SEWR-News 2/2008

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SEWR-News 2/2008
S E W R - N e w s
2/2008
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Der vorliegende Newsletter widmet sich hauptsächlich dem
ten eine Erlaubnis vorliegen. Diese wird nur erteilt, wenn
Thema Kapitalverkehrsfreiheit gemäss EG-Vertrag bzw.
das betreffende Institut seinen Hauptsitz oder eine Nieder-
EWR-Abkommen. Aus Gründen der Aktualität erfolgt im
lassung in Deutschland hat. Da Fidium Finanz keine Erlaub-
Schlussteil eine kurze Stellungnahme zu den Auswirkungen
nis besitzt, wird ihr untersagt, zielgerichtet an Kunden in
des irischen Nein zum EU-Reformvertrag.
Deutschland heranzutreten.
***
Reichweite der Kapitalverkehrsfreiheit (EU, EWR
Der EuGH musste nun klären, ob es sich in diesem Fall
und Drittstaaten)
tatsächlich um eine mögliche Beschränkung des freien
Kapitalverkehrs handelt, oder ob nicht vielmehr der freie
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH)
Dienstleistungsverkehr betroffen ist. Der EuGH führte dazu
hat sich in einer Reihe von Entscheidungen mit der Kapital-
aus, dass hauptsächlich der Zugang zum deutschen Fi-
verkehrsfreiheit auseinandergesetzt. Kernproblem war dabei
nanzmarkt durch die Regelung erschwert werde. Denn für
immer wieder die Frage der Reichweite der Kapitalver-
ein Unternehmen aus einem Drittstaat, das keine Haupt-
kehrsfreiheit und daraus resultierend die Abgrenzung zur
verwaltung oder Zweigstelle in Deutschland besitze, sei es
Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit. Die Niederlas-
unmöglich die erforderliche Erlaubnis zu erlangen. Im We-
sungsfreiheit1 gibt jeder natürlichen und juristischen Person
sentlichen werde durch die Regelung verunmöglicht, dass
das Recht, in einem anderen EU- bzw. EWR-Staat eine
Fidium Finanz seine Dienstleistung auf dem deutschen
dauernde selbstständige Tätigkeit nach denselben Voraus-
Markt erbringt. Dass so auch der freie Kapitalverkehr be-
setzungen wie ein Inländer auszuüben. Die Dienstleistungs-
schränkt werde, sei nur eine logische Konsequenz. Somit
freiheit2 schützt die grenzüberschreitende Erbringung von
war also ausschliesslich die Dienstleistungsfreiheit zu be-
Dienstleistungen, ohne dass sich die Person im anderen
achten. Da Fidium Finanz aber ihren Sitz in einem Drittstaat
Staat dauerhaft einrichtet. Der freie Kapitalverkehr3 erfasst
hat, kam der EuGH zum Schluss, dass sich die Bank nicht
den Vermögensverkehr, wenn dieser zugleich Investitionen
auf den freien Dienstleistungsverkehr berufen könne.
umfasst. Die Unterscheidung ist wichtig, weil sich Drittstaaten gegenüber der EU lediglich auf die Kapitalverkehrs-
Das Urteil zeigt, dass das Anbieten von Finanzdiensten in
freiheit berufen können (nicht aber auf die Niederlassungs-
einem anderen Staat vom EuGH unter der Dienstleistungs-
oder Dienstleistungsfreiheit). Die nachfolgenden Entschei-
freiheit betrachtet wird. Wenn als „Anhängsel“ auch der
dungen zeigen aber, dass der EuGH nur zögerlich diese
freie Kapitalverkehr behindert wird, ist dies unbeachtlich.
Freiheit auf Drittstaaten anwenden will. Liechtenstein ist
Daher können sich in einem solchen Fall auch nur Unter-
zwar kein Mitglied der EU (und so gesehen Drittstaat),
nehmen mit Sitz in einem EU- oder einem EWR-Staat wie
jedoch sind Beschränkungen der Niederlassungs- bzw.
Liechtenstein auf die europarechtlichen Normen berufen.
Dienstleistungsfreiheit sowie auch des Kapitalverkehrs aufgrund des EWR-Abkommens untersagt.
Unterschiedliche Steuersätze für Kapitaleinkommen aus
Drittstaaten5
Beschränkung von grenzüberschreitenden Bankgeschäften
Österreich besteuert Einkünfte aus Kapitalvermögen aus
aus Drittstaaten4
dem Inland anders als solche Einkünfte aus Drittstaaten.
