AHK in São Paulo

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AHK in São Paulo
Praktikumsbericht AHK São Paulo, Brasilien
(Juli 2014 – Januar 2015)
Brasilien:
Brasilien – ein Land der Vielfalt und Gegensätze. Der kulturelle Reichtum und die
atemberaubende Natur sind nur einige Aspekte, die Brasilien zu einem einzigartigen,
attraktiven Land machen. Entgegen den Klischees, die häufig in Europa
vorherrschen, bietet dieses Land nämlich viel mehr, als exotische Sambarythmen,
Karneval und leichtfüßige Fußballspieler.
Brasilien ist das größte Land Lateinamerikas und das fünftgrößte Land der Welt.
Deutschland passt flächenmäßig 24 mal in Brasilien hinein. Rund 200 Millionen
Menschen leben in Brasilien, wobei sich ca. ¾ der Bevölkerung auf die Städte
verteilen. Aufgrund der Tatsache, dass Brasilien ein Einwanderungsland ist, bietet es
ein breite kulturelle und ethnische Vielfalt. Die vielen verschiedenen europäischen,
afrikanischen und asiatischen Einflüsse sind vor allem in der Architektur wieder zu
finden. Aber auch die Vielzahl an multikulturellen Restaurants zeigt, dass Brasilien
stark von Immigranten geprägt wurde.
São Paulo:
São Paulo bildet die größte Stadt Brasiliens. Rund 10% der Bevölkerung (20
Millionen Menschen) wohnen in der Großraummetropole São Paulo. Die Stadt gilt als
wichtigster Wirtschafts-, Finanz- und Verkehrsknotenpunkt des Landes und stellt den
größten industriellen Ballungsraum in ganz Lateinamerika dar.
Wenn man São Paulo kurz beschreiben müsste, dann wären folgende Adjektive
sicherlich treffend:
- chaotisch aber doch funktionsfähig:
São Paulo ist dafür bekannt, dass die Verkehrssituation in der Stadt oftmals sehr
chaotisch ist. Beispielsweise ereignete sich am 08.März 2013 ein Stau von
insgesamt 261 Kilometer Länge. Dies bedeutet eine Strecke von Leipzig bis nach
Prag. Das Verkehrsproblem ist überall bekannt, weshalb der Verkehr „o trânsito“ eine
jederzeit akzeptierte Entschuldigung ist, wenn man z. B. zu einem Termin zu spät
erscheint. Das Metrosystem hingegen funktioniert sehr gut und ist mit dem in
München vergleichbar. Allerdings verfügt diese 20 Millionen-Stadt nur über 4
Metrolinien (im Vergleich: München mit 1,3 Mio. Einwohnern hat 8 Linien!). Daran
kann man schon erkennen, dass wirklich nur Teile der Stadt vernetzt sind. Auch das
Eisenbahnnetz ist eher dürftig ausgebaut. Für die WM waren zwei wichtige Strecken
geplant und der Bau hat auch schon begonnen. Leider konnten die Strecken nicht
rechtzeitig fertiggestellt werden. Somit stehen ein paar Brückenpfeiler mitten in der
Stadt herum und keiner weiß so Recht, ob und wann das Großprojekt beendet wird.
- grau und doch grün:
São Paulo wird auch als das New York Brasiliens bezeichnet. Die Skyline mit der
Estaiada-Brücke im Geschäftsviertel São Paulos ist sehr beeindruckend und lässt
diese Stadt einer Weltmetropole gleichkommen. Allerdings gibt es auch sehr viele
Stadtteile, die einfach nur grau sind. Weit und breit keine Grünfläche zu sehen und
ein Betonklotz reiht sich neben den nächsten. Auf die Fassaden der Gebäude wird
wenig Wert gelegt und das erklärt auch, weshalb manche Stadtteile einfach
nur hässlich sind. Ganz anders verhält es sich im Südteil der Stadt (mein ehemaliges
Wohngebiet). Hier sind sehr viele Parks und Grünanlagen vorzufinden. Weiterhin
findet man dort überwiegend kleinere Hochhäuser und ganz viele Herrschaftsvillen
aus Gründerzeiten oder mittlere bis gehobene Einfamilienhäuser. Die Straßen
werden hier von Bäumen und vielen Blumen gesäumt. Hier ist der älteste und größte
Baumbestand der Stadt zu finden.
