Das neue Euro NCAP Rating

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Das neue Euro NCAP Rating
Bundesanstalt für Straßenwesen
Das neue Euro NCAP Rating
Wie Euro NCAP begann
Das European New Car Assessment Programme (Euro NCAP) ist ein Konsortium,
dessen elf Mitglieder sich aus Regierungsvertretern, Auto Clubs und Verbraucherschutzorganisationen zusammen setzen. Beteiligt sind die Verkehrsministerien von
Schweden, Frankreich, England, Luxemburg, Niederlande, Katalonien und Deutschland (vertreten durch die BASt), die FIA, der ADAC, der Dachverband der Verbraucherschutzorganisationen ICRT und das Forschungsinstitut der britischen KfzVersicherer Thatcham (Bild 1).
Bild 1: Mitglieder von Euro NCAP
Euro NCAP hat zur Verbraucherinformation bereits am 4. Februar 1997 die ersten
Crashtest-Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentiert. Getestet werden zum einen die
Fahrzeuge in einem Frontalaufprall, einem Seitenaufprall und - sofern ein Kopfschutzsysteme vorhanden ist – in einem Pfahl-Seitenaufprall. Hieraus wird die Sternebewertung für den Schutz der erwachsenen Insassen ermittelt. Im Frontal- und
Seitentest befinden sich auch Kinder-Dummies in vom Hersteller empfohlenen Kinderschutzsystemen (KSS) im Fahrzeug. Aus den Ergebnissen der Teste und auch
beispielsweise der Beurteilung der KSS wird die Sterne-Bewertung der Kindersicherheit bestimmt. Zum anderen werden auch noch Teste mit Impaktoren, die etwa den
Kopf oder das Bein eines Menschen simulieren sollen, gegen die Front des Fahrzeugs durchgeführt, um das Schutzpotenzial des Fahrzeugs im Falle einer Kollision
mit einem Fußgänger zu ermitteln (Testübersicht in Bild 2).
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Bild 2: Euro NCAP Crashteste und Sternebewertungen (bis 2009)
Die Testbedingungen lehnten sich zwar an die damals geplanten EG-Richtlinien zum
Frontal- und Seitenaufprall an, aber zur besseren Differenzierung der getesteten
Fahrzeuge wurden die Testbedingungen und die für die Bewertung genutzten
Grenzwerte zum Teil drastisch verschärft.
Dieses führte in der „Geburtsstunde“ des Euro NCAP zu der Aussage von Kritikern,
dass mit derart hohen Anforderungen ein 4-Sterne Ergebnis im ErwachsenenInsassenschutz praktisch unerreichbar sei. Tatsächlich aber hat sich die durchschnittliche Anzahl der Bewertungssterne für die Erwachsenen-Insassensicherheit
über die Jahre von anfänglich etwa 2 Sternen auf heute bis zu 5 Sternen erhöht. Dieses zeigt zum einen, dass durch die Innovationskraft der Automobilindustrie die
Fahrzeugsicherheit ständig weiter gesteigert worden ist. Zum anderen zeigt es aber
auch, dass die sehr hohen Test- und Bewertungsstandards, die Euro NCAP mit der
ersten Veröffentlichung gesetzt hat, zu einem bedeutenden Teil in die Lastenhefte
der Hersteller für die Entwicklung neuer Fahrzeuge eingeflossen sind.
Warum ein neues Rating-Verfahren?
In den letzten Jahren war nun festzustellen, dass es im ErwachsenenInsassenschutz kaum noch Differenzierungsmöglichkeiten im Hinblick auf das Sicherheitspotenzial durch Euro NCAP gab. Etwa die Hälfte aller getesteten Fahrzeuge
erreichte ein 5-Sterne Rating, während es kaum noch ein 3-Sterne Rating oder
schlechter gab (Bild 3).
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Bild 3: Sterne-Verteilung für die Bewertung der Sicherheit der erwachsenen vorderen Insassen
Im Gegensatz dazu zeigte sich in der Fußgängerschutzbewertung kaum eine Entwicklung hin zu deutlich verbesserten Sicherheitsniveaus (Bild 4).
