch die neuen Freunde, die
ich in Spanien gefunden habe, und es ist ganz interessant zu sehen und zu erfahren, wie dort der
Deutsche oder Deutschland gesehen werden bzw. welches Bild davon in den Köpfen existiert.
Als meine tiefgehendste Erfahrung – und ich wähle bewusst nicht das Wort „Success“ – möchte ich
gerne beschreiben, wie die Basken und das Baskenland auf die Anschläge des 11. März reagiert
haben. Erfahren, dass es sich bei den Explosionen in Madrid, die schon die Morgennachrichten
gemeldet hatten, um Terroranschläge handelt, haben wir während einer Vorlesung an der Universität, die dann sofort abgebrochen wurde. Zunächst war noch nicht ganz klar, was denn eigentlich
passiert sei oder wie schlimm es gewesen war. Aber irgendetwas empfand ich gleich als komisch,
ohne es sofort benennen zu können. Im Nachhinein weiß ich, dass es die Stille war, die mich so
beeindruckt hat. Am nächsten Tag dann, als allmählich das ganze Ausmaß des Schreckens bekannt
wurde, versammelte sich die ganze Universität im Hof, um 15 Minuten schweigend der Opfer zu
gedenken. Ich war erschüttert und fassungslos, doch meine Gefühle waren wohl nichts im Gegensatz zu dem, was den Menschen um mich herum auf die Gesichter geschrieben stand. Waren auch
nur ein Bruchteil der Opfer aus dem Baskenland selbst, so haben doch die aufkommenden Verdächtigungen gegen die ETA sicherlich zum Schmerz auch noch bei vielen Scham hinzugefügt, ein
nicht Wahr-Haben-Wollen, dass man sozusagen selbst auch an diesen schrecklichen Vorgängen
beteiligt gewesen sein könnte. Für mich wurde offensichtlich, wie wenig Rückhalt die ETA doch in
der Bevölkerung hat. Ich glaube, die Tatsache, dass gerade auch die Basken an eigener Haut erfahren haben, was es heißt, Opfer von Terror zu sein, hat dazu geführt, dass das Entsetzen so stark
war. Wurde doch auch ein Geist aus der Vergangenheit geweckt. Die Erleichterung, als klar wurde,
dass die ETA nichts mit den Anschlägen zu tun hatte, war deutlich spürbar. Beeindruckt hat mich
aber auch, dass tatsächlich die ganze Stadt noch Wochen nach dem 11. März, wenn nicht wie gelähmt, so doch noch lange nicht zum Normalzustand zurückgekehrt war.
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Magali Bebronne
Belleville, Frankreich
geb. 1983
ERASMUS-Aufenthalt: 1. September 2003 bis 15. Juli 2004
Name/Land der Gasthochschule: Fachhochschule Aachen,
Deutschland
Name der Heimathochschule: IDRAC Lyon, Frankreich
Fachbereich: Wirtschaftswissenschaften
SOKRATES-Success: Europäisches Bewusstsein
„L´Auberge Allemande“ in Aachen
Magali Bebronne
„L´Auberge Allemande“ in Aachen
„L´Auberge Allemande“ in Aachen
Magali Bebronne
In Frankreich studiere ich im Rahmen eines internationalen Studiengangs. Dazu gehören automatisch ein oder zwei Semester im Ausland. Wir dürfen uns eine Partnerschule aussuchen und die
Schule kümmert sich zentral um alle ERASMUS-Bewerbungen. Diese Erfahrung im Ausland ist
für mich ein entscheidender Punkt gewesen, weswegen ich mich überhaupt für meine französische
Hochschule entschlossen habe. Ich hatte schon ein Jahr in Deutschland verbracht, und freute mich
besonders, ein weiteres Jahr dort studieren zu dürfen, vor allem im Rahmen des ERASMUSProgramms. Seit dem Film „L’Auberge Espagnole“ weiß jeder französische Studierende, was für
eine tolle Erfahrung das ist. Dieser Film hat bestimmt viele dazu überredet, den großen Schritt zu
wagen.
Mein Aufenthalt in Aachen verlief von Anfang an reibungslos. Ich wurde sehr gut von der Gasthochschule betreut und fand innerhalb von drei Tagen ein Zimmer in einer WG im Zentrum der
Stadt. Vor Vorlesungsbeginn wurde ein Deutschkurs für ausländische Studierende angeboten. Drei
Wochen lang lernten wir die deutsche Sprache... und vor allem alle anderen ERASMUSStudierenden besser kennen.
