Predigt am 16. Sonntag nach Trinitatis – 7. September 2008

Transcrição

Predigt am 16. Sonntag nach Trinitatis – 7. September 2008
Predigt am 16. Sonntag nach Trinitatis – 7. September 2008 – Thema Geduld
Pastor Dr. Thies Gundlach, OKR
Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herren JC…
Liebe Gemeinde,
Wann waren Sie das letzte Mal ernsthaft ungeduldig, ärgerlich ungeduldig, zornig ungeduldig?
Oder kennen Sie dies Gefühl gar nicht? Sind Sie ganz entspannt im Hier und Jetzt? Wann sind sie
das letzte Mal so richtig ausgerastet? Gegenüber den Kindern oder Enkeln, die dann doch wieder
nicht im Traum daran dachten, die Teller wegzuräumen oder die Küche aufzuräumen? Gegenüber
dem Partner, dem man nun doch schon dreißig Mal erklärt hat, dass man keine Lust auf Museum
oder Sport hat? Gegenüber dem Langsameren, weil man auch nicht alles viermal erklären kann?
Gegenüber diesen Tausenden von schlechten Autofahrern/innen, die einen regelmäßig umzingeln?
Liebe Gemeinde, ich glaube, es gilt hier der Satz: Zeige mir die Anlässe deiner Ungeduld und ich
sage Dir, wer Du bist! Denn das ist ja klar: Nirgends brennt die Sicherung so leicht durch, nirgends
arbeitet die Adrenalinpumpe so schnell und effektiv als dort, wo man seine eigenen Grenzen nicht
erträgt. Ungeduld zeigt in der Regel die eigenen, nicht die fremden Grenzen! Das gilt auch
geistlich: Nirgends bekommt die Ungeduld so leicht Nahrung wie dort, wo Gott trotz dringlicher
Bitten ausbleibt, wo sein Segen nicht gleich zu spüren ist, wo seine Gerechtigkeit auf sich warten
lässt und wo Unglück nicht verhindert wurde. Wir Menschen verlieren auch geistlich schnell die
Geduld mit Gott. Und das war wohl schon immer so, jedenfalls legt sich diese Vermutung nahe
durch den für heute vorgesehenen Bibeltext aus dem 10.Kapitel des Hebräerbriefes:
„Darum werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Geduld aber habt ihr
nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt. Denn »nur noch eine kleine
Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben. … Wir aber sind
nicht von denen, die zurückweichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und
die Seele erretten.“ (Hebr 10, 35 – 39)
Liebe Gemeinde,
diese Mahnung zur Geduld spiegelt eine der dramatischsten Situationen der frühen Christenheit
wider, eine Infragestellung des jungen Glaubens, die an den Grundfesten nagte. Denn damals gab
es einen Grundsatz, der von Jesus und seinen Jüngern ebenso geteilt wurde wie von vielen
anderen jüdischen Gruppierungen. Der Grundsatz hieß: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist
nahe herbeigekommen, das Ende der Welt steht unmittelbar bevor.
Für die ersten Christen hieß das: Die Wiederkunft Christi, die Rückkehr des Auferstandenen steht
unmittelbar bevor. Deswegen konnten sie Haus und Hof, Ehe und Familie, Besitz und Reichtum
relativieren, nicht mehr so wichtig finden und untereinander teilen, denn was bedeutete schon ein
großes Bankkonto, wenn das Ende der Welt nahe war? Vermutlich kann man dieses
apokalyptische Lebensgefühl gar nicht so eindrücklich beschreiben, dass es uns heute auch im
Herzen berührt. Denn wir alle leben heute komplett anders. Natürlich wird es noch viele Tage
unter Gottes Sonne geben, natürlich rechnet niemand ernsthaft, also existentiell mit dem baldigen
Ende der Welt, und natürlich wirkt eine Sekte, die diese Naherwartung hat, abständig und fremd.
Damals aber war dies das alles bestimmende Lebensgefühl und man kann vielleicht ahnen,
welche Enttäuschung einsetzte, als diese sog. Naherwartung enttäuscht wurde. Christus blieb aus,
der Menschensohn kehrte nicht zurück auf den Wolken des Himmels, die Völkerwanderung zum
Zion blieb touristisch motiviert. Mit jedem neuen Morgen fraß sich der Zweifel stärker in die Seele,
mit jeder weiteren Mittagshitze schmolzen die Grundfeste des Glaubens an bevorstehende
Wiederkunft, mit jedem kühlen Abendhauch kühlte sich die angespannte Naherwartung ab. Die
Theologen nennen diese Glaubenskrise der frühen Christen etwas akademisch
„Parusieverzögerung“, aber im Kern ist es die erste, fundamentale geistliche Enttäuschung der
frühen Christen.