Bild 4: Sterne-Verteilung für die Fußgängerschutz-Bewertung
Dieses lag auch daran, dass Fahrzeughersteller gut mit dem Ergebnis aus dem Erwachsenen-Insassenschutz ihr Produkt bewerben konnten, während die Ergebnisse
des Kinder-Insassenschutzes oder gar des Fußgängerschutzes kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen worden sind.
Es wurde auch immer deutlicher, dass die Verbraucher nach einem einfachen Overall-Rating fragen, welches alle Bewertungsbereiche abdeckt. Die bisherigen drei separaten Sterne-Ratings im
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• Erwachsenen-Insassenschutz
• Kinder-Insassenschutz
• Fußgängerschutz
wurden von den Verbrauchern nicht wahrgenommen oder nicht richtig interpretiert.
Der sehr einfache und pragmatische, aber sachlich falsche Weg eines Vertreters der
Boulevard-Presse, die Punkte für die verschiedenen Sternebewertungen zu addieren
und hieraus ein Ranking der Fahrzeuge (Bild 5) abzuleiten, ist irreführend. Er zeigt
aber auch, dass der Wunsch nach einer Gesamtbewertung vorhanden ist.
Bild 5: Ranking von Fahrzeugen durch eine einfache Addition der Punkte der drei Euro NCAP
Sterne-Bewertungen für erwachsene vordere Insassen, Kindersicherheit und Fußgängerschutz
Aus den genannten Aspekten wurde es daher notwendig, Maßnahmen einzuleiten,
die das Interesse der Fahrzeugindustrie und auch der Verbraucher an den Euro
NCAP Ergebnissen aufrecht erhält.
Aber es gab noch weitere Gründe für eine Überarbeitung der Euro NCAP Bewertung:
Es galt, jüngst neuentwickelte Testverfahren zum Heckaufprallschutz (Whiplash) und
im Bereich der aktiven Sicherheit (ESP, Speed Limiter) plausibel in das Bewertungsverfahren zu integrieren. Außerdem wurde immer klarer, dass zukünftig vermehrt
Systeme der aktiven und integrierten Sicherheit in die Bewertung aufzunehmen sind.
Daraus ergibt sich auch die Forderung, dass ein neues Ratingverfahren in der Lage
sein muss, in relativ kurzer Zeit einen deutlichen Zuwachs der Test- und Bewertungsverfahren in diesem neuen Bereich zu „verkraften“ – ohne hierdurch die Plausibilität zu verlieren.
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Wie sieht das neue Rating-Verfahren aus?
Um dem Verbraucher und der Presse ein leicht verständliches Rating der getesteten
Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen, wurde entschieden, auf der ersten Informationsebene nur noch ein einfaches Sterne-Rating anzubieten, das alle getesteten Kategorien (wie zum Beispiel Erwachsenen-Insassenschutz oder Fußgängerschutz)
umfasst (Bild 6).
Bild 6: Struktur der neuen Gesamtbewertung
Dieses Overall-Rating ist, anders als bisher, mit maximal 5 Sternen als beste Auszeichnung begrenzt. Neu hinzukommende oder verschärfte Anforderungen führen
zukünftig nicht zu einer Anhebung der maximal erreichbaren Anzahl von Sternen,
sondern zu einer internen Verschiebung der Kriterien, die die Grenzen der Bewertungssterne definiert. Hierdurch wird zwar ein Vergleich älterer mit neuen Ergebnissen erschwert; diese Rückwärtskompatibilität wäre aber auch auf der ersten Informationsebene tatsächlich nicht zu erreichen, wenn man – wie bisher im alten System
praktiziert – die maximale Anzahl der Sterne offen lässt und bei neuen Test einfach
nach oben erweitert (beispielsweise fünfter Stern im alten Rating durch Pfahl-Test
und Seat Belt Reminder).
Auf der zweiten Informationsebene finden sich die drei bekannten Kategorien Erwachsenen-Insassenschutz, Kinder-Insassenschutz und Fußgängerschutz und die
neue Kategorie „Safety Assist“. Diese Kategorie beinhaltet zunächst die aus dem
Erwachsenen-Insassenschutz bekannte Seat Belt Reminder- und die neu hinzugekommene ESP- und Speed Limiter-Bewertung.