Ende September wurden wir endlich mit den Erstsemestlern „eingeschult“ und die Vorlesungen
gingen los. Zum ersten Mal musste ich mir meine Veranstaltungen selber auswählen. Manche auf
Deutsch, manche auf Englisch... Dabei lernte ich auch langsam deutsche Studierende kennen. Als
ich ein paar Wochen später als Kellnerin in einer Bar anfing, wurde mein Leben ganz schön voll
und spannend. Ich schaffte all meine Prüfungen ohne Probleme, worüber ich natürlich sehr erleichtert war. In der Zwischenzeit wurde auch mein Deutsch besser und ich lernte immer mehr Leute
kennen. Heute sind tiefe Freundschaften daraus entstanden. Manche haben mich schon in Frankreich besucht, und ich hoffe, das wird so weitergehen.
Nach meinen letzten Prüfungen bin ich in Deutschland geblieben und habe eine Woche Urlaub in
Berlin und Hamburg gemacht. Zehn Tage vor Vorlesungsbeginn in Frankreich musste ich dann
schließlich wieder nach Hause.
Für mich ist dieser Aufenthalt insofern erfolgreich gewesen, als dass ich den Wunsch habe, sobald
wie möglich wieder nach Deutschland zu kommen. Vielleicht wird es für ein Praktikum sein, vielleicht aber auch für eine richtige Arbeitsstelle, eine Familie, ein ganzes Leben? Heute fühle ich
mich mehr als Europäerin denn je. Und ich hoffe, meinen Freunden dieses Gefühl vermittelt zu
haben. Alle, die mich während dieses Jahres besucht haben, fanden Aachen sehr schön und haben
ihre Vorurteile gegenüber Deutschland überwunden.
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Petra Stoll
Dischingen
Name/Land der Gasthochschule: Universität Neapel, Italien
Name der Heimathochschule: Universität München
SOKRATES-Success: Lebensstil, (Sprach-)Kultur und Kontakte
Neapel sehen und dann sterben!
Petra Stoll
Neapel sehen und dann sterben!
Neapel sehen und dann sterben!
Petra Stoll
Goethe muss ein Abenteurer gewesen sein! Auch wenn das heutige Neapel mit dem, das der Dichter seinerzeit besuchte, sicherlich nicht mehr allzu viel gemeinsam hat, ist die Reise nach wie vor
ein Erlebnis. Geldbeutel diebstahlsicher festschnallen, beulenfreie Autos zu Hause lassen und für
mitgebrachte Gefährte über Baujahr 1975 sofort ein antifurto kaufen. Hat man diese mehrere Kilo
schwere Metallkonstruktion ums Lenkrad geschlossen, kann man sich beruhigt in das bunte Treiben stürzen. Bunt wird Napoli übrigens auch durch zahlreiche Ampeln. Denn das ist ihre einzige
Funktion: dare colore alle città. Was dem vorschriftsbewussten Mitteleuropäer als bloße Anarchie
anmutet, ist in Wirklichkeit jedoch Ausdruck guter Kommunikation. Schwere Unfälle passieren
verhältnismäßig selten, so dass selbst ein Familienausflug auf dem motorino (kleiner Roller) vertretbar ist.
My home is my castle? Ein castello gibt es natürlich auch in Napoli, dort wohnen allerdings nicht
die Studierenden. Aber das wäre ja auch langweilig. Viel spannender ist das gemeinsame Überlebenstraining. Wirklich kalt wird es zwar in dem südlichen Städtchen nicht, aber null Grad Celsius
sind ohne Heizung doch frisch. Die Lösung ist einfach, wie man von den italienischen Studierenden
schnell lernt: Die ganze Wohngemeinschaft trifft sich in einem Bett. Das hält warm und sorgt
garantiert für Unterhaltung.
Apropos Unterhaltung: In italiano, per favore! – auch auf die Gefahr hin, dass es anfangs babylonisch zugeht. Lässt man sich auf das Fremde erst ein, wird es bald vertraut. Das gilt für die Sprache
wie für die Frühstücksgewohnheiten der Mitbewohner. Italienische Biscotti oder doch lieber die
spanische Variante: Toast mit Olivenöl und Zucker, wahlweise auch mit Tomate? Beim ersten
Wiedersehen in Sevilla war die Antwort klar.
