Quartalsbericht DR Kongo - Hanns-Seidel
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Quartalsbericht DR Kongo - Hanns-Seidel
QUARTALSBERICHT Projektland: DR Kongo Quartal/Jahr: III/2012 SCHLAGZEILEN 1. Der Krieg im Osten spitzt sich zu. Die Rebellen der M23 drohen weiterhin, die Provinzhauptstadt Goma einzunehmen und haben eine eigene Regierung in den von ihnen besetzten Gebieten ernannt. Ruanda bestreitet weiterhin jegliche Unterstützung der M23. Verschiedene Rebellengruppen im Süd-Kivu, aber auch im Ituri konnten sich neu- oder wiederformieren und Gebiete einnehmen. Im Kasai scheint eine neue Rebellion begonnen zu haben. Verknüpfungen der verschiedenen Rebellengruppen untereinander werden von diesen noch bestritten. Die Zahl der Binnenflüchtlinge in der Region wird auf über zwei Millionen Kongolesen geschätzt. 2. Vom 12. bis 14. Oktober 2012 wird der Gipfel der frankophonen Länder in Kinshasa abgehalten werden. 3. Die Bundesrepublik Deutschland hat der DR Kongo ihre Auslandsschulden in Höhe von ca. 500 Millionen EUR erlassen. Krieg im Osten des Landes Mehrere militante Rebellengruppen wüten weiterhin im Osten des Landes in den beiden Kivu-Provinzen, sowie im Ituri. Gegen Ende des Berichtszeitraums drohten die Rebellen der M 23 erneut die Provinzhauptstadt Goma einzunehmen. Hierzu kam es jedoch nicht. Nichtsdestotrotz fanden im gesamten Berichtszeitraum immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den Rebellen der M23 und der kongolesischen Armee, der FARDC, statt. Dabei wurden massiv die Menschenrechte verletzt, unter anderem durch Plünderungen und Massaker an Zivilisten. Nach UN-Angaben werden über 50 % der Menschenrechtsverletzungen durch die FARDC begangen. Mehr als 2.500 Personen, darunter 30 % Kinder, wurden laut einem Bericht der NGO „Heal Africa“ zwischen Januar und Juni 2012 in der Provinz Nord-Kivu vergewaltigt. Die Zahl der Binnenflüchtlinge in der gesamten Region wird auf über zwei Mio. Kongolesen geschätzt, die sich teils in den Wäldern versteckt halten und von jeglicher Hilfsleistung abgeschnitten sind. Durch die fluchtbedingte Vernachlässigung der Landwirtschaft verschlechtert sich auch die Ernährungssituation der Bevölkerung erheblich. Das sinkende Angebot treibt die Preise in die Höhe. Der kongolesische Landwirtschaftsund lokale Entwicklungsminister erklärte, dass auch das Welternährungsprogramm, die FAO und andere NGOs nicht ausreichend Nothilfe für die über zwei Mio. Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, DR Kongo, Quartal3/2012 1 Flüchtlinge leisten könnten. Zudem nimmt die Wilderei zu: Vier der von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärten Parks sind durch die regionale Instabilität bedroht. M23 Regierung Die Rebellengruppe M23 gab im August bekannt, über ein politisches Kabinett zu verfügen. Dieses bestehe aus einem Exekutivsekretär, zehn Abteilungsleitern und zehn Stellvertretern. Die Aufgabe der Abteilungsleiter sei die Verwaltung der Bewegung. Die Rebellengruppe setzt sich überwiegend aus desertierten Soldaten der kongolesischen Armee zusammen, die bis 2009 der “kongolesischen Tutsi-Rebellengruppe“ der CNDP (National Congress of the Defence of the People) um den General Nkunda angehörte. Allerdings scheint sich die Truppe der M23 nicht ausschließlich als Vertretungsorgan der kongolesischen Tutsi zu betrachten, sondern wirbt wohl auch gezielt um kongolesische Hutu in der Region. Human Rights Watch berichtet, dass seit Juli 2012 mindestens 137 Männer und Jungen im Distrikt Rutshuru zwangsrekrutiert worden seien. Des Weiteren heißt es dort, dass die M23 Exekutionen an Deserteuren oder Rekrutierungsverweigerern durchgeführt habe. Auch reißen die Berichte nicht ab, dass die M23 in