Es wird erwartet, dass insbesondere neue Systeme der aktiven und integrierten Sicherheit zukünftig zu einem maßgeblichen Zuwachs bei den Test- und Bewertungsprotokollen in dieser Kategorie führen werden.
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Auf der dritten Informationsebene kann der interessierte Verbraucher detailliertere
Informationen zu den Einzelergebnissen jeder Kategorie bekommen. Auf dieser Informationsebene ist dann auch fast immer ein Vergleich mit Ergebnissen aus früheren Tests möglich – auch wenn das Overall-Rating durch neue Tests oder durch eine
Verschärfung der Anforderungen einen rückwärtsgerichteten Vergleich nicht mehr
zulässt.
Um die Aktualität eines Overall-Ratings zu verdeutlichen, werden die Ergebnisse mit
einer Datumsangabe versehen, aus der das Jahr hervorgeht, in dem das Rating auf
die Testergebnisse angewandt worden ist. Bei einer Verschärfung oder Erweiterung
des Ratings kann auf Wunsch eines Fahrzeugherstellers das Rating seines Fahrzeugmodells dem neuen Stand angepasst werden. Hierdurch würde das neu kalkulierte Overall-Rating die aktuelle Datumsangabe erhalten und ein Vergleich mit jüngst
getesteten Wettbewerbern würde dem Verbraucher ermöglicht werden.
Wie werden die Test-Ergebnisse zusammen geführt?
Um die einzelnen Ergebnisse der jeweiligen Tests aus den vier Kategorien Adult Occupant Protection, Child Occupant Protection, Pedestrian Protection und Safety Assist zu einem gemeinsamen Overall-Rating zusammenzuführen, werden zwei Methoden – die Wichtungs- und die Balancing-Methode – parallel angewandt. Am Ende
bestimmt das schlechteste Resultat aus einer dieser beiden Methoden das Gesamtergebnis.
Zunächst werden die erreichten Punkte der Tests für jede Kategorie summiert und
auf der Basis der maximal erreichbaren Punkte in der jeweiligen Kategorie normiert
(Bild 7).
Bild 7: Erfassen und Normieren der Versuchsergebnisse
Danach werden die im Folgenden beschriebenen Methoden auf dieses Zwischenergebnis angewandt.
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Die Wichtungs-Methode
Bei der Wichtungs-Methode wird das normierte Ergebnis einer jeden Kategorie mit
einem festgelegten Wichtungsfaktor der jeweiligen Kategorie multipliziert und die
Summe aus den vier Produkten gebildet. Dieser Summe wird mittels einer Auswertetabelle eine entsprechende Anzahl von Overall-Sternen zugewiesen, wodurch das
Weighted-Rating entsteht.
Bild 8: Sterne-Gesamtbewertung nach der Wichtungsmethode
Gegenwärtig sind den vier Kategorien folgende Wichtungsfaktoren zugewiesen:
Adult Occupant Protection:
50%
Child Occupant Protection:
20%
Pedestrian Protection:
20%
Safety Assist:
10%
Wenn eine Kategorie zukünftig durch Aufnahme zusätzlicher Tests erweitert wird,
bedeutet dies, dass dieser Kategorie eine größere Bedeutung in Relation zu den andern Kategorien bekommt. Dieses würde mit einer Verschiebung der Wichtungsfaktoren berücksichtigt werden, wobei die Summe aller Wichtungsfaktoren stets 100 Prozent ergibt.
In den Wichtungsfaktoren spiegelt sich die Relevanz der in die Beurteilung eingehenden Tests wider. Darüber hinaus reflektieren die Wichtungsfaktoren aber auch
die gesellschaftliche und auch die politische Bedeutung mancher Bewertungsbereiche.
Die Balancing-Methode
Bei der Balancing-Methode entscheidet die Mindestperformance in jeder einzelnen
Kategorie über das Overall-Rating. Schwächen in einer Kategorie können nicht mit
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besonders guter Performance in einer anderen Kategorie ausgeglichen werden, so
wie dieses der Fall bei der Wichtungs-Methode ist. Letztlich entscheidet die schlechteste Performance in einer Kategorie über das Gesamtergebnis, unabhängig von der
Performance in den anderen drei Kategorien.