Die schweizerische Bank Fidium Finanz vergibt über das
Während etwa Dividenden aus inländischen Aktien nur mit
Internet Kredite in der Höhe zwischen 2500 und 3500 EUR
der Hälfte des auf das gesamte Einkommen entfallenden
ohne Bonitätsprüfung. Den Grossteil ihres Geschäfts macht
Durchschnittssteuersatzes zu versteuern sind, muss für
sie in Deutschland, wo sie auch intensiv um Kunden wirbt.
Dividenden aus einem Drittstaat der volle Steuersatz bezahlt
Dort muss aber für das gewerbsmässige Anbieten von Fi-
werden. Bereits 2004 erklärte der EuGH in der Rs. Lenz (C-
nanzdienstleistungen bzw. des Betreiben von Bankgeschäf-
315/02) diese Praxis für EG-rechtswidrig, sofern Einkommen
aus anderen Mitgliedsstaaten betroffen sind. Eine Regelung
1
Art. 43 ff. EGV / Art. 31ff. EWR-Abkommen.
2
Art. 49 ff. EGV / Art. 36 f. EWR-Abkommen.
3
Art. 56ff. EGV / Art. 40ff. EWR-Abkommen.
4
Rs. C-452/04, Fidium Finanz AG/Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungen, Urteil des EuGH vom 3.10.2006.
5
Rs. C-157/05, Holböck/Finanzamt Salzburg-Land, Urteil des EuGH vom
24.5.2007.
wie die österreichische könne im Inland ansässige Steuer-
zösischer wie ausländischer juristischer Personen einer
pflichtige davon abhalten, Kapital in anderen Mitgliedsstaa-
Steuer von drei Prozent auf dessen Verkehrswert. Wenn
ten anzulegen.
eine juristische Person ihren Sitz und die tatsächliche Geschäftsleitung in Frankreich hat, wird sie von der Steuer
In der Rs. Holböck stand diese Praxis nun auch in Bezug auf
befreit, sofern sie jedes Jahr bestimmte Nachweispflichten
Einkommen aus Drittstaaten auf dem Prüfstand. Herr
erfüllt. Auch ausländische juristische Personen können von
Holböck mit Wohnsitz in Österreich ist Geschäftsführer einer
der Steuer befreit werden. Zusätzlich muss aber ein Amts-
GmbH, die ebenfalls ihren Sitz in Österreich hat. Er ist aus-
hilfeabkommen zwischen Frankreich und dem Sitzstaat der
serdem zu zwei Dritteln an einer schweizerischen AG betei-
Gesellschaft bestehen. Obwohl ein solches Abkommen
ligt, die wiederum Alleingesellschafterin der österreichischen
zwischen Luxemburg und Frankreich besteht, konnte sich
GmbH ist. Die Dividenden aus dieser AG hatte Herr Holböck
die klagende Gesellschaft nicht darauf berufen, da Holding-
entsprechend den geltenden Regeln zum vollen Einkom-
gesellschaften vom Anwendungsbereich des Amtshilfeab-
menssteuersatz in Österreich zu versteuern. Er sah darin
kommens ausgenommen sind. Deshalb forderten die fran-
eine Beschränkung der Kapitalsverkehrsfreiheit.
zösischen Steuerbehörden die Bezahlung der Steuer.
Der EuGH stellte zunächst fest, dass in Bezug auf eine
Nach Ansicht des EuGH werden durch diese Regelung Im-
Gesellschaft mit Sitz in einem Drittstaat (konkret die
mobilieninvestitionen in Frankreich für ausländische Gesell-
Schweiz) die Niederlassungsfreiheit keine Anwendung fin-
schaften weniger attraktiv gemacht. Daher sei darin ein
den könne. Somit war zu prüfen, ob die Kapitalverkehrsfrei-
Verstoss gegen den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs
heit gemäss Art. 56 EGV einschlägig ist. Diese Frage liess
und nicht gegen die Niederlassungsfreiheit zu sehen. Eine
der Gerichtshof offen, indem er im konkreten Fall die Aus-
Voraussetzung für die Anwendung der Bestimmungen über
nahmeregelung des Art. 57 Abs. 1 EGV für anwendbar hielt.
das Niederlassungsrecht sei nämlich, dass eine dauernde
Danach werden beschränkende Regelungen eines Mitglieds-
Präsenz im Aufnahmestaat sichergestellt sei und die Ver-
staats, die am 31. Dezember 1993 in Bezug auf Direktin-
waltung des Besitzes aktiv erfolge. Das sei hier aber nicht
vestitionen (eine solche lag vor) bestanden haben, nicht
der Fall.
von Art. 56 EG berührt. So vermied es der EuGH zu entscheiden, ob die im Urteil Lenz aufgestellten Grundsätze
Das Urteil ist eine konsequente Fortsetzung der EuGH-
auch in Bezug auf Drittstaats-Sachverhalte gelten. Er
Rechtsprechung zum freien Kapitalverkehr. Obwohl die
schliesst dies aber zumindest nicht aus.
