Michael Schuhmacher, Assistent von Prof. Striegel und Dozent der

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Michael Schuhmacher, Assistent von Prof. Striegel und Dozent der
Michael Schuhmacher, Assistent von Prof. Striegel und Dozent der Akademie für
Musikpädagogik
Vortrag: Musikmesse 2008
Integration von Klassenmusizieren im Musikunterricht an allgemein bildenden
Schulen
Ein Blick in die Klassenmusiksäle an deutschen Schulen zeigt unübersehbar, dass sich
das aktive Musizieren zum Kernbestandteil des schulischen Musikunterrichts entwickelt
hat. Ein Musikunterricht, angelegt auf die ausschließliche Vermittlung von Theorie- und
Faktenwissen über musiktheoretische und musikgeschichtliche Zusammenhänge, gilt
heute als überholt. Musik soll erfahrbar sein und das kann sie am besten in der aktiven
Auseinandersetzung, nämlich im Musikmachen.
„Klassenmusizieren“ ist dabei zum Schlagwort geworden. Doch beim genaueren
Betrachten fällt auf, dass der Begriff „Klassenmusizieren“ in höchst unterschiedlichen
Kontexten gebraucht wird.
Häufig findet man den Begriff „Klassenmusizieren“ in Verbindung mit Begriffen wie
„Bläserklasse“ und „Streicherklasse“. Aber auch die Formate „Chorklasse“ oder
„Rockklasse“ sprechen von „Klassenmusizieren“ und auch in Termini wie
„Klassenmusizieren mit dem Computer“ findet sich der Begriff. Neue Wortschöpfungen
wie „1st Class Rock“ (FROMM 2006) 1oder „KumBaLaTiKa – Klassenmusizieren“2
tun ein Übriges, um die Verwirrung um den Begriff Klassen
musizieren“ komplett zu machen.
Um die Bedeutung „Klassenmusizieren“ für den Musikunterricht zu entschlüsseln,
bedarf es offensichtlich zuerst einer Einordnung des Begriffes.
Der Begriff „Klassenmusizieren“ und seine Supplemente
Die Unterschiedlichkeit der Kontexte, in denen der Begriff „Klassenmusizieren“
auftritt, zeigt sich vor allem in der Fülle der im Zusammenhang mit dem Begriff
„Klassenmusizieren“ verwendeten Supplemente. „Klassenmusizieren mit
Blasinstrumenten“, „Klassenmusizieren mit Streichinstrumenten“, „Klassenmusizieren
(Färber 2002), „Klassenmusizieren mit klassischer Musik“ (Ewen 1997),
1
2
Fromm, Michael (2006): „1st Class Rock – Die Bandklasse“. Lugert Verlag, Oldershausen
„Rhythmus-Bewegung-Kommunikation – KumBaLaTiKa- Klassenmusizieren“, so der Titel
eines Kurses in der Lehrerfortbildung, angeboten von AMBOSIUS, LIA anlässlich des
Landeskongress Musikpädagogik, Stuttgart 2005
2
„Klassenmusizieren Rock/Pop“ 3 usw. sind nur ein kleiner Ausschnitt der wachsenden
Vielfalt der verwendeten Begriffe.
Dabei umschreiben die Supplemente, die den Begriff Klassenmusizieren ergänzen,
unterschiedliche Sachverhalte. In der Regel lassen sich in den Terminologien vier
Varianten erkennen:
Der Terminus gibt Auskunft, mit Hilfe welcher Musikinstrumente ein Musikmachen in
der Klasse vollzogen werden soll (z.B. Klassenmusizieren mit Blasinstrumenten)
Der Terminus beschreibt eine musikalische Stilrichtung, die gemeinsam im
Klassenverband musiziert werden soll (z.B. Klassenmusizieren Rock und Pop)
Der Terminus benennt das Medium, unter dessen Zuhilfenahme eine aktive
Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Musik erzielt werden soll (z.B.