Ruanda Soldaten rekrutiere. Ruanda bestreitet unverändert jede Beteiligung und Unterstützung an der M23. Rebellengruppen im Süd-Kivu Im „Schatten“ der M23, deren Auseinandersetzungen mit der FARDC den Großteil der nationalen und internationalen Aufmerksamkeit beanspruchten, konnten auch die ruandischen Hutu-Rebellen der FDLR, wohl in Zusammenarbeit mit den Maï-MaïMilizen der Gruppe Raia-Mutomboki, etliche Attacken gegen die Zivilgesellschaft durchführen und die Kontrolle über neue Gebiete im Süd-Kivu gewinnen. Eine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Rebellengruppen wurde bisher von deren Seite nicht bestätigt. Insbesondere die M23 bekräftigt immer wieder, die Bevölkerung gerade vor FDLR und Maï-Maï-Milizen schützen zu müssen. Entsendung einer neutralen Truppe Die elf ICGLR-Mitgliedstaaten (International Conference for the Great Lakes Region) haben in der vierten Verhandlungsrunde über die Entsendung einer internationalen neutralen Einsatzgruppe entschieden, die im Osten des Landes die Rebellengruppe M23, die ruandische Hutu-Gruppe FDLR und andere Rebellengruppen bekämpfen soll. Dabei wurde beschlossen, dass Tansania die ersten Soldaten entsenden wird. Es ist keine Beteiligung Ugandas, Burundis oder Ruandas vorgesehen, mit der Begründung, dass diese Staaten schon mehrfach in Kriege und die Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe im Ost-Kongo beteiligt waren. Der Verteidigungsminister der DRK fordert eine Truppenstärke von mindestens 4000 Mann. Unklar bleibt, wie die Koordinierung mit den 19.000 stationierten Blauhelmen und mit der kongolesischen Armee (FARDC) verlaufen soll. Auch die Finanzierung der Operation ist noch nicht bekannt, die Truppen sollen aber unter einem Mandat der Afrikanischen Union und der UNO agieren. Ob diese Truppe tatsächlich eines Tages errichtet und im Ost-Kongo eingesetzt wird, erscheint vor diesem Hintergrund sehr fraglich. Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, DR Kongo, Quartal3/2012 2 Neue Rebellengruppe MPRC In Ituri, in der Provinz Orientale, hat sich im August eine neue Rebellengruppe mit dem Namen „le Mouvement de résistance populaire du Congo“ (MPRC) formiert. Diese setzt sich aus Deserteuren der kongolesischen Armee und anderen Rebellengruppen zusammen. Sie fordern den Abzug des Staatsanwaltes und des Verwaltungsleiters des Distrikts. Sie erklärten, über eine bewaffnete Gruppe zu verfügen und zeichneten sich mittlerweile auch schon für einige Übergriffe auf die Zivilgesellschaft verantwortlich. Insgesamt ist derzeit im Ost-Kongo das gesamte Grenzgebiet entlang der Länder Uganda, Ruanda und Burundi ein Pulverfass und kann als „Kriegsgebiet“ bezeichnet werden. Auch in den größeren Städten, vor allem in Goma, hat sich die Sicherheitslage in den letzten Monaten katastrophal entwickelt. Offizielle Präsenz ruandischer Soldaten im Kongo Ruanda gab Ende August den Abzug seiner Spezialeinheit aus dem Ost-Kongo in Rutshuru bekannt, die laut dem ruandischen Verteidigungsminister seit 2009 an der Seite der kongolesischen Armee FARDC gegen die Rebellengruppen der FDLR gekämpft haben soll. In der Öffentlichkeit sorgte diese Neuigkeit für Empörung. Die Operation war zwar bekannt, aber man hatte angenommen, dass sie seit langem beendet sei, da die kongolesische Regierung Ruanda beschuldigt, die Gruppe der M23 zu unterstützen, die ruandischen Soldaten auf der eigenen Seite aber verschwiegen hat. Die kongolesische Oppositionspartei UDPS warf dem Präsidenten Kabila Hochverrat vor und forderte von der Justiz die Anklage vor Gericht. Den Beweis für die Komplizenschaft mit der ruandischen Regierung sieht die Partei E. Tshisekedis in dem Verschweigen der ruandischen Militärtruppe in Rutshuru. Nach