In diese Situation hinein nun beschwört der Hebräerbrief die Gemeinden: Werft euer Vertrauen
nicht weg, bleibt geduldig, Gott kommt, Christus ist unterwegs, es dauert nur noch eine kleine
Weile. Gebt nicht auf, habt Langmut, also lange Zeit Mut, harret aus, denn nur mit dieser Treue
und mit diesem Beharrungsvermögen gibt es jene Belohnung, die im Glauben zugesagt ist. Wer
jetzt aufgibt, wer jetzt sein Vertrauen wegwirft, der verliert alles. Wer jetzt die Geduld verliert und
seine Hoffnung auf Gottes Kommen fahren lässt, der gehört zu den Zurückweichlern (Weicheiern),
jenen Feiglingen und Memmen, die kein Standhaftigkeit haben, die keine Steher sind (sondern
Warmduscher & Lau-Bader), die allzu bald einknicken, wenn ihre Treue zu Gott geprüft wird.
„Wir aber sind nicht von denen, die da weichen“, sagt der Hebräerbrief, und meint: So sind die
Echten nicht, wir gehören nicht zum Stamme „Geh!“, wir sind keine Wegwerf-Gesellschaft, die
Vertrauen und Zuversicht in den Müll schmeißen. Wir wollen bleiben, Geduld und Langmut zeigen
und auf Gott warten.
Es gibt ja, liebe Gemeinde, manchmal in den Feuilletons die kühne Behauptung einer gewissen
Verwandtschaft zwischen unseren Tagen in der modernen Welt und jener Zeit des Neuen
Testaments. Die offensichtliche „Wiederkehr der Götter“ und des fröhlichen „Lob des
Polytheismus“, die offensichtliche „Wiederentdeckung der Religionen“ in ihrer Vielzahl auch in
unserem Lande, die verbreitete Sehnsucht nach geistlicher Erkenntnis und meditativer
Versenkung in unserem hochindividualisierten Leben, die mitunter angestrengte Suche nach Sinn
und Bedeutung für das eigene Leben, nach Überwindung der Beliebigkeit, die alles gleich gültig
sein lässt, die oft etwas zufällig wirkende Suche nach glaubwürdigen spirituellen Lehrern, die
mitunter verblüffende Geschichts- und Wurzellosigkeit dieser Suche usw., - all diese Phänomene
hat es damals so wie heute gegeben. Die Welt zur Zeit Jesus und der ersten Christen war wie ein
Marktplatz der spirituellen Möglichkeiten, wie eine Halle der religiösen Vielfalt und wie eine
Versammlung der meditativen Angebote. Und nur eines dieser Angebote, nur eine dieser
optionalen Frömmigkeiten war jener jüdisch geprägte, christlich gewordene Glaube an die
Wiederkunft des Menschensohnes. Eine Kleingruppe innerhalb der jüdische Gemeinde verkündigte
diesen Glauben mit Inbrunst und überzeugten damit auch viele andere. Aber dann blieb die
angekündigte Wiederkunft des Auferstandenen aus, der Himmel blieb stumm, die Wolken
regneten niemanden aus, Christus erschien nicht.
Liebe Gemeinde, man kann sich ja nun ernsthaft fragen, warum die junge Christenheit diese Krise,
die schwere Infragestellung überhaupt überstand. Warum verschwand der Christusglaube nicht
einfach wieder, so wie sich vorher und später ungezählte Endzeitpropheten von alleine erledigten,
weil ihre Voraussagen nicht zutrafen. Das hat glaube ich mit der Geduld als geistliche Tugend zu
tun; ich erläutere dies mit einer kleinen Geschichte aus meiner Studienzeit:
Ich wohnte damals in einer Wohngemeinschaft so dicht an der Universität in Hamburg, dass wir
einen beeindruckenden Besucherstrom und einen ebensolchen Kaffeeverbrauch zwischen den
Seminaren und Vorlesungen hatten. Es wurde viel diskutiert, manchmal träume ich noch heute
von diesen intellektuell unbeschwerten Zeiten, als man noch Zeit hatte, jede neue These, jede
frische Idee, jede originelle Wendung eines Gedankens verfolgen zu können. Eines Tages
jedenfalls saßen wir mit vielen Leuten am großen Küchentisch und diskutiert über die
mittelalterlichen Mönchsorden, über ihr leichtes Leben in der damaligen Ständewelt, das ihnen
von Leibeigenen und armen Bauern ermöglicht wurde. Wir fanden es empörend und waren doch
wieder einmal stolz darauf, evangelisch zu sein. Aber plötzlich rief einer in die Runde: „Die
Mönche beteten täglich für die Bauern, dass Gott Geduld haben möge mit ihnen und ihren Sünden.