Klassenmusizieren mit dem Computer)
Der Terminus beschreibt die Methode, mittels derer curriculare Ziele erreicht werden
sollen (z.B. Klassenmusizieren mit relativer Solmisation)
Die darüber hinaus existierenden Begriffe wie „Bläserklasse“, „Streicherklasse“ oder
„Chorklasse“ sind meist Dezimierungen, die die Konstituenten des Terminus verkürzen;
so wird aus „Klassenmusizieren mit Blasinstrumenten“ die „Bläserklasse“, aus
„Klassenmusizieren mit Streichinstrumenten“ die „Streicherklasse“.
Analog zum Trend der Verwendung von immer mehr Anglizismen in der deutschen
Sprache, sind viele der neueren Wortschöpfungen englische Begriffe und werden
aufgrund der Annahme verwendet, sie würden besser klingen und würden dadurch bei
Schülerinnen und Schülern, sowie deren Lehrkräfte auf eine höhere Akzeptanz stoßen.
Oft sind englische oder englisch-klingende Titel nur Worthülsen, die sich erst nach
Betrachtung des eigentlichen Unterrichtsgeschehens erschließen. So verbirgt sich zum
Beispiel hinter „1st Class Rock“ (Fromm 2006) eine Anleitung zum Klassenmusizieren
mit pop- und rocktypischem Instrumentarium.
3
Das Landesinstitut für Schulentwicklung (LS), Stuttgart, stellt beispielsweise auf dem
Landesbildungsserver Baden-Württemberg Material zum Klassenmusizieren mit Pop,
Rock und Latin bereit. Vgl. http://lbsneu.schulebw.de/unterricht/faecher/musik/sekundarstufe1, 01.07.2006,
3
2. Die Inhaltliche Bedeutung des Begriffes „Klassenmusizieren“
Alle bislang erwähnten Konzeptionen sehen einen erhöhten Praxisanteil im
Musikunterricht vor. Allerdings kann man aus den unterschiedlichen Begriffen noch
keine Angaben über Methode, Dauer, Organisationsformen oder Ziele ableiten.
Es gilt im Weiteren zu untersuchen, welche Kriterien sich für eine Abgrenzung der
unterschiedlichen Modelle voneinander inhaltlicher Art finden lassen und wie man eine
Definition der unterschiedlichen Formen des „Klassenmusizierens“ vornehmen kann.
Die Akademie für Musikpädagogik in Wiesbaden beschreibt auf ihrer Homepage
Projekte mit den Titeln: „Klassenmusizieren mit Blasinstrumenten“ ,
„Klassenmusizieren mit Streichinstrumenten“, „Klassenmusizieren mit
Perkussionsinstrumenten“, „Klassenmusizieren mit Mundharmonika“ und
„Klassenmusizieren mit Akkordeon“ 4 Gemeint sind dabei Modelle, bei denen Schüler/innen im Klassenverband unter Anleitung einer oder mehrerer Lehrkräfte ein Instrument
erlernen. Die Lehrplaninhalte des Musikunterrichts an der allgemein bildenden Schule
werden mit Hilfe dieses Instrumentes in der aktiven Begegnung mit dem
Lerngegenstand Musik erarbeitet.
Betrachtet man sich die Modelle, die im Schulalltag derzeit Bestand haben, definieren
drei Sachverhalte die Methode „Klassenmusizieren“:
Es geht beim „Klassenmusizieren“ um ein Musizieren im Pflichtunterricht der
allgemein bildenden Schule, nicht um das Musizieren in einer AG oder im
Wahlpflichtfachangebot einer Schule, sondern um das Musikmachen im regulären
Musikunterricht. Damit ist das Musizieren eine gemeinsame musikalische Betätigung
aller Schülerinnen und Schüler einer Klasse.
Das „Klassenmusizieren“ ist geplante, didaktisch und methodisch durchdachte und auf
Ziele hin ausgerichtete Tätigkeit.
Das gemeinsame musikalische Tun steht zwar im Vordergrund, ist aber nur das Mittel,
um den schulischen Bildungsauftrag und somit auch den Lehrplan umzusetzen.