Ist der motivierte Studierende schließlich an der Universität angekommen, kann er sich eines herrlich gebundenen Vorlesungsverzeichnisses erfreuen. Genaueres Hinsehen wird ihm jedoch verraten, dass es sich um ein Exemplar vom vergangenen Semester handelt. Die aktuellen Veranstaltungen müssen, zumindest am Instituto Universitario Orientale, Aushängen entnommen oder mit den
Kommilitonen eruiert werden. Diese gemeinsame Forschungstätigkeit bietet erste Gelegenheit, die
Mitstudierenden kennenzulernen – also bloß keine Kontaktscheu.
Nach getaner Arbeit ist gut Pasta essen. Dosenfutter? Nein danke! Der Weg führt direkt zum Gemüsemarkt, wo Gourmets und Centfuchser glücklich und zugleich Zeugen unglaublicher Marketingstrategien werden. Da Neapolitanisch nämlich nicht nur für den einigermaßen italienischkundigen Ausländer nach Geheimcode klingt, kehrt man zurück zur Körpersprache, den berühmten gesti
italiani. Ob Goethe die wohl auch schon kannte?
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Joachim Allgaier
Milton Keynes, England
geb. 1975
ERASMUS-Aufenthalt: September 2000 bis Mai 2001
Name/Land der Gasthochschule: Universität Maastricht, Niederlande
Name der Heimathochschule: Ludwig-Maximilians-Universität
München
Fachbereich: Soziologie/Science and Technology Studies
SOKRATES-Success: Beruf und Persönlichkeitsentfaltung
Vom ERASMUS-Studium in Maastricht zum
Ph.D. in England
Joachim Allgaier
Vom ERASMUS-Studium in Maastricht zum Ph.D. in England
Vom ERASMUS-Studium in Maastricht zum Ph.D. in England
Joachim Allgaier
Im Rahmen meines Soziologie-Studiums in München gab es glücklicherweise die Möglichkeit, im
Bereich der sogenannten Science and Technology Studies ein Auslandssemester an der Universität
Maastricht in den Niederlanden zu absolvieren. Der klangvolle Name Wiebe Bijkers, eine Koryphäe in diesem Fachbereich, war fast schon Anlass genug, mich dafür zu bewerben, aber selbstverständlich interessierte ich mich auch sehr für das Leben bei unseren westlichen Nachbarn und ihre
viel gerühmte Toleranz. Niederländisch fand ich zudem eine interessante Sprache, weshalb ich vor
meinem Aufenthalt auch einen Sprachkurs besuchte. Bei meinem Aufenthalt an der Universität
Maastricht habe ich hinsichtlich des Studiums viel gelernt und wertvolle Erfahrungen gesammelt.
Allein was die Inhalte und die Schwerpunkte des Auslandssemester angeht, lernte ich viel Neues
kennen und schätzen. Aber auch in Bezug auf unterschiedliche Denk- und Betrachtungsweisen,
Unterrichtsgestaltung und Organisationsformen war es interessant und lehrreich, eine Vergleichsmöglichkeit zu allem bisher Erlebten und Erfahrenen zu bekommen und sich auf dieser Basis eine
eigene Meinung bilden zu können.
Noch größer empfand ich jedoch den persönlichen Nutzen, den ich aus diesem Auslandsaufenthalt
gezogen habe. Einerseits habe ich erfahren, dass es mir gelingt, in „der Fremde“ alleine zu bestehen, mit anderen Sprachen als der deutschen Muttersprache zurecht zu kommen und im Ausland
neue und interessante Menschen kennenzulernen und Freunde zu gewinnen. Auf diese Weise wurde ich auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufmerksam, die mir ansonsten verschlossen geblieben wären. Andererseits, und das war vielleicht eine der wichtigsten Erfahrungen, galt es, durch die
Konfrontation mit neuen und bisher unbekannten Sichtweisen eigene Meinungen und Ansichten zu
hinterfragen und neu zu bewerten.
