Eine 200jährige Zeit- und Familiengeschichte Zwölf

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Eine 200jährige Zeit- und Familiengeschichte Zwölf
Eine 200jährige Zeit- und Familiengeschichte
Zwölf russische Adelsporträts
Familienwappen, 1861
Im Zuge unserer regelmäßig stattfindenden Beratungstage im Palais Kinsky, wurden wir Ende letzten Jahres von einer österreichische Adelsfamilie kontaktiert. Sie legte uns eine Mappe mit aufwendig gesammelten Fotos und Familienunterlagen vor, welche
der längst verstorbene Vater in zahlreichen Stunden für seine Nachkommen zusammengestellt hatte. Nach gründlicher Sichtung
der geschichtsträchtigen Mappe und schließlich der Gemälde im Original, zeichnete sich ab, dass sich hier eine fast 200jährige
Geschichte des russischen Zweiges dieser Familie in einem künstlerisch und genealogisch verwobenen Geflecht erhalten hatte.
Die Hinweise auf die Identifizierung der Dargestellten sind weitestgehend dem geduldigen Familienforscher, selbst Urenkel eines
der Porträtierten, zu verdanken. Auf dieser Grundlage aufbauend konnten wir nun durch aufwendige Recherchearbeit und
Kooperation mit russischen Experten die Zuordnung der historischen Zusammenhänge und die kunsthistorische Identifizierung
erarbeiten. Am Ende war es möglich, ein in dieser Form herausragendes kunst- und kulturhistorisches Zeitdokument zu rekonstruieren: 200 Jahre russische Adelsgeschichte abgebildet in 12 Gemälden.
Der Porträtstammbaum beginnt mit einem Gemälde im Barockstil, welches Graf Andrej Iwanowitsch Uschakow (1670–1747)
zeigt (Nr. 101). Er war einer der bedeutendsten Mitglieder der Familie Uschakow im 18. Jahrhundert und stieg in höchste
militärische und politische Kreise auf. Während seiner Karriere am Zarenhof galt er als Vertrauter Peters I., dem Großen (1672–
1725). Als Mitglied des Admiralitätskollegiums und der geheimen Kanzlei, Senator und später Generalleutnant erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Andreasorden, welchen er auf dem vorliegenden Porträt trägt. Ein weiteres, mit diesem Gemälde
vergleichbares Porträt, welches den Dargestellten in anderer Körperhaltung zeigt, befindet sich in der Tretjakow-Galerie Moskau.
Für seine treuen Dienste wurde Andrej Iwanowitsch Uschakow im Jahre 1744 von Zarin Elisabeth I. in den Grafenstand erhoben.
Einer seiner erfolgreichen Nachkommen war Admiral Fjodor Fjodorowitsch Uschakow (1745–1817), der heute als eines der
Urgesteine der russischen Flotte gilt und in der Sammlung in einem Aquarell des 19. Jahrhunderts vertreten ist. Nach seiner
Ausbildung im Seekadettenkorps in Sankt Petersburg gelang dem jungen Adelssohn ein rascher Aufstieg in der Marine; er war
maßgeblich am Aufbau der russischen Schwarzmeerflotte unter Katharina II., der Großen (1729–1796) beteiligt, befehligte die
russische-türkische Flotte im Kampf gegen Napoleon und verlor überhaupt keine einzige seiner insgesamt 43 Seeschlachten. Sein
Name lebte im Uschakow-Orden, dem höchsten Orden der Seekriegsflotte der UdSSR weiter, schmückte Ende des 19. Jahrhundert eine ganze Küstenkriegsschiff-Klasse und zeichnet noch heute eines der größten russischen Kriegsschiffe, den Atomkreuzer
„Admiral Uschakow“, aus. Das Aquarell (Nr. 102) stellt den stattlichen Admiral kunstvoll auf einem Trompe-l’oeil Blatt,
eingefasst von vier heraldisch russischen Adlern dar. In voller Uniform mit einem Fernrohr in der Hand steht er vor einer
Brüstung, im Hintergrund die See, deren Beherrschung er seine Lebensaufgabe gewidmet hat.
In die militärischen Fußstapfen der berühmtesten Mitglieder dieser weit verzweigten Familie stieg schließlich auch Generalmajor
Pjotr Sergeewitsch Uschakow (1782—1832). Er diente der russischen Armee in den Napoleonischen Kriegen, 1812 in Russland
und 1813/14 in den Schlachten von Lutzen und Bautzen, wurde 1817 zum Generalmajor ernannt und war ab 1823 Direktor der
Militärakademie in Smolensk. Das vorliegende Porträt (Nr. 103) stammt von Alexander Molinari (1772–1831). Aus einer italienischen Familie stammend und in Berlin ausgebildet, führte ihn sein Weg wie viele seiner Künstlerkollegen nach Russland, wo er zu
einem der bedeutendsten ausländischen Porträtkünstler für die hohe Gesellschaft aufstieg. Die Darstellung des Generalmajor
Uschakow entspricht dem damals etablierten militärischen Porträttypus, welcher dann besonders durch den aus England
stammenden Maler George Dawe (1781–1829) manifestiert wurde. 1819 kam George Dawe für ein Jahrzehnt nach St. Petersburg
und schuf im Auftrag Zar Alexanders I. (1777–1825) die sogenannte „Militärgalerie von 1812“ im Winterpalast der Eremitage.