Hierzu wird das normierte Ergebnis einer jeden Kategorie direkt in eine Auswertetabelle überführt und die geringste Anzahl von Overall-Sternen, die sich durch die
schlechteste Kategorie ergibt, bestimmt das Ergebnis.
Bild 9: Sterne-Gesamtbewertung nach der Balancing-Methode
Die Balancing-Methode soll eine möglichst homogene Sicherheitsperformance in allen Kategorien fördern. Sie stellt aber auch eine sehr wirkungsvolle Methode dar,
einzelne Schwächen aufzudecken und muss daher sehr vorsichtig eingesetzt werden. Bei allzu ambitioniert gewählten Balancing-Kriterien besteht die Gefahr, dass ein
Fahrzeug nicht nach der in Summe maximal erreichbaren Performance entwickelt
wird (wie durch die Wichtungs-Methode honoriert), sondern die Performance in guten
Kategorien im Sinne einer negativen Optimierung überarbeitet wird, da in der bestimmenden schlechtesten Kategorie keine (wirtschaftliche vertretbare) Verbesserung erreichbar scheint.
Einführung des neuen Ratings in drei Schritten
Mit diesem komplexen neuen Ratingverfahren ist eine Vielzahl von Parametern oder
Stellgrößen verbunden, die das Overall-Rating entscheidend beeinflussen können.
Bei einer allzu ambitionierten Definition dieser Stellgrößen könnte die Situation entstehen, dass ein Fahrzeug im alten Rating-System ein sehr gutes 5-Sterne-Ergebnis
im Erwachsenen-Insassenschutz aufweist, aber im neuen Rating nur noch ein 1oder 2-Sterne-Overall-Rating bekommen würde. Eine solche Entwicklung wäre nicht
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auf ein schlechtes Sicherheitsniveau des Fahrzeugs zurückzuführen, sondern lediglich auf das drastisch geänderte Rating-Verfahren.
Um gegenüber den Verbrauchern nicht unglaubwürdig zu werden und um der Automobilindustrie die Chance zu geben, sich den geänderten Anforderungen anpassen
zu können, wurde entschieden, das neue Rating in drei Schritten einzuführen. Man
spricht in diesem Zusammenhang von einem „Safe Landing“ oder auch von „Smart
Pressure“. Dabei wurde berücksichtigt, dass es bestimmte Anforderungen in einigen
zugrundeliegenden Tests gibt, die für manche Fahrzeugklassen schwieriger und mit
deutlich längerem zeitlichen Vorlauf zu erfüllen sind als andere. Insbesondere beim
Fußgängerschutz-Niveau ist eine deutliche Inhomogenität zwischen verschiedenen
Fahrzeugklassen und insbesondere zum Niveau des ErwachsenenInsassenschutzes festzustellen.
Im Sinne des „Safe Landing“ werden unterschiedliche Parametersätze im neuen Rating für die Jahre 2009, 2010–2011, 2012 und folgende angewandt (Bild 10).
Bild 10: Übersicht der steigenden Anforderungen in den einzelnen Kategorien („smart pressure“)
Dabei werden besonders die stark ansteigenden Performance-Anforderungen zum
Fußgängerschutz entsprechend der Balancing-Methode deutlich, die für ein 5-Sterne
Overall-Rating im ersten Schritt einen Erfüllungsgrad von 25 Prozent, im zweiten
Schritt von 40 Prozent und im dritten Schritt gar von 60 Prozent verlangen.
Auf den Punkt gebracht
Mit dem neuen Rating-Verfahren hat Euro NCAP ein strategisches Werkzeug entwickelt, um verschiedene Ziele zu erreichen. Man wird hiermit dem Wunsch nach einem einzelnen Overall-Rating für alle Bewertungskategorien gerecht. Zudem ist das
Rating-System in der Lage, den erwarteten substantiellen Zuwachs in der neuen Kategorie „Safety Assist“ mit wichtigen zukünftigen Systemen der aktiven und integrier-
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ten Sicherheit zu bewältigen. Durch die gestufte Einführung bis zum Jahr 2012 soll
es gelingen, zum einen den Verbrauchern weiterhin plausible Ratings zu präsentieren und zum anderen den Automobilherstellern die Möglichkeit zu geben, sich und
ihre Produkte auf die sich ändernden Anforderungen einzustellen.
August 2009