Im Laufe meines Lebens hatte ich mich beispielsweise nie als Patriot oder „Deutscher“ im eigentlichen Sinne gefühlt. Die deutsche Nationalität war eher etwas Lästiges und Belastendes gewesen;
für mich hatte sie vor allem die Pflicht beinhaltet, die Musterung über mich ergehen zu lassen und
Wehr- bzw. Zivildienst ableisten zu müssen. Im Ausland galt es, sich bei der Angabe der Nationalität als Deutscher eher etwas zurückhaltender und beschämter gegenüber Jugendlichen aus anderen
Nationen zu verhalten. Jeder weiß schließlich von der deutschen Vergangenheit und nicht wenige
junge Menschen aus meinem Umfeld wollen auch heute mit ihrem Deutsch-Sein nichts zu tun
haben. Während meines Auslandsaufenthaltes traf ich auf etliche Menschen aus verschiedenen
Ländern, die zuvor noch nie persönlich mit einem Deutschen zu tun hatten. Hier trafen stereotype
Klischees aufeinander, was nicht immer einfach war. Ich repräsentierte für sie meine Heimatnation
und nicht selten ärgerten mich die negativen Vorurteile, die mich nun als „Deutschen“ betrafen. Oft
gelang es allerdings nach anfänglicher Zurückhaltung, entspanntere Gespräche über andere und
meine eigene Heimat zu führen, und plötzlich war ich gezwungen, mein eigenes Deutschlandbild
sowie die anderen Meinungen und Ansichten zu formulieren und dadurch zu reflektieren.
152
Joachim Allgaier
Vom ERASMUS-Studium in Maastricht zum Ph.D. in England
Auf einmal war es gar nicht mehr schlimm, Deutscher zu sein. Im Gegenteil – ich erkannte plötzlich auch die guten Seiten der Heimat, die mir ohne den Blick durch „das Fremde“ auf „das Vertraute“ womöglich nie eröffnet worden wären. Dies gilt auch für ganz banale Dinge und Verhaltensweisen wie Essgewohnheiten oder den Umgang mit Zeit. Wie viele andere Deutsche auch,
lernte ich beispielsweise während meines Auslandsaufenthaltes das heimische Brot, das mir als
Kind als hart, zäh und trocken erschien, erst richtig zu schätzen. Zudem wurde deutlich, dass die
anderen Deutschen, die man im Ausland traf, auch nicht schlechter waren als Menschen anderer
Nationalitäten. Bisher war es bei mir und bei vielen meiner Freunde so gewesen, dass mit einem
Treffen von Deutschen im Ausland stets das Gefühl verbunden war, deutsche Reisende seien peinlicher und unangenehmer als alle anderen. Auch in dieser Hinsicht sehe ich nun manches anders
und habe mir nun eine Art reflektierte deutsche Identität (zu den unzähligen anderen Teilidentitäten
als Europäer, Allgäuer, Student, Freund, Bruder usw.) angeeignet. Mit anderen Worten habe ich
kein Problem mehr damit, „deutsch“ zu sein, und glaube auch nicht mehr, ein Problem damit haben
zu müssen. Meine eigene Nationalität betrachte ich nicht als besser oder schlechter als die anderer.
Man sollte jedoch auch die historischen und anderen Besonderheiten kennen und bedenken, die
zum schlechten Ansehen der Deutschen im Ausland beigetragen haben.
Die Erfahrung der „Fremde“ hat bei mir deshalb tatsächlich dazu geführt, mehr über das „Eigene“
zu lernen. Im Gespräch und der Begegnung mit den mir Fremden ist mir auf- und eingefallen, dass
meine Heimat einiges zu bieten hat, sei es kulinarisch oder landschaftlich, wissenschaftlich oder
literarisch, industriell oder kulturell. Zudem habe ich durch meinen Aufenthalt Freunde aus unterschiedlichen Teilen der Welt gefunden, die sich zur selben Zeit wie ich in Maastricht befanden und
dort studierten. Mit einigen von ihnen treffe ich mich noch heute, Jahre danach, und stehe mit ihnen
in regelmäßigem Kontakt. Während meines Aufenthalts genoss ich auch die Möglichkeit, in Wochenendausflügen die Küste, das Land und interessante Städte wie Rotterdam, Brüssel oder Amsterdam besuchen zu können. Dies stellte einen ziemlichen Kontrast zu meiner Allgäuer Heimat dar
und war immer lohnenswert und interessant. Selbstverständlich habe ich auch viel von und über
Maastricht und die Niederlande gelernt und fühle mich durch meinen Aufenthalt in der EuropaStadt nun auch mehr als Europäer. Ich finde es eine grandiose Idee, als Europäer ohne große Probleme oder Hindernisse Landesgrenzen innerhalb Europas überschreiten und in anderen Ländern
lernen, unterrichten und arbeiten zu können, ohne dafür hunderte von Dokumenten durcharbeiten
zu müssen.