In diesen entscheidenden Punkten einer Definition lassen sich deutliche Kongruenzen
zu Bähr (Bähr 2005, S. 159ff) feststellen. Bähr führt drei Punkte als Definitionsebenen
an:
4
Homepage der Akademie für Musikpädagogik
http://www.musikpaedagogik.de,
4
„Im umfassenden Sinn ist Klassenmusizieren in der allgemein bildenden Schule eine
gemeinsame musikalische Tätigkeit aller Mitglieder einer Lerngruppe“
„Klassenmusizieren ist didaktisch-methodisch geplante, gemeinsame Ausübung mit
Gesang, Instrumentalspiel, Bewegung und Szene – einzeln bzw. in Kombination“
„Als musikalischer Lernprozess und als ästhetisch-musikalische Gebrauchspraxis
enthält Klassenmusizieren sowohl Anteile von musikalischem Handwerk und von
künstlerischer Ausübung als auch von Reflexion und Bedeutungsdimension von Musik
sowie der musikalischen Handlungen.“
Nachdem diese inhaltliche Definition, die alle Formen des Klassenmusizierens
umschreibt, gefunden ist, gilt es im Weiteren nun eine äußere Unterscheidung der
unterschiedlichen Modelle zu betreiben.
3. Die Unterscheidung „Musikklasse“, „Klassenmusizieren“ und „Erweiterter
Musikunterricht“
Bähr unterscheidet drei Begriffe zur äußeren Abgrenzung der Modelle des Musizierens
im Klassenverband im Musikunterricht, nämlich Klassenmusizieren, Musikklasse und
erweiterter Musikunterricht und definiert wie folgt:
Als Klassenmusizieren werden … alle auf Musik bezogene Tätigkeiten verstanden, die
aktives Musizieren beinhalten – einschließlich der Reflexion von Gegenstand und
Tätigkeit“ (Bähr 2005; S. 160)
„Der Begriff erweiterter Musikunterricht enthält … eine quantitative Aussage. Er
signalisiert …gegenüber dem Musikangebot der Stundentafel ein erweitertes,
besonderes Angebot“ (Bähr 2005, S. 161).
„Der Begriff Musikklasse meint eine besondere Form des erweiterten Musikunterrichts.
Eine Musikklasse ist wesentlich dadurch definiert, dass alle Schüler einer Klasse ein
Instrument erlernen oder vokale Expertise erlangen … Es existieren verschieden
Varianten: Musikklassen mit Bläsern oder Streichern, mit Keyboards, Gitarren,
Perkussion, Blockflöten, Steckbundmonochorden, Klassen in denen verschiedene
Orchesterinstrumente gelernt werden; Klassen mit mehreren Bands oder andere
Mischformen. Am verbreitetsten sind Musikklassen in den Jahrgangsstufen 5 und 6“
(Bähr 2005, S.161)
5
Nach diesem Verständnis wäre der Begriff Klassenmusizieren ein übergeordneter, der
alle aktiven Tätigkeiten im Umgang mit Musik beinhaltet. Genauere Abgrenzung stellt
der Begriff Musikklasse dar, der die Einschränkung enthält, dass Schülerinnen und
Schüler ein Instrument im Musikunterricht erlernen.
Als irreführend betrachte ich den Begriff des erweiterten Musikunterrichts, der nach
Bähr ein zeitliches Zusatzangebot zum regulär stattfindenden Musikunterricht darstellt,
aber keine exakte quantitative noch qualitative Aussage enthält. Bähr weist zwar darauf
hin, das zusätzliche Angebot könnte Instrumentalunterricht aber auch die
Zusammenführung mehrerer Musikklassen in einer zusätzlichen Unterrichtstunde sein
(Bähr 2005, S. 161). Fraglich erscheint mir hierbei jedoch, ob sich tatsächlich alle
musikalische Aktivitäten in der Schule für einen erweiterten Musikunterricht
einvernehmen lassen, also sowohl eine Arbeitsgemeinschaft, als auch ein stattfindendes
„gemeinsames Singen“ oder ein Tanzkurs.