(Estaiada Brücke und das Geschäftsviertel)
(Die grüne Lunge der Stadt: Der Ibirapuera Park)
- multikulturell aber auch brasilianisch:
Mehr als die Hälfte der Einwohner São Paulos (Paulistanos) sind europäischer
Abstammung. Aber auch zahlreiche libanesische und japanische Einwanderer haben
in São Paulo ihre Heimat gefunden. Insgesamt handelt es sich um eine
multikulturelle Stadt, welche die vielen verschiedenen kulturellen Einflüsse
widerspiegelt. Dies äußerst sich in den zahlreichen internationalen Restaurants,
sowie in der Prägung einzelner Stadtteile. Dennoch gibt es hier auch viele
Traditionen, die strikt gewahrt werden. So ist es oftmals auch nicht verwunderlich,
dass die Kinder von deutschen, italienischen oder japanischen Einwanderern ihre
eigentliche Muttersprache kaum oder gar nicht mehr beherrschen. Herkunft,
Hautfarbe oder Religion spielen in Brasilien kaum eine Rolle und Ressentiments
werden nicht bedient. Hier ist man es gewöhnt mit verschiedenen Nationen Tür an
Tür zu wohnen und mit Schwarzen, Weißen oder Mischlingen zusammenzuarbeiten.
(Typische Karaokebar im japanischen Viertel Liberdade)
- arm und reich:
Der Kontrast zwischen arm und reich wird in dieser Stadt besonders offensichtlich.
Während die super-reichen (Millionäre, von denen es hier nicht wenige gibt: In São
Paulo gibt es die sechsmeisten Millionäre weltweit!) sich nur per Helikopter bewegen,
tummeln sich unten in den Favelas die Menschen auf wenigen Quadratmetern
Wellblechhütten. Diese große Schere zwischen arm und reich sowie Exzesse an
beiden Rändern sind sehr typisch für Brasilien. Allerdings muss man auch erwähnen,
dass insbesondere in den letzten 10-15 Jahren der erhebliche wirtschaftliche
Fortschritt zu einem Wachstum des Mittelstandes geführt hat und viele Jobs, die ein
Überleben sichern, entstanden sind. Weiterhin gibt es aber große Probleme, was den
Bildungssektor anbelangt. In Brasilien ist es üblich, dass man eine gute Ausbildung
in der Regel nur erhält, wenn man eine entsprechend teure Privatschule besucht.
Somit ist Chancengleichheit keinesfalls gegeben und das Niveau der Bildung hängt
sehr stark von der Zahlungsbereitschaft und vor allem der Möglichkeit der Eltern ab.
(Typisches Bild einer Favela oder armen Wohngegend)
(Typisches Condomínio (=bewachte Wohnanlage der Mittel- oder Oberklasse))
- pulsierend und lebendig:
São Paulo "é uma cidade louca" (ist eine verrückte Stadt). Das erkennt man nicht nur
an der vollkommen verrückten Verkehrssituation, sondern auch am unberechenbaren
Wetter. So heißt es hier, dass man alle vier Jahreszeiten an einem Tag erleben kann.
Zugegeben den deutschen Winter - wie wir ihn kennen- gibt es hier nicht, aber es
kann durchaus sein, dass ein Tag mit 35 Grad Sonnenschein beginnt, dann kommt
ein heftiges Unwetter und die Temperatur fällt um 20 Grad. Es kommt wirklich sehr
sehr oft vor, dass man unpassend gekleidet ist, da sich das Wetter mehrmals am Tag
verändert.
(Straßenverhältnisse nach einem kurzen, heftigen Regen)
Auch die Möglichkeiten hier sind schlichtweg verrückt. Es gibt kaum etwas, was hier
nicht möglich ist. Das zeigt sich vor allem an der Vielfalt von Restaurants und
Freizeitmöglichkeiten. So gibt es einen deutschen Supermarkt, in dem man alle
möglichen deutschen Produkte findet. Aber auch jede denkbare Nationalität ist in
São Paulo kulinarisch vertreten. Man sagt, dass das Sushi hier weitaus besser ist,
als es in Japan der Fall ist. Verrückt ist auch die Tatsache, dass diese Stadt nie zur
Ruhe kommt. Die Verkehrssituation ist immer ein Problem und die Einwohner haben
sich längst damit abgefunden, dass sie häufig stundenlang für kurze Strecken
brauchen.