Eine Besonderheit der sogenannten Science and Technology Studies, die vor allem im angelsächsischen Raum und auch in den Niederlanden verbreitet sind, ist, dass der Gegenstandsbereich Wissenschaft, Technik und Gesellschaft im Vordergrund steht, die disziplinäre Zuordnung hingegen
eher im Hintergrund. Während meines Soziologie-Studiums in München wurden Wissenschaft und
Technik vor allem in der Wissens- und Wissenschaftssoziologie und der Techniksoziologie behandelt. Hierbei stand stets die soziologische Betrachtung und Zuordnung der Themen im Vordergrund. In Maastricht hingegen ging es eher um ein Thema, z.B. das Verhältnis von Wissenschaft,
Demokratie und Politik. Zu diesem Thema wurden dann Texte aus unterschiedlichen Perspektiven,
Sichtweisen und Disziplinen gelesen und besprochen. Hierbei stand keine Disziplin oder kein Fach
im Vordergrund. Dies hatte unter anderem den Vorteil, dass relevante Gesichtspunkte aus unterschiedlichen Disziplinen dargeboten wurden und man auf diese Weise auch etwas über die Vorge153
Joachim Allgaier
Vom ERASMUS-Studium in Maastricht zum Ph.D. in England
hensweisen der jeweiligen Disziplin lernen konnte. Im gleichen Atemzug könnte man jedoch anmerken, dass bei dieser Vorgehensweise oft der methodische und theoretische Hintergrund fehlt,
der oft hilfreich ist, um zu verstehen, warum der/die jeweilige Autor/in so argumentiert, wie er/sie
es in dem jeweiligen Text tut. Nichtsdestotrotz ist es in vielen Fällen sicher hilfreich, über den
Tellerrand des eigenen Fachs zu blicken und ein bisschen zu schnuppern, was denn „die Anderen“
zu einem bestimmten Problem zu sagen haben.
In Maastricht war der Unterricht in sechswöchigen Blöcken organisiert. Das hieß im Klartext, dass
sechs Wochen lang nur ein bestimmtes Thema behandelt wurde. Dazu gab es in der Regel ein
herausforderndes Lesepensum zu bewältigen. Zusätzlich zu der theoretischen Diskussion in den
Kursen wurde pro Kurs zudem ein praktischer Aspekt vertieft. So wurde in einem Kurs beispielsweise die Präsentation der gelernten Inhalte unterstützend mit audiovisueller Präsentationstechnik
(z.B. Beamer und Powerpoint Software) geübt oder in einem anderen die Digitalisierung und Bearbeitung von Bildern und Texten über verschiedene Software-Werkzeuge. Um die zum Teil recht
kopflastigen Inhalte etwas greifbarer zu machen, gaben sich die Organisatoren der Kurse große
Mühe, indem sie beispielsweise gelegentlich Exkursionen organisierten, oder was mir persönlich
noch besser gefallen hat, externe Praktikerinnen und Praktiker einluden, die man in einer offenen
Diskussion mit den gelernten Inhalten konfrontieren konnte.
Das Verhältnis von Wissenschaft, Technik und Gesellschaft interessiert mich auch heute noch sehr.
Nach dem Abschluss des Studiums in München war es jedoch nicht einfach, eine Tätigkeit in diesem Bereich zu finden. Letzten Endes bin ich in Großbritannien an der Open University in Milton
Keynes gelandet. Dort arbeite ich derzeit, finanziert durch ein Stipendium der Universität, an einem
Ph. D. Projekt, das sich mit dem Verhältnis von Naturwissenschaft, Schule und Medien auseinandersetzt. Geht man davon aus, dass ein beträchtlicher Teil dessen, was die Öffentlichkeit über
naturwissenschaftliche Themen und Inhalte weiß, durch Massenmedien und den naturwissenschaftlichen Unterricht vermittelt wird, so befasst sich das Promotionsprojekt damit, welche Wechselwirkungen zwischen Medienberichterstattung und Lehrplan-Inhalten bestehen und entstehen können.