Und die Bauern dankten den Mönchen diesen Dienst mit Brot und Wein, mit Korn und Schwein,
und baten die Mönche inständig, nicht nachzulassen in ihrem Gebet, damit Gott nicht seine Geduld
verlor. „Und“ - so war der Schlusssatz – „vielleicht besteht die Welt ja wirklich nur noch, weil es
immer noch Menschen gibt, die Gott um Geduld bitten!“
Mich hat das damals ziemlich berührt, einmal weil ich mich geschämt habe ob meiner doch etwas
platten, vordergründigen, banalmarxistischen Interpretation des Verhältnisses zwischen Mönchen
und Bauern. Die Bauern waren nun nicht nur ausgebeutete Dummköpfe und die Mönche waren
nicht nur fette Blutsauger. Wie viel mehr Respekt und Achtung, Würde und Wahrheit wächst
beiden Seiten zu, wenn man sie geistlich ernst nimmt. Zum anderen aber habe ich damals
erstmals erahnt, dass es vielleicht doch nicht ganz egal ist, ob wir Gott beständig anrufen und um
seine Geduld bitten oder nicht. Denn solche Gebete halten ein Wissen darüber aufrecht, dass Gott
mit uns, aber auch wir mit Gott Geduld haben müssen.
Denn jeder, der ein geistliches Leben zu führen versucht, der seine religiöse Musikalität nicht mit
Terminen zuschüttet, der weiß, dass es diese Situation des Wartens auf Gottes Kommen immer
geben wird, mitunter schrecklich lang und schwer. Gott kommt nicht auf Bestellung, er ist nicht
auf Kommando zur Stelle, und bleibt mitunter auch dann aus, wenn der Kummer groß und größer
wird, wenn die Krankheit schwer und schwerer und die Sehnsucht tief und tiefer wird. Gott kann
tiefer schweigen und länger stille sein als es uns Menschen ertragbar erscheint.
Und natürlich kann man sich dann enttäuscht abwenden. Ich gestehe, ich habe als Pastor manche
Lebensgeschichte anvertraut bekommen, die mich fast sagen lassen: diese Enttäuschung kann ich
verstehen. Und weil dies mitunter so ist, ist es gut, dass andere dann für uns beten, dass andere
sozusagen einspringen und stellvertretend die Stimme zu Gott erheben. Aber oftmals hat die
Abwendung auch mit Unduldsamkeit gegenüber Gott zu tun: „Ich habe Gott angerufen, er hat nicht
geholfen, also lass ich es“. In unserer Welt mag es keine allgemeine Endzeiterwartung mehr
geben, eine individuelle Erwartung gibt es aber sehr wohl und dann eben auch eine individuelle
Parusieverzörgerung. Gott kommt nicht in meine Seele, wenn ich rufe, und also verliere ich die
Geduld.
„Wir aber sind nicht von denen, die da weichen…“, ein starker, irgendwie auch männlichmilitärisch klingender Satz, aber deswegen nicht gleich falsch:
Wir wollen nicht weichen, wir halten die Stellung, wir sichern die schweren Übergänge zwischen
Gott und Zuversicht, wir verteidigen die bedrohte Linie des Vertrauens in Gott.
Liebe Gemeinde, man mag über diesen appellativ-pathetischen Ton des Hebräerbriefes etwas
schmunzeln, aber ich glaube wohl, es geht auch in unseren Tagen um jene Wahrheit, die die
Mönche in den Jahrhunderten treu und beständig festgehalten haben:
Auch zu diesem mitunter ausbleibenden, sich verbergenden Gott zu stehen, auch seine Stille zu
ertragen, auch seine Ferne hinzunehmen und ihn dennoch anzurufen und an ihm festzuhalten, und
sein Ausbleiben zu verteidigen als sein gutes Recht. Der Glaube lebt auch von einer geduldigen
Tapferkeit für den Gott, der eben nicht alle Wünsche gleich erfüllt und nicht allen Erwartungen
entspricht. Wenn wir den wahrhaftigen Gott wollen, dann müssen wir zu denen gehören, die
geduldig Gottes Freiheit verteidigen auch gegen die eigenen spirituellen Wünsche und geistlichen
Erwartungen. Obwohl wir nicht mehr in Klöstern leben und uns Laudes oder Komplet kaum noch
etwas sagen, wollen wir auf unsere Weise auch „mit unser kleinen Kraft üben gute Ritterschaft“,
wie es im Lied 263 „Sonne der Gerechtigkeit, Vers 6 heißt. Denn ich glaube schon, diese geistliche
Geduld macht uns frei, jene Würde und Achtung zu spüren, die der Studentenfreund damals in
unsere Diskussion auf Mönche und Bauern legte: Wer um Gottes Geduld mit uns weiß, der ahnt
auch den Segen, die Belohnung, die Reife und Tiefe, die unsere Geduld mit Gott mit sich bringen
kann. Amen