Diese Galerie wurde zu Ehren der am Feldzug gegen Napoleon mitwirkenden Generäle geschaffen und zeigt heute in fünfreihiger
Hängung 349 Einzelporträts der Beteiligten in ihrer Uniform. Das Porträt Pjotr Uschakows, der bei der Entstehung der Ehrengalerie noch einen niedrigeren militärischen Dienstgrad hatte und deshalb möglicherweise nicht in der Galerie vertreten ist,
entspricht eben diesem Bildtypus, jedoch ausformuliert in Alexander Molinaris ganz eigenem Stil. Da zu dem Bildnis ein ovales
Pendant der Ehefrau (Nr. 103) existiert, scheint die Annahme berechtigt, dass hier der Maler einen Privatauftrag ausgeführt hatte.
Molinari zeigt Maria Uschakowa, geb. Maria Antonovna Tarbeeva (1802–1870), als junge Schönheit in hauchdünn wehendem
Seidengewand und unterstreicht in seinem Porträt ihren Stand als eine der meist bewunderten Schönheiten der Moskauer
Gesellschaft.
Der Familienzweig von Marie Uschakow hat sich der Familienüberlieferung nach in der Porträtsammlung ebenfalls mit drei
weiteren Werken erhalten. Neben zwei um 1820 entstandenen Pastellen, welche ihre Eltern zeigen sollen, existiert ein exquisites
Porträt ihrer Schwester Mme Nelidow. In romantisierendem Realismus zeigt der Künstler die junge Dame in einem weiteren
Ovalporträt feinmalerisch in biedermeierlicher Robe mit rosa Schleifen im Haar (Nr. 105).
Die Kinder von Peter und Marie Uschakow selbst wurden in drei seltenen Werken des taubstummen Malers Carl von Hampeln
(1794–1880) festgehalten (Nr. 106–108). Der in St. Petersburg geborene Maler erhielt als Stipendiat der karitativ engagierten Maria
Fjodorowna, Ehefrau von Zar Paul I. (1754–1801), in Wien seine Ausbildung. Ab circa 1825 kehrte er jedoch nach St. Petersburg
zurück und arbeitete dort als Radierer und Zeichner. Die drei vorliegenden, um 1830 entstandenen Werke zeugen von seinem
Können in der Kombination von Zeichnung und Aquarell. Eine der dargestellten Töchter, Sofia Petrovna Uschakow (1823–1877),
später verheiratet mit Konstantin Pavlovich Naryshkin (1806–1880) und ganz der Mutter folgend eine der mondänsten Frauen
der Moskauer Gesellschaft wurde im Jahre 1858 von Franz Xaver Winterhalter (1805–1873) noch einmal porträtiert. Das
Gemälde befindet sich heute in der Eremitage, St. Petersburg.
Urkunde zur Beförderung von Paul P. Uschakow zum Generalmajor
Den Abschluss unserer Porträtgenealogie bilden die beiden um 1866 entstandenen, monumentalen Gemälde von zwei der
führenden russischen Porträtkünstler in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Carl Timoleon von Neff (1804–1876) und Ivan Kuzmich
Makarov (1822–1897). Paul Petrowitsch Uschakow (1819–1873) wurde, wie die noch in der Familie bewahrte Urkunde bezeugt,
im Jahre 1858 von Zar Alexander II. (1818–1881) zum Generalmajor ernannt und zugleich vom Militärdienst beurlaubt. Im Jahre
1861 wurde Uschakow seine noble Familienherkunft durch die urkundliche Eintragung ins Adelsstammbuch und die Verleihung
des Familienwappens, welches samt Adelsbrief und mit Wachssiegel ebenfalls erhalten ist, durch den Zaren bestätigt. Diese
Ereignisse geschahen zeitnah mit der Heirat Paul Uschakows mit Anastasia Uschakowa, geb. Anastasia Osipowa Kony (1824–
1902). Seine Gattin war in erster Ehe mit Constantin Gubin (gest. 1848), einem reichen Land-und Minenbesitzer in Ufaley/ Ural,
verheiratet, und Paul Uschakow führte fortan die an seine Ehefrau vererbten geschäftlichen Aufgaben in Ufaley fort. So wird er
auch auf dem vorliegenden Porträt (Nr. 112) von Carl Timoleon von Neff nicht in Uniform, sondern als privater Edelmann in
typisch russischem Pelzmantel und einer Pelzmütze, genannt Uschanka, dargestellt. Auch seine Gattin Anastasia Uschakowa
wurde von Ivan Kuzmich Makarov (1822–1897) in herrschaftlich idealisierter Pose festgehalten (Nr. 111). Das Gemälde des als
der „russische Winterhalter“ geltenden Künstlers besticht durch das fein ausformulierte leichte Spitzenkleid der Dargestellten,
welche auf einem mit rosa Blumen hinterfangenem Sessel posiert.