Interdisziplinäres Vorgehen ist hierbei sehr hilf- und aufschlussreich, um die unterschiedlichen
Funktions- und Arbeitsbereiche Bildung, Wissenschaft und Medien besser verstehen und analysieren zu können. Mein Aufenthalt in Maastricht und der dortige Ausflug in die Science and Technology Studies haben mich auf diese Herausforderung entsprechend vorbereitet und mir ein substanzielles Grundwissen mitgegeben, um diese Herausforderung angemessen bewältigen zu können.
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Andrea Borrmann
Erlangen
geb. 1983
ERASMUS-Aufenthalt: 1. September 2003 bis 15. Dezember 2003
Name/Land der Gasthochschule: Karel-de-Grote Hogeschool
Antwerpen, Belgien
Name der Heimathochschule: Fachhochschule Brandenburg
Fachbereich: Wirtschaft
SOKRATES-Success: Freunde und Persönlichkeitsentfaltung
Gute Organisation und sich auflösende
Vorurteile in Antwerpener Luft
Andrea Borrmann
Gute Organisation und sich auflösende Vorurteile in Antwerpener Luft
Gute Organisation und sich auflösende Vorurteile in
Antwerpener Luft
Andrea Borrmann
Nachdem ich im Sommer 2003 mein Grundstudium erfolgreich hinter mir gelassen hatte, wollte ich
den Zeitpunkt nutzen, um mehr Auslandserfahrungen zu sammeln – nicht nur, weil dies im Lebenslauf heutzutage besonders bei uns Betriebswirtschaftlern unerlässlich ist, sondern auch aus persönlichem Interesse. Studierende aus verschiedensten Ländern kennenzulernen und zusätzlich die
eigenen Sprachkenntnisse zu vertiefen, erschien mir Grund genug, dieses Abenteuer zu wagen. Ich
entschied mich für die belgische Hafenstadt Antwerpen.
Meine Fachhochschule in Brandenburg pflegt schon seit längerem Kontakt zu der dortigen Karelde-Grote Hogeschool, so dass sich mein Aufenthalt dort über das SOKRATES/ERASMUS-Programm schnell ermöglichen ließ. Nach einigen Formalitäten nahm alles ohne großen Aufwand
seinen Lauf. An dieser Stelle sei der Karel-de-Grote Hogeschool ein großes Lob ausgesprochen,
denn die gesamte Organisation des Auslandsaufenthaltes war von vorne bis hinten sehr gut durchdacht und geplant. So erhielt jeder ERASMUS-Studierende ein „Vorab-Paket“ mit allerlei Informationen zu Vorlesungen, zu den Einführungswochen, zur Stadt Antwerpen und auch zum jeweiligen
Zimmer, das einem zur Verfügung gestellt wurde.
Gut informiert fuhr ich also Anfang September nach Antwerpen. Leider stellte sich schon bald
heraus, dass meine Unterkunft nicht die allerbeste war. Ich wohnte in einem privat vermieteten
Haus mit etwa elf Zimmern, einer gemeinschaftlichen Küche mit einem kleinen Wohnzimmer,
zwei Duschen und drei WC‘s. Leider war dieses Haus in einem ziemlich renovierungsbedürftigen
und schmutzigen Zustand und lag in einem sozial sehr schwachen Stadtteil. Nichtsdestotrotz freute
ich mich darüber, dass ich nicht alleine wohnen musste und gleich einige Ansprechpartner hatte. In
meinem Haus wohnten neben zwei ERASMUS-Studierenden auch einige Landsleute, die sehr
aufgeschlossen reagierten.
Die im Zentrum gelegene Hochschule erwies sich als außerordentlich modern und gut ausgestattet.