(Vielfalt an Früchten im Mercadão Municipal)
(Paulisitanos lieben Pizza, welche berühmt für ihren dickeren Boden und üppigen Belag ist. Pizza wird
vor allem über Mototaxis ausgeliefert und gehört hier „zum täglichen Brot“)
Die AHK São Paulo:
In der AHK São Paulo und weiteren zugehörigen Vertretungen wie z. B. dem VDI
arbeiten ca. 150 Personen. Obwohl aus meinen Recherchen zur Geschäftskultur in
Brasilien hervorging, dass es hier eher streng hierarchisch und konservativ zugeht,
kann ich das nicht bestätigen. Das Arbeitsklima ist locker, offen und herzlich. Man
findet sehr schnell Anschluss und es kommt auch durchaus vor, dass man mit
Kollegen privat etwas macht. So gab es freitags in einer naheliegenden Bar oft ein
afterwork bzw. eine happy hour. Es ist hier auch üblich, dass man mit Kollegen
gemeinsam zum Mittagessen geht in eines der umliegenden Restaurants.
(Typisches per Kilo Restaurant)
Hierfür erhält man auch als Praktikant eine Karte, auf der monatlich ein Guthaben
aufgeladen wird, das zum Essen für den gesamten Monat reicht. Sehr typisch für
Brasilien ist als Bürosnack das Pão de queijo. Kaffee, Espresso und Wasser gibt es
auch gratis während der Arbeitszeit.
(Das berühmte Pão de queijo (=Käsebrot))
Weitere Konditionen zum Praktikum erhält man auf der Homepage der AHK unter
folgendem Link (Stand Februar 2015):
http://www.ahkbrasilien.com.br/jobs/praktikum/
Meine Abteilung Formação Profissional
Meine Abteilung wurde erst wenige Monate bevor ich mein Praktikum begonnen
hatte, neu gegründet. Dementsprechend stand es auch um die Organisation. Viele
Abläufe waren noch nicht standardisiert und Zuständigkeiten nicht klar geregelt. Für
mich hatte dies aber den Vorteil, dass ich viele Ideen und Vorschläge einbringen
konnte und recht selbstständig arbeiten konnte. Interessante, neue Projekte habe ich
sofort an mich gezogen und diese dann auch sehr eigenständig betreut. Dadurch war
es mir natürlich möglich, dass ich sehr viel gelernt habe und auch richtig Spaß an
meiner Arbeit hatte. Vor Beginn des Praktikums hätte ich nie gedacht, dass ich
soviele verschiedene und auch anspruchsvolle Aufgaben habe. Mir war auch nicht
klar, dass es soviel zu tun gibt, so dass ich eher immer Probleme hatte meine Arbeit
innerhalb der Arbeitszeit zu bewältigen. Aus meiner Sicht war das aber optimal, da
ich viel gelernt habe, einen abwechslungsreichen Arbeitsalltag hatte und noch dazu
meine
Portugiesischkenntnisse
verbessern
konnte.
Als Studentin der
Wirtschaftswissenschaft mit dem Schwerpunkt in Human Resources war das
Praktikum für mich ideal. Ich habe mich unter anderem um den kompletten
Recruitierungsablauf in der Kammer gekümmert, alle Praktikanten betreut, in
verschiedenen Projekten im Bereich Aus- und Weiterbildung mitgearbeitet und
Events organisiert. Zudem habe ich in einem Großprojekt mit Volkswagen gearbeitet,
dass die entsendeten Mitarbeiter von Volkswagen in Brasilien bei deren Integration
unterstützt. Da sich dieses Projekt noch in der Aufbauphase befand, gab es viele
spannende Aufgaben und ich konnte eigene Ideen einbringen und Teilbereiche sehr
selbstständig bearbeiten. Insbesondere der Bereich Projektcontrolling war für mich
relativ neu, so dass ich hier eine gute neue Erfahrung gemacht habe. Ich kann mit
Sicherheit sagen, dass es nie langweilig war (eher etwas zu stressig ab und an) und
dass ich für mich persönlich das Maximale rausgeholt habe. Durch mein
theoretisches Wissen von der Universität, aber auch durch meine Berufserfahrung
bis dato, konnte ich viele Arbeitsprozesse und Projekte mitgestalten. Mein
Aufgabenbereich in der AHK hat mich dann auch nochmal in meinem Wunsch
bestärkt auch später im Bereich Human Resources tätig zu werden und meine
Kenntnisse auch im Studium noch weiter zu vertiefen.