Meines Erachtens beinhaltet der Begriff erweiteter Musikunterricht die Bedeutung,
Flankierung des Musikunterrichts durch andere Unterrichtsformen, zur Unterstützung
der Schulung individueller musikalischer Fertigkeiten, die für den Musikunterricht von
Relevanz sind, z. B. in Form eines Instrumentalunterrichts in so genannten
Bläserklassen, Streicherklassen, etc.
Außerdem erscheint mir die Kopplung von Musikklasse und erweitertem
Musikunterricht erst im Zusammenhang von Musikklasse und flankierendem
Instrumentalunterricht als sinnvoll. Trotzdem muss meines Erachtens eine Musikklasse
nicht zwangsläufig abhängig von einem erweiterten Musikunterricht sein, sondern kann
durchaus auch dem regulären Zeitpensum der jeweiligen Stundentafel angepasst
werden.
Zusammenfassung und Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Begriff „Klassenmusizieren“ in sehr
unterschiedlichen Kontexten vorkommt und oft mit anderen Begriffen erweitert auftritt,
die Aufschluss über Instrumente, eine musikalische Stilrichtung, Medien oder
Methoden enthalten.
Er umschreibt in der Regel das aktive Musizieren im Klassenverband, das im
Pflichtunterricht im Fach Musik einer allgemein bildenden Schule eine aktive
musikalische Betätigung für alle Schülerinnen und Schüler der Klasse darstellt.
Klassenmusizieren ist somit didaktisch-methodisch geplante Tätigkeit im
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Musikunterricht. Der praktische Umgang mit dem Gegenstand Musik steht zwar im
Vordergrund, aber das Tun ist nicht reiner Aktionismus, sondern musikalischer
Lernprozess, der die Reflexion über Musik zur Erfüllung des Lehrplanes und des
Bildungsauftrages in gleicher Weise enthält.
Dabei kann „Klassenmusizieren“ zwei unterschiedlichen Ausprägungen annehmen:
1. Die Form einer Musikklasse, in der alle Schülerinnen und Schüler dieser Klasse ein
Instrument meist einer bestimmten Instrumentenfamilie erlernen, um im
Musikunterricht gemeinsam zu musizieren (zum Beispiel: „Klassenmusizieren mit
Blasinstrumenten“ oder „Klassenmusizieren mit Streichinstrumenten“).
2. Oder in Form eines heterogenen Klassenmusizierens, bei dem das gemeinsame
Singen und/oder das gemeinsame Musizieren einen gewichtigen Unterrichtsinhalt
darstellt. Dabei kann das Musizieren unter Zuhilfenahme des Spiels auf schultypischen
Musikinstrumenten (Orff-Instrumenten, „Boomhawckers“, etc.) oder des Spiels von
Instrumenten, die für populäre Musikformen typisch sind, Neuer Medien oder sonstiger
musikalischer Betätigungsformen der Schülerinnen und Schüler zur Gewinnung
musikalischer Erfahrungen geschehen.
Literatur
Bähr, Johannes (2005): Klassenmusizieren. In: Jank, Werner (Hg.): Musikdidaktik.
Cornelsen Verlag, Berlin
Biedermann, D.; Hein, C.; Müller-Waldheim, G. (2003): „Boomwhackers Musical
Tubes – Arrangements und Spielstücke für das Klassenmusizieren“. Schott Music
International, Mainz
Ewen, Richard (1997): „Klassenmusizieren mit klassischer Musik“. In: Musik und
Bildung, 1/97, Schott Verlag, Mainz
Färber, Jürgen (2002): „Hip-Hop, Bytes und coole Beats – Klassenmusizieren mit dem
Computer“. Lugert Verlag, Oldershausen
Fromm, Michael (2006): „1st Class Rock – Die Bandklasse“. Lugert Verlag,
Oldershausen