Das erste Zusammentreffen der etwa 80 (!) ERASMUS-Studierenden und Organisatoren war eine
Art Begrüßungsveranstaltung. Es waren Studierende aus Italien, Spanien, Frankreich, Finnland, den
Niederlanden, Polen, Tschechien, Lettland, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und auch Russland
gekommen. Da sich jeder in der gleichen Lage befand, waren alle sehr aufgeschlossen und man
fand schnell Anschluss. In den folgenden drei Einführungswochen wurde neben kulturellen Veranstaltungen wie Stadtrundfahrt, NATO-Besuch, Hafenrundfahrt und vielem mehr ein flämischer
Intensivkurs angeboten. Für mich als Deutsche war die Sprache recht einfach und ich konnte schon
bald ein paar Sätze in der Landessprache anwenden. Im Anschluss besuchte jeder für den Rest der
Zeit seine vorher ausgewählten Vorlesungen. Diese waren alle auf Englisch und wurden teils von
internationalen Gastprofessoren, teils von Professoren der KdG Hogeschool gehalten. Prüfungen
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Andrea Borrmann
Gute Organisation und sich auflösende Vorurteile in Antwerpener Luft
waren unterschiedlich zu absolvieren. Einerseits in Präsentationen oder Projekten, andererseits in
schriftlichen Prüfungen und in Sprachfächern mündliche Prüfungen. Keine Angst – alles machbar!
Neben dem Studium organisierten die Zuständigen zusätzliche kulturelle Veranstaltungen, Parties
und noch so viel mehr. Gab es Probleme, konnte man sich jederzeit an das International Office,
welches in der Hochschule für uns eingerichtet wurde, wenden. Insgesamt kann ich einen Auslandsaufenthalt jedem empfehlen. Es hat mich in jedem Fall weltoffener und toleranter gemacht.
Besonders gefreut hat mich die Begegnung mit den finnischen Studierenden, da ich vorher nie mit
Skandinaviern gesprochen hatte und überrascht war, wie aufgeschlossen und freundlich sie doch
sind. Eben ganz anders als ihr Ruf, der ihnen leider als eher reserviert und depressiv vorauseilt.
Viele Vorurteile haben sich seitdem in Luft aufgelöst und mich sehr viel neugieriger auf fremde
Länder und ihre Kulturen gemacht. Ein weiterer Pluspunkt ist sicherlich mein Sprachgewinn. Da so
viele Nationen vertreten waren, wurde, bis auf die frisch gelernten Kenntnisse in Niederländisch,
Englisch gesprochen.
Im Nachhinein denke ich oft an die Zeit zurück und bin froh darüber, den Schritt gewagt zu haben.
Leider klappte die Anrechnung der dort erworbenen ECTS Points hier in Deutschland nicht wie
geplant, so dass ich kaum etwas anerkannt bekam. In diesem Punkt war leider meine Hochschule
nicht so aufgeschlossen wie vorher angekündigt. Die Umsetzung eines reibungslosen Transfers von
Prüfungsleistungen wird wahrscheinlich auch an anderen Hochschulen noch länger ein Problem
bleiben. Nichtsdestotrotz bleibt ein SOKRATES/ERASMUS-Aufenthalt im Lebenslauf ein Pluspunkt sowohl in persönlicher als auch in beruflicher Hinsicht.
157
Eija Paakki
Helsinki, Finnland
geb. 1979
ERASMUS-Aufenthalt: 10. September 2001 bis 15. Februar 2002
Name/Land der Gasthochschule: Universität Passau,
Deutschland
Name der Heimathochschule: Universität Oulu, Finnland
Fachbereich: Wirtschaftswissenschaft
SOKRATES-Success: Mitbewohner und Freunde
Finnischer Erfolg – Mitbewohner aus
Passau werden zu Freunden fürs Leben
Eija Paakki
Finnischer Erfolg – Mitbewohner aus Passau werden zu Freunden fürs Leben
Finnischer Erfolg – Mitbewohner aus Passau werden zu
Freunden fürs Leben
Eija Paakki
Schon immer hatte ich den Wunsch, einmal im Ausland zu wohnen. Ich dachte, diese Idee am
besten als Austauschstudentin realisieren zu können. Finnische Schüler müssen sehr viele Sprachen
lernen, aber Englisch spricht man normalerweise am besten. Ich wollte mein Deutsch verbessern
und reisen. Ich weiß nicht mehr, warum ich nach Deutschland wollte. Vielleicht dachte ich damals,
dass man Deutsch in Deutschland lernen müsse. Meine Heimathochschule hat verschiedene Kontakte mit Universitäten in Deutschland. Ich sprach mit meinem Deutschlehrer und Kommilitonen in
Finnland über die Universitäten und Schulsysteme in Deutschland. Da die Universität Passau einen
guten Ruf hat, beschloss ich, dorthin zu gehen.