Mein persönlicher Gesamteindruck:
Wenn man eines zuletzt festhalten kann, dann sicherlich das "Bem-vindo ao Brasil.
Todo é possível, porque não temos regras" - "Willkommen in Brasilien. Alles ist
möglich, weil wir keine Regeln haben." Das ist für jemanden, der aus dem
wohlgeordneten, organisierten Deutschland kommt tatsächlich erstmal etwas
gewöhnungsbedürftig... So habe ich mich zum Beispiel gefragt, wie es sein kann,
dass man in der Apotheke rezeptpflichtige Dokumente auch ohne Rezept bekommt,
oder wenn man etwas Bestimmtes von der Polizei möchte, dann einfach nur genug
Geld bezahlen muss. Das sind Dinge, die man so aus Deutschland nicht kennt und in
Brasilien zum Alltag gehören.
Mein Praktikum habe ich damals selbst recherchiert über die Stichworte „Praktikum
in Brasilien“ bei google. Generell kann ich ein Praktikum bei der AHK empfehlen, da
man einerseits eine relativ hohe Chance hat, einen Praktikumsplatz zu bekommen
(das Motivationsschreiben hierfür ist wichtig und sollte gut begründet sein!).
Andererseits ist es grundsätzlich schwierig ein Praktikum in Brasilien zu machen und
sehr bürokratisch alle gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten, um ein Visa zu
bekommen. In diesem Punkt ist die AHK sehr gut organisiert, bezahlt die
Studiengebühren in Brasilien (Stand Januar 2015) und arbeitet mit AIESEC
zusammen, die sich um alle Formalitäten in Brasilien kümmern. Insbesondere für den
Visaprozess war die Unterstützung der AHK und von AIESEC enorm hilfreich. Die
AHK sendet den neuen Praktikanten bei Zusage zum Praktikumsplatz auch einen
Leitfaden mit allen Tipps und Tricks sowie Informationen zum Leben und Arbeiten in
Brasilien zu. Ich war echt überrascht wie routiniert man dort mit Praktikanten umgeht
und wie gut der ganze Ablauf organisiert ist.
Im Vorfeld des Praktikums habe ich einen Sprachkurs an der LMU besucht, um
meine Portugiesischkenntnisse wieder aufzufrischen. Darüber hinaus hatte ich über
meinen damaligen Arbeitgeber die Möglichkeit an einem interkulturellen Training für
Brasilien teilzunehmen, was mir wirklich sehr geholfen hat. Aber auch im
Bekanntenkreis habe ich einige Brasilianer, die mir authentische und wertvolle Tipps
gaben. Um mich auch für alle möglichen Fälle in Brasilien abzusichern, habe ich den
Gruppenversicherungstarif beim DAAD in Anspruch genommen, welcher eine
umfassende Kranken-, Unfall- und Haftpflichtversicherung enthält. Des Weiteren
habe ich mich auch recht früh um eine Wohnung in São Paulo gekümmert, da ich
gehört hatte, dass die Wohnungssituation ähnlich angespannt wie in München ist.
Aber auch hierbei hat mich die AHK unterstützt, indem sie mir eine Liste mit
potentiellen Vermietern im Umfeld der AHK und in relativ sicheren Gegenden
übersendet haben. Das hat dann auch schnell und gut funktioniert und ich hatte
bereits 2 Monate vor Abreise eine gute Unterkunft. Meine Unterkunft war mit
umgerechnet 550 € pro Monat für ein Zimmer mit Bad in einer Wohngemeinschaft
zwar sehr teuer, aber die Wohngegend war sehr sicher und nur 20 Minuten fußläufig
von der AHK entfernt. Mir war es das wert, weil ich so die morgendliche Rush-Hour
umgehen konnte.
Abschließend möchte ich noch festhalten, dass Brasilien für mich nach wie vor ein
interessantes und wunderschönes Land bleibt, ich sicher eines Tages wieder als
Urlauber zurück komme und ich meine Erfahrung dort nicht missen möchte. Ich
würde dieses Praktikum auch immer wieder machen, weil es mir persönlich viel
gebracht hat. Allerdings könnte ich mir aus vielerlei Gründen (Sicherheit, Armut,
Sozialversicherungssystem, Arbeitskultur…) ein Leben in dieser Stadt nicht
vorstellen.