Steuerhoheit weiterhin bei den Mitgliedsstaaten liegt, dürfen
sie damit nicht den grundlegenden Zielen des Gemein-
Liechtensteinische Personen hätten in einem solchen Fall
schaftsrechts widersprechen. Dieser Befund gilt auch im
den Vorteil, dass sie als Angehörige eines EWR-Staates
EWR-Recht7. Interessant ist, dass auch die französischen
auch andere Grundfreiheiten wie etwa die Niederlassungs-
Rechtfertigungsversuche in Bezug auf den mangelnden
freiheit geltend machen könnten. Ausserdem gilt die Aus-
Informationsaustausch an der Verhältnismässigkeitshürde
nahme von Art. 57 EGV für den EWR nicht.
scheiterten. Allerdings hat der EuGH bereits zu Beginn
klargestellt, dass die Schlussfolgerungen des Urteils nicht
Besteuerung von Grundbesitz und freier Kapitalverkehr6
auf Drittstaaten anzuwenden seien. Zu dieser Problematik
In der Rs. ELISA hatte der EuGH über die Besteuerung des
musste der EuGH in der Rs. Skatteverket/A (siehe nachfol-
Verkehrswerts von in Frankreich belegenen Immobilien, die
gend) Stellung beziehen.
sich im Eigentum von ausländischen juristischen Personen
befinden, zu entscheiden. Dabei war er erneut gefordert,
Kapitalverkehrsfreiheit für Drittländer und Beschränkungen
die Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit zu interpre-
wegen fehlendem Informationsaustausch8
tieren. Dieses mal jedoch in einem rein innergemeinschaftli-
Der in Schweden wohnhafte A ist Aktionär der Schweizer
chen Kontext.
Gesellschaft X, die eine Gewinnausschüttung in Form von
Aktien an eine Tochtergesellschaft vornehmen wollte. Da
Eine luxemburgische Holdinggesellschaft (Européenne et
das schwedische Recht eine Besteuerung derartiger Ein-
luxembourgeoise d’investissements SA, „ELISA“) ist Eigen-
künfte für den Fall vorsieht, dass der betroffene Drittstaat
tümerin mehrerer Grundstücke in Frankreich. Nach dem
französischen Steuerrecht unterliegt der Grundbesitz fran-
7
vgl. EFTA-Gerichthof in Rs. E-6/98 Norway v EFFTA Surveillance
Authority, Rn. 34; Rs. E-1/01, Einarsson, Rn. 17; Rs. E-1/03 EFTA
Surveillance Authorizy v Iceland, Rn. 26 und R. E-1/04, Fokus Bank, Rn.
6
20.
8
Rs. C-1010/05, Skatteverket/A, Urteil des EuGH vom 18.12.2007;
Besprechung in EuZW 4/2008, S. 117.
Rs. C-451/05 Européenne et luxembourgeoise d’investissements SA
(ELISA)/Directeur général des impôts, Ministère public, Urteil des EuGH
vom 11.10.2007.
2
weder EWR-Mitglied ist, noch ein Steuerabkommen mit
***
Schweden abgeschlossen hat, das den Informationsaus-
Vertrag von Lissabon - Nein der Iren hat keine
tausch vorsieht, beschritt A den Rechtsweg.
gravierenden Auswirkungen auf den EWR
Zunächst erteilte der EuGH dem Vorbringen der schwedi-
Am 12. Juni 2008 hat sich das irische Volk in einem Refe-
schen, deutschen, französischen und niederländischen
rendum mit einer Mehrheit von 53,4 Prozent gegen die
Regierung eine Absage, dass der Begriff der Beschränkun-
Ratifizierung des Vertrages von Lissabon ausgesprochen.
gen des Kapitalverkehrs gemäss Art. 56 Abs. 1 EGV von
Dieser
vornherein enger ausgelegt werden kann, als zwischen den
Europäische Union (EUV), in der Fassung des Vertrags von
Mitgliedstaaten. Folglich war zu prüfen, ob im konkreten Fall
Nizza, ersetzen. Ziel ist, die Europäische Union nach der
eine Rechtfertigung für die Beschränkung vorliegt. Schwe-
Erweiterung von 25 auf 27 EU-Mitgliedstaaten handlungsfä-
EU-Reformvertrag
soll
den
Vertrag
über
die
den argumentierte mit der Notwendigkeit, die Wirksamkeit
higer zu machen. Ein erster Versuch durch die Verabschie-
steuerlicher Kontrollen zu gewährleisten.
dung des Vertrages über eine Verfassung für Europa (VVE)
scheiterte aufgrund des negativen Ausgangs der Volksab-
Im Fall Skatteverket/A stellte der EuGH fest, dass es auf
stimmungen in Frankreich und den Niederlanden (2005).