dem Abzug der ruandischen Spezialeinheiten übernahmen die Rebellen der M23, der FDLR und einer Mai-Mai-Gruppe die Kiwaja-Nyamilima-Ishasha-Verkehrsachse und teilten sie untereinander auf. Reaktionen auf die Kämpfe im Osten Ende August fanden u.a. in Kinshasa und Matadi mehrere Protestbekundungen gegen die Kämpfe im Osten statt. Unter anderem taten sich Muslime und Christen zusammen, um gegen die Balkanisierung des Landes zu demonstrieren und sammelten Unterschriften, die an den Generalsekretär der UN, Ban Ki-Moon, geschickt werden sollen. Unter der Bevölkerung Kinshasas herrscht wenig Vertrauen in die Politik. Einige Intellektuelle klagen Kabila an, ein Komplize der Rebellengruppen im Osten zu sein, andere hegen große Ressentiments gegenüber der Regierung Ruandas und gegen ruandophone Bevölkerungsgruppen. Der im Juni 2012 veröffentlichte UN-Bericht bestätigt die Vermutung, dass die militante Rebellengruppe M23 finanzielle Unterstützung von Ruanda erhält. In Reaktion auf den Bericht forderte das europäische Netzwerk „Réseau européen pour l'Afrique centrale“ alle Mitgliedstaaten der EU auf, die finanzielle Entwicklungshilfe für Ruanda auszusetzen und Programme der Entwicklungshilfe zu begrenzen. Der Bericht zeige Bilder versteckter Waffen, offizieller Dokumente und abgefangener Funkkommunikationen. Ruanda dementiert jedoch weiterhin die Unterstützung der Rebellengruppe. Nachdem die USA und die Niederlande ihre Entwicklungshilfe für Ruanda vorerst suspendiert hatten, folgte im Juli die Bundesrepublik ihrem Beispiel. Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, DR Kongo, Quartal3/2012 3 Nahezu alle europäischen Länder und internationale Organisationen forderten die beteiligten Akteure im Ost-Kongo auf, eine friedliche und diplomatische Lösung zu finden. Das Engagement von AU und SADC zur Lösung des Konflikts wurde sehr begrüßt. Deserteure in Kasaï-Orientale In der Provinz Kasaï-Orientale desertierte Mitte August der Armeeoberst John Tshibangu und hatte sich zunächst mit rund einem Dutzend Kameraden unter dem Namen „Bewegung zur Einforderung der Wahrheit der Wahlurnen“, die die Anerkennung des Wahlsiegs Etienne Tshisekedis fordert, im Untergrund versteckt. Die FARDC begann sogleich mit einer militärischen Operation zur Ergreifung des abtrünnigen ehemaligen Vize-Kommandanten der vierten kongolesischen Militärregion. Diese führte zu Vertreibungen und Flucht. Von Seiten der Provinzregierung wurden außerdem 20.000$ Belohnung für die Ergreifung Tshibangus ausgesetzt. Spekulationen über eine angebliche Zusammenarbeit und Verknüpfung der Deserteure mit den Rebellen der M23 wurden geäußert. Sollte dies der Fall sein, dann könnte diese Desertation eine ernsthafte Gefahr für die Stabilität im Kongo darstellen, da in diesem Fall die M23 kein regionales Problem mehr wäre. Frankophonie François Hollande gab bekannt, dass er am „Gipfel der Internationalen Organisation der Frankophonie“ teilnehmen werde, welcher vom 12. bis zum 14. Oktober in Kinshasa stattfinden wird. Er verkündete, dass er an den demokratischen Werten Frankreichs festhalte und den Kampf gegen die Korruption vorantreiben wolle. Dies ist der erste offizielle Besuch des neuen Amtsinhabers in Afrika. Für Verärgerung innerhalb der kongolesischen Regierung sorgte jedoch seine Feststellung, dass die demokratischen Bedingungen in der DR Kongo „nicht akzeptabel“ seien. Insgesamt werden in Kinshasa für den Frankophonie-Gipfel über 70 Regierungschefs und über 5.000 Besucher erwartet. Aus Anlass des Ereignisses schickte der Generalsekretär der Organisation der Frankophonie, Abou Diouf, eine Delegation von Mitarbeitern nach Kinshasa, um das offizielle Dokument zur Vorbereitung des Gipfels zu übergeben. Darin