Diese außergewöhnliche Porträtsammlung zeigt nicht nur eine einzigartige Familiengeschichte, die von der Zeit Peter des Großen
über die napoleonische Epoche bis hin zur beginnenden Industrialisierung reicht, sondern demonstriert auch lebhaft die Geschichte des russischen Porträts vom Barock bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Tatsache, dass diese Sammlung vor
Generationen ihren Weg nach Österreich fand, belegt die traditionell weit vernetzten Bande von Adelsfamilien. Die Biografien
der einzelnen Künstler über die damaligen Grenzen hinweg zeugen jedoch auch von der historisch gewachsenen, engen künstlerischen Verbindung Russlands und dem restlichen Europa. (Kareen M. Schmid)
Die Angaben über die Identität der Dargestellten und die Zuschreibungen an diverse Künstler haben wir aus dem Familienarchiv der Einbringer übernommen. Wir haben darüber hinaus zusätzliche Recherchen im Auftrag der Einbringer angestellt. Sämtliche Ergebnisse dieser Nachforschungen sind nach unserem besten Wissen zusammengestellt und hier wiedergegeben. Aber für deren Richtigkeit und Vollständigkeit können wir keine Gewähr leisten.
18. 6., 18 Uhr
A 200-Year Family and
Contemporary History
Twelve Examples of Russian
Aristocratic Portraiture
Family crest, 1861
Late last year, during one of our regular advice days in Palais Kinsky, we were contacted by an Austrian aristocratic family. They
presented us with a folder with carefully selected photographs and family documents, which had been collected over many hours
by their father, dead now for many years, for his heirs. After a close examination of the folder and later the original paintings, it
became apparent that it contained, woven within its fabric, almost 200 years of the art and genealogical history of the Russian
branch of the family.
It is thanks to the patient family historian, himself the great-grandson of one of the subjects, that we can identify the subjects of
all the portraits. That work, combined with extensive research work and collaboration with Russian experts, was the basis used to
identify their context in Russian contemporary and art history. In the end, we were able to reconstruct an outstanding document
of art and cultural history: 200 years of the history of the Russian nobility depicted in 12 paintings.
The family tree of portraits begins with a painting (No. 101) of Count Andrei Ivanovich Ushakov (1670–1747). He was one of the
most important members of the Uschakov family in the eighteenth century, who moved up into the highest circles of the military
and politics. During his career at the Tzar’s court he was one of Peter the Great’s trusted lieutenants. As a member of the
Admiralty and the Secret Chancellery, senator and later lieutenant general he received many decorations including the Order of
Andreas, which he is wearing in this portrait. Another comparable portrait, which shows the subject in a different pose, is in the
Tretyakov State Gallery in Moscow. For his faithful service, Andrei Ivanovich Ushakov was ennobled by Elizabeth of Russia
in 1744.
One of his most successful successors was Admiral Fyodor Fyodorovich Ushakov (1745–1817), who is now considered one of
the founding fathers of the Russian navy, and who is represented in the collection by a nineteenth century watercolour. After his
training with the sea cadets in St. Petersburg, the young son of nobility rapidly ascended the ranks of the navy. He played a
decisive roll in the expansion of the Black Sea Fleet under Catherine the Great (1729–1796), commanded the Russian-Turkish
Fleet in battle against Napoleon and never lost a single one of 43 sea battles. His name was immortalised in the Order of Ushakov,
the highest order of the soviet navy. A class of coastal-defence battleships were named after him at the end of the nineteenth
century, and today his name adorns the largest Russian warship, the nuclear cruiser ‘Admiral Ushakov’. The watercolour, (No.
102) artfully presents the stately admiral as a trompe l’oeil, framed by four heraldic Russian imperial eagles. In full uniform with a
telescope in his hand he stands at a balustrade, the sea that he dedicated his whole life to mastering in the background.