Grund des unterschiedlichen Integrationsgrades an der Vergleichbarkeit der nationalen Besteuerung wirtschaftlicher
Mit Ausnahme Irlands erfolgt die Ratifizierung des Vertrages
Tätigkeiten innerhalb der Gemeinschaft und der Besteue-
von Lissabon in sämtlichen Mitgliedstaaten durch die natio-
rung wirtschaftlicher Tätigkeiten mit Drittstaatsbezug fehlen
nalen Parlamente. Frankreich und die Niederlande verzich-
könnte. Ausserdem lasse sich nicht ausschliessen, dass
teten nach den gescheiterten Referenden zum VVE auf eine
„eine Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern
Volksabstimmung über die Ratifikation des Vertrages von
aus einem bestimmten Grund gerechtfertigt ist, auch wenn
Lissabon. Solange der Vertrag von Lissabon nicht in Kraft
dieser Grund keine überzeugende Rechtfertigung für eine
getreten ist, bleibt der EUV in der Fassung von Nizza die
Beschränkung des Kapitalverkehrs zwischen den Mitglied-
Rechtsgrundlage der EU9.
staaten darstellen würde“ (Rn. 37). Der EuGH akzeptierte
daher im Folgenden, dass in Schweden die Steuerbefreiung
Der Vertrag von Lissabon würde aufgrund der stärkeren
auf Dividenden nur dann gewährt wird, wenn die aus-
Vergemeinschaftung der EU auch zu Veränderungen im
schüttende Gesellschaft im EWR oder in einem Staat nie-
Rahmen des EWR führen. Diese Neuerungen liessen sich
dergelassen ist, mit dem es eine Regelung über den Infor-
mit den derzeitigen EWR-Instrumenten gut bewältigen.
mationsaustausch gibt, sofern für die Befreiung auch tat-
Allerdings wäre bei der Übernahme neuer EU-Rechtsakte in
sächlich Auskünfte des Niederlassungsstaats erforderlich
das EWR-Abkommen eine differenziertere Prüfung der
sind. Somit hat der EuGH den Mitgliedstaaten im Verhältnis
EWR-Relevanz erforderlich. Grundsätzlich ist festzustellen,
zu Drittstaaten eine erweiterte Rechtfertigungsmöglichkeit
dass der EWR sowohl mit, als auch ohne den Vertrag von
eingeräumt, wobei auch diese weiterhin einer Verhältnis-
Lissabon funktionieren kann.
mässigkeitsprüfung unterliegt (d.h. die Beschränkung muss
geeignet und erforderlich sein).
Das Urteil ist für Liechtenstein von besonderem Interesse,
weil auch der EWR letztlich hinter dem Integrationsniveau
der EU zurückbleibt. Allerdings können die EWR/EFTAStaaten (Liechtenstein, Island, Norwegen) im Hinblick auf
den umfassenden EWR-Acquis auch nicht einfach als Drittstaaten im Sinne des Art. 56 EGV bezeichnet werden. So
hat
der
EuGH
in
der
Rs.
Schlössle
Weissenberg
Familienstiftung (C-452/01) ausdrücklich festgestellt, dass
Stabsstelle EWR
die EWR-Vorschriften über den freien Kapitalverkehr mit
Austrasse 79 / Europark, 9490 Vaduz
denen identisch sind, die das Gemeinschaftsrecht für die
Fürstentum Liechtenstein
Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten aufstellt und
Telefon
+423 - 236 60 37
[email protected]
somit auch einheitlich auszulegen sind. Ob die bestehenden
Telefax
+423 - 236 60 38
www.sewr.llv.li
Unterschiede zwischen EWR und EU eine unterschiedliche
steuerliche Behandlung zu rechtfertigen vermögen, ist somit
9
Anm.: Gem. Art. 48 EUV (Nizza) und Art. 6 EUV (Lissabon) ist die
Ratifizierung erst vollständig abgeschlossen, wenn alle Ratifikationsurkunden bei der Italienisches Republik hinterlegt wurden.
weiterhin im Einzelfall zu beurteilen.
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