Am 10. September 2001 kam ich in Passau an. Es war das erste Mal, dass ich in Deutschland war,
und die ersten Wochen waren nicht leicht. Am 11. September gab es die WTC-Bombardierungen,
es war kalt und regnete viel, und ich konnte kein Deutsch bzw. Bayerisch verstehen. Zum Glück
musste ich nicht allein in der acht-Zimmer Wohnung in der Leonhard-Paminger-Strasse sein: Da
war Michel, mein neuer Mitbewohner, der gerne Tee trank und Backgammon spielte. Er sprach
sehr gut Englisch und war immer hilfsbereit. Die Universität Passau veranstaltete eine Orientierungswoche, so war es leicht, andere Austauschstudierende kennenzulernen. Es hat viel geholfen,
zu erfahren, dass andere Austauschstudierende ähnliche Probleme – z.B. mit Bayerisch – hatten wie
ich. Ich habe auch an zwei Reisen teilgenommen, in die Bayerischen Alpen und nach Berlin. Die
Reisen waren ziemlich billig, und was am besten war, man lernte andere Leute kennen. Mit anderen
Austauschstudierenden haben wir auch allein kleinere Reisen gemacht, zum Beispiel nach Salzburg
und München.
Die Universität Passau ist relativ klein, so dass es für uns ganz leicht war, klar zu kommen. Die
Dozenten waren meistens sehr freundlich, genauso wie die Studierenden. Die Universität hat ein
gutes Sportzentrum, wo man zum Beispiel Circle-Training, Klettern und Tanz betreiben kann.
Ich habe ganz schnell gelernt, dass man in Deutschland Deutsch sprechen muss. Die Leute waren
freundlich (auf Deutsch), wenn sie verstanden haben, dass man Ausländer ist. Zuerst habe ich ganz
viel Englisch gesprochen, aber nach drei Wochen in Passau musste ich mich wirklich darauf konzentrieren, Deutsch zu sprechen. Denn meine anderen Mitbewohner waren angekommen, und sie
lehnten es ab, Englisch zu sprechen. Die Idee war: „Wenn-ich-langsam-spreche-wirst-du-esverstehen“. Am Anfang war es unglaublich schwierig, aber nach einigen Wochen habe ich schon
viel verstanden und gesprochen.
Meine beste Erinnerung von Passau sind meine Mitbewohner, nämlich Jörg, Michel, Martin, Martina und Eva aus Deutschland, Brigit aus Ungarn, und Jesús aus Spanien. Wir alle sind sehr gut
miteinander klargekommen. Wir haben zusammen gekocht (nicht immer, natürlich), geredet und
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Eija Paakki
Finnischer Erfolg – Mitbewohner aus Passau werden zu Freunden fürs Leben
gefeiert. Es war ganz normal, dass die Schlüssel immer an den Türen waren, dass, wenn man gekocht hatte, alle davon essen konnten, und dass, wenn wir kein sauberes Essgeschirr mehr hatten,
niemand alleine spülen musste. Ich finde es bezeichnend, dass das erste neue Wort, das ich in Passau gelernt habe, „spülen“ war!
Jesús, ein anderes Mädchen aus Finnland, und ich haben Jörgs Eltern in Gastenfelden (Kreis Ansbach) einen viertägigen Besuch abgestattet. Wir haben Rothenburg an der Tauber, Bamberg und
Nürnberg gesehen. Es war eine sehr gute Gelegenheit, um das deutsche Familienleben kennenzulernen.
Vor zweieinhalb Jahren ging meine ERASMUS-Zeit zu Ende. Danach habe ich den Kontakt zu
anderen Austauschstudierenden beibehalten, aber am meisten vermisse ich die Atmosphäre in LeoPam und unserem Flur. Wir schreiben uns regelmäßig und Jesús und ich haben Leo-Pam besucht:
Ich war im letzten November dort. Michel, Jörg und Martina haben Examen gemacht und werden
in absehbarer Zukunft nicht mehr in Leo-Pam wohnen. Trotzdem hoffe ich, dass der Kontakt zu
ihnen nicht abreißt. Ich wünsche jedem ERASMUS-Studierenden solch wunderbare Mitbewohner!
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Außergewöhnliche
Geschichten und
Erlebnisse ehemaliger
ERASMUS-Studierender
Success Stories V

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