Major General Pyotr Sergeyevich Ushakov (1782–1832) then followed in the military footsteps of the illustrious members of this
large family. He served in the Russian army in the Napoleonic Wars, in 1812 in Russia, in 1813/14 at the battles of Lutzen and
Bautzen. He became a major general in 1817 and was the director of the military academy at Smolensk from 1823. The portrait
(No. 103) is by Alexander Molinari (1772–1831). He was born to an Italian family and educated in Berlin, then made his way, like
many of his fellow artists, to Russia, where he rose to become a famous society portrait painter. The depiction of Major General
Ushakov follows the formula for military portraits of the time, which was exemplified in the work of the English artist George
Dawe (1781–1829). In 1819 George Dawe came to St. Petersburg for a decade and created, at the request of Tzar Alexander I
(1777–1825), the so-called Military Academy at the Winter Palace of the Hermitage. The gallery was created to honour the
generals who took part in the campaign against Napoleon, and today contains five rows of individual portraits, 349 in total,
depicting those involved in full uniform. The portrait of Pyotr Ushakov, who might not be represented because he still occupied a
relatively low military rank at the time of the gallery’s creation, conforms to just this formula, but executed in Alexander
Molinari’s own unique style. Because there is an oval pendant of his wife (No. 103), it seems likely that this was a private
commission for the family. In the portrait, Molinari shows Maria Ushakov, born Maria Antonovna Tarbeeva (1802–1870), as a
young beauty in billowing gossamer silk and emphasises her position as one of the most famous beauties of Moscow society.
According to the family’s written records, Marie Ushakov’s branch of the family lives on in the portraiture collection in the form
of three more works. Along with two pastels created in 1820, which are reputed to show her parents, there is an exquisite portrait
of her sister Mme Nelidov. In a romantic realist style, the artist shows the young lady in another oval portrait, finely painted in
Biedermeier robes with pink ribbons in her hair (No. 105). The children of Peter and Marie Ushakov themselves were captured in
three rare works (Nr. 106–108) by the deaf painter Carl von Hampeln (1794–1880). The painter, who was born in St. Petersburg,
received his training in Vienna via a scholarship from the philanthropist Maria Feodorovna, wife of Tzar Paul I (1754–1801). After
around 1825, he returned however to St. Petersburg and worked there as an etcher and draughtsman. The three works from 1830
display his skill in the combination of drawing and watercolour. One of the daughters depicted is Sofia Petrovna Ushakov
(1823–1877), who later married Constantine Pavlovich Naryshkin (1806–1880) and, like mother like daughter, was one of the
most sophisticated women of Moscow society. She was painted again in 1858 by Franz Xaver Winterhalter (1805–1873), and the
painting now hangs at the Hermitage in St. Petersburg.
General Paul P. Uschakow (sitting left)
Our genealogy in portraiture concludes with the two monumental paintings from 1866 by two of the leading Russian portraitists
of the mid nineteenth century: Carl Timoleon von Neff (1804–1876) and Ivan Kuzmich Makarov (1822–1897). Paul Petrovitch
Ushakov (1819–1873) was, according to the certificate kept by the family, made a Major General by Tzar Alexander II (1818–
1881) in 1858 and at the same time granted leave from military service. In 1861, Ushakov’s noble heritage was confirmed by the
Tzar by being entered with a certificate into the register of nobility and by receipt of the family coat of arms, which has also been
retained along with the patent of nobility and seal. These events happened at about the same time as Paul Ushakov’s marriage to
Anastasia Uschakowa, born Anastasia Osipova Kony (1824–1902). His wife’s first marriage was to Constantin Gubin (died 1848),
a rich landowner and owner of a mine in Ufaley in the Urals, and Paul Ushakov carried on the Ufaley businesses inherited by his
wife. This is how he is portrayed in the painting (No. 112) by Carl Timoleon von Neff, not in uniform, but as a private nobleman
in the typical Russian fur coat and ushanka hat. His wife, Anastasia Ushakov, was also captured by Ivan Kuzmich Makarov
(1822–1897) in an idealised regal pose (No. 111). The painting, by the artist who is considered to be the Russian Winterhalter, is
impressive for the finely executed and light lace dress worn by the subject, who is posing on a chair framed by pink flowers.
This unique collection of portraiture reveals a very special family history, which stretches from Peter the Great through the age of
Napoleon to the beginnings of industrialisation, but also demonstrates the lively history of Russian portraiture from Baroque to
the second half of the nineteenth century. The fact that, generations ago, this collection found its way to Austria is evidence of the
long-standing extended network of noble families. However, the biographies of the individual artists, which straddle the thenexisting borders, show the growth of the historic and close connection between Russian art and that of the rest of Europe.
(Kareen M. Schmid)
The attributions of identity of subjects and that of the various artists have been taken from the family archive provided to us. We have carried out additional
research at the behest of the submitter. All findings of this research are, to the best of our knowledge, collected and presented here. However, we can not
guarantee the accuracy of this information.
18. 6., 18 Uhr

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