werden die technischen, logistischen, politischen und organisatorischen Bedingungen genannt. In diesem Zusammenhang fanden in Kinshasa weitere „Säuberungsaktionen“ statt, um „eine gastfreundliche Atmosphäre zu schaffen“. Zu diesen Säuberungsaktionen gehören beispielsweise die Zerstörung und der Abriss von einfachen Biergärten und Kiosken, aber auch Maßnahmen der Straßenausbesserungen, um die infrastrukturellen Anforderungen zu erfüllen. Zudem wird auch die Freilegung der alten Bahngleise, die zwischenzeitlich von illegal errichteten Wohnhäusern und Marktständen überbaut waren, fortgeführt. Die ehemaligen Bewohner und Mieter erleiden dadurch einen hohen finanziellen Schaden. Entlang der großen Boulevards laufen derweil die Vorbereitungen auf Hochtouren: Flaggen werden gehisst, auf dem Gelände des „Stade des Martyrs“ Pavillons errichtet und vor allem der Straßenbau zwischen Flughafen und Stadt beschleunigt. Während Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, DR Kongo, Quartal3/2012 4 des Gipfels ist mit massiven Verkehrsproblemen zu rechnen und einige strategische Straßen werden wohl vollständig gesperrt werden. Etwa 5.000 Polizisten und Soldaten sollen in der Stadt für „Sicherheit“ sorgen. Die Reaktionen der politischen Lager waren gemischt. Einige Oppositionsmitglieder begrüßten die Nachricht (MLC), Vertreter von Zivilgesellschaftsorganisationen und anderen Oppositionsparteien forderten eine Verlegung des Gipfels aufgrund des Zustandes des Landes. Die Partei UDPS um Etienne Tshisekedi sieht in dem anstehenden Besuch Hollandes eine Legitimation von Joseph Kabila. Für Genugtuung sorgte jedoch die Ankündigung Hollandes, er wolle auch ein ausführliches Gespräch mit Etienne Tshisekedi führen. Dieser hat mittlerweile seine Anhänger dazu aufgerufen, ihn zu diesem Treffen zu begleiten und vor den Gipfelteilnehmern gegen die politischen Bedingungen im Kongo zu demonstrieren. Dass dies friedlich stattfinden wird, erscheint fraglich. Der politische Koordinator der Rebellengruppe M23 zeigte sich überrascht vom Entschluss Hollandes, das Land zu besuchen und bezeichnete seinen Besuch unter den momentanen Umständen als eine Demütigung für das kongolesische Volk. Die Bevölkerung Kinshasas hat größtenteils keine Erwartungen an den Gipfel, in der „cité“ ist kaum bekannt, was die Frankophonie überhaupt ist. In der einfachen Bevölkerung hat man durchaus andere, wichtigere Probleme, das tägliche Leben zu meistern. Einzig der nun doch sehr rasche Ausbau einiger Straßen wurde begrüßt. Schuldenerlass Der deutsche Botschafter in der DRK, Dr. Peter Blomeyer, gab Mitte August bekannt, dass die Bundesrepublik Deutschland der Demokratischen Republik Kongo insgesamt 500 Millionen Euro Schulden erlässt. Deutschland folgte damit einem Prozess, der im Juli 2010 begann, als der Kongo die von der Initiative „Heavily Indepted Poor Countries“ geforderten Bedingungen erfüllt hatte. Daraufhin begannen viele Länder dem Kongo 90 % seiner ausländischen Schulden zu erlassen. Götz Heinicke Der Autor ist Leiter der Vertretung der Hanns-Seidel-Stiftung in Kinshasa, DR Kongo. Bericht erstellt unter Mitarbeit von Katja Lauth und Alexander Tacke-Köster. IMPRESSUM Erstellt: 11.10.2012 Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Copyright 2011 Lazarettstr. 33, 80636 München Vorsitzender: Prof. Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair, Staatsminister a.D., Senator E.h. Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf Verantwortlich: Christian J. Hegemer, Leiter des Instituts für Internationale Zusammenarbeit Tel. +49 (0)89 1258-0 | Fax -359 E-Mail: [email protected] | www.hss.de Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, DR Kongo, Quartal3/2012 5